Cavour und Bismarck: Analogien und Unterschiede zwischen einem liberalen und einem autoritären Staatsgründer
In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft: ZfG, Band 59, Heft 4, S. 301-311
Abstract
Camillo Benso di Cavour steht beispielhaft für politische Führung im Sinne der parlamentarisch-liberalen Logik, die voller Widersprüche steckt, ständigen Veränderungen unterworfen ist und von starken Persönlichkeiten wie Giuseppe Garibaldi, Giuseppe Mazzini und König Vittorio Emanuele geprägt ist, mit denen sich Cavour permanent messen muss. Vor allem aber ist Cavour, als entschlossener Führer des Parlaments, aus dem er letztlich seine Kraft bezieht, ein überzeugter Liberaler. Otto von Bismarck-Schönhausen hingegen verkörpert das Prinzip monarchischer Autorität. Er lebt in ständiger konfliktreicher Spannung mit dem Parlament, instrumentalisiert demokratische Gepflogenheiten wie das allgemeine Wahlrecht und schreckt auch sonst vor keinem Mittel zurück, um die Abgeordneten in die Schranken zu weisen. Dabei kommt ihm zugute, dass er keine ebenbürtigen politischen Gegenspieler hat und dass er sich bei der Umsetzung seiner nationalen Pläne auf den leistungsfähigen militärischen Apparat der preußischen Armee stützen kann. Er ist ein Gegner des Parlaments, ein "weißer Revolutionär". Dennoch positionieren sich beide Staatsmänner gegenüber dem parlamentarischen Liberalismus und der öffentlichen Meinung in einer Weise, dass viele politische Beobachter von "diktatorischen" oder "cäsaristischen" Tendenzen sprechen. Liberalismus und Cäsarismus sind somit die Pole, innerhalb derer sich ihr Wirken und ihre Persönlichkeit entfalten. Diese Elemente bilden auch den Stoff, aus dem ihre Mythen geschaffen wurden: der Mythos Bismarcks vom bürgerlichen, aber volksnahen Junker und der bürgerliche Mythos Cavours vom moderaten Liberalen, der aber durchaus elitäre Anwandlungen hat. (ICF2)
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Sprachen
Deutsch
ISSN: 0044-2828
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