Von der "Dame" zur "Frau, die alles kann": die Entwicklung des Frauenleitbildes über vier Jahrzehnte DDR, untersucht am Beispiel der Zeitschrift SIBYLLE
In: Magisterarbeit
Aus der Einleitung: Das Zeitschriftenangebot in Kiosken und Buchläden ist heute nur noch schwer überschaubar. Nahezu täglich kommen neue Titel hinzu, andere hingegen werden eingestellt und machen den Platz frei für Neues. Das Segment der Frauenzeitschriften sticht durch seine Vielzahl an Publikationen hervor: Etwa 50 Hefte wollen ihre Leserinnen über die effektivsten Diäten, die besten Kochrezepte, die neueste Mode, über Liebe, Lust und Luxus, Kosmetik, Wohnen und Reisen, aber auch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft informieren. Das Angebot befriedigt sowohl die Interessen der popkulturell interessierten Feministin als auch die der koch- und rätselinteressierten Hausfrau. Blickt man 20 Jahre zurück, auf die Liste des Postzeitungsvertriebs (PVZ) der DDR, so fand sich dort ebenfalls eine große Auswahl an Zeitschriften und Zeitungen. Nur eins suchte man vergeblich: die Frauenzeitschriften. In einem Staat, der für sich beanspruchte, die Gleichberechtigung der Frau verwirklicht zu haben, betrachtete man es als überflüssig nach Geschlechtern getrennte Publikationen zu produzieren. Trotzdem erschienen Zeitschriften, die sich thematisch an eine weibliche Leserschaft richteten. Dazu zählte auch die SIBYLLE, die darüber hinaus aber noch den Anspruch stellte, ein 'Kulturjournal im umfassenden Sinne' zu sein, in dem 'Kunst und Literatur […] ihren gleichberechtigten Platz neben der dominierenden Mode' hatten. Da Medien eine zentrale Rolle bei der Hervorbringung von Selbstbildern einnehmen, indem sie Sinn- und Deutungsmuster vervielfältigen und als Vermittler der jeweils gültigen Werte und Normen fungieren, macht dies Zeitschriften zu interessanten Forschungsobjekten. Die Reglementierungen des DDR-Mediensystem ließen eine freie Presse im bürgerlich-liberalen Sinne nicht zu. Vielmehr wurde die Presse instrumentalisiert und als 'schärfste Waffe' der Partei betrachtet. Diese Voraussetzungen lassen erwarten, dass sich politische Vorgaben in Presseerzeugnissen niederschlugen und deren Inhalt beeinflussten. Zeitschriften eigenen sich für die Untersuchung von politischen Richtlinien und deren Umsetzung, da sie in ihrer Gesamtheit die ganze Gesellschaft wiederspiegeln und 'damit sowohl den von Sektor zu Sektor, von Phase zu Phase ganz unterschiedlichen Grad ihrer 'Durchherrschung' als auch die Eigensinnigkeiten, 'Abweichungen' und Widerstände'. Die SIBYLLE qualifiziert sich insbesondere auch durch den umfangreichen Platz, den sie der Mode einräumte, für eine Analyse, da an Mode, als Ausdrucksmittel der jeweiligen Zeit, vieles ablesbar ist: 'Der Stil einer Kulturepoche, der Stand der Technik, die soziale Stellung der Frau in der Gesellschaft'. Die Frage nach der Reichweite der Diktatur, inwieweit die vorgegebenen Ideale und abgebildeten und ausformulierten Leitbilder Einfluss auf den Alltag und die Lebensweise der DDR-Bürger hatte, kann und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht beantwortet werden. Ein Überblick über die aktuelle Forschung soll jedoch gegeben werden, um den Spielraum der SIBYLLE-Redakteure zu verdeutlichen. Die ausführliche Diskussion der Reichweite der Diktatur kumuliert in dem Versuch einer Definition des Herrschaftssystems der DDR: SABROW weist das Konzept einer 'durchherrschten Gesellschaft', in der die Grenze zwischen privat und