Fünf Jahre gemeinsame europäische Geld- und Währungspolitik: eine Erfolgsgeschichte?
In: Diplomarbeit
Aus der Einleitung: Am 01.01.1999 erfolgte durch die Vollendung der EWWU ein maßgeblicher Schritt für das Zusammenwachsen der europäischen Staaten. Gleichzeitig ging die exekutive Kompetenz in geld- und währungspolitischen Fragen von den Mitgliedstaaten auf die neu geschaffene EZB über. Damit wurden erstmalig Befugnisse für dieses konstitutive Gebiet der Makroökonomie von der nationalen Zuständigkeit an eine Gemeinschaftsinstanz übergeben. Mit der Einführung des Euro-Bargeldes zum 01.01.2002 war die Währungsunion dann auch greifbar. Heute ist das Euro-Währungsgebiet nicht nur einer der wichtigsten Wirtschaftsstandorte weltweit, auch die Einheitswährung hat sich in dieser kurzen Zeit zu einer der bedeutendsten Währungen der Welt entwickelt. Problemstellung: Von der Konzeption bis zur täglichen Arbeit ist die EZB als operativer geld- und währungspolitischer Pfeiler der EWWU das Thema zahlloser Kontroversen. Neben den wirtschaftsfachlichen Auseinandersetzungen haben vor allem die politischen Debatten aktuell eine starke mediale Präsenz. Aufgrund der signifikanten Bedeutung der Geld- und Währungspolitik, sowie der gegenwärtig fortwährenden, oft antagonistischen Dispute ist die EZB Gegenstand dieser Arbeit. Dabei soll untersucht werden, ob die gemeinschaftliche Arbeit durch die EZB erfolgreich war. Hierfür wird der Zeitraum von 2002 bis 2006 betrachtet, da erst mit der Einführung des Euro-Bargeldes das volle Bewusstsein für die gemeinsame europäische Politik auf diesen Gebieten geweckt wurde. Weiterhin erfolgt so eine Ausklammerung der Anfangsphase, welche Vor- und Nachteile bedingt durch die Neuerrichtung dieser Institution enthalten kann, die aber keine Relevanz für die objektive Beurteilung der Zentralbankpolitik haben. Gang der Untersuchung: Da es sich bei der Geld- und Währungspolitik der EZB um ein sehr komplexes Thema handelt, ist eine differenzierte Untersuchung der Teilaspekte nötig, um eine Aussage über deren Erfolg treffen zu können. Hierbei kann nicht nur eine Fokussierung auf das Ergebnis der Zentralbankarbeit erfolgen, sondern vielmehr müssen Erkenntnisse über die zugrunde liegenden Konzeptionen, deren Umsetzung und den daraus resultierenden Auswirkungen gewonnen werden. Nach einer Einordnung in den geschichtlichen Kontext sollen zunächst die institutionellen Voraussetzungen in Form der rechtlichen Grundlagen und des organisatorischen Aufbaus vorgestellt, sowie die Aufgaben und Ziele der EZB, einschließlich der suggestiven Wirkungen dieser untereinander, vorgestellt werden. Im vierten Kapitel wird die Geldpolitik, also die Maßnahmen zur Steuerung der Liquiditäts-versorgung und des Geldumlaufes innerhalb einer Volkswirtschaft, untersucht. Hierbei soll basierend auf der Marktsituation, der zur Verfügung stehenden Instrumente und der gewählten Strategie das theoretische Handlungskonzept und dessen praktische Umsetzung analysiert werden. Anschließend wird die Währungspolitik, das heißt die nach außen gerichtete Gestaltung der Währungsordnung, dargestellt. Dazu erfolgt die Erörterung der währungspolitischen Situation und deren Einfluss auf die gegebenen Ziele der EZB. Im nachfolgenden Kapitel werden besondere Bestimmungsfaktoren betrachtet, die eine hohe Relevanz für den Erfolg der Zentralbankpolitik aufweisen. Inhalt des siebten Kapitels ist die Überprüfung des Erreichens der Zielvorgaben. Abschließend erfolgt eine Bewertung des Erfolges der gemeinsamen europäischen Geld- und Währungspolitik durch die EZB. Dabei soll auch ein Ausblick auf die Erfordernisse der zukünftigen Arbeit