Die Wirkung des Sports bei der Integration von Migrant(inn)en im Spannungsfeld von Minderheitenbildung und Assimilation
In: Diplomarbeit
Aus der Einleitung: Kontroverse Debatten um Integrationsfragen sind dauerpräsent in den deutschen Medien: Ehrenmorde, Zwangsehen, Hilferufe von Lehrern aus ethnischen Kolonien in Berlin, oder Ausschreitungen in den Pariser Vorstädten lieferten hier medienwirksame Anlässe. Integration ist ein gesellschaftspolitisches Thema, das immer dann in den Fokus der Öffentlichkeit rückt, wenn Defizite in der Eingliederungspolitik sichtbar werden. Die Diskussionen sind dabei häufig von Gemeinplätzen begleitet. Je nach Einschätzung der Integrationssituation werden Parallelgesellschaften angeprangert oder Multi-Kulti-Utopien beschworen. Als Reaktion auf die angespannte Lage zwischen ethnischen Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft, berufen sich Politiker gerne auf den Sport. Die Welt des Sports ist eine bunte. In den Nationalmannschaften Deutschlands sind Sportler jeglicher Hautfarbe vertreten. Fußballnationalspieler, mit Namen, wie Asamoah, Klose und Odonkor sind gefeierte Stars. Der Sport ist ein positiv besetzter Lebensbereich und verleitet Funktionäre und Politiker auf der Jagd nach Wählerstimmen dazu ihn als das ideale Integrationsmedium anzupreisen: 'Sport ist nicht Mittel zur Integration, Sport ist Integration.' Dieses Zitat von DOSB-Präsident Thomas Bach ist nur eines von zahlreichen Beispielen. Insbesondere dem organisierten Sport werden dabei positive soziale Funktionen zugeschrieben. Den wissenschaftlichen Beleg bleiben die Betroffenen schuldig. Was also kann der Sport tatsächlich leisten? Wo liegt, jenseits leerer Floskeln, sein Potential und wo birgt er Risiken? Die Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer erklärt: 'Sport ist einer der wichtigsten Integrationsmotoren in unserem Land.' Derartige Statements implizieren einerseits, dass eine hohe Sportbeteiligung der Migranten gegeben sei und anderseits eine quasi automatische Eingliederungsgarantie durch die sportliche Teilnahme gewährleistet würde. Ausgehend von dieser öffentlichen Diskussion stützt sich die nachfolgende Arbeit auf folgende Fragestellungen: In welchem Maße unterscheidet sich die Lebewelt von Migranten, von der Einheimischer? In welcher Zahl und Organisationsform sind Migranten im Vereinsport präsent? Wie wirkt sich die Art der Sportorganisation auf die Integration von Migranten aus? Welche Prozesse sind verantwortlich für ethnisch-kulturelle Konflikte? Wie muss sich der organisierte Sport aufstellen, um sein integratives Potential zu entfalten?Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: INHALTSVERZEICHNIS3 1.EINLEITUNG7 1.1Problemstellung - Zielsetzung7 2.MIGRANTEN IN DEUTSCHLAND8 2.1Der lange Weg in das Einwanderungsland Deutschland9 2.2Migrantensozialisation - Zwischen Aufnahme- und Herkunftsgesellschaft12 2.2.1Familie im Wandel13 2.2.2Identitätsfindung15 3.PARTIZIPATIONSFORMEN VON MIGRANTEN AM ORGANISIERTEN SPORT?17 3.1Gesellschaftliche Partizipation der ethnischen Minderheiten allgemein und im Sport17 3.2Die Integration von Migranten in deutschen Sportvereinen19 3.2.1Das Programm "Integration durch Sport"20 3.2.2Fazit22 3.3Die Integration von Migranten in eigenethnischen Sportvereinen23 3.3.1Entstehung, Funktionen und Dysfunktionen Ethnischer Kolonien23 3.3.2Entstehungsprozesse eigenethnischer (Sport)Vereine25 3.3.3Der eigenethnische Verein: Integrationshindernis oder Mittel zur Binnenintegration?27 3.3.5Fazit33 3.4Migrantinnen - Sportinteressiert doch sportabstinent35 3.4.1Lebenslagen muslimischer Frauen in Deutschland und deren Auswirkungen auf das Sportengagement36 3.4.2Sportengagement bei türkischen Muslima - Ein Drahtseilakt zwischen zwei Welten38 3.4.3Modellprojekte zur Integration von Migrantinnen im und durch