Der westdeutsche Film der 1950er Jahre hatte lange Zeit keinen guten Ruf. Schon 1961 stellte ihm Joe Hembus in seinem einflussreichen Buch Der deutsche Film kann gar nicht besser sein ein vernichtendes Zeugnis aus: "Er ist schlecht. Es geht ihm schlecht. Er macht uns schlecht. Er wird schlecht behandelt. Er will auch weiterhin schlecht bleiben." Hembus befand sich damit durchaus im Mainstream der veröffentlichten Meinung – und sein Befund muss jedenfalls im Kontext der frühen 1960er Jahre und konkreter historischer Bezüge gelesen werden: Niedergang bzw. Zusammenbruch der bundesrepublikanischen Filmindustrie, Anfänge seriöser filmjournalistischer Auseinandersetzung im Vor- und Umfeld der Zeitschrift Filmkritik und erste Aufbrüche zu neuen (gesellschaftskritischen) filmischen Formen, die ins Oberhausener Manifest von 1962 mündeten, das von 26 deutschen Filmemachern unterzeichnet wurde und das Ende von "Papas Kino" ausrief: "Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen." Der vorliegende Band, entstanden als Begleitbuch zur gleichnamigen Retrospektive des Filmfestivals Locarno 2016, enthält 33 Texte von 34 AutorInnen (nur sechs davon sind Frauen) und schickt sich an, dieses Bild zurecht zu rücken. Er soll freilich, wie Co-Herausgeber Olaf Möller einleitend anmerkt, mehr sein "als eine bloße filmhistorische Revision", denn: "Die Qualität dieses Schaffens zeigt sich auch darin, dass es immer noch Antworten bereithält." (S. 25) Co-Herausgeberin Claudia Dillmann skizziert den kommerziellen Erfolg des westdeutschen Films der 1950er Jahre und endet mit einer teilweise kryptischen Conclusio: "[Das Kinopublikum] entschied sich millionenfach für Komödien und eine Tragikomödie, für das Lachen und Weinen, seine Stars und Lieblinge. Und bescherte damit dem deutschen Film seinen höchsten Marktanteil seit langem." (S 37) Welche Tragikomödie? Im Zuge ihrer Ehrenrettung führt Dillmann auch vier Oscar-Nominierungen (1956–1959) und vier Golden Globes-Gewinner (zwischen 1955 und 1959) an: diese "widerlegen in ihrer Häufung das Verdikt, der bundesdeutsche Film der 1950er Jahre sei international nicht anerkannt gewesen" (S. 36). Das mag für ein bestimmtes Zeitfenster durchaus zutreffen, allerdings gewann im Berichtszeitraum des Bandes lediglich ein einziger deutscher Film den Hauptpreis an einem der drei wichtigen internationalen Filmfestivals (Berlin, Cannes, Venedig), nämlich Die Ratten von Robert Siodmak (Berlinale 1955). Und schaut man sich filmkulturelle Leitmedien der Jahre 1949–1963 aus England und den USA durch (Sight and Sound, Hollywood Quarterly, Quarterly of Film, Radio, and Television/Film Quarterly), finden sich darin ausführliche Auseinandersetzungen mit dem französischen, italienischen, japanischen, sowjetischen und indischen Film, ebenso Analysen des schwedischen und polnischen Kinos, während der deutsche Film als nationales Filmschaffen praktisch nicht verhandelt wird – und wenn, dann von vereinzelten positiven Filmkritiken abgesehen, bedauernd bis sehr kritisch: "West Germany sent a creaky old operetta" ist etwa David Robinsons einzige Anmerkung in seinem Cannes-Bericht in Sight and Sound (Summer 1958). Nun ist die Neubewertung des westdeutschen Nachkriegskinos so neu nun auch wieder nicht. Bereits 1993 setzte sich Fritz Göttler im Standardwerk Geschichte des deutschen Films dafür ein.[1] Etliche weitere Untersuchungen folgten, genannt seien stellvertretend Johannes von Moltkes No Place Like Home (2005) und die Sammelbände Framing the Fifties (2007) und zuletzt Reflexionen des beschädigten Lebens? (2015). Alle diese Werke, in denen mitunter sehr differenziert und präzise argumentiert wird, bleiben im vorliegenden Band ebenso ausgeblendet wie die scharfsinnigen Analysen von Klaus Kreimeier und Georg Seeßlen im Pionierband Zwischen Gestern und Morgen.[2] Sieht man von dieser, für ein filmhistorisches Buch doch eher skurril anmutenden Ahistorizität ab, bleibt eine Vielzahl von Texten höchst unterschiedlicher Qualität. Manche sind so kurz, dass in ihnen kaum Argumente entwickelt werden (können). In Fritz Taubers "Heimatfilm. Versuch der Systematisierung eines Phänomens" etwa erfährt man auf knapp fünf Seiten absolut nichts Neues – außer dass Sonja Ziemann und Rudolf Prack "in einem guten Dutzend Filmen miteinander" (S. 106) aufgetreten wären. Es waren genau fünf. Dem ungemein produktiven Regisseur Michael Pfleghar wiederum werden gerade einmal vier Seiten gewidmet ("Verführer im System" von Thorsten Krämer). Und Miguel Marias' "Die Transluzenz des deutschen Kinos", in dem Helmut Käutners Ludwig II. (1955) thematisiert wird, vermag seinem anspruchsvollen Titel bedauerlicherweiseauf einer Länge von nur drei Seitennicht gerecht zu werden. Leider haben sich etliche historische und inhaltliche Fehler in den Band eingeschlichen. So wird das Jahr 1937 in den Zweiten Weltkrieg verlegt (S. 111); G. W. Pabsts Es geschah am Juli (1955) basiert nicht auf einer Novelle von Remarque (S. 278); amerikanische Films Noirs gelangten sehr oft nicht "kurz nach dem jeweiligen US-Start auch in bundesdeutsche Kinos" (S. 258); der Journalist und Drehbuchautor Axel Eggebrecht war nicht im britischen Exil (S. 360); und Peter Lorre aufgrund seines kurzen Aufenthalts in der BRD als "Remigranten" zu bezeichnen, erscheint doch einigermaßen gewagt (S. 190). Gleichwohl lassen sich einige Texte in diesem Band durchaus mit Gewinn lesen. Werner Sudendorf analysiert pointiert und präzise den "Gottesdienst der Tränen" (S. 171), also die Tiefen und Untiefen des deutschen Nachkriegsmelodrams. Sein Beitrag endet mit Veit Harlans Unsterbliche Geliebte (1950) und bringt dessen ideologisches, durchaus verallgemeinerbares Projekt auf den Punkt: "Mit dem der Novelle widersprechenden Ende duckte sich (.) Harlan weg von der Konsequenz, die das Melodram fordert. Das hat einen Beigeschmack; als plädierte Harlan hier mit der Konstruktion des gottesfürchtigen Hausfreundes auch in eigener Sache für Vergebung und Versöhnung. Das war Wunschdenken; die Schuld, 'dieses schreckliche Wort', blieb." (S. 187) Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen beleuchten in ihrem Aufsatz "Gestalter nützlicher Bilder" die Arbeit von vier vergessenen Regisseuren im Grenzbereich zwischen Dokumentar- und Spielfilm, insbesondere jene von Rudolf Werner Kipp und Herbert Viktor. Hervé Dumont widmet sich den deutschen Nachkriegsfilmen und der "Heimkehr" des 1933 vertriebenen Regisseurs Robert Siodmak, Norbert Pfaffenbichler ebenso kenntnisreich dem "in vielerlei Hinsicht beeindruckend[en] und singulär[en]" Werk des Avantgardefilmers Franz Schömbs. Stefanie Mathilde Frank schließlich vergleicht in ihrer präzisen kleinteiligen Analyse zwei 1950er-Jahre-Remakes von Komödien mit ihren "Originalen": Das haut hin (1957) mit Peter Alexander mit Der Mann, von dem man spricht (1937); und Der Haustyrann (1959) mit Heinz Erhardt mit Das Ekel (1939). Zwei sehr aufschlussreiche und informative Beiträge nähern sich den Wechselbeziehungen zwischen dem west- und dem ostdeutschen Kino. Ralf Schenk untersucht die (politisch) spannende Geschichte deutsch-deutscher Koproduktionsversuche im Kalten Krieg, Andreas Goldstein jene "knapp zwei Dutzend Filme" der DEFA, "die ganz oder teilweise in der Bundesrepublik spielen" (S. 343). Von besonderem Interesse ist einer der Höhepunkte des vorliegenden Bandes, Rudolf Worschechs "Das Neue im Alten", eine ausgezeichnete, wenn auch leider etwas knappe, Analyse der Kameraarbeit in westdeutschen Produktionen der 1950er Jahre, die im "Nachspüren der Wirklichkeit" (S. 99) eine Qualität ausmacht, die das westdeutsche Kino nur hie und da auf die Leinwand zu bringen vermochte. Fazit: Der Sammelband Geliebt und verdrängt versammelt eine Vielzahl an Beiträgen höchst unterschiedlicher Schreibstile und Qualität. Ob sich das Interesse der HerausgeberInnen am "Ungenauen", wie Olaf Möller es mit Bezug auf Heinrich Böll – der die Bundesrepublik 1960 in seinem Essay "Hierzulande" (1960) als "ungenau" titulierte –, bezeichnet, in der Zusammenschau der Texte tatsächlich manifestiert, bleibe dahingestellt. Sorgfältigere editorische Arbeit hätte der Publikation jedenfalls sicherlich zum Vorteil gereicht. [1] Vgl. Fritz Göttler: "Westdeutscher Nachkriegsfilm". In: Geschichte des deutschen Films. Hg. v. Wolfgang Jacobsen/Anton Kaes/Hans Helmut Prinzler. Stuttgart 1993, S. 171–210. [2] Vgl. Johannes von Moltke: No Place Like Home. Locations of Heimat in German Cinema. Berkeley/Los Angeles/London 2005; Framing the Fifties. Hg. v. John Davidson/Sabine Hake. New York/Oxford 2007; Reflexionen des beschädigten Lebens? Nachkriegskino in Deutschland zwischen 1945 und 1962. Hg. v. Bastian Blachut/Imme Klages/Sebastian Kuhn. München 2015 [Offenlegung: Ich bin in diesem Band mit einem Aufsatz vertreten]; Zwischen Gestern und Morgen. Westdeutscher Nachkriegsfilm 1946 – 1962. Hg. v. Hilmar Hoffmann/Walter Schobert. Frankfurt am Main 1989.
