Susan Leigh Star war eine US-amerikanische Soziologin, Feministin, Technik- und Wissenschaftsforscherin deren Denken in der Chicago School of Sociology und dem symbolischen Interaktionismus verwurzelt ist. Sie beschäftigte sich in Kooperation mit anderen Forscher_innen ab den 1980ern mit Wissenschaftsphilosophie, Sozio-Informatik, Artificial-Intelligence-Forschung und Bürokratie-, Wissens- und Wissenschaftskulturen. Es war ihr ein Anliegen über die kooperative Produktion von Wissen unter heterogenen Bedingungen zwischen Menschen und zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten in Erarbeitung einer jeweils adäquaten Grounded Theory zu reflektieren. Interessant für die Medienforschung im engeren Sinn sind vor allem ihre medienethnografischen und medientheoretischen Zugänge zur Informationsverarbeitung anhand "vermittelnde(r) Praktiken und Objekte" (S. 14), ihre frühen Arbeiten zu Computerforschung (Computer-Supported Cooperative Work, CSCW) und marginalisierter Arbeit sowie ihre Kritik an der Akteur-Netzwerk-Theorie von Michel Callon, John Law und Bruno Latour. Sebastian Gießmann und Nadine Taha von der Universität Siegen haben 2017 ein Buch zu Susan Leigh Stars wissenschaftlichen Arbeiten herausgegeben. Das Buch erfüllt dabei verschiedene Funktionen: Einerseits werden damit Stars wichtigste Texte gebündelt und in deutscher Sprache publiziert, andererseits bot sich damit auch die Möglichkeit einer systematischen Kontextualisierung und Kommentierung der Texte. Das Buch ist infolgedessen so aufgebaut, dass neben übersetzten Texten von Star und Schreibpartner_innen kommentierende Texte anderer Medien- und Praxistheoretiker_innen gestellt wurden, sodass diese in unmittelbaren Dialog treten und eine Einbettung in aktuelle medienwissenschaftliche Debatten und eine Nuancierung auf jeweils spezifische Fragestellungen erfahren können. Die kommentierenden Texte entstanden im Rahmen des Workshops "Translation of Boundary Objects", der im Mai 2015 an der Universität Siegen stattfand. Hervorzuheben ist auch der besonders dichte und umfangreiche Einleitungstext von Gießmann und Taha, der in das wissenschaftliche Denken und Arbeiten von Star einführt. Das Buch gliedert sich hiernach in drei Hauptkapitel, die sich um die Begriffe 'Grenzobjekte', 'Marginalität und Arbeit' sowie 'Infrastrukturen und Praxisgemeinschaften' drehen. Die umfangreiche Einleitung spinnt einen roten Faden zu Stars Werk, der den Leser_innen hilft Stars Konzepte einzuordnen, und bespricht wichtige Stationen ihres Lebens und einflussreiche Menschen und Ereignisse, um besser zu verstehen, wie sie ihre Positionen entwickelt hat. Susan Leigh Kippax wurde 1954 in Rhode Island in eine Working-Class-Familie geboren. Sie studierte zuerst Social Relations am Radcliff-College in Harvard und belegte dort vor allem Philosophie-Kurse, brach ihr Studium aber ab, heiratete und zog nach Venezuela um eine Kommune mitzugründen. Sie kehrte jedoch bald ans College zurück um sich intensiviert mit feministischen und ökologischen Fragen zu beschäftigen. Die wichtigen Themen der 1968er-Bewegung prägten Stars wissenschaftliche Auseinandersetzung stark. Insbesondere methodologische Fragen wurden für sie interessant, da sie durch die Hinwendung zu Vertreterinnen eines intersektionalen Feminismus, wie Cherríe Lawrence Molaga und Gloria Anzaldúa, begann race-, klassen- und geschlechterkritisch bspw. blinde Flecken der zu dieser Zeit entstehenden Hirnforschung aufzuzeigen, die die Gehirnhälften streng in 'männlich' und 'weiblich' einteilte. Star promovierte zu diesem Thema 1983 bei Anselm Strauss, der zu Medizinsoziologie arbeitete und den Ansatz der Grounded Theory als Weiterentwicklung des symbolischen Interaktionismus in den 1960ern erarbeitete. Stars Doktorarbeit wurde 1989 als Regions of the Mind publiziert und ist den Laboratory Studies zuzuordnen. 