den Sport41 3.4.4Fazit43 4.ETHNISCH-KULTURELLE KONFLIKTE IM SPORT44 4.1Ursachen für ethnisch-kulturelle Konflikte im Sport46 4.1.1Das Problem der körperlichen Fremdheit49 5.EXKURS: WANN IST MAN INTEGRIERT?51 5.1Ausgewählte Theorien aus der Migrationsforschung52 5.1.1Die Assimilationstheorie von Milton M. Gordon52 5.1.2Die Assimilationstheorie von Hartmut Esser54 6.MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN DES SPORTS BEI DER INTEGRATION VON MIGRANTEN56 6.1Potentiale und Risiken des Sports als Feld sozialer Integration56 6.2Wie kann der Sport(verein) sein integratives Potential entfalten?57 6.2.1Interkulturelles Lernen in multikulturellen Gesellschaften57 6.2.2Interkulturelles Lernen im Sport59 6.2.3Voraussetzungen für interkulturelles Lernen im Sport61 7.ANGEWANDTE SOZIALFORSCHUNG: DER EIGENETHNISCHE VEREIN: INTEGRATION ODER SEGREGATION?62 7.1Untersuchungsinstrument62 7.2Inhalt der Untersuchung63 7.3Auswahl der Befragten65 7.4Durchführung der Interviews66 7.5Auswertungsmethode66 7.6Interpretative Darstellung der Untersuchungsergebnisse67 7.6.1Erfahrungen der türkischen Befragten im deutschen Fußballverein67 7.6.2Gründe für den Wechsel in den eigenethnischen Verein69 7.6.3Konflikte zwischen deutschen und türkischen Mannschaften75 7.6.4Der Einfluss von Schiedsrichtern, Fußballverband und Sportamt auf die interethnischen Beziehungen77 7.6.5Der türkische Sportverein: Integration vs. Segregation81 7.7Diskussion der Ergebnisse92 8.FAZIT UND AUSBLICK93 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS96 ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS96 BILDNACHWEIS97 LITERATURVERZEICHNIS97 ANHANG106Textprobe:Textprobe: Kapitel 3.4, Migrantinnen – Sportinteressiert doch sportabstinent: Die Zahl der regelmäßig in formellen Gruppen sporttreibenden Mädchen mit Migrationshintergrund ist kaum bezifferbar. KLEINDIENST-CACHAY führt eine Jugendsportstudie des Landes Nordrhein-Westfalens von 1992 an, wonach 35,5% der Mädchen des 3-5 Schuljahres angaben organisiert Sport zu treiben. Davon 45% Deutsche aber nur 13,9 Migrantinnen. Nach Spezifizierung in ethnische Gruppen ergab sich, dass 15,9% Aussiedlerinnen, 22,6% Sonstige Ausländerinnen und lediglich 3,1% türkische Mädchen Mitglied in einem Sportverein waren. BRÖSKAMP gibt an, dass der Anteil türkischer Mädchen und Frauen in den Sportvereinen Westberlins im Jahr 1990 bei 6,7% lag. Eine Untersuchung des deutschen Jugendinstituts aus dem Jahr 2000 kommt nach der Befragung von fünf bis elf jährigen Kindern Nicht-deutscher Herkunft zu dem Ergebnis, dass nur jedes siebte Mädchen sportlich aktiv ist. Neben 52 % der Jungen im Alter von zehn bis elf Jahren, treiben immerhin 21% der Mädchen organisiert Sport. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Sport, trotz des leicht verbesserten Ergebnisses der neueren Untersuchung, in der Freizeitgestaltung der Mädchen mit Migrationshintergrund kaum eine Rolle zu spielen scheint. Dabei gibt es je nach ethnischer Zugehörigkeit starke Differenzen im Sportengagement. Vor allem bei türkischen Mädchen ist eine deutliche Sportabstinenz zu konstatieren. Aus diesem Grunde soll im Folgenden der Schwerpunkt vor allem auf die Integration muslimischer Frauen im und durch den Sport gelegt werden. Die Integration läuft dabei auf verschiedenen Ebenen ab. Nicht nur die bloße Teilnahme am organisierten Sport ist bedeutsam. Es sollten darüber hinaus Prozesse angestoßen werden, die es den Migrantinnen ermöglichen einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Hier können interethnische Sozialkontakte das wechselseitige Verständnis der Sportler füreinander verbessern und die Sprachkompetenzen der Frauen mit Migrationshintergrund stärken. Über das Engagement im Sport sollten sich ferner neue Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten ergeben. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Enstigmatisierung und soziale Anerkennung, die über den Sport erfahren werden kann. Dabei darf die Rolle des Sports allerdings nicht überschätzt werden. KLEINDIENST-CACHAY warnt davor, die Integration muslimischer Frauen im Sinne von Assimilation, also der Anpassung an westliche Werte, zu messen und die türkische Kultur als einheitlich zu typisieren. Im Gegenteil sei die Gruppe der türkischen Migrantinnen sehr heterogen und müsse deshalb auch unterschiedlich beforscht werden. Wichtige Faktoren sei hierbei unter anderem der Grad ihrer Verpflichtung zu traditionell muslimischen Verhaltensweisen oder der Grad der Ablösung davon. Im Gegensatz zur Assimilation sollte Integration im Sinne einer Teilhabe an der Aufnahmegesellschaft und der eigenethnischen Community verstanden werden, so dass die Migrantinnen soziale Anerkennung von beiden Teilgesellschaften erlangen. Auf die Schwierigkeit ein solches Gleichgewicht zwischen der eigenen ethnischen Community und der Kultur der Mehrheitsgesellschaft zu erlangen, soll im Kapitel 3.4.3 eingegangen werden. Kapitel 3.4.1, Lebenslagen muslimischer Frauen in Deutschland und deren Auswirkungen auf das Sportengagement: Die Lebenslagen muslimischer Frauen in Deutschland werden von verschiedenen Faktoren wie der Dauer des Aufenthaltes und der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Einwanderergeneration beeinflusst. Neben der Nationalität, der Intensität der Religionsausübung sowie dem Festhalten an religiösen und allgemeinen Werten und Normen der Herkunftskultur spielen dabei auch das Bildungsniveau, die Berufstätigkeit sowie die soziale Herkunft der Familie eine wichtige Rolle. Von der muslimischen Frau zu sprechen würde dem Sachverhalt demnach nicht gerecht werden. Gemeinsam verbindet die Frauen lediglich die Herkunft aus einem islamisch-kulturell geprägten Umfeld. Hier stellt sich die Frage inwieweit der Islam sportliche Aktivitäten generell und sportliches Engagement von Frauen im Besonderen beeinflusst. Nach PFISTER gibt der Islam jedoch kein generelles Sportverbot vor. Er schreibt aber Gebote vor, die es auch im Sport einzuhalten gilt. Dazu zählen, das Bedeckungsgebot sowie die Trennung der Geschlechter. Da das Bedeckungsgebot erfordert, dass der ganze Körper der Frau mit Ausnahme der Hände, Füße und des Gesichtes verhüllt sein muss, ist die übliche Sportbekleidung vor allem für Frauen aus traditionellen muslimischen Familien tabu. Die Gebote sind in traditionellen Familien vor dem Hintergrund des Virginitätsgebotes und der davon abhängigen Familienehre besonders zu berücksichtigen. Die Virginität verkörpert gewissermaßen das symbolische Vermögen der Familie. Ein vorehelicher Verlust kann in muslimischen Familien katastrophale Folgen haben. So wird z.B. einigen Mädchen das Fahrradfahren untersagt, aus Angst das Jungfernhäutchen könnte beschädigt werden. Werden die genannten Gebote bzw. Verbote eingehalten, ist Sport, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, grundsätzlich möglich. Wodurch lässt sich also die Sportabstinenz vor allem türkischer Mädchen erklären? Ein Grund scheint die gesellschaftliche Isolation zu sein. Auch Migrantinnen der zweiten und dritten Generationen sind noch immer stark im familiären Kontext eingebunden, was sich unter anderem negativ auf die Sprachentwicklung auswirken kann. Sie sind außerdem zu einem geringeren Grad erwerbstätig. Mädchen aus türkischen Familien mit niedrigem sozialem Status treiben weniger Sport. Gleiches gilt in stärkerem Maße für ein niedriges Bildungsniveau. Nach BECKER werden Mädchen aus sozialen Brennpunkten häufig als Zweitmutter eingesetzt. Sie müssen jüngere Familienmitglieder beaufsichtigen und häusliche Arbeiten verrichten. Dies bedeutet nicht nur ein frühes Erwachsenwerden sondern zum Teil auch die Isolation von