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Arten ethischer Erkenntnis: Plädoyer für Respekt vor der Moral
Moral ist keine Geschmacksache. So wie in den Naturwissenschaften können wir auch in der Ethik echtes Wissen erreichen; hier wie da hat der Relativismus nicht das letzte Wort. Mit dieser These verteidigt Olaf L. Müller die Respektatibilität unserer moralischen Erkenntnisbemühungen. Im Teil I vergleicht er die Erkenntnisquellen für Naturwissenschaft und Ethik; auf beiden Gebieten gibt es Wissen aus Beobachtung. So, wie wir durch Blick auf die Welt unsere Meinungen über sichtbare Hasen rechtfertigen können, so können wir ebenfalls durch Blick auf die Welt unsere Meinungen über sichtbares Unrecht rechtfertigen. Wer einen Hasen sehen will, braucht dafür offene Augen und Beobachtungstraining, er braucht kein eigenes Hasen-Sinnesorgan. Und wer sichtbares Unrecht sehen will, braucht abermals offene Augen und Beobachtungstraining, er braucht wieder keinen eigenen Sensor für Unrecht. Nicht alle naturwissenschaftlichen Sätze lassen sich durch Beobachtung rechtfertigen; genauso in der Moral. Daher müssen für beide Bereiche zusätzliche Erkenntnisquellen postuliert werden, und sie funktionieren beidemal gleich. Im Teil II nimmt der Autor die Unterschiede zwischen Naturwissenschaft und Ethik in den Blick. Ethische Sätze sind inniger mit unserm Tun verknüpft als naturwissenschaftliche Sätze. Aber auch diese Besonderheit der Moral hat ihren guten Platz im sparsam naturalistischen Rahmen, in dem sich die gesamte Untersuchung bewegt. Der Autor führt vor, wie sich moralische Meinungsverschiedenheiten und Unterschiede der Moralsprache auseinanderdividieren lassen, und zwar selbst unter den schwierigen Bedingungen der radikalen ÜberSetzung à la Quine. Das Bild, das Olaf L. Müller vom moralischen Diskurs zeichnet, lässt Platz für moralischen Dissens zwischen den Kulturen; so viel Dissens kommt in der Naturwissenschaft nicht vor. Dass so ein Dissens unsere Hoffnungen auf moralisches Wissen nicht zerstören muss, sondern fördern kann, ist eine der Pointen dieses optimistischen Buchs
Krieg hilft nicht gegen den Islamischen Staat: Der Westen muss aus der Region abziehen
In: Sicherheit und Frieden: S + F = Security and peace, Band 33, Heft 1, S. 50-51
Der erkenntnistheoretische Pazifismus: Programmschrift für ein philosophisches Plädoyer gegen unsere Kriege
In: Sicherheit und Frieden: S + F = Security and Peace, Band 31, Heft 3, S. 126-132
ISSN: 0175-274X
I wish to propose a new doctrine called epistemological pacifism. According to the doctrine, our objective knowledge concerning hard facts about a given war and its context is far too poor to justify entering that war. Our best and most informative accounts of any pre-war situation are value-laden; the same is true of counterfactual claims about any event during, or after, war. Here we have three new types of what has been discussed under the label of fact/value entanglement. Realizing this helps us understand why pacifists and their opponents never agree about so-called facts. Both parties bring to bear different values in their descriptions. Although this is legitimate for both sides, the values of the pacifist are more attractive than those of the bellicist. The recent war in Mali is a case in point, as I'll sketch at the end of the paper. (S+F/Pll)
World Affairs Online
Der erkenntnistheoretische Pazifismus: Programmschrift für ein philosophisches Plädoyer gegen unsere Kriege
In: Sicherheit & Frieden, Band 31, Heft 3, S. 126-132
Chronik eines angekündigten Ausstiegs
