Keeping balance: on desert and propriety
In: Practical philosophy 10
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In: Practical philosophy 10
In: Die Gerechtigkeit der Gesellschaft, S. 101-123
Der Beitrag arbeitet heraus, dass sich die Idee der Leistungsgerechtigkeit nicht konsistent begründen lässt: Entweder, so das Argument, wird Leistung mit Markterfolg gleichgesetzt und dadurch für Elemente des Zufalls und der Kontingenz und mithin für Verteilungseffekte geöffnet, die sich nicht nach dem Verdienstkriterium begründen lassen, oder aber das Leistungskriterium muss so aufgefasst werden, dass es letztlich als eine Variante oder ein Ausfluss des Gleichheitsprinzips erscheint. "Verdienst" als Gerechtigkeitskriterium ist damit auch für den Bereich der Ökonomie ungeeignet und somit ex negativo auch untauglich, für Gleichheit und demokratische Partizipation als Gerechtigkeitsprinzip zu dienen. Daher wird vom Autor auch das Programm einer "Re-Moralisierung des Marktes" abgelehnt. Die Vorstellung, Verdienst und Leistung taugten als Kriterien distributiver Gerechtigkeit in der Ökonomie, ist daher aufzugeben, wenn die oben genannten Argumente zutreffen. Nur so lassen sich Entscheidungen, die aus Effizienzgründen getroffen werden, nicht mehr mit vorgetäuschten moralischen Argumenten legitimieren. (ICA2)
1. Personalität2. Autonomie; 3. Moralische Dilemmata; 4. Praktische Rationalität; 5. Praktisch-ethische Entscheidungen unter Unsicherheit und Ungewissheit; 6. Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit; 7. Moralische Empfindungen und Intuitionen; 8. Verantwortung; 9. Tun, Unterlassen und das Prinzip der Doppelwirkung; 10. Schuld und Verdienst; 11. Eigentum und Verteilungsgerechtigkeit; 12. Toleranz und Solidarität; 13. Natürlich / künstlich -- IV. Die Bereichsethiken; 1. Politische Ethik; 2. Rechtsethik; 3. Wirtschaftsethik; 4. Forschungs-und Wissenschaftsethik; 5. Technikethik; 6. Medizinische Ethik
Der tradierten These, Thomas von Aquin habe die Postulate seiner Ethik im Rückgriff auf metaphysische Voraussetzungen entwickelt, widerspricht Wolfgang Kluxen. Der Anspruch der thomistischen Ethik liegt nicht in der metaphysischen Begründung moralischer Gebote, sondern darin, aus der Reflexion auf ihre autonome und mittelbare Geltung zu einer Neubestimmung des menschlichen Daseins zu gelangen. Deshalb, so Kluxen, bleibt das ''Paradigma'' der thomistischen Moralphilosophie der Maßstab für jeden Neuansatz auf dem Felde der philosophischen Ethik. Das Verdienst des Autors besteht darin, ""Thomas i
In: Politische Bildung in Deutschland - Profile, Personen, Institutionen., S. 148-149
In: Politische Bildung in Deutschland - Profile, Personen, Institutionen., S. 150-152
In: Politische Bildung in Deutschland - Profile, Personen, Institutionen., S. 145-147
In: Schöne neue Leitbilder., S. 351-355
In: Politische Bildung in Deutschland - Profile, Personen, Institutionen., S. 153-155
Die eherne Mauer und die Aktualität der Herbartschen Ethik Von Renato Pettoello »Dem Inhalte [und .] der Methode nach [.] ist mit diesem Systeme ein ganz neues Bildungsmittel in die Philosophie der Gegenwart gekommen.« (I. H. Fichte, Ein Wort über die "Zukunft" der Philosophie, in "Zeitschrift f. Phil. u. philos. Kritik" XXI (1852), p. 239). Das Problem ist immer wieder dasselbe: Ist es möglich, eine feste Grundlegung für die Moral zu finden? Bzw. ist es möglich, ein Prinzip oder mehrere Prinzipien auszumachen, die es uns gestatten, zwischen Gut und Böse zu wählen? Die Schlange der Versuchung verspricht Adam und Eva keine immensen Reichtümer oder unendliche Macht; außer der Unsterblichkeit verspricht sie ihnen, wenn sie die Frucht des verbotenen Baumes essen, daß sie sein werden »wie Gott«, d.h. daß sie wissen werden, »was gut und böse ist.« Der Mensch ist also im selben Augenblick, in dem er zum Menschen wird, d.h. in dem Augenblick, in dem er seine Unschuld verliert, sozusagen dazu gezwungen, sich zu fragen, ob das, was er tut, gut oder böse sei. Einzig der Mensch besitzt diese gleichzeitig göttliche und teuflische Fähigkeit. In seiner Unschuld kann sich das Tier dieses Problem nicht einmal stellen; mit Ausnahme vielleicht der höheren Primaten hat es kein Bewußtsein von dem, was es tut. Das Tier kann unschuldigerweise grausam sein, der Mensch nicht. Doch was sind denn eigentlich Gut und Böse? Wie können wir feststellen, ob dies eine gute oder böse Sache ist? Und ob sie immer gut ist oder nur unter gewissen Umständen, unter anderen aber nicht? Sicherlich können wir das Problem nicht dadurch lösen, daß wir einfach behaupten, dies sei gut, dies hingegen böse. Schon Platon hatte dies mit großer Klarheit erkannt und im Menon den Sokrates folgendes sagen lassen: »Das Gleiche gilt denn auch von den Tugenden. Mag es ihrer auch viele und mancherlei geben, so stehen sie doch alle unter ein und derselben Begriffsbestimmung, die den Grund dafür enthält, daß sie Tugenden sind, und der Antwortende tut gewiß gut, auf diese sein Augenmerk zu richten, um so dem Fragenden Auskunft zu geben über das Wesen der Tugend.« Ähnlich steht es auch im Euthyphron zu lesen: »Erinnerst du dich nun, daß ich dich nicht dazu aufforderte, mich über eine oder zwei der vielen frommen Handlungen zu belehren, sondern über das Wesen selbst, durch welches alles Fromme fromm ist?