Steins Sozialismusverständnis von 1842
In: Staat und Gesellschaft: Studien über Lorenz von Stein, S. 185-203
Der Beitrag versucht, den Begriff "Sozialismus", wie er in Lorenz von Steins Erstlingswerk "Der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreich" verstreut enthalten ist, im Zusammenhang darzustellen. Stein steht vor allem unter dem Einfluß Hegels und Saint Simons. Das Bürgertum vertritt die Idee des Besitzrechts, das Proletariat die Idee der Gleichheit. Indem Stein die sozialistische Idee aus der Interessenlage einer Gesellschaftsklasse erklärt, wird er zum Vorläufer der Wissenssoziologie, indem er das Proletariat zum Träger des Sozialismus macht, verleiht er diesem seinen revolutionären Charakter. Stein versucht zugleich, das Wort Sozialismus, das Anfang der vierziger Jahre noch keine feste technische Bedeutung hatte, als Ordnungsbegriff zu fassen. Sozialismus ist für ihn eine "Wissenschaft der Gesellschaft", die zugleich ein Modell zur Versöhnung von Bourgoisie und Proletariat anbietet. Aus der Dialektik zwischen Besitzenden und Nicht-Besitzenden, absoluter Persönlichkeit und ständestaatlicher Bindung, Freiheit und Gleichheit leitet Stein ein Gesellschaftsmodell ab, das die Gegensätze versöhnt. Dieser syndikalistische Sozialismus löst das Eigentumsproblem in der Weise, daß die gesellschaftlichen und individuellen Funktionen des Eigentums erhalten bleiben und zugleich die Entfaltung der Persönlichkeit ermöglicht wird. Für Stein bedeutet "Sozialismus" die vernünftigste Lösung der gesellschaftlichen Gegensätze Frankreichs nach der Revolution von 1789. Die Entwicklung sieht er zugleich als ein Lehrbeispiel für Deutschland, wo der industrielle Liberalismus schon ein Proletariat erzeugt, der politische Liberalismus sein Ziel aber nur in der Beseitigung der absoluten Monarchie sieht. (KA)