International migration to Chile and to the Santiago Metropolitan Area (SMA), its major point of attraction, is a rather recent phenomenon which is gaining more and more attention. According to the latest population census the number of foreigners who were born abroad and permanently live in Chile, has increased by 75% between 1992 and 2002. Parallel to this, the national policy debate about immigration is becoming more intensive. However, until now there is only little evidence concerning the patterns of international migration and the characterization of the immigrants' social space. This study is oriented towards reducing this deficit. Based on a thorough theoretical discussion, recent research publications and international reports, the study pursues mainly four objectives: The first objective is to identify major patterns of international migration as a context for the immigration to Chile and the SMA. The second objective is to understand the main features of international migration to the SMA. The third objective is to analyze the immigrants' social space and its contribution to the overall urban development patterns in the SMA. And finally, the research results are linked with the national policy debate about immigration, and a number of policy recommendations are made. The study applies a mix of – mainly quantitative – methods, such as descriptive and analytical statistics including factor and cluster analyses using Chilean census data and visa records. The current immigration situation in Chile is characterized by a notable increase in the number of South American migrants, being attracted by better job opportunities. Moreover, there are growing numbers of young migrants for educational reasons. Chile appears to present an "intervening opportunity" in the migrants' decision-making process, where a number of factors, such as new policy regulations in industrialized countries, the time/cost distance, as well as the economic development and political stability in the country, increasingly seem to turn into competitive advantages as compared to countries like the US, Spain or Italy. The qualification profiles of migrants in the SMA sharply contrast with the situation in most industrialized countries. In general, the educational level of immigrants is rather high. In general, immigrants strongly contribute to the educational level of the population in the SMA. Like in most global cities, two major streams of international migrants can be found in the SMA, on the one hand those who belong to the upper levels of the occupational hierarchy and on the other hand marginalized low-skill employees. The related data can be taken as an indication for the fact that a large group of immigrants is employed below their qualification levels. In the SMA, professionals and technicians play a very important role, and, except for some of the Peruvian and Ecuadorian migrants, there is little evidence of labour market segmentation. Skilled migrants contribute to reducing gaps of labour market supply in some sectors of the economy, such as public health and private education. Low-skilled migrants contribute to the labour market supply in fields where there is a growing demand, e.g. in the domestic services. Almost 50% of the international migrants live in five of the 34 communes of the SMA. This seems to be largely determined by two main factors: Migrants are found where job opportunities are, and they follow similar patterns like the Chilean population regarding their socio-spatial differentiation. Furthermore, despite the relatively high spatial concentration of migrants, the SMA shows less evidence of residential segregation than many European and US cities. The highest segregation indexes are associated with European and US immigrants with a high socioeconomic status ("voluntary ghettos"). Factor and cluster analyses show major patterns of the socio-spatial distribution of migrants in the SMA: a rather large zone of low attraction for migrants, the downtown area concentrating recent flows, and a series of semi-concentric zones around the centre where the migrants' socio-economic and residential status increases with distance from the city centre. This is consistent with models of urban dynamics of Latin American cities. Based on the results of this study, four major recommendations for the policy debate about immigration can be derived. There is a need for (1) strengthening the diagnosis regarding immigration, (2) the improvement of the institutional framework and the participation of stakeholders, (3) fostering international cooperation regarding issues of immigration, as well as (4) shaping public opinion and strengthening the integration of immigrants. ; Zuwanderung nach Chile und in den Großraum Santiago, dem wichtigsten Attraktionspol des Landes, ist ein relativ junges Phänomen, gewinnt aber zunehmend an Bedeutung. Laut dem letzten Bevölkerungszensus des Landes hat sich die Zahl der Zuwanderer, d.h. nach chilenischer Definition der Personen, die im Ausland geboren wurden und permanent in Chile leben, zwischen 1992 und 2002 um 75% erhöht. Parallel zu dieser Entwicklung, hat eine nationale Politikdebatte eingesetzt, die derzeit an Fahrt gewinnt. Allerdings gibt es bis heute nur wenig gesichertes Wissen über die Zuwanderung in Chile und deren sozialräumliche Charakteristika. Diese Arbeit soll einen Beitrag zur Verringerung dieses Defizits leisten. Auf der Grundlage einer Diskussion theoretischer Ansätze sowie von Studien und internationalen Berichten jüngeren Datums zu Fragen der Zuwanderung verfolgt die vorliegende Arbeit im Wesentlichen vier Ziele: Erstens sollen die Grundlinien internationaler Wanderungsprozesse als Rahmen für die Diskussion der Entwicklungstrends in Chile und im Großraum Santiago nachgezeichnet werden. Zweitens sollen Charakteristika der Zuwanderung im Großraum Santiago herausgearbeitet werden. Drittens geht es um die Identifizierung sozialräumlicher Strukturen der Zuwanderung und ihren Beitrag zur Stadtentwicklung im Großraum Santiago. Und schließlich werden aus den Ergebnissen der Studie Empfehlungen an die Politik als Beitrag zur Zuwanderungsdebatte in Chile abgeleitet. In der Arbeit werden unterschiedliche – überwiegend quantitative – Methoden verwendet, so zum Beispiel der deskriptiven und analytischen Statistik einschließlich einer Faktoren- und Clusteranalyse. Der Autorin standen hierfür umfangreiche chilenische Zensus- und Visadaten zur Verfügung. Die Zuwanderung nach Chile ist gegenwärtig insbesondere von einem starken Anstieg des Anteils von Migranten aus Lateinamerika gekennzeichnet. Dabei spielen vor allem die vergleichsweise großen Arbeitsmarktpotenziale des Landes eine Rolle. Zudem steigt die Zahl jüngerer Zuwanderer, für die Chile attraktive Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten bietet. Im Entscheidungsprozess von Migranten kommt Chile zunehmend die Rolle einer "intervening opportunity" zu, wobei eine Reihe von Faktoren dem Land komparative Vorteile gegenüber traditionellen Zuwanderungsländern für Migranten aus Lateinamerika wie den USA, Spanien oder Italien verschafft. Hierzu gehören u.a. die verschärften Zuwanderungsbeschränkungen in vielen Industrieländern, die günstigen Voraussetzungen hinsichtlich Zeit-/ Kosten-Distanzen sowie das anhaltende Wirtschaftswachstum und die politische Stabilität in Chile. Das allgemeine Qualifikationsprofil der Zuwanderer im Großraum Santiago unterscheidet sich deutlich von dem der Migranten in den meisten Industriestaaten. Im Allgemeinen ist das Bildungsniveau der Zuwanderer hoch. Wie in den meisten Weltstädten wird das Gros der Zuwanderer im Großraum Santiago insbesondere von zwei Gruppen gestellt, zum einen von Hochqualifizierten in Führungspositionen und zum anderen von gering qualifizierten und häufig marginalisierten Zuwanderern. Die entsprechenden Daten können im Übrigen auch als ein Indiz dafür angesehen werden, dass im Großraum Santiago viele Zuwanderer unterhalb ihres Qualifikationsniveaus beschäftigt zu sein scheinen. Akademiker und Fachkräfte spielen unter den Zuwanderern im Großraum Santiago eine große Rolle und –mit Ausnahme von Zuwanderern aus Peru und Ecuador – gibt es kaum Anzeichen für eine Segmentierung des Arbeitsmarktes. Qualifizierte Zuwanderer tragen in einigen Bereichen wie zum Beispiel bei der öffentlichen Gesundheitsvorsorge oder in Privatschulen zum Abbau von Arbeitsmarktengpässen bei. Geringer Qualifizierte erhöhen das Arbeitskräftepotenzial in Bereichen, in denen es u.a. aufgrund des Wirtschaftsaufschwungs in Chile eine steigende Nachfrage nach Arbeitskräften gibt, zum Beispiel im Bereich der Haushaltshilfen. Fast 50% aller Zuwanderer wohnen in fünf der 34 Kommunen des Großraums Santiago. Dies ist im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen: Migranten lassen sich dort nieder, wo es Beschäftigungsmöglichkeiten gibt und sie entwickeln ähnliche sozialräumliche Verteilungsmuster wie die chilenische Bevölkerung. Weiterhin ist festzustellen, dass die Zuwanderung trotz der relativ starken räumlichen Konzentration von Migranten im Großraum Santiago im Vergleich zu Großstädten in den USA oder in Europa kaum zu Segregation führt. Quer über verschiedene Segregationsindices sind jeweils die höchsten Werte bei Zuwanderern aus Europa und aus den USA mit hohem sozioökonomischem Status festzustellen ("volontary ghettos"). Mit Hilfe von Faktoren- und Clusteranalysen lassen sich räumliche Verteilungsmuster von Zuwanderern im Großraum Santiago nachweisen: Ein weiter Bereich des Großraums Santiago (insbesondere im Westen und Süden) bietet offensichtlich nur wenig Attraktivität für Migranten; das Zentrum des Großraums bildet einen kernstädtischen Bereich mit relativ junger Zuwanderung; daran schließen mehrere halbkreisförmige Gebieten um das Zentrum an, in denen der Sozialstatus und die Wohnverhältnisse der Migranten nach außen hin zunehmen. Diese Struktur ist weitgehend vergleichbar mit lateinamerikanischen Stadtentwicklungsmodellen. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit legen im Hinblick auf die Zuwanderungsdebatte in Chile eine Reihe von Empfehlungen nahe. Dabei geht es im Wesentlichen um die folgenden Aspekte: (1) die Verbesserung der Informationsgrundlagen über Zuwanderung, (2) die Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen und die Einbeziehung aller Beteiligten, (3) die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit im Hinblick auf Migrationsfragen und (4) die Versachlichung der öffentlichen Debatte über Migration und die effizientere Integration von Zuwanderern.
Unternehmerinnen und Unternehmer sind so unterschiedlich wie ihre Firmen. Ihr Erfolg am Markt ist teilweise durch ihre Persönlichkeit und ihre demografischen Merkmale bestimmt. Ein individuelles Merkmal kann dabei eine "Behinderung" sein – und auf dieses fokussiert sich die vorliegende kumulativen Dissertation. Die Rolle von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben hat durch das "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion an Bedeutung gewonnen. Daher ist das Thema hochrelevant, insbesondere vor dem Hintergrund eines selbstbestimmten Lebens mit der Möglichkeit zur Wahl der Erwerbsform: also entweder als abhängig Erwerbstätige zu arbeiten oder selbständig tätig zu werden in Form einer Unternehmensgründung. Ein Einstieg ins Unternehmertum kann für Menschen mit Behinderung Vorteile bieten: Eine größere zeitliche Flexibilität, weniger Herausforderungen mit den Kolleginnen und Kollegen sowie auch ein Weg in den Arbeitsmarkt, wenn sich keine Alternativen ergeben. Die vorliegende Promotion analysiert die Situation von Unternehmerinnen und Unternehmern mit Behinderung in Deutschland anhand von zwei quantitativen Analysen und einer Analyse der vorhandenen Literatur zur Thematik. Die Merkmale "Behinderung" im rechtlichen Sinne und "Gesundheit" in der Eigenwahrnehmung von Unternehmerinnen und Unternehmern werden dabei gesondert und kombiniert betrachtet. Das ist wichtig, denn der spezifische Kontext, den Menschen mit Behinderung in Deutschland vorfinden, könnte sie in der Berufswahl beeinflussen. "Behinderung" ist in dieser Hinsicht keinesfalls ein fester Begriff, sondern hat medizinische, rechtliche und soziologische Bedeutungen – Hintergründe, welche die zitierten Studien in der Arbeit aufzeigen. Sogenannte Nachteilsausgleiche, wie zusätzlicher Urlaub, ein erweiterter Kündigungsschutz oder kostenlose Hilfsmittel, können Menschen gewährt werden, wenn sie eine Anerkennung einer Behinderung in Deutschland beim Versorgungsamt beantragen. Der relevante Indikator für die Bewilligung ist der anerkannte Grad der Behinderung (GdB). Regressionsanalysen mit dem repräsentativen Mikrozensus Datensatz unter Berücksichtigung dieses GdB zeigen auf: In Deutschland hat eine Behinderung einen signifikant negativen Einfluss auf die Chance eines Menschen selbstständig zu sein. Auf mögliche Gründe hierfür geht die Dissertation ein. Das Alter der Individuen spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle. So ist zu unterscheiden zwischen Menschen, die bereits mit einer Behinderung geboren werden oder in jungen Jahren damit konfrontiert sind und solchen, die erst mit steigendem Alter von einer Behinderung betroffen werden. Viele junge Menschen mit Behinderung werden bereits während ihrer Schulzeit besonders gefördert und sind so nicht immer Teil des regulären Schulsystems. Dies kann starken Einfluss auf die weiteren Bildungswege und Erwerbswahl haben. Hingegen durchlaufen Individuen, die erst spät mit einer Behinderung konfrontiert werden, die regulären Bildungswege und üben oft bereits jahrelang auch ihren Beruf aus. Mit dem Alter steigt dann die Anzahl der Menschen mit Behinderung in einer Altersgruppe in Deutschland an und ihre Zusammensetzung verändert sich. Viele Fachkräfte oder Menschen mit Führungsfunktion mit Berufserfahrung erwerben eine Behinderung erst in diesem Status des Erwerbslebens. Dies lässt vermuten, dass dann eine Erwerbsentscheidung anders entschieden wird. Regressionsanalysen in der Arbeit zeigen (allerdings), dass in beiden betrachteten Altersgruppen (25 bis 44 Jahre und 45 bis 64 Jahre) eine Behinderung einen signifikant negativen Einfluss auf die Chance eines Menschen selbstständig zu sein hat. In vielen anderen Ländern sind Menschen mit Behinderung häufiger selbstständig als Menschen ohne Behinderung. Die Ergebnisse der Promotion zeigen jedoch: Deutschland ist hier eine Ausnahme. Ein blinder Fleck der Analyse ist die Form der Behinderung, da nur wenige quantitative Daten für eine Unterscheidung des Einflusses verschiedener Formen vorhanden sind. Das Narrativ "psychische Behinderung und "Unternehmertum" ist in den letzten Jahren vermehrt in der öffentlichen Berichterstattung gewesen, nicht zuletzt auf Grund des Selbstmordes einiger bekannter Unternehmer. Die zitierte Literatur zeigt wie schwierig das Phänomen "psychische Behinderung" zu greifen ist. In einem Literaturreview werden Studien diskutiert, die auf der persönlichen aber auch der gesellschaftlichen Ebene sowohl Chancen als auch Barrieren für eine Person mit einer psychischen Behinderung aufzeigen Unternehmer bzw. Unternehmerin zu werden. Ein Schwerpunkt wird dabei auf den deutschen Kontext gelegt und ein originäres Modell zur Berufswahl von Unternehmern mit psychischer Behinderung wird dargestellt. Das Ergebnis ist keinesfalls eindeutig und ein Zeichen dafür, dass weitere Forschung in diesem Bereich notwendig ist. Das Merkmal "Gesundheit" wird in Analysen manchmal als latente Variable zu Behinderung verwendet. In einer abschließenden multivariaten Analyse zeigt sich, dass der negative Einfluss des Merkmals "Behinderung" auf die Wahrscheinlichkeit eines Individuums selbstständig zu sein konstant bleibt, wenn das Merkmal "Gesundheit" zusätzlich in die Analyse miteinfließt. Gleichwohl wird die Eintrittswahrscheinlichkeit in das Unternehmertum vorrangig von dem Merkmal "Gesundheit" bestimmt, die Austrittswahrscheinlichkeit wiederum von dem Merkmal "Behinderung". Daraus folgt: In Deutschland sind beide Begriffe unterschiedlich auf ihre Auswirkung auf Unternehmerinnen und Unternehmer zu betrachten. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und allgemeinen Empfehlungen, welche weiteren Forschungslücken in Angriff genommen werden und welche Ableitungen für die Praxis getroffen werden können. ; Entrepreneurs are as unique as their businesses. The success of their entrepreneurial endeavors is partly determined by their personality and their demographics. A relevant demographic attribute in this retrospect can be a "disability" – and this is the topic of the cumulative dissertation at hand. The role of people with disabilities on the labor market has become more important in public and political discussion due to the Convention on the Rights of Persons with Disabilities. Hence, the topic has a high relevance in the sense of having a self-determined life with the freedom of choosing your own type of occupation: working either as a dependent professional or being self-employed and starting your own business. Entering entrepreneurship can be advantageous for people with disabilities: An increased flexibility concerning working hours, less trouble with team members and especially a possibility to join and stay active on the labor market, if there are no other alternatives available. The dissertation at hand is an analysis about entrepreneurs with disability in Germany. The included papers consist of two quantitative analyses and one analysis of current related literature. The attributes "disability" in terms of the German law and "health" in terms of self-assessment of individuals are used in the analysis on their own as well as combined. This is important, as the specific context, which people with disabilities are facing in Germany, might influence them in their vocational choice. In this regard, "Disability" is not a fixed term, but can be interpreted from a medical, social and legal point of view – interpretations that can be found in the cited studies of the dissertation. The federal state may grant affirmative action for people with disabilities, e.g. additional paid leave, extended job protection or free disability aids, for individuals, who apply for an official status as an recognized disabled individual, which is admitted by the pension office. The relevant indicator is the recognized degree of disability. Regression analyses, including the degree of disability as an independent variable of interest, using the representative Mikrozensus dataset illustrate: In Germany a disability indicates a significant negative influence on the chance of an individual of being self-employed. The age of individuals plays a vital part in this regard. With an increasing age the number of people with a disability within an age groups rises and the distribution of the people with disability changes. Many skilled workers attain a disability later in life. One must differ between individuals, who were either already born with a disability or attained the status within their youth and individuals, who were affected by a disability in later years. Many young people with disabilities received additional support during their schooling time and were not necessarily part of the regular school system. This start in their education can have a decisive influence on their further educational career and their occupational choice. On the contrary, individuals who were affected by a disability later in life did pursue a regular educational career and often take up a profession. With rising age, the number of individuals with a disability within an age group in Germany rises and the in-group distribution changes. Many skilled workers or managers with vocational experience acquire a disability not until this state of their occupational career. This circumstance might indicate that their occupation choice changes in that case. Nonetheless, regression analyses within in the dissertation show that in both regarded age groups (25 to 44 years and 45 to 64 years) a disability has a negative significant influence on the chance of an individual on being self-employed. In many states people with disabilities have a higher self-employment rate than people without disabilities. The results of the dissertation show: Germany is an exception. A blind spot of the analysis is the type of disability, as few quantitative data is available. The narrative "mental disability" and "entrepreneurship" has been an increasing topic in recent years in media coverage, not least due to the suicide of some prominent entrepreneurs. The cited literature illustrates how difficult and fickle the phenomena of "mental disability" is. A literature review discusses studies, that describe chances but also barriers for people with a mental disability to join entrepreneurship. The studies are clustered on an individual and a societal level and the focus is set on the German context. An original model concerning the occupational choice of mentally disabled entrepreneurs is provided. The result is not clear but ambiguous and a sign, that more research is needed. The attribute "health" is sometimes used as a latent variable for "disability". A final multivariate analysis demonstrates that the negative influence of the attribute "disability" on the likelihood of an individual being self-employed stays constant, if the variable "health" is included as an additional independent variable. On the other hand, the likelihood of entering entrepreneurship is mainly determined by "health", while the likelihood of leaving "entrepreneurship" is determined by "disability". The results show that "disability" and "health" cannot be used synonymous but have their own effect on entrepreneurs in Germany. The dissertation closes with a summary of the results and general recommendations for additional research and managerial options.
Der 'digitale Klimawandel' ist im vollen Gange – insbesondere bei jüngeren Zielgruppen. Das Internet wird von 14- bis 29-Jährigen bereits mehr als doppelt so viel wie das linear verbreitete Fernsehen genutzt und 70 Prozent von ihnen beschäftigen sich bereits regelmäßig mit Videoportalen. Als Begründung geben fast 60 Prozent der Befragten an, dass sie sich nicht durch Sendezeiten unter Zeitdruck setzen lassen wollen, so die ARD/ZDF-Onlinestudie 2014 (Meier 2014). Was über Jahrzehnte hinweg völlig normal war – feste Sendezeiten –, verwandelt sich scheinbar in ein Ärgernis. Die JIM-Studie 2014 (MPFS 2014) fragte Jugendliche im Alter von zwölf bis neunzehn Jahren, nach dem aktuell "beliebtesten Internetangebot" (mit der Frage "Gibt es ein oder mehrere Angebote im Internet, die du zur Zeit besonders gut findest?", MPFS 2014, S. 25) – mit dem Ergebnis: Die Videoplattform YouTube erhielt mit 30 Prozent die meisten Stimmen, erst dann folgt Facebook (23 %) und andere Angebote. YouTube ist für Jugendliche vor allem eine bedeutende Social Community, nicht nur eine Video-Plattform, die anderen den Rang abgelaufen hat. Das belegt auch: Ein eigenes YouTube-Konto hat laut JIM-Studie 2014 bereits jede zweite Nutzerin und jeder zweite Nutzer von Videoportalen und somit die Möglichkeit, auf der Plattform in Form von Filmen, Bewertungen und Kommentaren selber aktiv zu sein (MPFS 2014, S. 27). Dass davon nicht allzu häufig Gebrauch gemacht wird, sei der Vollständigkeit halber auch erwähnt. Trotzdem muss gefragt werden: Muss Medienbildung mit Blick auf Webvideo neu ansetzen? Gilt es hier eine audiovisuelle Evolution neu und mitzugestalten? Diese Frage (und mehr) sind Gegenstand des vorliegenden Heftes. Und um es vorweg zu nehmen, lautet die wenig überraschende Antwort: Ja!
Landschaften Im Netz ist eine Medienlandschaft erwachsen: Mediatheken stellen einen wichtigen Anlaufpunkt für Bewegtbilder im Netz dar, das Streaming wird wichtiger. Daneben entwickeln sich aber vor allem soziale Online-Video-Netzwerke zum Dominanzfaktor im Webvideobereich – allen voran: YouTube. Vom ersten Clip in 2005 bis heute hat sich viel getan. Weltweit werden jede Minute mehr als 100 Stunden Webvideos auf YouTube hochgeladen. Nach wie vor besteht hier die Möglichkeit des 'broadcast yourself', verstanden als Option für jedermann, mit einer Handykamera Bewegtbilder aufzunehmen und auf YouTube hochzuladen – selbstgemachte Alltagsdokumentationen von Events, Konzerten, Sportveranstaltungen, Alltagsmomenten oder Szenedarstellung der eigenen Subkultur. Aber Webvideos wie diese gehen zunehmend in der Masse unter. Und wenn hier insbesondere von der Google-Tochter die Rede ist, hat das gute Gründe: Die Videoportale der Privatsender finden 'dagegen' nur einen Bruchteil des Interesses, selbst wenn sie versuchen, verlorenen Boden wieder gutzumachen. Auf den beiden deutschen Plattformen Clipfish und MyVideo dominieren Clips aus Castingsendungen und andere Fragmente des Scripted-Reality-Bereichs. Sie werden vor allem als 'Wiederholungsplattform' wahrgenommen. Und sonst? Keine deutsche Plattform, aber eine Alternative: Vimeo hängt der Ruf an, künstlerisch gute Formate oder aber lediglich 'Klassiker' vorrätig zu haben. Egal wie: Die Schwelle ist dort relativ hoch, eigene Filme upzuloaden – insbesondere für Jugendliche –, denn Uploader müssen sich mit guter Qualität und anspruchsvollen Rezipientinnen und Rezipienten messen. Und so 'tummeln' sich die meisten Jugendlichen auf YouTube und nicht auf den anderen Bewegtbildseiten, wie Clipfish, MyVideo oder Vimeo.
Reichweiten und reich werden Und hier 'tummeln' sich auch andere: Seit 2007 die Möglichkeit zur Monetarisierung eingeführt wurde, finden sich immer häufiger professionell produzierte Webvideos – ohne Wackler, gut ausgeleuchtet, vertont und geschnitten. Und es finden sich reichweitenstarke YouTuber, die mit ihren Kanälen (und abgeleiteten Quellen) mehr oder weniger beträchtliche Einnahmen erzielen und damit ihren Unterhalt bestreiten oder zumindest Teile davon. Durch die hohe Anzahl von kommerziell produzierten Videos – neben Musik- und Filmtrailern bzw. TV-Mitschnitten – generiert die Google-Tochter viele Besucher. Nicola Döring, die auch in diesem Heft mit einem Beitrag vertreten ist – dazu unten mehr –, hat in merz 03-2014 die Kommerzialisierung auf YouTube bereits untersucht. Dabei ist dies für die zumeist jugendlichen Zielgruppen wenig durchschaubar: Sogenannte Multi-Channel-Netzwerke (MCN) sind entstanden, die für den Webvideobereich Talente gezielt aufbauen und als (hoffentlich, irgendwann) zugkräftige Inhalteproduzentinnen und -produzenten managen. Sie bieten den YouTubern an, sich mit anderen Künstlerinnen und Künstlern zusammenzutun, Sendungen und Shows zu produzieren und diese zu promoten (vor allem per Social Media), was Reichweiten sicherstellt und für mehr Klicks sorgt – und Mehreinnahmen. Eine Szene ist darüber zur Branche gereift (Hündgen 2014). Nicht nur der aktuelle deutsche Marktführer Mediakraft investiert viele Millionen in die Branche, Mediakraft seinerseits wird von Investoren im dreistelligen Millionenbereich gehandelt (Einsenbrand 2014). Und während der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach langen Diskussionen einen Jugendkanal – also jugendrelevantes Fernsehen im Internet – gründet, teilen die kommerziellen Branchenriesen der Medienwelt den Online-Bewegtbildmarkt untereinander auf. Mit dabei sind Bertelsmann, Endemol, Ströer-Verlag, Pro-SiebenSat.1, RTL, die UFA, natürlich auch Disney und andere Global Player (Gugel 2014). Gleichzeitig wird Mediakraft für sein marktwirtschaftliches Denken und Agieren von den ersten YouTubern kritisiert, weil sie "ihren ursprünglichen Netzwerk-Gedanken in Gänze verloren haben" (Ludwig 2014). Ein gutes Dutzend, teils reichweitenstarker YouTuber – darunter beispielsweise LeFloid und daaruum (mit einem ausführlichen Interview im Heft vertreten) –, haben sich als Netzwerker in dem Verein (sic!) 301+ Berlin zusammengetan. Sie sehen sich nicht als "Crosspromomaschine", sondern wollen sich als "Macher" gegenseitig unterstützen und gemeinsam (künstlerisch) weiterentwickeln. 1 In Abgrenzung dazu hat sich "Die Gang" zusammengetan; die sich selbst als "Freundeskreis" beschreiben. 2 Hierzu zählen die YouTuber DieAussenseiter, DaggiBee und SimonDessue. Ihr Schwerpunkt: Sich gegenseitig promoten und gemeinsam "Spaß haben". Dementsprechend präsentieren sie sich auch in der ersten Ausgabe der Bravo Tube Stars im November 2014 – was online boomt, findet seinen Niederschlag (zunehmend auch) im Printbereich. 3 Oder es beschäftigt deutsche Gerichte, denn: Was als Spaß und Selbstverwirklichung für Schülerinnen und Schüler anfängt, wird bei erfolgreichem Agieren zu einem wirtschaftlichen und rechtlichen Handeln von – in diesem Bereich unerfahrenen, minderjährigen – Jugendlichen in einem globalen Markt. Das wirft Fragen auf: Gehen die jungen YouTuber mit ihren Eltern 'an der Hand' zu Rechtsanwälten und prüfen die Verträge der MCNs? Und wie kompetent sind sie dann hierfür? Oder gibt es in Zukunft auch YouTube-Vertragsberatungsstellen, damit wichtige Punkte wie deutsche Gerichtsbarkeit, Vergütungsvereinbarung, Vertragslaufzeit, Mitspracherecht, Entscheidungsbefugnisse, Befugnisse des Löschens bzw. Änderns von Beiträgen, Rechte Dritter, Haftung oder Kündigungszeiten beachtet werden? Hindern diese Rechtsfragen in Zukunft auch ein kreatives Mitwirken von Schule und Jugendzentren im Bewegtbildmarkt? Bekannte Fragen bekommen hier noch einmal eigene Akzentuierungen.
Wohin geht die Reise? In nur fünf Jahren werden bereits drei Viertel aller Bewegtbildinhalte aus dem Internet konsumiert, prognostizieren Offizielle des Online-Video-Netzwerkes YouTube (Digitalfernsehen.de 2013). Und natürlich sehen sie ihre Plattform dabei vorneweg, was aus ihrer Perspektive auch wenig überraschend klingt. Allerdings kommen selbst Entscheidungsträger aus der Fernsehbranche immer häufiger zu ähnlichen Einschätzungen. Strittig ist höchstens, ob bereits in fünf, zehn, zwanzig oder dreißig Jahren … Wenig umstritten scheint hingegen: In den nächsten Jahren ist davon auszugehen, dass sich die kommerziellen Interessen auf YouTube weiter durchsetzen werden, selbst wenn sich zeitgleich nicht-kommerzielle Nischensparten und eigene Formate entwickeln, von denen weiterhin die Masse keine Kenntnis nehmen wird: Im Webvideobereich ist eine eigene Ästhetik entstanden, die spezielle Formate hervorgebracht hat und hervorbringt. Memes kommen als 'Running Gag' daher; sie kopieren karikierend Vorfälle und/oder Musikvideos und werden ihrerseits abgewandelt kopiert und kopiert und kopiert … bis ein Hype entsteht. In den sogenannten 'Let's-Play-Videos' werden Computerspiele 'vor'gespielt und dabei kommentiert – wie ein Fußballspiel. In den 'Unboxing-Videos' werden neue Produkte – besonders gerne Computer, Mobiltelefone oder dergleichen – ausgepackt und vor laufender Kamera getestet, in den 'Haul Videos' die aktuellen Einkäufe vorgeführt und in den Beauty-Channels Kosmetikprodukte getestet und bewertet, bei laufender Kamera und teils dokumentarisch in der Machart (vgl. ausführlicher: Rösch/Seitz 2013). Bemerkenswert sind der oftmals selbstbewusste Umgang mit den Produkten und die trendsetzende, crossmediale Vermarktung der Medienproduzenten als Marke. Sie bedienen gleichzeitig ihre Fan-Community und adressieren neue Zielgruppen über Facebook, Twitter, Instagram und Tumblr. So werden sie und ihre Videos zu einem Konsumgut, welches sie mit anderen Marken- und Merchandisingprodukten anreichern. Problematisch ist hierbei die oftmals intransparente – weil bezahlte – Produktplatzierung, was bereits die Justiz beschäftigte (siehe hierzu das Interview mit daaruum in diesem Heft) sowie der Mangel an journalistischen Qualitätsstandards, wie beispielsweise Unabhängigkeit in der 'Berichterstattung' oder auch die konsequente Trennung von Inhalten und Werbung. Was dagegen zählt, so der Eindruck, ist: Kann ich durch Industriegelder (neue) Inhalte finanzieren, etwa im Falle von Reisevideos oder meiner Community einen – wie auch immer gearteten – Mehrwert bieten, etwa durch eine Verlosung oder dergleichen. Wer solches einfordert, sollte sich aber auch darüber im Klaren sein: Die Finanzierung der Inhalte ist eine Achillesferse. Das dem TV entlehnte Geschäftsmodell heißt 'Reichweite', YouTube präsentiert sich als (hoch-)kommerzielle Plattform. Einige wenige Stars verdienen hierbei ordentlich, die Mehrheit der Webvideomacher leidet aber unter den geringen Werbegeldern (vgl. Hündgen/Agrirakos 2013, S. 61), der maßgeblichen Refinanzierungsquelle – eine Rundfunkgebühr gibt es hier nicht oder ein funktionierendes Solidarmodell. "Auch Bezahlmodelle werden auf absehbare Zeit nur Einzelerfolge hervorbringen und eignen sich längst nicht für alle Inhalte", prognostizieren Markus Hündgen und Dimitrios Agirakos, die 'Macher' des deutschen Webvideopreises. Im Frühjahr 2013 hat die Google-Tochter bereits ein Bezahlmodell in den USA gestartet – mit durchwachsenem Erfolg: "Der Aufbau des Kundenstammes geht nur mühselig voran und deckt nicht annähernd die vergleichsweise teuer produzierten oder lizenzierten Inhalte. Einzig die US-Sesamstraße berichtet von erfreulichen ersten Zahlen. Ist damit das Paid-Modell schon jetzt gescheitert?" fragen die 'Macher' des deutschen Webvideopreises schließlich (ebenda).
