Die Verbindung von Kritischer Theorie und Systemtheorie ist ein zentrales Thema aktueller sozialwissenschaftlicher Kontroversen. Die Anwendungsgebiete sind mittlerweile vielfältig: Soziologie, Organisationsforschung, Philosophie und Rechtswissenschaften sind nur einige der Disziplinen, in denen an einer Kritischen Systemtheorie gearbeitet wird. Der Band gibt einen Überblick über die Diskussionslandschaft und fragt: Muss Gesellschaftskritik heute mit oder gegen das System geübt werden?
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Die Systemtheorie kann nach unseren bisherigen Erkenntnissen aIs analytisches Schema auf prinzipiell beliebige Objekte angewandt werden. In der Allgemeinen Systemtheorie war nicht nur eine "wissenschaftsimmanente" Umsetzung in bestimmte Forschungsprojekte, sondem auch eine unmittelbar technisch-praktische Verwendung des Systemgedankens vorgesehen. Für unseren Zusammenhang sind jedoch in erster Linie die Anwendungsmöglichkeiten in der politikwissenschaftlichen Forschung und politischen Praxis von Interesse. Im Hinblick auf den referierten Entwicklungsstand der Theoriebildung sollte man sich davor hüten, die Erwartungen in dieser Hinsicht zu hoch zu schrauben. Soweit die Systemtheorien bislang in die Forschungspraxis Eingang fanden, erfüllten sie in einer Linie heuristische und klassifikatorische Funktionen.
In der Politikwissenschaft hat sich das Systemdenken in den 1960er Jahren durchgesetzt durch Politologen wie Karl W. Deutsch und David Easton. Um als Steuerungsinstanz für die Gesellschaft fungieren zu können, brauche die Politik Informationen in Form von Forderungen und Unterstützung aus der Gesellschaft (Inputs). Diese würden in kollektiv bindende Entscheidungen und Maßnahmen (Outputs) umgewandelt, die wiederum auf die Gesellschaft einwirkten (feedback). Der vorliegende Beitrag rekapituliert die Rezeptionsgeschichte der Systemtheorie durch die Politikwissenschaft. Zunächst wird das allgemeine Modell des politischen Systems skizziert. Dann folgen zwei Abschnitte, in denen stärker auf die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansätzen eingegangen wird. Dabei geht es zuerst um die Systemmodelle in der amerikanischen Politikwissenschaft in den 1950er und 1960er Jahren. Es folgt ein Abschnitt über die neueren deutschen Ansätze von Jürgen Habermas und Niklas Luhmann. Der Schlussabschnitt liefert eine kurze Gesamtschau und eine Einordnung der Systemtheorie in den Kontext der Politikwissenschaft. Der Autor resümiert seine Ausführungen: Die Systemtheorie liefert heute einen systematischen Rahmen für die Einordnung von Phänomenen in den größeren Gesamtzusammenhang von Politik und Gesellschaft. Sie bildet eher einen theoretischen Hintergrund, als dass man aus ihr direkt Hypothesen für empirische Anwendungsforschung ziehen könnte. Als solcher bildet die Systemtheorie immer noch den komplexesten und umfangreichsten theoretischen Zugang zur Politik und deren Rolle in der Gesellschaft. (ICA2)
Bei wachsender Umweltkomplexität sind viele Unternehmen und Behörden zur praktischen Steuerung technischer und sozialer Systeme immer stärker auf räumliche Synchronmodelle angewiesen. Diese ersetzen die früher bevorzugten Diachron-Modelle, in denen hauptsächlich Kausalität rekonstruiert wurde. Demgegenüber simulieren Internet, GIS, Google Earth und andere neue Techniken Gleichzeitigkeit, wobei Nutzung und Einsatzmöglichkeiten nicht mehr kausal, sondern funktional erschließbar sind. Genau dafür liefert die Systemtheorie neue Methoden. Der Beitrag nähert sich dem Einfluss der Systemtheorie in der Geografie auf unterschiedliche Weise: Zunächst wird die Mediengeografie nach Döring und Thielmann als Ansatz vorgestellt, der auch soziologische Theoriebildung integriert. Danach stellt der Autor seine eigene Konzeption vor, die unter dem Titel "Raum als Element sozialer Kommunikation" eine geografische Umsetzung der Systemtheorie Luhmanns darstellt. Im Anschluss daran geht es um ungewohnte Axiome, mit denen Luhmann seinerzeit die Raumwissenschaft konfrontiert hat, und es wird das Verhältnis von System, Umwelt, Umgebung und Raum noch einmal beleuchtet. Mit dem Administrativraum und dem Grundstück werden schließlich zwei Abstraktionstypen näher untersucht, bevor abschließend auf die Konsequenzen eingegangen wird, die sich für einen systemtheoretischen Ansatz in den Raumwissenschaften ergeben. (ICB2)