Falls der Euro unkontrolliert auseinanderbricht, droht Chaos. Daher lohnt es sich zu fragen: Wie ließe sich ein kontrolliertes Ende des Euro organisieren? Auf diese Frage geben zwei Denkschulen entgegengesetzte Antworten. Die Schule der Geheimniskrämer will das Ende des Euro bei Nacht und Nebel organisieren, plötzlich und ohne Vorwarnung. Bankfeiertage und geschlossene Grenzen mit Kapitalkontrollen sind fester Teil solcher Pläne. Alles das ist weder ökonomisch attraktiv noch gerecht; und es verträgt sich nicht gut mit den Grundzügen einer offenen Demokratie. Daher schlagen die Gegner der Geheimniskrämer einen lang angekündigten Ausstieg vor. In ihrem Vorschlag werden alle Euros gleich behandelt. Zu einem öffentlich festgesetzten Zeitpunkt verwandelt sich jeder Euro in einen gewichteten Mix aus seinen Nachfolgewährungen. Der Vorschlag ist einfach, und er ist schon deshalb gerecht, weil er das widerspiegelt, was die Besitzer von Euros in ihren Taschen zu haben glauben: eine Mischung aus Währungen verschiedener Länder. ; Not Reviewed
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Eine faire Lösung des Klimaproblems
Zwar wissen wir nicht objektiv und wertfrei, wieviel CO2 wir der Atmosphäre noch aufbürden dürfen, bevor es zur Katastrophe kommt. Doch für behutsame, vorsorgliche Leute steht fest, dass das Klimaproblem die Menschheit bedroht. (In dieser Aussage vermengen sich unentwirrbar deskriptive und evaluative Komponenten – was uns im Lichte der neueren Metaethik nicht zu wundern braucht). Wie müsste eine faire Lösung des Klimaproblems aussehen? Wie sollten wir Pflichten und finanzielle Lasten der nötigen CO2-Reduktionen verteilen, wenn es dabei gerecht zugehen soll? In meiner Antwort auf diese ethischen Fragen stütze ich mich auf einen Grundsatz, den Angela Merkel formuliert hat: Jeder Mensch hat das Recht, genauso viel CO2-Emissionen zu verursachen wie jeder andere. In einem ersten Schritt soll die Steigerung der weltweiten CO2-Emissionen angehalten werden. Um das auf gerechte Weise zu bewerkstelligen, werden in feiner Stückelung Rechte zum CO2-Ausstoß (die sog. Mikro-Zertifikate) ausgegeben, und zwar zunächst für genau so viel CO2, wie die Menschheit zur Zeit insgesamt pro Jahr in die Luft bläst. Wer CO2 emittieren will, gleichgültig wo, wie und wozu, darf das nur gegen Entwertung einer entsprechenden Anzahl an Mikro-Zertifikaten, sonst macht er sich strafbar. Die Mikro-Zertifikate werden auf einer weltweiten Börse gehandelt; ihr Preis ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Das Geld, das durch die Versteigerung der Mikro-Zertifikate zusammenkommt, wird in regelmäßigen Abständen und ohne Abzüge an jeden einzelnen Menschen ausgezahlt. Das ist einfach, fair und transparent. In einem zweiten Schritt sind die weltweiten CO2-Emissionen drastisch zu verringern, und zwar sieben Jahre lang um jeweils 10%. ; Perhaps we do not know objectively how much CO2 we can still blow up into the atmosphere without producing catastrophe. If you are a cautious person, however, you will agree that the human race is threatened by climatic change. (In this claim, descriptive and evaluative components are entangled – which shouldn't be surprising in light of recent metaethics). What would be a fair solution to the problem of climate change? My answer to these ethical questions is based on a principle formulated by Angela Merkel: Every person has the right to cause the same amount of CO2 emissions as anyone else. In a first step, the increase in worldwide CO2 emissions should be halted. To achieve this in a just way, the rights allowing CO2 emissions are issued in small portions (the so-called micro-certificates). The amount of CO2 that may be emitted according to these certificates will equal the amount currently emitted per year. Whoever wishes to emit CO2, regardless of where, when and for what, may do so only after cancelling a corresponding number of micro-certificates, otherwise he or she is subject to criminal prosecution. The micro-certificates are traded on a stock exchange; their price is determined by supply and demand. The money collected in the auctions of micro-certificates must be disbursed to every single person – at regular intervals, and without deductions. This is easy, fair, and transparent. In a second step, the worldwide CO2 emissions have to be reduced drastically: After a respite of seven years (in which producers and consumers can prepare for the required adjustments) the seven years of drought in CO2 politics begin: Every year the micro-certificates issued are cut by 10 percent. ; Not Reviewed