öffentlich vollständig aufgehoben wurde und kaum Raum für selbstbestimmte Lebensentwürfe blieb, zurück. Er spricht stattdessen von einer Partizipationsdiktatur, die sich über die massenhafte Einbindung der Bürger entfaltete und in der die vermeintlich totalitäre Durchdringung der Gesellschaft tatsächlich ein täglicher Aushandlungsprozess war. Die DDR-Bürger reagierten demnach nicht nur passiv auf Anweisungen von 'oben', sondern interpretierten und füllten die Direktiven durch eigene Aneignungen mit Sinn, um sie anschließend in soziale Praxis zu übersetzen. KOCKA benutzt den Begriff der modernen Diktatur, um den DDR-Staat zu qualifizieren, wobei 'Moderne' einen bürokratisch durchorganisierten Verwaltungsapparat, eine monokratische Parteiherrschaft als Führungsmittel, Hochindustrialisierung, Moderne im Geschlechterverhältnis und bei Repressionsmethoden kennzeichnet. Moderne Diktaturen heben die Trennung der Sphären von Individuum, Familie, Gesellschaft und Staat auf und führen im Ergebnis zu einer Verstaatlichung der Gesellschaft unter Preisgabe des Individuums. Bei JARAUSCH findet sich der Begriff der Fürsorgediktatur, in welcher die politisch-ideologisch motivierte Fürsorge der Herrschenden für die Bevölkerung Bevormundungen und oktroyierte Dienstleistungen beinhaltete. Das Gebiet des DDR-Mediensystems erwies sich als gut erforscht. Der Diskurs bezüglich der Beherrschung der öffentlichen und veröffentlichten Meinung verläuft relativ einheitlich und konstatiert einen straff organisierten, effektiv arbeitenden Kontroll- und Lenkungsapparat. Über das Verhältnis von politischem Auftrag und Freiräumen, von Zensur und Selbstzensur herrscht kein Konsens in Forscherkreisen. Der auf diesem Gebiet omnipräsente HOLZWEIßIG stellt jedoch immer wieder heraus, dass es keinerlei Freiräume für Journalisten gab. Was als Spielraum empfunden wurde sei vielmehr von der Parteiführung aus taktischen Gründen gewollt und/oder geduldet worden. Auf der Ebene der DDR-Medien, insbesondere der der Zeitschriften, ist die bisherige Forschung sehr überschaubar. Bis auf das Überblickswerk von BARCK/LANGERMANN/LOKATIS lassen sich nur wenige Ergebnisse auf diesem Gebiet finden. Zeitschriften sind eine bis dato stark vernachlässigte Quellengruppe. Für diesen Umstand lassen sich mehrere Ursachen ausmachen: 1.) richtete sich die DDR-Medienforschung und -auswertung primär auf die Tagespresse, so dass 2.) nur wenige Zeitschriften kontinuierlich in Bibliothekssammlungen aufgenommen wurden und dadurch der Forschung zur Verfügung standen. 3.) wurden Zeitschriften in der BRD vorwiegend als Quelle für Fragestellungen und nicht als eigentlicher Forschungsgegenstand herangezogen. Zudem richtete sich 4.) Forschung einseitig auf Parteipublikationen und vordergründig politische Inhalte und vernachlässigte populäre (Massen)Blätter. 5.) überstanden nur wenige Zeitschriften wirtschaftlich die Wendezeit, so dass mit ihrer Einstellung oftmals auch das gesamte Redaktionsarchiv vernichtet wurde und sich heute nur noch schwer vollständige Sammlungen, offizieller Schriftverkehr, Vermerke und Notizen finden lassen. Das Gebiet der 'Frauenzeitschriften' in der DDR stellte sich als wenig erforscht dar, lediglich DANIELA SCHEEL, SABINE SCHMIDT und SABINE TONSCHEIDT publizierten umfassender zu diesem Thema. Im Verlauf der Arbeit war die Beschaffung der Quellen, der SIBYLLE-Ausgaben, eine Herausforderung, da neben der Berliner Zentral- und Landesbibliothek nur noch die Universitätsbibliothek in Leipzig