1989 erschienen zudem die Aufsätze zum Naturkundemuseum von Berkley und "Structure of Ill-Structured Solutions" – die wichtigsten Texte zum Konzept der 'Grenzobjekte' bei Star. Grenzobjekte entstehen für Star aus kooperativer Bearbeitung (nicht unbedingt unter Konsens) aber in "Interaktionen und unter Machtverhältnissen" (S. 33). Sie entstehen durch diese Bearbeitung, indem "Informationen sichtbar, lesbar, berechenbar und zugänglich gemacht werden" (S. 34) und können daher zwischen heterogenen sozialen Sphären vermitteln. Sie haben keine Medienspezifik als solche, sondern "handeln von einer situierten Vermittlungsspezifik des Sozialen" (S. 39), sind "n-dimensional" (S. 215) und entsprechen damit medienökologischen Auffassungen von Relationalität im buchstäblichen Sinne. 'Grenze' meint bei den Grenzobjekten damit eher eine Schwelle zwischen unterschiedlichen sozialen Wissensformationen und wird als Ort des Übersetzungsprozesses 'vieler zu vielen' aufgefasst. In einem von Stars letzten Texten, "This is not a Boundary Object", widmete sie sich 2010 noch einmal den Grenzobjekten und bespricht sie in Zusammenhang mit Standardisierungen und Kritik, die an das Konzept herangetragen wurde. Zentrale Fragen sind für sie daher die Beschaffenheit und "das Ausmaß der unsichtbaren Arbeit, der alle wissenschaftlichen Experimente und Darstellungen unterliegen, und die Materialität, die dazu dient, die Durchführung von Wissenschaft zu vermitteln" (S. 218). Für Star hängt Standardisierung stark mit unsichtbarer Arbeit zusammen, etwa so wie auch Identität mit Marginalität zusammenhängt. Anhand des sog. "Zwiebelaufsatzes" (1990/91) konnte sie zeigen, wie über Marginalität (ihre eigentlich unbedeutende Zwiebelallergie) Gemeinkosten verteilt werden, "die mit der Art verbunden sind, wie Individuen, Organisationen und standardisierte Technologien aufeinandertreffen." (S. 250) Wenn Star nämlich Essen ohne Zwiebeln bestellte, musste sie feststellen, dass sie bspw. im Fastfood-Lokal wesentlich länger warten musste, oder ihr nicht geglaubt wurde oder sich Zwiebeln zumindest als Deko auf ihrem Essen wiederfanden und zwar überall auf der Welt und in Restaurants und Lokalen mit ganz unterschiedlicher Servicequalität. Daraus zog sie Schlüsse zum Umgang mit Standardisierungen: Hätte eine signifikante Anzahl von Menschen nämlich ähnliche Bedürfnisse gehabt wie sie, wären Standardisierungen in der Gastronomie und im Einzelhandel vermutlich eher zu ihren Gunsten ausgefallen. Star beschreibt Abweichungen aber nicht als Randbereiche oder Abgesonderte, sondern als Mutationen: "Diese sind das, was sich permanent entzieht und widersetzt, aber gleichwohl in Beziehung zum Standardisierten steht. Das ist nicht Nonkonformität, sondern Heterogenität. Oder um es mit Donna Haraway zu formulieren: Dies ist das Cyborg-Ich." (S. 255) Im zweiten großen Kapitel des Buches geht es um Auseinandersetzungen mit der "Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit von Arbeit" im Kontext von Computer-Supported Cooperative Work (CSCW), denn was als Arbeit gilt und dementsprechend auch entlohnt wird, wird unterschiedlich definiert. Im Text "Schichten des Schweigens, Arenen der Stimme" (1999) den Star gemeinsam mit Anselm Strauss geschrieben hat, wird von mindestens vier unterschiedlichen Modi der (Un-)Sichtbarkeit gesprochen, je nachdem ob die Arbeitnehmerin oder ihre Arbeit (un-)sichtbar ist oder beides. Im Fall von Hausangestellten wird anhand von Judith Rollins Between Women (1987) aufgezeigt, wie diese zumeist von den Arbeitgeberinnen beaufsichtigt, aber sozial nicht wahrgenommen werden, ähnlich 'Nicht-Personen' nach Goffman. Durch stummen Widerstand und Sabotage können sich Hausangestellte jedoch auch unter ihren extremen Arbeitsbedingungen (Isolation und Diskriminierung aufgrund von race und Gender) ihre Autonomie erhalten oder Freiräume schaffen. Ein weiteres Beispiel dieses Forschungsinteresses ist ein Projekt zur Identifizierung unsichtbarer Arbeit von Pflegekräften ("Infrastructure and Organizational Transformation. Classifying Nurses' Work", 1995). Die Erkenntnisse aus diesen Studien flossen in die Beschäftigung mit CSCW, denn "in der Gestaltung großangelegter vernetzter Systeme kann dieser Prozess [Verhältnis der (Un-)Sichtbarkeit von Hintergrundarbeit] kaskadieren" (S. 300) und negative Effekte bis zum Zusammenbruch des Systems produzieren. Solche Beobachtungen haben jedoch für alle Bereiche, in denen es zu unsichtbarer Arbeit kommt, einen gewissen Geltungsanspruch – denken wir nur an das Verhältnis von (Un-)Sichtbarkeit von Hintergrundarbeit in der wissenschaftlichen oder kulturellen Praxis. Unsichtbarkeit sei aber auch nicht immer schlecht, weil sie vor übertriebener Kontrolle schützen kann und unsichtbare Arbeiten sollen auch nicht immer notwendigerweise sichtbar gemacht werden, aber dass sie vorhanden sind, muss erkannt und mitbedacht werden, so Star. Im abschließenden Kapitel kommen viele Stränge in gesteigerter Komplexität zusammen, die über die Befassung mit Grenzobjekten und unsichtbarer, marginalisierter Arbeit kenntlich geworden sind: Es geht nämlich um Infrastrukturen und ihre Bedeutung als "großangelegte Informationsräume" (S. 359). So verhandelt der Text "Schritte zu einer Ökologie von Infrastruktur" (1995/96) anhand des Worm Community Service (WCS) (Software zur Forschung an Nematoden die zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms gebraucht werden) Überlegungen zu Informations- und Wissensverarbeitungssystemen, die für die alltägliche wissenschaftliche Praxis unerlässlich sind. Vernetzt wurden mit dem WCS ca. 1400 Wissenschafter_innen in 120 Laboratorien verstreut über die ganze Welt. Die Texte, die von Star in diesem Kapitel versammelt sind, verstärken ihren Anspruch, dass es lohnend ist, sich auch mit vordergründig langweiligen Dingen wie Infrastrukturen zu beschäftigen. In diese scheinbar neutralen Strukturen sind nämlich politische Kämpfe eingeschrieben oder es treten bei genauerer Betrachtung Medienspezifiken zutage, die zunächst unsichtbar bleiben. Aus einer medienkulturwissenschaftlichen und technikphilosophischen Perspektive sind Susan Leigh Stars Überlegungen zu Medien, (wissenschaftlicher) Arbeit und Informationsinfrastrukturen absolut lesenswert, auch weil Star mit großem Interessen die Computerisierung der Wissenschaften und die Entwicklung zahlreicher noch immer aktueller feministischer Debatten verfolgt und reflektiert hat. * Open Access PDF/EPUB verfügbar unter: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3126-5/grenzobjekte-und-medienforschung/
In Zeiten eines zur Religion gewordenen Kapitalismus und der grell ausgeleuchteten Städte, die ihren Bewohnern durch Überwachung all ihrer Lebenswelten jegliche Freiräume rauben, meint man den Zenit an möglichem Pessimismus erreicht zu haben. Das große und unangenehm blendende Licht (ital. luce) der Herrschaft und Herrlichkeit ist zum holistischen Weltunternehmen geworden. Diesem Zustand setzt Georges Didi-Huberman in seinem brandaktuellen Buch die fragilen Lichter (ital. lucciola) der Glühwürmchen (franz. lucioles) als Hoffnung und Widerstand entgegen. Ihren Ausgang nimmt diese 'Geschichte' der Glühwürmchen 1941 in Bologna. In jenem Jahr schreibt der Student Pier Paolo Pasolini einen Brief voller Begehren und Freude, während rund um ihn der Krieg tobt. Eine Szenerie voller Dunkelheit und Gefahr, in der nichtsdestotrotz die Euphorie der unschuldigen Sehnsüchte und Überschreitungen ihre Nischen findet. "Kleine Geschichten inmitten der großen Geschichte" (S. 16). Nach einer