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Hasserfüllte Pazifisten
Wenn ausgerechnet Pazifisten bei der Verfechtung ihrer Position aggressiv werden, so finden wir das besonders verstörend – jedenfalls verstörender als bei anderen Spannungen zwischen Theorie und Praxis. Woran liegt das? Meiner Ansicht nach kommen in diesem Fall drei Elemente zusammen, deren Mischung die pazifistische Position von innen bedroht: Während sich der hasserfüllte Pazifist schon beim Diskutieren schnell von negativen Emotionen fortreißen lässt, also alles andere als Willensstärke dokumentiert, verlangt er in seiner Theorie ein Höchstmaß an Willensstärke, und zwar gerade im Umgang mit Emotionen. Dass er das nicht schafft, wirft nicht nur ein negatives Licht auf seine Person, sondern liefert Gründe gegen seine Theorie. Lektion: Der Pazifist ist gut beraten, vorbildlich mit seinen Emotionen umzugehen. ; Sometimes pacifists get full of hatred when arguing for their moral position. This is particularly disturbing–or anyway, more disturbing than in other cases where there occurs a tension between theory and practice. Why is that so? According to my diagnosis, in the case of hateful pacifists there are three elements which (when taken together) threaten pacifism from inside: (i) Hateful pacifists are carried away by negative emotions. (ii) This shows that they lack self-control in political practice, i.e. in contexts which are far easier than war. (iii) In theory, however, they demand that conflicting parties be able to exert a lot of self-control, particularly with respect to aggressive emotions. – As long as they themselves are not capable of doing this, they are not only ruining their nice image; they are also providing strong reasons against their moral theory. Lesson: In political discussions, pacifists are well advised to control their negative emotions. ; Not Reviewed
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Mikro-Zertifikate
Wie müsste eine faire Lösung des Klimaproblems aussehen? Wie sollten wir Pflichten und finanzielle Lasten der nötigen CO2-Reduktionen verteilen, wenn es dabei gerecht zugehen soll und keiner übervorteilt werden darf? In meiner Antwort auf diese ethischen Fragen stütze ich mich auf einen Grundsatz, den Angela Merkel formuliert hat: Jeder Mensch hat das Recht, genauso viel CO2-Emissionen zu verursachen wie jeder andere. Anders als die Bundeskanzlerin, die den Grundsatz nur langfristig in die Tat umsetzen will, plädiere ich dafür, dass die Gleichberechtigung aller in Sachen CO2-Ausstoß schon unter dem Nachfolge-Regime des Kyoto-Vertrags gelten soll. In einem ersten Schritt soll die Steigerung der weltweiten CO2-Emissionen angehalten werden. Um das auf gerechte Weise zu bewerkstelligen, werden in feiner Stückelung Rechte zum CO2-Ausstoß (die sog. Mikro-Zertifikate) ausgegeben, und zwar zunächst für genau so viel CO2, wie die Menschheit zur Zeit insgesamt pro Jahr in die Luft bläst. Wer CO2 emittieren will, gleichgültig wo, wie und wozu, darf das nur gegen Entwertung einer entsprechenden Anzahl an Mikro-Zertifikaten, sonst macht er sich strafbar. Die Mikro-Zertifikate werden auf einer weltweiten Börse gehandelt; ihr Preis ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Mein Vorschlag unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht von den Versteigerungen der CO2-Zertifikate, wie sie bislang konzipiert und organisiert worden sind. Einerseits sollen am Ende alle Emissionen klimaschädlicher Gase in den Handel