Kulturschock als Erklärung der anhaltenden "Befindlichkeiten" zwischen Ost- und Westdeutschland
In: 20 Jahre deutsche Einheit: Facetten einer geteilten Wirklichkeit, S. 36-53
Der Autor bezeichnet die Wiedervereinigung Deutschlands als sozialwissenschaftliches "Großexperiment", welches in vier Phasen verlief: einer ersten chaotischen Phase, einer langen stabilen Phase, der kurzen Zusammenbruchsphase, gefolgt von der Vereinigungsphase. Er stellt in seinem Beitrag ausgewählte Forschungsergebnisse von empirischen Untersuchungen zu den Befindlichkeiten in der west- und ostdeutschen Bevölkerung dar und beschreibt den "Kulturschock" als Erklärungsmodell für die unterschiedlichen Mentalitäten. Das Modell Kulturschock war ursprünglich aus den Erfahrungen von Individuen entwickelt worden, die in fremde Kulturen versetzt wurden. Als Einzelpersonen blieb ihnen bei Drohung des Scheiterns nicht viel anderes übrig, als sich der neuen Kultur anzupassen. Die deutsche Vereinigung ist aber dadurch gekennzeichnet, dass zusammenhängende Großgruppen mit ihren intakten internen Vernetzungen, vor allem mit ihren Familien- und Freundschaftsstrukturen, der fremden Alltagskultur ausgesetzt wurden. Man muss also eine ganz andere Dynamik unterstellen, denn das Diskriminierungsgefühl der Ostdeutschen hat eine reale Basis. Es gibt nämlich auch ein Einmauern in der Eskalationsphase des Kulturschocks auf westdeutscher Seite. Dieses kommt jedoch in sozialwissenschaftlichen Umfragen wegen der politischen Korrektheit im Antwortverhalten kaum zum Vorschein. (ICI2)