Handlungskoordination schulischer und kommunalpolitischer Entscheidungsträger. Eine qualitative Studie zum schulstrukturellen Pilotprojekt «Gemeinschaftsschule im Aufbau» in Thüringen
Die qualitativ angelegte Studie beschäftigt sich mit der Handlungskoordination zwischen Entscheidungsträgern, die zur Teilnahme an schulstrukturellen Pilotprojekten führt. In den Blick wird die Einführung der Gemeinschaftsschule in Thüringen genommen. Es wird der Frage nachgegangen, wie es dazu kommt, dass eine bestehende Schule in eine Gemeinschaftsschule umgewandelt wird. Der Beschluss zur Teilnahme am Pilotprojekt basiert auf Freiwilligkeit und kommt durch die Koordination mehrerer (schulischer und kommunalpolitischer) Entscheidungsträger zustande, deren Beziehung durch Interdependenzen gekennzeichnet sind. Die Entscheidung muss demnach ausgehandelt werden und es sind u.a. verstärkt Spannungsfelder zu erwarten. Um das spezifische handlungsleitende Erfahrungswissen der Entscheidungsträger zugänglich zu machen, bedarf es eines qualitativen und rekonstruktiven Forschungsverfahrens. Aus diesem Grund wird auf die Methode des Experteninterviews mit narrativen Anteil zurückgegriffen. Die Datenbasis der Arbeit beruht auf der Rekonstruktion zweier Fälle, die sich jeweils aus der Perspektive eines kommunalpolitischen Entscheidungsträgers und eines schulischen Entscheidungsträgers zusammensetzen. Die Auswertung erfolgte auf Basis der dokumentarischen Methode (vgl. Bohnsack 2010). Ziel der Studie ist es, die Handlungskoordination zwischen Entscheidungsträgern, die zur Teilnahme an einem schulstrukturellen Pilotprojekt führt, zu untersuchen. Es wird somit Wissen über handlungsleitende Orientierungen, Interaktionen, Akteurskonstellationen und Gelingensbedingungen generiert. Die Studie schließt damit eine Lücke in der Schulentwicklungsforschung, insbesondere in der Organisationsforschung. Ein wesentlicher Befund der Dissertation besteht darin, dass Passungen zwischen den kommunalpolitischen und schulischen Entscheidungsträgern sowie zwischen diesen Entscheidungsträgern und Gelegenheitsstrukturen ausschlaggebend sind für die Handlungskoordination, die zu einer Teilnahme an schulstrukturellen Pilotprojekten führt. So dokumentieren sich Passungen zwischen den kommunalpolitischen und schulischen Entscheidungsträgern im Vorhandensein von Formen von Vertrauen und einer gemeinsamen Vision. Ebenso werden Passungen zwischen den Protagonisten und der Rahmung des Pilotprojekts "Gemeinschaftsschule im Aufbau" deutlich. Letztere sind durch Rekontextualisierungen geprägt. Der Beschluss zur Umstrukturierung in eine Gemeinschaftsschule kommt durch eine ebenenüberschreitende Koordination mehrerer Entscheidungsräger zustande, deren Beziehung durch Interdependenzen gekennzeichnet sind. Aus diesem Grund werden die Ergebnisse vor dem Hintergrund der Analysekategorien der Educational Governance und der Paradoxien in Schulreformprozessen diskutiert.