Was bedeutet feministische Filmtheorie heute und wie hat sie sich verändert? In einer Zeit, in der der Begriff 'Feministin'ein Schimpfwort sein kann und bezweifelt wird, dass es des Feminismus überhaupt noch bedarf, haben Laura Mulvey und Anna Backman Rogers mit Feminisms. Diversity, Difference, and Multiplicity einen facettenreichen Sammelband herausgebracht, der die Entwicklungen feministischer Filmtheorie nachzeichnet und gegenwärtige Ansätze vorstellt. Das Buch (samt allgemeiner Bibliographie am Ende) bietet einen guten Einblick in die Vielfalt feministischer Theorien, Gegenstände und Methoden und zeigt, dass sich Feminismus nur in seiner Mehrdeutigkeit verstehen lässt. Vierzig Jahre nach Mulveys bahnbrechendem Aufsatz Visual Pleasure and Narrative Cinema, der 1975 in der Zeitschrift Screen erschien, stellen Filmtheoretiker:innen und Filmemacher:innen in 14 Beiträgen und zwei Interviews feministische Ansätze sowohl zu historischen als auch gegenwärtigen Phänomenen vor. Die Texte sind fünf Themenfeldern zugeordnet: Part I - Bilder des weiblichen Körpers, Part II - Theorien und gegenwärtige Kontexte, Part III - Geschichte und Praxis, Part IV - feministische Fachzeitschriften, Part V) Interviews zum gegenwärtigen Kino. Durch die Lektüre der einzelnen Beiträge wird allerdings deutlich, welch unterschiedliche Bedeutung Feminismus für die jeweiligen Autor:innen hat und dass Feminismus – wie der Titel Feminisms nahelegt – in seiner Pluralität zu denken ist. Pluralität selbst ist ein zentrales Thema feministischer Auseinandersetzungen. Entsprechend spielen Konzepte der Differenz und der Diversität eine wichtige Rolle in den im Buch versammelten Ansätzen. Inwiefern etwa Differenz als produktive Kategorie und keinesfalls als zu tolerierende Tatsache zu denken ist, erklärt Jenny Chamarette mit Blick auf die schwarze[1] US-amerikanische Aktivistin und Schriftstellerin Audre Lorde. In ihrem diskurstheoretischen Beitrag The 'New' Experimentalism? Women In/And/On Film analysiert Chamarette die filmischen Arbeiten der Künstlerinnen Shirin Neshat und Gillian Wearing (S. 135f.). Und dass Gleichberechtigung nicht mit Gleichheit zu verwechseln sei, darauf weist etwa William Brown in seinem ansonsten wenig differenzierten und eher sprunghaftem Aufsatz Destroy Visual Pleasures. Cinema, Attention, and the Digital Female Body (Or, Angelina is a Cyborg) hin (S. 56 f.). Während Brown die Inszenierung von Angelina Jolie mittels eines "kognitiven Ansatzes" auf einen Begriff der "Digitalität" zu beziehen sucht, ordnet Backman Rogers die Serie Girls (2012-2017) in den Diskurs um Postfeminismus ein. Mit Blick auf den Plot argumentiert sie in ihrem Beitrag Lena Dunham's Girls. Can-Do Girls, Feminist Killjoys, and Women Who Make Bad Choices, dass die Serie neoliberale Werte kritisiere. So mache Girls etwa deutlich, dass "Wahlfreiheit" nur einer privilegierten Gruppe zustehe und daher ein Mythos sei (S. 44f.). Die von der Kritik gepriesene Nacktheit Dunhams deutet Backman Rogers als Indiz für die mangelnde Grenzziehung der selbstzerstörerischen Protagonistin (S. 49f.). Sich ebenfalls hauptsächlich auf die Narration beziehend, diskutiert Janet McCabe in ihrem Text Disconnected Heroines, Icy Intelligence. Reframing Feminism(s) and Feminist Identities at the Borders Involving the Isolated Female TV Detective in Scandinavian-Noir die Serien The Killing (2011-2014) und The Bridge (seit 2011) vor dem Hintergrund transnationaler feministischer Kämpfe. Dass 'Emanzipation'jeweils unterschiedliches bedeutet, hat nach McCabe einen wesentlichen Einfluss auf die Charakterisierung der Protagonistinnen. Über den Filmtext hinaus geht Lucy Bolton in ihrer erhellenden Figurenanalyse von Iris (2001). In The Intertextual Stardom of Iris. Winslet, Dench, Murdoch, and Alzheimer's Disease setzt Bolton sich mit Biopics von Schriftstellerinnen und Denkerinnen in Bezug auf Prominenz, Alter und Körper auseinander und erläutert, inwiefern Iris als intertextueller "star text" zu begreifen ist. Mit Imagining Safe Space in Feminist Pornography liefert Ingrid Ryberg einen produktiven Beitrag zum nach wie vor umstrittenen Gegenstand der Pornographie. Auch sie stellt heraus, dass es Aktivist:innen nicht um Konsens gehen könne. Unter feministischer Pornographie versteht sie daher weniger spezielle Inhalte oder eine besondere Ästhetik als vielmehr einen Prozess der Auseinandersetzung innerhalb "interpretive communities" (S. 82). Inwiefern die konkrete Auseinandersetzung mit Film Teil einer kritischen Praxis ist, zeigt auch Sophie Mayer mit ihren zahlreichen Analysebeispielen in Uncommon Sensuality. New Queer Feminist Film/Theory. Anu Koivunen plädiert in ihrem Beitrag The Promise of Touch. Turns to Affect in Feminist Film Theory dafür, dabei die in der Regel ausgeblendete Filmerfahrung der Zuschauerin und die subjektive Bedeutung einzubeziehen. Warum es immer noch gilt, die anglo/eurozentristische Perspektive feministischer Filmtheorien aufzubrechen, legt Geetha Ramanathan mit ihrem originellen Ansatz zur Sounddimension in Filmen wie Daughters of the Dust (1991), The Snake in My Bed (1995) und Illusions (1981) dar. In ihrem Text Sound and Feminist Modernity in Black Women's Film Narratives wendet sie sich gegen den homogenisierenden und separierenden Begriff "black women's film" (S. 111) und arbeitet die zentrale Rolle von Sound für die Teilhabe schwarzer Frauen als moderne Subjekte heraus. Im Gegensatz zu Ramanathan, die sich Kategorisierungen verwehrt, versucht sich Veronica Pravdelli in einer Genrebestimmung des "unabhängige Frauenfilms". Anhand von Filmbeispielen und mit Blick auf die Formation weiblicher Subjektivität zeichnet sie dessen Entwicklung seit den 1980er Jahren in ihrem Beitrag US Independent Women's Cinema, Sundance Girls, and Identity Politics nach. Dabei erläutert sie, inwiefern dafür das Zusammenspiel zwischen Produktionstrends, der Entstehung neuer Filmfestivals, Filmstile und feministische Positionen zu berücksichtigen ist. Leshu Torchin wiederum betont in ihrem Text Conditions of Activism. Feminist Film Activism and the Legacy of the Second Wave die feministische Schlagkraft filmischer Praktiken in Hinsicht auf Aktivismus im Internet, welches trotz der privatisierten Plattformen und Ausbeutung kollaborativer Tätigkeiten Potential für Kritik berge (S. 145). Der letzte theoretische Teil setzt sich mit den feministischen Filmzeitschriften Frauen und Film (gegründet 1974) und Camera Obscura (gegründet 1976) auseinander. Anhand der Geschichte von Frauen und Film zeigt Annette Brauerhoch in "Suddenly, One Summer. Frauen und Film since 1974" auf, wie feministische Theorie, Kritik und Praxis seit jeher untrennbar miteinander verbunden sind und wie wichtig es war und ist, neben der Repräsentationsebene auch die Produktionsbedingungen für Frauen in der Filmindustrie zu berücksichtigen. Zudem unterstreicht sie als Mitherausgeberin der Zeitschrift, dass es in den Artikeln explizit um Frauen und Film geht: "Frauen und Film cannot imagine changing its name to Gender and Media." (S. 168) Im Gegensatz dazu unterstreichen die Herausgeberinnen der Camera Obscura, Amelie Hastie (Beirat), Lynne Joyrich, Patricia White und Sharon Willis, dass sie nicht länger interessiert wären an "questions of gender difference but also of all kinds of differences not longer only cinema but all kinds of media" (S. 170). Abschließend präsentiert der Sammelband zwei Gespräche: In Film, Corporeality, Transgressive Cinema. A Feminist Perspective diskutieren Martine Beugnet und Laura Mulvey den Zusammenhang zwischen Optischem und Haptischem anhand des französischen "Kinos der Transgression" und vor dem Hintergrund des Einflusses phänomenologischer Ansätze auf die feministische Filmtheorie. Und unter Disconnection Notices. Interview with Miranda July wird ein Interview von Anna Backman Rogers mit der Schriftstellerin und Künstlerin July zu The Future (2011) abgedruckt, das mit dem Erscheinen des Films aufgezeichnet wurde. Nicht nur in dem letzten Teil wird erkennbar: Den Herausgeberinnen des Sammelbandes geht es darum, in Dialog zu treten mit Film- und Medienwissenschaftler:innen darüber, was Feminismus aktuell bedeuten kann. Die Auseinandersetzung kann, so machen es die Autor:innen deutlich, anekdotischer, persönlicher, individueller, kollektiver und vor allem widersprüchlicher Natur sein. Denn wer aus welcher Perspektive und mit welchem Anliegen spricht, hängt von den jeweiligen politischen, ökonomischen und sozialen Bedingungen einer jeden Kritikerin ab. Die Beiträge wenden sich gegen die Vorstellung eines universalen Feminismus und zeigen stattdessen die Bandbreite feministischer Theoriebildung und filmischer Praxis auf, die zu gleichen Teilen eine Form des politischen Aktivismus darstellen. Durch das Buch wird deutlich, dass die Relevanz feministischer Ansätze nicht nur weiterhin besteht, sondern nach wie vor grundlegende Fragen der Film- und Medientheorie berührt. Wer sich für gegenwärtige filmtheoretische und filmkulturelle Entwicklungen interessiert, dem sei Feminisms sehr empfohlen. --- [1] "Schwarz" bezieht sich hier nicht als rassifizierende Klassifizierung auf die Hautfarbe, sondern fungiert als politische Kategorie und meint Angehörige einer sozialen Gruppe.
Kinofilm in Deutschland und Großbritannien entsteht unter nachteiligen wirtschaftlichen Bedingungen. Die Industrien in beiden Ländern sind kleinteilig organisiert, arbeiten projektorientiert und konzentrieren sich auf die Wertschöpfungsstufe der Produktion. Vertikale Unternehmensintegration fehlt fast völlig. Die amerikanischen Verleiher bestimmen weitgehend, was in den Kinos zu sehen ist. Die Konsequenz ist ein geringer Marktanteil des einheimischen Films, verbunden mit einer geringen Repräsentation inländischer Themen im Kino. Die Filmförderpolitik in Deutschland und in Großbritannien hat sich zum Ziel gesetzt, einen Film zu ermöglichen, der die kulturelle Vielfalt der jeweiligen Gesellschaft widerspiegelt. In diesen Ländern wurden jedoch verschiedene filmförderpolitische Ansätze gewählt. Während in Deutschland der inländische Film mit einer Mischung kultureller und wirtschaftlicher Maßnahmen durch die regionalen und nationalen Fördereinrichtungen unterstützt wurde, verfolgte die im Film Council zentralisierte britische Filmförderpolitik eine einheitliche Strategie zur Erzielung internationaler Wettbewerbsfähigkeit, die der britischen Filmindustrie langfristig eine größere wirtschaftliche und kulturelle Unabhängigkeit von der Hollywood-Industrie verschaffen sollte. Ausgehend von ähnlichen filmwirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen, lassen sich im Untersuchungszeitraum der Arbeit 1993 bis 2002 vor allem die wirtschaftlichen Einflüsse der Filmförderpolitik erkennen. In Deutschland sorgte das über Jahrzehnte gewachsene föderale Filmfördersystem für die stetige Produktion und Abspiel von Filmen. Der Anteil am inländischen Zuschauermarkt lag im Untersuchungszeitraum bei durchschnittlich 10,9 Prozent, mit einer relativ geringen Schwankungsbreite. Filmkulturell verhinderte die föderale Förderlandschaft eine zu starke Konzentration auf wenige Genres. In Großbritannien lag der durchschnittliche Zuschaueranteil im Jahr 1993 bei nur 2,5 %. Nach der Wiedereinführung einer nationalen Filmförderpolitik 1994 stieg der Anteil auf 28 % im Jahr 1997. Das 'britische Filmwunder' spiegelte sich zudem in einem starken Anstieg amerikanischer Investitionen, der durchschnittlichen Budgets und der absoluten Anzahl produzierter Filme wider. Gleichzeitig bestätigte die Konzentration der Filmförderung auf die Wertschöpfungsstufe der Produktion die Dominanz der amerikanischen Wettbewerber auf dem Verleihmarkt. Damit gelangten vor allem Filme in die britischen Kinos, welche für die US-Verleiher aus wirtschaftlichen Gründen interessant waren. Der Anteil der nicht im Kino aufgeführten Filme stieg und die Diskrepanz zwischen den Budgets internationaler Koproduktionen und nationaler Produktionen wurde in Großbritannien im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit größer. Filmkulturell lässt sich durch die unangefochtene Dominanz der Hollywood-Majors auf dem britischen Verleihmarkt eine Konzentration auf erfolgserprobte Genres erkennen. Mit dem Erfolg der britischen Filmwirtschaft in den Neunzigerjahren geht eine Genre-Einengung einher, zu der die britische Filmförderung beigetragen hat. Der Film Council förderte Genres, die einen internationalen Markt und damit internationale Investitionen ansprechen sollten. Neben wirtschaftlichen Erfolgen wie in dem Genre der Romantic Comedy führte diese Strategie mindestens in einem Genre, dem Crime-Film, zur Übersättigung und Nivellierung inländischer Film-Traditionen. Letztlich lässt sich feststellen, dass die nationale Filmförderpolitik die Filmwirtschaft und -kultur Deutschlands und Großbritanniens im Untersuchungszeitraum stark geprägt hat. Das Maß der Prägung lässt sich aber angesichts der Komplexität sich bedingender wirtschaftlicher, kultureller und künstlerischer Herstellungsfaktoren nur im Einzelfall ermessen. ; Cinema film in Germany and Great Britain is created under disadvantageous economic conditions. The industries in both countries are fragmented, work on a project-by-project basis and concentrate on production as the stage at which value is added. There is an almost complete lack of vertical integration of businesses in the industry. The American distributors determine to a great extent, which films are screened in the cinemas. The result is a small market share for home-grown films, with a consequent low representation of national themes in the cinemas. Film promotion policy in Germany and Great Britain was aimed at enabling films to be created which reflect the cultural diversity of each society, respectively. However, different approaches to film promotion were chosen in each of these countries. Whereas home-grown films in Germany were supported with a mixture of cultural and economic measures through regional and national promotional bodies, the Film Council in Great Britain followed a centralised cohesive strategy aiming at increasing international competitiveness, which was intended to provide the British film industry with greater long term economic and cultural independence from Hollywood. Given similar cultural and economic conditions in the period of 1993 to 2002 focused on in this dissertation, the economic effect of film policy was particularly noticeable. In Germany, the federal policy of film promotion, built up over decades, caused a steady growth in the production and screening of films. The national audience share in the period under analysis lay on average at 10.9 percent, with a relative low margin of divergence. In terms of culture, the landscape of federal promotional prevented an overly strong concentration on a small number of genres. In Great Britain, the average audience share in 1993 lay at only 2.5%. After the reintroduction of a national film promotional policy in 1994, the share had risen to 28% by 1997. The "British film miracle" was also reflected in large increases in the number of American investors, average film budget and the absolute number of films produced. At the same time, the concentration of film promotion on the production stage as the value-adding layer, confirmed the dominance of American competitors in the distribution market. This meant that above all, the films shown in British cinemas were those of economic interest to the U.S. distributors. The percentage of films not screened in cinemas grew and the discrepancy between the budgets of international co-productions and national productions grew in Great Britain in the period under analysis. In terms of film culture, the unchallenged dominance of the major Hollywood studios in the British distribution market led to a concentration on genres with a proven track record of success. The success of the British film industry in the 1990s was accompanied by a homogenisation of genre, contributed to by the British film promotion policy. The Film Council promoted genres intended to cater for an international market and by implication international investors. In addition to commercial successes such as in the Romantic Comedy genre, this strategy also led to an over-saturation of the market, in at least one genre – Crime, and to a levelling of national film traditions. In conclusion it was shown that national film promotion policies had a strong effect on the film industry and film culture of Germany and Great Britain within the period analysed. The extent of this influence, however, could only be measured on a case-by-case basis, given the complexity of the economic, cultural and artistic conditional factors governing production.