« »Das Wesen der Tugend«. Ich kann mir vorstellen, daß viele der Anwesenden hier schon die Nase gerümpft haben und diesen Ausdruck für abstrakt und vielleicht sogar für verdächtig halten. Und dies mit Recht. Denn es liegt ja auf der Hand, daß Platon die von der griechischen Polis und mehr noch die von Athen anerkannten Tugenden im Sinne hatte und von diesen nun verlangte, daß sie universalen Wert besäßen. – Wir sind uns der Übel nur allzu bewußt, welche in der Vergangenheit – und vielleicht auch noch heute – von der Überzeugung verursacht wurden, die einzig mögliche Kultur sei die europäische. Aufgrund dieser Überzeugung haben wir uns dazu ermächtigt gefühlt, unser Model von Kultur und Sittlichkeit ganzen Volksgruppen auf dem Planeten aufzuzwingen und dies oft mit Gewalt. Heute akzeptieren wir zumindest formal, daß unterschiedliche Modelle nebeneinander existieren können und wir hüten uns davor – oder zumindest sollten wir uns hüten –, einen erneuten Kulturkolonialismus zu betreiben. Zum Glück. Und doch hat sich gerade unter den Personen, welche sich der Unterschiede stark bewußt sind und sie am meisten respektieren (zu denen ich hoffe, auch mich selbst zählen zu dürfen), oft eine Art von ethischem Relativismus verbreitet, der, wenn man genauer hinsieht, widersprüchlich ist und oft das Gegenteil erreicht. Oft nämlich endet es auf diese Weise mit der Verwechslung von Anthropologie und Ethik. Natürlich steht es außer Frage, daß jede Kultur das Recht hat, ihre eigenen ethischen Regeln selbständig zum Ausdruck zu bringen und wir haben die Pflicht, sie zu respektieren. Doch gilt dies immer und in jedem Fall? Während nämlich der Anthropologe sich darauf beschränken muß, Sitten und Traditionen ohne Wertung aufzuzeichnen, liegen die Dinge in der Ethik nicht so. Hier hat man das Recht/die Pflicht, Werturteile zu fällen. Der Kindermord an den Mädchen, gewisse schreckliche Praktiken, wie Infibulation, die Ausbeutung der Kinder, die Sklaverei, die Folter, die Todesstrafe – um nur einige Beispiele zu nennen, doch leider könnte man noch sehr viele andere hinzusetzen – sind Praktiken, welche bei einigen Kulturen als moralisch gleichgültig betrachtet werden, wenn nicht sogar als moralisch akzeptabel; können derartige Praktiken uns im Namen eines falsch verstandenen Relativismus gleichgültig sein? Und wenn sie uns nicht gleichgültig sind und uns sogar empören und unseren Protest erregen, aufgrund welcher Prinzipien fühlen wir uns dazu ermächtigt? Es könnte nun jemand einfach und einsichtig antworten: aufgrund der Anerkennung der menschlichen Würde. Wenn aber jemand sie ablehnt? Wenn aber, wie einer der Gesprächspartnern in einem Herbartschen Dialog in platonischem Stil über das Böse sagt, welcher das Kantische Prinzip diskutiert, demzufolge man stets so handeln soll, daß man die Menschen »jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel« behandelt, wenn also »jemand sich dessen weigert; wird nun das Böse unmittelbar anschaulich seyn, das daraus entsteht? Oder kann der, welcher den Andern als Maschine gebraucht, auch noch fragen: was denn darin Schlimmes liege?« (IV, 490). Es ist immer wieder dasselbe, werden Sie sagen: die Philosophen (und zudem noch die italienischen) müssen immer alles unnötigerweise kompliziert machen. Warum sollte man nach einer festen Grundlage suchen, soweit es eine solche überhaupt gibt, wenn der gesunde Menschenverstand und die Menschlichkeit ausreichen, um uns bei der Bewertung von Gut und Böse zu leiten? Einmal abgesehen davon, daß Philosophie sich nicht mit dem gesunden Menschenverstand zufriedengeben kann und seit je nach einem festeren und sichereren Wissen strebt, sind wir uns denn wirklich so sicher, daß uns der Gemeinsinn eine zuverlässige Führung bietet? Außerdem bringen die mit der Ethik zusammenhängenden Probleme wichtige Auswirkungen im juristischen und, allgemeiner, im politischen Bereich mit sich, welche, so denke ich, eine aufmerksame Reflexion und eine feste Grundlage verdienen. Es ist auf der anderen Seite auch klar, daß die Grundlage, die wir suchen, allgemeine Gültigkeit haben muß, ohne deshalb bloß abstrakt zu sein, denn sonst bliebe sie in der Schwebe und im Leeren, ohne als Anleitung für den wirklichen Menschen fungieren zu können. Sie wird ebenfalls die fundamentalen Prinzipien der Moral auf klare und endgültige Weise zu definieren haben, ohne deshalb jedoch die Existenz unterschiedlicher moralischer Normen auszuschließen. Es ist nicht schwer zu sehen, daß sowohl diachronisch im Verlauf der Geschichte als auch synchronisch in den verschiedenen heutigen Gesellschaften unterschiedliche moralische Regeln existiert haben und existieren, die zu respektieren sind, solange sie nicht mit den Prinzipien in Konflikt geraten (sicherlich hat es keinen Sinn und ist vielmehr beleidigend und demütigend, den Masai-Kriegern die Unterhosen aufzuzwingen, wie es das viktorianische England getan hat); im gegenteiligen Falle jedoch sind sie in aller Schärfe anzuprangern. Zwei Beispiele: Der im alten Griechenland und in Rom verbreitete Brauch, die Neugeborenen auszusetzen, ist aus dem historischen Blickwinkel heraus eine einfache Tatsache, aus ethischer Sicht aber ein Greuel. Wer würde dies heute wieder einführen wollen? Die Verurteilung zum Tode durch Steinigung einer Frau, weil sie einem unehelichen Sohn das Leben geschenkt hat, nachdem sie vergewaltigt wurde, ist nicht nur ein juristisches Ungeheuer, sondern auch moralisch inakzeptabel. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei klargestellt, daß wir uns hier auf einer ausschließlich ethischen Ebene bewegen, die in keiner Weise Formen der Aufzwingung zuläßt. Ich bin mir auf der anderen Seite auch vollkommen der komplexen Implikationen, welche all dies mit sich bringen könnte und des Konflikts bewußt, der zwischen traditionalen Formen von Kultur und ethischen Prinzipien aufkommen könnte, doch denke ich auch, daß wir uns nicht hinter derartigen Schwierigkeiten verstecken können. In jedem Fall lassen wir für den Moment diese Probleme außer Acht und konzentrieren uns auf das Hauptproblem: Die Grundlage. Ich bin davon überzeugt, daß Herbarts Philosophie bei dieser Suche in die richtige Richtung führen kann und daß sie uns auch heute noch wichtige Anregungen auch im ethischen Bereich zu bieten hat. Bevor wir uns jedoch in Herbarts Reflexionen zur Moral vertiefen, ist es notwendig, vorher noch schnell auf Kant zu sprechen zu kommen, der für Herbart konstanter Bezugspunkt ist und auch für das zeitgenössische Denken einen unausweichlichen Probierstein darstellt. Natürlich werde ich nur auf einige wenige zentrale Punkte der Kantschen Ethik zu sprechen kommen. Ich fürchte, eine etwas technische Terminologie nicht vollkommen vermeiden zu können, doch ich hoffe, mich trotzdem klar verständlich zu machen. Welche Eigenschaften muß ein moralisches Prinzip besitzen, um wahrhaft universal zu sein? Vor allem müssen hier die Grenzen geklärt werden, indem das moralische Prinzip klar und deutlich von den theoretischen Prinzipien unterschieden wird, da der Gegenstand, mit dem diese sich beschäftigen ein grundlegend anderer ist. Dies bedeutet, daß die Moral der Metaphysik, der Psychologie usw. gegenüber autonom ist. Wenn wir wollen, daß das Prinzip, welches wir suchen, auch wirklich universal ist, ist es des weiteren notwendig, daß es nicht auf subjektiven Elementen fußt oder auf solchen, die nicht verallgemeinerbar sind, und daß es absolut autonom ist, d.h. seine Rechtfertigung nicht von fremden Elementen erhält. Die subjektiven Neigungen, die Gefühle, die Leidenschaften usw. können also die Moral nicht fundieren. Dies heißt allerdings nicht, daß sie an sich böse wären, sondern nur, daß sie das Prinzip subjektiv beeinflussen, welches dementsprechend keine universale Geltung mehr besäße. Dies eben ist Kant zufolge die Grenze aller vergangenen Versuche, die Moral zu begründen. Sie suchten die Grundlage der Moral nämlich in materiellen und heteronomen Prinzipien, wie der Glückseligkeit oder dem Nützlichen – doch meine Glückseligkeit, mein Nützliches kann das Unglück und den Schaden eines anderen bedeuten –; die Vollkommenheit oder das höchste Gute – welche jedoch entweder vergängliche Begriffe sind oder von der Geschichtsepoche bzw. der Gesellschaft beeinflußt wurden, welche sie hervorgebracht hat. Man kann also auch nicht, wie Platon es wollte, mit der Definition des Guten und des Bösen beginnen: Böse und Gut sind lediglich Gegenstände der praktischen Vernunft, ja eigentlich »die alleinigen Objecte einer praktischen Vernunft.« Schließlich kann auch die Religion die Moral nicht begründen, sondern eher das Gegenteil: Die Religion ist eventuell eine moralische Forderung. Andernfalls gründete Moral sich auf ein heteronomes Prinzip, d.h. ihre Rechtfertigung käme von außen. Das Prinzip, das wir suchen, muß also folgende Eigenschaften haben: Es muß autonom, bedingungslos und formal sein. Der Sitz, um uns so auszudrücken, dieses Prinzips kann nirgendwo anders als in der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch liegen. Im Gegensatz zu dem, was immer wieder wiederholt wird, ist die Kritik der praktischen Vernunft in keiner Weise eine "Moral", eine Tugendlehre; sie ist vielmehr eine Art von Metaethik. Sie bewegt sich sozusagen auf einer zweiten Ebene, auf einer metanormativen Ebene, welche eben die Moral als ihren Gegenstand hat. Genauso wie die theoretische Vernunft die Mathematik und die Physik zum Gegenstand hat, oder genauer: so wie sie die Bedingungen der Möglichkeit von Wissenschaft untersucht, so fragt die praktische Vernunft nach den Bedingungen der Möglichkeit der Moral, d.h. einer Modalität von Erfahrung, welche ihre spezifische Selbständigkeit besitzt. Die Philosophie, sagt Kant, muß sich darauf beschränken, »eine neue Formel« der Moral zu entwerfen; weder kann sie noch soll sie beanspruchen, eine neue Moral zu erfinden. Dies erklärt auch eine gewisse Bestürzung, die bei einer ersten, oberflächlichen Lektüre des Werkes aufkommen kann. Wie denn – will man sagen – am Ende all dieser Mühsal weiß ich nicht einmal, ob ich gut handle, wenn ich einer alten Dame helfe, die Straße zu überqueren. Der Grund hierfür besteht darin, daß dies nicht die Aufgabe der Kritik der praktischen Vernunft ist. Das Problem der Normen und der Regeln wird sich natürlich stellen, doch hierfür muß man andere Werke Kants heranziehen, wie etwa die Metaphysik der Sitten. Objektivität der Moral bedeutet für Kant allgemeine Gültigkeit dessen, was er das moralische Gesetz nennt und dieses Gesetz ist ein »Faktum der Vernunft«, weil es seit je in den vernünftigen Wesen vorhanden ist, d.h. in den Menschen als Menschen. Das moralische Gesetz bedarf keinerlei philosophischer Rechtfertigung; es ist hier eine Grundlegung weder möglich noch notwendig. Und zwar deshalb, weil es sein Fundament in sich selbst findet bzw. weil es an sich gültig ist und sich uns gegenüber von selbst durchsetzt. Diese Behauptung nun scheint paradox. Was heißt das, das moralische Gesetz brauche keine Grundlegung? Die Antwort auf diese Frage finden wir in der Kritik der reinen Vernunft, wo zu lesen ist: »Von der Eigenthümlichkeit unsers Verstandes aber […] läßt sich eben so wenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine andere Functionen zu Urtheilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind.« Es hat demnach keinen Sinn, nach einer weiteren Grundlage der Grundlage zu suchen: wir müssen uns mit diesem Faktum begnügen. In den Menschen tritt das moralische Gesetz als Imperativ auf, der berühmte kategorische Imperativ: Du sollst, weil du sollst. Nicht: Du sollst dieses oder jenes tun, sondern du sollst das moralische Gesetz befolgen. Aber aufgepaßt, das moralische Gesetz und der kategorische Imperativ stimmen keineswegs überein. Sie scheinen nur für den Menschen übereinzustimmen, welcher nicht nur ein Vernunftwesen, nicht reine Vernunft ist, sondern der auch (zum Glück) ein sinnliches Wesen ist, das Neigungen, Wünschen, Impulsen usw. unterliegt. All diese Gefühle sind natürlich legitim, aber sie können nicht, wie wir gesehen haben, zur Grundlegung der Moral beitragen. Für einen Engel etwa wäre der Imperativ absolut nicht notwendig, weil sein Wille vollkommen mit dem moralischen Gesetz übereinstimmen würde. Dem kategorischen Imperativ stehen wie bekannt die hypothetischen Imperative entgegen; Wenn du dies tun willst, wenn du das erreichen willst, mußt du dies oder jenes tun. Sie können jedoch keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Doch auch in diesem Fall müssen vereinfachende Banalisierungen vermieden werden. Der Gegensatz zwischen kategorischem Imperativ und hypothetischen Imperativen ist nicht der Gegensatz zwischen Moralität und Unmoralität. Freilich ist es wahr, daß der kategorische Imperativ der moralische Imperativ ist, doch das bedeutet nicht, daß der hypothetische Imperativ notwendigerweise unmoralisch sein muß. Auch ist die sinnliche Natur des Menschen nicht schon als solche ein Übel; sie wird dazu erst in dem Moment, in dem sie mit dem moralischen Gesetz in Konflikt gerät. Im Gegensatz zur gewöhnlichen Vorstellung scheint mir Kant eine rigorose, aber keine rigoristische Moral vorzuschlagen, die sich der Grenzen des Menschlichen und seiner Rechte als sinnliches Wesen vollkommen bewußt ist. Aus dem Faktum des moralischen Gesetzes wird die Willensfreiheit abgeleitet. Die Freiheit, sagt Kant, ist »allerdings die ratio essendi des moralischen Gesetzes« bzw. die Bedingung der Wirklichkeit des moralischen Gesetzes. Wäre der Mensch nicht frei, könnte man von Moral überhaupt nicht sprechen, denn er wäre dann wie die Tiere. Auf der anderen Seite ist das moralische Gesetz »die ratio cognoscendi der Freiheit« , d.h. das, was es uns erlaubt, die Freiheit zuzulassen. Nur so können wir verstehen, daß wir einen freien Willen haben. Noch einmal, die transzendentale Freiheit, von der Kant hier spricht, ist nicht so sehr die Freiheit, dieses oder jenes zu tun, als vielmehr die Möglichkeit selbst von Freiheit, eine Freiheit als solche und absolut unbedingt. Ich entschuldige mich für diese allzu kurze und schematische Darstellung der Kantschen Morallehre, die notwendigerweise eine ganze Reihe von wichtigen Problemen außer Acht gelassen hat. Doch war es meines Erachtens notwendig, einige zentrale Themen dieser Theorie wieder ins Gedächtnis zu rufen, um nun Herbarts Position verstehen zu können. Seine Stellung ist, um die Wahrheit zu sagen, komplex und zweideutig, denn seine Kritiken an Kant, und nicht nur diejenigen im moralischen Bereich, sind oft ungerechtfertigt und doch ist er gerade in diesen Fällen besonders anregend. Bevor ich jedoch endlich zu Herbart komme, sei es mir erlaubt, Sie noch einmal auf die Wichtigkeit des ethischen Formalismus Kants aufmerksam zu machen, denn eben hier kann man meines Erachtens die Aktualität der Herbartschen Ethik voll und ganz ausmessen. Das ethische Prinzip, haben wir gesagt, muß formal sein, da es sonst durch materielle Elemente bedingt wäre, welche seine Universalität herabsetzen würden, weil es »von keiner Vorstellung irgend eines Gegenstandes, welche sie auch sei, a priori erkannt werden [kann], ob sie mit Lust oder Unlust verbunden, oder indifferent sein werde.« In diesem Sinne ist der meines Erachtens fehlgeschlagene Versuch von John Rawls bezeichnend, der eine Metaethik verwirklichen wollte ohne den Formalismus, wie auch immer man ihn verstehen will, oder auf jeden Fall durch seine Schwächung. In der Tat ist er in den Werken nach A Theory of Justice dazu gezwungen, seine Position zu revidieren, den Anspruch auf Universalität seiner Moral zu verleugnen und ihre Geltung auf die industrialisierten Gesellschaften des Abendlandes einzuschränken. Der Kantische Formalismus allerdings impliziert keineswegs Leere. Esi ist mir klar, daß die allgemeine Form sehr wohl ohne Inhalte erkannt werden kann, doch das heißt noch lange nicht, daß sie der Inhalte entbehrt. Die Form gibt es in Wahrheit nie ohne die Inhalte, doch bedeutet das nicht, daß man sie nicht unabhängig von ihnen betrachten kann. Wie bekannt riefen der vorgebliche Rigorismus Kants und der Formalismus seiner Ethik unmittelbar negative Reaktionen hervor. Man denke, nur um einige Namen zu nennen, an Schiller und Hegel, an Fichte und Schleiermacher. In einer seiner Xenien schreibt Goethe sogar sarkastisch: »Gerne dien' ich den Freunden, doch thu' ich es leider mit Neigung | Und so wurmt mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin.« Doch die Diskussion setzte sich weit über das eben vergangene 18. Jahrhundert hinaus fort. So hat Husserl, der eine formale Ethik in Analogie zur Logik aufbauen wollte, Kant kritisiert, weil seine Ethik nicht formal genug sei, während Max Scheler, der im Gegenteil eine materielle Wertethik begründen wollte, den Kantschen Formalismus glattweg ablehnte. Doch nun ist es Zeit, zu Herbart überzugehen, der ja auch als Inspirationsquelle und als Bezugspunkt allen Hauptdarstellern dieser Debatte gegenwärtig ist, H. Cohen ebenso wie Vorländer, die meines Erachtens entscheidende Beiträge zum ethischen Formalismus Kants geliefert haben , Scheler ebenso wie, auf vermittelte Weise, Husserl. Auch Herbart reiht sich in den Chor der Kritiken ein. Auch er weist den Kantschen Formalismus zurück, weil er ihm leer erscheint und deshalb unfähig, wirklich vom Besonderen Rechenschaft zu geben, das sich im Allgemeinen verliert. Des weiteren lehnt er die transzendentale Freiheit (auch wegen ihrer unheilvollen pädagogischen Konsequenzen) und den kategorischen Imperativ ohne Vorbehalt ab, da sie für ihn nichts anderes sind, als begriffliche Absurditäten. Natürlich hat auch für ihn die Pflichtmäßigkeit eine zentrale Funktion in der Behandlung der Moral; doch der kategorische Imperativ und die Kantschen Pflichten sind am Ende eben wegen ihres leeren Formcharakters dazu gezwungen, auf eine höhere Autorität zu rekurrieren, auf einen ewigen Herrn. Allerdings erkennt er an, daß mit Kant »der wichtige Theil der Reform, welche die Sittenlehre treffen mußte.« (III, 235) abgeschlossen wurde. Kant hat das Verdienst, die Selbständigkeit der Moral klar erkannt zu haben: selbständig gegenüber dem Gegenstand, der nicht mit dem der theoretischen Vernunft verwechselt werden darf und selbständig gegenüber der Form, welche nach Kants Absicht von jeder Bestimmung unabhängig sein sollte, es sei denn der des reinen Wollens in seiner Universalität. Kant wird also auf der einen Seite das Verdienst zuerkannt, Ethik und Metaphysik klar voneinander getrennt zu haben: Der verfehlte Ausdruck Metaphysik der Sitten – sagt Herbart – ist lediglich eine unglückliche Redensart, die der Tatsache keinen Abbruch tut, daß Kant die ursprüngliche, besondere und absolute Evidenz des moralischen Elements erkannt hat, welches keiner äußeren Stützen bedarf (XII, 348). Auf der anderen Seite kommt ihm das Verdienst zu, »gleichsam eine eherne Mauer« (III, 70) zwischen der Totalität der materiellen Prinzipien des Wollens und den formalen Prinzipien aufgerichtet zu haben. Das Bestreben Herbarts besteht also in folgendem: ein moralisches Prinzip oder besser moralische Prinzipien ausmachen, welche allgemeinen Wert haben, jedoch gleichzeitig das Besondere wahren; welche formal sind, aber nicht leer, ohne deshalb von materiellen Elementen bedingt zu sein. Wie sollen wir uns also bewegen? Zunächst einmal ist klar, daß das ethische Urteil, welches der Herbartschen Moral zugrunde liegt, keinen Anspruch darauf erheben kann, im logischen Sinne universal zu sein, da es auf diese Weise das Besondere vollkommen aus dem Auge verlöre; auch kann es keineswegs auf dem Wege der Abstraktion erreicht werden, wie es die Empiristen möchten, da es auf diese Weise die Allgemeingültigkeit verlöre. Des weiteren muß man sich davor hüten, um alles in der Welt ein einziges Prinzip zu suchen, das es nicht gibt und das auch nicht gesucht werden soll. Wir werden also eine Vielfalt von Prinzipien vor uns haben, ähnlich dem, was in der Metaphysik auch passiert. Ein einziges Prinzip ist eine reine Abstraktion, welches das richtige Verhältnis zwischen Gegebenem und Prinzipien umkehrt. Zuerst werden die einzelnen Werturteile gefällt und dann wird künstlich ein einziges Prinzip aufgestellt. So läßt Herbart in seinen Gesprächen über das Böse, die ich schon erwähnt habe, einen seiner Gesprächspartner, und zwar Otto, zu einem anderen, der die Thesen Fichtes vertritt, sagen: »Sie tadeln erst den Streit, und alsdann aus diesem Grunde die Trägheit; Sie verurtheilen den Hass, und darum hintennach das, was Sie als Quelle des Hasses ansehen, und so weiter.« (IV, 491) Doch was geschieht nun eigentlich, wenn wir ein moralisches Urteil fällen oder wenn wir sagen, dies sei gut, das sei schlecht? Um welche Form von Urteil handelt es sich? Und betrifft das Urteil die Form oder den Inhalt? Zunächst leuchtet ein, daß das Urteil (A ist B zum Beispiel) eine Beziehung vorsieht und das gilt auch für das Werturteil: Ein einzelnes materielles Element ist moralisch indifferent, es ist weder gut noch böse. Hat man einmal eine Güterlehre ausgeschlossen und das Problem des Werts oder Unwerts für den Willen gestellt, dann kann dieser letztere, da er von allen Beziehungen zu den Dingen befreit ist, sich einzig durch die Form der Beziehung charakterisieren, welche er angenommen hat: »Jede Zusammenfassung – so Herbart -, welche als solche eine neue Bedeutung erlangt, ergiebt eine Form; im Gegensatze gegen die bloße Summe dessen, was zusammengefasst wird, welche Summe in sofern Materie heißt. Also kann nur der Form des Wollens ein Werth oder Unwerth beygelegt werden.