Baltische Staaten: Politiker als Fixpunkte und verschiedene Varianten von parteipolitischer Fluidität
In: Osteuropäische Demokratien als Trendsetter?: Parteien und Parteiensysteme nach dem Ende des Übergangsjahrzehnts, S. 229-251
Die baltischen Staaten werden als geographische Einheit rezipiert. Sie haben jedoch nicht nur eine sehr unterschiedliche politische Kultur und verschiedene Parteiensysteme. Estland hat sich das Image vom "baltischen Tiger" erworben und wird überwiegend von Gegnern des ancien regime regiert, wohingegen in Lettland eine Koalition aus Exilanten und Reformkommunisten tonangebend war und ist. Litauen wurde im ersten Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit durch den intensiven Konflikt zweier Lager geprägt. Der vorliegende Beitrag zeigt, dass die Parteien in diesen Staaten, insbesondere aber in Lettland, außer durch ihre hohe Instabilität auch durch ihre niedrigen Mitgliederzahlen auffallen. In vielen Fällen ist sie mit der Zahl der Mandatsträger der Partei auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems identisch. Da sie nur Vehikel des Machterhalts einer kleinen Gruppe sind, ist in ihnen die innerparteiliche Demokratie kaum ausgeprägt. Einstweilen sind die Parteien in den baltischen Staaten vorwiegend Wahlklubs ihrer Spitzenpolitiker ohne Verankerung im Volk. Bei der Betrachtung der Qualität der Demokratien fallen - insbesondere in Lettland - ernsthafte Defizite ins Auge. Die Demokratie ist hier eher formell, oder plakativ ausgedrückt: sie ist eine "Diktokratie", in der starke wirtschaftliche Akteure, entweder direkt oder vermittels populärer Persönlichkeiten, Parteien gründen und damit das demokratische System instrumentalisieren. (ICA2)