Der Zusammenhang zwischen der Qualität von Schülerangaben zur sozialen Herkunft und den Schulleistungen
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, p. 3465-3478
Abstract
"Die Frage nach sozialen Disparitäten in der Bildungsbeteiligung ist in den letzten 50 Jahren intensiv beforscht und diskutiert worden. Von diesen Diskussionen angeregt, wurden vielfältige Reformbemühungen initiiert, die unterschiedliche Wirkung zeigten. Zwar lässt seit Ende des zweiten Weltkrieges eine Entkopplung von Bildungsbeteiligung und sozialer Herkunft feststellen, doch der Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen (Abitur) ist weiter durch eine unveränderte soziale Selektivität gekennzeichnet. Dies belegen unter anderem eindrucksvoll Ergebnisse der PISA-Studie, die deutlich gemacht hat, dass in der Bundesrepublik ein besonders enger Zusammenhang zwischen Strukturmerkmalen der familiären Lebensverhältnisse (z.B. sozioökonomischer Status und Bildungsniveau), der Bildungsbeteiligung und des Kompetenzerwerbs nachweisbar ist. Den entscheidenden Einfluss auf die Entstehung von Bildungsungleichheiten haben die Gelenkstellen im Bildungssystem. Will man soziale Disparitäten in der Bildungsbeteiligung abbauen, könnte dies u.a. durch eine Öffnung von Bildungswegen ermöglicht werden. Die Öffnung von Bildungswegen soll es dann jungen Menschen ermöglichen, vormals getroffene Bildungsentscheidungen ohne unzumutbare persönliche und gesellschaftliche Kosten korrigieren zu können. Mit dem Übergang in eine bestimmte Schulform der Sekundarstufe I wären die Schullaufbahn bzw. der Schulabschluss noch nicht festgelegt. Eine Öffnung von Bildungswegen kann durch eine erhöhte Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen erreicht werden. Wenn aber Bildungsabschlüsse an verschiedenen Schultypen absolviert werden können und so Schulabschlüsse und Schulform teilweise voneinander entkoppelt werden, verliert der Schulformwechsel als Indikator für Offenheit im Bildungssystem seine Gültigkeit. Dies scheint in erster Linie für mittlere Bildungsabschlüsse zuzutreffen. Das Abitur hingegen wird nach wie vor überwiegend am Gymnasium gemacht. Öffnung könnte hier durch die Implementierung neuer institutioneller Strukturen erreicht werden. Die Einrichtung Integrierter Gesamtschulen oder der Ausbau von beruflichen Gymnasien stellen solche institutionellen Erweiterungen dar. In diesem Beitrag werden am Beispiel der Implementation beruflicher Gymnasien die Konsequenzen der Öffnung von Wegen zur Allgemeinen Hochschulreife im Hinblick auf eine Verringerung sozialer Disparitäten der Bildungsbeteiligung und des Kompetenzerwerbs sowie die Wirkungen auf die langfristig angestrebten Berufe untersucht. Speziell wird den Fragen nachgegangen, 1. ob sich die soziale Herkunft der Schülerschaft an beruflichen von der an allgemein bildenden Gymnasien unterscheidet, 2. ob soziale Herkunft und schulische Kompetenzen innerhalb der Gymnasialformen kovariieren und 3. ob sich trotz des identischen Abschlusses die Studienintention und das Prestige der längerfristigen Berufswünsche von Schülern allgemein bildender von denen beruflicher Gymnasien unterscheiden. Die Analysen basieren auf der durch das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Berlin) und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg durchgeführten Längsschnittstudie 'Transformation des Sekundarschulsystems und akademische Karrieren' (TOSCA). Die Untersuchung bei 4730 Schülerinnen und Schüler an gymnasialen Oberstufen ermöglicht eine differenzierte Analyse der Eingangsselektivität allgemein bildender und beruflicher Gymnasien und deren Leistungsständen in Mathematik und Englisch. Die Ergebnisse zeigen, dass durch institutionelle Erweiterungen eine im Vergleich zur klassischen Gymnasialklientel sozial schwächere Gruppe zur Allgemeinen Hochschulreife geführt werden kann. Dies wird erkennbar in niedrigeren Werten der sozioökonomischen Stellung, des kulturellen und sozialen Kapitals. Dies deutet auf eine Verringerung sozialer Disparitäten beim Zugang zur gymnasialen Oberstufe hin. Kontrolliert man für unterschiedliche Bildungskarrieren, zeigt sich ein vernachlässigbarer Zusammenhang von sozialer Herkunft und der Mathematik- und Englischleistung am Ende der Sekundarstufe II. Bezogen auf die Berufsaspirationen unterscheiden sich die Schülerinnen und Schüler der beiden Gymnasialformen zwar geringfügig zu Gunsten allgemein bildender Gymnasien, jedoch weisen Schülerinnen und Schüler beruflicher Gymnasien die höhere angestrebte soziale Mobilität auf." (Autorenreferat)
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