Editorial: Medien, Medienbegriff und Öffentlichkeit im digitalen Wandel: Ein interdisziplinärer Diskurs
In: Merz Medien + Erziehung: Zeitschrift für Medienpädagogik, Band 68, Heft 6, S. 3-14
ISSN: 0176-4918
Die Medienpädagogik ist seit jeher ein dynamisches Feld, was einerseits maßgeblich durch die Entwicklung, Veränderung und Erweiterung medialer Phänomene, den damit zusammenhängenden Anwendungsmöglichkeiten und entsprechend ihrer Bedeutung in der Lebenswelt und im Alltag der Subjekte bedingt ist. Andererseits wird und wurde es gleichzeitig und damit einhergehend durch die vielen Bezugsdisziplinen der Medienpädagogik geprägt. Insbesondere prägend waren und sind die Erziehungswissenschaft, Kommunikations- und Medienwissenschaft, Soziologie, Soziale Arbeit oder auch Informatik. Entsprechend vielfältig sind die Zugänge zum Feld. Seit ihren relativ jungen Anfängen arbeitet sich die Medienpädagogik zum einen an dem Verhältnis zwischen Pädagog*innen, Adressat*innen und Medien ab und zum anderen beschäftigt sie sich mit den Relationen von Medien und Gesellschaft in pädagogischen Kontexten. Medien werden dabei schon seit geraumer Zeit als digitale Medien verhandelt. Aktuell hat sich die Debatte über digitale Medien entsprechend technischer, sozialer und kultureller Veränderungen ausdifferenziert. Die Diskussionen drehen sich dabei aktuell vor allem um Künstliche Intelligenz, kommunikative oder generative KI, um Social Media und algorithmische Empfehlungssysteme oder das Smartphone. Was sind also Medien? Und noch spezieller, welches Wissen über Medien benötigen Medienpädagog*innen, um professionell handeln zu können? Welchen Zugriff haben Adressat*innen auf Medien? Welche Vorstellungen von Medien haben sie und wie fließen diese in ihr Medienhandeln ein? Wie formt schließlich das Denken über Medien medienpädagogische Fragestellungen? Was also vermeintlich einheitlich mit 'den Medien' zu verbinden sein könnte, kann sich je nach spezifischem Medium, Zugangsdisziplin, thematischen Schwerpunkten, institutionellem Kontext, Zielgruppenperspektive et cetera durchaus divers darstellen.Ausgehend von den unterschiedlichen Schwerpunkten – wie digitale Medien, Künstliche Intelligenz, Social Media oder das Smartphone – können schon mögliche Antworten auf diese Fragen formuliert werden. Zunächst einmal kann recht unstrittig ein historischer Wandel von analogen zu digitalen Medien beobachtet werden. Während analoge Medien physisch organisiert sind und häufig einen abbildenden Charakter besitzen, basieren digitale Medien auf informatischen Strukturen und entsprechen eher einer Simulation (Missomelius, 2017, S. 234; Gramelsberger, 2008). Künstliche Intelligenz und algorithmische Empfehlungssysteme oder aber Social-Media-Anwendungen sind Ausprägungen solcher digitalen Medien. Das Smartphone ist ein technisches Artefakt, welches über die Oberfläche Zugang zu zahlreichen weiteren digitalen Services wie Social Media, Internet, Mail- und Messenger, Banking-, Musik- oder auch Tracking Apps gewährt, um nur einige zu nennen. All diese Services lassen sich durch Perspektiven der Cultural Analytics (z. B. Manovich, 2013; 2020) oder Critical Code Studies (z. B. Verständig, 2020; Jörissen & Verständig, 2017) betrachten. Übergreifend finden sich zudem Analysen, wie digitale Medien sich kulturell einschreiben. Beispielweise sind hier Perspektiven zu verorten, die Kulturen der Digitalität (Stalder, 2016) besprechen und darauf hinweisen, dass mediatisierte Welten sich aufgrund des digitalen Wandels nunmehr tiefgreifend in den Alltag der Menschen einschreiben (Hepp 2021) bis hin zu Positionen, die Entwicklungen zu postdigitalen Gesellschaften (Cramer, 2019; Schmitt, 2021) beschreiben.Neben diesen aufschlussreichen aktuellen Analysen und Theorien neuer Medienentwicklungen und kultureller Veränderungen, gibt es auch tradierte Sichtweisen, die ebenfalls spannende Perspektiven auf neue Entwicklungen eröffnen können. Aus der Medienwissenschaft finden sich hier bereits Texte aus der Antike, die beispielsweise Prinzipien und Implikationen der Schriftkultur diskutieren (z. B. Platon, 1957), die heute ebenso einen Blick auf digitale Schrift- und Speicherkulturen ermöglichen.
