Armut als Nährboden jugendlicher Fremdenfeindlichkeit?: ein Ost-West-Vergleich
In: Kinder und Jugendliche in Armut: Umfang, Auswirkungen und Konsequenzen, S. 188-208
Die Autoren gehen in Anlehnung an vorhandene Forschungsergebnisse davon aus, dass die Auswirkungen von Armut und Deprivation auf Jugendliche durch das Familienklima bzw. die familiale Interaktion vermittelt werden. Als zu erklärende Variable wird im vorliegenden Beitrag die Einstellung zu Fremden betrachtet. Hinsichtlich des Einflusses ökonomischer Deprivation auf fremdenfeindliche Einstellungen werden folgende Hypothesen aufgestellt: Ökonomische Deprivation führt zu einer Verschlechterung der familialen Interaktion (1). Tendenzen rücksichtsloser Selbstdurchsetzung werden über die Wahrnehmung eines entsprechenden elterlichen Verhaltens als erfolgversprechende Konfliktlösungsstrategien und Handlungsoptionen erlernt (2). Ökonomische Deprivation reduziert eine hoffnungsvolle Zukunftsperspektive der Jugendlichen und führt zu Desintegrations- und Verunsicherungspotenzialen (3). Tendenzen zur Ausbildung von Mechanismen der rücksichtslosen Selbstdurchsetzung werden durch Desintegrations- und Verunsicherungsgefühle (Anomie) verstärkt (4). Die Autoren überprüfen die Modellannahmen anhand einer Stichprobe von 1269 Jugendlichen der Klassen 8-10 an Schulen aus Chemnitz und Siegen. Die Daten hierzu wurden im Jahr 1995 im Rahmen des Forschungsprojekts "Ost-West Jugendstudie" erhoben. Die zentrale Hypothese, dass Armut nicht direkt Fremdenfeindlichkeit erhöht, konnte an der Gesamtstichprobe nur zum Teil bestätigt werden. Es zeigten sich zwar erwartungsgemäß signifikante vermittelnde Effekte von familialer Interaktion und Anomie, und es konnte auch ein direkter Zusammenhang zwischen Deprivation und Fremdenfeindlichkeit festgestellt werden. Im Ost-West-Vergleich zeigt sich dieser allerdings nur in der Chemnitzer Stichprobe, d.h. Armut hat in Ostdeutschland nachhaltigere Folgen für die Herausbildung fremdenfeindlicher Orientierungen als in Westdeutschland. (ICI2)