Splitter sind Fragmente, Bruchstücke. Als solche entziehen sie sich jeglichen Klassifikationsversuchen. Sie sind aus dem Ganzen ausgebrochen, definieren sich jedoch weiterhin über dieses (Immer)-Da, das System. Ununterbrochen versuchen sie, in dieses wieder einzubrechen. Das macht sie gewalttätig, unbequem und schmerzhaft. Sie schaffen sich ihre eigenen Nischen, Spalten, dort, wo zuvor keine für sie vorhanden waren, und verursachen weitere Splitterungen, Frakturen eben. Splitter sind zudem unberechenbar und perfide. Sie spielen mit Erwartungshaltungen. Nie kann man wissen, wann, wo und wie sie in das Gewebe einzudringen suchen, hier, in diesem Fall, in das scheinbar reibungslos funktionierende, gesunde Gewebe namens Filmindustrie, das aus Produktionsauflagen und Publikumserwartung geflochten ist. Der Schnitt durch das Auge in Buñuels Un chien andalou beispielsweise ist so ein Paradesplitter und ein Klassiker unter den Splittern, der das Netzhautgewebe und damit die konventionellen Schauwerte buchstäblich aufschlitzte. Die Liste der Splitter, die sich die Filmkunst im Laufe ihrer Geschichte eingezogen hat, ist lang. Der vom Filmwissenschafter und Filmjournalist Marcus Stiglegger im Bender-Verlag herausgegebene Essaysammelband Splitter im Gewebe präsentiert in Form von 16 profunden, bio-filmographisch orientierten Regisseurenporträts, verfasst von Filmkritikern und Filmwissenschaftlern des deutschsprachigen Raums (u.a. Georg Seeßlen, Theo Bender, Kai Mihm), einen zeitgenössischen Querschnitt solcher Splitter. Die Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und legt das Hauptaugenmerk überwiegend auf postklassische bzw. postmoderne Filmauteurs des westlichen Raums: Atom Egoyan, Tim Burton, Luc Besson, David Fincher, Neil Jordan, Wong Kar-Wai u.a. Darüber hinaus finden sich einige Chronisten bzw. Dekonstruktivisten des amerikanischen Mythos wie Sam Peckinpah, Terrence Malick und Oliver Stone, einige Analytiker der europäischen Moderne wie Andrzej Zulawski und Elem Klimov und Vorläufer sowie Vertreter des Neuen britischen Kinos wie Nicolas Roeg, John Boorman, Neil Jordan und Michael Winterbottom. Der Untertitel des Buches gibt Auskunft über das Spannungsfeld, innerhalb dessen die porträtierten Regisseure zu verorten sind: Filmemacher zwischen Autorenfilm und Mainstreamkino. Aus dieser Nicht-Klassifzierbarkeit, die quer zu den Prinzipien kulturindustrieller Vermarktung bzw. Etikettierung steht, schöpfen die Filmemacher ihre verstörenden Momente. Unaufhörlich oszillieren ihre Bilderwelten zwischen solidem Genre-Handwerk und exzentrischer Eigenart, zwischen Narration und Experiment, zwischen Bewegungsbild und Zeitbild, zwischen affirmativem Affektkino und distanziert-analytischem Reflexionskino, zwischen Sinnlosigkeit und Sinnschwere, üppig-redundantem Spektakel und wesenhafter Reduktion. Die "kritische und die genießende Haltung des Publikums" (Walter Benjamin) scheint im "trans-intellektuellen" (S. 24) Kino dieser filmischen Grenzgänger geradezu nivelliert zu sein, um Walter Benjamin zu paraphrasieren. Es geht um ein Kino der Exzesse, Stilbrüche und Schlampereien. In seinem aufschlussreichen Vorwort legt Marcus Stiglegger die Intention des Buches dar, nämlich "ausgewählten auteurs auf ihre ganz persönliche, ästhetische Spur zu kommen" (S. 9), also ihre persönliche Vision du monde, ihre private Mythologie und Ikonografie zu erschließen. So erfahren wir von den Western-Endspielen Sam Peckinpahs, von dem sinnlichen Kino Terrence Malicks, von den politischen-seherischen Visionen, Missionen und Demonstrationen eines Oliver Stone, von dem düsteren Anti-Disneyland Tim Burtons, vom libertinen Kino Liliana Cavanis, vom Planeten Besson und vom fragmentarischen Großstadtkino Wong Kar-Wais, um nur eine kleine Auswahl zu treffen. Die Analysemethode, die in den einzelnen Essays zur Anwendung kommt, ist die der klassischen hermeneutischen Analyse und der vergleichenden Werkanalyse. In einem zirkulären Verfahren befragen die Autoren das Werk der einzelnen Filmemacher immer wieder aufs Neue, um anschließend die gewonnenen semiotischen Elemente zueinander in Beziehung zu setzen und daraus einen individuellen Stil zu destillieren, der sich aus filmischen Kategorien wie favorisierte Thematik/Motivik, narrative Struktur, Kameraführung, Ausstattung, Licht, Farbgebung, Schauspiel etc. zusammensetzt. Hierbei ergibt sich jedoch folgendes Problem: Die in dem vorliegenden Buch ausgewählten Filmauteurs können nicht mehr als "auteurs" im klassischen Lichte einer Autorenpolitik der Fünzigerjahre reflektiert werden, die den Regisseur zu der zentralen Instanz schlechthin erklärte. Zentrale, stilbildende Film-Kategorien wie Drehbuch oder Montage lassen sich im Falle der in dem Buch analysierten Filme nur in den seltensten Fällen direkt mit den dahinter stehenden Filmauteurs in Verbindung bringen und das filmische Endprodukt kann somit nur sehr bedingt als unmittelbare Zelluloid-Niederschrift des Caméra-Stylòs des Regisseurs betrachtet werden. Schließlich arbeiten die behandelten "Splitter" im Mainstreamkontext und sehen sich mit dem Problem konfrontiert, wie ihr persönlicher Stil in eben diesem Kontext durchsetzbar ist. "Jeder, der in diesem industrialisierten, vielköpfigen System seine Handschrift bewahrt, ist ein mächtiger Künstler." (Tim Burton, S. 268) Die künstlerische Leistung dieser Bilderschmuggler besteht vielmehr im Teamwork und in der "individuellen Kombination der fremden Einzelleistungen" (S. 15), wodurch ein Collaborative Effort erzielt wird. Andreas Rauscher (Filmjournalist bei Splatting Image, Testcard; Mitherausgeber von Screenshot) zeigt dies in seinem Beitrag Die dunkle Seite des Disneyland anhand des filmischen (Pop-)Universums von Tim Burton auf. Wie etwa David Lynch, Spike Lee oder Abel Ferrara repräsentiert auch Tim Burton einen bestimmten Filmemachertypus im amerikanischen Kino der Gegenwart, der wie ein Popstar "sein eigenes filmisches Universum mit Wiedererkennungswert im Teamwork mit bestimmten Schauspielern, Komponisten, Ausstattern und Kameramännern hervorbringt." (S. 268) So zählen beispielsweise Danny Elfman (Komponist) und Johnny Depp zum fixen Bestandteil des Burton-Teams. Zudem stellt Johnny Depp - insbesondere sein Erscheinungsbild in Edward Scissorhands - eine Art Alter Ego des Regisseurs dar, der sich durch diese mediale Re-Präsentation selbst zu einer Pop-Ikone hochstilisiert. Die persönliche Handschrift von Filmemachern à la Burton ergibt sich folglich nicht nur aus dem gestalteten filmischen Raum, sondern auch aus den Inszenierungsweisen ihrer Public Images. Es gehört mit zum Hauptanliegen von Splitter im Gewebe, zu einer Neubewertung der Autorentheorie einzuladen und einen aktuellen Ansatz der Autorenforschung zu präsentieren. Marcus Stiglegger zeichnet in seinem Vorwort mit Rekurs auf Susan Haywards Key concepts of cinema studies die Entwicklung des Autorenbegriffs in einem Drei-Phasen-Modell nach. In der ersten Phase, den Fünfzigerjahren, galt die Persönlichkeit des Regisseurs als zentrale, souveräne und einheitsstiftende Instanz, wobei Kontext und Publikum kaum beachtet wurden. Mit Aufkommen des strukturalistischen Ansatzes, insbesondere in den Sechzigerjahren, wurde das "Regie-Subjekt" dezentralisiert und zu einem Produkt bzw. zu einem buchstäblichen "subjectum", sprich zum Unterworfenem der Strukturen erklärt. Nicht der Regisseur, sondern die Strukturen produzierten nunmehr Bedeutung. Erst in der dritten Phase, dem Poststrukturalismus seit den Siebzigerjahren, wurde der filmische Text im ideologischen und sozialen Kontext betrachtet und das Publikum als bedeutungsproduzierende Instanz mitberücksichtigt. Das Hauptaugenmerk galt zunehmend der Intertextualität, der Polyphonie, den Diskursen und Kontexten. Semiotik, Psychoanalyse, feministische Theorie und Dekonstruktion kamen als analytische Ansätze hinzu. Die Regiepersönlichkeit wurde in der Entwicklung der Autorentheorie also sukzessive im Netz der Intertextualitäten und in der Pluralität der Codes aufgelöst. Barthes proklamierte 1968 bekanntlich den "Tod des Autors" und das Manifest der von Lars von Trier initiierten Dogma-Bewegung stellt einen weiteren aktuellen - wenn auch ganz anders, weil modernistisch ausgerichteten - Versuch dar, den bürgerlichen Autorengeniekult abzuschaffen, indem die Regisseure freiwillig ihre persönliche Handschrift zugunsten einheitsstiftender, ästhetischer Selbstauflagen zurückstellen. Wie kann man nun im postmodernen Netz der Verweise und des pluralistischen Nebeneinanders von Stilen zu einem "Splitter im Gewebe" werden - das ist die zentrale Fragestellung, die Stiglegger aufwirft. Das artifizielle, konstruierte Kino der Neunzigerjahre hat das Zitat, die Intertextualität und die Selbstreferentialität zu Stilprinzipien erhoben. Das bewusste Spiel mit Klischees und Stereotypen allein reicht jedoch nicht aus, um diese bloßzustellen. Um innerhalb dieser "Welt der Simulakren" zu einer "authentischen Geste" (S. 22) zu finden, ist es notwendig, zu einer "Meta-Technik" zu greifen, wie Stiglegger mit Rekurs auf Barthes ausführt. Es geht darum, einen "Mythos zweiter Ordnung" zu schaffen, der auf bereits etablierte Zeichensysteme und Mythen erster Ordnung aufbaut. Das subversive Potential dieses neuen Kinos besteht folglich (a) darin, durch ein maßloses, eklektisches Spiel mit vorhandenen Zeichen eine "Implosion der Zeichen" (S. 23), sprich eine wechselseitige Aufhebung der Zeichen zu erreichen, und (b) darin, durch eine Re-Kombination und Re-Kontextualisierung der Mythen zu einer Re-Authentisierung dieser Bilder zu gelangen. Essaysammelbände haben bekanntlich den Charakter von Überraschungstüten. Da gibt es positive Überraschungen ebenso wie Enttäuschungen, äußerst lesenswerte Texte neben über-lesenswerten Texten. Vor allem auch steht sehr viel sehr unverbunden nebeneinander. Im Falle von Splitter im Gewebe versucht der Titel zu vereinen, was eigentlich unvereinbar ist. Dementsprechend konstruiert erscheinen die hervorgehobenen Gemeinsamkeiten der ausgewählten Filmemacher; insbesondere der Dualismus Mainstreamkino/Autorenkino wirkt nicht sonderlich neu und kann ebensogut auf unzählige andere, vor allem auch "klassische" Regisseure wie Sam Fuller, Alfred Hitchcock, Howard Hawks etc. angewandt werden, was bekanntlich die (Vor-)Denker der Nouvelle Vague schon getan haben. Auch nehmen sich angesichts des postmodernistischen Übergewichts Modernisten wie Nicolas Roeg, Andrzej Zulawski und Sam Peckinpah, die in dem Buch porträtiert werden, einigermaßen deplatziert aus. Vergisst man jedoch den überspannten Bogen, den das Buch über die Köpfe der eigentlich unvereinbaren Filmemacher hinwegzukonstruieren versucht, und betrachtet man die einzelnen Aufsätze isoliert für sich, so finden sich in dem Buch zahlreiche, äußerst lesenswerte Texte, die profunde, filmkosmologische Einsichten in die Bilder-Welten der Regisseure eröffnen und diesen zahlreiche neue Aspekte abgewinnen. Splitter haben jedoch eine weitere Eigen-Art: Bleiben sie zu lange im Gewebe, so fallen sie nicht mehr als solche auf. Sie lassen sich allzuleicht inkorporieren. Wenn Stiglegger sein Vorwort mit dem Wunsch schließt, das Buch möge "unbequem in der deutschsprachigen Filmliteratur" stehen "wie die Protagonisten in der Filmwelt" (S. 25), so erscheint dieser Anspruch angesichts der mittlerweile schon kanonisierten und äußerst bequem gewordenen Splitter etwas übertrieben. Bleibt also nur zu hoffen, dass sich der Verlag bzw. die Autoren weiter auf die Suche nach neuen schmerzhaften Splittern machen und ähnlich aufschlussreiche Texte über diese verfassen.