1 Aktuelle Entwicklungen aus traditionellen Perspektiven betrachtet
Die kritische Theorie, vertreten etwa durch Horkheimer und Adorno (1989), Adorno (2018), Benjamin (2002) oder Kracauer (1977), analysiert das Verhältnis von Politik, Macht und Medien. Diese Auseinandersetzungen lesen sich angesichts des Erstarkens des Rechtsextremismus schmerzlich aktuell.Aus poststruktureller Perspektive werden Machtanalysen insbesondere durch Michel Foucault (1976) oder Giles Deleuze (1993) artikuliert. Diese können heute wichtige Impulse rund um Themen der digitalen Überwachung und Datenspeicherung sowie der ökonomischen Vereinnahmung des Subjekts liefern (Han, 2021). Häufig finden sich in den Medienwissenschaften, wie im Plural bereits angedeutet, vielfältige Perspektiven und Theorien auf Strukturprinzipien, Herrschaftsverhältnisse und Implikationen der Medien. Hartmut Winkler (2008) hat den Versuch unternommen, einen Überblick über die unterschiedlichen Perspektiven zu geben und den Zugang zu Medien auf verschiedene Strömungen zu verdichten. Dabei identifiziert er sieben Dimensionen, die nicht als additive Aufzählung für mediale Phänomene zu verstehen sind, sondern lediglich Anknüpfungspunkte für Diskurslinien markieren, die je nach medialem Phänomen unterschiedlich angewandt werden müssen, um den Phänomenen gerecht zu werden. Auch wenn die Diskurse hier nur ausschnitthaft thematisiert werden können, ist dies durchaus dienlich, um auch die Zugänge zu systematisieren, die in diesem Band versammelt sind.
1.1 Medien als Kommunikationszusammenhänge
Medien werden zunächst als Funktionszusammenhang von gesellschaftlicher Kommunikation gedacht und nicht als Interkation zweier Menschen. Erst in einer solchen Betrachtungsweise können Medien nicht nur als Kommunikationstechnik zwischen zwei Menschen gedacht, sondern in einem größeren Zusammenhang von Kommunikation verortet werden. Wenn zwei Menschen miteinander sprechen, benutzen sie Sprache. Diese haben sie sich nicht selbst ausgedacht, sondern sie basiert auf einem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess von Bedeutungen. Damit ist an individuellen Gesprächen auch gesellschaftliche Aushandlung beteiligt. Wie diese Prozesse der Kommunikation konkret gestaltet sind, erklären semiotische Ansätze sehr gut. Besonders deutlich wird dies durch Ferdinand de Saussure, der die Sprachtheorie geprägt (Saussure 1967) hat. De Saussure kategorisiert Sprache zunächst in Parole, das heißt die gesprochene Sprache, und in Langue, das Gesamtsystem Sprache. Indem die Parole demnach mit dem Sprechakt und somit mit dem*r Sprecher*in verbunden ist, stellt sie die individuelle und situative Komponente von Sprache dar. Die Langue ist das übergeordnete System der Sprache, die für den Einzelnen nicht zugänglich ist, sondern sich über gesamtgesellschaftliche sprachliche Artikulation entwickelt und tradiert. Zudem basieren Medien auf Vernetzungen von Medien und Menschen. Die analogen Medien waren in diesem Sinne Massenmedien, da sie einen Empfänger mit vielen Rezipient*innen (one-to-many) verknüpft haben. Spätestens mit Internettechnologien und ganz sicher mit Social Media finden wir eine andere Ausgangslage der Modellierung von denen, die senden und denen, die empfangen vor, die sich sehr dynamisch zeigen kann.