mit Mikro-Zertifikaten einbezogen werden. Andererseits wird das Geld, das durch die Versteigerung der Mikro-Zertifikate zusammenkommt, in regelmäßigen Abständen und ohne Abzüge an jeden einzelnen Menschen ausgezahlt. Das ist einfach, fair und transparent. In einem zweiten Schritt sind die weltweiten CO2-Emissionen drastisch zu verringern, und zwar sieben Jahre lang um jeweils 10%. ; What would be a fair solution to the problem of climate change? How should we distribute duties and financial burdens of the necessary CO2 reductions if this is to be done in an equitable manner? My answer to these ethical questions is based on a principle formulated by Angela Merkel: Every person has the right to cause the same amount of CO2 emissions as anyone else. Unlike the German chancellor, who wants to implement this principle only in the long term, I argue that climatic justice must be fully implemented already now, i.e., under the regime to succeed the Kyoto Protocol. First, the increase in worldwide CO2 emissions should be halted. To achieve this in a just way, the rights allowing CO2 emissions are issued in small portions (the so-called micro-certificates). The amount of CO2 that may be emitted according to these certificates will equal the amount currently emitted per year. Whoever wishes to emit CO2, regardless of where, when and for what, may do so only after cancelling a corresponding number of micro-certificates, otherwise he or she is subject to criminal prosecution. The micro-certificates are traded on a stock exchange; their price is determined by supply and demand. My proposal differs in two aspects from the auctions of CO2 certificates that have been conceived and organised so far. On the one hand, all emissions of hothouse gases should ultimately be included in the trading of micro-certificates. On the other hand, the money collected in the auctions of micro-certificates will be disbursed to every single person – at regular intervals, and without deductions. This is easy, fair, and transparent. In a second step, the worldwide CO2 emissions have to be reduced drastically: After a respite of seven years (in which producers and consumers can prepare for the required adjustments) the seven years of drought in CO2 politics begin: Every year the micro-certificates issued are cut by 10 percent. ; Peer Reviewed
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Mikro-Zertifikate: Für Gerechtigkeit unter Luftverschmutzern
In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie: ARSP = Archives for philosophy of law and social philosophy = Archives de philosophie du droit et de philosophie sociale = Archivo de filosofía jurídica y social, Band 95, Heft 2, S. 167-198
ISSN: 2363-5614
Pazifismus mit offenen Augen
Pazifisten und deren Gegner streiten sich meist nicht bloß über moralische, sondern auch über faktisch-deskriptive Fragen. Zum Beispiel sind beide Seiten bei der Kosovo-Krise (1998/9) zu völlig entgegengesetzten Beschreibungen gekommen. Laut meiner Rekonstruktion des Pazifismus ist das keine Überraschung, weil der Pazifist die Fakten legitimerweise im Lichte seines Systems von Werten betrachtet. Seine Gegnerin betrachtet die Fakten im Lichte eines alternativen Wertsystems, und der Streit zwischen den beiden Parteien, der sich angeblich auf wertfrei deskriptivem Boden bewegt, hört nie auf, weil es keine objektiven Tatsachen aus dem betreffenden Krieg gibt, die den Streit für die eine oder andere Seite eindeutig entscheiden könnten. Die wertbeladene Weltsicht des Pazifisten lässt sich als eine Befolgung dreier epistemischer Imperative verstehen: (1) Imperativ zur Natur des Menschen: "Wehre Dich gegen Dämonisierungen der Gegenseite; versuche immer, den Fall aus der Sicht der Gegenseite zu verstehen". (2) Imperativ zugunsten friedfertiger Alternativen: "Suche immer nach friedfertigen Alternativen zum geplanten