Und die Medienbildung? Je bedeutsamer YouTube und andere Bewegtbildplattformen für die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen werden, desto vielfältiger müssen die medienpädagogischen Angebote in Schule und außerschulischer Jugendarbeit werden. Zielgruppe und Impulsgeber der Arbeit sind Jugendliche als- Rezipientinnen und Rezipienten- Fans- Konsumentinnen und Konsumenten- Produzentinnen und Produzenten- LernendeDementsprechend sollten junge Menschen wertschätzend in die Projekte bzw. Workshops und deren Zielsetzungen integriert werden, das heißt, sie planen und führen sie mit durch. Des Weiteren müssen Bezugspersonen der Jugendlichen und Fachkräfte sich den Plattformen öffnen und auf die neue Bildästhetik einlassen, sie entschlüsseln und anwenden (lernen), damit sie selber nicht den Anschluss an jugendliche Lebenswelten verlieren und als Kommunikationspartnerinnen und -partner zur Verfügung stehen können und hier ernstgenommen werden (vgl. Gräßer/Riffi 2013, S. 112 f.).
Zu diesem Heft Diese kurze Einführung ergänzt ein Interview mit Julian Banse, Mit-Gründer und Portalleiter von Broadmark, einem Online-Fachmagazin zu YouTube – über ein Branche im Aufwind, Jugendliche als Publikum und Fans, die Bedeutung der Netzwerke und die Verantwortung der YouTuber sowie die Schwierigkeiten, hochwertige Inhalte zu refinanzieren. Nicola Döring blickt auf YouTube aus der Genderperspektive. Sie untersucht Geschlechtsunterschiede bei der Videoproduktion, Stereotype bei den Inhalten – auch auf der Rezeptionsseite – und plädiert schließlich für eine gendersensible Auseinandersetzung mit YouTube. Teils ergänzend, teils weiterführend ist ein Interview mit Nilam Farooq. Seit 2010 betreibt sie den Video-Blog daaruum auf YouTube, gewann bei den Videodays 2013 den PlayAward in der Kategorie Beauty und wird als eine Art 'Vorzeige YouTuberin' auf gigantischen 'Blow-Ups' plakatiert. Sie erzählt im Interview über das Agieren vor der Kamera, ihr Image als neokonservative "große Schwester", rechtliche Grauzonen und Netzwerke vor dem Aus. Karsten D. Wolf lenkt den Blick auf die Bildungspotenziale von Erklärvideos und Tutorials auf YouTube, beschreibt das Webvideo-Netzwerk als audio0e Enzyklopädie, unterstreicht seine Bedeutung als adressatengerechtes Bildungsfernsehen und identifiziert es als virtuellen Raum partizipativer Peer Education. Muss die Medienbildung diese Bildungsplattform erst noch begreifen lernen? Daniel Seitz will eine Webvideo-Plattform für (politische) Bildung mit Bildungsakteuren, der Webvideo-Branche, YouTubern aus den verschiedensten Bereichen und Jugendlichen errichten, die er in seinem Beitrag vorstellt. Die Akteure können gemeinsam Inhalte und Formate (weiter-)entwickeln, Bedingungen, unter denen Bildung auf YouTube und Co. stattfinden kann, definieren und gestalten sowie Erfolgsfaktoren und Good-Practice-Beispiele für (reichweitenstarke) politische Bildungsarbeit mit Webvideo sichtbar machen. Markus Gerstmann beschreibt in seinem Artikel schließlich verschiedene Methoden, wie YouTube mit seinen vielfältigen Facetten in die Arbeit mit Eltern und vor allem jungen Menschen integriert werden kann. Er präsentiert Ansätze, wie YouTube als medialer Teil der (jugendlichen) Lebenswelt aufgegriffen und als Kommunikationsanlass genutzt werden kann, um darüber ins Gespräch zu kommen und Reflexionsprozesse anzustoßen. Auch wenn versucht wurde, so viele aktuelle Informationen wie möglich in diese Ausgabe aufzunehmen, muss festgestellt werden: Die Szene ist geradezu 'hyperaktiv'. Tagtäglich entstehen und vergehen neue Formate und Trends, so dass eine abschließende Einschätzung unmöglich erscheint. YouTuber, Bewegtbildplattformen und die Medienkonzerne verändern gerade die Sehgewohnheiten der Menschen. Und um die eingangs formulierten Fragen noch einmal aufzugreifen: Muss Medienbildung mit Blick auf Webvideo neu ansetzen? Gilt es hier eine audiovisuelle Evolution neu- und mitzugestalten? Die Antwort lautet in beiden Fällen: Ja! Und Sie sind dabei, ob Sie wollen oder nicht – also machen Sie was draus.
Anmerkungen1 301plus.berlin/2 Bravo Tube Nr 1., Die YouTube-Gang, November 2014, S. 8 f.3 Neben der Bravo Tube gibt es im deutschsprachigen Printbereich auch das von einem Wiener Verlag herausgegebene Fan-Magazin Starstube, welches "Internet im Offlinemodus" zeigt und "gedrucktes Webdesign", siehe online: www.starstube.de
"Die aktuelle Ausgabe von merzWissenschaft nimmt die Wechselbeziehungen zwischen den Bedingungen des Aufwachsens und aktuellen medialen Entwicklungen in den Blick. Im Fokus stehen dabei Prozesse der Medienaneignung im ersten Lebensjahrzehnt." So steht es im Call for Papers für die vorliegende Fachpublikation. Die Bedeutung der Medien und medialen Entwicklungen im Aufwachsen der jüngsten Mitglieder der Gesellschaft beschäftigt die Medienpädagogik und benachbarte Disziplinen schon seit einiger Zeit. Dennoch gibt es zu diesem Thema bislang noch wenig gesichertes Wissen. Angela Tillmann, Sandra Fleischer und Kai-Uwe Hugger haben mit dem 2014 erschienen Handbuch Kinder und Medien einen strukturellen Überblick über den aktuellen theoretischen und empirischen Forschungsstand herausgegeben. Aber auch hier ist die jüngste Zielgruppe nur sehr schwach vertreten. merz hat mit der zweiten Ausgabe in diesem Jahr den Versuch unternommen, die Altersspanne der frühen und mittleren Kindheit aus medienpädagogischer Perspektive in den Fokus zu nehmen (merz 2/2015 Medien und Kindheit) und zeigt verschiedene Ansatzpunkte in der medienpädagogischen Forschung und Praxis. Mit merzWissenschaft wurde das Spektrum noch einmal geöffnet für den Blick anderer Forschungsdisziplinen auf das Feld Medienaneignung und Aufwachsen im ersten Lebensjahrzehnt. Die zügig voranschreitende Mediatisierung der Lebenswelten hält sowohl die davon betroffenen Akteurinnen und Akteure als auch die Forschung und die Theoriebildung auf Trab. Diese Beschleunigung und das permanente Gefühl hinterher zu hecheln dürfen aber nicht dazu verführen, den Kopf in den Sand zu stecken und die Entwicklungen als solche zu notieren, ohne sie zu analysieren und zu evaluieren. Das breite Spektrum der Beiträge zu dieser Ausgabe von merzWissenschaft qualifiziert sich dadurch, dass einerseits aktuelle mediale Entwicklungen aufgegriffen und andererseits konzeptionelle und theoretische Deutungsversuche vorgelegt werden. Von Mediennutzung bis Kinderglück In ihrer Auswertung des Medienzusatzmoduls im Rahmen des DJI-Surveys Aufwachsen in Deutschland konzentrieren sich Alexander Grobbin und Christine Feil auf die Eltern von Kindern im Klein-, Vorschul- und Grundschulalter. In ihrem Beitrag Informationsbedarf von Müttern und Vätern im Kontext der Internetnutzung von Klein-, Vor- und Grundschulkindern wird deutlich, dass Eltern heute herausgefordert sind, die mit den technologischen Innovationen einhergehenden sozialen und persönlichen Implikationen praktisch im Alltag zu bearbeiten, was insbesondere auch heißt, sich mit Fragen des Kinder- und Jugendschutzes auseinanderzusetzen. Aus den Daten geht hervor, dass Eltern auch der Jüngsten die digitalen und mobilen Medien selbstverständlich in ihren Alltag einbinden. Aber sie sind in großem Ausmaß bemüht, die Kinder im genannten Altersbereich im Internet persönlich zu begleiten. Auch in Haushalten Alleinerziehender gehen Kinder selten oder nie alleine ins Internet. Dabei werden in der überwiegenden Anzahl der Familien Regeln betreffend der Inhalte und der Nutzungsdauer festgelegt. Bemerkenswert ist die größere Offenheit der Väter, das Internet als Erziehungsthema anzusehen, was auf eine stärker eingeschätzte eigene Internetkompetenz zurückgeführt werden kann. Die Relation familialer und institutioneller Medienerziehung ist dadurch geprägt, dass die Eltern die Kindertagesstätten nicht als Ort der zusätzlichen Einführung in den Mediengebrauch und der entsprechenden Begleitung ansehen. Das ändert sich entscheidend mit dem Schuleintritt. Schule soll aus Sicht der Eltern ihren Beitrag zum Bildungsbereich Medien leisten. Darüber hinaus wünschen sich Eltern insgesamt vor allem direkt umsetzbare Informationen zu den Kinderschutzeinstellungen. Etwas weniger ausgeprägt ist das Informationsbedürfnis bezüglich kindgerechter Internetseiten und Apps. Die neuen Möglichkeiten des Internets und der Internetapplikationen stellen ein Werkzeug zur Selbstermächtigung dar. In der frühen Kindheit werden beispielsweise mit einem Wischen über oder Tippen auf das Tablet Bilder und andere Kreationen möglich. Dass aus dieser Selbstermächtigung auch eine Förderung der positiven Eltern-Kind-Interaktionen entstehen kann, thematisiert Sandra Michaelis in ihrem Artikel Welchen Einfluss haben Mobile Apps auf die frühe Eltern-Kind-Beziehung? Dazu benennt sie die anthropologisch-entwicklungspsychologischen Voraussetzungen unter Rekurs auf die Arbeiten von Tomasello (2010). Auf diese Weise gewinnt die Medientheorie eine veränderte Perspektive auf die Art der Nutzung unterschiedlicher Medien mit besonderem Fokus auf den sozialinteraktiven Aspekt, der auf geteilte Intentionen und geteilte Aufmerksamkeit angewiesen ist. Plastisch gemacht wird ebenso, dass die Identifizierung von Elementen einzelner Apps für Kinder aufgrund ihrer Zweidimensionalität und kindgerechten Nutzungsmöglichkeiten einen hohen kognitiven Aufwand erfordert. Ein weiteres Fundament der Erörterungen bilden Aspekte der Gebrauchsforschung aus der Medieninformatik. Nur in einem solchen interdisziplinären Zugriff wird es gelingen, Apps zu entwickeln, die produktiv von Eltern und Kindern genutzt werden können. Während hierzu noch so gut wie keine Forschung existiert, werden im Beitrag von Jutta Wiesemann, Clemens Eisenmann und Inka Fürtig Medienpraxis in der (frühen) Kindheit Ethnografische Exploration des familiären Smartphonegebrauchs erste eigene explorative Daten und Auswertungen für das multifunktionale, polymediale Smartphone und seine Einbettung in familiale Praktiken vorlegen. Dazu wurden drei Orte systematisch unter die Lupe genommen: Sondiert wurde daheim in den Familienwohnungen, an den Übergängen zu institutionellen Zusammenhängen und an öffentlichen Orten, an denen die Familien als Familien präsent sind (Gaststätten, Spielplätze). Berichtet werden Situationsanalysen aus dem öffentlichen Raum – Situationen, in denen durch das Smartphone präsente Dritte die Interaktion von Eltern und Kind beeinflussen. Als neue Sozialisationskonstellation wird hier eine, durch Präsenzerfordernisse mitbedingte, quasi-symbiotische Inkorporation des Handys in die Eltern-Kind-Interaktion herausgearbeitet.Diese ist zwar störungsanfällig, besticht aber gleichzeitig durch ihre Kreativität. Das Smartphone 'wirkt' also nicht linear-kausal auf die Familieninteraktionen, sondern wird eingewoben in den Teppich der Herstellung von Familie und verändert gleichzeitig in noch zu erforschendem Ausmaß die Textur des Teppichs. Während das Öffentliche bei Wiesemann et al. als Forschungssetting vorausgesetzt ist, begibt sich Michael Viertel auf die Spuren der Entstehung der Differenz des Öffentlichen zum Privaten durch die Medien am Beispiel von Hörmedien in der mittleren Kindheit. Seine Schlussfolgerungen entwickelt er in dem Text Vom Beginn des Privaten und Öffentlichen. Zum Phänomen eines öffentlichen und privaten Sprechens von Kindern am Beispiel der Aneignung von Hörkassetten und Hör-CDs in der mittleren Kindheit. Das Private gilt seit der bürgerlichen Moderne als bevorzugter Raum der Persönlichkeitsentwicklung. In der Ontogenese etabliert sich das Verständnis der Differenz zwischen Öffentlichkeit und Privatheit nicht zuletzt auch in Gestalt der Nutzung von Medien. Nach einer historischen Skizze, welche die relative Neuheit eines Verständnisses privater Kindheit unterstreicht, berichtet der Autor über sein Forschungsprojekt. Dessen Datenbasis bilden Gruppendiskussionen und Einzelinterviews. Hörgeschichten entpuppen sich durch diesen doppelten Zugriff einerseits als Praxis der Entlastung im Rahmen des Einschlafens, welches in der mittleren Kindheit nicht mehr so stark von den Eltern begleitet wird wie im Kleinkindalter. Ferner dienen die Hörgeschichten zum 'Runterkommen' nach der Schule. Andererseits stellen sie die Zielscheibe einer Stigmatisierung des öffentlich bekundeten Hörens von bestimmten Geschichtengenres dar. Diese werden als dem schon erreichten Alter nicht mehr angemessen abgewertet, und damit der Hörer oder die Hörerin ebenfalls. Zusammengebracht bedeutet dies, dass Hörgeschichten einerseits private Kontinuität sichern, andererseits man sich öffentlich, in kindspezifischen Öffentlichkeiten allemal, unter Umständen vehement davon distanziert. Eine noch selten bedachte Facette der Mediatisierung von Familie und Kindheit besteht darin, wie Helen Knauf in ihrem Beitrag Soziale Netzwerke als Instrument der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit Familien in Kindertageseinrichtungen unter Bezug auf deutsche und amerikanische Daten darlegt, dass Kindertagesstätten den Austausch mit Eltern über die unmittelbare Face-to-Face-Situation bei Elternabenden hinaus durch den Einbezug sozialer Medien wie Facebook und Twitter ergänzen. Diese Überlegung resultiert aus den in der Literatur breit abgehandelten Barrieren der Kooperation zwischen Fachkräften und Eltern, die in der unterschiedlichen Auffassung von Kooperationsformat und Kooperationsinhalt sowie in dem ohnehin schon dicht getakteten Alltag der Familien gesehen werden. Ins Visier der empirischen Erhebung nahm die Autorin dabei ausgewählte Posts der Einrichtungen und unterzog sie einer inhaltsanalytischen Auswertung. Drei Hauptfunktionen schälten sich heraus: Dokumentieren, Informieren und Verbinden, jeweils noch differenziert in Unterkategorien. Im Vordergrund steht dabei, im Unterschied zu anderen Organisationen, das Dokumentieren als Vehikel der Demonstration von Transparenz, vor allem über den Tagesablauf der Kinder.Zudem ergeben sich nach Ansicht der Autorin neue Möglichkeiten der neutralen Bildungsdokumentation. Die Erschütterung der ontologischen Gewissheiten im Sinne der selbstverständlich unterstellten Ko-Präsenz als Grundlage des Familienlebens ist eine weitere mögliche Konsequenz der Mediatisierung, wie Heike Greschkes Artikel "Mama, bist Du da?" Zum prekären Status von Anwesenheit in mediatisierten familialen Lebenswelten zeigt. So wird das Familienleben im Normalfall, unter stationären Bedingungen, von Medien mitgestaltet und durchdrungen. Im Falle multilokaler und transnationaler Familien haben sie aber einen ungleich höheren Stellenwert. Sie können als ein Katalysator und Stifter sozialer Kontakte der Familienmitglieder untereinander gelten und eventuell in bestimmten Fällen als erleichternder oder gar ausschlaggebender Impuls, 'zerstreute' Formen der Familie überhaupt einzugehen oder zu etablieren. Überdies liefert die Autorin Argumente dafür, Abschied zu nehmen von einer normativ-kulturpessimistischen Bevorzugung der leiblichen Kopräsenz als "besserer Form der Interaktion" und sich zu öffnen für die Hybridkonstellationen von leiblich und medial vermittelten Formen von Präsenz. Typisch für die späte Moderne sind dann Grade von Anwesenheit, die in differenzierter Art und Weise von Medien mitreguliert werden und die in neuer Form immer wieder auszuhandeln sind. Ebenfalls eine mehrkulturelle Note weist der Beitrag von Ilka Goetz, Habib Güneşli und Gudrun Marci-Boehncke auf, überschrieben mit Migration und Gender: Medienaneignung in der frühen Bildung in intersektionaler Perspektive. Auseinandersetzungen mit der Bildungsgerechtigkeit sind im Feld des Medienzugangs und der Medienrezeption heute in theoretisch anspruchsvoller Weise bevorzugt als intersektionale Analyse zu betreiben: Es geht den Autorinnen und dem Autor konkret um das Zusammenwirken der Faktoren Soziales Milieu, Kultureller Hintergrund und Geschlecht in einem ersten Zugriff auf Daten zur Benachteiligung im Bildungssystem, danach in einer Darstellung eines eigenen, interventionsorientierten Forschungsprojektes. Hier zeigen sich markante Unterschiede der Einschätzung eines Medienkompetenzzuwachses entlang der Beurteilungsposition Eltern versus Erzieherinnen, der erst dann deutlich wird, wenn der kulturelle Hintergrund und das Geschlecht des Zielkindes betrachtet werden. Daraus ergeben sich Notwendigkeiten der unterschiedssensiblen medienpädagogischen Arbeit in Kitas. Für einen engeren Dialog mit der neuen Kindheitssoziologie plädiert Andreas Lange im abschließenden Aufsatz Glück und Medien in der spätmodernen Kindheit. Dort hat sich in jüngerer Zeit vor allem die Auseinandersetzung mit den Bedingungen des kindlichen Wohlbefindens, kindlicher Lebensqualität und kindlichen Glücks als ein Schwerpunkt der Forschung und der praktischen Umsetzung etabliert. Überträgt man dieses Ansinnen der Dechiffrierung der Bedingungen des Kinderglücks auf die Medien, öffnen sich interessante neue Perspektiven auf Fragen der Medienwissenschaft und der Medienpädagogik. Wirkung und soziale Praxis beachten Die Zusammenschau der Artikel erlaubt einige übergreifende Trends zu identifizieren und Aufgaben für die Forschung und praktische Arbeit zu formulieren. Hervorgehoben werden soll an erster Stelle, dass die Artikel nicht alleine für den medienpädagogischen und medienwissenschaftlichen Diskurs neue Einsichten bergen, sondern vor Augen führen, dass wir Zeugen der Umstellung basaler Formen von Sozialität in der späten Moderne werden. Medien und Medienartefakte fädeln sich in den Strom der alltäglichen Praktiken in Familie, Schule, Kita und öffentlichen Settings ein und weben gemeinsam mit den menschlichen Akteurinnen und Akteuren ein dichtes, gleichwohl sich permanent veränderndes Netz der graduellen Kopräsenz und Konnektivität. Übergreifende Herausforderungen an den Umgang damit sind darin zu sehen, dass an den elterlichen Haushalt oder andere 'stationäre' Settings gebundene Mediennutzungsmodi ergänzt werden durch solche, die im öffentlichen Raum, abseits von Familie und Bildungsinstitutionen, genutzt werden können und damit einem autonomen Gebrauch durch die Kinder in die Hände spielen. Auf einer forschungsstrategischen Ebene kristallisiert sich bei der Lektüre die Botschaft heraus, dass die komplexe Medienwelt und die subtilen Aneignungspraktiken sich nur angemessen in einer interdisziplinären und multimethodischen Allianz verstehen und erklären lassen. Hierbei sollte das gesamte Spektrum an Methoden, insbesondere auch non-verbaler Datenerhebungen, ausgeschöpft werden. Ein zweiter Punkt, der hier genannt werden soll, nimmt die Vielfalt der Medien, die damit verbundenen zahllosen situations- und bedürfnisspezifischen Funktionen, die diese zu erfüllen versprechen und dies zum Teil auch tun sowie ihre Präsenz in unterschiedlichsten Nutzungssettings in den Blick. Damit verbunden sind nicht nur Fragen nach der immanenten Mediatisierung des familiären Alltags, sondern auch die Forderung nach einer Methodenvielfalt, um die Bedeutung dieser Mediatisierung zu erforschen und sie dadurch in ihren verschiedenen Facetten zu verstehen. Es genügt nicht, einen klassischen Survey zu Nutzung und Umgang durchzuführen. Ein solcher kann nur einen ersten Anhaltspunkt für tiefergehende Fragen nach Motiven und Gründen geben, hat damit aber in jedem Fall seine Berechtigung. Ergänzt werden muss so ein quantitativer Überblick durch weitere Methoden und interdisziplinäre Kooperationen entsprechend der Fragen, die es zu beantworten gilt. Auch wenn die Medienpädagogik im ersten Moment vielleicht wenig Anknüpfungspunkte mit der Medieninformatik aufweist, so sind die Erkenntnisse aus medieninformatischen Gebrauchsstudien doch hilfreich und notwendig, wenn es darum geht, einerseits Medien und Medienangebote in Kinderhänden kritisch einzuschätzen und das Medienverhalten von Kindern zu verstehen. Andererseits können basierend auf diesen Erkenntnissen gekoppelt mit Ergebnissen aus eigenen medienpädagogischen Untersuchungen Forderungen zur Weiterentwicklung medialer Produkte formuliert werden, die sich an altersentsprechenden Fähigkeiten und Herangehensweisen orientieren und somit die kindliche Aneignung im Hinblick auf einen souveränen Medienumgang unterstützen können. Einen ganz anderen Weg als die Usability-Forschung verfolgen Studien, die einem ethnografischen Vorgehen folgen und deren Ziel es ist, Medienaneignung eingebettet in den je individuellen Kontext zu erfassen. Diese Beispiele – und das zeigen auch die Beiträge in diesem Heft – machen den Wert deutlich, den eine Methodenvielfalt sowie ein interdisziplinärer Austausch haben, wenn es um das Verstehen und die Unterstützung der kindlichen Medienaneignung geht.Eine Frage, der bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, die aber in künftigen Forschungen zur Medienaneignung jüngerer Kinder mit berücksichtigt werden muss, ist die Bedeutung von zeitdiskreten und zeitkontinuierlichen Medien, die in unterschiedlicher Weise Zuwendung fordern und Aufmerksamkeit binden. Die Rezeption des zeitdiskreten Mediums Buch verlangt keine durchgängige Aufmerksamkeit. Die Zuwendung zum Text und – beispielsweise bei einem Bilderbuch – zu den Bildern kann jederzeit unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden, ohne dass die Leserin oder der Leser etwas vom Inhalt verpasst oder sich dieser ändert. In der Zeit der Unterbrechung kann die Aufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet werden. So können Vater oder Mutter während der gemeinsamen Rezeption von Eltern und Kind jederzeit auf das Kind eingehen, sie können Fragen beantworten, auf emotionale Äußerungen des Kindes reagieren oder die Rezeption unterbrechen, weil das Kind müde und nicht mehr aufnahmefähig ist, also die Reaktionen des Kindes interpretieren. Die Rezeption des Buches kann zu einem beliebigen Zeitpunkt wieder aufgenommen werden. Eine App dagegen ist ein zeitkontinuierliches Medium. Durch verschiedene fortlaufende und aufeinander aufbauende Reize wie Videos, Audios, animierte Szenen und Geschichten, in eine Geschichte integrierte Rätsel und Aufgaben, die zur Interaktion anregen, bindet es die Aufmerksamkeit der Rezipierenden stärker. Es ist schwieriger, während der Rezeption die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten als auf das mediale Angebot. Auch eine Unterbrechung fällt schwerer, weil es oft nicht möglich ist, dort weiterzumachen, wo aufgehört wurde. Schon jetzt spielen Apps bei jüngeren Kindern eine wichtige Rolle. Daran schließt sich die Frage an, was diese medienimmanenten Merkmale aber für die Aneignung von Medieninhalten gerade jüngerer Kinder bedeuten? Ein letzter Komplex von Herausforderungen, der hier aufgegriffen werden soll, zentriert sich um Begriffe wie Absorption, Immersion; jüngst ist auch die Rede von 'POPC' , also vom Trend "permanent online und permanent connected" zu sein, was eine neue Form der Lebensführung konstituiert (Vorderer 2015). Hier stellt sich beispielsweise die Frage, was es für die Bewältigung sozialer Situationen sowie interpersonelle Kommunikation und Beziehung, insbesondere zwischen Eltern und Kindern bedeutet, wenn diese sich kaum mehr aus ihren Spiel- und Kommunikationswelten lösen können und diese aufgrund von Aufgaben, die in einem bestimmten Zeitraum erledigt werden müssen, der Notwendigkeit, jederzeit auf Nachrichten von Freunden reagieren zu müssen, eine übermächtige Bedeutung im Alltag erhalten. Zusammengefasst sind die Artikel als eine erste, sicherlich sehr selektive Zwischenbilanz der Umbrüche des Aufwachsens im ersten Lebensjahrzehnt in Zeiten der Mediatisierung zu verstehen, die begleitet sind von Umwälzungen der Formen des Zusammenlebens und der Formen der institutionalisierten Betreuung und Bildung. Sie präsentieren wichtige Einblicke in dieses Feld, verweisen aber gleichzeitig auf einen immensen Forschungs- und Theoriebildungsbedarf, der letztlich auch der Steigerung der Lebensqualität der Heranwachsenden dienen soll.Literatur Tomasello, Michael (2010). Warum wir kooperieren. Frankfurt: Suhrkamp.Vorderer, Peter (2015). Der mediatisierte Lebenswandel. Permanently online, permanently connected. Publizistik, 60 (3), S. 259-276.