1.2 Symbolische versus performative Medien
Der symbolische Charakter zeigt sich bei Medien darin, dass mit Medien die dingliche Welt lediglich repräsentiert wird. Das heißt, wenn beispielsweise in einem Film eine Gewalthandlung wie ein Mord stattfindet, sind die Schauspieler*innen nicht Täter*innen und Opfer und das Opfer ist nicht verletzt. Angela Keppler (1997) verweist darauf, dass diese Handlungen symbolhaft sind, mediale Gewalthandlungen nur "auf- aber nicht ausgeführt werden" (S. 61). Bei sprachlicher Gewalt, Mobbing oder auch dem ungefragten Filmen mit Handykameras (damit einhergehend häufig die Motivation, das Aufgezeichnete einer größeren Rezipient*innenschaft in Onlinediskursen auszuliefern) ist das anders. Diese medialen Handlungen sind performativ, da sie nicht nur repräsentieren, sondern in die dingliche Welt eingreifen und tatsächlich verletzen (Krämer, 2004), Macht über andere ausüben und "unseren Ort im sozialen Gefüge" (Krämer 2011, S. 14) bedrohen. Es gibt also medial gesehen zwei unterschiedliche Welten: die dingliche und die symbolische Welt. Gleichwohl sind diese nicht vollkommen voneinander getrennt, wie im Fall von performativem Medienhandeln besonders deutlich wird.Die Schwellen zwischen symbolischen und performativen medialen Aspekten stehen mit ubiquitär zugänglichen Medienspähren, Always-On-Kulturen (Turkle, 2008), besonders gut durch Social Media verdeutlicht, zur Disposition und verhelfen Diskursen über die Performativität von Medien zu neuer Brisanz.
1.3 Medien als Technik
Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen geht Winkler darauf ein, dass Medien immer auch technische Medien sind und verdeutlicht dies mit der Mediengeschichte. Diese beginnt für viele Menschen mit Gutenbergs Buchdruck oder Fotografie oder anderen 'dinglichen' Entwicklungen. Mit einem solchen Verständnis würde Mediengeschichte dann beispielsweise mit dem Buchdruck beginnen. Die meisten Medienwissenschaftler*innen betrachten aber bereits die Sprache als Medium. Somit sind Menschheitsgeschichte und Mediengeschichte schon immer miteinander verwoben (Winkler, 2008, S. 17). Winkler erklärt dies mit einer Differenzierung zwischen einem weiten und engen Technikbegriff. Ein enger Technikbegriff meint technische Aspekte wie die Hardware des Computers, einen Fernseher mit entsprechender technischer Ausrüstung, Mobiltelefon und so weiter. Ein weiter Technikbegriff beinhaltet auch Sprache, Tanz oder sonstige Riten. Auch sie sind auf Techniken, das schließt auch körperliche Techniken ein, angewiesen. Dies kommt in dem Begriff der Kulturtechniken besonders gut zur Geltung, der auch von Krämer und Bredekamp (2003) verwendet wird, um auf einen weiten Technikbegriff zu verweisen (2003). Aber auch bei der technischen Betrachtung gilt, dass der beispielhafte Fernseher nicht nur aus dem technischen Fernsehapparat besteht, sondern auch auf eine mediale Infrastruktur angewiesen ist. Dieses technische Ensemble des Fernsehens umfasst zum Beispiel die Produktion von Sendungen, die Festlegung von Programmabläufen oder öffentliche sowie private Sendeanstalten. Auch in der Rezeptionssituation lassen sich solche Konventionen finden: Der Fernseher ist in vielen Wohnzimmern der Mittelpunkt, fluchtlinienförmig sind Sideboards, Tische und Sofas auf den Fernseher ausgerichtet. In Zeiten des Second Screen liegen Handy und/oder Tablet auf dem Sofa daneben, damit nebenbei Informationen recherchiert und Nachrichten geschrieben werden können oder eingekauft werden kann.
