Das islamische Argument: warum sich so viele Araber umringt von Feinden sehen
In: Internationale Politik und Gesellschaft: IPG = International politics and society, Heft 2, S. 43-59
"In den Versuchen, die Anschläge vom 11. September 2001 zu erklären, griff eine These auf einen 'unaufgeklärt' gebliebenen Islam zurück, während andere den islamistischen Terror als Folge der Globalisierung verstehen wollten. Beide Perspektiven kümmerten sich jedoch recht wenig um Geschichte und Gegenwart der verschiedenen Strömungen des politischen Islams. Dabei zeigt ein Blick in die nahe Vergangenheit, wie sich bereits im 19. Jahrhundert im Nahen und Mittleren Osten ein islamischer Diskurs als Reaktion auf Kolonialismus und Unterwerfung herausbildet. Bis heute ist die Behauptung einer fortgesetzten Bedrohung und Demütigung 'der Muslime' durch 'den Westen' wesentliches Motiv einer kollektiven islamischen Identität in vielen Staaten der Region. Dieses verbreitete Gefühl einer äußeren Bedrohung machen sich sowohl die autoritären Regime in der Region als auch die verschiedenen Spielarten des politischen Islam zu Nutze: Sie fördern Verschwörungstheorien wie den Antisemitismus und lenken von einer emanzipatorischen Kritik an den sozialen Widersprüchen ihrer Gesellschaften ab. Im Unterschied zum moderaten 'Mainstream-Islamismus', der sich etwa in Gestalt der Muslimbrüder den politischen Systemen in der Region anpasst, appellieren die Gruppierungen des radikalen Islams vor allem mit der Absicht an das tief im kollektiven Bewusstsein verwurzelte 'koloniale Erbe', ihren militanten Kampf zu begründen. Sie wähnen sich als Verteidiger des muslimischen Kollektivs und sehen ihre Ideologie mit dem Krieg der Anti-Terrorallianz gegen die Taliban sowie in den weiteren westlichen Interventionsplänen bestätigt. Allerdings richtete sich der Terror der Radikalen bisher fast ausschließlich gegen die eigenen nationalen Regime, die sie als 'unislamisch' brandmarken. Innerhalb des in den vergangenen Jahren auf lokaler Ebene stark geschwächten radikalen Spektrums des Islamismus stellt der international operierende Jihad-Islam - repräsentiert vor allem durch Al Qaida - daher einen Sonderfall dar." (Autorenreferat)