Politische Entscheidungsträger stehen heute vor der Herausforderung, dem Klimawandel zu begegnen, ohne das Entwicklungspotential von Entwicklungsländern einzuschränken. In diesem Zusammenhang trägt diese Arbeit zur Beantwortung der Frage bei, ob Entwicklung ohne höheren CO2-Ausstoß möglich ist. Untersucht werden insbesondere die Emissionen von Haushalten und die mögliche Verbreitung erneuerbarer Energien in Entwicklungsländern. Diese Arbeit geht in vier Punkten über die bisherige Literatur hinaus. Erstens untersucht sie aus der Perspektive eines Entwicklungslandes die CO2-Emissionen von Haushalten und analysiert den Einfluss steigender Einkommen auf Emissionen, unter Berücksichtigung sozio-demografischer Eigenschaften der Haushalte. Zweitens betrachtet sie andere relevante Faktoren wie CO2-und Energieintensität, die steigende Emissionen beeinflussen könnten. Drittens untersucht sie, wie ungleich die Emissionen der Haushalte verteilt sind. Aus der Ungleichheit von Emissionen ergeben sich direkte Konsequenzen für die Reduzierung der CO2-Emissionen von Haushalten. Zuletzt wird die Möglichkeit der Verbreitung verschiedener erneuerbarer Energien in Entwicklungsländern erforscht. Erneuerbare Energien scheinen eine Handlungsoption zur Reduzierung von CO2-Emissionen darzustellen. Sie können helfen, Wachstum in Entwicklungsländern zu fördern, ohne die bereits besorgniserregend hohe Konzentration von klimaschädlichen Gasen in der Atmosphäre weiter zu verschlimmern. Der erste Teil der Dissertation untersucht, wie CO2-intensiv der Lebensstil philippinischer Haushalte ist und analysiert Möglichkeiten, Emissionen und Wohlstand von Haushalten zu entkoppeln. Wir schätzen die CO2-Emissionen der Haushalte, die durch den Konsum verschiedener Güter und Dienstleistungen verursacht werden, indem wir eine Input-Output-Analyse mit den Ausgaben der Haushalte in den Jahren 2000 und 2006 kombinieren. Auf Basis der Schätzung sind die Ausgaben der Haushalte, die im Zusammenhang mit Kraftstoffen, Licht und Transport stehen, die CO2-intensivsten, während diejenigen für kurzlebige Güter am wenigsten CO2-intensiv sind. Die zentralen Ergebnisse sind, dass während sozio-demografische Eigenschaften der Haushalte wichtig für die Erklärung der Höhe von Emissionen sind, keine konkreten Anzeichen für eine Entkopplung von CO2-Emissionen und Wohlstand gefunden wurden. Wenn sich das Konsumverhalten nicht ändert, werden philippinische Haushalte bei steigendem Wohlstand wahrscheinlich einen Lebensstil führen, der mit höherem CO2-Ausstoß einhergeht. Der zweite Teil schlüsselt die Veränderung der Emissionen durch Haushalte auf und untersucht andere relevante Einflussfaktoren wie CO2-Intensität und Energieintensität. Während der erste Teil die starke Korrelation zwischen Emissionen und Einkommen herausarbeitet, wird durch die Aufschlüsselung deutlich, dass diese Korrelation nicht gleichverteilt zwischen allen Haushalten ist. Der Einkommenseffekt ist in ärmeren Haushalten ausgeprägter, während der Effekt der Energieintensität in reicheren Haushalten überwiegt. Dies deutet darauf hin, dass die Energieintensität ein Ansatzpunkt dafür sein kann, Emissionen von Haushalten zu reduzieren. Insbesondere kann der Einsatz energieeffizienter Haushaltsgeräte gefördert werden, ebenso wie kraftstoffsparende Fahrzeuge oder der Zugang zu öffentlichen Transportmitteln. Um die CO2-Emissionen von Haushalten zu reduzieren, muss untersucht werden, wie sich die Emissionen auf die Haushalte verteilen. Jede politische Maßnahme zur Linderung des Klimawandels, die die Reduktion von Emissionen beinhaltet, hat einen direkteren Einfluss in gleicheren Gesellschaften, als in Ungleicheren. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Emissionen sehr ungleich zwischen den Haushalten verteilt sind, dass diese Ungleichheit zunimmt und sich ein großer Anteil der Emissionsungleichheit durch energieintensiven Konsum von Kraftstoffen, Licht und Transport erklärt. Dies legt nahe, dass politische Entscheidungsträger sich auf energieintensiven Konsum fokussieren sollten, um die Ungleichheit von Emissionen zu reduzieren. Die ersten drei Teile der Arbeit stellen heraus, dass ein großer Anteil der CO2-Emissionen der Haushalte durch energieintensiven Konsum verursacht wird. Dies deutet auf die Notwendigkeit hin, auf emissionsneutrale Energiequellen wie erneuerbare Energien umzusteigen um den Lebensstil der Haushalte zu erhalten oder zu verbessern ohne die globalen Emissionen weiter ansteigen zu lassen. Daher wird im vierten Teil die potentielle Ausbreitung verschiedener erneuerbarer Energiequellen in Entwicklungsländern modelliert und ihre Bestimmungsfaktoren untersucht. Wir konzentrieren uns auf die Diversifikation, da die meisten erneuerbaren Energien wetterabhängig und dadurch nicht planbar sind, eine Diversifikation aber eine stabile und verlässliche Energieversorgung ermöglicht. Die Ergebnisse zeigen einen robusten nichtlinearen Effekt von Einkommen auf Diversifikation, der sich als grafisch als U-förmige Beziehung zeigt, so dass wir eine weitere Diversifikation erneuerbarer Energiequellen bei steigenden Einkommen in Entwicklungsländern erwarten. Darüber hinaus können technologisch fortschrittlichere Entwicklungsländer, Entwicklungsländer mit ausgebildeten Fachkräften, entwickelten Finanzmärkten, guter Regierungsführung und hohem Rohstoffvorkommen den Einsatz erneuerbarer Energien diversifizieren ohne auf ausländische Direktinvestitionen und Entwicklungshilfe angewiesen zu sein. Wir dokumentieren ferner, dass sich die Diversifizierung erneuerbarer Energiequellen seit Einführung des Kyoto-Protokolls Ende 1997 weiter verbreitet hat. Auf Grundlage der obigen Erkenntnisse können die folgenden Politikempfehlungen abgeleitet werden. Auf Seiten der Haushalte: Es ist unwahrscheinlich, dass Haushalte bei steigendem Wohlstand einen Lebensstil führen werden, der mit geringem CO2-Ausstoß einhergeht. Den Konsum der Haushalte zu beschränken ist jedoch schwierig und umstritten. Güter, durch die ein hoher CO2-Ausstoß verursacht wird, können besteuert werden um die Emissionen von Haushalten einzuschränken. Allerdings sollten politische Entscheidungsträger dabei Vorsicht walten lassen, um nicht die Bemühungen der Armutsbekämpfung zu gefährden, da auf den Philippinen ein Viertel der Bevölkerung als arm anzusehen ist. Es gibt verschiedene andere Optionen, die CO2-Emissionen der Haushalte zu drosseln. Dazu zählt die Verbesserung der Produktionseffizienz und die Veränderung des Konsumverhaltens hin zu einem weniger CO2-intensiven Lebensstil. Wichtig sind dabei insbesondere Verbesserungen beim Zugang zu öffentlichem Verkehrsmitteln, sowie zu energieeffizienteren Beleuchtungs- und Kühltechnologien. Ferner ist es ein wichtiger Politikansatz, den Einsatz erneuerbarer Energiequellen auszuweiten und erneuerbare Energie in den Energiemix von Entwicklungsländern einzugliedern, um wirtschaftliches Wachstum von Emissionen zu entkoppeln. ; Today's policy makers are facing the challenge of mitigating climate change without limiting the growth potentials of developing countries. In this vein, this study offers a step towards answering the question is de-carbonized development possible. Particularly, we investigate household emissions and the potential diffusion of renewable energy in developing countries. This study contributes to the literature in four main points. First, it investigates household carbon emissions from a developing country's perspective and analyzes the influence of rising income on emissions while controlling for households socio-demographic characteristics. Second, it explores other relevant factors such as carbon intensity and energy intensity that could influence rising emissions. Third, it examines how unequal the households are in their emissions. Emission inequality has direct implications towards reducing household carbon emissions. Lastly, this study investigates the potential diffusion of various sources of renewable energy in developing countries. Renewable energy appears to be a feasible approach in reducing carbon emissions. It can help fuel growth in developing countries without further aggravating the alarming concentration of green house gas emissions accumulated in the atmosphere. The first essay aims to answer the question, how carbon intensive is the lifestyle of Philippine households and investigates the possibility of delinking affluence and household emissions. We estimate household carbon emissions embodied in various consumptions of goods and services by combining input-output analysis with household expenditure for 2000 and 2006. Based on the estimation, expenditures related to fuel, light and transportation are the most carbon intensive goods consumed by households while nondurable goods are the least carbon intensive. Key results show that while households' socio-demographic characteristics matter in explaining emissions, we found no concrete evidence on delinking household affluence and emissions. Unless consumption patterns changes, it is likely that Philippines households will lead a carbon intensive lifestyle, as households get richer. The second essay decomposes the changes in household emissions and investigates other relevant factors such as carbon intensity and energy intensity that could influence household emissions. While the first paper points out the strong correlation between emissions and income, decomposing the change in emission shows that this correlation varies across household distributions. The income effect is more pronounced among poor households while the energy intensity effect is more pronounced among rich households. This suggests that improving energy intensity can be a feasible option in reducing household emissions, in particular, promoting the use of energy efficient household appliances, and use of fuel-efficient cars or access to improved public transportation. If aiming to reduce household carbon emissions, then it is necessary to examine how unequal the households are in their emission levels. Any climate mitigation policies aimed at reducing emissions has a more pronounced effect in a more equal society than in an unequal one. Results show that there is a high and rising emission inequality among households and a bigger portion of the emission inequality is explained by energy intensive household consumption such as fuel, light and transportation. This suggests that for targeting purposes policy makers should focus on these energy intensive consumptions if aiming to control household emission inequality. The first three essays highlight that a large share of the total household carbon emissions is due to energy intensive consumption. This suggests that shifting of energy sources to emission-neutral sources such as renewable energy is crucial in maintaining or improving household lifestyle without contributing to further increases in global emissions. Hence, for the fourth essay we model the potential diffusion of various sources of renewable energy in developing countries and investigate its determinants. We focus on diversification because most renewable energy rely on the weather as its main source and these sources are unpredictable but diversification can allow for a steady and reliable supply of energy. Results show a robust nonlinear effect of income on diversification depicting a U-shape kind of relationship. In addition, without relying on foreign direct investments and development assistance, we find that developing countries with technological advances, skilled human capital, developed financial markets, sound governance and greater renewable energy potential can move to diversification of renewable energy sources. We also document a wider diversification of renewable energy sources since the adoption of Kyoto Protocol in the late 1997. Based on the evidence presented above the following policy implications can be drawn. On the household side, while it is unlikely that households will lead a low carbon lifestyle as they become more affluent and imposing restrictions on what households can consume is difficult and controversial, taxing carbon intensive goods can be an option if aiming to control household emissions. However by doing this, policy makers should be cautious not to jeopardize the efforts in reducing poverty in the Philippines where a quarter of its population lives below poverty line. Several other options are also possible in curbing household carbon emissions. These include improving production efficiency and changing consumption patterns to less carbon-intensive lifestyles and in particular, improvements in access to efficient public transport, to energy efficient lighting and cooling technologies. In addition, increasing use of renewable energy sources and integrating renewable energy in developing countries' energy mix is an important policy agenda to help decouple economic growth with emissions.
Aus der Einleitung: Mein Praxissemester leistete ich bei der Organisation 'Vida Nueva' in San Isidro de El General im Süden Costa Ricas. Der Verein 'Vida Nueva' ist eine NGO, die sich zur Aufgabe gestellt hat, in der Region von Pèrez Zeledón, mit den sozial schwächsten Bevölkerungsgruppen ökonomische, kulturelle und soziale Projekte zu organisieren. Die zwei Einsatzgebiete umfassen zum einen die Hilfestellung für sozial gefährdete Kinder und Jugendliche in den marginalen Stadtaußenvierteln, zum anderen die Beratung und Begleitung von Frauen, die mit dem Problem von Gewalt in der Familie konfrontiert werden. Durch mein Praxissemester, meine Erlebnisse in der Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika, entwickelte ich ein großes Interesse an der dortigen Sozialen Arbeit. Durch weitere Reisen und Kontakte zu Hilfsorganisationen konnte ich vor Ort meine Erfahrungen ausbauen. Bereits vor Beginn meines Studiums der Sozialen Arbeit absolvierte ich ein Praktikum in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, was mich schlussendlich davon überzeugte, Soziale Arbeit zu studieren. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen begleitete mich also sowohl vor, als auch während des Studiums, so dass ich mich dazu entschlossen habe, meine Bachelorarbeit diesem Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit zu widmen: der Kinder- und Jugendarbeit. Kinder und Jugendliche sind weltweit unterschiedlichsten Sozialisationsinstanzen ausgesetzt und gehören den verschiedensten Kulturen an. Und doch ist ihnen allen etwas gemeinsam: den Wunsch sich frei und selbstbestimmt entwickeln und leben zu dürfen und die Befriedigung ihrer biologischen, biopsychischen und biopsychosozialen Bedürfnisse, der universalen Grundbedürfnisse. Diese Befriedigung kann aufgrund der Kultur und der, die Kinder und Jugendlichen umgebenen familiären und regionalen Bedingungen, der sie umgebenden Lebenswelten, unterschiedlich aussehen, doch jeder Mensch strebt ein für sich tragbares und für ihn sinngebendes Leben an. Und jeder Mensch besitzt Kräfte zur Selbstverwirklichung, die er einsetzen kann. Besonders Kinder und Jugendliche sind in sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern oftmals Lebensbedingungen ausgesetzt, die sie daran hindern, Kräfte zur Selbstverwirklichung einzusetzen und ihre körperlichen, geistigen und seelischen Bedürfnisse dahingehend zu befriedigen, dass sie sich frei entwickeln und nach ihren Vorstellungen ein unbeschwertes Leben mit glücklichen Momenten führen können. Dies hat verschiedene Ursachen; es kann an unzureichenden Wohnverhältnissen liegen, an mangelnder Hygiene, Hunger, Armut, Krieg oder aber auch an fehlenden Möglichkeiten Bildung und Gesundheit zu erlangen. Hierzu gehört auch die Tatsache, dass viele Kinder und Jugendliche weltweit von ausbeuterischer Kinderarbeit betroffen, oder darauf angewiesen sind zu arbeiten, was aus Sicht der meisten Organisationen und Menschen aus Industrienationen negativ bewertet wird. Kinderarbeit ist ein kontroverses globales Thema voller Emotionen, was, wie bereits erwähnt, besonders von Industrienationen stark kritisiert und denunziert wird. Auch in unserer deutschen Gesellschaft ist der Begriff 'KINDERARBEIT' stark negativ belegt und wird unmittelbar mit negativen Assoziationen in Verbindung gebracht. Ich möchte in dieser Bachelorarbeit anhand von arbeitenden Kindern und Jugendlichen in Bolivien aufzeigen, dass Arbeit für diese auch positive Wirkungen und viele Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten bieten kann. Meine These lautet demnach, ob Kinderarbeit, am Beispiel von Bolivien, eine Notwendigkeit und Chance sein kann. Vorab werden im ersten Teil der Bachelorarbeit in der Begriffsklärung verschiedene Grundlagen zum Thema Kinderarbeit dargestellt und erläutert. Im Anschluss werde ich den Protagonismus der Kinder und die menschlichen Bedürfnisse nach Obrecht aufzeigen. Außerdem werde ich in Kapitel 4 konkret die Situation von arbeitenden Kindern und Jugendlichen in Lateinamerika, am Beispiel von Bolivien, beschreiben. Wie sieht Kinderarbeit in Lateinamerika, speziell in Bolivien, aus? Wie sollte sie aussehen, um menschenwürdig zu sein? Auch die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Bolivien, wie auch das Gesundheits- und Bildungssystem werden angesprochen. Ich werde in der vorliegenden Arbeit, verstärkt in Kapitel 5, aufzeigen, dass die heutige Kinderarbeit ein breites Spektrum von Formen umfasst, die von selbstbestimmten Tätigkeiten, die von den Kindern aus eigenem Willen und unter menschenwürdigen Bedingungen ausgeübt werden, bis hin zu extrem ausgebeuteten Arbeiten, die die Würde der Kinder verletzen und ihre persönliche Entwicklung gefährden, reicht. Je nachdem, welche Kriterien für Dauer, Häufigkeit und Ort der Tätigkeit herangezogen werden, unterscheiden sich Daten und Einschätzungen zur Verbreitung der Kinderarbeit weltweit. NGO´s, die sich weltweit mit den Rechten von Kindern und dem Phänomen Kinderarbeit beschäftigen, verstärkt gegen Kinderarbeit kämpfen und einen großen Einfluss ausüben, wie UNICEF und ILO, orientieren ihren Begriff der Kinderarbeit an Erwerbsverhältnissen erwachsener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, was der besonderen Situation von Kindern als Arbeitende nicht gerecht wird. Wie setzen sich diese weltweitvertretenen NGO´s auf welche Weise für, beziehungsweise gegen Kinderarbeit ein? Ist deren Vorgehen sinnvoll? Hinzu kommt: Welche gesellschaftliche Verantwortung besitzen die Politik und wirtschaftliche Unternehmen? Darauf werde ich gesondert in Kapitel 6 eingehen. Auch Soziale Arbeit findet, genau wie Kinderarbeit, weltweit unter den unterschiedlichsten Rahmenbedingungen statt und hat nach Wolf Rainer Wendt zum Ziel, die Lebensverhältnisse von notleidenden Menschen in einer Gesellschaft zu verbessern. Sozialarbeiterinnen sollen für gerechte soziale Verhältnisse sorgen und den Menschen Entfaltungsmöglichkeiten bieten, während sie Hilfe zur Selbsthilfe geben. Das gestaltet sich je nach kulturellen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen unterschiedlich. Soziale Arbeit ist demnach eine Menschenrechtsprofession, die sich den unterschiedlichsten Verhältnissen anpassen und dementsprechend im Sinne des hilfebedürftigen Menschen handeln muss. Gerade in der Entwicklungszusammenarbeit spielt die interkulturelle und kultursensible Soziale Arbeit eine herausragende Rolle. In Kapitel 7 wird die Herausforderung und Aufgabe der Sozialen Arbeit im Kampf GEGEN ausbeuterische Kinderarbeit und FÜR menschenwürdige Kinderarbeit dargestellt. Ein zentrales wichtiges Thema hierbei ist die Aufgabe und Verantwortung der Sozialen Arbeit in Bolivien mit arbeitenden Kindern und Jugendlichen. Wie agieren Sozialarbeiterinnen in der Entwicklungszusammenarbeit und als Fachkraft vor Ort? Welche Herausforderungen erwarten diese? Durch die Globalisierung sind viele Länder von einer Multikulturalität betroffen. Dies stellt völlig neue Anforderungen an Sozialarbeiterinnen im Bereich der kultursensiblen Arbeit. Wie kann Soziale Arbeit aussehen und stattfinden ohne unter einer ethnozentrischen und westlichen Blickweise zu stehen und Kinderarbeit vorab pauschal negativ zu bewerten? Mein Ziel ist es, mit dieser Arbeit am Beispiel von Bolivien zu zeigen, dass Kinderarbeit auch sinnvoll und sogar lebensnotwendig sein kann und welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um die Arbeit, die Kinder verrichten, als positiv bewerten zu können. Denn Kindheit und Arbeit schließen sich nicht grundsätzlich aus. Weiterhin möchte ich aufzeigen, welche Rolle die Soziale Arbeit und Organisationen weltweit, am Beispiel von Bolivien und global betrachtet, innehaben, um die Rechte der arbeitenden Kinder zu sichern und gegen die ausbeuterische Kinderarbeit vorzugehen. Meine Beispiele und Studien werden sich zwar hauptsächlich auf Bolivien, aufgrund mangelnden Datenmaterials jedoch zum Teil auch auf Lateinamerika beziehen. Im Anhang stelle ich vier Organisationen, bzw. Einrichtungen in Bolivien vor, die sich der Zielgruppe der arbeitenden und/oder auf der Straße lebenden Kinder angenommen haben.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.Einleitung1 2.Begriffsklärungen5 3.Protagonismus der Kinder8 3.1Kulturen der Kinderarbeit10 3.1.1Solidarische Ökonomie von Kindern13 3.1.2Die menschlichen Bedürfnisse nach Obrecht15 4.Zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Lateinamerika17 4.1Bolivien19 4.1.1Der wirtschaftliche und soziale Kontext21 4.1.2Bildung und Gesundheit22 5.Kinderarbeit und deren Ursachen24 5.1Kinderarbeit in Bolivien28 5.2Definitionen von ausbeuterischer Kinderarbeit30 5.2.1Mögliche Folgen von ausbeuterischer Kinderarbeit33 5.2.2Die gesellschaftliche Verantwortung von Wirtschaft und Politik34 5.2.3Subjektorientierte Zugänge zur Arbeit der Kinder36 5.2.4Kinderbewegungen37 5.2.5Kinderarbeit als Notwendigkeit und Chance42 6.Der globale Kampf gegen die ausbeuterische Kinderarbeit44 6.1Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO)45 6.2Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF)48 6.3Die Aufgabe und Verpflichtung der Sozialen Arbeit50 6.3.1International Federation of Social Work (IFSW)51 7.Soziale Arbeit in Bolivien53 7.1Zielgruppe54 7.2Die Herausforderung an die Sozialarbeiterinnen55 7.2.1Empowerment56 7.2.2Präventionsarbeit57 8.Arbeitende Kinder in Deutschland58 8.1PRONATS – eine deutsche Initiative -62 9.Fazit/Ausblick63 10.Anhang69 11."Alalay" – Un hogar para los niños de la calle. Projekt zur Resozialisierung von (arbeitenden) Straßenkindern71 11.1Zielgruppe und Zielsetzung73 11.2Methodik74 11.3Prozess in vier Abschnitten75 11.4Soziale Arbeit innerhalb des Projektes77 12.Das Projekt "Mi Tai" in Santa Cruz79 12.1Soziale Gruppenarbeit bei "Mi Tai"80 13.Das Projekt "Chicalle" in Cochabamba83 14.Die Organisation "Inti Wara Yassi"86 15.La Ciudad Potosí (Die Stadt Potosí)89 15.1Die Minenkinder89 16.Literaturverzeichnis93Textprobe:Textprobe: Kapitel 5, Kinderarbeit und deren Ursachen: Die westlichen Industrieländer begannen vor etwa 160 Jahren die Kinderarbeit zu verurteilen und als ein soziales Problem anzusehen. Von da an gab es keine arbeitenden Kinder mehr, sondern lediglich Kinderarbeit. Kinder wurden nicht als selbstbestimmt und fähig, für ihre Anliegen in der Gesellschaft einzustehen, angesehen; sie waren Opfer. Seit den 1980-er Jahren erhalten arbeitende Kinder wieder vermehrt Aufmerksamkeit seitens der Politik der einzelnen Länder und ebenso gesellschaftlichen Einfluss. Sie stehen auf verschiedene Weise für ihre Rechte ein, die ich im Kapitel 5.2.4 näher erläutern möchte. Kinderarbeit ist nur schwer statistisch zu erfassen, da die Dunkelziffer sehr hoch ist und viele Kinder, beispielsweise Mädchen die im Familienbetrieb oder in der Stadt in einem Haushalt angestellt sind und arbeiten, nicht erfasst werden. Es können fast ausschließlich legal beschäftige Kinder von der Statistik mitgezählt werden. Auch ist Kinderarbeit in manchen Ländern offiziell verboten, so auch in Bolivien, wird aber unter bestimmten Voraussetzungen geduldet. Heute ist der Begriff Kinderarbeit, den ich in Kapitel 5.2 definieren werde, von verschiedenen Organisationen klar festgelegt und abgegrenzt, wobei 'gute' und 'schlechte' Kinderarbeit unterschieden wird. Die Vorstellung und die Dauer des Kindseins variieren zwar je nach Kultur, geographischen Gegebenheiten, sozialer Schicht und Geschlecht, doch haben die Vereinten Nationen und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) Konventionen erlassen, was unter 'schlechter' Kinderarbeit verstanden werden soll, da diese sehr unterschiedliche Tätigkeiten umfassen kann, die unter Umständen auch ausbeuterisch und schädigend auf ein Kind einwirken können. Es gibt verschiedene Gründe, warum Familien gezwungen sind ihre Kinder arbeiten zu lassen, beziehungsweise die Kinder selbst sich dazu gezwungen sehen. Je nach gesellschaftlichen und geographischen Gegebenheiten reicht das Familieneinkommen nur durch Mithilfe der Kinder aus, wenn zusätzlich von staatlicher Seite keine Hilfe zu erwarten ist. In diesen Gesellschaften besitzen die Menschen oftmals eine ökonomisch-utilitaristische Einstellung zu ihren Kindern. Kinderarbeit kann, besonders in Lateinamerika, durchaus mit Armut in Verbindung gebracht werden. Diese Armut ist häufig verstärkt auf dem Land vorzufinden, wo sowohl Möglichkeiten der Bildung und Ausbildung fehlen, als auch die Infrastruktur erhebliche Mängel aufweist. Immer häufiger müssen bäuerliche Familien, die ihr Land traditionell anbauen, der industriellen Landwirtschaft weichen, da diese mehr Profit abwirft. Diese modernen und hochtechnologisierten Anbaumethoden sind mit notwendigen technischen und chemischen Hilfsmitteln verbunden, die viele Bauern nicht bezahlen können. Ihre Erzeugnisse sind ohne diese Hilfsmittel jedoch nicht konkurrenzfähig gegenüber denen der großen Plantagenbesitzer, so dass viele Kinder in der eigenen Familie hart mitarbeiten müssen. Oftmals müssen Väter auf dem Acker 'ersetzt' werden, da sie als zusätzliche Einnahme gezwungen sind auf den Feldern der großen Plantagen zu arbeiten. Kinder, die in Entwicklungsländern aufwachsen, können als Folge davon nicht oder nur unzureichend die Schule besuchen oder Freizeit genießen. Manche Familien verkaufen aufgrund einer solchen Situation ihr Land an Großgrundbesitzer und begeben sich in deren Abhängigkeit als Tagelöhner. Nur selten erhalten landlos gewordene Menschen eine Anstellung als niedrig entlohnter Landarbeiter mit Arbeitsvertrag. Die meisten werden Wander- oder Saisonarbeiter mit unregelmäßigen Einkünften. Beispiele hierfür sind Teeplantagen in Indien und Sri Lanka, Blumenplantagen in Westafrika und Baumwoll-, Orangen-, Kaffee-, Bananen-, oder Zuckerrohrplantagen in Lateinamerika. In Lateinamerika arbeiten sogenannte Clandestinos ohne Arbeitserlaubnis und ohne angestellt zu sein. Hierzu gehören auch Kinder, die keinerlei Rechte besitzen und für einen Hungerlohn ausgebeutet werden, aber trotz allem eine unabdingbare Hilfe für ihre Familien sind. Die Großgrundbesitzer wiederum können durch die billigen und flinken Kinderarbeitskräfte höheren Profit erhalten und die Möglichkeit, weiteres Land von ärmeren Kleinbauern zu kaufen. Auch die Städte wachsen in vielen Entwicklungsländern durch die steigende Zahl land- und arbeitsloser Familien, die auf dem Land keine Überlebensmöglichkeiten besitzen. Sie suchen Arbeitsstellen bei großen und modernen Betrieben in der Stadt, die von ausländischem Kapital kontrolliert werden; finden häufig jedoch lediglich eine Beschäftigung im informellen Sektor, der sich durch niedrige Verdienste, einfache Organisation und geringe Produktivität auszeichnet. Durch die auch hier niedrigen Löhne müssen Kinder durch Arbeit zum Unterhalt beitragen. Kinder helfen als Hausgemeinschaft in kleinen Unternehmen oder Fabriken mit, anstatt zur Schule zu gehen. Die so produzierten Billigprodukte setzen die ausländischen Konzerne in den Industriestaaten ab. Andere Familien arbeiten im Kunsthandwerk, in der Kleiderherstellung oder als Abfallsammler für die Recyclingindustrie. Kinder stellen in Werkstätten, Restaurants, Tankstellen und privaten Haushalten die billigen Arbeitskräfte. Die Arbeitsbedingungen sind teilweise katastrophal; die Kinder arbeiten bis zu 14 Stunden pro Tag und besitzen weder Anspruch auf Urlaub, noch eine Krankenversicherung. Verletzt sich ein Kind oder wird es krank, ist die Entlassung die häufigste Folge. Kinder, die keine Anstellung in einem solchen Betrieb finden, versuchen die Familie durch selbstständige Beschäftigungen zu unterstützen. Hierzu gehören Zeitungs- oder Süssigkeitenverkäufer, Schuhputzer oder Lastenträger, Boten, Aufpasser und Autowäscher. Kinder, die keine dieser Verdienstmöglichkeiten finden oder ausüben können, stehlen, betteln und sammeln Müll auf den Straßen der Großstadt oder sind zur Prostitution gezwungen. Es existieren Netzwerke und Absprachen unter den Kindern, wer zu welcher Uhrzeit an welchem Ort stehen darf. Statistisch gesehen gehen Jungen hauptsächlich Beschäftigungen außerhalb des Hauses nach, während Mädchen oftmals den Haushalt übernehmen. Dies hat zur Folge, dass viele Mädchen nicht bezahlt werden und in Statistiken, die Kinderarbeit betreffen, häufig durchfallen, also zur Dunkelziffer gehören. Auch fangen sie durchschnittlich mit jüngeren Jahren an zu arbeiten, als Jungen, da sie bereits von klein auf mit in den Haushalt einbezogen und eingeplant werden; das heißt sie genießen in der Regel noch weniger Schulausbildung als Jungen. Die Mädchen schaffen auf diese Weise den anderen Familienmitgliedern die Möglichkeiten den Tätigkeiten außerhalb des Hauses nachgehen zu können, was einer enormen Leistung gleichkommt. Denn sie erhalten je nach kultureller und gesellschaftlicher Region wenig bis keine Wertschätzung, werden oftmals sogar, ganz im Gegenteil, ignoriert. Landflucht, die Hoffnung auf Arbeit in den Städten, die oft zu Arbeitslosigkeit führt und das Fehlen staatlicher Sozialprogramme verwandeln viele Städte in Entwicklungsländern in Elendsgürtel. Soziale Hilfen oder Unterstützung vom Staat gibt es in vielen Ländern des Südens nicht, da das Budget für Soziales zu gering ist. In Kapitel 4.1.1 bin ich bereits darauf eingegangen, dass diese Länder bei Internationalen Banken und beim Internationalen Währungsfond (IFW) stark verschuldet sind, Zinsen oder Zinsenzinsen abbezahlen müssen und dadurch nicht oder nur schwer in der Lage sind Sozialleistungen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder Nahrungsmittelsubventionen zu leisten. Ausländische Konzerne und Unternehmen nutzen bzw. begünstigen diese Situation, da sie billige Exporte und Arbeitskräfte und Förderung von Direktinvestitionen verlangen, um hohe Profite zu erlangen. Diese Auflagen gehen zu Lasten der ärmeren Bevölkerung, allen voran den Menschen, die weder Arbeit noch eigenes Land besitzen. Dies sind übergeordnete und direkte Ursachen, sowie negative Formen und Aspekte von Kinderarbeit, die weltweit existieren und auftreten können. In den folgenden Kapiteln zeige ich die möglichen positiven Aspekte von Kinderarbeit und deren 'Folgen' auf, zu denen beispielsweise die Kinderbewegungen gehören, denn Arbeit kann für Kinder auch als eine Notwendigkeit und Chance gesehen werden, wie ich bereits in Kapitel 3 erläutert habe.
