Naturgeschichte des Interviews
In: Merkur: deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Band 67, Heft 4, S. 317-328
ISSN: 0026-0096
Der Beitrag enthält einige Vorüberlegungen zu einem Forschungsprojekt der Autorin über eine "Naturgeschichte des Interviews". Die Bezeichnung "Naturgeschichte" bezieht sich dabei auf eine Tätigkeit, die die Erscheinungen auf der Erde sammelt, zusammenstellt, ordnet und daraus eine Klassifikation entwickelt. Ein Vorbild für dieses eher beschreibende denn begründende Verständnis der Naturgeschichte ist die "Historia naturalis" von Plinius dem Älteren, die das naturhistorische Wissen der Antike versammelt. Der Begriff "Interview" wiederum wurde bis weit in das 20. Jahrhundert hinein vor allem als eine besondere Form der Zeitungsberichterstattung verstanden, in der ein Interviewer eine "berühmte Person" des öffentlichen Lebens konsultiert und zu bestimmten Sachverhalten befragt. Erst viel später beginnt man die Vielschichtigkeit des Interviews als einer expliziten Gesprächstechnik in Medien und Wissenschaft zu begreifen. In jüngerer Zeit ist auf vielen Ebenen ein verstärktes Interesse am Interview zu beobachten: Die Medien kennen heute vielfältige Interviewformate, das Interview wird als historische Quelle reflektiert oder als ästhetische Praxis in Szene gesetzt. Wenn man sich näher mit dem Thema beschäftigt, so fällt allerdings auf, dass es kaum oder nur sehr wenige überblickende Publikationen dazu gibt. Deshalb kann eine Geschichte des Interviews zunächst in zwei verschiedene, sich aber zunehmend durchdringende Stränge aufgeteilt werden, die im Mittelpunkt des Beitrags stehen: das Presseinterview und das Forschungsinterview. (ICI2)