kurzen Beschreibung über einen Aufenthalt in einem Bordell – "lucciola bezeichnet im umgangssprachlichen Italienisch die Prostituierte" (S. 18) – kommt Pasolini auf die Freundschaft zu sprechen. Er berichtet von einer mondlosen Nacht, in der er mit Freunden "eine Unmenge von Glühwürmchen gesehen" hat, die er und seine Freunde sowohl um ihre Liebe und Gemeinschaft als auch um ihr gegenseitiges Begehren beneidet haben. Evoziert durch dieses Schauspiel folgen schwärmerische Bekenntnisse über die Schönheit der Freundschaft. Dies wird in der Anmut des Lachens junger Männer manifest, welche "die Nacht mit ihren Rufen füllen". Für Pasolini stellt der "Tanz der Glühwürmchen" einen Raum von Gesten der Freiheit dar, die sich dem Terror zu entziehen wissen. Sie sind die kleinen Lichter des Begehrens im grellen Licht des Faschismus und der Schuld. Die unschuldige Euphorie der Jünglinge repräsentiert wie die Glühwürmchen eine wahre Ausnahme innerhalb der zur Regel verkommenen Ausnahmezustände des Terrors, wenn Pasolini infolge von angsteinflößenden, "wilden Scheinwerfern, mechanischen Augen"[1] spricht, die ihre Lebenssituation kennzeichnen. 1975, im Jahr seiner Ermordung, veröffentlicht Pasolini eine Schrift über den wiedererstarkten Faschismus unter dem Titel Von den Glühwürmchen. Diese neue Macht hat eine allumfassende Nacht sowie ein beißendes Licht der Herrschaft nach sich gezogen. Dieser Text beklagt das endgültige Verschwinden der Glühwürmchen, die selbst in den dunkelsten Momenten noch Hoffnung gespendet haben. Mit dem Aussterben der Glühwürmchen und dem "kulturellen Völkermord" durch die Konsumgesellschaft hat die totale Verzweiflung Einzug in die Lebensrealität gefunden. Die sogenannten einfachen Leute, denen Pasolini zeitlebens stark verbunden war, wurden durch eine katastrophale Gleichschaltung um ihren Geist und ihre Vitalität gebracht. Das Verschwinden der Glühwürmchen steht demzufolge sinnbildlich für den Verlust von Gemeinschaft und Menschlichkeit, für den radikalen Entzug der Hoffnung und den letztgültigen Schwund der kleinen Schimmer, die Funken des Widerstandes angedeutet haben. "Die menschlichen Geschöpfe unserer heutigen Gesellschaft", so Didi-Huberman über Pasolinis Zeitdiagnose, "sind wie die Glühwürmchen besiegt und vernichtet worden, sie wurden aufgespießt und ausgetrocknet unter dem künstlichen Licht der Scheinwerfer, dem panoptischen Auge der Überwachungskamera oder der todbringenden Agitation der Fernsehbildschirme" (S. 54). Ausgehend von Pasolinis Einschätzung gilt es für Didi-Huberman "nicht mehr und nicht weniger" als das "Prinzip Hoffnung" (S. 55) anhand der Glühwürmchen neu zur Diskussion zu stellen. Für ihn führt die Konstatierung der Totalität nicht zwangsläufig zur Konsequenz – auch wenn alle Zeichen nichts als katastrophale Rückschlüsse zulassen – deren Sieg kampflos zu akzeptieren und "in Trauer und politischer Verzweiflung zu erstarren" (S. 48). Respektive hat er sich nichts weniger als Walter Benjamins Maxime der geschichtsphilosophischen Anschauung verschrieben, "in der das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer schimmernden Konstellation zusammentritt, aus der sich eine Form der Zukunft ergibt" (S. 55). In solch einer Konstellation – Benjamin nennt sie "dialektische Bilder" – kristallisieren sich Glühwürmchen, die ein Bild imaginieren, das "die Art und Weise, wie wir Politik machen" (S. 56) konstituiert. Die Einbildungskraft ist der Akt, der "Bilder für das Denken" produziert. Im Nachleben, hier in der Tradition von Aby Warburg und Benjamin, zeitigt sich eine Kraft, die für die Einbildungskraft und vornehmlich für ihre "politische Funktion" ihre integrale Wesenheit darstellt. Das "Nachleben bedeutet, in poetischer wie auch in visueller Hinsicht [… eine] – mal vermittelte, mal unsichtbare, aber