Bekenntnisse sind gut, Taten sind besser
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Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen positionieren sich zur Verteidigung der Demokratie. Gut so. Wenn es ernst wird, dürfen sie
dann aber nicht vorsorglich in Deckung gehen. Ein Gastbeitrag von Kristin Eichhorn.
Kristin Eichhorn ist Literaturwissenschaftlerin an der Universität Stuttgart und eine der Iniatorinnen von "#IchBinhanna". Foto: privat.
SEIT "CORRECTIV" über ein Geheimtreffen unter Beteiligung von Rechten und Rechtsextremen in Potsdam berichtet hat, auf dem konkrete Pläne für die Vertreibung von Millionen Menschen mit
Migrationsgeschichte besprochen wurden, gehen tagtäglich zehntausende Menschen in großen und kleinen deutschen Städten für die Demokratie auf die Straße.
In einer Zeit, in der die Grundlagen unseres demokratischen Systems akut gefährdet sind, müsse auch die Wissenschaft Position beziehen, schrieb Amrei Bahr vor zwei
Wochen in ihrem Newsletter. Tatsächlich hat sich inzwischen einiges getan in Sachen "#LauteWissenschaft", dem Hashtag, unter dem wir die Verlautbarungen sammeln: Nach dem Präsidenten der
Max-Planck-Gesellschaft Patrick Cramer hat auch die Hochschulrektorenkonferenz eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der sie "jedes einzelne Mitglied unserer Hochschulen" auffordert, "für die Grundwerte unserer Verfassung
einzutreten". Dieser Stellungnahme haben sich diverse Hochschulen mit eigenen Verlautbarungen angeschlossen oder sich bereits vorher entsprechend positioniert. Die Rektorate der Universitäten
Darmstadt und Düsseldorf haben sogar aktiv zur Teilnahme an den dortigen Demonstrationen aufgerufen.
Damit kann man sagen: Die Wissenschaft hat sich im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Akteuren vielleicht etwas verspätet geäußert, aber doch ein klares Bekenntnis abgelegt, sich für die
Grundrechte einsetzen zu wollen, die letztlich auch die Basis ihrer Arbeit bilden. Das muss sie auch tun, denn wenngleich sich wegen des Neutralitätsgebots die konkrete parteipolitische
Positionierung verbietet, gilt es auf der Grundlage unserer Verfassung zu agieren und Entwicklungen abzuwehren, die auf deren Aushöhlung angelegt sind.
Nun ist es eine Binsenweisheit, dass auf Worte Taten folgen müssen. In dieser Hinsicht lohnt sich der Blick auf einen Sachverhalt, der in der vergangenen Woche für einige Irritation gesorgt hat.
So ist in den Räumlichkeiten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) für den 2. Februar 2024 eine Preisverleihung des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit geplant, das den
langjährigen Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) Bernhard Kempen mit seinem Preis für Wissenschaftsfreiheit ehren will.
Nun steht das betreffende Netzwerk wegen des von ihm bespielten Narrativs akademischer Cancel Culture schon länger in der Kritik. Den Correctiv-Recherchen zufolge war überdies eines der
Netzwerk-Mitglieder auf dem Potsdamer Geheimtreffen präsent. Dass eine solche Organisation, die keine klaren Grenzen zu den Rechtsstaat gefährdenden Aktivitäten zu markieren scheint, vom
Deutschen Hochschulverband als "willkommener Mitstreiter" im Kampf gegen "Konformitätsdruck in der Debattenkultur" gesehen wird, wie Research.Table berichtet, weckt ernsthafte Zweifel, wie
klar sich die großen Wissenschaftsorganisationen und -verbände in der Praxis tatsächlich von Vorhaben, die unsere Demokratie akut gefährden, abzugrenzen bereit sind.
Vorauseilender Gehorsam
Dieser Effekt färbt zwangsweise auch auf die BBAW ab, in deren Räumlichkeiten die Preisverleihung stattfindet, wenngleich sich ihr Präsident Christoph Markschies um eine
Distanzierung bemühte. Die Verantwortung lässt sich nämlich nicht allein mit der von ihm artikulierten Sorge loswerden, eine Ablehnung der Mietanfrage durch das zuständige
Veranstaltungszentrum wäre Wasser auf die Mühlen derjenigen gewesen, die ständig die bemängeln, bestimmte Diskussionskulturen würden "gecancelt". Damit weist man keinesfalls selbstbewusst
entsprechende Narrative zurück, sondern betreibt vorauseilenden Gehorsam. Wer schon vorsorglich in Deckung geht, gesteht der anderen Seite Überlegenheit zu und adelt damit ihre Narrative, statt
sie zu schwächen.
Und noch eine zweite Bemerkung des BBAW-Präsidenten zeigt, wie wenig die Wissenschaft wirklich gewappnet ist, sich der Unterwanderung durch Strömungen, die ihre Arbeit gefährden, effektiv
entgegenzustellen. So argumentiert Markschies, die hausinterne Arbeitsgruppe "Wandel der Universitäten und ihres gesellschaftlichen Umfelds" leiste präzisiere Analysen als das Netzwerk
Wissenschaftsfreiheit. Das mag so sein. Die Antwort jedoch folgt schlicht dem falschen kommunikativen Register: Denn es geht hier nicht um Fragen wissenschaftlicher Qualität oder das Für und
Wider bestimmter methodischer Herangehensweisen. Der Einsatz für durch unsere Verfassung verbriefte Grundrechte ist kein Peer Review und auch kein Promotionsgutachten, sondern erfordert Haltung –
und zwar nicht nur im Sinne eines allgemeinen Bekenntnisses zu Vielfalt in der Wissenschaft.
Um effektiv für den Erhalt unserer Demokratie einzustehen, muss man sich der schleichenden Normalisierung von sie unterwandernden Tendenzen im Alltagshandeln aktiv und ständig entgegenstellen.
Das ist unbequem und etwas völlig anderes als der übliche wissenschaftliche Diskurs. Es braucht also ein verändertes Auftreten, um nicht von den Ereignissen überrannt zu werden.
Denn es ist so, wie Jan-Martin Wiarda hier im Blog schrieb: "Eine wehrhafte Demokratie fängt da an, wo sie sich nicht die
Diskurse der Undemokraten aufzwingen lässt." Wer die Diskursmacht jetzt aus der Hand gibt, gräbt sein eigenes Grab und trägt Mitverantwortung für das, was sich daraus entwickelt. Das muss auch
Wissenschaft endlich begreifen und ihr Handeln nicht nur in Pressemitteilungen, sondern tagtäglich nach dieser Maxime ausrichten.
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