Bourdieu und Musil in Kakanien
In: Merkur: deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Band 67, Heft 3, S. 258-264
ISSN: 0026-0096
Gegenstand des Beitrags ist Norbert Christian Wolfs Arbeit über Kakanien als Gesellschaftskonstruktion. Auf der Basis von Pierre Bourdieus Sozioanalyse des literarischen Feldes unternimmt er den Versuch, die Konstruktionsprinzipien eines unüberschaubaren Romanprojekts zu dechiffrieren. Seine Problemstellung zielt folglich auf "Kakanien als Gesellschaftskonstruktion". Seine Methode konzentriert sich auf die Sozioanalyse, die er um Erzähl-, Gender-, Diskurs- und Medientheorien zu erweitern sucht, wie das heute zum guten literaturwissenschaftlichen Ton gehört. Seine Theorie folgt zum einen dem sozioanalytischen Verfahren Bourdieus. Zum anderen bezieht er sie aus den Bausteinen von Musils Poetik selbst, wie etwa dessen Theorem der Gestaltlosigkeit des Menschen, der Unterscheidung von Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn und dem Essayismus als geeigneter Erzählform für eine differenzierte und zerrissene, fragmentarische und ambivalente Moderne. So besteht Wolfs Sozioanalyse aus zwei großen Schritten. Am Anfang werden der Raum bzw. das Feld des Romans rekonstruiert, sein Figurenkabinett vorgestellt und die Interaktionen wie Konstellationen der Figuren untersucht. Sodann wird die Erzeugungsformel des Romans rekonstruiert und die Selbstobjektivierung des Autors Robert Musil zumindest ansatzweise versucht. Der Vorzug dieses Doppelschritts besteht in Wolfs Augen in der Gewinnung eines differenzierten Begriffs von Gesellschaft. (ICB2)