1.4 Inhalt und Form
Medien haben einen Inhalt und eine Form. Prominent ist diese Perspektive durch Marshall McLuhan (2011) geworden. Die Form muss eingehalten werden, damit die entsprechenden Inhalte über diese Medien kommuniziert werden können (Winkler, 2008, S. 135 ff.). Formen können vielfältig sein, wie sich an bestimmten konventionalisierten Normen der Medienlandschaft wie etwa Genres, Radio- und Fernsehformaten, Erzählkonzepten, Dateiformaten et cetera zeigen lässt. Der Aufbau von Zeitungen veranschaulicht dies. Die Zeitung ist nach klaren Regeln aufgebaut. Die Nachrichten auf den jeweiligen Seiten (z. B. Weltgeschehen, Inlandsgeschehen, Lokales) müssen eine entsprechende Relevanz aufweisen, haben eine Überschrift, manchmal auch eine Illustration und bestimmte Längen. Durch diese Gestaltung wird auch das Lesen vorstrukturiert und eine Übersicht erleichtert. Social-Media-Dienste, wie etwa Instagram, haben spezifische Formen etabliert, in denen Menschen sich artikulieren. Mittels (möglichst ästhetischer, perfektionierter) Smartphoneaufnahmen werden Alltagssituationen (die vorher inszeniert, mehrfach aufgenommen, selektiert, überarbeitet werden können) dokumentiert und kommentiert. Die Bezugsgruppe hat bestimmte Möglichkeiten darauf zu reagieren. Dementsprechend sind Inhalt und Form immer zusammen zu betrachten. Und gleichwohl zeigt gerade ein Blick in die Social-Media-Geschichte, dass Menschen auch immer widerständige Formen der Kommunikation entwickelt und damit Social Media als Medienformat weiterentwickelt haben (boyd & Ellison, 2007).
1.5 Zeit und Raum
Die Überwindung von Zeit und Raum zeigt zwei ganz prägende Dimensionen für Medien. Inhalte können je nach eingesetzten Medien und je nach Kultur unterschiedliche Räume überwinden. Winkler führt an dieser Stelle an, dass die Raumüberwindung in Face-to-Face-Gesprächen nur gering ist, in nicht literalen Stammesgesellschaften örtlich begrenzt, bei Kommunikationen im Internet potenziell weltweit (Winkler, 2008, S. 163 f.). Auch die zeitlichen Dimensionen können durchaus unterschiedlich sein. Steintafeln überdauern nicht selten Jahrhunderte, ein USB-Stick durchschnittlich etwa zehn Jahre, die Stimme entsteht als Schallphänomen und zerfällt sofort wieder. Mit dem Verweis auf Friedrich Kittler zeigt er auf, dass die Überwindung von Zeit und Raum durch die Medienfunktionen "Übertragung, Speicherung, Verarbeitung von Information" (Kittler 1993, S. 8) erklärt werden kann. Die Speicherung von Inhalten wirkt in die Dimensionen der Zeit, wohingegen die Übertragung die räumlichen Distanzen je nach Medium überwindet (Winkler, 2008, S. 165). Zeit und Raum sind auch unter den Bedingungen digitaler Kulturen immer noch relevant, wobei sich die Wahrnehmung dieser Dimensionen angesichts steter ubiquitärer digitaler Informationen verändert haben dürften.
1.6 Zeichen und Code
Der Zusammenhang zwischen Zeichen und Code ist nicht ganz einfach zu fassen. Als Code bezeichnet Winkler hier das "organisierte Vorwissen" (ebd. S. 255). So besteht die Sprache aus Zeichen, Wörter finden sich in einem Lexikon, die Regeln zur Sprachverwendung werden in der Grammatik festgehalten. Für Sprache ist das also relativ eindeutig geregelt (ebd., S. 250). Jedoch gibt es Medien, bei denen diese Logik zwischen Zeichen und Code nicht so offenkundig ist. Auch wenn im Kontext des Films oftmals von Filmsprache die Rede ist, sind die einzelnen Zeichen und die Grammatik nicht unbestritten zuzuordnen. Zeichen können unter anderem in ikonische und symbolische Zeichen differenziert werden. Ikonische Zeichen weisen eine Ähnlichkeit zum Abgebildeten auf. Symbolische Zeichen verweisen auf Codes, um sie entschlüsseln zu können. Um eine Sprache anzuwenden, ist also umfassendes