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Die stetig fortschreitende Urbanisierung ist eine der prägenden Entwicklungen unserer Zeit. Mit einer immer größeren Bevölkerung, die sich in Städten niederlässt, haben sich urbane Gebiete zu den Knotenpunkten unserer Gesellschaft entwickelt. Sie sind Treffpunkt für Innovationen, Wirtschaftswachstum und kulturellen Austausch.Doch mit dieser enormen Verdichtung der Bevölkerung in städtischen Ballungsräumen geht auch eine Reihe komplexer Herausforderungen einher. Städte stehen vor einem wachsenden Druck, die Bedürfnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen, aber auch gleichzeitig ökologische und soziale Nachhaltigkeit sicherzustellen (vgl. Etezadzadeh 2015, S. 1ff.).In diesem Kontext hat sich das Konzept der "Smart City" in den letzten Jahren als zukunftsweisender Ansatz erwiesen. Die Smart City stellt eine strategische Herangehensweise dar, die auf Technologie und Innovation setzt, um Städte intelligenter, nachhaltiger und lebenswerter zu gestalten. Der Kerngedanke besteht darin, städtische Ressourcen effizienter zu nutzen und gleichzeitig die Lebensqualität der Bürger*innen zu erhöhen (vgl. Etezadzadeh 2015, S. 7f.). Eine Smart City nutzt moderne Technologien, wie künstliche Intelligenz (KI) und Big Data-Analysen, um urbane Prozesse zu optimieren.Trotz des Potenzials zur Förderung einer nachhaltigen Stadtentwicklung gibt es jedoch auch einige Herausforderungen, mit denen sich die Städte konfrontiert sehen. Datenschutz und Privatsphäre sind wichtige Anliegen, insbesondere angesichts der Vielzahl von Daten, die in einer Smart City erfasst werden. Die Finanzierung solcher umfassenden städtischen Transformationen kann ebenfalls ein Hindernis darstellen. Des Weiteren stellt die Einbeziehung der Bürgerschaft eine komplexe Aufgabe dar.Die folgende Arbeit befasst sich mit dem Konzept Smart City und fragt nach den damit zusammenhängenden Chancen und Herausforderungen. Welche Chancen bietet das Konzept für eine nachhaltige Stadtentwicklung? Um ein vertieftes Verständnis für die Smart City als einen richtungsweisenden Ansatz zur Bewältigung der städtischen Herausforderungen im Hinblick auf eine nachhaltige Stadtentwicklung zu erlangen, wird die Stadt Freiburg im Breisgau herangezogen, die als ein Beispiel für eine intelligente und nachhaltige Stadtentwicklung und Stadtplanung steht.Warum Smart City?Mit dem Eintritt in das neue Jahrtausend hat sich eine bedeutende Entwicklung abgezeichnet: Das Zeitalter der Städte hat begonnen, und erstmalig in der Geschichte der Menschheit wohnt die Mehrheit der Weltbevölkerung in städtischen Gebieten. Dieser Wandel ist eng mit einem Anstieg der Weltbevölkerung verbunden. Im Jahr 1950 lebte weniger als ein Drittel der Weltbevölkerung in urbanen Gebieten. Seit 2007 ist dieser Anteil auf mehr als die Hälfte angestiegen. Laut Berechnungen der Vereinten Nationen werden bis zum Jahr 2050 voraussichtlich etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben (vgl. bpb 2017, o.S.).Mit dem Zuwachs der urbanen Bevölkerung rücken vermehrt Potenziale und Herausforderungen hinsichtlich der Städte im globalen Entwicklungsprozess in den Fokus, darunter die Bekämpfung von Armut, die Integration marginalisierter Gruppen, das Wirtschaftswachstum sowie die Verwirklichung von Klima- und Entwicklungszielen. Der anhaltende Trend zur Urbanisierung erfordert spezifisch angepasste und nachhaltige Ansätze für die Gestaltung von urbanen Siedlungen (vgl. Jaekel 2015, S. 2f.).Durch dieses Wachstum entstehen jedoch auch Risiken. Mit dem rapiden Anstieg der Bevölkerungszahlen geht eine Zunahme des motorisierten Verkehrs einher. Dies führt u.a. zur Verkehrsstauung und verstärkten Lärm- und Schadstoffemissionen. Gleichzeitig kommt es zur Verschmutzung von Böden und Gewässern und vermehrter Bebauung landwirtschaftlicher Flächen (vgl. Weiland 2018, o.S.).Außerdem weisen Städte einen erhöhten Bedarf an Ressourcen wie z.B. Wasser, Energie und Rohstoffe für Gewerbe, Haushalte und Verkehr auf. Städte tragen damit überproportional zur Nutzung vorhandener Ressourcen bei, zu steigenden CO2-Emissionen und gelten damit als ein Verursacher der globalen Klimaerwärmung (vgl. Weiland 2018, o.S.). Natürliche Lebensräume und die Artenvielfalt sind gefährdet, wodurch die Städte gleichzeitig ihre eigene Lebensgrundlage zerstören (vgl. Etezadzadeh 2015, S. 7). Dabei sind es insbesondere die Städte, die"das Potenzial [haben], durch ihre Dichte und Struktur klima- und ressourcenschonend zu wirtschaften und durch geeignete Maßnahmen den Schutz der lebendigen Umwelt zu fördern" (Etezadzadeh 2015, S. 5).Städte spielen demnach eine entscheidende Rolle im Kontext des ökologischen Fortschritts und des Klimaschutzes. Eine auf Umweltbewusstsein basierende Stadtentwicklung kann wesentlich zur nachhaltigen Nutzung von Ressourcen beitragen. Dabei stellt das Konzept der Smart City einen Ansatz dar, diese Schwierigkeiten anzugehen (vgl. LpB BW 2022, o.S.). Das Konzept Smart CityFür die genannten urbanen Herausforderungen im Hinblick auf die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte gibt es verschiedene Ansätze, Konzepte und Lösungsmodelle, welche unter dem Begriff "Smart City" firmieren. Grundsätzlich wird Smart City als ganzheitlicher Lösungsansatz gesehen, bei dem eine Vielzahl von Akteuren beteiligt sind. Dabei gibt es keine einheitliche Definition des Begriffs."Aus der Erkenntnis, dass den Herausforderungen einer Stadt mit einem umfassenden Ansatz begegnet werden muss, entstand die Idee der intelligenten Stadt" (Hadzik 2016, S. 10).Das Konzept der Smart City integriert verschiedene Bereiche des urbanen Lebens: die soziale und bauliche Infrastruktur, Verkehr, Mobilität, Energie, Nachhaltigkeit, Dienstleistungen, Politik, aber auch die generelle Stadtentwicklung und ihre Planung (vgl. Hadzik 2016, S. 10). Einen zentraler Bestandteil der Welt der Smart City stellt die Verwendung von digitaler Technologie dar. Hier sehen sich die Städte dem Anspruch gegenüber, digitale Instrumente adäquat einzusetzen und damit für effizientere und nachhaltigere Prozesse zu sorgen. Durch deren Einsatz sollen intelligente Lösungen für das urbane Leben geschaffen werden (vgl. Etezadzadeh 2015, S. 46f.). Zwar gibt es keine einheitliche Vorstellung davon, was "Smart City" ist und sein soll, jedoch ist"den meisten Ansätzen […] gemein, dass man unter 'Smart City' den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zum Zwecke einer integrierten Stadtentwicklung versteht" (Hoppe 2015, S. 5).Dadurch stellen Klimaschutz, die Steigerung der Lebensqualität für Bewohner*innen, wachsende Partizipation, Inklusion und Effizienz von Ressourcen übergeordnete Ziele dar, welche mithilfe dieser Technologien erreicht werden sollen (vgl. Hoppe 2015, S. 5). Vor diesem Hintergrund sollen "smarte" Lösungen die Antwort hinsichtlich einer Optimierung urbaner Prozesse sein (vgl. Libbe 2019, S. 2). Der Unterschied zwischen einer "normalen" Stadt und einer Smart City liegt demnach darin, dass eine Smart City durch Digitalisierung"effizienter, nachhaltiger und fortschrittlicher sein [soll]. Das kann die Infrastruktur betreffen, Gebäude, Mobilität, Dienstleistungen oder die Sicherheit" (LpB BW 2022, o.S.).Es hat sich gezeigt, dass der Smart City- Ansatz nicht als fertige Lösungsstrategie betrachtet werden und auch nicht als vollständig ausgearbeitetes Modell angesehen werden kann (vgl. Jaekel 2015, S. 31), sondern vielmehr als eine Reihe von Entwicklungsstrategien (vgl. LpB 2022, o.S.). Es lassen sich jedoch verschiedene Bausteine identifizieren.Bausteine einer Smart CityNach Steinbrecher, Salg und Starzetz (2018, S. 2) lassen sich sechs Bereiche der Smart City ausmachen: Smart Economy, Smart People, Smart Governance, Smart Mobility, Smart Environment, Smart Living.Smart Economy: Das Ziel der Smart Economy besteht darin, die umfangreichen Innovationsmöglichkeiten von Städten zu nutzen, um wirtschaftliche Herausforderungen und Veränderungen erfolgreich zu bewältigen. Hierbei sollen die reichhaltigen Daten- und Informationsressourcen von Städten eingesetzt werden, um bestehende Wirtschaftszweige zu stärken, z.B. durch die Optimierung von Produktions- oder Dienstleistungsprozessen. Gleichzeitig soll die Entstehung neuer Wirtschaftszweige gefördert werden, etwa durch die Entwicklung digitaler Angebote für Bürger*innen und Unternehmen.Smart People: Für die Umsetzung aller digitalen und "smarten" Anwendungen ist es erforderlich, dass die Bürger*innen und Unternehmen über digitale Fähigkeiten verfügen, um die vorhandenen Angebote nutzen oder sogar weiterentwickeln zu können. Der Bereich "Smart People" bezieht sich darauf, das Ziel zu verfolgen, die digitalen Kompetenzen der Menschen so zu fördern und auszubauen, dass die aktiv an der Gestaltung ihrer Stadt, der Wirtschaft und der Umwelt teilhaben und mitwirken können.Smart Governance: Smart Governance strebt danach, eine engere Verbindung zwischen Bürgern und Verwaltung herzustellen. Dieses Konzept zielt darauf ab, die Abläufe und Interaktionen innerhalb der Verwaltung zu optimieren und die Kommunikation zwischen der Verwaltung und den Bürgern zu verbessern. Dies erfordert nicht nur den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), sondern auch die Entwicklung neuer Methoden, um eine tiefere Beteiligung der Bürger zu ermöglichen und innovative Wege für digitale Bürgerbeteiligung zu schaffen.Smart Mobility: Der Transportsektor trägt maßgeblich zum Energieverbrauch und den Emissionen von Treibhausgasen bei. Außerdem sind andere Umweltauswirkungen wie Lärm und Luftverschmutzung stark mit dem Verkehr verknüpft. Eine effiziente Mobilitätsstrategie zielt darauf ab, die negativen Auswirkungen des Verkehrssektors zu reduzieren, während sie den hohen Mobilitätsanforderungen der modernen Gesellschaft gerecht wird. Smart Mobility strebt an, Lösungen zu entwickeln, die von IKT unterstützt werden und die Umweltbelastung und Lärmbelästigung signifikant verringern. Dies beinhaltet die Weiterentwicklung bewährter Transportkonzepte, wie autonome und emissionsfreie Verkehrslösungen, sowie die Optimierung des Verkehrsflusses durch Echtzeit-Verkehrsleitsysteme. Darüber hinaus kann auch die Integration alternativer Mobilitäts- und Stadtplanungskonzepte, wie z.B. die Förderung einer "Stadt der kurzen Wege", die idealerweise ohne motorisierten Verkehr auskommt, Teil einer Smart Mobility-Strategie sein.Smart Environment: Im Bereich des Smart Environment lassen sich intelligente Ansätze zur Verringerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs verorten. Dazu gehört u.a. die Verbesserung der Überwachung und Steuerung von Umweltbedingungen, beispielsweise durch kontinuierliche Überwachung der Luft- oder Wasserqualität. Diese Herangehensweise erfordert gleichzeitig eine verstärkte Nutzung erneuerbarer Energiequellen. IKT-basierte Anwendungen und Infrastrukturen wie Smart Grids spielen hierbei eine entscheidende Rolle, da sie dazu beitragen, das Angebot und die Nachfrage von Energie effizienter aufeinander abzustimmen.Smart Living: Dieser Bereich zielt darauf ab, IKT-basierte Anwendungen stärker einzubinden und damit zu einer Verbesserung der Lebensqualität der Bürger*innen beizutragen. Dies kann z.B. durch einen höheren Komfort bei der Bedienung drahtlos vernetzter Haushaltsgeräte, wie der Kaffeemaschine oder der Heizung, geschehen (vgl. Steinbrecher, Salg, Starzets 2018, S. 2).Im Folgenden werden konkrete Handlungsfelder und Anwendungsbereiche des Konzepts Smart City betrachtet, wobei der Fokus insbesondere auf die Umsetzung in der Stadt Freiburg im Breisgau liegt. Welche Ideen, Innovationen und Anwendungen konnten in Freiburg bisher realisiert werden und was plant die Stadt weiter in Richtung Smart City? Um ein umfassendes Bild der Thematik zu erlangen, werden im Anschluss die damit zusammenhängenden Chancen und Herausforderungen für die Transformation urbaner Räume durch das Konzept der Smart City dargestellt. Chancen von Smart City-Konzepten – die Stadt Freiburg im Breisgau"Gutes Zusammenleben, saubere Luft angenehmes Stadtklima, emissionsarme Mobilität, Raum für Fußgänger, attraktiv für Kreative und Engagierte, Unternehmen und Gäste. Sicherer Alltag, freundliche und offene Quartiere, in denen wir gerne leben" (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 1).Im Folgenden wird die Stadt Freiburg zur Betrachtung herangezogen und danach gefragt, wie diese die Inhalte und Prinzipien des Konzepts Smart City konkret umsetzt. Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich dabei für Freiburg, aber auch für andere Städte auf dem Weg in die "smarte" Richtung? Das folgende Video gibt einen Überblick über die (digitalen) Ziele der Stadt (digital.freiburg 2019: https://www.youtube.com/watch?v=3clTSCU1NjY) Freiburg ist eine der zahlreichen Städte in Deutschland, die damit begonnen haben, bestimmte Maßnahmen bezüglich des Feldes der "smarten" Stadtplanung und Stadtentwicklung anzugehen. Dabei haben die Städte Freiburg, Mannheim, Aalen und Heidenheim in Baden-Württemberg im Jahr 2020 beim Bundeswettbewerb "Smart Cities made in Germany" eine Förderung für digitale Zukunftsprojekte erhalten (vgl. LpB BW 2022, o.S.).Freiburg hat eine Digitalstrategie entwickelt hinsichtlich der Frage, wie Digitalisierung helfen kann, die Stadt nach den Vorstellungen der Menschen zu entwickeln. Diese digitale Agenda besteht aus insgesamt sechs Themenfeldern. Jedes Themenfeld umfasst Maßnahmen und Ziele, welche die Entwicklung der Stadtgesellschaft im Blick haben. Die Digitalisierungsstrategie beschreibt das Freiburg der nächsten sechs Jahre und zielt auf das Jahr 2025 ab (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 6).Digitalstrategie Freiburg: https://digital.freiburg.de/digitalstrategie Im Folgenden werden die sechs Themenfelder der Strategie und einige damit zusammenhängende Maßnahmen betrachtet, um ein umfassenderes Bild der Smart City Freiburg gewinnen zu können.1. Lebenswelten. Familie. GesundheitDigitales Nachbarschaftsnetzwerk: Freiburg entwickelt unter dem Namen "Soziale Nachbarschaft und Technik" (SoNaTe) aktuell ein digitales Kommunikationsnetzwerk. Dabei sollen soziale Nachbarschaften in Kommunen und Regionen gestärkt werden. Das Ziel ist die lokale Verbindung von Menschen, Gruppen, Organisationen und Unternehmen, aber auch die Vereinfachung des Zugangs zu Kommunikation, Dienstleistungen, Infrastruktur und Freizeitangeboten. Die Plattform als Alternative zu etablierten sozialen Medien soll bundesweit eingesetzt werden und die Teilhabe ihrer Nutzer*innen gewährleisten.Online-Vermittlung von Räumen in der Stadt: Die Stadt arbeitet in Zusammenarbeit mit verschiedenen Kooperationspartnern daran, ein Online-Tool zur Vermittlung von Räumlichkeiten zu entwickeln. Dieses Tool soll dazu beitragen, die gemeinsame und effiziente Nutzung von städtischen Räumen, Hallen und Vereinsräumen zu fördern. Darüber hinaus wird es dazu beitragen, das vielfältige Engagement von städtischen Initiativen besser sichtbar zu machen.Digitale Unterstützung bei Feuerwehr und Rettungsdienst: Die Integrierte Leitstelle (ILS) in Freiburg befindet sich derzeit in der Entwicklungs- und Testphase als Pilotstandort für eine fortschrittliche Handyortung namens AML (Advanced Mobile Location) im Falle eines Notrufs über Smartphones. Zusätzlich unterstützt die ILS Freiburg die Ersthilfe-App namens "FirstAED", die dazu dient, die nächstgelegenen Ersthelfer zu alarmieren. In Zukunft soll die ILS Freiburg eine automatisierte "Nächste-Rettungsmittel-Strategie" einführen, die auf GPS-Ortung direkt aus dem Einsatzleitsystem der ILS Freiburg basiert. Gleichzeitig wird im Rahmen des Landesprojekts "Leitstelle Baden-Württemberg" ein vernetzungsfähiges Einsatzleit- und Kommunikationssystem aufgebaut. Parallel dazu wird der Ausbau von vernetzten, GPS-gesteuerten Ampelvorrangschaltungen und bevorzugten Strecken vorangetrieben, die auch von Fahrzeugen der Freiwilligen Feuerwehren genutzt werden können (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 19ff.).2. Gesellschaft. Ethik. VertrauenBürgerschaftliche Beteiligung mit digitalen Mitteln: Um sicherzustellen, dass die Bürgerinnen und Bürger von Freiburg effektiv und einheitlich an städtischen Angelegenheiten teilnehmen können, wurde ein IT-gestütztes Instrument eingeführt. Die Website "mitmachen.freiburg.de" bietet verschiedene Beteiligungsmodule an, die je nach Art des Projekts flexibel eingesetzt werden können. Die Online-Beteiligung wird aktiv ausgebaut und soll als Standardmethode neben den traditionellen analogen Beteiligungsformaten etabliert werden. Zusätzlich soll die formelle Beteiligung der Bürger*innen bei der Bauleitplanung durch den Einsatz digitaler Tools vereinfacht und verbessert werden. In Zukunft wird die Stadtverwaltung verschiedene Formen der Beteiligung anbieten, die im Einklang mit dieser Digitalisierungsstrategie stehen (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 31).3. Bildung. Kultur. WissenschaftIndustrie 4.0-Labor-Walter-Rathenau-Gewerbeschule: Im Mai 2018 wurde ein Labor eingerichtet, das mit digital gesteuerten Produktionsmodulen wie Industrierobotern und Automatisierungssystemen ausgestattet ist. Ziel war es, intelligente Produktionsprozesse zu entwickeln und Schulungen auf der Grundlage realer Industriestandards durchzuführen. Dieses Labor ist äußerst flexibel, da seine Komponenten und Schnittstellen denen in der Industrie gleichen. Es kann problemlos an aktuelle Entwicklungen und neue Industriestandards angepasst werden. Die Einrichtung des Industrie 4.0-Labors erfolgte in enger Abstimmung mit den Anforderungen der Wirtschaft und wurde speziell auf den Schulbetrieb abgestimmt. Die Finanzierung für dieses Labor erfolgte ausschließlich aus dem städtischen Haushalt.Museen Digital: Die Planungen für das "Museum der Zukunft" umfassen die Erwägung neuer Ausstellungsformate im Kontext der Digitalisierung. Dabei werden innovative digitale Vermittlungswege sowie die Nutzung von Social Media in Betracht gezogen. Ein Hauptziel besteht darin, den Besucherinnen und Besuchern einen einfachen und unmittelbaren Zugang zu Informationen und den Dienstleistungen der Museen zu ermöglichen. Die Ausstellungsinhalte sollen durch vielfältige multimediale und interaktive Vermittlungsformate lebendiger erlebbar gemacht werden. Dies könnte den Einsatz von Technologien wie Augmented Reality, 3D-Visualisierungen und sogar spielerische Elemente wie Gaming-Formate einschließen. Eine zentrale Grundlage für die digitale Vermittlung ist eine umfangreiche Museumsdatenbank, die als Wissensspeicher dient und die digitale Sammlung erweitert. Auf dieser Basis kann die Museumsdatenbank in einem weiteren Schritt mit den physischen Ausstellungsobjekten verknüpft werden, um die reale Ausstellung um Informationen zu Entstehungsprozessen, Techniken, Materialien und Geschichte zu bereichern (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 43ff.).4. Digitale StadtverwaltungDigitaler Posteingang, Digitale Akten- und Vorgangsverwaltung: Die Einführung der elektronischen e-Akte ist bereits weit fortgeschritten und bildet das Fundament für die Digitalisierung in der Verwaltung. Sie eröffnet die Möglichkeit zur Effizienzsteigerung von Arbeitsabläufen und ermöglicht flexibleres Arbeiten, unabhängig von Zeit und Ort. Dies hat zur Folge, dass Informationen und Dokumente nicht mehr in vielfacher Ausführung und in verschiedenen Medien an verschiedenen Orten aufbewahrt werden müssen. Die Einführung der e-Akte ermöglicht sogenannte "medienbruchfreie" Prozesse und verbessert die Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger. Die positiven Auswirkungen der e-Akte erstrecken sich somit über die internen Verwaltungsabläufe hinaus.Digitale Stadt- und Bauplanung: Wie viele Großstädte in Deutschland steht auch Freiburg vor der Herausforderung, schnell neuen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der gleichzeitig umweltfreundlich und nachhaltig ist. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, sollen Bauplanung und baurechtliche Verfahren mithilfe digitaler Werkzeuge vereinfacht werden. Aktuell werden die baurechtlichen Aspekte in der gesamten Stadt digital erfasst. Gleichzeitig werden neue Bauprojekte in einem standardisierten digitalen Format entwickelt (XPlanung/XBau). Dieser Ansatz ermöglicht nicht nur eine digitale Beteiligung aller Betroffenen in den verschiedenen Phasen des Planungsprozesses, sondern ebnet auch den Weg für digitale Bauanträge. Durch teilautomatisierte digitale Prüfungen wird die Zeitspanne von der Antragstellung bis zur Genehmigung verkürzt. Zusätzlich werden aus den verfügbaren digitalen Informationen dreidimensionale Pläne (ein "digitaler Zwilling") erstellt, die umfassende Analyse- und Berichtsoptionen für die Stadtentwicklung bieten. In diesem Zusammenhang ermöglicht eine detaillierte digitale Darstellung von Gebäudemodellen (Building Information Modeling - BIM) die Verknüpfung von Entwurfsvisualisierungen, Baufortschritt, Genehmigungsverfahren und Gebäudemanagement.Service Management für digitale Bürger*innenanfragen: In Zukunft sollen alle digitalen Anfragen von Bürger*innen in ein zentrales Ticketsystem geleitet werden. Dieses System soll einen einheitlichen, zentral gesteuerten Bearbeitungsprozess bieten. Die verschiedenen Dienststellen und Ämter sollen in dieses Ticketsystem integriert werden und können darüber den gesamten Kommunikationsprozess abwickeln. Die Nutzung von Automatisierung, die Möglichkeit zur Überwachung, Steuerung und Auswertung innerhalb dieses Systems soll die Servicequalität bei der Beantwortung der Anfragen verbessern (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 57ff.).5. Arbeit. Wirtschaft. TourismusNetzausbau: Masterplan digitale Infrastruktur: Um die Grundlage für den Netzausbau zu schaffen, soll ein Masterplan "digitale Infrastruktur für Freiburg" als Ausbaustrategie erstellt werden, was auch Gigabit-Breitband, 5G sowie Sensorik-Netzwerke einschließen soll. Zusätzlich soll für den Mobilfunk ein koordinierter, aber auch strahlungsmindernder Ausbau in Kooperation mit den Anbietern geschaffen werden (vgl. Digitalstrategie Freiburg, S. 72).6. Netze. Energie. VerkehrIntermodale Verkehrsplattform/App: Die bestehende ÖPNV-Auskunft namens "VAG mobil" sowie der digitale Vertrieb über "MobilTicket" und den "VAG-Online-Shop" werden um neue multimodale Funktionen erweitert. Egal an welchem Ort sich Kunden der VAG in Freiburg gerade befinden, die App zeigt auf einer Karte nicht nur Haltestellen mit Live-Abfahrtszeiten für Busse und Bahnen, sondern auch sämtliche "Sharingpoints" für Fahrzeuge und Fahrräder an. In einem ersten Schritt wurden verfügbare Mietfahrräder des Fahrradverleihsystems "FRELO" in die "VAG mobil"-App integriert, inklusive Buchung, Nutzung und Abrechnungsfunktionen.Umweltsensitives Verkehrsmanagement: Der Luftreinhalteplan sieht vor, dass bei Überschreitung bestimmter Schadstoffwerte an der Messstelle Schwarzwaldstraße die Menge des Verkehrs aus dem Osten, der über die B 31 in die Stadt einfährt, reguliert werden soll. In diesem Kontext wird derzeit untersucht, ob es sinnvoll ist, die bestehende Verkehrssteuerung zu einem umfassenden Verkehrsleitsystem für Freiburg auszubauen. Ein solches System könnte dazu verwendet werden, sicherzustellen, dass nur eine angemessene Anzahl von Fahrzeugen in das Stadtgebiet oder in bestimmte Stadtteile einfährt, die dort ohne größere Störungen bewältigt werden können. Es würde auch die Möglichkeit bieten, auf hohe Schadstoffbelastungen, beispielsweise bei ungünstiger Witterung, und auf akute Verkehrsstörungen wie Baustellen, Unfälle oder Veranstaltungen gezielt zu reagieren.Ausbau öffentliches WLAN: Ein kostenfreies WLAN an Verwaltungsstandorten und öffentlichen Einrichtungen sowie in Bussen und Stadtbahnen soll ausgebaut werden.Belegungserfassung und Leitsystem für P&R-Parkplätze: Durch die Installation von Belegungssensoren an den P+R-Anlagen wird die Belegung effizienter gestaltet und die unerlaubte Nutzung durch Dauerparker*innen oder Fremdparker*innen verringert. Dies ermöglicht es Besuchern und Pendlern, Echtzeitinformationen über die Auslastung der P+R-Parkplätze online über die städtische Website, die App "VAG mobil" und dynamische Wegweiser zu erhalten. Diese Daten werden ähnlich wie im bestehenden Parkleitsystem der Innenstadt verarbeitet. Das Ziel ist es, den Verkehr innerhalb der Stadt zu reduzieren, indem Berufspendler und Besucher leichter freie P+R-Plätze am Stadtrand finden können, um von dort auf den öffentlichen Nahverkehr oder das städtische Fahrradverleihsystem umzusteigen. Darüber hinaus wird durch die Integration weiterer Parkhäuser in das bestehende Echtzeit-Parkleitsystem in der Innenstadt vermieden, dass Parkplatzsuchende unnötige Autofahrten unternehmen müssen.In Anbetracht der vorangegangenen Entwicklungen und Maßnahmen, die in Freiburg im Kontext der Smart City-Initiative geplant und umgesetzt werden, wird deutlich, dass die Stadt aktiv bestrebt ist, intelligente Lösungen zur Bewältigung der heutigen und zukünftigen urbanen Herausforderungen zu implementieren. Freiburg setzt dabei auf Digitalisierung und Technologie, um die Lebensqualität der Bürger*innen zu steigern und gleichzeitig umweltfreundlichere, effizientere und nachhaltigere Stadtstrukturen zu schaffen. Dies zeigt sich in verschiedenen Aspekten, z.B. darin, dass Freiburg grundsätzlich den Anspruch hat, die Menschen in den Fokus der Digitalisierung zu stellen, damit diese den Prozess der Digitalisierung aktiv mitgestalten können, was im Hinblick auf die Einrichtung der Online-Beteiligungsplattform "mitmachen.freiburg" deutlich wird (Mitmachen.Freiburg: https://mitmachen.freiburg.de/stadtfreiburg/de/home). Darüber hinaus investiert die Stadt in die Entwicklung digitaler Plattformen und Services, die den Zugang der Bürger*innen zu städtischen Dienstleistungen verbessern. Im Bereich des Verkehrs und der Mobilität trägt Freiburg mit der Einführung von intelligenten Verkehrssystemen, der Optimierung des Nahverkehrs sowie im Rahmen des Belegungssystems für P+R Parklätze dazu bei, den Verkehr in der Stadt effizienter und nachhaltiger zu gestalten.Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Stadt Freiburg auf unterschiedliche Weise in Richtung Smart City moderne Technologien und digitale Lösungen einsetzt, um die Lebensqualität zu steigern, Umweltbelastungen zu reduzieren und die Stadt insgesamt effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Die zuvor genannten Beispiele der verschiedenen Themenfelder haben gezeigt, dass Tendenzen im Hinblick auf Konzepte und Bereiche der Smart City geplant, umgesetzt und auch funktionieren können. Trotzdem stehen Städte wie Freiburg vor einigen Herausforderungen bei der Implementierung und Umsetzung von Strategien und Plänen im Sinne von Smart City.Herausforderungen für Smart CitiesDW Shift (2020): https://www.youtube.com/watch?v=VRRPy-yEKRM Smart Cities stehen vor einer Reihe von Herausforderungen, während sie sich bemühen, technologische Lösungen zur Verbesserung der Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Effizienz in städtischen Gebieten zu implementieren. Dazu gehören die Aspekte Sicherheit, Datenschutz und Privatsphäre, Inklusion und Chancengleichheit sowie finanzielle Aspekte.Das Konzept der Smart City sieht in verschiedenen Teilbereichen das Sammeln einer Fülle von Daten vor. Hierbei gilt es zu beachten, dass Digitalisierung dem Menschen dienen sollte und die Implementierung von Smart City-Elementen nicht eine übermäßige Überwachung der Bürger*innen voraussetzt. Dabei stellen die Sicherheit und die Privatsphäre der Bürger*innen zentrale Punkte dar, die es zu beachten und zu berücksichtigen gilt (vgl. LpB BW 2022, o.S.).Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (2022, o.S.) führt an, dass sich eine Smart City an den Grundsätzen der Digitalcharta des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung orientieren sollte. Hierzu gehört in erster Linie die Wahrung der Menschenwürde im Digitalen. Darüber hinaus gilt, dass jeder Mensch das Recht auf Identität, Datenschutz und Privatsphäre hat. An dieser Stelle stellt sich bei dieser großen Menge an gesammelten Daten die Frage, was mit den gesammelten Daten passiert, wer darauf Zugriff hat und was damit gemacht wird (vgl. Stöckl 2022, o.s.). Unter einer Unsicherheit im Hinblick auf Datenschutz und Privatsphäre kann die Effizienz von Smart Cities leiden sowie das Vertrauen in öffentliche Behörden, was die Einrichtung von ausreichendem Datenschutz und Transparenz zu einer zentralen Herausforderung macht (vgl. Stöckl 2022, o.S.).Eine weitere Herausforderung für Smart Cities ist die Gewährleistung von Inklusion und Chancengleichheit. Es wird davon ausgegangen, dass digitale Infrastrukturen für alle Menschen zugänglich sein und überdies gleiche Chancen für gesellschaftliche Teilhabe und Entfaltung bieten sollten. Das stellt die Städte vor Schwierigkeiten, da es immer technikaffine und weniger technikaffine Menschen sowie Menschen unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichen Fähigkeiten geben wird. Somit sollte im Idealfall bei der Digitalisierung der Städte darauf geachtet werden, dass beispielsweise nicht-technikaffine Bürger*innen keine Nachteile oder Ausgrenzung erfahren. Es stellt sich demnach die Frage, ob es sinnvoll ist, z.B. den Kauf von Parktickets oder Bahnfahrkarten ausschließlich über Smartphones zur Verfügung zu stellen, da nicht alle Menschen ein Smartphone besitzen (vgl. LpB BW 2022, o.S.). Somit ist die Gewährleistung, dass die Vorteile der Digitalisierung niemanden abhängen oder zurücklassen, mitunter eine der größten Herausforderungen für eine Smart City (vgl. Stöckl 2022, o.S.).Was als weitere zentrale Herausforderung hinzukommt, mit der jede Stadt zwangsläufig konfrontiert wird, wenn es um die Planung und Umsetzung von Anwendungen und Strategien hinsichtlich des Smart City-Konzeptes geht, ist der Aspekt der Finanzierung. Für eine erfolgreiche Finanzierung müssen verschiedene Finanzierungsinstrumente und -strategien herangezogen werden, wozu öffentliche sowie private Akteure gehören. Die Planung und Durchsetzung von Geldern hinsichtlich der Einrichtung von Smart City muss von den Städten demnach ausreichend durchdacht und organisiert werden (vgl. Hinterberger et. al. 2015, S. 4).FazitARTE (2023): Retten Städte die Welt? https://www.youtube.com/watch?v=dUkrIDg0_8c Smart Cities bieten eine Vielzahl von Chancen und Möglichkeiten, die die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger verbessern, die Effizienz städtischer Dienstleistungen steigern und zur nachhaltigen Entwicklung beitragen können. Folgende Schlussfolgerungen konnten aus der Betrachtung der Smart City Freiburg gezogen werden:Smart City-Technologien können die Lebensqualität in städtischen Gebieten erheblich steigern. Dies umfasst eine bessere Luftqualität, weniger Verkehrsstaus, sauberes Wasser, sichere Straßen und öffentliche Plätze sowie den Zugang zu hochwertigen Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Sie können zusätzlich die Effizienz städtischer Dienstleistungen steigern, was den effizienten Einsatz von Energie, Wasser und Ressourcen, die Optimierung des öffentlichen Verkehrs und die Verbesserung der Verwaltung inkludiert.Einen weiteren Aspekt stellt die Bürgerbeteiligung dar. Smart City-Initiativen können die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am städtischen Leben fördern. Das schließt die Möglichkeit ein, Feedback zu geben, an Entscheidungsprozessen teilzunehmen und städtische Dienstleistungen zu personalisieren. Zusätzlich können intelligente Verkehrsmanagementsysteme und vernetzte Verkehrslösungen dazu beitragen, den Verkehrsfluss zu optimieren, Staus zu reduzieren und die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen. Insgesamt bieten Smart Cities die Möglichkeit, Städte lebenswerter, nachhaltiger und effizienter zu gestalten und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Durch die Integration von Technologie und Innovation können viele der heutigen urbanen Herausforderungen angegangen werden.Die Betrachtung der verschiedenen Themenfelder und Maßnahmen der Smart City Freiburg im Rahmen ihrer Digitalstrategie konnte aufzeigen, dass sich zwar viele Ideen bereits in der Planung und Entwicklung befinden, es aber an einigen Stellen noch an technischen Strukturen oder Fachkräften fehlt, die die Entwicklung und Durchsetzung vorantreiben würden.Trotz der Möglichkeiten und Chancen sind Smart Cities mit einigen Herausforderungen konfrontiert, darunter finanzielle Herausforderungen, denn die Entwicklung und Implementierung der Initiativen erfordern die nötige Technologie, Infrastruktur und Fachkräfte. Eine Stadt muss demnach Finanzierungsquellen finden, um diese Projekte umzusetzen bzw. aufrechtzuerhalten.Als weiterer Punkt wurde der Datenschutz genannt. Die Erhebung von Daten in einer Smart City erfordert Datenschutz- und Sicherheitsmaßnahmen. Die Stadt muss sicherstellen, dass mit den Daten der Bürger*innen sorgsam umgegangen wird und dass sie vor Sicherheitsrisiken geschützt sind. Eine weitere Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass alle Bürger*innen von den Smart City-Lösungen profitieren können. Dies erfordert Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Technologie für alle zugänglich ist, unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status oder ihrer technischen Affinität.Es hat sich gezeigt, dass die Einbeziehung der Bürger*innen in den Prozess der Smart City-Gestaltung entscheidend ist, jedoch auch eine Herausforderung darstellt. Die Stadt muss Mechanismen entwickeln, um die Meinungen und Bedenken der Bevölkerung zu berücksichtigen und transparente Entscheidungsprozesse zu gewährleisten, wie man am Beispiel der Stadt Freiburg sehen konnte. Die Betrachtung der Stadt Freiburg zeigt, dass die Herausforderungen, vor denen Städte bei der Umsetzung von Smart City-Initiativen stehen, vielfältig sind und eine sorgfältige Planung und strategische Herangehensweise erfordern. Eine ganzheitliche Betrachtung unter Berücksichtigung von finanziellen, technischen, sozialen und ökologischen Aspekten ist entscheidend für den Erfolg.QuellenARTE (2023): Retten Städte die Welt? Video: https://www.youtube.com/watch?v=dUkrIDg0_8c (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (2017): Verstädterung, online unter: https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/globalisierung/52705/verstaedterung/ (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Digitalstrategie der Stadt Freiburg, online unter: https://digital.freiburg.de/digitalstrategie (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)DW Shift (2020): Smart City: How do you live in a Smart City? Future Smart City Projects. Surveillance or Utopia? Video: https://www.youtube.com/watch?v=VRRPy-yEKRM (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Etezadzadeh, Chirine (2015): Smart City- Stadt der Zukunft? Die Smart City 2.0 als lebenswerte Stadt und Zukunftsmarkt. Springer Vieweg. Wiesbaden.Hadzik, Tobias (2016): Smart Cities. Eine Bestandsaufnahme von Smart City- Konzepten in der Praxis. Epubli Ebooks. 3. Auflage.Hinterberger, Robert/ Kopf, Thomas/ Linke, Alexander/ Stühlinger, Lukas (2015): Finanzierungshandbuch Smart Cities. Smart Finance for Smart Cities. Wien, online unter: https://www.klimafonds.gv.at/wp-content/uploads/sites/16/Smart-FinanceFinanzierungshandbuch.pdf (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023).Hoppe, Klaus (2015): Der Smart City- Ansatz. Chancen und Herausforderung für Städte und Gemeinden. Klima-Bündnis. Arbeitsgruppe Energieversorgung 2050, online unter: https://klaushoppe-consulting.de/wp-content/uploads/2018/06/1_Der_Smart_Cities_Ansatz.pdf (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Jaekel, Michael (2015): Smart City wird Realität. Wegweiser für neue Urbanitäten in der Digitalmoderne. Springer Vieweg. Wiesbaden.Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (lpB) (2022): Smart City- die Stadt der Zukunft? Technologie in der nachhaltigen Stadtentwicklung, online unter: https://www.lpb-bw.de/smart-city#c56712 (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023).Libbe, Jens (2019): Lost in Transformation: Rezension zu 'Smart City. Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten' von Sybille Bauriedl und Anke Strüver (Hg.). Soziopolis: Gesellschaft beobachten, online unter: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/82404 (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Mitmachen. Freiburg: https://mitmachen.freiburg.de/stadtfreiburg/de/home (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Stadt Freiburg (2019): digital.freiburg. Video: https://www.youtube.com/watch?v=3clTSCU1NjY (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Steinbrecher, Johannes/ Salg, Julian/ Starzetz, Julia (2018): Viele bunte Smarties?! Die Smart City als Lösung kommunaler Herausforderungen? KfW Research. Fokus Volkswirtschaft. Nr. 204, online unter: https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Fokus-Volkswirtschaft/Fokus-2018/Fokus-Nr.-204-April-2018-Smart-Cities.pdf (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Stöckl, Benedikt (2022): 'Smart Cities' bergen Chance, aber auch Risiken für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Euractiv, online unter: https://www.euractiv.de/section/innovation/news/smart-cities-bergen-chancen-aber-auch-risiken-fuer-gesellschaftlichen-zusammenhalt/ (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)Weiland, Ulrike (2018): Stadt im Klimawandel. Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), online unter: https://www.bpb.de/themen/stadt-land/stadt-und-gesellschaft/216883/stadt-im-klimawandel/ (zuletzt aufgerufen: 10.09.2023)
Die Funktion dieses Modells besteht darin, einen überfachlichen Orientierungs- und Reflexionsrahmen für Bildungsprozesse im digitalen Wandel bereitzustellen und möglichst alle relevanten Perspektiven daran beteiligter Disziplinen einzubeziehen. Das gemeinsam entwickelte Modell – im Weiteren bezeichnet als Frankfurt-Dreieck, benannt nach dem Ort seiner Entstehung in zwei Expert*innen-Workshops 2017 und 2018 in Frankfurt am Main – basiert auf dem in der sogenannten Dagstuhl-Erklärung enthaltenen Dagstuhl-Dreieck, das 2016 unter Beteiligung von Akteur*innen aus Informatik, Informatikdidaktik, Medienpädagogik, Schulpraxis, Wirtschaft und Bildungspolitik in einem mehrtägigen Workshop auf Schloss Dagstuhl erarbeitet und von einer breiten Öffentlichkeit – entsprechend seiner Intention – insbesondere von Praktiker*innen und Politiker*innen wahrgenommen wurde. Ziel ist es vielmehr, aus den disziplinären Perspektiven von Informatik, Informatikdidaktik, Medienpädagogik und Medienwissenschaft die Phänomene einer digitalen Welt und die daraus resultierenden Erfordernisse für Bildungsprozesse zu beschreiben und dadurch eine gemeinsame Reflexionsbasis zu entwickeln sowie darauf aufbauend – in künftigen Schritten – die notwendigen Kompetenzen für Partizipation in einer digital geprägten Welt zu definieren. Eine Herausforderung im Diskussionsprozess der Autor*innengruppe war, dass es zu wesentlichen Kernbegriffen bislang kein etabliertes Begriffsverständnis gab – schon gar kein zwischen den beteiligten Disziplinen abgestimmtes. So wird beispielsweise "digitale Bildung" häufig als Schlagwort verwendet (mal mit einem auf das Lehren und Lernen mit digitalen Mitteln eingeschränkten Bildungsverständnis, mal einschließlich informatischer Grundlagen gedacht usw.). Das Adjektiv "digital" wird in der öffentlichen Diskussion und Berichterstattung oft als ein Synonym für "neuartig" oder "modern" verwendet. Dabei beschreibt es ursprünglich die Repräsentation von Daten und indirekt auch Information in einer Weise, die die automatische Verarbeitung mittels Computern ermöglicht, und "Digitalisierung" damit die Umwandlung analoger in diskrete Werte, was heute im Wesentlichen durch binäre Signale realisiert wird. So ist Digitalisierung eines der drei Grundprinzipien der Informatik neben Automatisierung und Vernetzung, wird aber oft stellvertretend für diese genannt. Mit der Digitalisierung wurde die Voraussetzung für eine universelle Kompatibilität von Daten und Informationen geschaffen und zugleich die Bedingungen für die Integration bislang getrennter Praktiken, sozialer Strukturen und Technologien, was einen nachhaltigen Einfluss auf die tradierten räumlichen und temporären Unterscheidungen sowie soziale Ein- und Ausschließungen hat. Heute wird der Begriff der Digitalisierung in politischen und sozialen Kontexten vor allem zur Beschreibung von aktuellen informatisch und technisch induzierten gesellschaftlichen Transformationsprozessen genutzt.Wir gehen davon aus, dass die Digitalisierung in denheutigen Gesellschaften die Kultur, die Infrastruktur und entsprechend die weitere Technologieentwicklung wesentlich mitprägt und sprechen daher vom digitalen Wandel. Die Teilhabe an politischen, kulturellen und ökonomischen Prozessen innerhalb der Gesellschaft setzt Fähigkeiten im Umgang mit und zur Analyse, Reflexion und Gestaltung von digitalen Artefakten voraus. Erforderlich hierfür ist die Kenntnis der informatischen Grundlagen sowie der medienwissenschaftlichen und erziehungswissenschaftlichen Zugänge und Diskurse. Analog zum Dagstuhl-Dreieck werden im Modell drei Perspektiven ausdifferenziert, die Bildung für und über den digitalen Wandel aufgreifen muss. Diese werden im weiterentwickelten Modell bezeichnet als technologisch-mediale Perspektive, gesellschaftlich-kulturelle Perspektive und Interaktionsperspektive. Diesen Perspektiven sind jeweils die Prozesse Analyse, Reflexion und Gestaltung zugeordnet, die Lernende mit dem Ziel der Befähigung zur Partizipation an der durch Digitalisierung geprägten Welt und am digitalen Wandel jeweils durchlaufen sollen. Zugleich kann eine umfassende Analyse, Reflexion und Gestaltung des digitalen Wandels nur gelingen, wenn alle drei Perspektiven systematisch und sich wiederholend eingenommen werden. Die Mitte des Modells bietet Raum für den jeweiligen Betrachtungsgegenstand der durch Digitalisierung geprägten Welt, also digitale Artefakte wie beispielsweise autonome Fahrzeuge, soziale Netzwerke, Hate Speech und Multitasking und damit in Zusammenhang stehende Phänomene, der dann aus Sicht der drei zuvor benannten Perspektiven und den damit verbundenen Prozessen aufgearbeitet werden soll.Auf Basis dieses Modells sollen künftig Konkretisierungenim Hinblick auf Handlungsfelder wie Schule, außerschulische Bildungskontexte wie Kinder- und Jugendbildung, Kulturelle Bildung und Erwachsenenbildung, Berufsbildung und Hochschule, Lehrer*innenbildung sowie Aus- und Fortbildung von pädagogischen Fachkräften entwickelt werden. Diese können dann in weiteren Schritten im Hinblick auf Kompetenzmodelle und fachdidaktischen- sowie mediendidaktische Fragen und insbesondere die Weiterentwicklung von vorhandenen (Unterrichts-)Konzepten und Empfehlungen der Fachgesellschaften (GI 2008; LKM 2008; GfM 2013; LKM 2015; GI 2016; GfM 2016; DGfE 2017; GMK 2017; GI 2019 usw.) ausgearbeitet werden. Technologisch-mediale Perspektive Ziele der Betrachtung aus einer technologischmediaen Perspektive sind das Hinterfragen und Reflektieren der den Phänomenen und Artefakten der durch Digitalisierung geprägten Welt zugrundeliegenden Strukturen und deren Funktionsweisen sowie eine Befähigung zur (Mit-)Gestaltung solcherArtefakte und Phänomene. Dazu erfolgt eine Auseinandersetzung mit konzeptionellen Fragen, insbesondere mit informatischen und medialen Funktionsprinzipien digitaler Systeme, mit den zu deren Erstellung verwendeten informatischen und medialen Strukturierungs- und Gestaltungsmitteln und -formen, den sich durch sie ergebenden technischen Analyse- und Verarbeitungsmöglichkeiten sowie den an der "Oberfläche" meist nicht sichtbaren kulturellen, politischen oder persönlichen Einschreibungen.In dieser Perspektive werden damit zwei Aspekte verknüpft, die untrennbar miteinander verbunden sind: - Unter Anwendung langlebiger Informatik-Konzepte werden aus informatischer Sicht die Funktionsweise von digitalen Artefakten, die die digitale vernetzte Welt ausmachen, sowie damit in Zusammenhang stehende Phänomene hinterfragt und bewertet. Zugrundeliegende Funktionsprinzipien und Strukturen der digitalen Artefakte werden analysiert und aufgedeckt und damit Möglichkeiten zur Gestaltung und Erweiterung der Funktion digitaler Systeme unter Berücksichtigung von informatischen Problemlösestrategien und -methoden einerseits, aber auch zu einem reflektierten Umgang mit digitalen Systemen andererseits angelegt. Die Basis hierfür bilden theoretische und praktische Grundlagen der Informatik insbesondere in den Bereichen Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung und deren Anwendung auf aktuelle und gesellschaftlich relevante Themen (wie z. B. Big Data oder Künstliche Intelligenz) sowie Aussagen zu den praktischen und theoretischen Grenzen von Berechenbarkeit bzw. Automatisierung. Hinzu kommen Konzepte zur Kommunikation informatischer Systeme untereinander (z. B. Netzwerke, Protokolle, Verschlüsselung), Priorisierungen darin (insbes. Netzneutralität) sowie systematische Vorgehensmodelle zur Erstellung von digitalen Artefakten und Systemen. - Durch informatische Modellierung von Ausschnitten der Welt mit entsprechenden Mitteln und Werkzeugen sowie geprägt durch kulturelle Einschreibungen und die persönliche Perspektive von Entwickler*innen (z. B. Auswahl von Trainingsdaten für KI, normative Algorithmen ohne Legitimierung von Entwicklern*innen), entstehen digitale Artefakte. Diese beeinflussen als soziotechnische Informatiksysteme mit charakteristischen Eigenschaften, Ästhetiken, Formen und Grenzen die menschliche Wahrnehmung und bedürfen daher auch einer Auseinandersetzung aus medialer Sicht. Von den Entwickler*innen und/oder den Auftraggeber*innen wird explizit und mitunter auch interessengeleitet, unreflektiert oder aufgrund kultureller Konventionen festgelegt, was sichtbar oder wahrnehmbar ist, wie auch, was in den Hintergrund tritt. Hierdurch wird die mit solchen Systemen mögliche Interaktion und insbesondere das Repertoire kultureller Ausdrucks- und Kommunikationsmöglichkeiten bestimmt. Mit diesen charakteristischen Prägungenschreibt sich die Technologie mittels ihrer Artefakte, aber auch deren Geschichte und Genese, in die durch sie ermöglichten kulturellen und sozialen Formen ein: In ihnen sind Sozialstrukturen angelegt, in ihnen ist festgeschrieben, was in welcher Weise archiviert, was vergessen und ignoriert wird sowie was historisches Gewicht verliehen bekommt.
Darüber hinaus legen verwendete Technologien erforderliche Kompetenzen für ihre Nutzung fest. Umgekehrt kann die Reflexion und Kenntnis von solchen Determinationsverhältnissen in die Konstruktion von digitalen Artefakten einfließen, was zu einem dynamischen souveränen Umgang mit Technologien befähigen würde. Es ist daher unerlässlich, die Strukturen, Funktionen und Funktionsweisen von digitalen (Medien-)Systemen aus informatischer und medialer Sicht analysieren, reflektieren und (mit-)gestalten und diese Sichten aufeinander beziehen zu können. Solcherart fundiertes und verknüpftes Informatik- und Medienwissen erklärt technologische und mediale Phänomene mit langlebigen Konzepten und schafft zusammen mit der Entwicklung grundlegender Problemlösestrategien die Basis für die reflektierte Teilhabe an einer digital geprägten Welt. Gesellschaftlich-kulturelle Perspektive Der digitale Wandel prägt die sozialen Kommunikations- und Interaktionsbedingungen sowie die politische Organisation von Gesellschaften. Er bildet dabei nicht zuletzt auch einen kulturellen Möglichkeitsraum, der von Gesellschaften genutzt und gestaltet werden kann. Dasselbe gilt auch für die ökonomische Reproduktion von Gesellschaften. Es werden beispielsweise neue Arbeitsbedingungen, Produktionsmethoden und Austauschbedingungen entwickelt. Dadurch verändern sich die gesellschaftlichen Rollen von Akteur*innen sowie die Dynamiken gesellschaftlicher Entwicklung. Gesellschaften entwerfen Normen und Regeln für die Verwendung und den Einsatz von Technologien und Techniken, die die konkrete Bedeutung und den Einfluss von digitaler Technik strukturieren. So werden in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen die Bedingungen von Privatheit und Öffentlichkeit festgelegt, es werden Interaktionsmöglichkeiten geschaffen oder aber begrenzt und es wird der Zugang zu technischen Systemen geregelt. Gesellschaften prägen Bildungsinstitutionen und regulieren durch Bildungsangebote für den Erwerb entsprechender Kompetenzen das Verständnis für und die gesellschaftliche Nutzung von digitalen Technologien und Techniken. Der Grad der gesellschaftlichen Durchdringung mit Technologien und auch deren soziale Rolle wird daher wesentlich vom Bildungssystem bestimmt. Dabei bestimmt der Grad der Enkulturation digitaler Technologien und Techniken auch die Rolle einer digitalen Kultur in der Gesellschaft und deren Verhältnis zu analogen kulturellen Artefakten. Aus gesellschaftlich-kultureller Perspektive werden deshalb Wechselwirkungen zwischen Individuen, Gesellschaft und digitalen Systemen vor dem Hintergrund der Medialisierung und des digitalen Wandels analysiert und reflektiert. Im Vordergrund stehen die Veränderungen, denen Individuen und Gesellschaft unterworfen werden, sowie eine Analyse und Bewertung von Chancen und Problemen, die sich durch den digitalen Wandel ergeben. Das betrifft beispielsweise sich durch digitalisierungsbezogene Kompetenzen eröffnende Möglichkeiten für wirtschaftliches, ökologisches, nachhaltiges und politisches Handeln und die damit einhergehende Verantwortung einerseits sowie die sich durch Nutzung digitaler Systeme ergebenden Datenspuren der*des Einzelnen im Netz und die damit verbundenen Profilbildungen für kommerzielle oder ideologische Zwecke andererseits. Zudem werden unter den Bedingungen digitaler Infrastrukturen das Erkennen und die Bewertung medialer Einflüsse sowie die aktive Teilhabe an gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen voraussetzungsreicher. Sie erfordern Hintergrundwissen und spezifischeKompetenzen, wie beispielsweise das Beurteilen von Information oder die Entwicklung eigener Standpunkte. Hierbei lassen sich widersprüchliche Tendenzen feststellen: Die erhöhten Partizipationsmöglichkeiten steigern den potentiellen Einfluss von Individuen, wohingegen die wachsende Komplexität einer digital gewandelten/beeinflussten Kultur und die Geschlossenheit autonomer und/oder selbstlernender Systeme den individuellen und gesellschaftlichen Ein- und Zugriff wiederum erschweren. Dadurch stellt sich die Frage nach einer Mitgestaltung von "digitaler" Kultur und ihrer Enkulturation grundlegend neu. Zugleich können in der digitalen Welt mittels digitaler Technologien (neue) soziale Ungleichheiten produziert beziehungsweise verfestigt werden, so dass auch Fragen sozialer Gerechtigkeit und sozialen Ausgleichs neu reflektiert werden müssen. Ein weiterer Aspekt ist die historische und die damit einhergehende politische Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechniken. Dazu muss analysiert werden, welche Normen und Regeln in mediengestützten sozialen Prozessen wirksam sind, wie und von wem sie ausgestaltet werden und welche Machtstrukturen hier eingeschrieben sind. Konkret sind beispielsweise Fragen der Netzneutralität in den Blick zu nehmen – auch im Hinblick der Entstehung des Internets und seiner Dynamiken vor dem Hintergrund historischer Prozesse. Dazu gehören auch ökonomische Implikationen digitaler Technologien und Techniken. So müssen Fragen wie die von Nutzung versus Besitz, die des Eigentums an Daten, die von Persönlichkeitsrechten, die der Mündigkeit der verschiedenen Akteur*innen, die der informationellen Selbstbestimmung sowie die eines zivilen Ungehorsams gegenüber immer autonomer werdenden technischen Systemen und die der gesellschaftlichen Teilhabe gerade auch aus einer ethischen Perspektive analysiert werden.
Digitale Artefakte beeinflussen als soziotechnische Informatiksysteme auch die menschliche Wahrnehmung.
