Studies have shown that authoritarian regimes tend to censor the media to limit potential threats to the status quo. While such censorship practices were traditionally aimed at broadcast and print media, the emergence of the Internet and social media in particular, prompted some authoritarian regimes, such as the Assad regime in Syria, to try and exert a similar level of censorship on the Internet as well. During the Arab Spring, the Syrian regime blocked hundreds of websites that provided social networking, news, and other services. Taking Syria as a case study, this paper examines whether Internet censorship succeeded in preventing Internet users from reaching censored online content during 2010−2012. By analyzing the use of Alkasir, a censorship circumvention tool created by the author, the paper provides empirical evidence demonstrating that users were in fact able to bypass censorship and access blocked websites. The findings demonstrate that censorship circumvention tools constituted a threat to the information control systems of authoritarian regimes, highlighting the potential of such tools to promote online freedom of expression in countries where Internet censorship is prevalent. (author's abstract)
In: SAIS review / the Johns Hopkins Foreign Policy Institute of the Paul H. Nitze School of Advanced International Studies (SAIS): a journal of international affairs, Band 19, Heft 2, S. 149-155
In der Folge des sogenannten documentary turn haben seit den 1990er Jahren dokumentarische Praktiken verstärkt Einzug gehalten in den Kunstkontext. Dokumentarische Arbeiten in verschiedenen Medien und künstlerischen Praktiken wie Fotografie, Bewegtbild, Performance oder Installation sind im zeitgenössischen Ausstellungsbetrieb nahezu omnipräsent, wobei es durchaus Grenzgänger und Brückenschläge zwischen diesem neuen Feld dokumentarischer Praktiken und dem traditionellen Dokumentarfilm gibt. Dass dieser Austausch auch diskursiv nicht unproblematisch und häufig von Missverständnissen geprägt ist, hat Eva Hohenberger und Katrin Mundt unter anderem dazu veranlasst, mit einem Sammelband die neue Verortung des Dokumentarischen zwischen Kino und Kunst für beide Diskurswelten zugänglicher zu machen. Das Anliegen, die kommunikative Kluft zu überbrücken, wird bereits von den beiden Herausgeberinnen mit Hohenberger als Filmwissenschaftlerin und Mundt als Grenzgängerin zwischen den Bereichen mit Wahlheimat im Kunstkontext repräsentiert. Auch die Autor_innen der elf Artikel entstammen beiden Kontexten, wobei allerdings ein deutlicher Akzent auf eine Sicht aus der Kunstperspektive festzustellen ist. Das mag darin begründet sein, dass die Reihe Texte zum Dokumentarfilm eher eine Leserschaft aus dem Bereich des Films anvisiert, dem von den Herausgeberinnen im Vorwort im Vergleich mit dem Feld der Kunst eine mangelnde Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Dokumentarismus und Kunst attestiert wird. Hier könnte allerdings eingewandt werden, dass, was für die traditionelle Filmwissenschaft zutreffen mag, sich durchaus nicht für das gesamte Feld verallgemeinern lässt. Denn Filmfestivals wie das Forum Expanded als Teil der Berlinale oder, seit kürzerem, das Porto.Post.Doc Festival widmen sich sehr wohl nicht nur in der Filmauswahl sondern auch in reflexiven Formaten diesem Thema. Im einführenden Kapitel bestimmen die Herausgeberinnen ihren Ansatz näher: einerseits liegt ein Akzent auf dem institutionellen Aspekt, der in der Tat in der bisherigen Diskussion unterrepräsentiert ist. Andererseits