gegeben werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: ABKÜRZUNGSVERZEICHNISIV ABBILDUNGSVERZEICHNISV TABELLENVERZEICHNISVI 1.EINLEITUNG1 1.1Problemstellung1 1.2Gang der Untersuchung2 2.DIE WIRTSCHAFTS- UND WÄHRUNGSUNION UND DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK3 2.1Die Entstehung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion3 2.2Die Rechtsgrundlagen der Europäischen Zentralbank4 2.3Der institutionelle Aufbau der Europäischen Zentralbank4 2.3.1Das Europäische System der Zentralbanken5 2.3.2Das Direktorium5 2.3.3Der Rat der Europäischen Zentralbank6 2.4Bewertung der Organisation der Europäischen Zentralbank7 3.DIE AUFGABEN UND ZIELE DER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK10 3.1Die übertragenen Aufgaben10 3.2Die Ziele der Europäischen Zentralbank11 3.2.1Die primäre Bedeutung der Preisstabilität11 3.2.2Die quantitative Bestimmung der Preisstabilität13 3.3Die Zielbeziehungen16 4.DIE GEMEINSAME EUROPÄISCHE GELDPOLITIK20 4.1Der Transmissionsprozess20 4.2Die geldpolitischen Instrumente23 4.2.1Offenmarktgeschäfte23 4.2.2Ständige Fazilitäten26 4.2.3Mindestreserven27 4.3Die Strategie der Europäischen Zentralbank27 4.3.1Die wirtschaftliche Analyse28 4.3.2Die monetäre Analyse31 4.3.3Alternative geldpolitische Strategien35 4.4Grenzen der Geldpolitik36 4.5Bewertung der 2-Säulen-Strategie39 4.6Die geldpolitische Arbeit der Europäischen Zentralbank42 4.6.1Erste Phase: Zinssenkungen43 4.6.2Zweite Phase: Konstantes Zinsniveau44 4.6.3Dritte Phase: Zinssteigerungen46 4.6.4Bewertung der geldpolitischen Entscheidungen47 5.DIE GEMEINSAME EUROPÄISCHE WÄHRUNGSPOLITIK49 5.1Die währungspolitische Situation49 5.2Der Einfluss der Währungspolitik auf die Preisstabilität50 6.DETERMINANTEN EINER ERFOLGREICHEN ZENTRALBANKPOLITIK53 6.1Unabhängigkeit53 6.1.1Arten der Unabhängigkeit53 6.1.2Die Bedeutung der Unabhängigkeit54 6.2Transparenz55 6.2.1Das Problem der demokratischen Legitimierung55 6.2.2Transparenz als Problemlösung56 6.3Glaubwürdigkeit57 7.DIE ZIELERFÜLLUNG DER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK61 7.1Die Erfüllung des Ziels der Preisstabilität61 7.2Inflationsdifferenziale im Euro-Währungsgebiet63 8.SCHLUSSBETRACHTUNGEN66 ANHANG78 LITERATURVERZEICHNIS122Textprobe:Textprobe: Kapitel 3.2.1, Die primäre Bedeutung der Preisstabilität: Der Begriff der Preisstabilität wird durch den EGV nicht weiter definiert. Die wörtliche Interpretation dieses Terminus würde bedeuten, dass alle Einzelpreise einer Volkswirtschaft konstant blieben. Da dies in der Realität unmöglich ist, ist Preisstabilität als Preisniveaustabilität zu verstehen. Dies bedeutet, dass sich Preise einzelner Güter ändern können, aber der Geldwert gegenüber dem Mittelpreis aller Güter gleich bleibt. Aufgrund der praktischen Relevanz soll das Verfehlen der Preisstabilität am Beispiel der Inflation dargestellt werden, welche als anhaltender Anstieg des allgemeinen Preisniveaus definiert wird. Ursachen und Auswirkungen für Deflation stellen sich analog mit sinkendem Preisniveau dar. Eine ausführliche Betrachtung der Deflation soll nicht erfolgen, da ein über längere Zeit sinkendes Preisniveau als sehr unwahrscheinlich gilt. Neben der Einordnung nach Geschwindigkeit und Höhe, wird Inflation grundsätzlich nach ihrer Ursache in Nachfrage- und Angebotsinflation unterschieden. Bei der Nachfrageinflation übersteigt die Nachfrage durch höheren privaten oder staatlichen Konsum, zunehmende Auslandnachfrage oder erhöhte Investitionen das Angebot am Markt, woraufhin die Preise durch den Preismechanismus steigen. Auf der Angebotsseite führen gestiegene Lohnsätze, Importpreise oder Steuern