Dritte-Welt-Bewegung
In: Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945: ein Handbuch, S. 319-245
Entgegen landläufiger Krisenszenarien ist, so die Verfasserin, die entwicklungspolitische Bewegung vergleichsweise stabil und kann auf vielfältige Erfolge verweisen. Es gelingt ihr immer wieder, neue Themen in die öffentliche Diskussion zu bringen, generell für das schwierige Thema Nord-Süd-Gerechtigkeit zu sensibilisieren und Betroffenheit herzustellen (z. B. zu den Themen Kinderprostitution, internationale Finanzpolitik, Welthandelsstrukturen). In vielen Kommunen sind Dritte-Welt-Initiativen in die lokalen Agenda-Prozesse maßgeblich eingebunden. Entwicklungspolitische Initiativen sind darüber hinaus in konzeptioneller und praktischer Hinsicht wichtige Instanzen zur Förderung des interkulturellen Lernens. Die Autorin stellt fest, dass Dritte-Welt-Bewegung keine starke öffentliche Beachtung findet. Neben den fehlenden spektakulären Aktionen und der thematischen Breite der Bewegung ist dafür auch die Schwäche ihres Kontrahenten verantwortlich: Das BMZ als Repräsentant staatlicher Entwicklungszusammenarbeit hat innerhalb der Bundesregierung eine nachrangige Stellung. Die Dritte-Welt-Bewegung ist gekennzeichnet durch eine gewachsene Kluft zwischen den professionalisierten Teilen der Bewegung, den relativ großen überregionalen NGO und den ehrenamtlichen lokalen Initiativen. Die größeren NGO orientieren sich immer stärker an den staatlichen und politischen Akteuren. Die kleinen und ehrenamtlichen NGO und Initiativen bilden dagegen die Nahtstelle zur Bevölkerung und versuchen, als Vermittlungsinstanzen in die Gesellschaft hineinzuwirken. Die Verbindung zwischen beiden Teilen der Bewegung ist locker und nicht institutionalisiert, das heißt über formale Strukturen geregelt. Diese schwache Brücke innerhalb des Bewegungssektors ist einerseits in den Bestrebungen der Initiativen zur Bewahrung ihrer Autonomie begründet. Anderseits resultiert sie aus zum Teil basisfernen, "verselbständigten" Bewegungsorganisationen, die die lokalen Initiativen strukturell nicht in ihre politischen Strategien und Kampagnen einzubinden verstehen. Die zukünftige Entwicklung der Bewegung wird in hohem Maße davon abhängen, inwieweit es gelingt, die Verbindung zwischen beiden Teilen des Bewegungssektors beizubehalten bzw. wieder herzustellen. (ICF2)