Soziale Bewegungen und Demokratie
In: Demokratie und Krise - Krise der Demokratie, S. 110-120
Soziale Bewegungen und Protest stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit Demokratie, oder genauer: mit Problemen und Defiziten demokratischer Partizipation. Viele soziale Bewegungen waren seit dem 19. Jahrhundert Bestandteil einer historischen Tendenz zur Demokratisierung der Gesellschaft. Mit der Durchsetzung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie haben sich diese Bewegungen aber nicht erledigt, ganz im Gegenteil. Demokratische Defizite sind geblieben und die sozialen Bewegungen auch. Sie entstehen immer dann, wenn sich nennenswerte Teile der Bevölkerung von denen, die über die politische Macht verfügen, nicht (mehr) repräsentiert fühlen. Das systematische Auftreten sozialer Bewegungen verweist also auf ein strukturelles Problem im parlamentarischen System. Soziale Bewegungen spielen in diesem Sinne eine modernisierende und innovative Rolle für das politische System als Ganzes. Sie vermitteln zwischen Politik und Bevölkerung, und sie schaffen eine intermediäre Ebene, indem die Verkopplung beider verbessert wird. Sie brechen Verkrustungen auf, die durch die Entfernung des politischen Systems und Bevölkerungsteilen entstanden sind. Nicht nur Inhalte, sondern auch neue Formen politischer Praxis werden dann oft von den etablierten Institutionen des politischen Systems für innovative Veränderungen übernommen. Der vorliegende Beitrag zeigt im Sinne dieses Modernisierungsansatzes, wie etablierte Akteure sich der Mittel und Methoden sozialer Bewegungen bedienen, um Änderungen im politischen System gegen z. T. harte Widerstände durchzusetzen. Dies lässt sich sowohl an der Wahlkampagne Obamas als auch Mussawis im Iran feststellen. Beide Kampagnen waren sehr erfolgreich, weil sie über die Methoden der etablierten Politik hinaus auch die von sozialen Bewegungen nutzten. Dadurch gelingt es, große Teile der Bevölkerung an die etablierte Politik heranzuführen und die Distanz zwischen beiden zu verringern. (ICA2)