Ein Buch darüber "Wieviel wir alle gewonnen und was wir verloren haben". Peter Bogdanovich gehört zu jener Generation von Hollywood-Regisseuren, die zum Film kamen, als das alte Studiosystem gerade zerfiel. Wie etwa Martin Scorsese war auch Bogdanovich ein Zu spät-Geborener des Films, der nostalgisch auf das goldene Zeitalter Hollywoods zurück- und zu den Regiehelden jener Zeit aufblickte. Was zunächst als Pech erscheinen mag, war jedoch gerade seine Chance; und nicht nur seine, sondern die einer ganzen Generation von amerikanischen Filmstudenten, nämlich Bilderbewahrer und Bilderstürmer gleichzeitig zu sein, den Einfluss der Vergangenheit mit dem Einfluss der Gegenwart wie der Nouvelle Vague zu verbinden, Klassisch-Mythisches an Persönliches zu koppeln. Diese Mischung aus Nostalgie und Avantgarde - wobei Bogdanovich sicherlich eher Traditionalist denn Bilderstürmer war -, kann als wesentliches Charakteristikum des New Hollywood betrachtet werden. Eine weitere Gemeinsamkeit der Filmemacher dieser Generation war das Beharren auf einer an die Nouvelle Vague angelehnten Politique des Auteurs, bei der es um die Verteidigung des persönlichen Ausdrucks eines Regisseurs (= auteurs) gegenüber den Disziplinierungsversuchen durch Publikumsgeschmack und Produktionsauflagen ging. Neben diesem Selbstverständnis als Autorenfilmer gibt es jedoch noch eine weitere Verbindungslinie zur Nouvelle Vague. Bogdanovich, der nach seiner Ausbildung an der Stella Adler Theatre School in New York zunächst als Theater- und Fernsehschauspieler bzw. als Off Broadway-Regisseur tätig war, machte sich nämlich schon bald einen Namen als Filmkritiker, u.a. für die Zeitschriften Movie, Esquire, Film Quarterly und Film Culture. Letztere, von Jonas Mekas gegründete Zeitschrift war ein wesentliches Organ der New American Cinema-Bewegung, vergleichbar mit der Bedeutung von Cahiers du Cinéma für die Nouvelle Vague. Wie Godard zeigte auch Bogdanovich, dass die Tätigkeit des Filmkritikers und die des Filmemachens keine unvereinbaren Gegensätze bilden müssen. Ähnliches schreibt auch Hellmuth Karasek in seinem ansonsten durchaus verzichtbaren Vorwort zu Wer hat denn den gedreht?: "Kritiker, heißt die Regel, sind wie Eunuchen, sie wissen, wie es geht, aber sie können es nicht. [.] Bogdanovich wußte nicht nur am besten, wie es geht, er konnte (und kann) es auch." (S. 11) Erst nachdem Bogdanovich als Filmkritiker, -chronist und Verfasser von Monographien für das Museum of Modern Art u.a. über Orson Welles (1961), Howard Hawks (1962), Alfred Hitchcock (1963), John Ford (1967) oder Fritz Lang (1968) tätig gewesen war, begann er selbst Filme zu drehen, zunächst unter der Ägide von Roger Corman, der seinen ersten Spielfilm Targets (1968) produzierte. Danach folgten Filme wie Last Picture Show (1971), What's up, Doc? (1972), Nickelodeon (1976) und Texasville (1990). In Wer hat denn den gedreht? - sofort springt der immense Umfang des Buches (1023 Seiten!) ins Auge - vereint Bogdanovich Interviews mit sechzehn der berühmtesten Hollywood-Regisseure, von Allan Dwan über Howard Hawks, Alfred Hitchcock, Fritz Lang, Otto Preminger, Don Siegel, Josef von Sternberg und Robert Aldrich bis zu Sidney Lumet. Die abgedruckten Interviews stammen größtenteils aus Bogdanovichs Zeit als Filmkritiker in den 60er Jahren und waren für die oben schon erwähnten Zeitschriften Film Culture, Esquire oder Film Quarterly bestimmt. Einige davon wurden dort auch veröffentlicht, andere wiederum fanden erst mit dem vorliegenden Buch Öffentlichkeit. Bogdanovich weist in seinem sehr umfangreichen Vorwort darauf hin, dass die Karrieren der interviewten Regisseure die gesamte Filmgeschichte abdecken, "vom Beginn des Mediums vor dem Anfang des 20. Jahrhunderts über seinen Aufstieg, seine goldenen Jahre und seinen Niedergang bis zu seinem Fall (und seiner Auferstehung?)" (S. 18). Deshalb sind die Kapitel auch chronologisch nach den Geburtsjahren der Regisseure geordnet, was ungefähr der Reihenfolge entspricht, mit der sie ins Filmgeschäft eingetreten sind. Am Anfang steht der Filmpionier Allan Dwan, am Ende Sidney Lumet, dessen Regietätigkeit bis in die 90er reicht. Jedes der Interviews ist von Bogdanovich mit einem Einführungskommentar versehen, in dem er die Stellung des Regisseurs im Rahmen der Filmgeschichte erläutert und schildert, wie die Gespräche zustande gekommen sind bzw. welche Ansatzpunkte er bei den Fragestellungen gewählt hat. Fast allen Regisseuren ist gemeinsam, dass sie zur Zeit des Stummfilms aufgewachsen sind und ihre Karrieren in dieser Ära begonnen haben. Sie hatten maßgeblichen Einfluss innerhalb der Filmindustrie und prägten Bogdanovich sowohl persönlich als auch beruflich. Dieser sieht darin sein großes Glück: Viele Vorbilder, von denen er lernen konnte, waren zu Beginn seiner Filmtätigkeit noch am Leben. Um diese "Schuld abzutragen", führte er auch die Interviews, als einzige Möglichkeit, "ihre (Anm.: der Regisseure) Großzügigkeit, ihr Wissen und ihre Erfahrung zu teilen und dazu beizutragen, ihre größten Tugenden weiterzugeben", wie Bogdanovich mit dem für ihn so typischen, die Grenzen des Erträglichen stellenweise sprengenden Ehrfurchtspathos bemerkt (S. 18). In diesem Sinne versteht er die Filmgeschichte als eine Art "Staffellauf [.], bei dem ein Stück Holz von einem Läufer an den nächsten weitergegeben wird. Dieses Buch ist im Geiste den nächsten Läufern gewidmet." (S. 25) Filmwelt als Wettkampfarena also und Filmemachen als Teamsportart! Das erscheint signifikant für das Verhältnis Bogdanovichs und vieler anderer Hollywood-Regisseure zum Filmemachen. Titelgebend für das Buch war eine Aussage von Howard Hawks, der auf die Frage, welche Regisseure er bevorzuge, gegenüber Bogdanovich Folgendes antwortete: "Mir gefallen fast alle, bei denen man merkt, wer den Film eigentlich gedreht hat. [.] Denn der Regisseur ist der Geschichtenerzähler und sollte auf seine eigene Art erzählen." Dieser Ausspruch ist auch als Zitat dem Buch vorangestellt und könnte zunächst - wüsste man nicht, dass er von einem der größten Film-Handwerker Hollywoods getan wurde - als programmatischer Kerngedanke einer Politique des Auteurs erscheinen. Sicherlich entspricht es auch Bogdanovichs Absicht, zu einer Neubewertung der als Handwerker abqualifizierten Hollywoodgrößen einzuladen und aufzuzeigen, dass Persönlichkeit und Handwerk nicht unbedingt ein Widerspruch sein müssen. Über die Intention seines Buches und seiner Interviews sagte Bogdanovich Folgendes: "The intention of the book was, to find the person in the films and the films in the person." Wie der Titel des Buches schon deutlich macht, geht es in Wer hat denn gedreht? vor allem um eine Verbeugung vor dem Mythos des Wer und nicht in erster Linie um das Wie. Bogdanovich tritt seinen Interviewpartnern als ehrfürchtiger, wissbegieriger und bewundernder Schüler gegenüber und nur selten als Kollege. Er gibt den Regisseuren äußerst viel, ja teilweise zuviel Raum für Selbstinszenierungen und -mythologisierungen. Ganz anders verfuhr ja Truffaut in seinem umfassenden, unter dem Titel Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? veröffentlichten Interview. Truffaut empfand sich als Kollege, was als Interview begann, gestaltete sich unter seiner Regie immer stärker zu einem Fachgespräch unter gleichberechtigten Filmprofessionisten. Aussagesätze verwendet Bogdanovich nur sporadisch, weswegen sich John Ford zu dem entnervten Ausspruch hinreißen ließ: "Verdammt, Bogdanovich! Können Sie denn nichts als Fragen stellen!? Ich meine, Herrgottnochmal, haben Sie noch nie was von einem Aussagesatz gehört?" (S. 16) In dieser Rolle des neugierigen und lästigen Schülers scheint sich Bogdanovich jedoch äußerst wohl gefühlt zu haben, was auch in seinem Vorwort anklingt, wenn er sein Können aus seiner Neugier und den Fragen, die er seinen Vorbildern gestellt hat, erklärt. Bogdanovichs Fragetechnik erinnert stellenweise stark an Kolportagejournalismus. Interessant sind für ihn vor allem Anekdoten aus dem Leben der Regisseure und Insiderstories aus Hollywood, also ein bisschen Klatsch und Tratsch aus der Glamourwelt. Zudem wiederholt sich das Frageschema ständig. Fast jedes Interview beginnt mit Fragen danach, was die Regisseure am Film interessiert hat und wie sie zum Film gestoßen sind, gefolgt von einem chronologischen Abklopfen aller Karrierestationen und Filme der Regisseure. Hierbei stellt Bogdanovich oftmals pro Film nur eine Frage, ein Nachfragen bleibt größtenteils aus. Besonders bei Filmen, die ein eindringlicheres Nachbohren verdient hätten, wirkt es äußerst frustrierend, wenn Bogdanovich abrupt das Thema wechselt, wodurch man den Eindruck bekommt, er würde sein Interviewkonzept stur abspulen. All diese fragetechnischen Mängel ändern jedoch nichts am äußerst wertvollen und enorm aufschlussreichen Gehalt des Buches. Zudem wurden die Gespräche, wie Bogdanovich im Vorwort schreibt, (seltsamerweise?!) nachbearbeitet, verkürzt und stilistisch geglättet, sodass die oben genannten Kritikpunkte nur in Bezug auf die abgedruckten Interviewformen Gültigkeit beanspruchen können. Die Gespräche sind in Länge und Detailliertheit sehr unterschiedlich. Es gibt ausführliche Interviews mit Howard Hawks, Alfred Hitchcock und Allan Dwan - die allesamt ein eigenständiges Buch konstituieren könnten und teilweise auch als solches geplant waren - und sehr kurze, teilweise unvollständige mit Edgar G. Ulmer, Leo McCarey und Josef von Sternberg. Das Interview mit Sternberg gibt paradoxerweise gerade ob seiner Kürze besonders viel Aufschluss über die als äußerst schwierig bekannte Regiepersönlichkeit. Sternberg, der nie gerne über seine Filme sprach, gab auf jede Frage betont kurze und schroffe Antworten, die sich auf "Ja", "Nein", "Weiß nicht" oder "Stimmt nicht" beschränkten. Je gesprächiger ein Regisseur war, desto detaillierter und scharfsinniger fielen auch Bogdanovichs Fragestellungen aus. Zu den anregendsten zählen seine Interviews mit Fritz Lang, Howard Hawks, Don Siegel, Otto Preminger und Alfred Hitchcock, wo Bogdanovich die Rolle des scheinbar naiven und devoten Fragestellers verlässt und ähnlich wie Truffaut im Verlauf des Gesprächs zu einem Fachkollegen wird, der auch selbst seine Meinung zu den besprochenen Filmen kundtut und sehr filmimmanente Fragen stellt. Diese Gespräche erschließen auf kurzweilige Art das Leben der Regisseure, die Entstehungsgeschichte ihrer Filme, die einzelnen Phasen der Filmherstellung, die Arbeitsbedingungen und das Studiosystem, Besetzungsprobleme, die Arbeit mit den Schauspielern, die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Drehbuchautor, den Widerstand der Studios gegenüber bestimmten Ideen und somit den ewigen Konflikt zwischen Idee und Realisierung. Besonders interessiert zeigt sich Bogdanovich bei Fragen rund um die Probleme und Möglichkeiten von bestimmten filmtechnischen Stilmitteln wie Zoom oder Weitwinkel. Fritz Lang erzählt darüber, wie ihm die Idee zu Metropolis in New York gekommen ist und über seine Konflikte mit Goebbels. Er redet über die Unterschiede zwischen den Arbeitsbedingungen in Deutschland und in den USA, über sein Verhältnis zum Western, über seine Zusammenarbeit mit Godard bei Le Mépris und seine Schwierigkeiten damit, in Farbe zu drehen. Darüber hinaus erfahren wir über sein Verhältnis zu Frauen und zum Kommunismus und über sein nie realisiertes Vorhaben, ein Porträt von Billy the Kid als Schwachsinnigen zu drehen. Dass Fritz Lang in Die Frau im Mond den Countdown erfunden hat, wird wahrscheinlich auch den wenigsten bekannt sein. Otto Preminger schildert seine Kämpfe mit dem Studioboss Daryl Zanuck rund um den Film Noir-Klassiker Laura. Don Siegel erläutert seine Intentionen, mit Invasion of the Body Snatchers das Porträt einer hirnlosen Hüllengesellschaft zu drehen, und erzählt über seine Zusammenarbeit mit Clint Eastwood. Der legendäre Warner Bros.-Regisseur und Cartoonist Chuck Jones spricht über die Evolution von Wile E. Coyote usw. Wer sich für Klatsch und Tratschgeschichten aus der Glamourwelt interessiert, wird ebenfalls bestens bedient. So gibt es zahlreiche Storys über Stars wie Lauren Bacall, Marlene Dietrich, Marilyn Monroe und Clark Gable, um nur einige wenige zu nennen, die in dem Buch Erwähnung finden. Wer hat denn den gedreht? ist Anekdotenfundus, Filmchronik, Monographiensammlung, Wissensschmöker und Lehrbuch zugleich. Ein Buch zum Nachschlagen und Herumblättern, das - trotz Bogdanovichs stellenweise schwer erträglichem Hang zu Pathos und Nostalgie - in keiner Filmbibliothek fehlen sollte.