wird er getragen von dem Versuch, die zeitgenössische Gemengelage des Dokumentarischen mit historischen Ansätzen zu verbinden und aus ihnen zu erklären. In der Auseinandersetzung mit der Diskussion der letzten Jahre wird besonders auf textuelle Äußerungen Hito Steyerls und Okwui Enwezors Bezug genommen, an denen kritisiert wird, dass sie dokumentarische Praktiken im Kunstkontext jeweils nur durch die Konstruktion eines Gegenpols definierten: den lediglich beobachtenden Dokumentarfilm bei Steyerl, die Bildproduktion des Journalismus und des Fernsehens bei Enwezor. Mögen diese Punkte tatsächlich zum Bereich der Missverständnisse zwischen den beiden Diskursfeldern Kunst und Film bzw. Dokumentarismus gehören, so erscheinen die zahlreichen Texte Steyerls und Enwezors hier dennoch einer starken Verkürzung unterzogen. Die Hinzuziehung der Theorien Rancières für eine Diskussion des Spannungsfeldes von Ästhetischem und Politischem wird zwar auch in der Folge in mehreren Artikeln des Bandes fruchtbar gemacht und trägt zu der von den Herausgeberinnen angestrebten Erweiterung der diskursiven Perspektive bei, dennoch wäre es für das Verständnis des Standes der Diskussion vielleicht hilfreich gewesen, sich mit weiteren diskursiven Akteuren aus dem engeren Feld der dokumentarischen Praktiken auseinanderzusetzen, etwa den Publikationen des Berlin Documentary Forums. Auch der von Gail Pearce und Cahal McLaughlin herausgegebene Band Truth or Dare. Art and Documentary (Bristol/Chicago 2007) etwa könnte für den Versuch, dokumentarisches Arbeiten im Film- und im Kunstkontext vergleichend zu unterscheiden mit Gewinn hinzugezogen werden. Dann könnte auch die diskursive Erweiterung, die der Sammelband leistet, von Neulingen im Feld besser eingeschätzt und situiert werden. Gegliedert ist der Band in drei Teile, die institutionellen Faktoren, Traditionslinien und Verfahren sowie Fallstudien gewidmet sind. Im ersten Teil diskutieren Barbara Engelbach sowie der Werkstattbericht von Rose Epple, Bernhart Schwenk, Heiner Stadler und Detlef Weitz aus kuratorischer und gestalterischer Perspektive das Ausstellen filmischer Arbeiten anhand konkreter Beispiele. Ein auch in der Literatur ausführlich erörterter Punkt ist dabei der unterschiedliche Umgang mit dem Raum in Museum und Kino und die sich daraus ergebenden Implikationen. So gehen beide Texte ein auf die nicht-lineare Betrachtungsweise und die möglichen assoziativen Verflechtungen zwischen den Filmen, die sich aus einer simultanen Präsentation in einem Raum ergeben. Benjamin Cook argumentiert als Gründungsdirektor von Lux, der britischen Agentur zur Unterstützung von unabhängigen Film- und Videokünstlern, aus Sicht der Produktion und Distribution. Er stellt fest, dass die Durchmischung der Felder Kunst und Film in der Praxis relativ weit fortgeschritten ist, aber "der Diskurs hinkt den Arbeiten hinterher" (S. 47), woraus immer wieder Probleme der Zuordnung und kommunikativen Zusammenstöße resultierten. Alle drei Artikel dieses ersten Teils geben wertvolle Einblicke in die praktische Arbeit mit Film im institutionellen Bereich, wobei die Aussagen zu Produktion, Distribution und Präsentation nicht unbedingt spezifisch für dokumentarische Bewegtbilder sind und sich die Reflexionen über das Dokumentarische eher en passant finden. Der zweite Teil des Bandes verfolgt zunächst historische Verbindungslinien. Alexandra Moschovi zeichnet die Geschichte der dokumentarischen Fotografie im MoMA nach. Anhand paradigmatischer Ausstellungen arbeitet sie dabei diskursive