Wissen notwendig. Eine Fotografie oder ein Film ist in diesem Kontext vermeintlich leichter zugänglich, obwohl Bildsprache mit dem goldenen Schnitt, visuellen Arrangements, Schnitttechniken und dergleichen sehr wohl auf Codes basiert. Leider sehr aktuelle Beispiele zeigen den Zusammenhang von Zeichen und Code noch eindringlicher, wenn etwa rechte Akteur*innen Zeichen benutzen, um diese im Sinne einer dogwhistle1 zu benutzen. So beispielsweise bestimmte Buchstaben- und Zahlenkombinationen, um unter dem Radar von verfassungsfeindlichen Symbolen trotzdem den menschenverachtenden Idealen des Nationalsozialismus zu huldigen oder aber mit Codes demokratische Bildungsarbeit zu delegitimieren. Verschiedene Akteur*innen und Initiativen haben in diesem Kontext solche Zeichen und Codes zusammengetragen.2
1.7 Unsichtbarkeit von Medien
Medien werden häufig zu einem Teil unbewusst genutzt (Winkler, 2008, S. 299 ff.). Der Spracherwerb vollzieht sich mit dem Heranwachsen sukzessiv. Das Individuum wird sozusagen von Beginn an in das Medium Sprache hineinsozialisiert. Der Mensch selbst nutzt Sprache, intoniert sie, bringt Schallwellen zum Schwingen, überträgt Handbewegungen mittels Schreibwerkzeugen in Schrift. Sprache und Schrift anzuwenden ist sehr stark mit uns selbst und unserem Körper verbunden. Daher wird die Verwendung von Sprache und Schrift selten reflektiert. Auch das Anhören von Musik auf Speichermedien verschleiert ihre technische Verfasstheit. Oftmals wird dies erst wieder bewusst, wenn Störungen auftreten: beispielsweise ein Kratzer auf CD oder Schallplatte oder das Aussetzen des WLANs beim Streaming. Zudem adressieren Teilbereiche der Medien nicht nur kognitive Prozesse. Musik adressiert den Körper beispielsweise auf vielfache Weise und kann über bestimmte Notenkombinationen oder Klangfarben ganz unvermittelt Stimmungen und Emotionen erzeugen. Gleiches gilt für audiovisuelle Darstellungen, die dies mithilfe unterschiedlicher Inszenierungsmittel erreichen können. Die Unsichtbarkeit von Medien wird heute besonders mit Blick auf Algorithmen, die in den Sozialen Medien einen wichtigen Einfluss haben, aber auch in anderen Anwendungen wie beispielsweise in Games oder bei Streamingdiensten zum Tragen kommen. Im akademischen Diskurs sind sie bereits seit Jahren ein wichtiges Thema, in der alltäglichen Nutzungssituation bestenfalls eine Black Box und in der Nutzung oft ausgeblendet. Zudem sind digitale Medien, allen voran das Smartphone, tägliche Begleiter. Daher übernehmen diese Medien und damit verbundene Services, Dienstleistungen, Kommunikationen und Menschen eine ganz prägende Rolle (Rötzer & Turkle, 2008). Weiterhin sensibilisieren Analysen zur Bedeutung des "intimate computing" (Kaerlein, 2016, S. 30) für die Relevanz von Medien, die uns stetig begleiten (ebd.). Eine noch tiefere Verbindung zwischen Medien und Individuum wird in einer medienästhetischen Betrachtung angenommen, in der digitale Kunst Grenzen zwischen Individuum, Medien, Tier und Umwelt aufhebt und damit neue Erfahrungen ermöglicht (hierzu etwa Preiß, 2021).
2 Interdisziplinäre Perspektiven auf Medien und Öffentlichkeit im digitalen Wandel
Die aktuellen Entwicklungen rund um Medien und ihre Einordnung vor dem Hintergrund einer immer komplexeren Welt zu verstehen, ist nicht leicht. Für die medienpädagogische Auseinandersetzung in Praxis und Forschung ist das jedoch eine notwendige Voraussetzung. Die in diesem Heft versammelten Beiträge zeigen Wege und Annäherungen aus unterschiedlichen theoretischen (Kap. 2.1) und empirischen Perspektiven (Kap. 2.2) und machen darüber hinaus deutlich, dass es sich auch lohnen kann, sich vom Offensichtlichen lösen (Kap. 2.3), um damit ein ganzheitlicheres Bild zu erhalten.