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Polens Filmindustrie gewinnt an Schwung. Nach Jahrzehnten der Unbedeutsamkeit feiern polnische Regisseurinnen und Regisseure heute wieder internationale Erfolge. Und das trotz oder vielleicht wegen der Beschäftigung mit der vermeintlich im Westen unverständlichen eigenen Geschichte. Dabei ist Polens Vergangenheit eng mit der deutschen verbunden, weshalb dies bis heute noch ein wichtiges Thema für den polnischen Film ist. Jede Generation sucht nach eigenen Zugängen. Wie setzen sich polnische Filmemacher heute mit dem deutschen Nachbarn auseinander? Welcher filmischen und sprachlichen Mittel bedienen sie sich, um ihre Ideen umzusetzen? Auch im 21. Jahrhundert bleibt deutsche Geschichte, nicht selten in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg, ein häufiges Sujet des anspruchsvollen wie des populären Films. Führend sind hierzulande deutsche Kino- und TV-Produktionen (Der Untergang; Unsere Mütter, unsere Väter; Der Überläufer), aber auch populäre amerikanische oder europäische Gemeinschaftsproduktionen (Die Vorleserin, Operation Walküre, Monuments Men, Die Verleumdung). Überhaupt nicht vertreten in der deutschen oder europäischen Filmöffentlichkeit sind dagegen polnische Produktionen der letzten Jahre, die sich auf die deutsche Geschichte beziehen, die hier oft im deutsch-polnischen Kontext gezeigt wird. Dies ist insofern bedauerlich, als hier dem deutschen und internationalen Publikum eine Entwicklung verlorengeht, die exemplarisch für Geschichtsdebatten unseres Nachbarlandes ist. Und so kommt es mangels Rezeption zu keinem richtigen Austausch auf diesem Feld.Angesichts der "Lehrstelle der deutschen Erinnerung", von der im Kontext des geplanten Polen-Denkmals in Berlin in den letzten Monaten gesprochen wurde, könnten Filme als Massenmedium einen wünschenswerten Beitrag dazu leisten, um die polnische Sicht auf die jüngste deutsche Geschichte in Deutschland besser kennenzulernen. In diesem Beitrag geht es aber weniger um die Chancen nachbarschaftlicher Sensibilisierung durch das Medium Film, vielmehr möchte ich aufzeigen, wie einige wichtige polnische Produktionen auf der sprachlichen Ebene auf die Authentizität der deutschen wie der polnischen Protagonisten eingehen. Die Kritik könnte auch als ein Plädoyer für das Engagement deutscher Schauspielerinnen und Schauspieler im polnischen Film gedeutet werden, um die angestrebte Wahrhaftigkeit der historischen Ereignisse sprachlich zu unterstreichen, was im deutschen Film (wenn auch nicht immer konsequent) seit einigen Jahren getan wird, zumindest wenn es um polnischsprachige Filmcharaktere geht (Unser letzter Sommer; Lauf, Junge, lauf).Krieg und Sprache im FilmIm polnischen Film spielt das Thema Zweiter Weltkrieg selbstverständlich eine große Rolle. In beinahe allen Filmen bis 1989 wurden deutsche Filmcharaktere von polnischen Schauspielern gespielt, die deutsche Sprache wurde auf einige allgemein bekannte Phrasen reduziert wie "Hände hoch" oder "schnella! schnella!" Das genügte, um Abneigung zur deutschen Sprache zu signalisieren. Ansonsten haben filmische Deutsche, wenn sie mit anderen Deutschen sprachen, der Einfachheit halber Polnisch gesprochen. Schauspieler brauchten also kein Deutsch zu können, auch auf filmische "Bruderhilfe" aus der DDR wurde bis auf wenige Ausnahmen verzichtet. Man hat den Eindruck, dass die sprachliche Ebene die Filmemacher überhaupt nicht interessierte. Dies war auch nichts Ungewöhnliches in Zeiten, in denen in James-Bond-Filmen auch alle sowjetischen Bösewichte gut Englisch sprachen. Und so durfte sich auch Kapitän Hans Kloss, ein polnischer Spion in den Reihen der deutschen Abwehr, in der Fernsehserie Sekunden entscheiden (Original: Stawka większa niż życie, 1967-1968) mit seinen deutschen Offizierskollegen selbstverständlich auf Polnisch verständigen. Keiner – weder die Kritik noch das Publikum – hat ihn das übelgenommen, viele Phrasen des Films sind sogar in die Umgangssprache eingedrungen ("Nie te numery, Brunner!"). Und keiner hat sich damals die Frage gestellt, wie gut Hans Kloss in Wirklichkeit hätte Deutsch sprechen müssen, um nicht in den Verdacht seiner eigenen Geheimdienstkollegen zu kommen. Denn in den deutschen Armeestrukturen war ein falscher Akzent nicht gerade karrierefördernd…Man könnte denken, dass die Zeiten, in denen alle Filmprotagonisten unabhängig vom historischen, ethnischen oder regionalen Kontext im polnischen Film einfach literarisches Polnisch sprechen, heute – dank sprachlicher Sensibilisierung der modernen demokratischen Gesellschaft und dem Streben nach einer umfassenden Wahrhaftigkeit im Kino – gänzlich vorbei sind. Doch ist dies ist immer noch nicht der Fall. Dabei wäre die sprachliche Ebene gerade im deutsch-polnischen Kontext wichtig, da wir es hier mit unterschiedlichen Ausprägungen – regionalen wie sozialen – des Deutschen, des Polnischen, aber auch des oberschlesischen, masurischen oder kaschubischen Dialekts zu tun haben. Filmproduzenten und ihre Casting-Manager müssen Argumente haben, warum sie sich für diese und keine andere Rollenbesetzung entscheiden. Die Frage ist, ob sie die sprachlichen Fähigkeiten der auszuwählenden Schauspielerinnen und Schauspieler überhaupt in Betracht ziehen, denn für einen sprachlich sensiblen und historisch interessierten Zuschauer kann die Sprache enorm wichtig, ja fundamental sein, weitaus wichtiger als Maske, Kostüm und Szenenbild, die die polnischen Filmemacher mittlerweile perfekt beherrschen.Drei Filme und viele SprachenIm Folgenden werden drei Filme aus den letzten Jahren auf ihre sprachliche Wahrhaftigkeit untersucht: Róża von Wojciech Smarzowski (2011), Zgoda von Maciej Sobieszczański (2016) und Kamerdyner von Filip Bajon (2018). Alle drei Filme wurden in Polen breit rezipiert, vom Publikum beachtet, auf Filmfestivals mit Preisen bedacht. Alle drei hatten auch eine kulturpolitische Botschaft, da sie sich auf der narrativen Ebene vordergründig mit den immer noch vorhandenen "weißen Flecken" der deutsch-polnischen Geschichte beschäftigen. Aber wie authentisch wirken solche Filme, wenn sie nur von Polen auf Polnisch gespielt werden?So zeigt der Film Róża die frühe Nachkriegszeit im gerade erst von der Sowjetarmee "befreiten" südlichen Teil Ostpreußens (Masuren) und thematisiert zum ersten Mal die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten. Hier müssen masurische Frauen, darunter die Hauptfigur Rosa Kwiatkowski, für die Verbrechen der Nazis büßen… Der Film zeigt das Leid der Zivilisten im deutsch-polnischen Grenzland, das bis zur Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat führt. Die Titelprotagonistin Rosa spricht Deutsch und Polnisch. Der Knackpunkt: Rosa (gespielt von Agata Kulesza) spricht ein literarisches Hochpolnisch und manchmal ein polnisches Schuldeutsch. Das ist für den historisch interessierten Zuschauer erstaunlich: Masuren sprachen ja einen polnischen Dialekt, der 1945 schon so gut wie ausgerottet war, Hochpolnisch sicher nicht. Dafür konnten sie alle Deutsch in seiner charakteristischen ostpreußischen Ausprägung, oft sprachen sie auch untereinander nur Deutsch, gerade mit Kindern und Jugendlichen, die nach 1933 nicht auffallen wollten und sollten. Dass die Deutschen den Masuren ihre slawische Sprache "genommen hätten", erklärt im Film auf Deutsch der Pastor der masurischen Gemeinde einem polnischen Ansiedler. Der Schauspieler Edward Linde-Lubaszenko tut sich dabei schwer mit seinem polnischen Akzent. Ein masurischer Pastor hat sicher nie so gekünstelt Deutsch gesprochen. Im Film ist er sowieso der einzige, der einigermaßen Deutsch spricht. Sonst sprechen alle Masuren Polnisch, hin und wieder hört man ein deutsches Wort, verstohlen, abgehackt, mit Akzent. Man hat den Eindruck, hier will man schon auf die kulturelle und sprachliche Eigenart des Masurenlandes eingehen, weiß aber nicht genau wie, wohl hoffend, dass die sprachliche Ebene dem polnischen Publikum nicht auffallen wird. Auf der anderen Seite soll diesem schon suggeriert werden, dass sich die Geschichte in einer deutsch-polnischen Grenzregion abspielt. Durch die ungeschickte Handhabung der Sprachfrage entsteht für den heutigen polnischen Zuschauer jedoch der Eindruck, dass die Masuren 1945 ausnahmslos Polen waren, die Polnisch sprachen und hin und wieder mal ein deutsches Wort benutzten, verständlich, da sie doch brutal germanisiert worden waren.Von Ostpreußen nach Pommerellen: Kamerdyner ist ein opulentes Werk des Altmeisters Filip Bajon, der schon in den 1980er Jahren in Magnat einen großen deutschen Adeligen porträtierte – den oberschlesischen Fürsten von Hochberg-Pless. Der neue Film über den pommerellischen Landjunker Herrmann Kraus sollte zeigen, dass entgegen manch nationalpolnischer Argumentation ein fruchtbares deutsch-polnisches Miteinander (darunter auch ein dramatisches Liebesverhältnis) in den früheren Grenzregionen möglich war, und dass Geschichte niemals nur schwarz-weißen Stereotypen folgt. Das ist das Neue, bei der Sprache bleibt Bajon aber ganz der Alte: Wie vor 40 Jahren, so werden auch heute deutsche Aristokraten ausschließlich von polnischen Schauspielern gespielt (Adam Woronowicz, Borys Szyc, Daniel Olbrychski). In den Landschlössern, auf Bällen und in den Hinterzimmern wird im Film immer nur Polnisch gesprochen, hier und da fällt mal ein deutsches Wort, einmal hört man "Hoch soll er leben" als Geburtstagsständchen. Spannend wird es aber, wenn gebildete Deutsche mit ihren kaschubischen Bediensteten und Kammerdienern sprechen. Spannend für einen Historiker, Regionalisten, aber nicht für die Filmemacher, denn im Film reden alle Polnisch, nur einige wenige reden Kaschubisch, und auch das auch nicht immer. Was erstaunt: Janusz Gajos stellt in der Rolle des polnischen Agitators Bazyli Miotke alle anderen Protagonisten mit seinem authentisch wirkenden Kaschubisch in den Schatten. Was noch mehr erstaunt: Den Brief von der Frankreichfront 1914, den seine Frau im Film laut vorliest, verfasst er in einem perfekten Hochpolnisch! Andere Kaschuben sprechen eher gekünstelt Kaschubisch, vergessen dabei immer wieder ihre Muttersprache und wechseln unbewusst ins Hochpolnische. Wirklich unbewusst? Vergessen Regisseure einfach, wie ihre Schauspieler zu sprechen haben? Es ist kaum zu glauben, dass auch Drehbuch- und Dialogautoren einfach darüber hinwegsehen. Die Bemühung in Hinblick auf die Regionalsprache ist zwar im Film sichtbar, aber auch hier entsteht der Eindruck, dass in dieser Grenzregion eigentlich alle immer Polnisch sprachen und es bleibt unklar, wer eigentlich Pole, wer Deutscher und wer Kaschube ist. Das ist in einer Grenzregion aber wie bereits erwähnt ungeheuer wichtig!Zum Schluss Zgoda, ein Film, der die polnische Schuld an den Oberschlesiern 1945 aufarbeiten sollte, eine filmische Auseinandersetzung mit der "oberschlesischen Tragödie 1945", über die erst in den letzten Jahrzehnten überhaupt gesprochen werden durfte. Schon im Vorspann wird auf die Existenz von Lagern nach 1945 hingewiesen, in denen "Schlesier, Volksdeutsche und Polen, die sich der kommunistischen Macht entgegenstellten", eingesperrt, gedemütigt, vergewaltigt und nicht selten bestialisch ermordet wurden. Schon diese Kategorisierung erstaunt: "Schlesier", wie Oberschlesier in Polen in der Regel genannt werden, waren 1939-1945 ja auch oft gleichzeitig "Volksdeutsche", es sei denn, sie wohnten vor 1939 im deutschen Teil Oberschlesiens ("Reichsdeutsche"), also ist die Opposition nichtig. Und was waren das für Polen im Lager Zgoda, die sich den Kommunisten entgegenstellten? Mitglieder der Untergrundarmee AK oder anderer Gruppierungen? Aber waren es nicht gleichzeitig auch Oberschlesier? Das bleibt vorerst unklar.In dem Lager sucht man unter den Oberschlesiern nach Verrätern, ehemaligen Nazis und SS-Männern. Bis auf einige wenige sprechen alle Insassen Polnisch, ja auch hier wieder fast ausschließlich Hochpolnisch. Die Oberschlesier sprechen aber einen polnischen Dialekt, und selbst wenn sie Hochpolnisch sprechen, werden sie ihren oberschlesischen Tonfall nicht wirklich los. Im Film spricht so nur ein einziger Protagonist – ein Arzt, kein Lagerinsasse. Auch die Hauptprotagonisten nicht: zwei Freunde, die dasselbe Mädchen lieben. Der deutsche Erwin (Jakub Gierszał) ist als Wehrmachtsangehöriger im Lager eingesperrt, seine Ausführungen, er sei Deserteur, finden jedoch kein Gehör. Sein polnischer Freund Franek (Julian Świerzewski) wird nur deswegen im Lager zum Wachmann, um die geliebte Anna (Zofia Wichłacz) zu befreien, aber Anna liebt Erwin. Alle drei kennen sich von früher, was ein Foto von 1939 zeigt. Alle drei müssten vor 1939 wohl polnische Staatsbürger im polnischen Teil Oberschlesiens gewesen sein. War es wirklich so?Erwin spricht im Film Deutsch, manchmal Polnisch, aber so als ob ihm Polnisch Mühe machen würde. Franek spricht Hochpolnisch, wie auch seine Mutter (Danuta Stenka), die in der Nähe des Lagers wohnt. Und Polnisch spricht auch die von beiden Männern geliebte Anna. Dem Zuschauer sollten spätestens hier Zweifel an der Idee des Films aufkommen. Wenn man bedenkt, dass der Film die oberschlesischen Opfer in den Mittelpunkt stellen sollte, so fragt man sich, wo die Oberschlesier in dem Film wohl bleiben? Hier hätte eine andere Besetzung sicherlich helfen können, die Opfer durch ihre sprachliche Eigenart zu würdigen. Denn auch hier entsteht für den Zuschauer der Eindruck, in Oberschlesien hätten alle Polnisch gesprochen. Das mag schon sein, aber kein Hochpolnisch, sondern den oberschlesisch-polnischen Dialekt.In Wirklichkeit hätte es auch noch ganz anders sein können: Der Deutsche Erwin hätte gut den oberschlesisch-polnischen Dialekt sprechen können, wuchs er doch im polnischen Teil Oberschlesiens nach 1922 auf. Franek aber, der im Film auch Franz genannt wird, hätte relativ gut Deutsch sprechen können. Anna schließlich hätte eine Deutsche sein können, die auch Polnisch spricht. In Oberschlesien wäre das nicht ungewöhnlich und hätte die nationalen Optionen nicht beeinflusst. Vielleicht geht der unerfahrene Regisseur deswegen auf Nummer sicher: Alle im Film sprechen immer Polnisch, Hochpolnisch!Dass es anders geht, den polnischen Zuschauer für die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu sensibilisieren, beweist Krzysztof Zanussi in Eter. In der Geschichte, die sich vor und im ersten Weltkrieg im österreichischen Galizien abspielt, kommen viele der Bewohner der Doppelmonarchie zum Zuge: Deutsche sprechen österreichisches Deutsch, Polen Polnisch oder ein polnisches Deutsch, Ukrainer Ukrainisch, Ungarn Ungarisch, Juden Jiddisch. Zanussi hat dafür muttersprachliche Schauspielerinnen und Schauspieler engagiert, das kostete sicher etwas mehr, aber so muss es sein, damit sich die Völker der Doppelmonarchie im Film wiederfinden.
