Sozialisation und gesellschaftliches Bewußtsein
In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie: KZfSS, Band 31, Heft 4, S. 689-708
ISSN: 0023-2653
Das 'Bewußtsein' der Arbeiter gehört zu den mit erstaunlicher Kontinuität diskutierten Problemen der Industriesoziologie. Der Autor vertritt die These, daß die Fragen nach Interessenorientierung, politischer Einstellung und politischem Handlungspotential im Rahmen einer Sozialisationstheorie reformuliert und präzisiert werden müssen. Gezeigt werden soll, in welcher Weise die Arbeitsorganisation als 'Lernort' des Erwachsenen seine Einstellungen und Verhaltensformen prägt und welche Gegenstrategien entwickelt werden um sich der betrieblichen Herrschaft zu entziehen. Gewerkschaftliches Bewußtsein und Streikbereitschaft, politische Einstellung, kulturelle Gewohnheiten usw. werden so als Handlungsstrategien begriffen, die durch Sozialisation produziert werden. Die Fragestellung wird auf eine Theorie der Erwachsenensozialisation und auf den besonderen Einfluß der beruflichen Erfahrung eingegrenzt. Dabei wird der Sozialisationsprozeß auf der Ebene des Mesosystems - Arbeitsorganisation als pädagogische Autorität - und auf der Ebene des Mikrosystems - Aneignung von Organisationsregeln - analysiert. Gefragt wird nach einer adäquanten 'Lerntheorie', nach dem 'Inhalt' des Lernprozesses und nach dem 'Lernort'. Insgesamt wird deutlich, daß Sozialisationsforschung den gesellschaftlichen Kontext und den lebensgeschichtlichen Aspekt gleichermaßen berücksichtigen muß. Zu klären bleibt, wie die jeweilige Berufserfahrung Lernprozesse und Entwicklungen beschleunigt oder hemmt, welche konkrete Arbeitserfahrungen zu einerRegression und Entdifferenzierung kognitiver Strukturen führt und welche Konflikte entstehen, wenn Erwachsene durch Arbeitsbedingungen systematisch unterfordert werden. An konkreten Studien zur Erwachsenensozialisation wird die empirische Brauchbarkeit der Hypothesen aufgezeigt. (KA)