2.1 Theoretische Annäherungen
Auf einer theoretischen Ebene über die Auseinandersetzung mit Konzepten und Theorien nähern sich die ersten drei Beiträge dem Thema. Einen Einstieg in die Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich Medien und das Verständnis von Medien – und damit ein zentraler Gegenstand der Medienpädagogik in Forschung und Praxis – gewandelt haben und welche Begleiterscheinungen und Konsequenzen damit verbunden sind, bietet der Text von Eik Gädeke und Sandra Hofhues mit dem Titel Medienpädagogik in einer datafizierten und plattformisierten Gesellschaft: Scheinbare Gewissheiten und notwendige Selbstverständigungen. Angesichts der aktuellen Medienentwicklungen und der damit verknüpften Phänomene der Datafizierung und Plattformisierung erarbeiten sie eine Perspektive auf das Selbstverständnis der Medienpädagogik und argumentieren, dass die zentralen medienpädagogischen Konzepte von Medienkompetenz und Medienbildung kritisch überprüft werden müssen, um die aktuellen Herausforderungen durch die Verflechtungen von Medien, Wirtschaft und Politik bewältigen zu können und dadurch zu vermeiden, "dass die Aushandlung disziplinbezogenen Wissens selbst wieder prekär werden könnte." (S. 24) Eng verknüpft mit Datafizierung und Plattformisierung ist das Phänomen der Algorithmisierung, die in viele Medienanwendungen integriert ist und damit auch das Medienhandeln der Subjekte beeinflusst. Ausgehend von der Feststellung, dass "[g]esellschaftliche Strukturen immer auch mediale Strukturen [sind]" (S. 27), geht Thomas Wendt in seinem Beitrag, den er mit dem Titel Die Gesellschaft der Algorithmen überschrieben hat, der Frage nach, wie die Medientheorien von Heider, McLuhan und Luhmann durch den Einbezug von Algorithmen neu gelesen werden können und dadurch Aufgaben für die Medienpädagogik deutlich werden lassen. Mit Verweis auf Couldry und Hepp (2023) stellt er fest, dass die "algorithmusbasierte Konstruktion der Wirklichkeit zahlreiche Spannungen im Blick auf subjektive Autonomie [impliziert], die durch die digitale Präkonfiguration von Handlungsmöglichkeiten immer stärker unterlaufen wird." (S. 28) Dies wirft die medienpädagogisch relevante Frage danach auf, welchen Anteil die Subjekte unter den aktuellen Bedingungen an ihrem eigenen Medienhandeln haben, das sich auch in der Entwicklung der Gesellschaft niederschlägt, und worin hier die Aufgabe der Medienpädagogik besteht, um die Wirkmächtigkeit der Subjekte zu unterstützen. Der Blick auf die Verbindung von Gesellschaft und Medien leitet auch die Ausführungen von Sabrina Schaper zu Medien – Sozialisation – Digitalität: Transtheoretische Perspektiven auf medienpädagogische Sozialisationsforschung und ihre Begrifflichkeiten. Sie möchte damit den 'forschenden Dialog' zwischen Mediensozialisation und allgemeiner Sozialisationsforschung vor dem Hintergrund aktueller Medien- und Gesellschaftsentwicklungen neu anstoßen. Dafür nimmt sie eine transtheoretische Neubestimmung des Konzepts der Mediensozialisation vor, bei der es ihr darum geht, einfache Dualismen von Medium und Nutzer*in zu überwinden und vielmehr am Phänomen orientiert relationale Verstrickungen zwischen Menschen und Medien zu fokussieren. Zu diesem Zweck entwirft sie eine Reflexionsheuristik, um die eigene Perspektive auf die Thematik zu hinterfragen. Anhand einer transtheoretischen Perspektive auf Sozialisation, "bei der es um eine theorieübergreifende Vereinigung von praxeologischen, anerkennungstheoretischen, figurationssoziologischen und posthumanistischen Ansätzen geht, die sich facettenhaft in der bisherigen medienpädagogischen Sozialisationsforschung wiederfinden" (S. 42), entwickelt sie eine Möglichkeit, an die Erforschung von Phänomenen der Mediensozialisation sowie der allgemeinen Sozialisation in der Digitalität anzuschließen.