zu einer Umlegung auf die Güterpreise. Ebenso vielschichtig wie die Ursachen, sind auch die Inflationsfolgen. Die Inflation wirkt auf die eigentlichen Funktionen des Geldes. Mit dem Verlust der Kaufkraft geht der Verlust der Rolle als Wertaufbewahrungsmittel und als Messgröße für Werte einher. Die Funktion als Tauschmittel nimmt ab, da der reale Gegenwert nicht mehr vorhanden ist. Durch die Geldentwertung ist die Beurteilung relativer Preise, als Grundlage fundierter Konsum- und Investitionsentscheidungen kaum möglich. Dem Markt wird so die Möglichkeit der effizienten Ressourcenallokation und damit Produktionspotenzial entzogen. Auch die Allokationseffizienz des Kapitalmarktes nimmt mit steigendem Preisniveau ab. Längerfristige Zinsen enthalten Risikoprämien, die mit steigender Inflationserwartung zunehmen und damit Investitionen unattraktiver machen. Weitere Auswirkungen ergeben sich im Bereich der Umverteilung. Gläubiger erleiden einen Realverlust, wenn sie die Inflationsrate nicht vorhersehen konnten. Demgegenüber steht ein Realgewinn auf der Schuldnerseite, da der reale Wert der Verbindlichkeiten gesunken ist. Nachteile entstehen auch für die Bezieher von Lohn- und Transfereinkommen, wenn die inflationäre Entwicklung nicht korrekt prognostiziert wurde, da eine schnelle Anpassung der Bezüge an die Inflationsrate i.d.R. nicht möglich ist. Es ergeben sich so erhebliche Vermögensverluste, wenn eine rasche Umschichtung in reale Vermögenswerte wie Immobilien oder Gold nicht erfolgen kann. Vor allem die schwächeren Gruppen der Gesellschaft, ohne ausreichende Absicherung, sind von diesen willkürlichen Einkommens- und Vermögensumverteilungen besonders betroffen. Die aufgeführten inflationären Auswirkungen machen deutlich, dass eine fehlende Geldwertstabilität die verschiedensten volks-wirtschaftlichen Bereiche mit erheblichen, teils existenzbedrohenden Folgen betrifft. Die deflationären Auswirkungen stellen sich analog mit einem sinkenden Preisniveau dar. Aufgrund des breiten Einflusses und der intensiven sozialen und wirtschaftlichen Effekte ist Preisstabilität als Grundlage für das Funktionieren einer Volkswirtschaft und die Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenlebens unabdingbar. Durch diese Erkenntnisse erscheint die die hervorgehobene Stellung dieses Ziels gerechtfertigt. Die quantitative Bestimmung der Preisstabilität: Nach der qualitativen Erörterung soll geklärt werden, wie das Preisniveau im Euro-Währungsgebiet ermittelt und das Zielniveau bestimmt wird. Die Messung des Preisniveaus erfolgt über den HVPI, den das Statistische Amt der EU, Eurostat, aus den monatlichen Daten der nationalen Statistikämter ermittelt. Die Verwendung des HVPI ist nötig, da sich die nationalen Preisindizes teilweise deutlich unterscheiden. Grundlage sind die Preise für Waren und Dienstleistungen in einem repräsentativen Warenkorb mit 12 Hauptkomponenten. Außerdem werden verschiedene Teilindizes ermittelt. Da der HVPI einzig als Preisindex angelegt ist, werden nur im Euro-Raum getätigte Ausgaben erfasst. Die Preisindizes werden jedes Jahr miteinander verkettet und sowohl die Zusammensetzung des Warenkorbes, als auch die Gewichtung der Länder angepasst. Dabei hat Deutschland ein Ländergewicht von etwa 30%, Frankreich und Italien jeweils circa 20%. Als Basisjahr wurde zunächst 1996 festgelegt. Seit 2006 ist das Jahr 2005 der Referenzzeitraum. Während herkömmliche Preisindizes eine unveränderte Zusammensetzung des Warenkorbs über längere Zeit messen, besteht der Vorteil der Verkettung in der größeren Aktualität der verwendeten Verbrauchsgewohnheiten. Damit geht allerdings teilweise die