einen kompletten Bestand der Ausgaben von 1956-1995 aufweist. Des weiteren waren die Exemplare in Berlin nur vor Ort einsehbar, eine Ausleihe und auch das Anfertigen von Kopien war nicht gestattet, so dass die Sichtung und Bearbeitung des Untersuchungsmaterials immer in konzentrierten Blöcken erfolgen musste und bei der Bild- und Textanalyse nicht im Original vorlag. Ebenso schwierig und nahezu ergebnislos war die Recherche nach Sekundärliteratur zur SIBYLLE, die bisher kaum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung war. 2001 wurde eine Magisterarbeit über die Geschichte der SIBYLLE in Form eines Dokumentarfilmes von Julie Schrader angefertigt, jedoch blieben die Bemühungen, mit der Autorin oder dem Verleih in Kontakt zu treten ohne Erfolg. Als sehr hilfreich erwies sich ein von der ehemaligen SIBYLLE-Redakteurin DOROTHEA MELIS herausgegebene Bild- und Sammelband über die Modefotografie in der SIBYLLE. Im Gegensatz dazu ist das Gebiet der DDR-Frauenforschung sehr gut erschlossen. Die gesichtete Literatur zum Thema gibt relativ einheitliche Einschätzungen und Bewertungen zur Rolle und Stellung der Frau in der DDR. Insbesondere GISELA HELWIG und HILDEGARD MARIA NICKEL haben mit ihrem Werk eine solide Basis für die weitere Forschung gelegt. Die Themenwahl der Arbeit begründet sich unter anderem auch in der Lektüre des Buches von HELWIG/NICKEL im Rahmen der Vorbereitungen auf die mündliche Magisterprüfung der Autorin. Des weiteren war die Zeitschrift SIBYLLE bereits bekannt, da Mitglieder der Familie noch Exemplare aus DDR-Zeiten aufbewahrt hatten. Noch bevor die Idee zu dieser Arbeit entstand, wurden bereits einige wenige Ausgaben mit großem Interesse gelesen, so dass die SIBYLLE als Untersuchungsobjekt für diese Magisterarbeit naheliegend war und letztlich auch gewählt wurde. Die Untersuchung der Kommunikationsinhalte der Zeitschrift SIBYLLE soll die Entwicklung des Frauenleitbildes über vier Jahrzehnte rekonstruieren und mit den offiziellen Richtlinien vergleichen. Insbesondere Widersprüche und Gegenbilder sollen auf dem Weg von der 'Dame' der 1950er Jahre zur 'Frau, die alles kann' der 1980er Jahre gesucht und, wenn vorhanden, in den kultur- und sozialpolitischen Kontext eingeordnet werden. Durch die Betrachtung des visuellen Diskurses, der durch die Mode im Medium Fotografie vermittelt wird, sowie die Untersuchung des sprachlichen Diskurses über die 'sozialistische Frau' soll der Wandel des Frauenleitbildes untersucht werden. Beide Diskursstränge sind für das Konzept einer Frauenzeitschrift essentiell, um die intendierte politisch-erzieherische Wirkung entfalten zu können. Visuell und sprachlich informieren sie Frauen wie eine dem Leitbild entsprechende sozialistische Frauenpersönlichkeit zu sein habe. In ihrer Funktion, die Welt sowohl über das fotografische Bild als auch sprachlich über Texte interpretierend zu deuten und zu strukturieren, reproduzieren sie die Einstellungskomplexe ihrer Macher. Das Ziel dieser Arbeit, die Entwicklung des Frauenleitbildes über vier Jahrzehnte DDR aufzuzeigen, soll mit Hilfe der methodischen Instrumente der Inhalts- und Fotoanalyse erreicht werden. Es wird zu untersuchen sein, ob die im redaktionellen Teil entworfenen Leitbilder mit den inszenierten der Modefotografie übereinstimmen oder ob sich hier widersprüchliche Aussagen finden lassen. Im Blickfeld soll dabei immer die Relation zum politischen gewollten Leitbild bleiben. Um das Forschungsziel zu erreichen gliedert sich diese Arbeit in