Spielarten des Umgangs mit dokumentarischen Praktiken am Beispiel der Fotografie heraus. Für Jan Verwoert liegt die Verbindungslinie zwischen Kunst und Dokumentarfilm in Momenten der Öffnung, die durch Austausch und Aufgeschlossenheit geprägt sind. Die Video- und Konzeptkunst der 1960er und 1970er Jahre, die sich als historischer Bezugspunkt durch den gesamten Band ziehen, markieren eine solche Etappe der Öffnung für neue Erfahrungen, Medien und Disziplinen. Ein ähnlich kommunikatives Klima sieht Verwoert mit dem Fall des Eisernen Vorhangs entstehen: dokumentarische Arbeiten, die wie "Gastgeschenke oder Mitbringsel" (S. 107) getauscht wurden, dienten in dieser Phase der politischen und geographischen Öffnung der Verständigung. Verwoert fügt hiermit den gängigen Erklärungsmustern, die den documentary turn auf die gesellschaftspolitischen Krisen nach 1989 sowie den prekär gewordenen Status des Bildes zurückführen, eine bedenkenswerte Facette hinzu. Konkrete Verfahren rücken in den Fokus von Thomas Elsaessers und Maria Muhles Beiträgen. Elsaesser zeigt in seiner reichhaltigen Argumentation, wie die Arbeit mit found footage im Kunstkontext genutzt wird, um das Dokumentarische zu hinterfragen, etwa um eine traditionelle dokumentarische Form wie den ethnografischen Film "auf den Kopf" (S. 145) zu stellen. Maria Muhle nimmt die gängige Gegenüberstellung von künstlerischen und historiografischen Reenactments als Ausgangspunkt für eine Umwertung. In einer nicht ganz unkomplizierten Denkschleife wird, unter Zuhilfenahme von Rancières Theorien, das Reenactment, das als mindere Mimesis durch einen buchstäblichen und literalen Anspruch gekennzeichnet ist, durch die mit diesem verbundene Exzessivität und Mehrdeutigkeit zu einem dokumentarischen Modus, der selbst schon ein ästhetischer geworden ist. Arbeiten schon die ersten beiden Teile des Bandes mit Beispielanalysen, so ist der dritte Teil explizit Fallbeispielen gewidmet. In vier sehr lesenswerten Artikeln wird die Bandbreite dokumentarischen Arbeitens ausgelotet. Eine Absage an den engagierten Dokumentarfilm sieht T.J. Demos in Renzo Martens' Film Enjoy Poverty. Der Film, der die dokumentarische Analyse verschränkt mit einer Performance von Martens, zeige eine "Parallele zwischen engagierter Bildproduktion und internationaler humanitärer Hilfsindustrie" (S. 161). Wie der systemische Charakter der Armut, in diesem Fall im Kongo, offengelegt und ausgestellt wird, deute "nachdrücklich in Richtung einer neuen Politik des Dokumentarischen" (S. 165). Der Beitrag von Jochen Becker, Elke Falat und Renate Wöhrer zu Allan Sekula stellt mediale Verschränkungen in den Mittelpunkt und zeigt am Beispiel von Sekulas Auseinandersetzung mit der Walt Disney Concert Hall, wie die Videofilme in ein vernetztes Verweissystem mit seinen fotografischen, performativen und kuratorischen Arbeiten eingebunden sind. Gillian Wearings Arbeiten wiederum stehen ein für eine weit verbreitete künstlerische Auseinandersetzung mit Fernsehästhetik und Formaten wie dem Reality TV. In ihrer Analyse untersucht Maeve Connolly, wie Wearing auf diese Parameter zurückgreift und in delegierten Performances Prozesse und Operationen erkundet, die soziale Körper konstituieren. Im abschließenden Artikel von Iris Dressler fließen viele der zuvor im Buch entwickelten Fäden zusammen. Nicht performative Körper stehen hier im Zentrum, sondern es ist das Archiv selbst, das, wie Dressler zeigt, Pedro G. Romero in seiner Arbeit Archivo F.X. "zum Tanzen bringt" (S. 219). Nicht um den überprüfbaren