Wer im Laufe eines Hochschulstudiums mit Fach-, Studiengang-, Universitäts- bzw. Ortswechsel oder Auslandsaufenthalt zu tun hatte, kennt die bürokratischen Hürdenläufe, die damit in der Vergangenheit verbunden waren. Manch einer/eine träumte sicherlich von größerer Mobilität und Freizügigkeit innerhalb der Universität, im gleichen Bundesland, dem gleichen Land oder gar Europa und kann nicht verstehen, dass Leistungen nicht "gleichermaßen" anerkannt werden. Mit diesen Überlegungen und Fragen befinden wir uns mitten im "Bologna-Prozess"! (DIPF/Orig.).
"Der Bologna-Prozess bildet den Rahmen für tief greifende Reformen der europäischen Hochschulsysteme. Nicht alle Aspekte der Ausgestaltung der neuen Studienstrukturen in Deutschland lassen sich unmittelbar aus den Zielen des Bologna-Prozesses ableiten, wie sich aus dem internationalen Vergleich ergibt." (Autorenreferat)
In Deutschland haben die bildungspolitischen Beschlüsse von Bologna 1999 weit mehr als in anderen europäischen Ländern zu tiefgreifenden Veränderungen des Hochschulwesens geführt. Aus traditionsreichen Universitäten humboldtscher Prägung mit ihrem Ideal der »Bildung« werden zunehmend verschulte Betriebe, die sich an Interessen der globalisierten Wirtschaft orientieren. Die Soziologie ist herausgefordert, den »Bologna-Prozess« in einer umfassenden historischen Perspektive, im Zusammenhang mit dem Wandel des gesamten Erziehungssystems und im Kontext von Tendenzen neoliberaler Politik kritisch zu reflektieren. Dadurch kann sie zu einem tieferen Verständnis der aktuellen Reformen und möglicherweise auch zu deren Korrektur beitragen. In Germany, the Bologna accords of 1999 concerning higher education have led to far-reaching changes in the university system, more than in other European countries. Universities with a long tradition, based on the principles of Wilhelm von Humboldt and oriented towards the idea of »Bildung«, are increasingly becoming »schoolified« institutions which take their orientation from the interests of globalized business. Sociologists are called upon to critically scrutinize the Bologna process within a comprehensive historical perspective, in connection with the transformation of the entire education system and in the context of neoliberal political trends. This will enable sociologists to contribute to a more profound understanding, and possibly also a correction, of the current reforms.
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 3166-3181
"Mit dem Begriff 'Bologna-Prozess' verbindet die bildungspolitische Öffentlichkeit in Deutschland die Internationalisierung des deutschen Hochschulsystems. Darüber hinaus gilt die Studienreform als eine der einschlägigsten und weitgehendsten Reformen des deutschen Hochschulsystems seit seiner Entstehung. Die Versuche, diesen 'reformimpulsiven' Charakter des 'Bologna-Prozesses' zu erklären, bleiben jedoch relativ wage. So legen Kellers Analysen eine institutionstheoretische Erklärung nahe, wenn sie den 'Bologna-Prozess' auf europäischer und dessen Umsetzung auf nationaler Ebene rekonstruieren und der Frage nachgehen, welche konkreten Auswirkungen für das deutsche Hochschulsystem zu erwarten sind. Jedoch bleibt die Reichweite dieser rekonstruktiv-deskriptiven Analyse für eine solche Erklärung angesichts des komplexen Systems der Politikverflechtung im Bildungsbereich, deren Komplexität durch die Einfügung einer europäischen Ebene noch erweitert wird, begrenzt. Fuchs dagegen versucht, die Reformvorhaben des 'Bologna-Prozesses' mit den bundesdeutschen Reformdebatten der 1990er Jahre in Verbindung zu bringen. Aber auch dieser Ansatz kann die Frage, warum gerade der 'Bologna-Prozess' zur Umsetzung spezifischer Reformen im Studiensystem führte, nicht befriedigend beantworten, liegt doch gerade hier die spezifische Differenz zwischen den 1990er Jahren und der 'Bologna-Phase'. Angesichts des komplexen Systems der Kompetenzverteilung in der Hochschulpolitik zwischen Hochschulen, Ländern und Bund sowie des Auftauchens einer vierten, europäischen Ebene, ist die Frage nach den Entscheidungsmechanismen im Politikfeld Hochschule eng an die Frage gebunden, unter welchen Bedingungen sich spezifische Formationen von politischer Herrschaft herauskristallisieren. Neben anderen Feldern sind öffentliche politische Diskurse ein Feld, wo man spezifische Formationen politischer Herrschaft beobachten können. In dem Vortrag will der Verfasser eine Diskursanalyse unterschiedlicher Texte aus öffentlichen Diskursen vornehmen und danach fragen, welche spezifische imaginär-symbolische Ordnung den deutschen Bologna-Diskurs auszeichnet. Hierfür sollen Laclaus Hegemonietheorie, Foucaults Theorie diskursiver Formationen, Bachtins Polyphonie-Modell und Bühlers Origo-Modell als Analyseinstrumente herangezogen werden, um unterschiedliche Dimensionen diskursiver Operationsmodularitäten zu analysieren. Als spezifisches Charakteristikum des deutschen Bologna-Diskurses, so die These, erweist sich ein zentrale Operationsmodus, den er als always already decided, als eine bereits immer schon entschieden Entscheidung (die jedoch immer wieder von neuem entschieden werden muss), bezeichnen würde. Darauf aufbauend soll gezeigt werden, wie dieser zentrale Operationsmodus durch das Ineinandergreifen heterogener diskursiver Ebenen eine spezifische imaginär-symbolische Ordnung instituiert. Abschließend will er den politischen, d.h. den kontingenten Charakter dieser komplexen Operationalität herausarbeiten, um die disziplinierende Funktion öffentlicher Diskurse aufzeigen und, darauf aufbauend, fragen, welchen Beitrag eine solche Diskursanalyse für die Frage nach dem 'reformimpulsiven' Charakter des 'Bologna-Prozesses' leisten kann." (Autorenreferat)
Der Beitrag widmet sich Wilhelm Hennis' Auseinandersetzung mit der Hochschulpolitik vor dem Hintergrund der Reformen 60er- und 70er-Jahre und analysiert in diesem Zusammenhang den Bologna-Prozess. Zunächst erfolgt ein Blick zurück auf die Anfänge gesamtstaatlicher Bildungsplanung in Deutschland. Ausgehend von den Thesen des Theologen Georg Pichts, die dieser 1964 in einer Artikelserie unter der Überschrift "Die deutsche Bildungskatastrophe" veröffentlichte, beschreibt der Beitrag die hochschulpolitischen Diskurse in der Zeit von Umbruch und Reform der 1968er-Bewegung. Hier wendet sich der Beitrag Wilhelm Hennis' Kritik an den Reformvorschlägen sowie seinen hochschulpolitischen Positionen und seinem Universitäts- und Bildungsbegriff zu. Im Anschluss daran gibt der Beitrag einen Überblick über den Bologna-Prozess und beschreibt die Akkreditierung der Studiengänge. Die kritische Diskussion wird anschließend von der Frage geleitet, ob das Akkreditierungssystem verfassungskonform ist. Abschließend werden die Konsequenzen aus diesem Prozess erörtert und die Parallelen zu den 1970er Jahren aufgezeigt, auf die sich wiederum Hennis' Kritik anwenden ließe. (ICB2).