Interaktionsperspektive Im Fokus der Interaktionsperspektive stehen die Menschen, zentral sind die Fragen, wie sie vor dem Hintergrund der technologisch-medialen und gesellschaftlich-kulturellen Voraussetzungen welche digitalen Medien und Systeme warum und wozu nutzen, inwiefern sie am digitalen Wandel teilhaben und ihn mitgestalten (können) sowie wie sie sich als handlungsfähige Subjekte konstituieren (vgl. auch Medienaneignung). Dabei sind die Aspekte Nutzung, Handlung und Subjektivierung zentral. Unter Nutzung ist die funktionale Anwendung von digitalen Medien und Systemen beispielsweise für rezeptive, gestalterische, kommunikative, problemlösende und organisatorische Zwecke gefasst. Diese Nutzungsoptionen, die von Einzelnen oder Gruppen von Personen wahrgenommen, selektiert und ggf. auch verändert werden, beziehen sich auf digitale Artefakte und die von ihnen eröffneten Möglichkeiten. Im Rahmen von Handlungen werden diese Nutzungsoptionen in unterschiedliche soziale Praktiken integriert. Dabei werden kulturell tradierte Interaktions- und Kommunikationsformen sowohl aufgenommen als auch transformiert. Eine bewusste Aneignung dieser Nutzungsoptionen setzt stets bestimmte Handlungsmotive wie auch die Reflexion und Analyse der technologischen und medialen Funktionsprinzipien und Potentialesowie rahmender soziokultureller Praktiken voraus – dies gilt gleichermaßen für den Einsatz von Bildungsmedien, Lehr- und Lerntechniken. Auf dieser Grundlage lassen sich die Gestaltungspotentiale digitaler Artefakte realisieren. Derartige Handlungsoptionen bilden auch den Horizont für die individuelle Kompetenzentwicklung. Mit Subjektivierung ist schließlich darauf verwiesen, dass im Zusammenwirken von digitalen Medien und Systemen sowie menschlichem Handeln auch die Identitätsbildung und -entwicklung angelegt, ermöglicht oder auch behindert werden können. Dies betrifft mehrere Ebenen: Konkret sind damit erstens Formen der Selbstthematisierung gemeint, die in und über digitale Medien und Systeme ermöglicht und nahegelegt werden. So sind beispielsweise in Interfaces von sozialen Netzwerken bestimmte Handlungsaufforderungen eingeschrieben, wie man sich in und über diese Dienste zeigen und darin agieren soll und sich zugleich damit selbst konstituiert. Aus der Interaktionsperspektive betrachtet, interessiert, welches Menschenbild durch diese Formen möglicher Selbstthematisierung konstituiert wird. Zweitens wird abstrakter auch die Frage gestellt, wie und vor dem Hintergrund welcher kulturellen Einschreibungen Subjekte in den jeweiligen Medien repräsentiert und adressiert sind, beispielsweise in Form von Interessenprofilen in Empfehlungs- und Filtersystemen oder auf Ebene von Interfaces und Interaktionsmöglichkeiten. Drittens sind beispielsweise im Angesicht von Data Analytics und Künstlicher Intelligenz traditionell auf Subjekte bezogene Konzepte wie Autonomie und Authentizität auch auf technologisch- medialer Ebene in den Blick zu nehmen. Reflektiert werden soll aus der Interaktionsperspektive, wie und warum digitale Medien und Systeme als Werkzeuge jeweils für konkrete Vorhaben ausgewählt und genutzt werden. Dies erfordert eine Orientierung hinsichtlich der vorhandenen Möglichkeiten und Funktionsumfänge gängiger Werkzeuge in der jeweiligen Anwendungsdomäne sowie deren sichere Handhabung, aber auch die Kenntnis ökonomischer, gesellschaftlicher und politischer Interessen, welche Anbietende von digitalen Werkzeugen vertreten. Mit dem eigenen Handeln stellt sich so auch immer die Frage, welche anderen Handlungsoptionen individuell und sozial wünschenswert und realisierbar wären. Gleichzeitig ist aus dieser Perspektive immer auch zu reflektieren, welche Subjektpositionen technologisch-medial und kulturell angelegt sind, wie Subjekte sich in diesem Rahmen konstituieren und inwiefern sich Subjektivität angesichts digitaler autonomer Systeme transformiert. Anschlüsse Die drei Seiten des Frankfurt-Dreiecks beschreibenjeweils unterschiedliche Perspektiven für die Analyse, Reflexion und Gestaltung von Artefakten und Phänomenen einer durch digitale Medien und Systeme geprägten Welt. Dies schließt jeweils unterschiedliche Zugänge zur Erklärung der digitalen Artefakte und damit verbundener Phänomene ein. Das (theoretisch-konzeptionelle) Modell bietet eine begriffliche und strukturelle Grundlage, um an die Diskurse der Disziplinen Informatik, Informatikdidaktik, Medienpädagogik und Medienwissenschaft anschließen zu können, in einen produktiven interdisziplinären Austausch einzutreten und eigene anschlussfähige Theoriebildung zur Ausdifferenzierung und Konkretisierung voranzutreiben.Für Bildungskonzepte, die digitale Medien und Systeme einschließlich der damit verbundenen Phänomene und ihrer Grundlagen adressieren und zur Teilhabe an der durch sie geprägten Welt befähigen sollen, ergibt sich aus dem Frankfurt-Dreieck die Maßgabe, dass sowohl die technologischen und medialen Strukturen und Funktionen, als auch die gesellschaftlich-kulturellen Wechselwirkungen sowie die Nutzungs-, Handlung- und Subjektivierungsweisen in Interaktionen mit digitalen Medien und Systemeneinzubeziehen sind. Das übergeordnete Ziel muss dabei sein, digitale Artefakte und mit ihnen verbundene Phänomene im Zusammenspiel dieser drei Perspektiven analysieren, reflektieren, gestalten und damit erklären und beurteilen zu können.Vor dem Hintergrund derartiger Bildungskonzepte gilt es im Austausch mit Bildungspolitik und -praxis konkrete Kompetenzanforderungen weiterzuentwickeln und im Zusammenwirken informatischer, informatikdidaktischer, medienwissenschaftlicher und medienpädagogischer Expertise (fach-)didaktische Szenarien und Lernmaterialien zu entwickeln, die den Auf- und Ausbau dieser Kompetenzen in Bildungseinrichtungen ermöglichen. Dieses Rahmenmodell kann dabei für alle Praxis- und Handlungsfelder in Bildungskontexten und pädagogischer Arbeit adaptiert werden: für die allgemeinbildende Schule, für die Hochschule, die Lehrer*innenbildung wie auch für außerschulische Bildungskontexte, wie die Kinder- und Jugendarbeit und Erwachsenenbildung.Perspektivisch ergibt sich so ein umfassender, wissenschaftlich fundierter und interdisziplinär getragener Katalog von Zielstellungen und Maßnahmen für Bildungskonzepte in einer durch digitale Medien und Systeme geprägten Welt. Anmerkung1 Dieser Text erscheint zeitgleich in Publikationsorganen der beteiligten Fachgesellschaften: merz 4/19 und MedienPaedagogik.com, Medienimpulse 58/19, Informatik und Schule INFOS 2019 sowie den Webseiten der Gesellschaft für Informatik e. V. und ist daher den institutionsinternen Standards zur geschlechtergerechten Sprache untergeordnet. Autor*innen: Prof. Dr. Torsten Brinda (U Duisburg-Essen, D), Dr. Niels Brüggen (JFF, München, D), Prof. Dr. Ira Diethelm (U Oldenburg, D), Prof. Dr. Thomas Knaus (PH Ludwigsburg, D | Frankfurt UAS, D | GMK), Prof. Dr. Sven Kommer (RWTH, Aachen, D | KBoM), Christine Kopf (DFF, Frankfurt, D), Ass.-Prof. Dr. Petra Missomelius (U Innsbruck, A | KBoM), Prof. Dr. Rainer Leschke (U Siegen, D), Prof. Friederike Tilemann (PH Zürich, CH), Dr. Andreas Weich (HBK Braunschweig, D | TU Braunschweig, D)
Germany is a country of immigration. This has de facto been the case since the beginning of 'guest worker' recruitments in the 1950s, but Germany only legally acknowledged that it was incorrect to maintain that 'Germany is not a country of immigration' ('Deutschland ist kein Einwanderungsland') only 16 years ago, with a shift in migration policy that affected both the political and the social discourse on immigration and integration. Since 2000, a new Citizenship Act has granted citizenship based on place of birth ('Ius Soli') rather than on descent only ('Ius Sanguini'). In 2005, a new Immigration Act took effect and ad-dressed matters of integration at the federal level (Castro Varela & Mecheril 2010: 25). Debates on successful integration became prevalent in the political discourse, and a national action plan on integration ('Nationaler Integrationsplan' 2006, 2007; 'Nationaler Aktionsplan Integration' 2012) declared measures to improve the situation of migrants in Germany. Among other issues, the plan aims to ease the entrance of highly skilled migrants to the German labour market (National Action Plan on Integration 2012: 20). Through the 2005 Immigration Act, Germany started to foster immigration of highly skilled migrants for the first time since the end of 'guest worker' recruitments in 1973, a series of contracts that encouraged migration to post-war Germany. 'Guest workers' helped to rebuild the German economy and formed the first big migration wave to Germany in the 20th century (Castro Varela & Mecheril 2010), but they were expected to leave after a short period of work and their integration did not form part of the 'guest worker' recruitment. Besides, few of them worked in the highly skilled sector. With the implementation of the new Immigration Act, Germany now invests in the acquisition of knowledge via immigration (Act on the Residence, Economic Activity and Integration of Foreigners in the Federal Territory, Sections 19, 19a & 21), and thereby tries to address the skills shortage (The Federal Government 2014). However, many highly skilled migrants living in Germany did not immigrate as part of the initiative to reduce the skills shortage, but came as refugees, ethnic German repatriates or for family reunification. Although there have been recent initiatives to improve the acknowledgement of their degrees and certificates, various studies prove that their professional potential is not tapped, and that they too often face deskilling (Henkelmann 2012; Nohl, Ofner & Thomsen 2010). This is contrary to research that finds professional integration a relevant criterion for satisfactory integration into society (Peirce 1995; Nohl, Schit-tenhelm & Schmidtke 2014; Pätzold 2010; Brizić 2013). Despite increasing skills shortages in fields such as engineering (e.g. The Association of German Engineers VDI 2016), the knowledge and qualifications of highly skilled migrants seem to have lost significance on the German labour market (Flam 2007: 118). This situation frames the qualitative study at hand. To reveal perspectives on professional skills and career paths after migration to Germany, 17 semi-structured interviews were conducted with immigrant graduates who participated in a requalification project. As part of the project, all participants had enrolled at the University of Duisburg-Essen to obtain a German university degree with a view to enhancing their chances on the labour market. Since they had migrated to Germany 2–20 years before, none of the participants had been able to work in the fields they obtained their degrees in. Experiences of immigrant graduates in the context of their 'insufficient incorporation' (Nohl, Schittenhelm & Schmidtke 2014: 4) into the German labour market have been subject to recent studies (e.g. Nohl, Ofner & Thomsen 2007; Ofner 2011; Henkelmann 2012; Nohl, Schittenhelm, Schmidtke & Weiß 2014; Jacoby 2011), but more research is required on how participation in professional communities is assessed by migrant graduates in the context of their deskilling. Through examining how ideas on professional participation and agency are verbalised in interviews, the study at hand addresses this desideratum. 'Agency' and 'participation' are main factors in the analysis of the data presented in this thesis, and their definition builds on the assumption that '"doing" is at the heart of identity formation', linking action to processes of identity formation (Pratt 2012: 26). The present study suggests that expressions of agency and participation reveal how professional identities are discursively constructed in interviews. This leads to two research questions: 1. What kind of strategies did the interviewees use to support the discursive con-struction of their professional identities? 2. How did the respondents demonstrate agency in discursive constructions of professional identities? To analyse the data for strategies of identity construction, a qualitative content analysis (Mayring 2010, 2014; Kuckartz 2014, 2014; Schreier 2012) was carried out. Thus, the data was structured according to the aforementioned research questions (Mayring 2010). This was achieved by assigning text units to categories that were formed deductively from research about the notion of professional identity and its construction (Turner 1991; Pratt 2012; Ashforth, Kreiner, Clark & Fugate 2007; Caza & Creary 2016), as well as inductively from interview data. Hence, the result of the coding procedure was a number of text units that were filtered with the help of categories and that showed different types of strategies for the construction of professional identities. The filtered text units were then examined according to how agency was demonstrated within them. The analysis showed that various types of discursive strategies were located. These strategies helped to construct, deconstruct or maintain professional identities. The strategies involved agency to different ex-tents. Whereas resigning and adapting strategies showed only little or no agency on the part of the interviewees, regaining and disclosing strategies involved more agency in the construction of professional identities. These findings are discussed with regards to two aspects. The first aspect is how the typol-ogy of discursive strategies relates to the theoretical framework of the study. It can be shown that participation in professional communities increases agency and supports the construction of professional identities, while unsatisfactory participation is reflected in a lack of identification as a professional. The construction of professional identities is clearly linked to participation in actual or imagined professional communities. The validation of these actions contributes to the construction of confident professional identities (Pratt 2012: 26). Moreover, comparing and contrasting (Kelle & Kluge 2010) discursive strategy types shows how metaphorical references to power (Lakoff & Johnson 1980) support the processes of constructions of professional identities. The second aspect is the validity of the findings. It will be demonstrated that although the qualitative approach of this research project includes the subjective perspective of the researcher, there are certain quality criteria such as the transparency of the analysis process and a second analysis procedure at a different point of time that ensure a satisfactory level of internal validity (Malterud 2001: 484). The transferability of the findings to other contexts is outlined in the conclusion. More specifically, the findings can be transferred and applied to further research in two different ways. Firstly, a similar analysis should be conducted with the same participants at a different point of time. The hypothesis that professional participation enhances the construction of professional identities could then be re-evaluated after a longer period of employment in the field of graduation. Secondly, this hypothesis could be transferred to a different migration setting, for instance to Australia, to test whether the construction of professional iden-tities changes according to the context of another immigration country. ; Deutschland ist ein Einwanderungsland. Faktisch ist es das seit Beginn der Anwerbung von sogenannten "Gastarbeitern" in den 50er Jahren. Juristisch gesehen ist die Aussage, Deutschland sei kein Einwanderungsland, erst vor 16 Jahren durch eine Veränderung der Migrationspolitik wiederlegt worden. Die Auswirkungen dieser Veränderung betrafen sowohl den politischen als auch den gesellschaftlichen Diskurs um Migration und Integration. Nach dem neuen Einbürgerungsgesetz aus dem Jahr 2000 wird die deutsche Staatsbürgerschaft nun unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Eltern an Kinder vor allem aufgrund des Geburtsorts verliehen ("Ius Soli"), und nicht mehr ausschließlich basierend auf Abstammung ("Ius Sanguini"). Die Verabschiedung eines neuen Einwanderungsgesetzes im Jahr 2005 bedeutet gleichzeitig die erstmalige Verwendung des Begriffs Integration auf Gesetzesebene und die Einführung des Diskurses darum auf Bundesebene (Castro Varela & Mecheril 2010: 25). Damit wurde im politischen Diskurs die Debatte um erfolgreiche Integration vorrangig, und in der Folge wurden in einem Nationalen Aktionsplan Integration (2012) bzw. dem Nationalen Integrationsplan (2006) Vereinbarungen zur Verbesserung der Situation der Migranten in Deutschland erklärt (Nationaler Aktionsplan Integration: 2012). Durch das neue Einwanderungsgesetz begann Deutschland zum ersten Mal seit dem Ende des Anwerbungsstopps der "Gastarbeiter" 1973, gezielt Fachkräfte anzuwerben. Die Anwerbung der "Gastarbeiter" war durch eine Reihe von Anwerbeverträgen erfolgt, die zur Migration in das Nachkriegsdeutschland motivierten. Die "Gastarbeiter" trugen dort maßgeblich zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft bei und formten damit die erste große Einwanderungswelle, die Deutschland im 20. Jahrhundert erreichte (Castro Varela & Me-cheril 2010). Nichtsdestotrotz wurde erwartet, dass sie nach einer kurzen Arbeitsphase das Land wieder verließen, weshalb nur wenig zu ihrer Integration beigetragen wurde. Außerdem arbeiteten sie zumeist nicht im Hochqualifiziertensektor. Mit der Verabschiedung des neuen Einwanderungsgesetzes investiert Deutschland nun erstmalig gezielt in die Anwerbung von Wissen durch Einwanderung (Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet, §§ 19, 19a & 21), und begegnet damit dem Fachkräftemangel (Die Bundesregierung 2014). Viele hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland leben, sind jedoch nicht im Rahmen der Initiative zur Reduzierung des Fachkräftemangels, sondern als Flüchtlinge, Spätaussiedler oder aufgrund einer Familienzusammenführung eingewandert. Obwohl es seit einiger Zeit Bemühungen zur verbesserten Anerkennung ihrer Abschlüsse und Zertifikate gibt, belegen zahlreiche Studien, dass die beruflichen Potenziale von Mig-rantinnen und Migranten nicht ausgeschöpft werden, und dass sie sich oft der Dequalifizierung ausgesetzt sehen (Henkelmann 2012; Nohl, Ofner & Thomsen 2007). Dies konterkariert Erkenntnisse, die darlegen, dass berufliche Integration maßgeblich zu einer erfolgreichen Integration in die Gesellschaft beiträgt. Trotz des steigenden Fachkräftemangels beispielsweise in den ingenieurwissenschaftlichen Bereichen (vgl. Verband deutscher Ingenieure VDI 2016) scheinen das Wissen und die Fertigkeiten von hochqualifizierten Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt an Bedeutung zu verlieren (Flam 2007: 118). Dies bildet den situativen Rahmen der vorliegenden Arbeit. Zur Darlegung verschiedener Perspektiven wurden 17 Interviews mit eingewanderten Akademikerinnen und Akademikern über deren wahrgenommene berufliche Fertigke-ten und Karrierewege nach ihrer Migration nach Deutschland geführt. Alle Interviewteilnehmenden waren gleichzeitig Stipendiaten eines Nachqualifizierungsprojektes. Im Rahmen dieses Projektes hatten sich alle Teilnehmenden an der Universität Duisburg-Essen eingeschrieben, um einen deutschen Universitätsabschluss zu erwerben und damit einen besseren Einstieg auf dem Arbeitsmarkt zu erwirken. Seit ihrer Einwanderung, die zwischen zwei und zwanzig Jahren zurücklag, war es keinem der Teilnehmenden möglich ge-wesen, in ihrem Fachbereich eine entsprechende Anstellung zu finden. "Handlungsfähigkeit" und "Teilhabe" werden deshalb in der Analyse der vorliegenden Arbeit als Hauptfaktoren betrachtet, die auf Basis der Annahme "doing is at the heart of identity formation" (Pratt 2006: 26) definiert sind, und somit den Prozess der Identitätsbildung mit konkreten Handlungsmöglichkeiten verbinden. Die vorliegende Forschungsarbeit geht davon aus, dass Äußerungen zu Handlungsfähigkeit und Teilhabe darlegen, wie professionelle Identitäten diskursiv in Interviews gestaltet werden. Das führt zu zwei Forschungsfragen: 1. Welche Strategien wurden von den Interviewteilnehmenden eingesetzt, um die diskursive Konstruktion ihrer professionellen Identitäten zu unterstützen? 2. Wie haben die Interviewteilnehmenden ihre Handlungsfähigkeit innerhalb ihrer diskursiven Konstruktion beruflicher Identitäten dargestellt? Um die Interviewdaten mit Blick auf Strategien von Identitätskonstruktionen angemessen auswerten zu können, wurde eine Qualitative Inhaltsanalyse (Mayring 2010, 2014; Kuckartz 2014, 2014; Schreier 2012) durchgeführt. Somit konnten die Daten mit Bezug auf die genannten Forschungsfragen strukturiert werden. Bei diesem Schritt wurden Textbestandteile Kategorien zugeordnet (Mayring 2010), die sowohl deduktiv von Forschungen zu beruflicher Identität und ihrer Konstruktion (vgl. Turner 1991 Pratt 2000; Ashforth, Kreiner, Clark & Fugate 200; Caza & Creary 2016), als auch induktiv aus dem Interviewmaterial heraus entwickelt wurden. Aus der Kodierung ergaben sich eine Reihe von Textstellen, die durch die Anwendung der Kategorien aus den Interviews herausgefiltert worden waren und die verschiedene Strategietypen zur Konstruktion von professionellen Identitäten aufwiesen. Diese herausgefilterten Textstellen wurden dann in Bezug auf die Darstellung von "agency" untersucht. Es konnten verschiedene Strategietypen lokalisiert werden, die zur Konstruktion, dem Verwerfen und dem Aufrechterhalten von professionellen Identitäten dienten. "Agency" wurde hierbei in unterschiedlicher Ausprägung gezeigt. So war "agency" in resignierenden und anpassenden Strategietypen gar nicht oder nur in sehr geringem Maße repräsentiert, während die aufdeckenden und aufholenden Strategietypen einen deutlich höheren Anteil von "agency" an der Konstruktion professioneller Identitäten seitens der Interviewteilnehmenden aufwiesen. Diese Ergebnisse werden mit Blick auf zwei Aspekte diskutiert. Der erste Aspekt betrifft den theoretischen Rahmen der Arbeit und die Frage, wie dieser sich in deren empirischen Ergebnissen wiederfindet. Es wird deutlich, dass die Teilhabe in professionellen communities den Faktor "agency" erhöht damit die Konstruktion professioneller Identitäten unter-stützt, während sich unzureichende Teilhabe in einem Mangel an professioneller Identität wiederspiegelt. Damit ist die Konstruktion professioneller Identitäten klar an Teilhabe in tatsächlichen oder imaginären professionellen communities gebunden. Die Bestätigung solcher Teilhabe trägt ebenfalls eindeutig zur Konstruktion selbstbewusster professioneller Identitäten bei (Pratt 2012: 26). Darüber hinaus zeigt der Vergleich und die Gegenüberstel-lung der diskursiven Strategietypen (Kelle & Kluge 2010), wie metaphorische Verweise Machtverhältnisse (Lakoff & Johnson 1980) die Konstruktionsprozesse professioneller Identitäten unterstützen. Der zweite Aspekt ist die Validität der Forschungsergebnisse. Es wird gezeigt werden, dass obwohl die qualitative Ausrichtung des Forschungsvorhabens die Subjektivität der Forscherin in den Forschungsprozess mit einbezieht, ein zufriedenstellendes Maß an Validität innerhalb der Arbeit (Malterud 2001: 484). Durch die Anwendung verschiedener Qualitätskriterien wie der Offenlegung des Analyseprozesses und einem zweiten, zeitlich verschobenen Kodiervorgang erreicht werden konnte. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse der vorliegenden Studie in einen anderen Kontext wird im Schlussteil der Arbeit aufgezeigt werden. Die Ergebnisse können mit Blick auf zukünftige Forschungsvorhaben vor allem in zweierlei Hinsicht übertragen werden: Zunächst kann eine Analyse mit einem ähnlichen Kodierrahmen von Strategietypen anhand von Interviews mit den gleichen Teilnehmenden zeigen, ob die Hypothese der professionellen Teilhabe als konstituierender Teil der professionellen Identitätsbildung bestätigt werden kann, wenn bereits eine längere Beschäftigung auf Niveau des Hochschulabschlusses besteht. Des Weiteren kann diese Hypothese auf andere Migrationssettings übertragen werden. Ein Vergleich beispielsweise mit Australien könnte darlegen, ob die Konstruktion professioneller Identitäten in anderen Einwanderungsländern divergiert.
Aus der Einleitung: 4.500 Mitarbeiter, zehn Länder, drei Kontinente und fünf Zeitzonen: Das ist die Bilanz der Produktion der elektrischen Zahnbürste "Sonicare Elite 7000" der Firma Philips aus den Niederlanden (vgl. Abb. 1). Bis zu der Verpackung in Seattle haben die Komponenten zwei Drittel des Erdumfangs zurückgelegt. Die "Weltbürste" ist nur eines von zahllosen Beispielen, welches auf die weltumspannenden Produktionsnetze hinweist. Die Ausweitung der internationalen Arbeitsteilung ist der Motor der Weltwirtschaft, die sich laut Weltbank in der "revolutionären Phase" der Globalisierung befindet. Unter Globalisierung versteht man gemeinhin die Zunahme weltweiter Verflechtungen infolge der Ausbreitung und Vertiefung ökonomischer, ökologischer, politischer und kultureller Prozesse. Aus ökonomischer Perspektive steht die Ausbildung weltweiter Märkte im Mittelpunkt, "auf denen Waren und Dienstleistungen gehandelt, Investitionen getätigt, Technologien übertragen und Informationen ausgetauscht werden". Mit zunehmender Interdependenz der Weltwirtschaft hängt das ökonomische und soziale Wohl der Nationen, Regionen und Städte von komplexen Interaktionen auf globaler Ebene ab. Mit anderen Worten, "what happens in any given country or locality is broadly determinedby its role in systems of production, trade and consumption which have become global in scope". Jeder Ort, jede Region oder Nation übernimmt somit innerhalb des von Konkurrenz geprägten Weltsystems eine spezifische Rolle. Der gegenwärtige Strukturwandel im Zeichen der Globalisierung fordert die "Rollenverteilung" des "modernen Weltsystems", dessen Ursprung unter anderem im Europa des 15. Jahrhunderts zu suchen ist, heraus. Vor diesem Hintergrund ist der "ökonomische Auf- bzw. Abstieg von Ländern und Regionen" zu sehen, das heißt es gibt Gewinner und Verlierer des Strukturwandels. Dubai bietet die moderne Version von Tausendundeiner Nacht: es sind vor allem Projekte der Superlative, wie zum Beispiel das einzige Sieben-Sterne Hotel der Welt und aufgeschüttete Inseln in Form einer Palme, die das Bild von Dubai nachhaltig prägen. Künstliche Welten, internationale Sportereignisse, Gesundheitstourismus und an erster Stelle Shopping-Tourismus – Dubai ist in vielfältiger Weise für Touristen aus aller Welt attraktiv. Jedoch beginnt die große Erfolgsgeschichte der Moderne nicht erst mit dem Touristenaufkommen der 1990er Jahre. Dubai konnte sich früh als Dienstleistungs- und Handelszentrum in der Golfregion etablieren, bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts spielte der Perlenhandel die entscheidende Rolle. Zollfreiheit und Steuervergünstigungen zogen bereits damals zahlreiche Händler an – heute gilt Dubai als einer der bedeutendsten Umschlagplätze für den Goldhandel. Die Erlöse aus den Petrodollars nutzte die Führung seit den 1960er Jahren, um den Standort Dubai durch groß angelegte Infrastrukturprojekte, wie beispielsweise die beiden Tiefseehäfen Jebel Ali und Port Rashid, kontinuierlich zu stärken und für die Nach-Erdöl-Zeit zu sorgen. Zu Beginn des Jahres 2006 machte Dubai mit Schlagzeilen auf sich aufmerksam, die als Menetekel für die etablierten Industrieländer gedeutet werden können: Zum einen der Vorstoß der Dubai Ports World sechs Häfen an der Ostküste der USA zu übernehmen, zum anderen die neu gegründete internationale Börse DIFX (Dubai International Financial Exchange), die Unternehmen aus einem Raum anziehen will, in dem ein Drittel der Weltbevölkerung lebt. Innerhalb von nur 50 Jahren ist Dubai vom verschlafenen Fischerdorf zur "cosmopolitan regionally dominant twenty-first century city" aufgestiegen und hat somit eine einzigartige Entwicklung vollzogen. Auf der Suche nach einer Position in der Weltwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung gibt man sich nicht mit der "reaktiven Mittlerrolle" eines "globalisierten" Ortes zufrieden, sondern strebt die aktive Funktion eines "globalen Ortes" an.m Could Dubai become the most important city on earth?" – fragt Nicolson im Online-Angebot der Khaleej Times vom 13. Februar 2006 und bringt damit das Selbstbewusstsein und die Ambitionen der Regierung Dubais auf den Punkt. Scheinbar erwacht hier eine Region, die bisher kaum jemand auf dem "Globalisierungsradar" hatte. Die Globalisierungsdebatte vermittelt oftmals den Eindruck von einem zeitlich "isoliert" auftretenden Phänomen. Der zweite zentrale Begriff des Titels der Arbeit - Weltwirtschaftssystem - wurde gewählt, um den Globalisierungsansatz in einen systematischen (historischen) Zusammenhang zu stellen. Welchen Beitrag leistet die geographische Perspektive? Die Weltwirtschaftlichen Vorgänge und die mit diesen zusammen-hängenden Transporte von Personen sowie von materiellen und immateriellen Gütern und Leistungen sind nicht nur an sich wirtschafts-geographische Arbeitsfelder, sondern ihre Wirkungen auf das innere Gefüge der an den Außenbeziehungen beteiligten Staaten machen sie zu einem wirtschaftsgeographischen Kernbereich. Ein Autor beklagt, dass die Beschäftigung der Geographen mit dem Welthandel immer spärlich ausfiel und seit Mitte des 20. Jahrhunderts zum Stillstand kam. Der Hauptgrund ist der kleine Maßstab, das heißt Übersee- und Welthandel sind mit geographischen Methoden nur schwer fassbar. Ferner hätte man versäumt eine "tragfähige Brücke zur Außenhandelstheorie der Nationalökonomie zu schlagen." Zehn Jahre später greift ein anderer die Problematik wieder auf und stellt sie gleichzeitig in den größeren Zusammenhang der Globalisierungsdiskussion. Obwohl die Prozesse und die Folgen, die mit dem Begriff Globalisierung verbunden sind, Gegenstandsbereich der Geographie sind, seien die Geographen an den zentralen Streitfragen nicht beteiligt: "Geography is rather like the small child in the school playground who always gets missed out when the big children are picking teams". Darüber hinaus moniert er, dass sich die geographische Forschung in großem Maße mit dem Zu- und Abfluss von ausländischen Direktinvestitionen beschäftige, während Handelsströme wenig beachtet würden: "in the case of international trade, what matters are not so much changes in volume - although they are important - as changes in composition". Mit eben jener "composition" in zeitlicher und räumlicher Dimension beschäftigt sich das nachfolgende Kapitel. Eine explizite "Theorie der Weltwirtschaft" existiert nicht. Dennoch sollen die vorgestellten Konzepte1 mit ihren verschiedenen Aspekten in der Gesamtansicht eine erste systematische Annäherung an das Weltwirtschaftssystem darstellen. Den aktuellen Entwicklungen und der Struktur der Weltwirtschaft im Kontext der Globalisierung widmet sich das dritte Kapitel, welches zusammen mit dem zweiten Kapitel einen "theoretischen Rahmen" bildet, innerhalb dessen schließlich die Bedeutung von Dubai herausgearbeitet werden soll.