öffentlichen Interaktionen. Zudem sind die Mädchen nicht nur im häuslichen Bereich verstärkt der Kontrolle ihrer Eltern ausgesetzt. Der geringe Organisationsgrad im Sport kann durch beidseitig bestehende Informationsdefizite erklärt werden. Auch bestehende Vorurteile bzw. Vorbehalte gegenüber einem Mehraufwand, den die Arbeit mit Migrantinnen mit sich bringen würde spielen hier eine wichtige Rolle. Es scheint sowohl an Organisationsformen als auch an Inhalten zu mangeln, die die Mädchen mit Migrationshintergrund ansprechen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der moderne Sport nach angloamerikanischen Modell nicht in die traditionelle türkische Kultur großer Teile der Bevölkerung passt. Die Mehrheit der türkischen Bevölkerung fühlt sich nicht zu sportlichen Aktivitäten aufgefordert, da sie Sport mit Hochleistungssport gleichsetzt. KLEINDIENST-CACHAY macht deutlich, dass die Sportabstinenz bei den Mädchen mit Migrationshintergrund nicht mit einem mangelnden Interesse am Sporttreiben zu begründen ist. Im Gegenteil wünschten sich viele Mädchen in der Freizeit mehr Sport zu treiben. Vor allem türkische Mädchen würden sich hierfür reine Mädchengruppen wünschen. Fehlende zielgruppenorientierte Sportangebote scheinen hier mitverantwortlich für das geringe Sportengagement zu sein. Daneben mangelt es vielen eigenethnischen Vereinen an Problembewusstsein und Interesse an der sportlichen Betätigung ihrer Frauen. Um trotz der genannten Hürden, den Weg in den Verein zu finden, müssen die Mädchen häufig eine Strategie der sanften Durchsetzung gegenüber ihrer Eltern anwenden. Dies soll im folgenden Kapitel expliziert werden. Kapitel 3.4.2, Sportengagement bei türkischen Muslima – Ein Drahtseilakt zwischen zwei Welten: Ein Grund für die Sportabstinenz von muslimischen Migrantinnen können die innerfamiliären Konflikte sein, die durch eine Teilnahme am organisierten Sport provoziert werden. Denn das Sportengagement der Töchter steht nicht selten den zentralen Prinzipien traditioneller muslimischer Mädchenerziehung, wie in Kapitel 3.4.2 beschrieben, entgegen. Das Ausmaß der Auseinandersetzung ist dabei abhängig davon, inwieweit sich die türkischen Eltern in Deutschland den Normen der muslimischen Mädchenerziehung verpflichtet fühlen. KLEINDIENST-CACHAY hat wettkampfmäßig sporttreibende Migrantinnen aus Gastarbeiterfamilien anhand halbstrukturierter Interviews befragt. Die Studie lässt einen typischen Prozess erkennen, der sich bei allen befragten Sportlerinnen über mehrere Jahre erstreckt und durch viele Konflikte gekennzeichnet ist: Mit Eintritt der ersten Periode stehen die Eltern den Sportwünschen ihrer Töchter abweisend entgegen. Ein Fortführen des sportlichen Engagements ist wenn überhaupt nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Hier spielt die Wahl der Sportart eine entscheidende Rolle. Der weibliche Körper darf nicht aufreizend dargestellt werden, das Verhüllungsgebot muss respektiert werden und die Sportart sollte mit dem türkisch-muslimischen Sportverständnis vereinbar sein. In der Anfangsphase bedarf es oft der Überredungshilfe des großen Bruders oder anderer türkischer Sporttreibende aus dem Bekanntenkreis. Die Töchter müssen Tricks und Ausreden anwenden um sich den Sportzugang zu sichern. BRÖSKAMP beschreibt ähnliche Strategien. Er führt als Beispiel türkische Mädchen an, die ohne das Wissen ihrer Eltern im Rahmen des Schulsports am Schwimmunterricht teilnehmen. Daran sei erkennbar, dass zwischen den Generationen türkischer Migranten nicht selten unterschiedliche Auffassungen darüber herrschten, welche Körperinszenierung akzeptabel sei und welche nicht. Auffällig ist bei allen Mädchen, dass sie den Bruch mit der Familie bewusst vermeiden. Trotz verstärkter Individualisierungswünsche ist die Bindung an die Familie, bedingt durch die Erfahrung