Die Wahrnehmung des Fremden, genauer, eines Menschen nichtdeutscher Herkunft in Deutschland, reduziert sich meist auf ein Wissen, das über Medien vermittelt wird und weniger aus eigenen Erfahrungen durch interkulturelle Kontakte erworben wird. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der medialen Konstruktion des Fremden, des Türken im Speziellen, in den Medien und auch hier insbesondere in deutsch-türkischen Filmen, seit Beginn der Arbeitsmigration nach Deutschland in den 1960er Jahren bis zur Gegenwart. Wie hängt Identität mit Migration zusammen? Eigentlich geht es um Ausländer, die keine sind; wo gehören deutsche Türken hin? Fatih Akın, Ayşe Polat, Neco Çelik und Sinan Akkuş gehören zu einer Reihe von Filmemachern, die als Lichtblick am deutschen oder deutsch-türkischen Film-Himmel gelten. Durch deren ethnischen Hintergrund werden ihre Filme oftmals als Migrantenfilm klassifiziert, einfach weil sich die Regisseure in irgendeiner Art und Form mit dem Thema Migration und Integration auseinandersetzen. Hier wird betrachtet wie sie ihre gewählten Motive und Themen im Lebensraum Deutschland konzipieren und charakterisieren. Dabei spielt die vom Regisseur intendierte Blickkonstruktion, also die Perspektive, die der Film dem Zuschauer nahe legt, eine große Rolle. Wie gehen die Regisseure mit Stereotypen um? Ändern sich hier Identitätsbilder, oder sind diese gleich bleibend? Mediale Wirklichkeitskonstrukte arbeiten vor allem mit Bildern und visuellen Vorstellungen, die die Menschheit seit Kindesalter als Vorurteile mit sich herum trägt. Medien verstärken und erzeugen selektierte und bereits interpretierte symbolische Wirklichkeiten für unsere visuell geprägte Welt. Sie erhärten diese Bilder, die wir von Fremden haben. Somit werden Stereotypen erzeugt, also sehr verallgemeinerte, einseitige Darstellungen. Selbst ein ratsames natürliches Misstrauen gegenüber den Medien kann dem nicht standhalten. Negative Stereotypisierungen sind an der Tagesordnung. Dabei werden ethnische Minderheiten oftmals als zu diskriminierende und auszugrenzende oder ausgrenzende Wesen gezeigt, als Opfer und Problemgruppe, bedrohlich und kriminell. Die Stereotype werden ins mediale Bild übersetzt, indem verallgemeinerte, einseitige Darstellungen visualisiert und konstruiert werden. Nachrichten berichten ereignisreiche Geschehnisse selten aus der Sicht oder im Interesse der Betroffenen und meist gibt es auch keine O-Töne. Solche negativen Nachrichten können Angst hervorbringen und die Einstellung des Zuschauers mitunter beeinflussen. Ausländer werden dadurch zum Auslöser eines Problems gemacht. "Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland werden als Sorgenkinder betrachtet, die ihrer einheimischen Umgebung Schwierigkeiten machen und dadurch Aufmerksamkeit finden." Medien entwerfen Weltbilder, analog zu den Mechanismen der menschlichen Wahrnehmung: die Standardisierung der Wahrnehmung als "Schubladen-Denken" und die Definition sozialer Situationen einer unübersichtlichen Gesellschaft. Türken in Deutschland haben sich noch immer nicht von Vorurteilen befreien können. Aber wie bekommt man konservierte Bilder aus den Köpfen der Menschen? Wie macht man aus Ausländern Inländer? Der Deutsch-Türke sollte endlich diese Bindestrich-Identität ablegen und als Deutscher mit türkischen Wurzeln, wie damals die Beutetürken, in Deutschland weiterleben dürfen. Denn, Die Stimmung vieler Deutsch-Türken wird immer gereizter. Mittlerweile löst allein die Frage "Woher kommst du?" einen gigantischen Aggressionsstrom aus. "Zeiten ändern sich und manchmal in die richtige Richtung!" , sagt zumindest Cem Özdemir, der Hoffnungsgeber der Grünen. Migranten haben auch heutzutage nur wenig Anteil am Diskurs über ihre Rolle in der deutschen Gesellschaft. So sind deutsche Mainstream-Medien angelegt. Der Blick von außen dominiert noch immer; der Fremde bleibt und ist ambivalent. Fernsehen und Printmedien funktionieren weiterhin über Klischees, weil Auflagen existieren, die noch nicht wegzudenken sind, schließlich ist man ja abhängig von Einschaltquoten und Verkaufszahlen. Das muss genutzt werden solange wie es Schubladendenken gibt, die dem zuzuordnen sind. Klischees vom fanatischen Moslem und der türkischen Importbraut erfüllen sich noch immer. Ehrenmorde sind interessanter als "migrantische" Alltagsgeschichten. Damit sich aber Meinungsbilder in der Allgemeinheit ändern können, muss integrativer berichtet werden. Auch sollten mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Medien arbeiten, doch sind es gerade mal 1/50, die hier tätig sind, und der Quotenausländer im TV ist immer noch gang und gäbe. In Film, Literatur, Kunst, Politik und Wirtschaft gibt es in Deutschland türkischstämmige Deutsche, die Karriere gemacht haben. Bei ihrer Suche nach einem individuellen Platz in der Gesellschaft scheint für Deutschtürken die ethnische Zugehörigkeit keine bedeutende Rolle mehr zu spielen. Die Prägung durch zwei oder mehr Kulturkreise ist für sie Normalität. Ziele und Lebensweisen von Türken und Deutschen haben sich angenähert und angeglichen und viele Deutschtürken denken sogar weiter als nur bis zum deutschen Horizont. Sie tun auch nicht mehr das, was von ihnen erwartet wird und was man von ihnen kennt. Der Begriff "Türke" klingt fast anklagend und für viele wie eine Beleidigung, die einen Stempel aufdrückt und eine Rolle zuschreibt, die man ablehnt. Man ist einfach viel mehr und eigentlich alles andere, als ein Mitglied einer radikal islamischen Vereinigung. "Die Türken" sind heute nicht nur im gesellschaftlichen Mainstream angekommen, sondern auch im filmischen. Die in Deutschland produzierten Filme der 70er und 80er, bis in die 90er Jahre hinein, die das Leben von Migranten darstellen, sind allesamt klischeebehaftet. Türken wurden als temporäre Gäste angesehen, sind aber mit dem Heranwachsen der nachfolgenden Generationen und ihren Integrationsproblemen endlich als Teil der deutschen Gesellschaft realisiert und akzeptiert worden. Empfindliche Berührungspunkte wir es noch eine Weile geben. Dazu zählen die Religion und einige Traditionen, die befremdlich wirken und sich nicht mit den deutschen vereinbaren lassen, wie z.B. das Beschneidungsthema in Meine verrückte türkische Hochzeit oder Evet, ich will. Es handelt sich teilweise um unvereinbare grundlegende Lebensansichten, die zu Konflikten führen können. Die Zeiten, als stereotype Bilder, den Zuschauer an streng isolierte Orte, mit mysteriösen islamischen Bildern führen, sind eigentlich vorbei oder sollten sie zumindest. Schlechtes Deutsch, fremder Glaube und Armut im Ghetto weichen realistischeren Bildern. Die Herkunft der Filmemacher ist in ihren Filmen zwar präsent, aber nicht nur darauf zu reduzieren, denn sie bedienen ebenso verschiedene Genres mit ihren Filmen. Die türkische und deutsche Sprache gehört zur Normalität der Filme, da sie in einem türkischen oder zumindest multikulturellen Milieu spielen – und damit sind die deutschen Teilkulturen mit eingeschlossen – und realistischere Alltagsgeschichten zeigen. Fraglich ist, ob das ökonomische Interesse an Türken verantwortlich ist oder es einfach Zeit ist die Parallelwelt der Türken aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten? Zumindest haben sich die Angehörigen der nachfolgenden Migrantengenerationen fast unbemerkt selbst befreit. Das ist daran zu bemerken, dass sich Künstler von dem Zwang befreit haben politisch korrekt zu sein. Aufgrund der Tatsache, dass deutsch-türkische Schauspieler in Deutschland nur klischeebehaftete Rollen bekommen, suchen sie sich immer öfter Arbeit in Istanbul. Dort werden sie noch herausgefordert. Die türkische Filmindustrie entwickelt sich konträr dazu. Migration spielt heute kaum noch eine Rolle und sie bedienen mit ihren Filmen sehr unterschiedliche Genres. Rollenbeschränkung auf Kleinkriminelle, Putzfrauen, mysteriöse Exotinnen und Gemüsehändler findet man hier zumindest nicht. Die Filme werden international vertrieben und orientieren sich dabei am amerikanischen Mainstreamkino. Sie stellen ein Türkeibild dar, das hierzulande in der medialen Wirklichkeit nicht existiert. In Deutschland fehlt noch die Selbstverständlichkeit für dieses Thema. Das Schubladendenken in den Kategorien Ethnie, Nation, Kultur lässt sich in den meisten Bereichen unseres Lebens noch nicht abschaffen. In einem Interview, dass "Tiger" mit dem Schauspieler Ismail Deniz in seiner "Süper Tiger Show" geführt hat, sagt dieser zu diesem Thema: "Ich wollte ja Schauspieler werden, um nicht Zuhälter und Drogendealer zu werden [.] Dann willste Schauspieler werden, machst 'ne Ausbildung oder machst keine [.] was wirste dann: Du wirst Verbrecher oder Ehrenmörder im Fernsehen [.] und wenn's 'ne gute Rolle gibt für Türken, dann wird die leider von Deutschen gespielt. Die sind wohl auch die besseren Türken." In Deutschland werden die Angebote der Rollen im Fernsehen nur ganz allmählich differenzierter. Nursel Köşe hat dasselbe Schicksal wie viele türkische Schauspielerinnen jenseits der 40, sie dürfen in Deutschland nur noch die Kopftuch-Mami spielen (Anam). In Auf der anderen Seite lässt Fatih Akın sie eine Prostituierte spielen, "weil sie so sexy ist", sagt er. Mehmet Kurtuluş hat die Rolle des Cenk Batu als Tatort-Kommissar türkischer Herkunft versteht sich, was noch als exotische Randerscheinung bezeichnen werden kann. Der Frauenschwarm Erol Sander war schon Kriminalhauptkommissar Sinan Toprak, Kommissar Mehmet Özakın in Mordkommission Istanbul und Durmuş Korkmaz, ein türkischer Unternehmer im Tatort. Er war aber auch schon Peter, Frank, Phillippe Russel und Winnetou. Es scheint, dass gutes Aussehen und Internationalität Rollenangebote ermöglicht, die nicht klischeebelastet sind. Dass Türken Rollen besetzen, in der sie als Vertreter einer sozialen Schicht der deutschen Gesellschaft fungieren, zählt nicht unbedingt zur Normalität. Sie besetzen weiterhin mehrheitlich ethnische Rollenprofile, wie z.B. Obst- oder Dönerverkäufer, gewaltbereiter Macho-Ali und unterdrückte Kopftuch-Ayşe. So werden kontinuierlich Klischees von vorgestern bedient. Die Vermischung der Kulturen ohne klare Abgrenzungen als ein Stück Alltagsnormalität zu betrachten liegt hoffentlich nicht mehr in allzu ferner Zukunft. Das Bild des Türken im Film dagegen hat sich verändert. Zumindest werden Klischees von türkischen Filmemachern wenn überhaupt nur noch in Komödien benutzt. Sie sprechen über sich selbst und sie lachen auch über sich selbst. Sie alle streben danach das Klischee zu überwinden und zum selbstbewussten Deutschen türkischer Herkunft anerkannt zu werden. Der postmigrantische Film der letzten Jahre ist mainstream-tauglich und diese Tatsache verliert fast schon wieder an Bedeutung, weil der "Türke" schon über diesen Problemen steht und gerne nur noch Filme machen möchte, mit Themen, die darüber hinausgehen. Für viele Filmemacher, ist es heute nicht mehr wichtig Mainstream-Kino zu machen. Mainstream-Kino, das sind Filme für die Masse; es bedeutet Kommerz. Trotzdem ist der Anspruch ein Millionenpublikum anzulocken und das zu zeigen, was die Mehrheit will, nicht weit verbreitet. Regisseure mit migrantischem Hintergrund haben sich durch ihre Filme emanzipiert und zum Teil etabliert. Die Filmer wollen als solche anerkannt werden und machen daher auch mal Spartenkino. Jenseits des Mainstreams zu arbeiten ist Underground und "angesagt". Ein Film voller skurriler Ereignisse und überzeichneter Klischees, der auf Mainstream keinen Wert gelegt hat, ist Schwarze Schafe. Darin werden u.a. drei junge Deutsch-Türken gezeigt, die unter allen Umständen Sex haben wollen, egal wo und mit wem. Aber wen wollen sie eigentlich beeindrucken mit ihrer plumpen Anmache, ihrem Playboy-Shirt oder einem Großdruck eines Leoparden-Gesichts auf einem Proletenhemd? Der KitKatClub will die Jungs nicht: falsche Sprache, falsches Aussehen, falsche Klamotten. Die Mädels auf der Goa-Party am Müggelsee, sind auch unter Drogen nicht zu haben und beschimpfen die drei als "Kanaken", die angeblich ein Portemonnaie geklaut hätten. Wie kommen die eigentlich dazu? Aber der Film will gerade provozieren. Ein Film über Verlierer, Deprimierte, Proleten, deutsche Schnösel, Klugscheißer, Perverse, Satanisten und Kranke – eben der normale Berliner Durchschnitt. Sie werden nicht als mitleiderregende Milieufiguren gezeigt und werden für ihre Taten, die sogar bis ins Lächerliche abdriften, in keinerlei Weise bewertet. Wenn es um Darstellungen geht, in denen Klischees aufgebrochen werden sollen, kann es auch von Vorteil sein, auf einen Schlag ein großes Publikum damit erreichen. Also kann Mainstream auch wichtig sein für deutsche Filmemacher mit ethnischer Herkunft. Wenn die Erfahrungen der eigenen Herkunft, auch wenn dafür die political correctness für einen guten Zweck über den Haufen geworfen werden muss, nutzbar gemacht werden kann, bevor es andere wieder auf eine falsche Art und Weise tun, ist das doch nur legitim. Filmemacher türkischer Herkunft sehen "den Fremden" aus einem anderen und weiteren Blickwinkel, als ihre deutschen Kollegen bzw. widmen sie sich anderen Themen. Der Gesinnungswandel der nachkommenden Generationen der einstigen Gastarbeiter bewirkt ein Umdenken in sich und hoffentlich auch in den Köpfen der deutschen Betrachter. Die Befreiung von veralteten Klischees und Rollenerwartungen, eine neue Selbstverständlichkeit und Normalität, die die Identität des Fremden, abseits der Scheinmoral der Gesellschaft und die Glaubwürdigkeit der Medien, annimmt, statt sie zum Problem zu machen, gehört auch auf die deutsche Tagesordnung. Zum Abschluss noch eine Anmerkung, um den Umgang mit der gegenwärtigen Generationen zu erleichtern: die heutigen Deutschen mit türkischem Migrationshintergrund fühlen sich als Deutsche, Berliner, Europäer oder Weltenbürger. Bei Fragen, die die Wörter Kopftuch, Schweinefleisch und Alkohol beinhalten, könnte manch einer die Augen verdrehen, denn viele bemühen sich um ein deutsches Image und wollen "normal" behandelt werden. ". auch Deutsche (kriegen) ohne weitergehende Sprachkenntnisse ihr "Good Morning", "Buona sera", "Bon jour", ihr "Bye-bye", "Ciao", "Au revoir" hin, türkische Entsprechungen hingegen sind nicht geläufig." Es wird Zeit, dass "Merhaba" genau so alltäglich klingt und andere Lebenswelten und kulturelle Unterschiede in einer Gesellschaft als Bereicherung betrachtet werden. Gedruckte Version im Universitätsverlag der TU Berlin (www.univerlag.tu-berlin.de) erschienen. Format A5.