Der Beitrag gibt einen Überblick über das Spektrum systemtheoretischer Ansätze in der Medien- und Kommunikationswissenschaft, wobei das Hauptaugenmerk der autopoietischen Systemtheorie N. Luhmanns und deren Anwendung im vorrangig modelltheoretischen Sinne liegt. Die Textstruktur folgt der vorgegebenen Gliederung für die einzelnen Lehrbucheinträge. 1. kurze Geschichte der jeweiligen Theorie-Traditionen. Beschrieben wird die Entwicklung von der allgemeinen Systemtheorie (L. v. Bertalanffy) über die Kybernetik als Lehre von der Steuerung von Systemen (N. Wiener) und die formallogische Präzisierung (G. Spencer Brown) bis zur Lehre von den sozialen Systemen (N. Luhmann) und deren Paradigmenwechsel hin zur Autopoiesis. 2. Grundbegriffe, Konzepte und Modelle (Grundbegriffe der Systemtheorie, Systemtypen, autopoietische versus allopoietische Systeme, segmentäre, stratifikatorische und funktionale Differenzierung, Funktionssysteme der Gesellschaft, Kommunikationsmedien, Sinngrenzen sozialer Systeme). 3. Anwendung in der Medienwissenschaft, geteilt in a) theoretische Anwendungen (Publizistik als autopoietisches System, Journalismus als soziales System, Massenmedien als soziales Funktionssystem) und b) empirische Anwendungen (Selbst- und Fremdsteuerung des Journalismus, Unterhaltung, das World Wide Web als System, Werbung und PR als Systeme, Intermediales Agenda Setting). 4. Kritik und Weiterentwicklung der Theorien. Als Haupteinwand gilt, die Systemtheorie sei eine affirmative, konservative Theorie, die gesellschaftliche Umwälzungen "theoriebautechnisch" nicht vorsehe. Als wahrscheinlich zukunftsträchtigste Theorie-Optionen gelten die "Akteur-im-System"-Ansätze, die versuchen im Sinne eines Mehrebenen-Modells Akteurs- und Systemtheorie (konkret bezogen auf den Journalismus) zu integrieren. (RG)
"1962, also vor mehr als dreißig Jahren, erschienen mit Ludwig von Bertalanffys 'General System Theory: A Critical Review' und Niklas Luhmanns 'Funktion und Kausalität' (im Falle Lumanns noch an den Funktionalismus angelehnt) Meilensteine systemtheoretischer Diskussion, die einen starken Einfluß auf Nachbardisziplinen ausübten. Die Entwicklung der Systemtheorie bis heute verlief auf einem qualitativ sehr hohen Niveau; sie ließ denjenigen, der sich in die Materie einarbeiten wollte, weit hinter sich, umso mehr als sich verschiedene Denkschulen etablierten. Dieser Beitrag versucht deshalb, den Leser in die Systemtheorie einzuführen. Systemtheorie läßt sich in ihren Ursprüngen sowohl auf Natur- als auch auf Sozialwissenschaftler wie von Bertalanffy, Luhmann, Parsons, Shannon und Wiener zurückführen. Die frühere, eher statisch ausgerichtete Konzeption von geschlossenen Systemen, die negatives Feedback betonte, wurde später zugunsten einer Orientierung dynamischer, offener Systeme aufgegeben, die positives Feedback einschließt. Die Diskussion der letzten Jahre wird insbesondere von Haken, Maturana, Prigogine und Varela bestimmt." (Autorenreferat)
Luhmann versucht einen Handlungsbegriff zu konstruieren, der es ihm ermöglicht, einen in Rahmen seiner Systemtheorie verwendbaren Politikbegriff auszubilden. Handlungstheorie und Systemtheorie als Alternativen gegenüberzustellen ist, im Hinblick auf die Erkenntnisse Durkheims, Max Webers und vor allem Talcott Parsons nicht mehr möglich. Forschungsrelevant ist vielmehr, in Anknüpfung an Parsons Emergenz- Konzept, den Konstitutionszusammenhang von Handlung und System in die Theorie einzubeziehen. Auf Parsons Erkenntnisse aufbauend wird gefragt, wie durch Relationierung von Elementen Ordnungsniveaus entstehen, wenn diese Elemente nicht vorgegeben sind, sondern im Prozess der Emergenz erst konstituiert werden. Der Komplexitätsbegriff ermöglicht den Zugang zu dem Problem, wie Systeme Handlungen konstituieren. Deutlicher als bei Parsons wird der Handlungsbegriff aus der Verzeitlichung abgeleitet. Der intendierte Handlungsbegriff sieht Handlung: als ein Element der Relationierung in einer konkret temporalisierten Konstellation, die als Ereignis bewußt wird; als ein Element der Zeitbindung und als ein Element, das durch Zurechnung idendifiziert wird. Die Zurechnung ermöglicht dem System Varianz zu konstituieren und selbsttätig zu reduzieren. Soziale Systeme, die die Fähigkeit zu eigenem Handeln aufbringen wollen, müssen beides leisten: Varianzreduktion und Relationierung ihres Resultats als Handlung. Das erfordert Organisation nicht nur von selektiven Simplifikationen, sondern auch von Bindungswirkungen im System trotz selektiver Simplifikation. Die alteuropäische Handlungslehre hatte eine solche Ordnung zuerst im Kontext der griechischen Stadt erfahren und ihren operativen Modus daher "Politik" genannt. (KA)
Der Beitrag von Kybernetik und Systemtheorie für die Governance-Forschung wird diskutiert. Dabei werden Fragen der politischen Planung und der politischen Steuerung angesprochen. Das systemtheoretische Konzept der Kontextsteuerung von Willke wird als produktivster systemtheoretischer Beitrag zur Governance-Problematik hervorgehoben. Allerdings krankt das Konzept an einem Legitimitätsdefizit, dem sich das Tagesgeschäft des politischen Gestaltungshandelns in verflochtenen Verhandlungsarenen und komplexen Governance-Konstellationen generell ausgesetzt sieht. Policy-Netzwerke erfüllen nicht das unverzichtbare Kriterium der Inputlegitimität. (GB)