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.EINLEITUNG1 1.1Von der "Weltbürste" zur Weltwirtschaft1 1.2Warum Dubai?2 1.3Forschungsstand und Fragestellung3 2.WELTWIRTSCHAFTSSYSTEM4 2.1Weltsystem-Theorie und "Weltwirtschaften"5 2.1.1Das Weltsystem nach WALLERSTEIN5 2.1.1.1Die Analyse des Weltsystems5 2.1.1.2Das moderne Weltsystem6 2.1.2Die "Weltwirtschaften" nach BRAUDEL8 2.2Die Wirtschaftsräume nach OTREMBA10 2.3Tripolarität der Weltwirtschaft11 2.3.1Die Triade nach OHMAE11 2.3.2Regionale Theorie des Welthandels nach GROTEWOLD12 2.3.3Weltstädte, Global Cities und Steuerungszentralen14 2.4Zusammenfassung16 3.GLOBALISIERUNG DER WELTWIRTSCHAFT19 3.1Problematisierung der Globalisierung19 3.1.1Der problematische Begriff Globalisierung20 3.1.2Das Problem Globalisierung21 3.2Konzeption von Globalisierung22 3.2.1Globalisierung als neue Epoche23 3.2.2Globalisierung als Prozess24 3.2.3Voraussetzungen der Globalisierung24 3.2.3.1Technologische Innovationen24 3.2.3.2Institutionelle Veränderungen26 3.2.3.3Die Integration neuer Märkte27 3.2.4Akteure der Globalisierung27 3.2.4.1Der Nationalstaat als Akteur28 3.2.4.2Global agierende Unternehmen28 3.2.4.3Der Konsument29 3.3Erscheinungsformen der Globalisierung30 3.3.1Globalisierung des Handels30 3.3.1.1Entwicklung der Rahmenbedingungen des Welthandels30 3.3.1.2Entwicklungen im Handel mit Waren und Dienstleistungen31 3.3.1.3Regionale Struktur des Welthandels34 3.3.2Globalisierung der Produktion44 3.3.2.1Von der klassischen zur neuen internationalen Arbeitsteilung44 3.3.2.2Transnationale Unternehmen46 3.3.2.3Ausländische Direktinvestitionen47 3.3.3Globalisierung der Finanzmärkte52 3.3.3.1Das Bretton Woods-System52 3.3.3.2Spekulation versus Effizienz53 3.3.4Globale Transportnetze54 3.3.4.1Die Herausbildung von Transportnetzen55 3.3.4.2Containerlinienschifffahrt55 3.3.4.3Luftverkehr61 3.4Fazit – das globalisierte Weltwirtschaftssystem64 3.4.1Globalisierung versus Regionalisierung65 3.4.2Globale Vernetzung68 3.4.2.1Global Cities als Nodalpunkte von globalen Netzwerken68 3.4.2.2Verbindung der Nodalpunkte69 4.DUBAI IM WELTWIRTSCHAFTSSYSTEM71 4.1Die Golfregion72 4.1.1Die Golfküste unter europäischem Einfluss72 4.1.2Beginn der Öl-Ära73 4.1.3Eine Region hängt am Öltropf74 4.1.3.1Die Ausgangsbedingungen74 4.1.3.2Die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC)76 4.1.4Die Golfregion – Dependenz versus internationale Profilierung80 4.2Überblick über die VAE81 4.2.1Politisches System der VAE82 4.2.2Außenwirtschaftspolitik der VAE84 4.2.3Sozio-ökonomische Betrachtung der VAE87 4.2.3.1Entwicklung im Zeichen des Ölreichtums87 4.2.3.2Entwicklung im Zeichen der Diversifizierung91 4.3Dubai – Wirtschaftsstruktur und Standortfaktoren94 4.3.1Der Aufschwung Dubais nach dem Zweiten Weltkrieg96 4.3.2Ölinduzierte Entwicklung und Diversifizierungstendenzen98 4.3.2.1Immobilienboom in Dubai101 4.3.2.2Freihandelszonen als Schnittpunkte der Diversifizierungsstrategie 102 4.3.2.3Wer investiert in Dubai?104 4.3.3Handel105 4.3.4Transportwesen108 4.3.4.1Die Häfen Dubais108 4.3.4.2Dubai International Airport 113 4.3.5Tourismus118 4.3.6Finanzen122 4.3.7Produzierendes Gewerbe123 4.4Fazit: Dubais Sonderweg in der Golfregion 124 5.DUBAIS BEDEUTUNG IM GLOBALISIERTEN WELTWIRTSCHAFTS-SYSTEM126 5.1Gewinner und Verlierer der Globalisierung126 5.2Dubai als "Hub" der Golfregion128 5.3Dubai – ein überregionales Steuerungszentrum?131 6.LITERATURVERZEICHNIS132Textprobe:Textprobe: Kapitel 4.3.2; Ölinduzierte Entwicklung und Diversifizierungstendenzen: 1963 begann man in Dubai mit den Bohrungen nach Öl, 1966 stieß man auf Öl und drei Jahre später schließlich wurde das erste Rohöl aus Dubai exportiert. Boomartig strömten Menschen, Güter und finanzielle Mittel nach Dubai. Die Ausweitung der Rohölföderung in den 1970er Jahren und die starke Anhebung des Weltmarktpreises für Rohöl in den Jahren 1973 und 1979 bescherten dem Emirat über die Zahlungen der Ölgesellschaften reiche Finanzmittel. Daraufhin erlebte die Stadt einen beispiellosen "Bau-Boom". Schulen, Krankenhäuser, Straßen und moderne Telekommunikationsnetzwerke wurden aufgebaut. Ein neuer Hafen (Port Rashid) wurde gebaut, der Dubai International Airport (DIA) wurde um einen Terminal erweitert und mit einer erweiterten Landebahn ausgestattet, die für jeden Flugzeugtyp geeignet ist. Mit Jebel Ali baute man den größten künstlichen Hafen der Welt. Um ihn herum wurde die Jebel Ali Freihandelszone (JAFZ) eingerichtet, heute eine unter vielen Freihandelszonen, mit denen Dubai Investoren anlockt. Für die zahlreichen Projekte brauchte man bereits Ende der 1960er Jahre möglichst billige Arbeitskräfte, die man insbesondere in Indien und Pakistan fand. Viele kamen auch aus dem Iran, Europa und arabischen Ländern. 1968 betrug der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte 50% der Gesamtbevölkerung Dubais. Zwar hatten die "expatriates" oder "non-nationals" einen beträchtlichen kulturellen Einfluss auf die einheimische Gesellschaft, aber ihr politischer Einfluss in der Zivilgesellschaft war und ist beschränkt, so dürfen sie beispielsweise keine Gewerkschaften bilden. Den entscheidenden Anstoß für den Aufstieg Dubais lieferten die Öleinnahmen, eine weitere entscheidende Antriebskraft waren die lokalen Kaufleute mit ihrem Netzwerk aus internationalen Kontakten. Schon früh diversifizierten sie ihre Geschäftstätigkeiten, finanzierten große Projekte, agierten als Berater und investierten als Aktionäre in private Unternehmen, beispielsweise in die Dubai Telephone Company. Im ersten Golfkrieg bewiesen die Kaufleute ein feines Gespür für Unternehmertum, als sie in den sehr lukrativen Handel mit dem Iran eingebunden waren. Der Handel mit Konsumgütern und Ausrüstungsgegenständen jeglicher Art brachte ihnen und der gesamten Wirtschaft hohe Gewinne ein. Auch die Häfen und angeschlossene Dienstleistungen profitierten von dem Krieg, da die internationale Schifffahrt die sichereren Trockendocks in Dubai den Häfen von Kuwait und Iran vorzog. Seit den frühen 1980er Jahren ist der Handel mit den anderen GCC-Staaten kontinuierlich angewachsen, so dass die Häfen Dubais zu den geschäftigsten der ganzen Region wurden. Seit den 1970er Jahren machte Dubai durch den Bau von Trockendocks, von See- und Flughäfen sowie von Luxushotels, die Einrichtung von Freihandelszonen, das zollfreie Angebot von Uhren, Fotoartikeln, Goldschmuck und Perlen, aber auch das Angebot von Alkohol und Night Life (in Maßen) auf sich aufmerksam. Das moderne Dubai mit seinem Ruf als Handelsplatz steht damit in einer Linie mit dem Dubai vor der Öl-Ära und kann damit auf etwas aufbauen, das SALLOUM als "inherited ability for commerce by its people" bezeichnet. Dubai besitzt nur einen kleinen Anteil von 4% am Erdölvorkommen und 1,9% am Erdgasvorkommen der VAE. Die Lebensdauer beider Ressourcen wird auf 30 bis 40 Jahre geschätzt. Angesichts dessen bestimmte von Beginn an die Notwendigkeit zu alternativen Einkommensquellen für die "Nach-Erdöl-Zeit" das Handeln der Verantwortlichen. Einseitig auf den Industriesektor zu bauen kam aufgrund der nationalen und regionalen Marktenge nicht in Frage. Die politischen Entwicklungen nach dem 11. September 2001 brachten zusätzlich Unsicherheiten bezüglich der Investitionen und Anlagen im Ausland – vor allem in den USA – mit sich. Die Verantwortlichen in Dubai erkannten die Zeichen der Zeit und setzten auf die Privatisierung der Wirtschaft, die Öffnung des Landes für den internationalen Tourismus, die Liberalisierung der Immobilienmärkte sowie des Waren- und Finanzverkehrs. Flankierend dazu wurden Transportwesen, Infrastruktur und IT-Kommunikation den neuen Gegebenheiten angepasst, günstige Arbeits-, Aufenthalts- und Lebensbedingungen für alle Fachkräfte, Investoren und Besucher geschaffen. Im Zeitraum von 1975 bis 1981 verzeichnete das Emirat ein Wachstum des BIP von durchschnittlich 17% pro Jahr. Infolge des Verfalls des Ölpreises und der instabilen Verhältnisse in der Region während des ersten Golfkrieges stagnierte das BIP weitestgehend bis Ende der 1980er Jahre. Von 1990 bis 2000 verzeichnete Dubai ein Wachstum des BIP (in nominalen Preisen) zum Vorjahr von durchschnittlich 7.7%. Für das Jahr 2004 wird das BIP bei KKP mit 30 Mrd. US-$ angegeben. Das Wachstum wurde dabei primär über eine stabile Entwicklung außerhalb des Rohölsektors ("Nicht-Öl-Sektor") erreicht, welcher im Zeitraum von 1990 bis 2000 ein durchschnittliches Wachstum von 11.1% erzielte. Der Rohölsektor hingegen verzeichnete im gleichen Zeitraum einen durchschnittlichen Rückgang von -2.4% pro Jahr. Der Rohölsektor verlor demnach Anteile am BIP zugunsten des Nicht-Öl-Sektors (vgl. Abb. 26). In den 1970er und 1980er Jahren wurde knapp die Hälfte des BIP außerhalb des Rohölsektors erwirtschaftet, ab den 1990er Jahren stieg der Anteil des Nicht-Öl-Sektors am BIP deutlich: Im Jahr 1990 betrug er 65.2% des BIP, 2000 90% und 2004 bereits mehr als 93%. Die Werte belegen die von der Regierung erfolgreich eingeleiteten Diversifizierungsprozesse, insbesondere seit Beginn der 1990er Jahre, so dass die Vulnerabilität des BIP gegenüber Ölpreisschwankungen bedeutend reduziert werden konnte. Der Anteil des Rohöls am BIP Dubais ist mit 7% signifikant geringer als im Landesdurchschnitt, der einen Anteil von 33% verzeichnet (vgl. Abb. 27). Bei einem Anteil von 28% der Bevölkerung steuert Dubai alleine 31% des gesamten Nicht-Öl-Sektors der VAE bei. Besonders dynamisch entwickelten sich die Sektoren Handel, Finanzen, Transport- und Kommunikationswesen, Restaurant- und Hotelgewerbe und das produzierende Gewerbe. Zwischen 1994 und 2000 wuchs das im Hotel- und Gastronomiegewerbe erwirtschaftete BIP um 165.2%, was zu einem Großteil auf die geographische Erschließung der touristisch attraktiven Strandgebiete zurückzuführen ist. Es folgen im gleichen Zeitraum das produzierende Gewerbe (+129.6%), Transport- und Kommunikationswesen (+101.6%) und das Finanz- und Versicherungswesen (+92.2%) (VAN DE BUNT 2003: 31f.). Die neuesten Zahlen zeigen die Fortsetzung der Trends. 2004 wuchs das reale BIP Dubais um 13.3%, die Hauptanteile am Zuwachs hatten dabei: Immobilien (19.8%), produzierendes Gewerbe (15.5%), Bauindustrie (12.6%), Finanz- und Versicherungswesen (12.6%), Handel (10.7%) sowie Transport- und Kommunikationswesen (9.6%). Der Anteil des Transport- und Kommunikationswesens von Dubai ist für über 55% des gleichen Sektors der VAE verantwortlich. Des Weiteren entspricht Dubais Finanzsektor 47% des VAE–Finanzsektors. Kapitel 4.3.2.1, Immobilienboom in Dubai: Der hohe Anteil des Immobiliensektors am BIP-Zuwachs Dubais verweist auf den Boom im Immobiliensektor. Der Wert der geplanten Projekte für die nächsten fünf Jahre wird auf 30 Mrd. US-$ geschätzt. 2004 hatte die Bauindustrie einen Anteil von 13% am Nicht-Öl-BIP. Seit 2000 ist sie mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 24% gewachsen, was den Bau-Boom widerspiegelt, der sich im Jahre 2003 im Bau von über 2000 Gebäuden niederschlug. Der Bausektor gilt auch als größter Arbeitgeber, 24% aller Arbeitskräfte sind hier beschäftigt, hauptsächlich aus dem Ausland stammende Arbeitnehmer. Spektakuläre Projekte, zum Beispiel "The Palm Jumeirah", "The Palm Jebel Ali" und "The World", locken Käufer schon vor Beginn der Bautätigkeiten an, so dass in Dubai die Immobilien "fast vollständig bereits vom Reißbrett verkauft" werden. Die Käufer spekulieren auf die enormen Wertsteigerungen am Immobilienmarkt Dubais – in keinem anderen Land der Welt sind Immobilien nach Fertigstellung 20% teurer geworden. Initiator und Träger der Projekte ist letztlich das Herrscherhaus beziehungsweise die von ihm kontrollierten Finanzgesellschaften – beispielsweise EMAAR, die 1997 gegründet wurde oder NAKHEEL, 2003 gegründet. In sehr viel geringerem Maße übernehmen auch Privatpersonen und Banken die (Vor-)Finanzierung der "Megaprojekte", wie sie von manchen Offiziellen bezeichnet werden. Nach der Fertigstellung werden sie meist privatisiert, das heißt vollständig oder teilweise an Einheimische vergeben. Im Sinne des Rentierstaates werden somit die Pfründe an die lokale Bevölkerung verteilt, doch die Einkommen werden erst dann erzielt, wenn die Objekte über Immobilienagenturen vermietet, verpachtet oder auch verkauft werden. Die Akteure müssen sich dazu mit einer verschärften Wettbewerbssituation auseinandersetzen. Die vielfältigen Bauaktivitäten generieren ein enormes, qualitativ und preislich hochwertiges Angebot, das die Erschließung des globalen Marktes geradezu herausfordert. Wie bereits angedeutet, sind die meisten Projekte, obwohl noch teilweise in Planung, verkauft, verpachtet oder vermietet. Die Käufer stammen überwiegend aus der Golfregion (40-46%), zu je 15-22% aus Russland und anderen GUSStaaten sowie beispielsweise aus Indien, Japan oder Südkorea. Kapitel 4.3.2.2, Freihandelszonen als Schnittpunkte der Diversifizierungsstrategie: In der Nachkriegszeit setzte die Regierung Dubais auf einen liberalen, "unternehmensfreundlichen" ökonomischen Kurs mit geringen Steuerabgaben und politisch stabilem Rahmen, in der Hoffnung, dadurch Investitionen anzuziehen. Diese Haltung drückt sich besonders in der 1985 gegründeten Jebel Ali Free Zone (JAFZ) aus, die erste in der Region gegründete Freihandelszone. Das Areal wurde unmittelbar im Bereich des schon existierenden Tiefsee-hafens Jebel Ali eingerichtet, der gleichzeitig mit der Gründung ausgebaut wurde. Das Konzept sieht vor, dass innerhalb der "Enklave" Geschäftstätigkeiten frei von Zoll und gesetzlichen Beschränkungen durchgeführt werden können. Unternehmen, die sich in der Freihandelszone niederlassen, nutzen nicht nur die niedrigen Arbeitskosten und Visum-freie Anheuerung der nicht-organisierten Arbeitskräfte, sondern vor allem die Möglichkeit, sich zu 100% an Kapitalgesellschaften zu beteiligen. Für Ausländer ist das außerhalb der Freihandelszonen sonst nicht möglich, es dürfen nach geltendem Recht maximal 49% einer Unternehmung in ausländischen Besitz übergehen. Die Geschäftsleute genießen noch weitere Privilegien: es ist kein Sponsor erforderlich, es ist kein Service Agent bei Zweigniederlassungen erforderlich, zwischen 15-30 Jahre garantierte Steuerbefreiung (Körperschafts- und Einkommenssteuer), freier Kapital- und Gewinntransfer. Grundsätzlich ist die aktive Teilnahme am Wirtschaftsleben der VAE erlaubt, es können Waren importiert und exportiert werden. Die Lizenzen sind jedoch nur auf das Gebiet der jeweiligen Freihandelszone beschränkt, mit der Folge, dass diese Niederlassungen gesellschaftlich als nicht in den VAE niedergelassen gelten. Deshalb erfordert der Export in die VAE einen Handelsvertreter, Importeur oder auch ein Joint Venture in Form einer Vertriebsgesellschaft. Die Entscheidung, sich in innerhalb der VAE oder in einer Freihandelszone niederzulassen, hängt somit wesentlich von dem angestrebten Zielmarkt ab. Ist dieser nicht auf die VAE beschränkt, stellt die Niederlassung in einer Freihandelszone eine sinnvolle Alternative zu einem Standort innerhalb der VAE dar. Seit der Gründung flossen über 2,5 Mrd. US-$ an Investitionen in die JAFZ, in der 2003 2.350 Firmen aus 97 Ländern angesiedelt waren. Neben japanischen Firmen (Nissan, Mitsubishi, Honda, Sony) sind vor allem auch europäische multinationale Unternehmen vertreten, beispielsweise ABB, Shell, BASF und Unilever. In den 1980er Jahren fungierte die JAFZ überwiegend als Lagerungs- und Verteilerzentrum für die multinationalen Unternehmen. In den letzten Jahren ließen sich dort auch Unternehmen des produzierenden Gewerbes nieder, dennoch dominiert der Handel mit 80% die Aktivitäten in dem Areal. Der Erfolg der JAFZ war ausschlaggebend dafür, dass in der Folgezeit noch weitere Freihandelszonen – nicht nur in Dubai – eingerichtet beziehungsweise noch in Planung gegeben wurden. Bemerkenswert sind auch die Bemühungen der Führung, Dubai als IT- und Medienstandort zu positionieren. Die Dubai Internet City stellt die notwendige Infrastruktur bereit, "that enables ICT enterprises to operate locally, regionally and globally from Dubai, with significant competitive advantage". Namhafte Unternehmen wie Microsoft, Oracle und Canon nutzen bereits dieses Angebot. Die Dubai Media City zielt auf internationale Medienunternehmen ab, die sich in den speziell eingerichteten Studios und Bürogebäuden niederlassen sollen. CNN und Reuters haben hier beispielsweise Zweigstellen etabliert. 2004 wurde die erste Produktionsstätte für Chips, CDs, DVDs und Software, das Dubai Silicon Oasis gegründet, das zusammen mit dem Knowledge Village das "knowledge-economy-system" komplettiert. Der Mix aus Industrie und Dienstleistungen in den meisten Freihandelszonen kennzeichnet ebenfalls die Diversifizierung der Wirtschaft Dubais. Zusätzlich zu produzierendem Gewerbe und Logistikunternehmen werden heute auch moderne Dienstleistungen aus dem Bereich Bankwesen, Versicherung und Recht angeboten. Dubais zukünftige Entwicklung ist durch die Entwicklung des Dienstleistungssektors determiniert. Die strukturelle Verschiebung zu einem Dienstleistungszentrum par excellance zeigt sich in den breit gefächerten Dienstleistungsaktivitäten: Handel-, Reparatur-, Restaurant- und Hoteleinrichtungen, Transport- und Kommunikationswesen, Immobiliendienstleistungen, soziale und Personaldienstleistungen, Finanz- und Versicherungswesen, staatliche Leistungen sowie Haushaltsdienstleistungen. Der Anteil des Dienstleistungssektors am BIP Dubais ist von 38% im Jahre 1985 auf 71% 2003 gestiegen (vgl. Abb. 28). Die "Wasserscheide" zu Beginn der 1990er Jahre ist mit dem im gleichen Zeitraum rapide wachsenden BIP in Verbindung zu bringen (vgl. Abb. 26) und bestätigt darüber hinaus die erfolgreiche Diversifizierungsstrategie in den 1990er Jahren. Kapitel 4.3.2.3, Wer investiert in Dubai?: Insbesondere seit den Terroranschlägen von New York und Washington sind die Rückflüsse arabischer Geldanlagen aus Amerika und Europa beträchtlich. Es existieren keine genauen Zahlen über die Privatvermögen im Ausland. Dennoch gilt als sicher, dass allein im Jahr 2002 ein dreistelliges Milliardenvermögen aus Amerika abgezogen wurde, wo Untersuchungen der Finanzbehörden ebenso drohen wie Schadenersatzprozesse im Zusammenhang mit der Finanzierung von Terrornetzwerken wie Al Qaida. Das Geld für die Milliardeninvestitionen stammt demnach vor allem von Investoren der Region, die "heute noch von den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem US-amerikanischen Krieg gegen islamisch fundamentalistischen Terror" profitiert. Laut des Global Business Policy Council20 sehen asiatische Investoren Dubai an neunter Stelle der attraktivsten Investitionsstandorte, während Europäer es an 20. Stelle nennen. Unter japanischen und indischen Investoren rangiert Dubai auf dem 6. Platz, Investoren aus der Schweiz setzen Dubai auf den dritten Rang der attraktivsten Investitionsstandorte. ADI in Dubai sind im Jahr 2004 enorm angestiegen, auf 840 Mio. US-$, gegenüber 30 Mio. US-$ im Jahr zuvor21. Investoren des Chemie- und Elektronikbereichs äußern sich sehr zuversichtlich über die Entwicklung des produzierenden Gewerbes der Region. Insbesondere die Freihandelszonen – wie die JAFZ – sind für die Investoren aufgrund der Zoll- und Steuerprivilegien als Standort attraktiv. Die im Jahr 2005 eröffnete Industrial City in Dubai, die Investitionsanreize für die Schwerindustrie bietet, fördert das Interesse der Investoren zusätzlich. Die Direktinvestitionen in das Ausland fallen dagegen gering aus, sie werden auf 1% des BIP geschätzt. Im Vergleich dazu steuern Direktinvestitionen im Ausland zu dem BIP Hongkongs 24%, dem Singapurs 10% und dem der Schweiz 7,9% bei. Die Vorteile der Freihandelszonen-Strategie liegen auf der Hand, doch nicht alle Investoren teilen diese Euphorie. So gibt es beispielsweise Bedenken hinsichtlich der lokalen Geschäftspraktiken und geistigen Eigentumsrechte, da vertrauliche Informationen auf dem engen Raum einer Freihandelszone möglicherweise reibungsloser zu den umgebenden Wettbewerbern diffundieren. Die Bedenken haben jedoch scheinbar eine kulturelle Komponente: Asiatische Unternehmen scheinen sich weniger um mögliche Beeinträchtigungen zu sorgen als europäische oder amerikanische Firmen, wie die Entwicklung des Dragon Mart aufzeigt. Hier können sich bis zu 4.000 chinesische Firmen niederlassen, denen 15.000m² Lagerungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus ist der Aufbau einer "special China Town" vorgesehen, die bis zu 20.000 Händler anziehen möchte. Von den Unternehmensclustern versprechen sich die Verantwortlichen die Stärkung des komparativen Vorteils von Dubai – insbesondere im Hinblick auf asiatische Händler – "as a gateway to serve the Middle East and European Markets". Durch die geplante Erhöhung der Anzahl der Direktflüge in die USA, ausgehend von dem Dubai International Airport, wird auch dieser Markt in stärkerem Maße berücksichtigt werden. Für die Einordnung von Dubais Rolle im Weltwirtschaftssystem ist es notwendig auf einzelne Sektoren näher einzugehen. Nachfolgend werden die Entwicklungen in den Wirtschaftssektoren Handel, Transportwesen, produzierendes Gewerbe, Finanzen sowie Tourismus aufgezeigt.
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"Deutschlands wirtschaftliches und politisches Gewicht verpflichtet uns, im Verbund mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern Verantwortung für die Sicherheit Europas zu übernehmen, um gemeinsam Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht zu verteidigen" (Angela Merkel: Bundesministerium der Verteidigung 2016, S. 6) Obwohl Angela Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin ist, sind die Leitlinien, die im Weißbuch 2016 für die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands festgelegt wurden, weiterhin elementar – oder nicht? Aber wie lässt sich ihre Aussage im Jahr 2022 verorten? Zeigt Deutschland Verantwortung für die EU, transnationale Partnerschaften und Völkerrecht? In diesem Beitrag soll das Verhältnis zwischen Deutschland und den Vereinten Nationen (VN) in den Blick genommen werden: Mit dem Wegfall des West-Ost-Konflikts, der Dekolonialisierung, dem Beitritt weiterer Staaten und der Veränderung des Krieges hin zu "Neuen Kriegen" (Hippler 2009, S. 3-8) ergeben sich neue Handlungsfelder und Herausforderungen, die die Vereinten Nationen in den Blick nehmen müssen.Je nach Ansicht fällt der größten Weltorganisation eine mehr oder weniger bedeutende Rolle in der internationalen Politik zu (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 295). Allerdings sind maßgeblich die Mitgliedsstaaten für das Gelingen der Vereinten Nationen und für die notwendigen Reformen zuständig, da sie als "klassische intergouvernementale Organisation" (ebd., S. 295) bezeichnet werden können.Die Forschungsfrage lautet daher, wie sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik international, im Rahmen der VN, verortet. Die deutsche Politik formuliert hierfür Ziele, die noch genauer zu untersuchen sind. Als eine Maßnahme, um die Zielerreichung zu gewährleisten, kann der MINUSMA-Einsatz in Mali angesehen werden, unter deutscher Beteiligung und von den Vereinten Nationen geführt. Es wird herausgearbeitet, inwiefern die deutsche Partizipation als Erfolg angesehen werden kann. Hierfür wird zuerst der theoretische Rahmen der Internationalen Beziehungen - der Grundzustand der Anarchie - erklärt und weitere Prämissen der VN, des VN-Peacekeepings, der historischen Rahmung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Einsatz selbst beschrieben, um am Ende zu einer elaborierten Aussage kommen zu können. 1. Theoretische Rahmung – Grundzustand AnarchieGareis und Varwick (2014, S. 67) konstatieren einen allgemeinen Anforderungswunsch an die VN, die eine 'Lücke' in der Ordnung der Internationalen Beziehungen füllen sollen. Aber von welcher 'Lücke' wird hier gesprochen? In der Politikwissenschaft gibt es verschiedene Ansätze, um die Beziehungen zwischen Staaten und das Wirken von internationalen Organisationen zu beschreiben. Die Prämisse bildet der Grundzustand von Anarchie, der wie folgt definiert werden kann: "Unter Anarchie wird in diesem Zusammenhang die für Kooperationschancen folgenreiche Struktur der Herrschaftslosigkeit bzw. der Nichtexistenz einer den Staaten übergeordneten, zentralen Autorität mit Handlungskompetenz verstanden" (Gareis & Varwick 2014, S. 67) Es gibt verschiedene Denkschulen, die den Grundzustand unterschiedlich gewichten und bewerten (vgl. Schimmelfennig, S. 63ff). Darunter sind zum Beispiel der Realismus, der Idealismus, der Institutionalismus und der Konstruktivismus zu nennen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 71). Um das Verhältnis zwischen den VN und Deutschland erklären zu können, ist es hilfreich, zu überlegen, an welcher Denkschule sich die Sicherheits- und Außenpolitik Deutschlands (schwerpunkt- und situationsbezogen) orientiert. Die Ansätze sind in ihrer Gesamtheit in diesem Beitrag nicht zu würdigen, daher werden einzelne Hauptdifferenzen geklärt, um für die Beantwortung der Forschungsfrage eine Richtlinie geben zu können. Die Beschreibung erfolgt idealtypisch: Im Realismus ist der Grundzustand besonders präsent und hauptsächlich staatliche Akteure sind für die Internationalen Beziehungen verantwortlich. Die Staaten haben ein starkes Eigeninteresse, das sich aus der Unsicherheit des Grundzustandes speist, und handeln nach eigenen Machterhaltungsvorstellungen. "In dieser Sichtweise erfüllen internationale Organisationen lediglich aus der Souveränität und den Interessen ihrer Mitglieder abgeleitete Funktionen" (ebd., S. 68). Damit wären Handlungsfelder und Möglichkeiten eng an die Vorgaben der Staaten gekoppelt. Frieden wird als Sicherheit-Erhalten verstanden und bedeutet, dass die Nationalstaaten durch Machtsicherung ihre Souveränität gewährleisten können. (vgl. ebd., S. 68 & 71) Im Idealismus soll der anarchische Grundzustand durch "Kooperationsformen" (ebd., S. 68) geregelt werden. Die Friedenssicherung läuft über einen stetigen Prozess über eine "universelle Gemeinschaft" (ebd., S. 69), die für alle Vorteile bringen kann. Damit wäre das Ziel, Konflikte nicht mehr mit Gewalt lösen zu müssen, anders als im Realismus, wo Krieg als natürliche Form besteht, durch die normative Regelung des Grundzustandes möglich. Internationale Organisationen können mit ihren Regelungen die Realisierung von Frieden darstellen. Damit sind nicht nur Staaten als Akteure zu sehen und statt Machterhaltungsvorgaben ist das Handeln auf ein Gemeinwohl konzentriert. (vgl. ebd., S. 69 & 71) In der Tradition des Institutionalismus sind internationale Kooperationen deutlich wahrscheinlicher als im Realismus. Außerdem ist ihr Einfluss auf Staaten bedeutend höher einzuschätzen. Demnach helfen sie zum Beispiel, Informationen über andere Staaten zu sammeln und können so beim Aufbau von Vertrauen mitwirken. (vgl. ebd., S. 69f) Die "Interdependenz" (Schimmelfennig 2010, S. 93) zwischen den Staaten wird als hoch angesehen und bedarf internationaler Regelwerke, die die Kooperationsmöglichkeiten regulieren. In diesem Sinne sind Staaten an friedlichen Lösungen interessiert und halten Krieg für nicht gewinnbringend bzw. sehen Machtkonzentration als weniger produktiv an als das Streben nach Gewinnen. Dadurch ist der Grundzustand der Anarchie zwar nicht auflösbar, allerdings soll im Laufe der Zeit eine Zivilisierung stattfinden. (vgl. ebd., S. 90) Der Konstruktivismus sieht den Grundzustand der Anarchie nicht als gegeben, sondern als eine Konstruktion von Wirklichkeit an. Dadurch ist es möglich, diesen Zustand zu verändern / aufzuheben. Damit sind die Akteure selbst für den Grundzustand verantwortlich. (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 70) Damit lautet eine Kernhypothese des Konstruktivismus: "Je größer die Übereinstimmung der Ideen von internationalen Akteuren und je stärker damit Gemeinschaft zwischen ihnen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Frieden und internationaler Kooperation" (Schimmelfennig 2010, S. 185) Es wären bspw. Staaten gemeint, die eine freundschaftliche Beziehung pflegen und unabhängig von Machtkonzentration Vertrauen aufbauen. (vgl. ebd., S. 184f) In den Denkschulen sind relativ konkrete Vorstellungen gegeben, wie eine internationale Organisation Einfluss und Machtkonzentration entwickeln kann oder sollte oder bereits beinhaltet. Die Vereinten Nationen können auf einen Blick als größte Organisation im internationalen Spektrum angesehen werden, denn sie haben aktuell 193 Mitgliedsstaaten (Stand 2022) (vgl. Die Vereinten Nationen im Überblick: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V., o. J.).2. Die Vereinten Nationen Bevor über die VN auf manche Aspekte schwerpunktmäßig eingegangen werden kann, ist knapp zu klären, was eine internationale Organisation wie die VN darstellt. Hierbei orientiert sich dieser Beitrag an Gareis und Varwicks (2014, S. 295) Konstruktion von einer "klassische[n] intergouvernementale[n] Organisation", deren Reformfähigkeit und Erfolge maßgeblich von den Mitgliedsstaaten abhängen – also auch von Deutschland. Es werden prinzipiell keine Souveränitätsrechte an die Organisation abgegeben, mit der Ausnahme, dass der Sicherheitsrat Zwangsmaßnahmen zur Friedenswahrung durchsetzen kann (vgl. ebd., S. 72).2.1 Grundlegende Kennzeichen der Vereinten Nationen Die Grundlagen der Vereinten Nationen können an zwei Hauptfaktoren exemplarisch aufgezeigt werden: Erstens ist der Friedensbegriff nicht nur als Abwesenheit von Krieg definiert, er schließt vielmehr das Wohlergehen der Menschen in den Staaten ein und geht somit über das Nationalstaats-Denken hinaus (positiver Friedensbegriff). Das zweite Konzept ist das System kollektiver Sicherheit, dadurch soll der erhöhte Druck, von allen Staaten bei einer Aggression automatisch angegriffen oder anderweitig verurteilt zu werden, die Friedensbedrohung reduzieren. (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 19-22 & 87-92) Dass das System der kollektiven Sicherheit nicht bedingt greift oder einigen Herausforderungen unterworfen ist, liegt bspw. an den neuen Kriegsformen (vgl. Hippler 2009, S. 3f). Gleichzeitig kann die aktuelle Invasion Russlands in die Ukraine (vgl. u.a. Russlands Angriff auf die Ukraine: Beckmann 2022) herangezogen werden, dass die Mechanismen bspw. für Supermächte weitere Schwierigkeiten in der Praxis aufzeigen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 89f). 