Militäreinsatz". (3) Imperativ bezüglich unkontrollierbarer Eskalation: "Schärfe deinen Blick für unkontrollierbare, irreversible Nebenfolgen des militärischen Einsatzes, und achte besonders auf die Gefahr, dass ein weiterer Weltkrieg ausbrechen könnte". Nicht die objektive Realität entscheidet darüber, wie weit man bei der Befolgung dieser Imperative gehen sollte. Die epistemischen Imperative des Pazifisten können mit Kants regulativen Prinzipien verglichen werden, die laut Kant notwendig sind, um unseren naturwissenschaftlichen Untersuchungen eine Orientierung zu geben. Und wenn sich also die Erkenntnismethode des Pazifisten in entscheidender Hinsicht nicht von der naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode unterscheidet, dann verdienen die Pazifisten einen Vorwurf ganz sicher nicht: den Vorwurf, auf irrationale Weise blind zu sein für die harten Wirklichkeiten. ; Pacifists and their opponents disagree not only about moral questions, but most often about factual questions as well. For example, they came to divergent descriptions of the crisis in Kosovo. According to my reconstruction of pacifism, this is not a surprise because the pacifist, legitimately, looks at the facts in the light of her system of value. Her opponent, in turn, looks at the facts in the light of alternative systems of value, and the quarrel between the two parties about supposedly descriptive matters does not come to an end as there is no objective reality about the war in question that could settle the issue. If I am right, the pacifist's value-laden way of looking at reality can be reconstructed as an obedience to three epistemic imperatives. First, the Epistemic Imperative concerning Human Nature ("Resist against demonizing the other side; always try to understand the case from their point of view"). Second, the Epistemic Imperative concerning Non-Violent Alternatives ("Always search for non-violent alternatives to projected military action"). Third, the Epistemic Imperative concerning Uncontrolled Escalation ("Sharpen your attention for uncontrolled, irreversible side effects of military action, particularly for the danger of escalation to another world war"). Objective reality does not decide how far one should go in following these imperatives. Rather, the decision about this is our's—similarly as in case of the scientist who decides to search for common deep structure behind the chaos of the manifold. So the pacifist's epistemic imperatives can be compared to Kant's regulative principles that are necessary for guiding the scientific scrutiny of reality. ; Not Reviewed
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Pazifismus mit offenen Augen
In: Der gerechte Friede zwischen Pazifismus und gerechtem Krieg: Paradigmen der Friedensethik im Diskurs, S. 23-59
Ein geläufiger Vorwurf an die Adresse von PazifistInnen lautet, sie seien blind für die Realitäten dieser Welt. Der Autor greift diesen Einwand auf und versucht zu zeigen, dass eine nicht-rigoristische, hier als Einzelfallpazifismus bezeichnete Form des Pazifismus keineswegs blind für die Fakten ist. Als exemplarischer Fall wird die militärische Intervention der NATO im Kosovo in den 1990er Jahren herangezogen.Was den Einzelfallpazifisten von seinen Gegnern unterscheidet, ist der Umstand, dass er die Fakten anders deutet als jene, nämlich im Lichte eines bestimmten Systems von Werten. Genau dies tun aber auch seine Gegner. Der Streit zwischen den beiden Parteien, der sich angeblich auf wertfrei-deskriptivem Boden bewegt, kommt eben deshalb zu keinem Ende, weil es keine objektiven Tatsachen gibt, die den Streit eindeutig zugunsten der einen oder der andern Seite entscheiden könnte. Ferner lässt sich die wertbeladene Weltsicht des Pazifisten als eine Befolgung dreier epistemischer Imperative rekonstruieren, die ihrerseits mit jenen regulativen Prinzipien verglichen werden können, die