einen theoretischen und einen forschungspraktischen Abschnitt. Im Anschluss an die Einleitung wird das System und die Funktionen der Massenmedien in der DDR erläutert (2.). Dazu wird mit Rückgriff auf Lenins Pressetheorie (2.1) und die Grundprinzipien des sozialistischen Journalismus (2.2) das Fundament beschrieben, auf dem die öffentliche Meinung der DDR basierte. Anschließend werden die Kontroll- und Lenkungsmechanismen (2.3), mit denen die Partei ihr Meinungsmonopol sicherstellte, vorgestellt. Dabei werden zum Einem die juristischen Bestimmungen (2.3.1), zum Anderen die institutionalisierten Kontrollmechanismen (2.3.1) der DDR beschrieben. In diesem Teil orientiert sich die Arbeit vor allen an HOLZWEIßIG, sowie an PÜRER/RAABE. Abgeschlossen wird das Kapitel der Massenmedien mit der Darstellung der staatlichen Zeitschriftenpolitik (2.4.1), der den Zeitschriften zugeschriebenen Funktionen (2.4.2), sowie einem Überblick über die Entwicklung der 'Frauenzeitschriften' in der DDR (2.4.3). Der daran anschließende Abschnitt thematisiert die Frau in der DDR: Einer Darstellung der juristischen Bestimmungen, die die Gleichstellung von Mann und Frau festschrieben (3.1) folgt eine Übersicht der sozialpolitische Maßnahmen zur Frauenförderung (3.2). Anschließend werden Bildung (3.3), Beruf und Einkommen (3.4), sowie die Stellung der Frau in Politik und Gesellschaft der DDR (3.5) beschrieben. Das Frauenleitbild, welches entlang der vorangegangenen Punkte entwickelt wurde, wird abschließend (3.6) für die vier Jahrzehnte der DDR jeweils erläutert. Auf Basis des theoretischen Fundaments aus den beiden ersten Abschnitten der Arbeit erfolgt die forschungspraktische Umsetzung im 4. Kapitel. Dazu wird zunächst das inhaltsanalytische Instrumentarium für die Untersuchung ausgewählt (4.1), sowie ein Profil des Untersuchungsgegenstandes SIBYLLE angefertigt (4.2). Anschließend wird anhand der Fotoanalyse (4.3) und der Inhaltsanalyse (4.4) der einzelnen Jahrzehnte die Entwicklung des Frauenleitbildes aufgezeigt. Bilanz wird im fünften Kapitel gezogen. Darin wird die theoretische und methodische Arbeit bewertet, sowie Probleme und Fragen diskutiert, die während der Untersuchung entstanden sind. Im Anhang I findet sich eine Übersicht über die Presseerzeugnisse der DDR, eine tabellarische Auflistung der Redaktionsmitglieder der SIBYLLE für die einzelnen Untersuchungszeiträume bildet den Anhang II. Eine Auswahl von Bildern, die Gegenstand der Fotoanalyse waren und zum Verständnis der Untersuchungsergebnisse beitragen soll, bildet Anhang III. In Anhang IV findet sich eine grafische Aufbereitung der Ergebnisse der quantitativen Inhaltsanalyse.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Abkürzungsverzeichnisv 1.Einleitung1 2.Massenmedien in der DDR7 2.1Pressetheorie8 2.2Grundprinzipien des sozialistischen Journalismus11 2.3Lenkung und Kontrolle13 2.3.1Rechtslage in der DDR13 2.3.2Institutionalisiertes Kontroll- und Lenkungssystem15 Exkurs: Das Ministerium für Staatssicherheit und die Medien18 2.4Zeitschriften in der DDR19 2.4.1Grundlagen staatlicher Zeitschriftenpolitik20 2.4.2Funktion und Gegenstand von Zeitschriften22 2.4.3Entwicklung der Frauenzeitschrift in der DDR23 3.Stellung der Frau in der DDR24 3.1Rechtliche Gleichstellung der Frau26 3.2Familien- und Frauenpolitik28 3.3Bildung31 3.4Berufs- und Einkommensstruktur33 3.5Politik und Gesellschaft35 3.6Frauenleitbild38 4.Zeitschriftenbetrachtung41 4.1Anlage der Untersuchung42 4.2Profil SIBYLLE44 Leserprofil52 