latent vorhandene, anderswo wiederaufscheinende – Unzerstörbarkeit der Bilder, die unablässigen Wandlungen unterworfen sind" (S. 58). Diese Bilder sind Glühwürmchen und ihr Nachleben nichts Anderes als ein schwaches, aber eindringliches Nachleuchten (Lumineszieren). Sie tauchen flüchtig auf, um dann wieder zu verschwinden, ohne aber ausgestorben zu sein. Wie lässt es sich, so Didi-Hubermans eigentliche Kritik an Pasolini, vom endgültigen Verschwinden der Glühwürmchen sprechen, wenn sie ein reichhaltiges Nachleben entfalten? Dies ist vor allem vor dem Hintergrund zu sehen, dass Pasolinis Filme der 1950er- und 1960er-Jahre selbst beispiellos von einem Nachleben zeugen. Ein ähnlicher Pessimismus ist Didi-Huberman zufolge auch den jüngeren Texten von Giorgio Agamben eigen, die eine "latente Apokalypse" diagnostizieren. Der Erfahrungsverlust, den Benjamin in seinem Essay Erfahrung und Armut an der Katastrophe des Ersten Weltkriegs festmacht, ist Agamben zufolge nunmehr im Alltag manifest geworden. Nach Benjamin sind die Menschen aus dem Krieg nicht reicher, sondern ärmer an Erfahrung heimgekehrt, während laut Agamben den Menschen heutzutage im Alltag keine Übersetzungspraxis mehr gegeben ist, die eine Erfahrung hervorrufen würde. Zeichnet sich Benjamin zufolge die Nachkriegszeit noch durch ein Bewusstwerden der Erfahrungsarmut aus, die nicht mit ihrem absoluten Verlust gleichzusetzen ist, sind auf der anderen Seite die Menschen nach Agamben gänzlich um jedwede Erfahrung gekommen. Gemäß Benjamin ist die "Erfahrung im Kurse gefallen"[2], sprich in Bewegung, wohingegen nach Agamben alle Formen der Erfahrung zerstört und endgültig verschwunden sind. Didi-Huberman hält Agamben entgegen, dass selbst die "Apokalypse in Permanenz" nicht absoluter Natur ist, da sich in ihr Potentiale, Reste eines Widerstands finden. Entlastet ist demnach die Menschheit von der angeblich einzigen Hoffnung einer letztgültigen Grenze. Nicht um den Horizont eines großen Lichts (luce) der Rettung, sondern um zerbrechliche Bilder (lucciola) der Hoffnung ringt Didi-Huberman. Denn auch "die berühmte 'kleine Pforte' des Messianischen bei Benjamin öffnet sich kaum: 'eine Sekunde', sagt er. Ungefähr die Zeit, die ein Glühwürmchen braucht, um seinen Artgenossen zu leuchten – um an sie zu appellieren –, bevor wieder das Dunkel die Oberhand gewinnt" (S. 78). Weder dem Volk, noch den Bildern gesteht Agamben eine Kraft des Widerstands zu, da sie von der "Gesellschaft des Spektakels" (Guy Debord) unterdrückt würden. Ihm zufolge verharrt das Volk ausschließlich in der Akklamation. Agamben übersieht hierbei, so Didi-Huberman, die dialektischen Potentiale, die sowohl den Bildern wie auch dem Volk innewohnen. Trotz aller Kritik darf nicht vergessen werden, dass sich dieser Diskurs ohne Pasolinis und Agambens erschreckend zutreffende Analysen überhaupt nicht denken ließe. Agamben vergisst einzig über seiner "Archäologie der Akklamation" ihr eine "Archäologie der Manifestation, ja der Revolution" (S. 99) entgegenzusetzen. Dieses Gegengewicht sieht Didi-Huberman völlig zu Recht in den Schriften Benjamins verwirklicht, der sowohl eine "Geschichte der Unterdrückten" als auch eine Organisation des Pessimismus einfordert. Anhand Hannah Arendts Lessing-Interpretation in Menschen in finsteren Zeiten hebt Didi-Huberman die Bedeutsamkeit von einem "paradoxen Vermögen [ressource] eines […] Widerstands des Denkens, der Zeichen und der Bilder gegen die 'Zerstörung der Erfahrung'" hervor, welches die Kraft besitzt, die "Freiheit der Völker in Erscheinung treten zu lassen, trotz allem, trotz der Zensur durch die Herrschaft und trotz des gleißend blendenden Lichts der Herrlichkeit" (S. 136). Diese Form des Widerstands ist der Rückzug aus dem grellen Licht (luce) in das Denken, der im gleichen Moment aber auf