gemäß I. Kant notwendig sind, um den naturwissenschaftlichen Untersuchungen eine Orientierung zu geben. Da sich die Erkenntnismethode des Pazifisten demnach in entscheidender Hinsicht nicht von der naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode unterscheidet, wäre es unredlich, Pazifisten vorzuwerfen, sie seien auf irrationale Weise blind für die harten Wirklichkeiten. Selbst wer den Pazifismus ablehnt, sollte ihm daher nicht den intellektuellen Respekt verweigern. Mehr noch: Dass der Pazifismus darüber hinaus eine attraktive Position darstellt, versucht der Autor abschließend anhand einer Skizze der mit der Haltung des Pazifisten verbundenen intellektuellen und emotionalen Tugenden zu zeigen. (ICG2)
Chaos, Krieg und Kontrafakten: ein erkenntnistheoretischer Versuch gegen die humanitären Kriege
In: Pazifismus: Ideengeschichte, Theorie und Praxis, S. 223-263
Vor dem Hintergrund einer Analyse der Ereignisse rund um den Kosovo-Krieg 1999 liefert der Beitrag eine auf erkenntnistheoretischen und sprachphilosophischen Überlegungen aufbauende Begründung für einen Pazifismus, der die Legitimität Humanitärer Interventionen zurückweist. Im Zentrum der Argumentation steht die These, dass Urteile über die Frage, ob zu einem gegebenen Zeitpunkt kriegerisch zu intervenieren ist, nie allein auf Faktenaussagen beruhen, sondern stets auf kontrafaktischen Konditionalsätzen aufbauen. Solche kontrafaktischen Sätze, die hier eingehend dargestellt und untersucht werden, zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass sie den Menschen nicht ohne zusätzliche Faktoren - etwa narrative Intelligenz, Menschenkenntnis oder Einfühlungsvermögen - zu Urteilen führen. Insbesondere werden in Urteilen, die auf kontrafaktischen Sätzen aufbauen, stets auch Werthaltungen einfließen. Damit kann gezeigt werden, dass der Pazifist dem Kriegsbefürworter nicht schon deswegen unterlegen ist, weil er Werthaltungen in die Annahmen, die ihn zu seiner Position führen, einbringt. Vielmehr tut dies der Kriegsbefürworter genauso. Während der Kriegsbefürworter mit seiner Entscheidung zum Krieg jedoch vorgibt zu wissen, dass das Ende der Möglichkeiten gewaltloser Konfliktlösungsoptionen erreicht ist, macht es sich der Pazifist zur Pflicht, nicht nur die Kontrafakten, die den Kriegsbefürworter zu seiner Position bringen, abzulehnen, sondern nach Alternativen zu suchen, die das kontrafaktische Konditional, das seine Position stützt, plausibler machen. (ICG2)
Chaos, Krieg und Kontrafakten
Wer humanitäre Kriege moralisch beurteilen will, muss sich in einem chaotischen Meer der Möglichkeiten auskennen; er muss (z.B. in der Rückschau) wissen, was geschehen wäre, hätten sich die Akteure anders entschieden. Solche Fragen betreffen keine Fakten, sondern Kontrafakten; mit kühlem Realitätssinn alleine ist diesen Fragen nicht beizukommen. Im Herzstück dieses Aufsatzes steht eine erkenntnistheoretische Analyse kontrafaktischer Sätze. Wenn ich recht liege, müssen wir uns bei der Beurteilung solcher Sätze nicht nur an die harten Fakten halten; zusätzlich brauchen wir weichere Beurteilungskriterien wie Einfühlungsvermögen, narrative Intelligenz, Phantasie – und Werthaltungen. Dass eine bestimmte Form von Pazifismus im Lichte dieser erkenntnistheoretischen These an Plausibilität gewinnt, versuche ich in den Schlussabschnitten anhand des Kosovo-Kriegs plausibel zu machen. ; If you want to evaluate morally a given humanitarian intervention, you must know your way through an ocean of chaotic possibilities; you must know (say, ex post) what would have happened if the protagonists had chosen some different course of action. Such questions do not concern hard facts – they concern counterfacts, which are softer. With cool descriptive realism alone you won't be able to decide about the counterfactuals in question. Thus, I propose an epistemological analysis of the relevant counterfactual conditionals. If I am right, we cannot appeal to hard facts alone in order to form reasonable judgments concerning such conditionals; softer criteria of judgments are needed such as sensitivity, narrative intelligence, fantasy – and values. At the end of the paper, I demonstrate that our analysis of counterfactuals speaks in favour of well-understood pacifism. It will be shown, for example, that the pacifists were right when they argued against NATO's intervention in Kosovo. ; Not Reviewed