4.3Fotoanalyse53 4.3.1Die Fünfziger: Fein gepflegte Dame, nette und adrette Hausfrau56 4.3.2Die Sechziger: 'Bloß keine Hausfrauen-Pose'60 4.3.3Die Siebziger: Stilpluralismus mit Gefühl63 4.3.4Die Achtziger: Alles ist (un)möglich65 4.4Inhaltsanalyse68 4.4.1Frauenbild 1956 bis 195871 4.4.2Frauenbild 1966 bis 196779 4.4.3Frauenbild 1976 bis 197784 4.4.4Frauenbild 1986 bis 198789 5.Schlussbetrachtung95 6.Anhang98 Anhang I: Übersicht Presseerzeugnisse der DDR98 Anhang II: Redaktionsmitglieder SIBYLLE99 Anhang III: Bilder SIBYLLE101 Anhang IV: Themenprofil SIBYLLE136 7.Literaturverzeichnis138 7.1Primärliteratur138 7.2Sekundärliteratur138 Gesetzestexte138 Bibliographien, Handbücher, Nachschlagewerke138 Monographien, Sammelwerke138 Beiträge in Zeitschriften, Zeitungen und Sammelwerken140 Internetdokumente144Textprobe:Textprobe: Kapitel 4.3.1, Die Fünfziger: Fein gepflegte Dame, nette und adrette Hausfrau: Mode kann nicht kulturunabhängig gedacht und entworfen werden. Der Grundsatz galt auch in der DDR. Seit den Anfängen der sozialistischen Bewegung gab es Bestreben, den Luxus und den Wechsel der Moden zu beseitigen, um statt dessen eine bedarfsgerechte und mit hohem Gebrauchswert ausgestatte Kleiderproduktion zu etablieren. Die Debatten um das Modeverständnis gewannen Ende der 1950er Jahre im Zuge der Entstalinisierung und der damit einhergehenden kulturpolitischen Diskussionen neue Konturen. Die Arbeiter sollten als 'werktätige Intelligenz', als 'herrschende Klasse' das modebestimmende Milieu bilden. Die Mode, welche in den Ausgaben des ersten Untersuchungszeitraumes fotografisch inszeniert wurde, lässt sich als biedere Hausfrauenmode aus der Vorkriegszeit beschreiben. Diese eher reaktionären denn innovativen Tendenzen verwirren anfänglich, da sie dem Bild von der neuen sozialistischen Frau diametral gegenüber stehen. MÜHLBERG sieht darin den Versuch der Wiederherstellung der Normalität durch ein gestriges Erscheinungsbild Ausdruck zu verleihen. War die 'sozialistische Frauenpersönlichkeit' in den Anfangsjahren der Republik vor allem 'tüchtig', verschob sich der Akzent ab Mitte der 1950er Jahre zur vordergründig 'schönen' Frau. BUDDE macht dafür zwei Faktoren aus. Zum einen blieb der Bedarf an Arbeitskräften auf einem konstant hohen Niveau. Der Anteil der berufstätigen Frauen stagnierte jedoch bei rund 50 Prozent. Zum anderen bestand das Interesse, körperliche Arbeit mit Insignien der Weiblichkeit zu versehen, um so dem Schreckensbild der 'ostdeutschen Mannweiber' entgegen zu wirken. So mahnte eine Freie Deutsche Jugend (FDJ)-Funktionärin: 'Wir müssen uns immer bemühen, nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich gepflegt und ordentlich aufzutreten und vor allem Mädchen zu bleiben'. Anstelle der überzogenen Bemühungen der Anfangsjahre, die Frauen als resolute und robuste Kameradin an der Seite des Mannes kräftig zupackend zu zeigen und dadurch die gleichberechtigte Stellung der Frau in der sozialistischen Gesellschaft zu visualisieren, trat die Forderungen nach mehr Weiblichkeit. In der Enzyklopädie 'Die Frau' wird der hohe Erwartungsdruck deutlich: 'Die Frau unserer Zeit hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, gut und gepflegt auszusehen. Sie präsentiert mit ihrer Erscheinung den Staat, dessen Bürgerin sie ist. Neben der Forderung an die Frau, sich deshalb allseitig zu bilden und am öffentlichen Leben gleichberechtigt mit dem Mann teilzunehmen, muß auch verlangt werden, daß ihr Äußeres dieser neuen gesellschaftlichen