Wahrheitsgehalt archivischer Verweise und Quellen geht es hier, sondern das Dokumentarische selbst ist in Bewegung geraten und erfährt eine Ausweitung ins Performative. Ortsbestimmungen. Das Dokumentarische zwischen Kino und Kunst bietet in der Summe einen wertvollen Beitrag zum noch relativ jungen Diskurs über dokumentarische Praktiken im Austausch zwischen Kunst- und Filmkontext. Die in den Artikeln eröffneten historischen Fluchtlinien und der Fokus auf institutionelle Fragen ergänzen den Diskurs um wichtige Aspekte, während die Analysen und Fallbeispiele zur Veranschaulichung der Thesen beitragen und die Bandbreite dokumentarischen Arbeitens im Kunstkontext aufzeigen. Auch wenn der Band in seiner Beispiel- und Verweisfülle sich als nicht ganz voraussetzungsfrei in der Lektüre erweist, dürfte er nicht nur als weiterführende Lektüre, sondern auch als Einstieg in die Thematik geeignet sein.
Puppenspiel, Figuren- und Objekttheater, Theater der Dinge? AkteurInnen in diesen dynamischen Spielfeldern sind – durch Produktions- und Aufführungsmodi mitbedingt – mehrheitlich offen für genreüberschreitende Formensprachen, räumlich ausgesprochen mobil und unterschiedlichsten Publikumsarten zugewandt. Ungeachtet der Benennungsproblematik und ihrer Präsenz auf Gegenwartsbühnen ist die Anzahl an Publikationen zu dieser variantenreichen Theaterform im deutschsprachigen Raum sehr überschaubar, (theater-)wissenschaftliche Monografien oder Sammelbände sind quasi inexistent. Der Verlag Theater der Zeit bietet mit seinem konsequent zweisprachigen Arbeitsbuch Der Dinge Stand/The State of Things. Zeitgenössisches Figuren- und Objekttheater/Contemporary Puppetry and Object Theatre eine Fülle an Text- und Bildmaterial, das exemplarisch künstlerische Positionen zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen und Phänomenen – Digitalisierung, Protestkulturen, Körperbilder, Heimat, Migration und Erinnerung – zu fassen sucht. "Puppenspieler*innen gehörten zu den ersten Kunstschaffenden, die interdisziplinäre Inszenierungsansätze, postdramatische Dramaturgien und internationale Kollaborationen etablieren und, zumindest im Festivalbetrieb, durchsetzen konnten." (S. 7) In ihrem Vorwort argumentieren die HerausgeberInnen Annette Dabs und Tim Sandweg darüber hinaus, dass der Diskurs über Figuren- und Objekttheater in letzter Zeit von ästhetischen Fragestellungen dominiert worden sei. Die vorliegende Publikation solle zeitgenössische Spielformen und -materialien primär hinsichtlich ihrer Relationen zu sozialen und politischen Thematiken befragen. Zudem liege im Verlag Theater der Zeit die Veröffentlichung des letzten genrespezifischen Arbeitsbuchs Animation fremder Körper (herausgegeben von Silvia Brendenal im Jahr 2000) beinahe zwei Jahrzehnte zurück. Sieben Artikel, ebenso viele Gespräche und einige manifestartige, poetische bzw. autobiographische Texte umfasst Der Dinge Stand/The State of Things. Der Einstieg in die im Vorwort angekündigten Schwerpunktthemen erfolgt dezidiert – womöglich um Figuren- und Objekttheater unmissverständlich als Innovationsmotor zu markieren – über die Verhältnisse zu den neuen Technologien. So konfrontiert das erste Gespräch zwischen Martina Leeker, Andreas Bischof und Markus Joss, Perspektiven aus der Medienwissenschaft, der Sozialwissenschaft und der Puppenspielpraxis: Robotik, Digitalisierung, neue Kommunikationsformen differieren in ihrem Einsatz im Alltag und auf der Bühne. Ist im Theater der Dinge womöglich nicht das reibungslose Funktionieren dieser neuen Mittel