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Benign Blackmail
In ihrer Reaktion auf die Terroranschläge vom 11.9.2001 hat die US-Regierung den afghanischen Taliban mit Krieg gedroht, um die Auslieferung des Terroristen Bin Laden zu erzwingen; die Taliban erklärten, sie wollten sich nicht erpressen lassen – und so wurden sie mit militärischen Mitteln aus Kabul vertrieben. In den konkurrierenden Darstellungen dieser Geschichte kommen an entscheidender Stelle die Begriffe "Erpressung" und "Terrorist" vor. Offenbar gewinnt diejenige Seite den Kampf um die öffentliche Meinung, die bestimmen kann, wie die beiden Begriffe zu benutzen sind. Wir sollten uns daher über ihre Bedeutung und über die ethischen Implikationen ihrer angemessenen Verwendung Gedanken machen. Um an die Grenzen dieser Begrifflichkeit vorzustossen, möchte ich ein extremes Gedankenexperiment durchspielen: Kassandras Plan. Kassandra fürchtet sich davor, dass sich eine der Atommächte die Freiheit herausnehmen könnte, nukleare Bomben einzusetzen. Aus Angst gründet Kassandra eine NGO zur fürsorglichen Erpressung der Staatsmänner, die über Atomwaffen verfügen, und kündigt öffentlich an, alle Minister und alle Chefs aller Regierungen ermorden zu lassen, deren Soldaten auch nur eine einzige Atombombe abwerfen. (Zur Erhöhung der Wirksamkeit ihrer Drohung hält Kassandras NGO schon im voraus Killer-Kommandos unter Waffen; die Mittel dafür kommen aus privaten Spenden). Ich werde in meinem Vortrag zwei Fragen aufwerfen (ohne zu beanspruchen, sie beantworten zu können). Erstens: Wäre Kassandras NGO eine Terror-Organisation? Zweitens: Wäre Kassandras fürsorgliche Erpressung der Regierungsmitglieder von Atommächten moralisch falsch? ; In its reaction on the terroristic attacks of September 9th, 2001, the US-government threatened Afghanistan's Taleban with war in order to force them to extradite terrorist leader Bin Laden; the Taleban said that they would not surrender to this kind of blackmail – and so, they were removed from Kabul by means of military force. The rivalling versions of this story depend crucially on notions such as "terrorism" and "blackmail". Obviously you'll gain public support for your preferrend version of the story if you are able to determine how those notions are to be used. So we had better reflect about their very meaning and about the moral implications of their proper usage. To gain a deeper understanding of our notions of "blackmail" and "terrorism" I shall propose an extreme thought experiment: Cassandra's plan. Cassandra foresees that sooner or later one of the nuclear powers might take the liberty to use atomic bombs. From fright she founds an NGO for blackmailing the statesmen who are in charge of nuclear weapons; she announces in public that all ministers and leaders of any government shall be hunted down, and executed, whose soldiers drop but one atomic bomb. (Cassandra's NGO keeps killer teams in constant training so as to increase the effect of the threat; this is being financiated from private donations). In my paper I shall raise two questions (without claiming to provide definite answers). First, would we have to say that Cassandra's NGO was a terrorist organisation? Second, would it be morally wrong if Cassandra blackmailed statesmen in the way indicated? ; Not Reviewed
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