Funktion des reinen Preisindexes verloren. Dies ist kritisch zu sehen, da die Inflationsraten im Vergleich zum Vorjahr durch Änderungen im Nachfrageverhalten und durch die Ländergewichtung beeinflusst werden können. Dadurch, dass die 3 großen Volkswirtschaften des Euro-Währungsgebietes mehr als 2/3 zum gesamten Preisniveau beitragen, kann sich die Inflationsrate in einem kleineren Land deutlich von der harmonisierten Preissteigerungsrate unterscheiden. Insgesamt weicht der HVPI zwar von seiner Konzeption als Preisindex ab, stellt aber durch die Orientierung an den Lebenshaltungskosten die Marktentwicklung aktueller dar. Kritik gibt es auch an der Zusammensetzung des HVPI, der eine allumfassende Inflationsrate widerspiegelt, in der kurzfristige Entwicklungen stark gewichtet sind. Es wird eine Inflationsmessung nach Vorbild der FED gefordert, die auf die Bestimmung einer Kerninflationsrate setzt, bei der die Preise für Energie und unbearbeitete Nahrungsmittel unberücksichtigt bleiben, um übermäßige Volatilität aus dem Preisindex herauszunehmen. Durch das Herausrechnen der meist wegen exogener Wirkungen kurzfristig stark schwankenden Bereiche soll das eigentliche volkswirtschaftliche Preisniveau dargestellt werden. Folgt man diesem Ansatz, ergibt sich für das Euro-Währungsgebiet allerdings ein vollkommen anderes Resultat (siehe Abb. 1: Vergleich HVPI – Kerninflation). Die Darstellung zeigt, dass sich entgegen der theoretischen Annahme die Kerninflationsrate wesentlich volatiler als der Gesamtindex präsentiert. Zwar ist der Nutzen von Teilindizes zur detailierten Analyse unbestreitbar und wird auch praktiziert, jedoch erscheint eine Fokussierung auf die Kerninflation statt des gesamten HVPI, wie in der Kritik gefordert, anhand dieser Erkenntnisse als nicht empfehlenswert. Welche jährliche Änderungsrate des HVPI mit dem Ziel der Preisstabilität vereinbar ist, bestimmte die EZB erstmals 1998. Demnach wird Preisstabilität definiert als "Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) von unter 2% gegenüber dem Vorjahr". Im Rahmen der Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie 2003 wurde diese Definition präzisiert. Als Preisstabilität ist "mittelfristig eine Preissteigerungsrate unter, aber nahe der 2%-Marke" anzusehen. Diese Zielsetzung bedeutet zum einen, dass eine Inflationsrate über 2% und zum anderen eine sehr geringe Inflationsrate mit dem Ziel der Preisstabilität nicht vereinbar sind. Bei der Kalkulation wurden mögliche Messfehler des HVPI, die das Preisniveau leicht überzeichnen können und eine Sicherheitsmarge zur Deflation berücksichtigt (EZB 2004a, S. 52). Eben diese findet in der Öffentlichkeitsdarstellung aber nur geringe Aufmerksamkeit. Deflationäre Folgen wie der reale Wertanstieg von Schulden oder der Anreiz Konsum- und Investitionsentscheidungen aufzuschieben wiegen ebenso schwer, wie die der Inflation. Darüber hinaus kann man Deflation mit geldpolitischen Mitteln nur begrenzt entgegenwirken. Auch wenn das Euro-Währungsgebiet von einem bedrohlich sinkenden Preisniveau im Gegensatz zu starken Inflationswellen noch nicht bedroht war, so zeigt der Blick auf Japan, dass die deflationären Gefahren angesichts der geringen Sicherheitsmarge zwischen Preisstabilität und Deflation nicht unterschätzt werden dürfen. Die EZB sollte daher das öffentliche Bewusstsein für die Folgen einer Deflation stärken und einen konkreten Maßstab in Form einer Preisniveauuntergrenze festlegen. Peter Leipold, Diplomverwaltungswirt, Abschluss 2008 an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung Reinfeld. Derzeit tätig bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland.