Analyse Methodenkritischer Stellungnahmen: Was wird an Familienrechtsgutachten kritisiert?
In: Rechtspsychologie: RPsych ; Zeitschrift für Familienrecht, Strafrecht, Kriminologie und soziale Arbeit, Band 10, Heft 2, S. 159-183
ISSN: 2942-335X
Anknüpfend an die Diskussionen um Mindest- oder Qualitätsanforderungen in der Familienrechtspsychologie (z. B. Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten, 2019; Salewski & Stürmer, 2015) und um Verzerrungen in forensischen Expertisen (z. B. Kunkler & Roy, 2023) präsentieren wir die inhaltliche Auswertung einer Gelegenheitsstichprobe von 73 Methodenkritischen Stellungnahmen (MKS) zu familienrechtspsychologischen Gutachten. Die MKS wurden von unabhängigen Teams der Universitäten Bonn und Hamburg neutral und ergebnisoffen erstellt und im Rahmen der Studie von jeweils zwei geschulten Personen unabhängig hinsichtlich der Kritikpunkte an den Originalgutachten analysiert. In der Bonner Stichprobe enthielten 45 % der Gutachten keine gravierenden Mängel, 67 % der in Hamburg eingereichten Gutachten wurden in einer Vorab-Prüfung als unproblematisch eingestuft. In einem substanziellen Anteil der Gutachten wurden laut MKS jedoch Mängel festgestellt, die sich auf die Gültigkeit der gutachterlichen Empfehlungen auswirken können (z. B. Einsatz potenziell oder erwiesenermaßen problematischer Methoden, nicht nachvollziehbare Schlussfolgerungen). MKS werden in der Regel jedoch nur bei Zweifeln an der Qualität eines Gutachtens in Auftrag gegeben und oft nur bei deren Bestätigung schriftlich fixiert. Deshalb erlaubt diese Analyse keine Aussagen über die absolute Auftretenswahrscheinlichkeit von bestimmten Mängeln bzw. über die Qualität von Familienrechtsgutachten im Allgemeinen. Sie liefert vielmehr Erkenntnisse über häufiger auftretende Kritikpunkte an Gutachten. Diese Daten erlauben eine Einschätzung, in welchen Bereichen wahrscheinlich die meisten Probleme bei der Einhaltung der Qualitätsanforderungen im Feld vorliegen. Implikationen für die Schulung von Sachverständigen und die Entwicklung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Familienrecht werden anhand dieser empirischen Daten diskutiert.