Die "Großmutter-Hypothese" und genomische Konflikte: Konditionale Einflüsse von Großmüttern auf reproduktives Verhalten in Familien der ostfriesischen Krummhörn (1720-1874)
"Der "Großmutter-Hypothese" zufolge lässt sich menschliche Fortpflanzung als ein Drei-Generationen-Unternehmen beschreiben, in dem postmenopausale Mütter ihren Nachwuchs bei der Reproduktion unterstützen. Bisherige Studien zeigen allerdings eine hohe Variabilität in den Einflüssen postmenopausaler Mütter auf Fruchtbarkeit und Nachwuchssterblichkeit ihrer Töchter und Schwiegertöchter, die noch nicht gut verstanden ist. Um die Ursachen für diese Variabilität zu untersuchen, wurden rekonstituierte Familiendaten einer historischen Population in der ostfriesischen Krummhörn-Region analysiert. Den Ergebnissen zufolge müssen die Effekte von Großmüttern sowohl für unterschiedliche genetische Abstammungslinien als auch für unterschiedliche sozioökonomische Beschränkungen differenziert werden. Während aus großmütterlicher Sicht intergenomische Schwiegerkonflikte aus der asymmetrischen Verwandtschaft zwischen Angehörigen beider elterlicher Abstammungslinien resultieren, sind sexuell-antagonistische, intragenomische Konflikte eine Folge der vom restlichen Genom abweichenden, asymmetrischen Vererbung der väterlichen Geschlechtschromosomen. Im Falle der Krummhörn-Familienrekonstitutionsstudie eröffnet das Zusammenführen von Daten zu individuellen, sozioöokonomischen Beschränkungen mit Modellen zur Verwandtenökologie neue Perspektiven zur Untersuchung von konditionalen großmütterlichen Effekten. Dieser Überblicksartikel fasst kumulierte Ergebnisse und theoretische Entwicklungen zusammen, die sich in letzter Zeit innerhalb verschiedener Forschungszweige aus der ursprünglichen Großmutter-Hypothese entwickelt haben." (Abstract)