« (X, 348) Das Geschmacksurteil betrifft also lediglich die Form, nicht den Inhalt und ist doch nicht abstrakt: Es ist nichts anderes als der Name für besondere Beziehungsurteile. Doch muß sich die praktische Philosophie keineswegs schämen, keine solche Universalität erreichen zu können, welche alle Tatsachen des Lebens vollkommen erfassen könnte: »das menschliche Leben ist viel zu bunt, als daß die einfachen Willensverhältnisse im Voraus wissen könnten, wie sie einander darin begegnen werden.« (II, 351) Das Werturteil, welches für die Ästhetik und mehr noch für die Ethik bezeichnend ist, stellt sich als Geschmacksurteil dar, welches unmittelbar Billigung oder Mißbilligung auslöst. Aus dem Geschmacksurteil muß jeder subjektive Gemütszustand ausgeschlossen werden. Es handelt sich um ein reines Urteil und das unterscheidet Herbart sicherlich klar von den englischen Moralisten, mit denen er trotzdem, wie wir gleich sehen werden, bedeutsame Punkte gemein hat. In Über die ästhetische Darstellung der Welt schreibt er denn auch, indem er sich ausdrücklich auf Platon beruft: Die ästhetische, und das heißt für Herbart auch die ethische Notwendigkeit »charakterisiert sich dadurch, daß sie in lauter absoluten Urtheilen, ganz ohne Beweis, spricht, ohne übrigens Gewalt in ihre Forderung zu legen. Auf die Neigung nimmt sie gar keine Rücksicht; sie begünstigt und bestreitet sie nicht. Sie entsteht beym vollendeten Vorstellen ihres Gegenstandes.« (I, 264) Die ethischen Urteile müssen demnach absolut und unbedingt sein und können deshalb nicht im Willen als einer subjektiven Wirklichkeit gesucht werden, sondern einzig in einer objektiven Wirklichkeit, die – wie wir gleich sehen werden – in den praktischen Ideen ihren Ausdruck findet, welche typische Willensverhältnisse sind, die mit ihrer Beispielhaftigkeit notwendige Urteile hervorrufen. Doch gehen wir der Reihe nach vor. Obschon wir uns in der Heimatstadt dieses großen Denkers befinden (meines Erachtens sicherlich einer der größten Denker nach Kant), ist nicht gesagt, daß auch alle seine Ethik aus der Nähe kennen. Deshalb scheint es, so hoffe ich, nicht unnütz, kurz die wichtigsten Züge darzustellen. Herbart lehnt also, wie gesehen wurde, Kants Formalismus ab, dem er einen Formalismus entgegenzusetzen beabsichtigt, welcher ein solcher nur deshalb ist, weil er vom besonderen Inhalt der menschlichen Handlungen absieht, allerdings die typischen Verhältnisse, welche diese Handlungen aufweisen, einschließt. Die Absolutheit, die mit dem Formalismus eng verbunden ist, wird dann Herbart zufolge nicht im Willen als einer subjektiven Wirklichkeit gesucht (in Herbarts Augen wäre dies der Kantsche gute Wille), sondern in einer objektiven Wirklichkeit, in unwillkürlichen Urteilen der Billigung oder Mißbilligung, welche jeden Aspekt des menschlichen Lebens einbeziehen. Die moralische Pflichtmäßigkeit besteht aus absoluten, atheoretischen Urteilen. Die Haltung des urteilenden Subjekts muß also der des reinen Beobachters entsprechen oder, wie er mit evidentem Bezug auf Adam Smiths "interesselosen Zuschauer" auch sagt, der des »inneren Zuschauers.« (I, 118, siehe auch X, 338-340) Die praktischen Ideen sind eben Ausdruck von typischen Willensverhältnissen und rufen mit ihrer Beispielhaftigkeit unwillkürliche Urteile der Billigung oder Mißbilligung hervor. Die moralische Pflichtmäßigkeit wird also durch die unmittelbare Notwendigkeit des "ästhetischen" Urteils garantiert, eine Notwendigkeit, die sich den Menschen aufdrängt; eine Notwendigkeit, die aus dem objektiven "Wert" herkommt, der in jenen Urteilen beschlossen liegt, die in ihm ihren Inhalt finden und der stark an den Respekt erinnert, den Kant zufolge das moralische Gesetz unmittelbar und notwendig hervorruft, aber auch an den "ästhetischen Geschmack" der englischen Moralisten. Allerdings sind es nicht die Ideen, welche unmittelbar Gehorsam verlangen; die Pflicht vielmehr, die aus ihnen herkommt, fordert ihn. Das Gebieterische der Pflicht leitet sich eben gerade von der Billigung oder Mißbilligung her, welche die Urteile gegenüber den moralischen Ideen zum Ausdruck bringen, insoweit sie als objektiv gültige und universale anerkannt sind und dies unabhängig von der Befriedigung, die daraus entstehen kann. Ursprünglich jedenfalls ist nicht die Pflicht. Erst wenn man sich seiner eigenen Verpflichtung bewußt wird, indem man einer Richtschnur folgt, hat man es mit dem Begriff der Pflicht zu tun, wodurch man nun wirklich in die Moralität eintritt. Der Begriff der Pflicht kann nicht das erste Fundament der moralischen Wissenschaft sein, denn, wäre dem so, dann müßte eine unmittelbare Sicherheit bestehen für den Wert eines ursprünglichen Befehls. Doch dies ist nicht möglich, denn befehlen bedeutet wollen, und sollte der Befehl einen ursprünglichen Wert haben, dann käme ein Konflikt zwischen den unterschiedlichen Willen auf, wobei die einen untergeordnet, der andere herrschend wäre; doch jedes Wollen ist als Wollen jedem anderen gleich und keines kann sich über das andere erheben. Die Grundlage der Ethik besteht also weder im Begriff der Pflicht noch in dem des Guten und auch nicht in dem der Tugend, sondern einzig in einer spontanen Reaktion gegenüber den jeweiligen Situationen, welche erst in der Folge moralisch wird, wenn man von den reinen ethischen Ideen übergeht zu den moralischen Maximen. Die ethischen Ideen sind also natürlich anerkannte "Werte", die angemessene Handlungen anraten, weil sie ein gemeinsames Gut der menschlichen Natur sind, dem man widerspricht, wenn man nicht gehorcht. Die ursprünglichen praktischen Ideen sind fünf und nicht gegenseitig auseinander deduzierbar; das wahrhaft moralische Urteil muß alle fünf Ideen vereinigen. Keine von ihnen kann isoliert und von den anderen getrennt genommen werden. Die erste praktische Idee ist die »Idee der inneren Freiheit«, die in keiner Weise mit der transzendentalen Freiheit verwechselt werden darf. Es handelt sich vielmehr, wie Herbart schreibt, um »diejenige Freyheit der Wahl, die wir alle in uns finden, welche wir als die schönste Erscheinung unsrer selbst ehren, und welche wir unter den andern Erscheinungen unsrer selbst hervorheben möchten« (I, 261). Herbart zieht also die Beziehung in Betracht, welche die innere Kohärenz bei der Bewertung des Willens betrifft bzw. die Beziehung zwischen dem Willensakt und dem Werturteil. Ihr Zusammenstimmen ist eben die Idee der inneren Freiheit, der innigen und tiefen Einheit der einzelnen Personen mit sich selbst. Dieses Zusammenstimmen ruft unmittelbar Billigung hervor, während im Falle, daß der Wille nicht mit den Forderungen des Werturteils übereinstimmt, sich eine Beziehung einstellt, welche unmittelbar mißfällt. Die zweite praktische Idee ist die »Idee der Vollkommenheit« und sie beschäftigt sich mit den Beziehungen der einzelnen Willensakte untereinander. Die dritte praktische Idee ist die »Idee des Wohlwollens.« Mit dieser Idee befinden wir uns in einer mittleren Stellung zwischen der Betrachtung eines einzelnen Willens und der Beziehung zwischen mehreren Willen. Die Idee des Wohlwollens nämlich setzt einen einzelnen Willen mit einem anderen in Beziehung, insoweit er von jenem vorgestellt wird. Das Wohlwollen besteht somit in der Harmonie des eigenen Willens mit einem anderen, insoweit er vorgestellt wird. Dieses Verhältnis ruft unmittelbar Billigung hervor, während das Gegenteil, d.h. der intentionale Kontrast zwischen zwei Willen mißfällt. Die vierte praktische Idee ist die »Idee des Rechts.« Ein weiteres Mal schwimmt Herbart gegen den Strom, denn er unterscheidet nicht zwischen Moralphilosophie und Philosophie des Rechts; mehr noch, er denkt, daß einige der grundlegenden Fehler der Philosophie des Rechts seiner Zeit eben in dieser Trennung zu suchen seien. Und wir Italiener können davon eine Geschichte erzählen. Das Recht, behauptet Herbart, ist das Zusammenstimmen mehrerer Willen, welches als Regel verstanden wird, um dem Konflikt zuvorzukommen. Die Idee des Rechts hat also die Aufgabe, Kontraste, die zwischen zwei realen, in Beziehung stehenden Willen aufkommen, zu vermeiden oder zu überwinden, wobei beide diese Idee als Einschränkung ihrer Willkür spontan und wie eine Notwendigkeit akzeptieren. Die fünfte und letzte praktische Idee ist die »Idee der Billigkeit.« Wenn in der Idee des Rechts das intentionale Element keine Rolle spielte, so ist es hingegen zentral in der Idee der Billigkeit. Herbart versucht die Notwendigkeit klarzumachen, daß zwischen Schuld und Strafe ein genaues Gleichgewicht herrsche. Durch die fünf praktischen Ideen sind Herbart zufolge alle möglichen Grundverhältnisse zwischen Urteil und Willen nach einer klaren Ordnung bestimmt, die vom Einfachen zum Komplexen aufsteigt. Bisher hat er nur die Verhältnisse des Willens einer und derselben Person oder zwischen einzelnen Personen in Betracht gezogen, doch dies schöpft natürlich die Zahl aller möglichen praktischen Verhältnisse nicht aus. Es müssen nun Strukturen von Verhältnissen zwischen mehreren Willen untersucht werden, zwischen einer unbestimmten Vielheit von vernünftigen Wesen. Dieser Übergang von den einzelnen Individuen zur Gesellschaft hat nach Herbart nicht die Notwendigkeit zur Folge, neue Verhältnisse einzuführen: Alle Grundverhältnisse werden von den ursprünglichen moralischen Ideen ausgeschöpft. Lediglich die Komplexität der Verhältnisse zwischen den verschiedenen Willen ist nun größer, von denen wir annehmen müssen, daß sie sich in einem konstanten Fortschritt hin zu einer immer vollkommeneren Einheit befinden. An diesem Punkt nun führt Herbart die abgeleiteten Ideen ein, die den ursprünglichen Ideen entsprechen – auch sie sind fünf an der Zahl, doch keine Angst, ich habe nicht die Absicht, sie hier aufzuzählen –, auch wenn die von ihm angewandte Darstellung in gewisser Weise der vorhergegangenen gegenüber umgekehrt verfährt. Man muß nämlich bei den letzten beiden Verhältnissen beginnen, welche den anderen gegenüber eine weniger vollkommene Kommunikation zwischen den Willen impliziert, um dann zu einer immer größeren Vollkommenheit emporzusteigen. Was aus der Untersuchung dieses Teils des Herbartschen Werks hervorginge, wäre die Feststellung, daß seine Ethik in einer Philosophie der Gesellschaft mündet. Herbart achtet denn auch immer stark auf die