2.2 Der Medienwandel in empirischen Kontexten
Wie sich der Wandel von Medien bzw. medialen und gesellschaftlichen Strukturen empirisch niederschlägt, darauf fokussieren die folgenden vier Artikel und richten den Blick dabei auf unterschiedliche Zielgruppen. Den Reigen beginnt Lukas Dehmel, der in seinem Beitrag Der Medienbegriff als Element einer Strukturlogik professionalisierten Handelns von Medienpädagog*innen – eine biografische Perspektive das Selbstverständnis professioneller Medienpädagog*innen und ihren damit verknüpften Blick auf Medien untersucht hat. Dabei setzt er am Professionalitätsbegriff von Kai-Uwe Hugger an, der Professionalisierung als die Entwicklung einer Handlungsstruktur begreift. Wie Hugger selbst feststellt, handelt es sich dabei aber nicht um ein an der Realität professioneller Medienpädagog*innen überprüftes Konzept, sondern um "Überlegungen, die vonseiten der Wissenschaft für die Praxis vorgenommen werden." (S. 55) In einer explorativen empirischen Studie untersucht Dehmel die Strukturlogiken des Handelns von drei professionellen Medienpädagog*innen und legt dabei einen Schwerpunkt auf deren medienbiografische Erfahrungen und ihr jeweils damit verknüpftes Verständnis von Medien. Eine strukturlogische Professionalisierung im Sinne Huggers kann er in keinem Fall feststellen. Jedoch zeigt sich in allen Fällen, dass die "prekären Bedingungen der Medienpädagogik als Arbeitssektor […] in starker Spannung zu den pädagogischen Vorstellungen der Protagonist*innen stehen." (S. 62) Einer ganz anderen Zielgruppe wendet sich Jane Müller zu, die wissen will, wie die Relationale Agency zwischen Jugendlichen, Plattformen und Algorithmen bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 19 Jahren aussieht. Der Analyse legt sie dabei das Konzept hybrider Figurationen von Andreas Hepp (2022) zugrunde, das davon ausgeht, dass Medien "nicht mehr nur Mittel zum Zweck [sind], sondern eigenaktiv auf die Menschen [wirken], die sie in ihren Alltag einbinden und entsprechend als Akteure innerhalb der Figurationen aufgefasst werden [können]." (S. 65) Die Ergebnisse machen deutlich, dass Jugendliche Agency von Plattformen entweder als eher positiv/neutral werten, sie hinnehmen oder darin vor allem negative Aspekte sehen. Tendenziell bewerten sie die Plattform-Agency umso eher negativ je weniger Agency sie bei sich selbst wahrnehmen. Auch Franziska Hein wirft einen Blick auf die heranwachsenden Mediennutzer*innen. Im Fokus steht dabei aber nicht die Medienaneignung der Kinder und Jugendlichen, sondern die Diskussion des Verhältnisses von Heranwachsen(-den) und Medien im öffentlichen Diskurs. Damit dokumentiert damit eine Metasicht auf medienpädagogische Mediendiskurse, indem sie die Perspektive der Medien auf Medien aufgreift. Mit Hilfe der Methode der kritischen Diskursanalyse geht sie anhand der Betrachtung von zwei Fernsehsendungen zum Einfluss der Medien auf Kinder bzw. die kindliche Entwicklung der Frage nach, wie Vorstellungen über Medien durch die Medienberichterstattung geprägt werden. Dabei stellt sie zwei Beiträge gegenüber, von denen einer aus den frühen 1960er-Jahren stammt, also aus den Anfängen des Fernsehens und der (populär-)wissenschaftlichen Auseinandersetzung damit. Der zweite Beitrag wurde 2020 ausgestrahlt, zu einem Zeitpunkt, zu dem sich sowohl das Fernsehen auf mehreren Ebenen weiterentwickelt hat als auch Wissen aus jahrzehntelanger Rezeptions- und Wirkungs- sowie medienpädagogischer Forschung vorliegt. Im Ergebnis findet sie eine deutliche Orientierung an einem bewahrpädagogischen Narrativ, das "die von Medien ausgehenden Gefahren als Ausgangspunkt für die Frage nach einem adäquaten Medienumgang stellt" (S. 86), und plädiert daran anschließend für einen stärkeren Einbezug der Perspektive der Nutzenden bei der Untersuchung des Verhältnisses von Menschen und