Ökonomie der neuen Kriege - Kalte Friedenskonsolidierung durch Kriminalisierung?
In: Die Weltunordnung von Ökonomie und Krieg: von den gesellschaftlichen Verwerfungen der neoliberalen Globalisierung zu den weltumspannenden politischen Ansätzen jenseits des Casinokapitalismus, S. 40-57
Mit der Kennzeichnung "neue Kriege" wird auf einen offensichtlichen Wandel der Art und Weise verwiesen, wie Kriege ausgetragen werden. Kriege bleiben aber definitorisch eine Angelegenheit von Staaten oder um einen Staat. Gleichzeitig ist jedoch die Welt zunehmend davon geprägt, dass die wesentliche Substanz von Staatlichkeit, die Fähigkeit öffentliche Güter wie Recht, Bildung oder Sicherheit bereitzustellen, weiter abnimmt. Dies gilt vor allem, aber nicht nur, für die Dritte Welt. Als Folge hat die überwiegende Zahl der Staaten längst die Fähigkeit verloren, militärische Landesverteidigung zu organisieren oder zwischenstaatliche Kriege zu führen. Es fehlt immer mehr Staaten an den wirtschaftlichen Voraussetzungen bzw. einem hinreichenden Steueraufkommen zur Vorhaltung handlungsfähiger Streitkräfte. Es wird eine Unterscheidung in "regulative" und "situative Gewalt" vorgeschlagen. Mit "situativ" werden Gewaltformen beschrieben, die nicht als strategisches Handeln erklärt werden können. Es handelt es sich um lokale, unkontrollierte, spontane Ereignisse. Täter und Opfer sind überwiegend junge Männer, die ihre Lebenssituation als doppelte Ausgrenzung erfahren. Ohne Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt ist ihre Lebenswelt Ausgeschlossenheit in Armut. Die allgegenwärtigen Modernisierungsbrüche bedingen die weitgehende Auflösung traditionaler Strukturen, womit es keinen Kontext mehr gibt, in den junge Menschen hineinwachsen. Angesichts der Perspektivlosigkeit, mit der junge Menschen in weiten Teilen der Dritten Welt leben müssen, verlieren soziale Normen und traditionale bzw. vormoderne informelle Autoritäten verhaltenssteuernde Wirkung. Sie sind auf sich alleine gestellt und müssen sich in der unsicheren Informalität verorten. Sie nehmen ihre Situation als intergenerationelle Apartheid war. Es wird argumentiert, dass es für eine angemessene Reaktion z.B. durch Friedensmissionen von entscheidender Bedeutung ist, den tatsächlichen Kode von Gewaltereignissen zu kennen. Kriege der Gegenwart zeichnen sich durch diskontinuierliche Abläufe, Parallelität von Kampfhandlungen und schattenökonomischen Transaktionen, auch zwischen den Kriegsparteien, sowie auch immer Inseln normaler Zivilität aus. Daher weisen die Lebenswelten in zerfallenden Staaten, neuen Kriegen und Nachkriegen viele gemeinsame Merkmale auf. Hierzu gehören immer situative und regulative Gewalt, die in der medialen Präsentation von Kriegen selten unterschieden werden. (ICG2)