Stellung in jeder Weise entspricht. Dazu gehört in erster Linie neben Formen des Auftretens und gutgewählter Kleidung eine gründliche und regelmäßige Körperpflege. Sie ist kein Luxus.' SIBYLLE entsprach diesen Forderungen nur unzureichend in ihren Anfangsjahren. Geschmacksbildend und weltgewandt wollte man sich präsentieren, steif und unnatürlich, seltsam antiquiert und bieder wurde das Ziel inszeniert. Vorgeführt wurden Abend- und Cocktailkleider, Hüte, Taschen und andere Accessoires. Alltagsmode und praktische Kleidung fanden sich kaum. Die Versuche, 'geschmackvolle Mode für unsere werktätigen Frauen' zu zeigen, manifestierten sich in Roben, plissierten Röcken und Cocktail-Kleidern, die im Widerspruch zum erklärten Modeverständnis standen. Hosen und Hosenanzüge werden kaum gezeigt, da sie noch eindeutig der männlichen Kleidung zugeordnet wurden. Lediglich im geschützten Raum der Privatsphäre oder in der Freizeit waren es auch weibliche Kleidungsstücke. In der Ausgabe 1/1956 finden sich zwar auch Tageskleider, die '[f]ür das Büro genau das Richtige' sind, im Fokus steht jedoch nicht ihre Praktikabilität, sondern das Potential, mit ihnen 'einen wohlwollenden Blick Ihrer Kollegen empfangen' zu können. Die Modelle erscheinen dazu keineswegs als selbstsichere Frauen, vielmehr erzeugen das Lächeln, das Festhalten an Einrichtungsgegenständen und die Vermeidung des direkten Blickkontaktes mit der Kamera den Eindruck von Unsicherheit und lassen die Frauen in den Bildern als Fremdkörper wirken. Auch in anderen Ausgaben wird zweckmäßige Kleidung für die berufstätige Frau thematisiert, jedoch meist nur am Rande und mit Fokus auf dem praktischen Nutzen, zum Beispiel bezüglich der Reinigung. So heißt es in 3/1957: 'Kein noch so zweckmäßiges und schickes Kleid kann den Anforderungen einer berufstätigen Frau so sehr entgegenkommen, wie die Zusammenstellung von Rock und Bluse. [E]r [der Rock; AR] ist auch leichter zu reinigen und zu bügeln als ein ganzes Kleid'. Exemplarisch ist hier festzustellen, dass Kleidung für Frauen primär einfach zu pflegen sein musste. Das ist ein Hinweis auf die Belastungen, denen die (berufstätigen) DDR-Frauen gegenüber standen: Die pflegeleichten, neuen, synthetischen Stoffe sollten dazu beitragen, die Frau von den Mühen der zeitintensiven und erst ansatzweise technisierten Hausarbeit zu entlasten. Desweiteren fällt auf, dass Hausfrauen-Mode auch in einem häuslichen Kontext respektive mit Accessoires aus dem Haushalt inszeniert wird. Die Garderobe für 'die […] moderne berufstätige Frau' hingegen wird nicht kontextualisiert, sondern auf der Wiese und im schmucklosen, steril wirkenden Studio inszeniert. Erst 1958 finden sich Aufnahmen, die in einer adäquat erscheinenden Umgebung aufgenommen wurden. Eine Fotoserie zeigt in der Ausgabe 1/1958 Modestücke, die 'die Wünsche, die eine moderne berufstätige Frau an ihre Garderobe stellt', erfüllt. Abgelichtet wurden die Modelle auf der Straße, auf ihrem Weg zur Arbeit. In derselben Ausgabe findet sich auch ein Bericht, warum die richtige Kleidung wichtig für den beruflichen Erfolg ist. Vorgestellt werden sieben Frauen, fotografiert in ihrem beruflichen Umfeld. Neben dem Beruf fehlen persönliche Angaben, bedient werden hier vorrangig Klischees: Die junge Mathematiklehrerin weiß sich vor 50 Schülern Respekt zu verschaffen - das Foto zeigt sie aber milde lächelnd, fast ein wenig schüchtern in die Klasse blickend. Die Juristin ist besorgt, sich zu 'konventionell und 'angsterregend' zu