fruchtbar, sondern gerade deren Versagen? Joss spricht pointiert, anhand des aktuell beliebten Topos der Roboter auf der Bühne, über die Grenzen der Brauchbarkeit dieser neuartigen Puppen: "Ein Roboter ist ja erst einmal ein riesengroßes Versprechen. Aber wenn ich aus dem Theater der Dinge darauf blicke, ist das sehr begrenzt: Wenn der Roboter jetzt Treppen steigen kann, haben sehr viele Ingenieur*innen ihr Leben darauf verwandt, damit er das kann. Das ist einerseits beeindruckend, aber unter dem Aspekt der Artistik unendlich langweilig." (S. 25) Wie könnte sich Figuren- und Objekttheater also heute und zukünftig zu einer durch neue Technologien geprägten Gesellschaft verhalten? Womöglich weder durch ein Absorbieren von Robotern, Programmierung, Digitalisierung, noch durch die Einrichtung eines technologiefreien Theaterreservats, sondern durch die Offenlegung von Übersetzungsleistungen, welche im alltäglichen Technikeinsatz verdeckt werden: Joss argumentiert, "dass heute eine Aufgabe von darstellender Kunst im Öffnen, im Sichtbarmachen besteht. Da liegt für mich auch eine Chance für das Theater der Dinge in digitalen Kulturen." (S. 26) Es folgen, im Kielwasser des ersten Themenschwerpunkts, drei Gespräche, darunter eines mit dem Berliner Kollektiv komplexbrigade über interaktives Rollenspieltheater mit Retro-Science-Fiction-Ästhetik (flirrende Bildschirme, Knöpfe und Schalter) und ein weiteres mit dem Professor für digitale Medien im Puppenspiel Friedrich Kirschner über Erwartungshaltungen und Reaktionsketten in partizipativen Formaten. Das dritte Gespräch, mit dem Intendanten des Schauspiels Dortmund Kay Voges, streift Virtual-Reality-Brillen, Body Tracking und Kostüme aus dem 3D-Drucker sowie die "Hoffnung, dass das Theater auch in dreißig Jahren noch ein Ort sein kann, wo die Schönheit der Komplexität erzählt werden kann und nicht die Partizipationswut jede Geschichte zerstört." (S. 54) Der im Themenfeld von Gaming- und Mitmachtheater graduell entgleitende Fokus auf das breit gefasste Theater der Dinge wird mit einem Artikel von Tom Mustroph wieder justiert, der sich mit der 2017 uraufgeführten Inszenierung Pinocchio 2.0 der Berliner Gruppe Manufaktor befasst. Die Puppenspiel-AbsolventInnen der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch mobilisieren auf halbem Wege zwischen Frankensteins Monster und Freuds Prothesengott, Technologie auf der Bühne: Mit verkabelten Tierschädelknochen und einem ferngesteuert rollenden Fuchs-Katze-Doppelkopfapparat mit LED-Augen illustrieren sie ein dystopisches Kriegsszenario zwischen Menschen und Maschinen am Ende des 21.Jahrhunderts – inklusive anthropomorpher "Pinocchio-Figur als Retter der Menschheit" (S. 52). Der zweite, einem konventionelleren Verständnis von Figuren- und Objekttheater näherliegende Themenfokus des Arbeitsbuchs – der menschliche Körper im Verhältnis zum Mythos, zur Gewalt, zum Objektkörper – wird in fünf Textbeiträgen ausgelotet. Sind wir etwa nie modern gewesen? Im Gespräch befragt die Puppenspielerin Julika Mayer, Renaud Herbin, Puppenspieler und Intendant des TJP Centre Dramatique National in Straßburg, zu Bezügen zwischen antiken Mythen, Ritualen und Körpern im Puppenspiel. "Neither flesh nor fleshless; Neither from nor towards; at the still point, there the dance is" (S. 67) – Herbin zitiert T. S. Eliot herbei, um der Unentschiedenheit zwischen Lebendigem und Unbelebtem, zwischen Aktivem und Passivem in einer angehaltenen Zeit, Raum zu geben: Genau dort läge der Tanz, der ebenso wie Mythologie und Puppenspiel "eine andere Erfahrung des Körpers in Aussicht" (S. 67) stelle. Ebenfalls im Gespräch mit Mayer spinnt Uta Gebert die Fragen nach dem Nonverbalen im tanzaffinen Puppenspiel fort: Das Ding ist hier weder Beiwerk noch Spielzeug, sondern gibt den Rhythmus vor. Mit Demut agiert der "Mensch als Unterstützung, der der Puppe Raum und Kraft verschafft", da "eine Puppe ein gänzlich anderes Zeit-Raum-Gefüge hat. In dieses Gefüge muss der Mensch irgendwie rein, damit beide gut interagieren können" (S. 71). Ein Artikel von Bernard Vouilloux bearbeitet die facettenreichen Verwischungen der Grenzen zwischen organischem und künstlichem Körper und deren ontologischen Zuschreibungen je nach Bewegungs- oder Stillstandmodus in den Arbeiten von Gisèle Vienne. Der thematische Block endet mit einem Artikel über Jan Jedenaks Arbeiten, in welchem mittels Masken und Puppen die Übergänge von Spiel zu Gewalt am Körper ermessen werden, und einem Monologtext der Puppenspielerin Antje Töpfer, der dem Verhältnis zwischen PuppenspielerIn und Spielfigur mit humoristischem Ton begegnet: "Wir sind ein komisches Paar. Du fängst an, dich zu beugen. MATERIALSCHWÄCHE. Meine Augen wandern nach links, zu dir. WILLENSSCHWÄCHE. Ich kann dich nicht länger halten so mit ausgestrecktem Arm. MUSKELSCHWÄCHE." (S. 82) Was hier in der Auswahl der GesprächspartnerInnen und der thematisierten KünstlerInnen deutlich hervortritt, ist die gegenwärtige Bedeutung des professionellen Puppenspiel-Netzwerks zwischen Deutschland und Frankreich, denn alle sind AbsolventInnen spezialisierter Studiengänge an der Ernst Busch, der HMDK Stuttgart und/oder der ESNAM in Charleville-Mézières. Ein dritter Themenschwerpunkt betrifft politisch engagiertes Figuren- und Objekttheater. Den Anfang macht ein Artikel von John Bell über die Zusammenhänge von Figurentheater und politischem Aktivismus in den USA, etwa im Rahmen von Demonstrationen anlässlich der Wahl von Donald Trump oder von Black Lives Matter. Die anschließenden Beiträge sind weniger pädagogisch bzw. kontextualisierend ausgerichtet: Ein poetischer Text von Gerhild Steinbuch kommentiert den Sprachgebrauch der Neuen Rechten, – über die Inszenierungsweisen im dazugehörigen Projekt Beate Uwe Selfie Klick am Theater Chemnitz erfahren LeserInnen allerdings nichts. Auch der manifestartige Text der Lovefuckers – "Aus zwei Moorleichen quillt blaues Blut. Du hast die Wahl. Elvis steht am Ufer und spielt auf einer lila E-Gitarre nur für dich. Don't look back. Fuck all rules. Puppets rule. #<3f***ers" (S. 107) – lässt mitunter den Wunsch nach Informationen zum Tun dieses Berliner Kollektivs aufkommen. Der Beitrag von Anna Ivanova-Brashinskaya, in Form von Lexikon-Einträgen zu Schlagworten, die für die interaktiven Performances des russischen Kollektivs AXE – Russian Engineering Theater von Bedeutung sind, bietet ebenfalls potentiell Neugier weckende Formulierungen, allerdings frei von Informationen zu den konkreten Arbeitsweisen: "FOLTER – im Prinzip alle Handlungen, die die PERFORMENDEn an sich selbst oder an anderen PERFORMENDEn vornehmen" (S. 112). Zum Objekt – da ja der Dinge Stand im Fokus ist – heißt es, "was schreibt, ist keine Hand, sondern ein Stift; was weint, sind nicht die Augen, sondern die Brille. […] Die PERFORMENDEn, in dienender Funktion, ermöglichen ihm das autarke Spiel. Tritt einen Moment lang auf – nur um seine sakralen Pflichten zu erfüllen und zu sterben" (S. 112). Für LeserInnen ohne Kenntnisse über dieses Kollektiv verbleibt der Text wohl etwas opak. Erinnerung, Heimat und