Aufsatz(gedruckt)2006

Mittel- und Osteuropa: wohlfahrtsstaatliche Politik unter Druck

In: Ost-West-Gegeninformationen: Vierteljahresschrift, Band 18, Heft 4, S. 3-14

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Abstract

"Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Entwicklungsbedingungen, Herausforderungen und dem Inhalt sozialstaatlicher Politik sowohl in westeuropäischen als auch in postkommunistischen mittel- und osteuropäischen Ländern. Dabei ist voraus zu schicken, dass sich das Gros der heute vorliegenden Wohlfahrtsstaatenforschung mit den hoch entwickelten westlichen bzw. nördlichen Ländern beschäftigt. Ein erster Grund dafür liegt darin, dass sozialstaatliche Politik in den einschlägigen wissenschaftlichen Diskursen in der Regel als Politik zur Korrektur (bzw. zum Teil auch zur Steuerung) marktwirtschaftlicher Prozesse verstanden wurde (vgl. im Überblick z.B. Merkel 1995: 697). Wohlfahrtsstaatliche Politik wurde vor diesem Hintergrund per Definition als Ausprägung politischer Steuerung in kapitalistischen Systemen angesehen und einschlägige Politiken im Realsozialismus waren so in der Regel nicht Gegenstand der westlichen Wohlfahrtsstaatenforschung (z.B. Kaufmann 2000: 302f.). Zweitens konzentrierten sich einschlägige Untersuchungen (insbesondere in der vergleichenden Sozialstaatenforschung) lange Zeit auf die wirtschaftlich hoch entwickelten Länder (häufig die Mitgliedsstaaten der OECD; vgl. z.B. Siegel 2006: 306). Daneben rückten aber zuletzt auch die Sozialsysteme der postkommunistischen Länder Mittel- und Osteuropas zunehmend in den Fokus der international vergleichenden Sozialpolitikforschung. Diese Untersuchungen sind zumeist als qualitative Fallstudien angelegt: Makroquantitativ vergleichende Untersuchungen, wie sie für die westlichen Länder inzwischen in großer Zahl existieren, wurden für die osteuropäischen Länder bisher kaum vorgestellt. Zugleich beschäftigt sich die überwiegende Mehrzahl einschlägiger Analysen mit jenen Ländern, die zuletzt neu der Europäischen Union beigetreten sind (diese und die Westbalkan-Länder werden in diesem Beitrag in Folge mit dem Begriff OME-Länder bzw. Ostmitteleuropäische Länder umschrieben). Seltener werden in einschlägigen Untersuchungen auch die Nachfolgestaaten der Sowjetunion (in Folge: Former Soviet Union; FSU) berücksichtigt. Der vorliegende Beitrag skizziert einerseits Ausprägungsformen und Befunde zu den Entwicklungsbedingungen westlicher wohlfahrtsstaatlicher Systeme. Diese erlebten ihr 'golden age' - in anderen Worten ihren umfassenden Ausbau - in den unmittelbaren Nachkriegsjahrzehnten und gerieten in den letzten beiden Dekaden vor dem Hintergrund veränderter sozioökonomischer und politisch-institutioneller Rahmenbedingungen verstärkt unter Druck. Abschnitt 2 des gegenständlichen Beitrages beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit den zentralen strukturierenden Faktoren dieser Entwicklungen sowie rezenten Befunden zu aktuellen Veränderungen in der Sozialpolitik hoch entwickelter westlicher Wohlfahrtsstaaten. Dem folgt in Abschnitt 3 eine Analyse über die Sozialpolitiken in den postkommunistischen OME-Ländern und die diese strukturierenden Entwicklungsbedingungen. Dabei zeigt sich erstens, dass die Reformgeschwindigkeit in den OME-Staaten über jener in den westlichen Ländern lag. Zweitens kann die Entwicklung in den OME-Ländern nicht einfach als Modernisierung nach westlichem Vorbild verstanden werden: Die aktuellen Sozialsysteme in diesen Ländern bauen auf der eigenen historischen Vergangenheit auf und beinhalten Elemente aus der kommunistischen wie auch der vorkommunistischen Geschichte. Drittens deuten die Ergebnisse in die Richtung, dass veränderten sozioökonomischen Rahmenbedingungen und internationalen Organisationen für die jüngste Entwicklung der Sozialpolitik in den OME-Ländern ein höherer Erklärungsgehalt zufällt als in den westlichen Ländern (wo die jeweilige Regierungskonstellation und die Machtressourcen der Arbeitnehmerinnenorganisationen von größerer Bedeutung sind). Vor dem Hintergrund dieser strukturierenden Bedingungen liegt der sozialpolitische Ausbaugrad in den OME-Ländern heute beträchtlich unter jenem in den westlichen Wohlfahrtsstaaten. Der Beitrag schließt mit einem Fazit und wahrscheinlichen Entwicklungslinien." (Textauszug)

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