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#MeToo – nach über fünf Jahren ist dieser Hashtag immer noch nahezu jeder Person ein Begriff. Der Aufschrei über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch im Jahr 2017 war groß. Frauen auf der ganzen Welt solidarisierten sich mit den Opfern von sexualisierter Gewalt oder teilten ihre eigenen Geschichten. Und heute? Wie hat sich #MeToo entwickelt? Endete die Thematik in genervtem Kopfschütteln? Gilt die Debatte als beendet? Fünf Jahre nach dem ersten Aufschrei stellt sich nun die Frage: Hat sich etwas verändert und das spürbar für die breite Öffentlichkeit?Eines kann klar gesagt werden: Die Medien beschäftigen sich auch heute noch mit dem Thema des Machtmissbrauchs, des Machtungleichgewichts und mit sexualisierter Gewalt. Diese Thematik und der damit stark verbundene Feminismus sind in aller Munde. Ist dies ein Verdienst der #MeToo-Debatte aus dem Jahr 2017? Oder war die Debatte ein reines Internetphänomen, das folgenlos im Sand verlief?Diese Fragen standen im Zentrum der Recherche zu dieser Ausarbeitung. Ich möchte mich der Frage widmen, ob #MeToo mehr als folgenloser Klicktivismus war. Hierfür beginne ich mit einigen Begriffsdefinitionen, die inhaltlich wichtig sind für die Fragestellung, um anschließend Ursprung und Entwicklung der Bewegung zu betrachten. Zusätzlich wird auf die Kritik an der #MeToo-Debatte eingegangen, um einige der Kritikpunkte zu entschärfen. Die Veränderungen, die #MeToo eventuell erzielen konnte, werden im Anschluss beschrieben und zwar in Bezug auf Hollywood sowie auf die allgemeine Öffentlichkeit insbesondere in Deutschland.Sexismus, sexuelle Belästigung und sexuelle GewaltIn dieser Seminararbeit wird häufig über diese Begriffe gesprochen, weshalb diese einer Definition bedürfen, um Unklarheiten vorzubeugen.Sexismus ist eine voreingenommene, vorurteilsbehaftete Verhaltensweise, die Menschen aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert. Dies kann auch durch Menschen des gleichen Geschlechtes erfolgen. Meist beruht Sexismus auf einem ungleichen Machtverhältnis.Sexuelle Belästigung kann aufgrund von vorherrschendem Sexismus entstehen. Als sexuelle Belästigung werden unter anderem sexuelle Anspielungen sowie ungewollte Berührungen gezählt. Sexuelle Belästigung führt bei den Betroffenen zu einem Zustand des Unwohlseins.Sexuelle Gewalt (dazu zählt auch sexueller Missbrauch) ist ein Übergriff, der durch körperliche Gewalt erfolgt. Dieser kann auch zu ungewolltem Geschlechtsverkehr führen (vgl. Krassnig-Plass 2020, S. 13ff.).Soziale MedienDa das Thema dieser Seminararbeit ihre Anfänge in den Sozialen Medien nahm, bedarf es auch hier einer Begriffsbestimmung. "Soziale Medien" ist ein inflationär genutzter Begriff. Doch was genau sind "Soziale Medien"? Und warum werden sie als "soziale" Medien beschrieben (Scheffler 2014)?Als Soziale Medien oder "social media" werden Massenmedien bezeichnet, die ausschließlich im Internet präsent sind. Als "sozial" werden diese Medien bezeichnet, da sie die Nutzer*Innen verknüpfen. Über die Plattformen können Meinungen, Informationen und Erfahrungen auf schnellem und direktem Wege ausgetauscht werden. Jede*r Nutzer*In kann selbst Inhalte erstellen oder auf bereits vorhandene Inhalte reagieren. Dies kann durch Texte, Audios, Videos oder Bilder geschehen. Meist verschwimmen die Grenzen zwischen Konsument*Innen und Produzent*Innen. Soziale Medien können sowohl bekannte als auch fremde Menschen miteinander vernetzen.Soziale Medien stehen ihren Nutzer*Innen meist kostenlos zur Verfügung. Um sich zu finanzieren, sammeln sie in der Regel Daten der Nutzer*Innen, um gezielte Werbung oder Inhalte zu schalten, die für diese interessant sein könnten.Ein wichtiger Aspekt der sozialen Medien ist also die Partizipation, das Mitwirken und Teilnehmen an Diskussionen des gesellschaftlichen Lebens. Durch die Mitwirkung und Teilnahme in den Sozialen Medien steigt das gesellschaftliche Engagement. Feministischer AktivismusFeminismus bezeichnet eine Bewegung, die Diskriminierung von Frauen beseitigen möchte und eine Gleichstellung der Geschlechter in allen Lebensbereichen anstrebt (vgl. bpb 2021). Aktivismus bedeutet, dass sich Bürger*Innen aktiv für einen Wandel einsetzen. Es gibt sehr vielfältige Möglichkeiten, Aktivismus zu betreiben. Aktivismus ist eine Art Protest und stellt bestehende Regeln in Frage. Diese bestehenden Regeln werden im Aktivismus manchmal vorsätzlich gebrochen, um den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben.Die Fridays for Future-Bewegung ist ein Beispiel für Aktivismus. Schüler*Innen protestierten während der Schulzeit, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Hierbei wurde die Schulpflicht ignoriert und somit eine bestehende Regel gebrochen. Aktivismus kann durch Gruppen oder auch Einzelpersonen ausgeführt werden. Meist erfolgt Aktivismus, um Einfluss auf Politik und Entscheidungsträger*Innen zu nehmen (vgl. Hamer 2020).Feministischer Aktivismus ist ein zusammengesetzter Begriff. Hier setzen sich Feminist*Innen aktiv ein und streben einen Wandel in der Gesellschaft an. Dieser Wandel soll die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern beenden. Auch Männer können Feministen sein, wenn sie sich für das Ausräumen der Ungerechtigkeiten einsetzen.Es gibt verschiedene Arten von Aktivismus. Bei der #MeToo-Bewegung handelt es sich um einen feministischen Aktivismus, der im Internet stattfand und der auch oftmals als "Klicktivismus" bezeichnet wird.KlicktivismusDie Sozialen Medien bieten vielseitige Möglichkeiten zur Partizipation. Durch die digitalen Angebote kann die Gesellschaft mitgestaltet werden. Der Begriff "Klicktivismus" bezeichnet hierbei eine Beteiligung, vorwiegend zu politischen Themen, die durch die Nutzung digitaler Inhalte in den digitalen Medien entsteht, beispielsweise durch Petitionen im Netz, Geld sammeln oder auch durch Ankündigung von Demonstrationen. Es werden somit viele Menschen gleichzeitig erreicht. Es können Beiträge kommentiert oder geteilt werden. "Klicktivismus" setzt sich aus den beiden Begriffen "klicken" und "Aktivismus" zusammen. Klicken beschreibt hierbei, dass es sich um ein reines Phänomen im Internet handelt (vgl. bpb 2022).Diese spezielle Form des Aktivismus kann zu neuen politischen und gesellschaftlichen Diskursen führen oder bestehende Diskurse verändern. Allerdings neigt der Klicktivismus dazu, schwächer zu sein als realer Aktivismus. Dies wird dadurch begründet, dass es eines geringeren Aufwands bedarf, eine Petition zu unterschreiben oder einen Beitrag zu teilen, als aktiv zu einer Demonstration zu gehen. Die Hemmschwelle ist eine viel niedrigere. Aus diesem Grund gibt es häufiger eine größere Gruppe von Menschen im Internet, die an dem Online-Aktivismus teilnehmen, jedoch nicht bereit sind, an einer Demonstration teilzunehmen. Dies schwächt den Klicktivismus deutlich ab. Aktivismus im realen Leben erzielt meist eine größere Wirkung.Hashtag-AktivismusBei der #MeToo-Debatte handelt es sich um einen Aktivismus, der im Internet seinen Ursprung hatte. Ein Hinweis darauf ist unter anderem das Rautensymbol, das für diese Bewegung gleich zu Beginn benutzt wurde. Dieses Rautensymbol wird in den sozialen Plattformen, wie beispielsweise Instagram oder Twitter, als Hashtag bezeichnet. Hashtags werden benutzt, um Schlagwörter in einem Post, einem Artikel oder ähnlichem einzubauen. Eingeführt wurde dieses Symbol durch Twitter, um inhaltliche Verknüpfungen zu schaffen.Ein Begriff, der mir bei der Recherche häufig begegnet ist, ist der Begriff des "Hashtag-Aktivismus". Bei dieser Form des Aktivismus wird ein bestimmtes Schlagwort hinter dem Rautensymbol eingefügt. Unter diesem Hashtag können dann beispielweise, wie bei #MeToo, persönliche Geschichten und Meinungen geteilt werden. Dies kann auch für sozialen Protest genutzt werden. Auch die #MeToo-Bewegung entstand durch einen Hashtag (vgl. Hochschule der Medien, o.D.).Die Sozialen Medien können aufmerksam machen auf Themen, die in der Politik keinen oder zu wenig Raum finden, und es kann den Diskurs in der Politik sowie in der Gesellschaft entfachen und verändern. Konnte die #MeToo-Bewegung dies erreichen? Oder war die Bewegung ein folgenloser Klicktivismus? Im Folgenden wird die #MeToo-Debatte näher betrachtet.#MeToo-BewegungBewegungen entstehen aufgrund von gesellschaftlichen Konflikten. Sie reagieren auf Missstände und durch die Bewegungen werden gezielt Veränderungen angestrebt. Dies kann auch durch Protest geschehen (vgl. bpb 2021b). Meist werden im Zuge von sozialen Bewegungen Debatten geführt oder sie liegen sozialen Bewegungen zugrunde. Debatten sind öffentliche Streitgespräche.Bei der Thematik #MeToo wird oft von einer Debatte oder einer Bewegung gesprochen, da #MeToo Züge beider Phänomene aufweist. Bei #MeToo wird auf gezielte Veränderungen gesetzt, wie es bei einer (sozialen) Bewegung der Fall ist, und es werden öffentliche Streitgespräche über weitere Vorgehensweisen geführt. Die Trennlinie der beiden Begriffe ist in dieser Thematik unscharf.Ursprung der BewegungIm Oktober 2017 erlangte das Hashtag #MeToo große Aufmerksamkeit. Seinen Anfang nahm der Hashtag auf Twitter und innerhalb weniger Tage und Wochen wurde er auch auf anderen Plattformen verwendet. Bereits innerhalb weniger Wochen wurden unter dem Hashtag 12 Millionen Bilder, Geschichten und Erlebnisse öffentlich geteilt.Doch was bedeutet dieser Hashtag eigentlich genau? Und wie kam es zu diesem Hashtag? Der Ausspruch "Me too" hat bereits über zwei Jahrzehnte vor der weltweiten Aufmerksamkeit seinen Ursprung. Die Aktivistin Tarana Burke gilt als Begründerin des Ausdrucks. Seit Tarana 14 Jahre alt ist, setzte sie sich vor allem für dunkelhäutige Frauen ein, die Opfer von sexueller Gewalt geworden waren.Auch Tarana Burke selbst wurde Opfer von sexueller Gewalt. Als sie sich an ein lokales Zentrum für Opfer von sexueller Gewalt wandte, um Hilfe zu bekommen, wurde sie abgewiesen. Hilfe konnte ihr nur angeboten werden, wenn zuvor die Polizei eingeschaltet wurde. Daraufhin arbeitete sie an einem Programm, das Opfer sexualisierter Gewalt unterstützen sollte. Dies ermöglichte sie mithilfe von Bürgerorganisationen, Workshops und später auch durch die Sozialen Medien.Tarana Burke begann an Schulen in den USA Workshops zum Thema sexualisierte Gewalt zu geben. Im Rahmen eines Workshops in einer High-School in Alabama sollten die Mädchen, wenn sie Hilfe brauchten, einen Zettel mit den Worten "Me too" (deutsch: ich auch) schreiben. Dies war der Moment, in dem #MeToo ins Leben gerufen wurde. Tarana beschrieb ihre Arbeit wie folgt:"I knew when you exchange empathy with somebody, there's an immediate connection you make with a person by saying 'me too'. That's what the work is about. It's about survivors talking to each other" (Amnesty International 2021).Skandal um Harvey WeinsteinHarvey Weinstein ist ein US-amerikanischer Filmproduzent mit eigenen Produktionsfirmen in Hollywood. Vielen Schauspieler*Innen konnte er über mehrere Jahrzehnte hinweg zu Bekanntheit verhelfen. Gerüchte über seinen sexistischen Umgang mit Frauen gab es schon lange, weshalb Jodi Kantor und Megan Twohey diesen auf den Grund gehen wollten. Zusätzlich wurden sie dadurch angetrieben, dass Frauen zwar mittlerweile über mehr Macht verfügten, jedoch immer noch sexueller Belästigung ausgesetzt waren. Die Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt wurden, litten häufig im Verborgenen, während die Täter ungestört Karriere machen konnten.Im Jahr 2017 begannen die beiden Journalistinnen für die New York Times über Harvey Weinstein zu recherchieren. Sie kontaktierten Schauspielerinnen, die mit Harvey Weinstein zusammenarbeiteten. In den wenigen Fällen, in denen es ihnen gelang, mit einer Schauspielerin zu sprechen, fielen die Gespräche sehr kurz aus. Zu groß war die Scham und auch die Angst, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Viele lebten in großer Diskretion, um ihre Privatsphäre so gut wie möglich vor der Öffentlichkeit zu schützen. Einige der Schauspielerinnen hatten außerdem Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben und fürchteten sich vor den rechtlichen Konsequenzen. Einfacher war es, mit ehemaligen Angestellten Weinsteins zu sprechen. Aber auch diese verharmlosten sein Verhalten oftmals (vgl. Kantor et al. 2020).Die erste Schauspielerin, die ihr Schweigen brach und mit den beiden Journalistinnen in Kontakt trat, war Rose McGowan. Sie erzählte, wie sie 1997 von Harvey Weinstein sexuell missbraucht wurde, nachdem sie sich zu einem Gespräch über einen bevorstehenden Film verabredet hatten. Sie beschuldigte jedoch nicht nur Weinstein, sondern die ganze männlich dominierte Filmindustrie in Hollywood."Das Problem geht weit über Weinstein hinaus, […]. Hollywood [ist] ein organisiertes System für den Missbrauch von Frauen (vgl. Kantor et al. 2020, S. 24)."Daraufhin brachen unter anderem eine ehemalige Assistentin Weinsteins und weitere Schauspielerinnen ihr Schweigen und berichteten über sexuelle Übergriffe durch Weinstein. Zelda Perkins, eine Londoner Produzentin, brach ihr Schweigen trotz einer unterschriebenen Verschwiegenheitserklärung. Auch ein ehemaliger männlicher Mitarbeiter Weinsteins, der sein Wissen immer mehr als Belastung empfand, half dabei, den Machtmissbrauch durch Weinstein aufzudecken (vgl. Kantor et al. 2020). Am 5. Oktober 2017 veröffentlichten sie dann ihre Recherchen über