praktische Anwendbarkeit seiner Konzeptionen und ist der Überzeugung, daß eine Theorie der Pflichten einzig in der konkreten Wirklichkeit durchgeführt und auf die Probe gestellt werden könne. Herbarts Ideenlehre ist zum Teil auch scharfen Kritiken unterzogen worden. Schon Hartenstein, einer seiner wichtigsten Schüler, hatte aus der Moral die Idee der Vollkommenheit und die daraus abgeleitete der Kultur ausgeschlossen, weil bei ihnen auf den Grad Bezug genommen wird und das bedeutet auf quantitative Beziehungen ; was Adolf Trendelenburg betrifft, so meinte er, daß alle fünf verworfen werden müßten . Doch auch Paul Natorp wird eine aufmerksame und kritische Analyse der praktischen Ideen Herbarts durchführen . Sicherlich ist dies nicht der richtige Ort, um diese Kritiken im Detail zu untersuchen und um zu bewerten, inwieweit sie zutreffen und noch weniger können wir hier bewerten, ob die praktischen Ideen auch wirklich fünf sein müssen und ob es gerade diese fünf sind. Was mich hier interessiert, ist vielmehr die grundlegende Idee, welche Herbarts Theorie beseelt. Die Idee nämlich, daß unter Beibehaltung des Kantschen Prinzips, daß die ethische Grundlage eine formale zu sein hat, welches, wie wir gesehen haben, auch für Herbart die einzige Garantie für die Allgemeingültigkeit der ethischen Prinzipien darstellt, es trotzdem notwendig sei, typische Prinzipien auszumachen, welche verhindern, daß man sich in der reinen Abstraktion verliere und welche als Model dienen, auf dessen Grundlage die einzelnen Normen und die einzelnen Verhaltensweisen bewertet werden können. Heutzutage sind die Bedingungen wahrscheinlich besser, um befriedigendere Resultate in der Richtung zu erzielen, die von Herbart angezeigt wurde. Die besseren anthropologischen, paleoanthropologischen und ethologischen Kenntnisse, die wir der Epoche gegenüber besitzen, in der Herbart lebte, erlauben es, mit größerer Klarheit das typisch Menschliche jenseits aller geschichtlichen und kulturellen Bedingungen zu bestimmen und es mit mehr Bewußtsein beurteilen zu können. Wir können ja auch gar nicht umhin, vorauszusetzen, daß es Elemente gibt, welche für alle Menschen typisch sind, für den Menschen als homo sapiens. Das Gegenteil vorauszusetzen, nämlich daß die Menschen verschieden sind, hätte von diesem Standpunkt aus (auf welcher Grundlage? Auf der Rasse?) gravierende Folgen. Es wäre leicht nachzuweisen, daß die von mir anfangs zitierten Beispiele in klarem Widerspruch zu Herbarts fünf praktischen Ideen stehen und wahrscheinlich auch zu den Prinzipien, die man mit seiner Methode erarbeiten könnte. Es bleiben natürlich noch viele Probleme offen, die ich hier auch absichtlich aus Gründen der Zeit weglasse. An Stelle all dieser Probleme sei dieses eine genannt: Wie können wir die unmoralischen Verhaltensweisen erklären? Wenn das ethische Urteil unmittelbar Billigung oder Mißbilligung hervorruft, warum verhalten sich die Menschen dann so schlecht? Wenn man Herbarts praktische Philosophie detailliert analysieren würde, dann könnte man entdecken, daß sein Ansatz auch von diesem Gesichtspunkt aus überraschend aktuell und fruchtbar ist. Dies jedoch führte uns zu weit und es ist Zeit, daß ich schließe, denn ich habe Ihre Geduld schon viel zu sehr ausgenutzt.
BASE
In: Schweizer Erinnerungsorte. Aus dem Speicher der Swissness., S. 135-143
In: Studien zur theologischen Ethik 114
Cover -- Titel -- Impressum -- Widmung -- Inhalt -- Vorwort -- ERSTER TEIL: Menschen und andere Tiere -- 1 Sind Menschen wichtiger als andere Tiere? -- 1.1 Einleitung -- 1.2 Gründe dafür, Menschen und Tiere unterschiedlich zu behandeln -- 1.3 Gebundene Werte -- 1.4 Warum gebundene Werte und überragende Bedeutung (fast) unvereinbar sind -- 2 Das tierische Selbst und das Gute -- 2.1 Der Ursprung des Guten -- 2.2 Einwände -- 2.3 Selbst und Selbstbewusstsein -- 2.4 Aktive und passive Selbstkonstitution -- 3 Was ist am Menschsein anders? -- 3.1 Einleitung -- 3.2 Rationales und instinktives Bewusstsein -- 3.3 Bewertung von Gründen und Selbstbewertung -- 3.4 Gattungswesen -- 3.5 Ethik und Wissenschaft -- 4 Wider den menschlichen Überlegenheitsanspruch -- 4.1 Einleitung -- 4.2 Macht Moral Menschen anderen Tieren überlegen? -- 4.3 Folgen geistiger Hochentwicklung -- 4.4 Sind wir besser dran als andere Tiere? -- 4.5 Schlussfolgerung -- ZWEITER TEIL: Immanuel Kant und die Tiere -- 5 Kant, Grenzfälle und moralischer Status -- 5.1 Menschen als Zwecke an sich selbst -- 5.2 Gegen das Argument der Grenzfälle -- 5.3 Zeitlose Geschöpfe -- 5.4 Was ist überhaupt ein moralischer Status? -- 6 Kant gegen die Tiere, Teil 1: Die Theorie der indirekten Pflicht -- 6.1 Tiere als bloße Mittel -- 6.2 Wie wir nach Kant Tiere behandeln sollen -- 6.3 Eine widersprüchliche Haltung -- 6.4 Das Problem des moralischen Filters -- 6.5 Verdienst oder die «Würdigkeit glücklich zu sein» -- 6.6 Behandelt wie die Tiere -- 7 Kant gegen die Tiere, Teil 2: Wechselseitigkeit und die Gründe der Pflicht -- 7.1 Einleitung -- 7.2 Das Argument der Reziprozität -- 7.3 Kant über moralische Wahl -- 7.4 Kant über wechselseitige Gesetzgebung -- 7.5 Die Universalisierbarkeitsprüfung und der Umgang mit Tieren -- 8 Eine kantianische Begründung für unsere Pflichten gegenüber Tieren -- 8.1 Einleitung.
In: Perspektiven der Ethik 13
In: Abhandlungen zur Philosophie