A "Little Berlin Wall" for all: discursive contruction across scales
In: Europa Regional, Band 24.2016, Heft 1/2, S. 80-92
Seit 2013 haben russische Grenzsicherheitskräfte Grenzzäune
an verschiedenen Punkten entlang der Verwaltungsgrenze errichtet, die den de-facto-Staat Südossetien vom Restgebiet von
Georgien trennt. Dieser Prozess der Grenzziehung hatte zum Ziel, etwas Realität werden zu lassen, was zuvor räumlich und
verwaltungsmäßig Fiktion war, indem man die Trennung zwischen zwei Gemeinden territorial abgrenzen wollte. Der infrage stehende Grenzzaun wird inzwischen als "kleine Berliner Mauer" bezeichnet, indem man einige unwesentliche Zaunabschnitte und Stacheldraht mit den imposanten Betonfestungen vergleicht, die während des Höhepunkts des Kalten Krieges dazu
dienten, Ost- und Westberlin zu trennen.
Dieser Artikel erörtert den Nutzwert der Vorstellung einer diskursiven
Konstruktion, um uns zu ermöglichen, die Wirkung dieses vordergründig ungerechtfertigten Vergleichs zu untersuchen,
wie es dazu kam, dass ABL durch die regionale Geographie von Europa sowohl geformt als auch umstrukturiert werden
konnte. Die Verwendung des Begriffs einer "kleinen Berliner Mauer" ist das Ergebnis sowohl der materiellen Abzäunung eines Teils des souveränen Staatsgebiets von Georgien, als auch der Rolle, die der Fall der Berliner Mauer im Verständnis von
Europa in der Zeit nach dem kalten Krieg gespielt hat. Ähnlich werden dessen Auswirkungen in unterschiedlichen Maßstäben
verspürt. Das beginnt damit, wie diese Grenze als rechtswidrige Abtrennung des souveränen Staatsgebiets von Georgien verstanden wird, über deren laufenden Ausbau als Außengrenze von Europa, was bezeichnend für die geographische und zeitliche
Trennung des von Tiflis kontrollierten Georgiens von dem ist, was auf der anderen Seite dieser "illegalen" Grenze liegt, bis
hin zur festen Eingliederung von Georgien in Europa.
Die bei dieser Verwendung der diskursiven Konstruktion sichtbaren Wirkungen auf die Außengrenze Europas weisen sowohl
auf die Bedeutung der Grenzprozesse hin, die an den Rändern einer regionalen geographischen Einheit stattfinden, als auch
auf die gleichzeitige Anwendung binärer Logik von Bewegung und Beständigkeit innerhalb der Grenzen Europas nach dem
kalten Krieg.