die mutmaßlichen sexuellen Belästigungen und Übergriffe durch Harvey Weinstein.Ausgelöst durch die Berichtserstattung ermutigte Alyssa Milano, eine US-amerikanische Schauspielerin, Frauen dazu, ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung öffentlich zu teilen. Dies geschah, indem Frauen ihren Twitter-Posts unter dem Hashtag #MeToo veröffentlichten (vgl. DER SPIEGEL 2017). Die journalistischen Veröffentlichungen sowie der Post von Alyssa Milano legten den Grundstein für einen öffentlichen Diskurs über Machtmissbrauch und sexuellen Missbrauch von Männern an Frauen (vgl. Kurtulgil 2020).Kritik an #MeTooEin besonders häufig angesprochener Kritikpunkt während der Debatte war, dass viele Frauen unglaubwürdig zu sein schienen. Viele zweifelten an der Glaubwürdigkeit der Frauen, die ihre Geschichte unter dem Hashtag #MeToo teilten und Zweifel gab es vor allem auch an den Frauen, die ihre Erfahrung mit sexueller Gewalt im Hinblick auf Harvey Weinstein äußerten. Es wurde in Frage gestellt, weshalb sich die Frauen erst Jahre, teilweise auch erst Jahrzehnte nach den Taten äußerten. Kritisiert wurde auch, ob nicht einige Aussagen überdramatisiert wurden.Laut Experten ist es jedoch üblich, dass sich Opfer von sexualisierter Gewalt erst sehr spät oder gar nicht melden. Als Grund wird ein Scham- und Angstgefühl der Betroffenen genannt. Auch befinden sich einige Opfer noch in den bestehenden Machtverhältnissen und können diesen nicht oder nur schwer entkommen. Die Dunkelziffer dieser Taten schätzen einige Experten als sehr hoch ein (vgl. ZDF 2021).Auch wird #MeToo oft für ein vermehrtes Auftreten von Unsicherheiten im Umgang mit Annäherungsversuchen seitens männlicher Personen kritisiert. Beklagt wird, dass die Debatte eine Verbotskultur entstehen ließe. Flirten fühle sich an wie eine Straftat und zerstöre somit Annäherungsversuche. Diesem Kritikpunkt kann entgegengesetzt werden, dass jedoch auch die Chance entsteht, dass die klassischen Geschlechterrollen aufgebrochen werden. Die Rolle des "aktiven Mannes" und der "passiven Frau" könnte dadurch entstigmatisiert werden (vgl. Braun 2021). Des Weiteren kann dieses Argument entkräftet werden, indem bewusst gemacht wird, dass Annäherungen einvernehmlich geschehen müssen. Es kann zu einer Sensibilisierung führen, sodass ein "Nein" auch als "Nein" gewertet wird.Kritik wird zudem daran geäußert, dass sexuelle Belästigung, sexuelle Gewalt und sexueller Missbrauch nichts mit der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zu tun hat. Diesem Argument kann entgegengesetzt werden, dass vor allem in den USA häufig die Machtposition von Männern missbraucht wurde, um Frauen sexuell zu belästigen (vgl. Krassnig-Plass 2020).Anknüpfend an den vorherigen Kritikpunkt ist der Folgende: es wird kaum bis gar nicht über sexuelle Gewalt und sexuellen Missbrauch durch Frauen gesprochen. Frauen werden in die Opferrolle gedrängt. Laut einer Studie sind jedoch 75 bis 90 Prozent der Sexualstraftäter Männer. Was nicht bedeutet, dass es diese Fälle nicht gibt, doch die Gefahr, sexuelle Gewalt als Frau durch einen Mann zu erfahren, ist laut Statistik deutlich höher (vgl. UBSKM).Als sehr wichtiger Kritikpunkt, gerade im Hinblick auf diese Ausarbeitung, wird oft genannt, dass die #MeToo-Debatte eben nur ein öffentliches Streitgespräch darstelle und keine spürbare Veränderung in der Gesellschaft bewirke, da es nur online stattfand und es nicht schaffte, einen Bogen zur Realität zu schlagen. Ob dieses Argument berechtigt oder haltlos ist, wird im nächsten Punkt betrachtet. Es wird beschrieben, ob und welche Veränderungen es durch die #MeToo-Bewegung in Hollywood und in der breiten Öffentlichkeit gab (vgl. Toyka-Seid 2022a).Veränderungen durch #MeToo in HollywoodNachdem die Anschuldigungen am 5. Oktober 2017 veröffentlicht wurden, entschuldigte sich Weinstein, da er sich offenbar falsch gegenüber einigen Kolleginnen verhalten habe, stritt jedoch ab, sexuell übergriffig geworden zu sein. Den Opfern warf er vor, mental instabil zu sein. Den Journalistinnen wurde mit einer Anzeige wegen Verleumdung und einer Schadensersatzforderung von 100 Millionen Dollar gedroht.Am 6. Oktober, einen Tag nach der Veröffentlichung, meldeten sich weitere Frauen bei den Journalistinnen, um ihnen von ihrem Missbrauch durch Weinstein zu erzählen. In den folgenden Tagen gaben mehrere Mitarbeiter*Innen Weinsteins ihren Job auf. Weinstein wurde infolge der Veröffentlichungen aus seiner Produktionsfirma "The Weinstein Company" entlassen. Ein halbes Jahr später meldete die Firma Insolvenz an und wurde im Juli 2018 verkauft (vgl. Kantor et al. 2020).Am 13. Oktober wurden in der Zeitung "New Yorker" 13 Opfer Weinsteins zitiert. Drei davon warfen ihm Vergewaltigung vor. Im Februar 2020 hatten fast einhundert Frauen ihre Erfahrungen mit Harvey Weinstein öffentlich gemacht. Die Anschuldigungen reichten von sexueller Belästigung bis hin zur Vergewaltigung. Viele dieser Vergehen waren allerdings bis zu dem Prozess 2020 schon verjährt oder erfüllten nicht den Tatbestand eines Strafdeliktes. 2020 wurde Harvey Weinstein in einem Prozess schuldig gesprochen und zu einer Haftstrafe von 23 Jahren verurteilt. 2022 stand er nochmals vor Gericht und wurde in weiteren Anklagepunkten schuldig gesprochen. Ihm drohen weitere 24 Jahre Haft (vgl. Tagesschau 2022).Nach dem Skandal stieg die Zahl der Regisseurinnen in Hollywood an. Weibliche Regisseurinnen schufen eine respektvollere Arbeitsumgebung. Außerdem zeigte die #MeToo-Debatte generell das Problem der Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen in Hollywood auf (vgl. Luo, Zhang 2020).Verändert hat sich das Bewusstsein, dass sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe nicht unbestraft bleiben können. Zahllose Männer, die in der Öffentlichkeit standen, mussten sich ihrem Verhalten stellen. Die Taten vieler Männer blieben somit nicht mehr unbestraft und Frauen begannen, ihr Schweigen zu brechen. Laut der New York Times verloren rund 200 Männer im Zuge der #MeToo-Debatte ihren Job. Rund die Hälfte dieser Jobs wurde anschließend von Frauen besetzt (vgl. Carlsen et al. 2018).Veränderungen durch #MeToo in der ÖffentlichkeitBereits eine Woche nach dem Aufruf von Alyssa Milano wurde der Hashtag #MeToo bereits millionenfach genutzt. Nicht nur über Twitter, sondern auch über andere Plattformen wie beispielsweise Instagram oder Facebook. Unterstützung bekam sie zudem von bekannten Schauspielerinnen, die bereit waren, ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung oder sexuellem Missbrauch öffentlich zu teilen. Dadurch gelang es, das Thema sexuelle Belästigung in den Fokus der breiten Öffentlichkeit zu rücken und es beschränkte sich nicht mehr nur auf die Filmbranche.Bald wurde außerdem deutlich, dass sexuelle Belästigungen nahezu alle Bereiche des Lebens betreffen. In allen Branchen, in denen es Machtpositionen gibt, wurden diese ausgenutzt und Frauen sexuell belästigt. Weltweit wurde daraufhin gefordert, dass sich das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern ändern müsse. Es entstanden zudem weitere Debatten, die sich in einem breiten Themenfeld bewegten, es ging um Geschlechterdiskriminierung oder auch "Catcalling" (verbale sexuelle Belästigung, die keinen eigenen Strafbestand darstellt) (vgl. ZEIT ONLINE, o. D.). 2020 wurde deshalb im Zuge einer Online-Petition gefordert, dass verbale sexuelle Belästigung als Ordnungswidrigkeit geahndet werden sollte.In Großbritannien veranlasste die mediale Aufmerksamkeit Frauen dazu, über sexuelle Übergriffe von britischen Abgeordneten zu sprechen. Daraufhin wurde unter anderem der Verteidigungsminister Michael Fallon aus seinem Amt entlassen (vgl. Kantor et al. 2020).Eines hat die #MeToo-Debatte jedoch besonders deutlich gemacht. Sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch sind keine individuellen Probleme, sondern betreffen eine Vielzahl an Menschen. Frauen wurde bewusst gemacht, dass sie nicht die Schuld an sexueller Gewalt tragen. Die wesentliche Stärke der Bewegung stellte den gesellschaftlichen Rückhalt, die Unterstützung dar. Das Bewusst-machen und Enttabuisieren dieser wichtigen Thematik führte zu einem Anstieg an geforderten Beratungsgesprächen über sexualisierte Gewalt. Es wurde Frauen die Angst genommen, sich zu äußern, ihre eigenen Grenzen zu kennen und diese zu wahren (vgl. Krassnig-Plass 2020).Die Bewegung sorgte also für eine nachhaltige Sensibilisierung im Hinblick auf sexualisierte Gewalt. Gerade bei der Organisation Weisser Ring e.V. melden sich seit 2017 immer mehr Menschen, um Hilfe nach einer Vergewaltigung oder bei Stalking zu bekommen.Die #MeToo-Bewegung machte außerdem deutlich, dass es immer noch ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen gibt und dadurch Sexismus und sexualisierte Gewalt entsteht. Es signalisiert, dass die Gesellschaft noch immer nicht bei der Gleichberechtigung angelangt ist. Die Debatte kann also als Indikator für die noch bestehende Kluft zwischen Männern und Frauen in nahezu allen beruflichen Branchen und Bereichen des alltäglichen Lebens gewertet werden. Das größte Verdienst hat die #MeToo-Bewegung also in der Öffentlichkeit gehabt, indem das öffentliche Denken angeregt wurde und existierende Unterschiede zwischen Männern und Frauen bewusst und öffentlich gemacht wurden.Feminismus ist in der breiten Masse der Bevölkerung angekommen und wird mehr denn je thematisiert und unterstützt. Feminismus generell verläuft in Wellen. Seit #MeToo und durch die Nutzung digitaler Medien wird von der vierten Welle des Feminismus gesprochen. #MeToo könnte einen Beitrag zur Entstehung dieser Welle geleistet haben (vgl. Schwarzkopf 2019).FazitDie #MeToo-Debatte entwickelte sich zu einer sehr wichtigen Bewegung, über die bis weit in die breite Öffentlichkeit hinein gesprochen wurde. Doch konnten wirklich spürbare Veränderungen hervorgerufen werden oder handelt es sich nur um folgenlosen Klicktivismus?In der vorliegenden Arbeit wurde beschrieben wie #MeToo entstand, wie es sich im Netz entwickelte und welche Veränderungen die Bewegung in der Realität hervorgerufen hat. Dabei wurde aufgezeigt, dass #MeToo seinen Anfang im realen Leben nahm, dann über das Internet an weltweite Öffentlichkeit gelangte und dort eine wichtige Debatte auslöste. Dies geschah sowohl online als auch in der realen Gesellschaft.#MeToo ist eine der größten medialen Bewegungen der letzten Jahre und steht für das Bewusst-machen von noch bestehenden Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen. Sexualisierte Gewalt wurde enttabuisiert und mehr Frauen wurden dazu gebracht, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Anfangs wurde Hilfe im Netz in Anspruch genommen und dann bei dafür spezialisierten Organisationen in der Realität.#MeToo legte einen wichtigen Grundstein für weitere feministische Entwicklungen im Netz und der Realität. Längst wird #MeToo nicht mehr nur als Internetphänomen gesehen. Harvey Weinstein und viele andere Männer, die ihre Machtpositionen ausnutzten, wurden angeklagt und aus ihren Ämtern entlassen. Dies zeigt einen Erfolg der Bewegung, der außerhalb des Internet messbar ist.Auch arbeiten deutlich mehr Frauen in früher hauptsächlich von Männern besetzten Berufen. Auch dies ist ein spürbarer Erfolg. Aber vor allem hat #MeToo den öffentlichen Diskurs über sexuelle Gewalt, Machtmissbrauch und Ungleichheit zwischen Männern und Frauen verändert. Welche Veränderungen es zusätzlich in den nächsten Jahren geben wird, wird sich zeigen. Den Grundstein für Veränderungen hat die Debatte jedoch durch Bewusstmachung des Problems gelegt.#MeToo hat gezeigt, dass Veränderungen auch durch das Internet und die Sozialen Medien geschehen können. Es hat eine neue Form aufgezeigt, um für Rechte einzustehen. Bewusst gemacht hat es außerdem, dass ein "Internetphänomen" auch in gesellschaftliche Strukturen eingreifen kann und die Macht hat, diese nachhaltig zu verändern.Abschließend kann die Frage, ob es sich bei der #MeToo-Debatte um folgenlosen Klicktivismus handelt, mit Nein beantwortet werden. Einzelne Ereignisse, wie das Entlassen von mehr als 200 Männern in Machtpositionen oder der Prozess gegen Harvey Weinstein sind Erfolge, die sich messen lassen und auf #MeToo zurückzuführen sind. Es handelt sich nicht nur um ein Phänomen, das im Internet entstanden ist und dort geblieben ist. Es ging über die Sozialen Medien hinaus bis weit in die Gesellschaft hinein und veränderte den öffentlichen Diskurs.Literatur Amnesty International. (2021, 11. Oktober). Tarana Burke: The woman behind Me Too. Amnesty International. Abgerufen am 31. Januar 2023, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2018/08/tarana-burke-me-too/Braun, P. (2021). Flirten nach #metoo Auswirkungen der Debatte auf die Geschlechterrollen und das daraus resultierende Verhalten beim Flirten zwischen heterosexuellen Frauen und Männern. Universität Innsbruck. https://diglib.uibk.ac.at/ulbtirolhs/content/titleinfo/6617715/full.pdf Carlsen, A., Salam, M., Miller, C. C., Lu, D., Ngu, A., Patel, J. K. & Wichter, Z. (2018, 29. Oktober). #MeToo Brought Down 201 Powerful Men. Nearly Half of Their Replacements Are Women. The New York Times. Abgerufen am 31. Januar 2023, https://www.nytimes.com/interactive/2018/10/23/us/metoo-replacements.html Cuéllar, L. (2022, 10. Januar). Klicktivismus: Reichweitenstark aber unreflektiert? bpb.de. Abgerufen am 31. 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