Medien. Susanne Lang, Michelle Terschi, Tobias Zarges, Iz Paehr und Jasper Meiners machen genau dies, indem sie im Projekt s*he/ter Erwachsene, die in ihrer Kindheit sexualisierte Gewalt erfahren haben, in einem partizipativen, transdisziplinären und transformativen Forschungsprozess als "Lived Experience Advisory Group" (S. 90) einbeziehen und dabei wie auch Müller in ihrem Projekt (S. 64 ff.) deren präfigurativen Kommunikationskulturen zugrunde legen. Ausgehend davon, dass "in einer zunehmend mediatisierten Gesellschaft eine dualistische Trennung der Lebenswelten in 'real' und 'virtuell' nicht mehr vorgenommen werden kann" (S. 91), konzipieren sie vireale Kommunikationsräume und untersuchen deren Potenzial für den Austausch von Betroffenen und deren Bearbeitung traumatischer Erfahrungen mithilfe von Avataren. Dabei gehen sie grundlegenden Fragen rund um vireale bzw. vireal-digitale Erfahrungen nach und thematisieren damit Diskurse um symbolische und performative Medien wie die kritische Reflexion von Macht- und Herrschaftsverhältnissen in viralen Räumen sowie deren Potenziale für neue Erfahrungen von Nähe und Distanz. Lang und Kolleg*innen bilden damit den Übergang zu zwei letzten Beiträgen, die den Diskurs gegen den Strich lesen, um dadurch eine andere Sicht auf die Debatte zu ermöglichen.
2.3 Medien im digitalen Wandel anders betrachtet
Mit einer grundlegenden Nichtnutzung von digitalen Technologien und damit verbundenen Vorstellungen von Medien setzt sich Moritz Tischer in seinem Beitrag Kritisch detoxen? Digital Disconnection zwischen Medien, Bildung und kritischer Praxis auseinander, mit dem Ziel, "den Diskurs über Disconnection zu ordnen und dadurch die Frage zu diskutieren, inwiefern und unter welchen Bedingungen es sich bei Disconnectionformen um kritische Praktiken handelt" (S. 102), und unter Zuhilfenahme emanzipatorischer Digital Citizenship Ansätze, wie sie Emejulu und McGregor (2019) beschreiben, Merkmale einer kritischen Disconnection offenzulegen. Aus einer (medien-)pädagogischen Perspektive eröffnen sich durch die Auseinandersetzung mit kreativen, politischen und kollektiven Disconnectionformen Potenziale des Zusammenwirkens von Menschen und nicht-menschlichen Akteuren für "ein tieferes Verständnis von und kritische Perspektiven auf Digitalität und Konnektivität" (S. 110). Abschließend untersucht Sebastian Althoff in seinem Artikel Hass im Netz und die Konstruktion des 'guten' Diskurses. Eine machtkritische Analyse die Diskussionen und Argumentationen, die sich um Hate-Speech artikulieren. Hierbei setzt er aber am Gegenteil von Hate Speech und damit dem ablehnenden Diskurs an und fragt danach, was eigentlich als 'guter' Diskurs beschrieben wird und warum dieser als ein "hegemoniales Projekt" (S. 125 ff.) verstanden werden kann. Aus dieser Auseinandersetzung extrahiert er Sichtweisen, die digitale von analogen Diskursen separieren. Daraus wird ersichtlich, dass analoge Diskurse häufig mit positiven Attributen verknüpft sind, wohingegen digitale Kommunikation häufig negativ gewertet wird. Dies kann dazu genutzt werden, den 'guten' Diskurs auch in einer unkritischen Form zu legitimieren. Althoff zeigt dem entgegengesetzt Potenziale kritikaffiner digitaler Kommunikation auf.Mit den in diesem Heft versammelten Beiträgen werden das Thema Medien und der Wandel des Medienbegriffs in Verbindung mit einer sich ebenfalls wandelnden Öffentlichkeit unter dem Einfluss von Digitalität aus sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Maßgeblich an der Entstehung dieser Ausgabe beteiligt war Andreas Hepp, dem wir an dieser Stelle dafür, dass er sich mit seiner Expertise eingebracht hat, ganz herzlich danken. Allen Leser*innen wünschen wir eine anregende Lektüre und weisen gern schon jetzt auf den Call for Papers zum Thema Medien und Emotionen für merzWissenschaft 2025 hin (S. 129 ff.).