von Fremdheit in Deutschland, besonders stark. Eine Trennung von der Familie würde zu Marginalisierung führen und einem sozialen Tod gleichkommen. Aus diesem Grunde versuchen die jungen Migrantinnen einerseits die familialen Forderungen so gut es geht einzuhalten, während sie sich anderseits in vielen Punkten von der Familie ablösen. So müssen sie sich erst durch viel Überzeugungsarbeit, die für den Sport notwendigen Freiräume schaffen. Eine neue Konfliktdimension entsteht, wenn die Sportinteressen, die Lebenspläne der Eltern für ihre Töchter behindern. Insbesondere die sexuelle Selbstbestimmung sowie abweichende Bildungs- und Berufswünsche werden von den Eltern gefürchtet. Das Ringen um mehr Selbstbestimmtheit ist mit ständiger Angst verbunden. Der Sport wird von den Migrantinnen wie eine Gegenwelt zur starken häuslichen Einbindung und den damit verbundenen Einschränkungen erlebt. Der sportliche Erfolg lässt sie die eigene Körperlichkeit positiv erfahren, schafft Selbstbewusstsein und motiviert einige Sportlerinnen zur schulischen oder beruflichen Weiterqualifizierung. So lagen alle von KLEINDIENST-CACHAY befragten Sportlerinnen weit über dem durchschnittlichen Bildungsniveau junger türkischer Frauen in Deutschland. Zum einen lässt sich das auf die, durch den sportlichen Erfolg gesteigerte Leistungsmotivation zurückführen zum anderen scheinen die interethnischen Kontakte zu Sportlerinnen aus höheren Bildungsgängen hier einen Einfluss zu haben. Indem sich die Mädchen trotz Widerstände an das westliche Sportmodell binden, definieren sie das Geschlechterkonzept für sich neu. Sie treten aus der Opferrolle aus, indem sie türkisch-muslimische Traditionen wahren und gleichzeitig erfolgreich Leistungssport in männerdominierten Sportarten treiben. Das führte auch bei den befragten Sportlerinnen zu einer Entspannung der innerfamiliären Konfliktsituation. Die Eltern sind stolz auf den sportlichen und beruflichen Erfolg ihrer Töchter. Der besondere Sozialisationsprozess, den die Töchter durch ihr Sportengagement durchleben hat auch intergenerative Transmissionseffekte. Dies macht sich unter anderem beim Erziehungsstil, im Sportverständnis, im Ernährungs- und Bekleidungsverhalten bis hin zu internalisierten Körperpraxen zwischen Mutter und Tochter bemerkbar. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Leistungssport auf vielfältiger Ebene zur Integration der untersuchten Sportlerinnen beigetragen hat. Indikatoren dafür sind die hohen Bildungsabschlüsse sowie die hohe Zufriedenheit mit dem Leben in Deutschland, sehr gute sprachliche Fähigkeiten, die Übernahme von Funktionen im Sportverein sowie Freizeitkontakte mit Deutschen. Die Studie von KLEINDIENST-CACHAY scheint sich mit den Ergebnissen, der in Kapitel 3.3.3 erwähnten Studie von Day zu decken, wonach insbesondere Leistungssport auf strukturell-assimilativen Ebene wirke. Obwohl die Mädchen sich um die Wahrung türkisch-muslimischer Traditionen bemüht haben, ist ihr Lebensziel auf die Aufnahmegesellschaft konzentriert und löst intergenerative Transmissionsprozesse aus, die auch die Eltern ein Stück weit an die Mehrheitsgesellschaft anbinden. Über diese positiven Sozialisations- und Integrationsprozesse, darf nicht vergessen werden, dass viele muslimische Mädchen dem Druck der ständigen Auseinandersetzung mit den Eltern nicht standhalten, resignieren und sich aus dem Sport zurückziehen. Die von KLEINDIENST-CACHAY befragten Sportlerinnen sind möglicherweise von der Disposition her hoch leistungsmotivierte Frauen, für die der Sport als Katalysator gewirkt hat. Kapitel 3.4.1 hat aufgezeigt, dass viele Migrantinnen den Weg in den organisierten Sport gar nicht erst finden. Wege diese sportabstinente, wenn auch durchaus am Sport interessierte, Gruppe in den Vereinssport einzugliedern, sollen im Folgenden erörtert werden.