kleiden'. Das vorgestellte Kostüm verleiht ihr eine 'seriöse, doch nicht unweibliche Note'. Die Sekretärin, das 'Fräulein', kleidet sich hingegen lieber jugendlich und sportlich, die Redakteurin 'liebt eine unaufdringliche Bürokleidung […] die nicht alt macht'. Auch die zukünftige Objektleiterin der SIBYLLE-Boutique wird in damenhaft und zurückhaltend wirkender, die Figur streckender Kleidung gezeigt. Allen Abbildungen gemeinsam ist, dass die Frauen sich an etwas festhalten, abstützen oder anlehnen, den direkten Blick in die Kamera vermeiden oder, wie im Falle der Modeschöpferin, durch den Blick in die entgegengesetzte Richtung, bezuglos zu ihrer Arbeit wirken. Diese Art der Inszenierung findet sich wiederholt. Auffällig in den ersten Ausgaben ist zudem die Sprache, mit der die Modeaufnahmen kommentiert wurden: Es dominiert der Diminutiv. Zu sehen gab es 'Kostümchen', 'Blüschen', 'Hütchen', 'Jäckchen', 'Gürtelchen', 'Kleidchen', 'Schleifchen', 'Käppchen', 'Röckchen', 'Schürzchen', 'Kittelchen' mit 'Ärmelchen', 'Fältchen', 'Pünktchen' und 'Knöpfchen'. Wiederholend wird die Kleidung mit Adjektiven wie 'elegant', 'weiblich/feminin/fraulich', 'sportlich', 'damenhaft', 'apart', 'leger', 'adrett', 'jugendlich/jung', 'liebenswert', 'flott', 'duftig', 'gefällig', 'salopp', 'charmant', 'anspruchsvoll', 'klassisch', 'modisch', 'kess', 'anmutig', 'sachlich', 'tragbar', 'kokett', 'fesch' und 'entzückend' beschrieben. Männermode hingegen besteht aus 'Hemden' und 'Hüte', 'Jacken' und 'Mäntel'. Auch wird hier viel sparsamer mit Attribuierungen umgegangen: Der Herr ist 'jung' und 'seriös'. Der Hausfrau wird explizit Aufmerksamkeit gewidmet. So lässt sich anhand der Schürzen sagen, 'daß sich der Typ unserer Hausfrau verändert hat', denn auch bei der Hausarbeit zählen 'jugendliches und frisches Aussehen'. Der Hausanzug kommt praktischerweise mit einer kleinen Schürze und ist daneben auch noch hübsch anzusehen. Für die Ausgaben des ersten Untersuchungszeitraums lässt sich bezüglich des visuellen Diskurses zur Deutung der Weiblichkeit feststellen: Durch den Rückgriff auf Weiblichkeitsklischees wird der gesellschaftliche Prozess der Restabilisierung der Normalität unterstützt. Für das Erscheinungsbild der Frau bedeutete dies, dass es harmonisch, unauffällig und einen angenehmen Eindruck hinterlassen sollte. Die traditionelle Deutung von Weiblichkeit wird auch durch die Betonung der Geschlechterdifferenzen determiniert. Wie bereits ausgeführt, unterscheiden sich die sprachlich verwandten Mittel stark. Dem folgt auch die bildhafte Umsetzung: Männermode ist eckig, kantig und betont rational, Frauenkleidung akzentuiert die Taille und hinterlässt dadurch einen grazilen, weiblichen Gesamteindruck. Dieser wird, vor allem in den ersten Ausgaben, durch die geziert-gerundete Körperhaltung unterstützt. Viele Posen erinnern, zum Beispiel durch das Anwinkeln der Arme, an das klassische Ballett. Erst in den letzten Ausgaben dieses Untersuchungszeitraums erscheinen Fotostrecken, auf denen die Modelle nicht mehr steif und eingefroren, sondern offen und natürlich wirken. Auch der breitbeinige Stand findet sich vereinzelt, jedoch wird der Eindruck von Eckigkeit durch abgewinkelte Füße, abgeknickte Hüften und Arme wieder abgemildert. Bevorzugt wird Kleidung für die berufstätige Frau so inszeniert. Auf diese Art wird versucht, berufliche Kompetenz mit weiblicher Anmut zu kombinieren und somit den Ängsten vor einer Vermännlichung der berufstätigen Frau entgegenzutreten.