Migration bilden die vierte Schwerpunktsetzung im Arbeitsbuch. Zwei international ausgerichtete Beiträge – ein Gespräch mit Ludomir Franczak und ein Artikel über das Kollektiv El Solar – befassen sich mit dokumentarischem Objekttheater, in welchem materielle Gegenstände (die auch Kopien von auratisch-authentischen Gegenständen sein können) als Erinnerungsträger fungieren, die Erzählungen über individuelle Biographien und soziales Leben in urbanen Räumen der Vergangenheit initiieren. Die Fraglichkeit der Trennung zwischen dem Eigenen und dem Fremden im Kontext der Globalisierung und der so genannten Energiewende wird in einem Artikel über die Beweggründe zum Stück Carbon der Dresdner Gruppe Freaks und Fremde thematisiert. Mascha Erbelding zeichnet in ihrem Artikel zum Ensemble Materialtheater die Verhandlung von Flucht, Armut und Krieg mittels Brecht'scher Verfremdung nach. Was wissen gut versorgte EuropäerInnen über diese Themen? Wie kann man das Nichtselbsterfahrene darstellen? International Selbsterfahrenes bietet das Arbeitsbuch dann zum Abschluss: Ariel Doron macht sich autobiographische Gedanken über seine europäisch-israelische Identität bis hin zum Weltbürger-Werden durch den Puppenspieler-Beruf, während Gyula Molnàrs Erzählung vom Koffer als Puppentheater- und Migrationssymbol – konfrontiert mit strengem Einreisekontrollprotokoll – mit wohlgewählten Mehrdeutigkeiten endet: "Nun hat sich das Bild gewandelt. Der Migrant verlässt das Schiff ohne Koffer, seine Geschichte ist im Meer der Nachrichten versunken. Er kommt ohne Koffer, dafür in einen goldenen Mantel gehüllt, und betritt barfuß den Boden unseres Eldorados." (S. 163) Die Entscheidung, alle Textbeiträge sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch zu veröffentlichen – wie auch im Luk Perceval gewidmeten Arbeitsbuch 2019 –, ist angesichts der internationalen Tätigkeitsfelder der zum Zuge kommenden KünstlerInnen als auch der potenziellen Diversifikation des Lesepublikums eine produktive Geste. Ihre Kehrseite ist eine ungefähre Halbierung der Quantität an Beiträgen bzw. ihre Kürze, denn die Gesamtseitenanzahl liegt im Bereich der einsprachigen Arbeitsbücher. Es wäre in diesem Kontext womöglich publikumsfreundlich gewesen, die Aufteilung der verfügbaren Seiten – den etwa 77 Textseiten stehen 53 Bild- und 39 Werbeseiten gegenüber – anders zu gestalten und längere Beiträge (als die vorliegenden 0,5 bis 3 Seiten pro Text) zu erlauben. Auch stellt sich bisweilen die Frage nach dem Zielpublikum, denn entsprechend der Ankündigung wird mehr auf die Inhalte als auf die Ästhetik fokussiert, wodurch Beschreibungen von figuren- und objekttheaterspezifischen Verfahren (Inszenierungs- und Spielweisen, Dramaturgien) kaum Erwähnung finden. Die enthaltenen poetischen bzw. dramatischen Texte eröffnen sich ohne diese Kontexte allerdings eher bereits informierten LeserInnen. Gerade weil im deutschsprachigen Raum noch immer publizistisch und theaterwissenschaftlich marginalisierte Theaterformen im Zentrum der Publikation stehen, wäre eine umfassendere, deskriptive und kontextualisierende Hilfestellung gewinnbringend gewesen. Hoch anzurechnen ist den HerausgeberInnen des lesenswerten und bildlich attraktiven TdZ-Arbeitsbuchs 2018 ihre internationale und interdisziplinäre Weitsicht, sowohl betreffend der AutorInnen als auch der thematisierten Arbeiten aus den komplex gebastelten, Genregrenzen umschiffenden, digitalisierten oder leiblichen Produktionen des gegenwärtigen großen Puppen-, Figuren-, Objekt- oder Gaming-Theaters der Dinge.