Gelebte Kultur und legitime Kultur im Maghreb
In: Zeitschrift für Kultur-Austausch, Volume 25, Issue 4, p. 29-33
ISSN: 0044-2976
Nach der militärischen Eroberung Algeriens bemühte sich die Kolonialmacht, sowohl die wirtschaftliche als auch die kulturelle Besitzergreifung mit verschiedenen Mitteln zu Ende zu bringen. Von der algerischen Kultur existierte am Vorabend der kolonialen Eroberung eine zweite Seite, die nicht von einer beschränkten Gruppe von Wissensträgern getragen, sondern von der Masse des Volkes gelebt wurde. Diese Seite hat sich als die widerstandsfähigere erwiesen, da sie seit langem einer relativen Geringschätzung anheim gefallen war und so als relativ harmlos angesehen wurde. Der Verfasser geht auf verschiedene Theorien zu diesem Thema ein. Mit der Schmälerung der wirtschaftlichen Macht der islamischen Läder verlor seit dem 15. Jhdt. der Islam seine historische Führungskraft. Die Folge war im Maghreb ein Wiederaufleben der stammesmäßigen Organisation auf Kosten der Formel von den großen islamischen Staaten. Diese Voraussetzung verursachte in anderen Lebensbereichen ähnliche Wirkungen. Obwohl die Texte aus dieser Zeit nur Dokumente der legitimen, gelehrten Kultur sind, gestatten bestimmte Indizien, auf die der Verfasser anhand von zwei Beispielen eingeht, die Annahme der Existenz einer entwickelten Volkskultur. Sie wird von der legitimen Kultur überdeckt, indem ihr bis auf die mündliche jede materielle Produktion blockiert wird und indem sie in den Randzonen des Lebens angesiedelt wird, während die legitime Kultur für sich das Monopol auf Wissenschaft, Theologie und Geschichte beansprucht. Der Verfasser geht auf die weitere Entwicklung der beiden Kulturen in der Kolonialzeit und nach der Unabhängigkeit Algeriens, als die alte Dichotomie wiederauflebt, ein. (SD)