2.2 Generalversammlung und Sicherheitsrat – wichtigste Gremien der VN Die Vereinten Nationen sind mittlerweile zu einer undurchsichtigen Ansammlung an offiziellen und inoffiziellen Strukturen geworden und sind unter dem Begriff VN-System sehr weit zu fassen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 21f). Allerdings sind nach wie vor zwei von sechs Hauptorganen hervorzuheben:In der Generalversammlung (GV) sitzen alle Mitgliedsstaaten und sind nach dem Prinzip der Gleichberechtigung mit jeweils einer Stimme ausgestattet. Hauptcharakteristikum ist, dass die Generalversammlung ein Forum für Gespräche bietet und somit als größtes Austauschforum auf der Welt bezeichnet werden kann. In sechs Hauptausschüssen vollzieht sich die meiste Arbeit der Generalversammlung, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Entscheidend ist der Unterschied zum Sicherheitsrat: Die GV hat keinen Sanktionskoffer parat und kann lediglich Empfehlungen aussprechen. (vgl. ebd., S. 45-47) Der Sicherheitsrat besteht aktuell aus 15 Mitgliedsstaaten, wobei zwischen ständigen und nichtständigen Mitgliedern differenziert werden muss. Die ständigen Mitglieder sind die sogenannten 'Big Five' und setzen sich aus Frankreich, Großbritannien, USA, Russland und China zusammen. Sie werden nicht wie die nichtständigen Mitgliedsstaaten von der Generalversammlung im Zwei-Jahres-Zyklus gewählt.Verkürzt dargestellt nimmt der Sicherheitsrat Aufgaben wie Friedensmissionen, Ausschüssen o. Ä. wahr. Die ständigen Mitgliedsstaaten haben historisch bedingt ein Veto-Recht, das eine große Rolle spielt und mehrfach zur Lähmung des SR führte. Der Sicherheitsrat ist das mächtigste Hauptorgan der Vereinten Nationen und ist berechtigt, zur Friedenssicherung weitreichende Sanktionen und militärische Maßnahmen zu ergreifen. (vgl. ebd., S. 47-49) 2.3 Das VN-Peacekeeping aus historischer Perspektive Die Geschichte der VN ist überaus vielschichtig und kann hier nur in den Grundzügen wiedergegeben werden. Im Jahr 1945 wurde die Charta von 51 Staaten unterzeichnet. In den ersten Jahren ihrer Arbeit (1945-1954) mussten organisatorische und strukturelle Systeme aufgebaut werden, die im West-Ost-Konflikt zugleich erste Einschränkungen erfuhren. Die erste große Herausforderung des kollektiven Sicherheitssystems betraf den Korea-Krieg: Nordkorea fiel 1950 in Südkorea ein und der Sicherheitsrat wurde durch Russland blockiert. Daraufhin entstand in der Generalversammlung die Uniting for Peace-Resolution, die Empfehlungen und militärische Interventionen beinhaltete, sollte der SR seiner Aufgabe, den Weltfrieden zu sichern, nicht nachkommen. Die erste inoffizielle Blauhelmmission stellt die UNTSO-Mission dar, die die Überwachung eines Waffenstillstandes 1948 zwischen Israel und arabischen Staaten beinhaltete. (vgl. ebd., S. 27-30 & 127) In den darauffolgenden 19 Jahren (1955-1974) verschob sich das Mächtegleichgewicht maßgeblich durch die Dekolonisation und die Entstehung unabhängiger Staaten im Süden. Hervorzuheben ist die Suez-Krise, in der der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser 1956 den Suez-Kanal verstaatlichte. Großbritannien, Israel und Frankreich gingen ungeachtet der Ablehnung des SR militärisch dagegen vor, verhinderten gleichzeitig mit ihren Vetos eine Deeskalation der Lage. Auf Grundlage der Uniting for Peace-Resolution wurde wieder versucht, den Konflikt auszusetzen und einen Waffenstillstand einzufordern. Die GV beschloss daraufhin die Etablierung der United Nations Emergency Force (UNEF I), um zwischen den Konfliktparteien eine neutrale Zone aufzubauen. Die Blauhelme nahmen hier ein erweitertes Aufgabenspektrum wahr und erhielten bspw. Kontrolle über Hoheitsgebiet. "Damit wurde das wohl bedeutendste Friedenssicherungsinstrument der Vereinten Nationen, die Blauhelmeinsätze, ins Leben gerufen" (ebd., S. 31). (vgl. ebd., S. 27-30 & 128) Im "Nord-Süd-Konflikt (1975-1984)" (ebd., S. 32) versuchten die VN weiterhin, in einigen Konflikten aktiv mit Blauhelmeinsätzen zu vermitteln und zeigten sich angesichts der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan (1979) als handlungsunfähig. (vgl. ebd., S. 32f) Die letzte Phase reicht bis heute und beginnt ab dem Jahr 1985. Die Annäherung der beiden Großmächte USA und Sowjetunion und der Zerfall der Sowjetunion ergab Handlungsspielraum im SR. Allerdings entzündete sich auch eine Reihe an neuen Konfliktherden: "Innerhalb von rund 25 Jahren stieg die Zahl der Friedensmissionen von 14 auf nunmehr 68" (ebd., S. 33). Nötige Reformen rückten zuletzt durch den USA geführten Irakkrieg und die Terroranschläge am 11. September vermehrt in den Fokus. (vgl. ebd., S. 33-35) 2.4 Typologisierung und Reformansätze Wie in der historischen Rahmung aufgezeigt, entstand das Peacekeeping, weil das kollektive Sicherheitssystem nicht funktionsfähig war. Die Blauhelmeinsätze sind praxisnahe Formen zur Sicherung des Friedens, die sich zwischen dem Souveränitätsanspruch und den Zielen der VN bewegen. Die Ausgestaltung der Friedensmissionen sind vielfältig: Die VN typologisieren die Einsätze in vier Generationen:In der ersten Generation sind Einsätze hauptsächlich "zur Beobachtung und Überwachung von bereits beschlossenen Friedens- bzw. Waffenstillstandsabkommen […]" (Gareis & Varwick 2014, S. 126) gemeint. Missionen der zweiten Generationen sind durch "ein erweitertes Aufgabenspektrum" (ebd.) ausgezeichnet und meinen Einsätze nach 1988. In der dritten Generation liegt der Fokus nicht nur auf Friedenserhaltung sondern auch auf dessen Erzwingung. Zum Schluss kommen in der vierten Generation nicht-militärische administrative Funktionen hinzu.Jede Generation erforderte Anpassungen und ein mühsames Lernen, sodass die Bilanz des VN-Peacekeeping sehr gemischt ausfällt. Neuere Bestrebungen zielen daher darauf ab, aus den vergangenen Fehlern zu lernen. Zum Beispiel soll das Peacekeeping nur noch mit realistischem Mandat stattfinden und die individuelle, komplexe Konfliktsituation angemessen darstellen. Außerdem ist zu gewährleisten, dass die Blauhelme gut ausgerüstet sind und unter den Aspekten eines robusten Mandats alle neuen Perspektiven der Friedenssicherung wahrnehmen können. Diese beinhalten vereinfacht dargestellt die Konfliktvermeidung, das Konfliktmanagement und die Konfliktnachsorge. (vgl. ebd., S. 124-151) Nachfolgend ist zu klären, inwiefern sich der MINUSMA-Einsatz darin einfügt und welche Rolle Deutschland in dem Entwicklungsprozess des VN-Peacekeeping und des Einsatzes spielt.3. United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA) Der MINUSMA-Einsatz der Vereinten Nationen ist als Peacekeeping-Mission der vierten Generation zu charakterisieren. 3.1 Strukturelle Rahmung des MINUSMA-Einsatzes Das Departement of Peacekeeping Operations (DPKO) ist für die Umsetzung und Planung der Blauhelmmissionen verantwortlich. Mit Stand 2022 sind insgesamt 15 Einsätze zu verzeichnen (DPKO: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., o. J.). Die Mission in Mali gehört zu den jüngsten Einsätzen und begann im April 2013 (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 141).Sie gründet sich auf die Resolution 2100 (vgl. Security Council Establishes Peacekeeping Force for Mali Effective 1 July: United Nations 2013) vom 25. April und die Resolution 2164 (vgl. Security Council: United Nations 2014) des Sicherheitsrates und hat multidimensional den Schutz der Zivilisten, die Gewährleistung der Menschenrechte, die Etablierung einer Staatsmacht, die Stabilisierung der Region durch den Aufbau eines Sicherheitsapparates und die Aufrechterhaltung der politischen Dialogfähigkeit und Konsultation als Aufgabe formuliert (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022).Damit stehen auch militärische Interventionen zur Verfügung und es kann von einem robusten Mandat gesprochen werden, das lediglich als Ausnahme die aktive Terroristenbekämpfung ausschließt (vgl. Mali: Konopka 2022). Stand November 2021 befinden sich insgesamt 18.108 Menschen im Einsatz und davon sind 13.289 dem militärischen Personal zuzuordnen (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022). Dazu kommen zivile Einsatzkräfte und bspw. Polizeiausbildende (vgl. ebd.).Die größten teilnehmenden Länder mit militärischem Personal sind mit 1440 Chad, mit 1119 Bangladesch, Ägypten mit 1072 und auf Platz 10 folgt Deutschland mit 531 Angehörigen (vgl. ebd.). Die Verluste an Menschenleben werden bisher auf 260 (Stand 2021) beziffert (vgl. ebd.). Die Finanzierung wird über die Generalversammlung jährlich geregelt und betrug zwischen 2021 und 2022 1.262.194.200 Dollar (vgl. ebd.).Neuere Zahlen der Bundeswehr (Stand Februar 2022) geben an, dass Deutschland mit über tausend Soldatinnen und Soldaten in Mali im Einsatz ist (vgl. Personalzahlen der Bundeswehr: Bundeswehr 2022). Die Zahl stellt sich als irreführend heraus, weil die Bundeswehr alle Beteiligten zusammenzählt, auch die, die bspw. in Nachbarländern an Schlüsselstellen der Infrastruktur beschäftigt sind (vgl. Mali: Konopka 2022).Die aktuelle Resolution der VN (2584) trat am 29. Juni 2021 in Kraft und ist bis zum 30. Juni 2022 gültig (vgl. Mali – MINUSMA: Bundeswehr 2022). Durch das Ablaufen des Mandats in diesem Jahr ist die Forschungsfrage darauffolgend auszuweiten, inwiefern Deutschland sich weiterhin an der Mission beteiligen wird. Zuerst sollte aber kurz auf die Situation Malis eingegangen werden, um zu klären, warum Deutschland und viele weitere Staaten überhaupt intervenieren. 3.2 Mali – eine von Gewalt geplagte Region Die gesamte Komplexität dieser Krisenregion kann hier nicht dargestellt werden. Allerdings sind einige Aspekte zu nennen, um die Verortung und die Herausforderungen des Peacekeepings zu verdeutlichen. In Nordmali begann 2012, um die politische Unabhängigkeit zu gewährleisten, ein gewaltsames Vorgehen gegen die malische Regierung. Als fragiles Bündnis kamen dschihadistische Kämpfende hinzu, die jedoch nach den ersten Eroberungen der nordmalischen Städte 2013 die Oberhand gewannen.Der Süden Malis war ebenfalls von einem Militärputsch geschwächt und die malische Regierung bat um internationale Hilfe. Frankreich folgte der Bitte und eröffnete die Operation Serval. Afrikanische Länder griffen unter der Mission AFISMA ein. Den alliierten Kräften gelang schnell die Rückeroberung der Städte im Norden. Allerdings ging daraus eine asymmetrische Kriegsführung hervor, die die vom Sicherheitsrat legitimierten Einsatztruppen besonders in den Fokus der Attacken der Dschihadisten stellt.Ein Friedensvertrag von 2015 umfasste bspw. nicht alle Konfliktparteien. Im Allgemeinen ist eine Verschlechterung der Gesamtsituation zu verzeichnen, da Dschihadisten mittlerweile versuchen, auch die Nachbarländer Niger und Burkina Faso zu destabilisieren und sich die Gewalt besonders um Zivilisten zentriert. (vgl. Mali: Konopka 2022) Im Zentrum dieses Kapitels soll die asymmetrische Kriegsführung, auch unter dem Aspekt der 'Neuen Kriege' bekannt, und somit die problematische Lage der Mission im Mittelpunkt stehen. Die Kernfrage ist bereits auf das weitere Engagement Deutschlands ausgeweitet worden und ist realitätsnah zu prüfen: In Afghanistan gelang keine Stabilisierung eines afghanischen Staates. Hier kam nach jahrzehntelangen erfolglosen Gefechten die Terrorgruppe Taliban 2021 an die Macht, als allen voran die USA den Rückzug aus der Krisenregion vollzogen (vgl. Nach 20 Jahren: bpb 2021). 4. Die deutsche Außenpolitik – Schwerpunktsetzung VN Die deutsche Sicherheits- und Außenpolitik ist sehr komplex und selbst ein kursorischer Überblick kann hier nicht geleistet werden. Durch die Darstellung diverser Aspekte ist jedoch eine Verortung möglich. 4.1 Historische Perspektive der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik Deutschland blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Ab 1945 wurde die Bundesrepublik enormen Veränderungen durch die Besatzungsmächte unterworfen. Während die DDR unter der UdSSR keine wirklich eigene Außenpolitik entwickelte, gelang es Westdeutschland allmählich, politische Spielräume zurückzugewinnen und eigene Ziele zu vertreten (vgl. Gareis 2021, S. 57). In der Zeit vor der Wiedervereinigung sind einige "konstante Handlungsmuster" (ebd., S. 58) zu erkennen, die bis heute ihre Wichtigkeit beibehalten haben. Darunter sind besonders vier Punkte zu nennen:"die Westintegration, durch welche die Bundesrepublik ihren Platz in den europäischen und transatlantischen Strukturen fand und einnahm die Entspannungs- und Ostpolitik, durch die sie ihre friedens- und stabilitätspolitische Handlungsspielräume erweitern konnte die Offenheit für einen breit angelegten, globalen Multilateralismus mit dem Ziel einer verlässlichen rechtlichen Verregelung und Institutionalisierung des Internationalen Systems die selbstgewählte Kultur der Zurückhaltung in machtpolitischen, insbesondere militärischen Angelegenheiten" (ebd., S. 58) Hervorzuheben sind die anfänglichen Bemühungen der deutschen Außenpolitik, um Frankreich von ihrer skeptischen Sichtweise auf die Wiederbewaffnung und Wiederaufnahme der deutschen Souveränität nach dem Zweiten Weltkrieg abzubringen. Die Bemühungen mündeten bspw. 1963 im Élysée-Vertrag, der die enge Partnerschaft merklich vorantrieb und als "deutlicher […] Motor der europäischen Integration" (ebd., S. 65) zu sehen ist.Eine Verankerung in Internationale Beziehungen vollzog sich somit bereits früh mit den Bemühungen Deutschlands, sich in Europa und in die NATO zu integrieren. In den Zeiten vor der Wiedervereinigung konnte Deutschland dennoch nicht gänzlich zu seinem Selbstvertretungsanspruch finden. Die Integration in internationale Organisationen, die die Machtkonzentration des teilnehmenden Landes einschränken können, wurde zwar innenpolitisch heftig diskutiert, kollidierte jedoch mit realen Erweiterungen der Souveränitätsansprüche Deutschlands und formte somit die Erfahrung dieser Ordnungen.Der Multilateralismus ist eine logische Konstante, weil der Wunsch nach Regeln im Internationalen System die eigene Sicherheit erhöhen soll und im Falle Deutschlands auch politische Freiheiten bedeutete. Das Engagement kann als ernsthaft beschrieben werden, weil die Bemühungen auch mit der Erreichung der eigenen Staatssouveränität bspw. in den Vereinten Nationen und dem europäischen Einigungsprozess nicht nachließ – im Gegenteil intensiviert stattfindet. (vgl. ebd., S. 57f & 61-65 & 70f) 4.2 Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert - Verortung Im 21. Jahrhundert sind eine neue Vielzahl an nicht-staatlichen Akteuren, weitere Unwägbarkeiten und multidimensionale Problemfelder mit einer höheren Unsicherheit im Internationalen System verbunden, die die Zuverlässigkeit von internationalen Partnern einschränkt. Diese Problematik wird bspw. u. a. durch das Erstarken des Rechtspopulismus, dem Rückgang liberal-demokratischer Regierungen seit 2005, der neuen Risikobewertung und Qualität des transnationalen Terrorismus begründet. (vgl. Gareis 2021, S. 89f) Als aktuelle Referenz kann das Weißbuch 2016 die Sicherheitsinteressen Deutschlands aufzeigen. Darin sind, bedingt bspw. durch die russische Aggression gegenüber der Ukraine, wieder vermehrt nationale Interessen vertreten, die den Schutz der Bürger*innen und die Integrität der Souveränität Deutschlands ins Blickfeld nehmen. Allerdings sind auch internationale Bestrebungen zur vertiefenden Weiterarbeit in der Entwicklungspolitik, dem Völkerrecht und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit in allen wichtigen Internationalen Organisationen wie NATO, EU und VN zu nennen. (vgl. Gareis 2021, S. 105)4.2 Deutschland und die Vereinten Nationen Ein ernsthafter Beitrag zur strategischen (Neu-)Kalibrierung der Sicherheits- und Außenpolitik, die in ihren anfänglichen vier Konstanten (s.o.) auch Diskontinuitäten erfuhr, ist die Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2014 hervorzuheben, in der das Engagement für internationale Organisationsformen, die einen supranationalen Ordnungsrahmen darstellen können - wie die EU, NATO und VN - verstärkt in den Mittelpunkt gestellt worden. Die Konstante der 'Zurückhaltung' bricht also weiter auf und zeigt das "Leitmotiv der aktiven Übernahme größerer Verantwortung für Frieden und Internationale Sicherheit in einem umfassenden Ansatz […]" (Gareis 2021, S. 92) auf. (vgl. ebd., S. 91f) Für Deutschland stellen die Vereinten Nationen das Höchstmaß für Multilateralismus und Institutionalismus dar. Bestrebungen in den VN waren von der Gründung an ein wichtiges Anliegen der Bundesrepublik, um auf die internationale Bühne zurückkehren zu können. Insgesamt kann das Engagement Deutschlands in den VN als hoch angesehen werden: Aktuell ist Deutschland der viertgrößte Beitragszahler, unterhält über 30 VN-Organe im Land und ist um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat bemüht und mindestens durch die häufige Wiederwahl (zuletzt 2019/20 – damit zum sechsten Mal) und eindeutigen Wahlergebnissen um einen nichtständigen Sitz als international anerkannt zu bezeichnen. Das Interesse beider Akteure ist als interdependent zu bezeichnen: Die VN brauchen in diesen schwierigen Zeiten einflussreiche Staaten und Deutschland hingegen internationale Kooperationsmöglichkeiten in vielfältigen Ressorts. (vgl. ebd., S. 193f) Deutschland beteiligte sich gleich nach der Wiedervereinigung an VN-Peacekeeping-Einsätzen – allerdings mit unbewaffneten Zivilkräften. Anfang des 21. Jahrhunderts stellte Deutschland nicht nur zivile sondern auch militärische Einheiten zur Verfügung. Das Engagement kann in ihren Anfängen als bescheiden beschrieben werden. Insgesamt bevorzugt Deutschland vom VN-mandatierte Einsätze, die anschließend von der EU oder NATO ausgeführt werden. Der MINUSMA-Einsatz ist somit eine Ausnahme und der zweitgrößte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Der afrikanische Raum ist aufgrund seiner Fluchtbewegungen zu einem wichtigen sicherheitspolitischen Raum geworden. (vgl. ebd., S. 203f) Allerdings sind die Gründe für den Einsatz in Mali weiter auszuführen, da die Argumentation möglicher Fluchtbewegungen Lücken aufweist. (vgl. Mali: Konopka 2020) 5. Deutschland und der MINUSMA-Einsatz In den vorherigen Kapiteln sind die Bezüge der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik zu den Vereinten Nationen bereits angeschnitten worden. Als Nächstes ist der MINUSMA-Einsatz aus einer politischen Perspektive unter Einbezug der Ziele Deutschlands zu charakterisieren und ein Ausblick auf das Ergebnis dieser Intervention zu geben. Die Bewertung des Einsatzes ist entscheidend, um den deutschen Einsatz nachzuvollziehen. 5.1 Motive für die Beteiligung am MINUSMA-Einsatz Die Intervention und Beteiligung Deutschlands am MINUSMA-Einsatz scheint sich nicht auf die Bekämpfung von Fluchtursachen zu beschränken (vgl. Mali: Konopka 2020 & Kaim 2021, S. 31). Weitere Motive sind aus Kapitel 4 abzuleiten und könnten, kombiniert aus dem Wunsch humanitäre Hilfe leisten zu wollen und die Position der Vereinten Nationen - und sich selbst im Internationalen System und den Multilateralismus - zu stärken, eine Begründungslage bieten. Sie wirkt jedoch unpräzise und bedarf genauerer Beschreibungen: Wie bereits beschrieben, ist Frankreich bereits 2013 dem Hilfegesuch der malischen Regierung gefolgt und musste anhand der realen Bedingungen ihre Ziele anpassen: Deutschland sollte dem engen Bündnis- und EU-Partner unter die Arme greifen. Die Bundesregierung gab zunächst lediglich unbewaffneten Kapazitäten Platz, ehe das Mandat langsam auf aktuell 1100 Soldat*innen aufgestockt wurde.Deutschland schien dabei die Vertiefung der Kooperation von EU-Staaten wie Frankreich und den Niederlanden als geeignete Gelegenheit. Ebenfalls ließ der Friedensvertrag auf weitere Stabilität im Land hoffen. Außerhalb der Bemühungen um die Partnerschaft ist für den Autor Konopka die Bewerbung Deutschlands für den nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat (2019/20) ausschlaggebend gewesen.Die anfängliche Konzentration auf die europäische Mission EUTM Mali ging mit einer deutlichen Ausweitung auf die VN-Peacekeeping-Mission über. Außerdem, so der Autor, wäre Deutschland in der Bringschuld gegenüber den Teilnehmenden gewesen, da die Bundesrepublik in weiteren Missionen kaum bis gar keine Präsenz vorzuweisen hatte (bspw. EUMAM RCA oder EUTM RCA). (vgl. Mali: Konopka 2020) Kaim (2021) von der Stiftung Wissenschaft und Politik spricht von einem typischen Muster der deutschen Auslandseinsatzbereitschaft, erst durch Bündnisanfragen Einsatzkräfte zu mobilisieren. Aus dieser Sicht ist primär der Versuch, einen "europäischen Fußabdruck" (ebd., S. 12) im internationalen System zu hinterlassen, anzusehen. Allerdings wird auch hervorgehoben, wie die Bewerbung um den nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat eine Intensivierung der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik in den VN und besonders im afrikanischen Raum beinhaltete. (vgl. ebd., S. 12-20) Dadurch sind sechs Hauptmotive auszumachen, davon greifen manche weniger als andere: 1. Die Bündnistreue zu Frankreich 2. Die Ausgangslage durch die Münchner Sicherheitskonferenz (2014) 3. Das erweiterte Engagement Deutschlands in den VN 4. Der Versuch, eine europäische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. 5. Die regionale Sicherheit in Mali zu gewährleisten 6. Terrorismusbekämpfung und die Eindämmung von Fluchtbewegungen (vgl. ebd., S. 27-31) Die Punkte 4, 5 und 6 sind als Hauptmotivlage nachrangig einzusortieren; Punkt 5 wird anhand der deutlichen Zunahme an Instabilität den MINUSMA-Einsatz generell und die deutsche Beteiligung gezielt infrage stellen. 5.2 Bewertung des Einsatzes Die bisherige Bewertung des Einsatzes ist auf Grundlage der festgestellten Motive zu leisten, die eine detaillierte Rahmengebung vorgeben. In die Bewertung fließen themenbedingt erste wichtige Aspekte für das Abschlusskapitel ein. 5.2.1 Die Bündnistreue zu Frankreich Die Unterschiede in der strategischen Bewertung des Einsatzes der beiden Länder zeigt deutlich auf: Während Frankreich mehr militärisches Engagement erwartet und die Terrorbekämpfung in den Fokus stellt, steht die Bundesregierung der Friedenssicherung unter VN-Mandat näher, die die Terroristenbekämpfung explizit ausschließt. Festzuhalten wäre, dass die unterschiedlichen Herangehensweisen in Mali zwischen Frankreich und Deutschland differente Zielvorstellungen aufweisen und das gemeinsame Handeln konterkarieren. (vgl. Kaim 2021, S. 27f) Daraus ist ebenso die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung das auslaufende Mandat (vgl. Mali: Konopka 2020) ausweiten, beibehalten oder beenden wird. 5.2.2 Die Ausgangslage durch die Münchner Sicherheitskonferenz Deutschland ist bis heute im MINUSMA-Einsatz tätig (2013-2022) und ist dem Bündnis- und langjährigen EU-Partner Frankreich nachgekommen (vgl. Mali: Konopka 2020). Das Engagement ist bis jetzt ausgeweitet worden und von einer anfänglichen Symboltruppe stehen im direkten Einsatzgebiet in Mali ca. 500 (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022) und im erweiterten Einsatz ca. 1000 Soldat*innen (vgl. Personalzahlen der Bundeswehr: Bundeswehr 2022).Die Steigerung der Fachkräfte im MINUSMA-Einsatz ist als Intensivierung zu werten (vgl. Kaim 2021, S. 28). Dies kann als Beleg für die vertiefende Arbeit international angesehen werden, wie es zuvor auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 skizziert wurde. Allerdings wären andere Erweiterungen der Tätigkeitsfelder im internationalen Raum und besonders in internationalen Organisationen denkbar und beinhalten nicht zwangsläufig die Intensivierung des MINUSMA-Einsatzes – gleichzeitig bietet das Einsatzgebiet ein robustes Mandat, also internationale Legitimierung, die für deutsche Auslandseinsätze mitentscheidend ist und einen multilateralen Raum, den die Sicherheits- und Außenpolitik favorisiert (vgl. ebd.).5.2.3 Das erweiterte Engagement Deutschlands in den VN Politisch und militärisch dürfte die Beteiligung Deutschlands am MINUSMA-Einsatz die Vereinten Nationen stärken (vgl. Kaim 2021, S. 28). Bei dieser Beteiligung ist mitunter auch deutlich, dass Deutschland nicht altruistisch, sondern auch im Sinne der im Kapitel 4.2 festgelegten Interdependenzen für den Erhalt der eigenen Sicherheit im Internationalen System handelt.Die Idee eines ständigen Sitzes im Sicherheitsrat gilt als unwahrscheinlich sowie der Reformvorschlag der 'Gruppe der Vier' (mit deutscher Beteiligung), der von den vielen Vorschlägen zur Veränderung des Sicherheitsrates zwar als angemessen erscheint, aber dennoch u. a. an den Veto-Mächten bisher scheiterte (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 308-311). Somit bleibt Deutschland lediglich die Kandidatur im SR als nichtständiges Mitglied, dem die Bundesregierung mit ähnlicher Argumentation und Engagement vermutlich in der nächstmöglichen Amtszeit nachkommen wird (vgl. Kaim 2021, S. 29). 5.2.4 Der Versuch, eine europäische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren Die europäische Handlungsfähigkeit kann bereits unter Punkt 5.2.1 als inkonsequent bezeichnet werden. Außerdem sind europäische Kräfte an eigenen Missionen vor Ort gebunden und stellen im MINUSMA-Einsatz nicht die meisten Einsatzkräfte zur Verfügung (vgl. Kaim 2021, S. 29 & MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022). Von einer geschlossenen oder klaren europäischen Einheit kann nicht gesprochen werden, jedoch von einer klaren Beteiligung Deutschlands am Einsatz. 5.2.5 Die regionale Sicherheit in Mali zu gewährleisten Seit dem Friedensabkommen 2015 hat sich die Lage stetig verschlechtert und stellt die VN-Friedensmission insgesamt infrage. (vgl. Kaim 2021, S. 30) Weitere Problemfelder stellen gerade die Alleingänge der europäischen Länder an der MINUSMA-Mission dar, die bspw. auf die typischen Blauhelme und auf die VN-Farbgebung bei Fahrzeugen verzichten. Außerdem sind europäische Kräfte vornehmlich in als sicher geltende Einsätze gebunden und in anderen Stützpunkten als die restlichen Länder wie bspw. Ägypten untergebracht. (vgl. Mali: Konopka 2020) Das stellt die VN-geführte Friedensmission auch vor interne Probleme und kann die Handlungsfähigkeit sowie Moral der teilnehmenden Länder beeinträchtigen.5.2.6 Terrorismusbekämpfung und die Eindämmung von FluchtbewegungenDie Mission ist unter den Aspekten von Fluchtbewegungen bereits als vernachlässigbar (zumindest für Fluchtbewegungen nach Europa) klassifiziert worden (vgl. Kaim 2021, S. 30f). Außerdem wird wegen der Destabilisierung des Landes sogar mit weiteren Flüchtenden zu rechnen sein. Weiterhin ist die dynamische Situation in Mali undurchsichtig und schwer zu charakterisieren, inwiefern der Terrorismus Deutschland bedroht (vgl. ebd.) und inwiefern Dschihadisten mittlerweile als Hauptproblem angesehen werden können, wenn die malischen Sicherheitskräfte immer mehr in den Fokus von Korruption und Destabilisierung rücken (vgl. Mali: Konopka 2020). 5.3 Ausblick – Bleibt Deutschland im MINUSMA-Einsatz? Die Motive sowie deren Zielerreichung sind größtenteils als Fehlschlag zu werten und stellen als größten Erfolg die Arbeit in der internationalen Organisation, den Vereinten Nationen, heraus. (vgl. Kaim 2021, S. 31f) Dass nicht alle Ziele erreicht werden können, liegt mitunter an der multidimensionalen und dynamischen Situation vor Ort und an der Herausforderung, die den 'Neuen Kriegen' (vgl. Hippler 2009, S. 3-8) und das VN-Peacekeeping in der vierten Generation (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 119-127) kennzeichnen. Somit hängt das Engagement Deutschlands im MINUSMA-Einsatz von vielen Faktoren ab, die bspw. die öffentliche Meinung über Auslandseinsätze und die Beschaffenheit und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr nach Etatkürzungen einschließen (vgl. Kaim 2021, S. 32). Wie die Einsatzkosten zeigen (s. Kapitel 3), sind das insgesamt beträchtliche Summen, die die Staatengemeinschaft – und anteilig Deutschland – aufbringen müssen.Während die Stiftung Wissenschaft und Politik noch von größeren Hürden diesbezüglich ausgeht (vgl. ebd.), ist durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine ein Paradigmenwechsel mit ungeahnter Tragweite in der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik möglich (vgl. Mehrheit unterstützt deutschen Ukraine-Kurs: Tagesschau 2022), der die Fortführung des VN-Peacekeepings neu bewerten wird. 6. Zusammenführung und Interpretation Unter dem Aspekt des VN-Peacekeeping wurden zuerst allgemeine Aspekte umrissen und die Forschungsfrage weiter ausgeweitet. Im Kern geht es um die Frage, wie Deutschland sich im 21. Jahrhundert mit seiner Sicherheits- und Außenpolitik im Internationalen System verortet und inwiefern dies als Erfolg angesehen werden kann. Letzteres ist nur unter bestimmten, einschränkenden Aspekten zu beantworten und ist mithilfe des MINUSMA-Einsatzes zu verorten. Deutschland positioniert sich offen und ernst zu den Vereinten Nationen und folgt dabei historisch gewachsenen Paradigmen und Erfahrungswerten (s. Unterkapitel 4.1): Daraus lassen sich die Bemühungen um einen ständigen oder nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat und weiteres internationales Engagement wie im VN-Peacekeeping und somit die Beteiligung in Mali (MINUSMA-Mission) folgerichtig begründen.Deutschland hat ein nationales sicherheitspolitisches Interesse an einer Verregelung des anarchischen Grundzustandes, um die eigene Position darin zu stärken – Unsicherheiten also abzubauen (vgl. Gareis 2021, S. 58). Damit folgt die Politik nicht einer uneingeschränkten Idealismus-Denkschule und zeigt auch zweckrationale Positionen auf. Dennoch ist der MINUSMA-Einsatz in diesem Sinne als Misserfolg zu werten und zeigt besonders in den Bemühungen um Multilateralismus und einer Institutionalisierung des Internationalen Systems, hier in Form der Vereinten Nationen zu interpretieren, erwähnenswerte Erfolge auf (s. Kapitel 5).Die deutsch-französischen Beziehungen hingegen könnten insgesamt unter dem Konstruktivismus Betrachtung finden: Obwohl die strategische Ausrichtung beider Länder nicht immer im selben Verständnis verläuft (s. Kapitel 5), ist sehr wohl ein ernstzunehmender Konflikt zwischen den beiden großen europäischen Staaten nicht anzunehmen und die außerordentliche internationale Kooperation als erwähnenswert anzusehen. Aus der Ausarbeitung tritt ein Dilemma zutage, das wie folgt zu charakterisieren ist: Deutschland als Nationalstaat hat nur begrenzt Ressourcen und Möglichkeiten, die auch interessengeleitet begründet werden müssen. Deswegen ist ein Problem für Deutschland darin zu skizzieren und zu fragen, in welche internationale Organisation sie ihren weiteren Fokus legen wird. VN-mandatierte aber von NATO und EU ausgeführte Friedensmissionen werden bspw. bevorzugt, gleichzeitig wird eine Stärkung der Vereinten Nationen als Ziel formuliert (s. Kapitel 4).Investitionen in allen internationalen Organisationen bringen Deutschland in eine prekäre Situation, wie die Motivlage und die Ausgestaltung des MINUSMA-Einsatzes aufzeigt (s. Unterkapitel 5.2.5). Als Fazit ist festzuhalten, dass der MINUSMA-Einsatz einer oftmals bloßen Rhetorik zur Stärkung multilateraler Beteiligung grundsätzlich entgegenläuft und Deutschland zukünftig als ernstzunehmenden internationalen Akteur kennzeichnen könnte (vgl. Gareis 2021, S. 216). Prinzipiell kann zudem bestätigt werden, dass Deutschland am ehesten seine Fähigkeiten einbringen kann, wenn internationale Legitimation besteht (mit Blick auf das Grundgesetz und der eigenen 'Zurückhaltungs-Konstante'), Bündnis- und beteiligte Partner mit ihren Interessen zumindest kollidieren (vgl. ebd., S. 112) und Multilateralismus als Merkmal auftritt. Daraus lässt sich die Intensivierung in internationale Organisationen ableiten, weil es nachhaltig die Souveränität Deutschlands positiv beeinflussen kann (vgl. ebd.). So kann Gareis (2021, S. 93) zugestimmt werden, wenn er schreibt: "Sicherlich kann auch im Jahr 2020 festgestellt werden, dass Deutschland an seinen Bemühungen um eine Zivilisierung der internationalen Politik durch Regime und Institutionen festhält. Auch ist es seiner Bevorzugung von friedlicher Konfliktbeilegung und Kooperation vor der Machtpolitik sowie schließlich auch seiner grundsätzlichen Bereitschaft zur Übertragung von Souveränitätsrechten weitestgehend treu geblieben – wenngleich die mit dem Zivilmachtkonzept gern verbundene 'Kultur der Zurückhaltung' Ergänzungen durch die Verfolgung stärker nationaler Interessen erfahren hat." Der Ausblick ist jedoch unter der aktuellen Prämisse (s. Unterkapitel 5.3) unter Vorbehalt zu stellen und zeigt deutlich die Unsicherheiten auf, die der Grundzustand der Anarchie treffend formuliert und exemplarisch die angerissene Reformbedürftigkeit der Vereinten Nationen sowie die Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrats hervorhebt. Deutschland wird in jeglichem denkbaren Szenario eine größere Rolle in den Internationalen Beziehungen spielen: "Die Anforderungen an die multilaterale deutsche Außen- und Sicherheitspolitik werden also steigen, und neben dem vielbeschworenen Willen zur Übernahme von 'Verantwortung' wird auch die Bereitschaft zum personellen und finanziellen Engagement wie auch zur Übernahme ungewohnter politischer Risiken wachsen müssen" (Gareis 2021, S. 216) 7. Literatur Beckmann, H. (26.02.2022): Russlands Angriff auf die Ukraine. Europa hat einen neuen Feind. Online: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-krieg-europa-101.html [09.03.2022]. Bundesministerium der Verteidigung (2016): Weissbuch 2016. Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Online: https://www.bmvg.de/resource/blob/13708/015be272f8c0098f1537a491676bfc31/weissbuch2016-barrierefrei-data.pdf [09.03.2022].Bundeswehr (21.02.2022): Personalzahlen der Bundeswehr. Wie lauten die Einsatzzahlen. 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