Nachhaltigkeitskommunikation: eine soziologische Perspektive
In: Handbuch Nachhaltigkeitskommunikation: Grundlagen und Praxis, S. 151-161
Soziologie weist eine Vielzahl unterschiedlicher theoretischer Zugänge zum Verständnis sozialer Prozesse auf: systemtheoretische, handlungstheoretische, symbolisch-interaktionistische, neoinstitutionalistische, neomarxistische, kommunikations- und diskurstheoretische. Gesellschaftliche Kommunikation besitzt in all diesen Ansätzen einen mehr oder weniger zentralen Stellenwert. Das eröffnet unterschiedliche soziologische Zugänge zum Feld der Nachhaltigkeitskommunikation. Sie kann unter dem Aspekt systemspezifischer Rationalitäten, dem Aspekt gruppen- und milieuspezifischer Kommunikationsformen oder unter dem Macht- und Herrschaftsaspekt diskutiert werden; sie kann als Prozess der 'sozialen Konstruktion' von Problemrahmungen oder unter der Perspektive normativer Integration untersucht werden. In diesem Zusammenhang wird hier insbesondere der Ansatz von Giddens ('Theorie der Strukturierung', 1988) erörtert und durch andere Positionen interpretiert (z.B. symbolisch-interaktionistisch), der die Kluft zwischen der Handlungs- und der Strukturebene durch eine Perspektive zu überwinden versucht, die die wechselseitige Reproduktion von Handlung und Struktur in den Vordergrund rückt. Auf dieser Grundlage werden schließlich die Schlussfolgerungen für das Verständnis der Nachhaltigkeitskommunikation skizziert. Die soziologische Perspektive rückt somit die Tatsache in den Vordergrund, dass es in der Nachhaltigkeitsdebatte nicht nur um ein neues, 'intelligentes' institutionelles Design, um die Entwicklung geeigneter Win-Win-Strategien geht, sondern um umfassende Normbildungsprozesse, um die Restrukturierung gesellschaftlicher Wirklichkeitsdeutungen und institutioneller Praktiken. Im Anschluss wird diese Bestandsaufnahme am Beispiel des deutschen Diskurses zu nachhaltiger Entwicklung verdeutlicht. Diese Skizze bezieht sich auf eine empirische Analyse der deutschen Nachhaltigkeitsdebatte in ihrer Formierungsphase Mitte bis Ende der 1990er Jahre. Die Struktur, die 'symbolische Ordnung' des Diskurses, reproduziert sich hier in einem bestimmten Muster institutioneller Praktiken. Systematische Ausblendungen im Nachhaltigkeitsdiskurs führen zu entsprechenden Leerstellen auf der Seite praktischer Handlungsoptionen. Soziologische Analysen, die die institutionellen Implikationen von Diskursen und die symbolisch-kommunikativen Bedingungen institutioneller Praktiken thematisieren, stellen insofern ein hilfreiches Korrektiv gegen Verkürzungen der Nachhaltigkeitskommunikation dar. (ICG2)