ein Handeln abzielt, das mitteilbar, erzählbar wird. In der Einleitung desselben Werks spricht Arendt von einer Geste der Erinnerung, die sich durch Nachleben auszeichnet. Dies nennt sie eine "diagonale Kraft", die durch Vergangenheit und Zukunft bestimmt wird, zeitlich aber ein unendliches Potential besitzt und als eine Metapher "für die Tätigkeit des Denkens" zu lesen ist. "Ebendies wäre letztlich die unbegrenzte Ressource der Glühwürmchen: ihr Rückzug, wenn er keine Selbstbezogenheit ist, sondern eine 'diagonale Kraft'; ihre heimliche Gemeinschaft eines vielfachen 'Stücks Menschlichkeit'" (S. 139). Selten und nicht unwiederbringlich, so lässt sich Didi-Hubermans These zusammenfassen, lassen sich noch Glühwürmchen finden, die sich dem Spektakel widersetzen. Solch ein Schimmern im Pessimismus des philosophischen Diskurses – Derrida nennt dies den "apokalyptischen Ton" der Philosophie (vgl. S. 73)– erweckt Didi-Hubermans Buch Überleben der Glühwürmchen selbst, da es sich, trotz der weiten Horizonte der "apokalyptischen Eschatologie", für ein Nachleuchten der fragilen Lichter der Hoffnung einsetzt. Nicht ganz ungewollt, aber umso gekonnter, wird der Text so gesehen selbst zu einem Glühwürmchen, weil er für den Moment seiner Entfaltung an den Widerstand seiner Leser appelliert: "Die Erfahrung ist im Kurs gefallen, in der Tat. Es hängt aber jedoch nur von uns ab, nicht an dieser Börse zu spielen" (S. 113). Um daraus eine an Benjamin angelehnte Aufforderung zu generieren: "Wir sind 'arm an Erfahrung'? Dann lasst uns aus dieser Armut – diesem Halbdunkel – selbst eine Erfahrung machen!" (S. 113) Denn schon zu Lebzeiten Benjamins wussten ihm zufolge einige wenige wie Karl Kraus, Paul Scheerbart und Adolf Loos, anhand derer er das "neue Barbarentum" ausgerufen hatte, mit solchen Zuständen umzugehen und mit wenig auszukommen. Dies waren die "Unerbittlichen", die, um Orte der Erfahrung freizulegen, "erst einmal reinen Tisch machten"[3]. --- [1] Pier Paolo Pasolini: "Ich bin eine Kraft des Vergangenen". Briefe 1940–1975. Berlin: Wagenbach 1999. S. 29. [2] Walter Benjamin: "Erfahrung und Armut", in: Gesammelte Schriften. Bd. II, hg. v. Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1977, S. 213–219, S. 214. [3] Ebd., S. 215.
Wolfgang Gaiser/Johann de Rijke: Gesellschaftliche und politische Beteiligung Jugendlicher und junger Erwachsener in DeutschlandDer Beitrag beleuchtet auf empirischer Basis ein breites Spektrum von Partizipation: die Mitgliedschaft und Aktivität in traditionellen Organisationen, Vereinen und Verbänden, die Beteiligung bei weniger formellen Gruppierungen sowie Formen punktueller politischer Artikulation. Grundlage sind die Ergebnisse der dritten Welle des DJI-Jugendsurvey mit 9.100 12- bis 29-jährigen Befragten. Es wird den Fragen nachgegangen, ob sich Mädchen und junge Frauen in anderer Weise beteiligen als Jungen und junge Männer und welche Rolle dem Migrationshintergrund und formalen Bildungsunterschieden bezüglich unterschiedlicher Partizipationsformen zukommt. Gezeigt wird, dass man nicht von einem generellen Partizipationsdefizit von Mädchen und jungen Frauen sprechen kann; auch wird sichtbar, dass der Faktor Migrationshintergrund mit Blick auf Partizipation nicht unabhängig vom schulischen Bildungsniveau der Befragten betrachtet werden kann.Wolfgang Gaiser/Martina Gille/Johann de Rijke: Bürgerschaftliches Engagement und Verantwortungsübernahme bei 18- bis 33-Jährigen. Ergebnisse des DJI-Survey 2007Datengrundlage ist mit 1.643 Befragten im Alter von 18 bis 33 Jahren eine Teilstudie des DJI-Survey 2007. Die Ergebnisse belegen, dass viele Vereine eine größere Breitenwirkung haben, als dies eine ausschließliche Bewertung von Vereinsengagement über Mitgliedschaften und die Aktivitäten von Mitgliedern nahe legen würde. Da der DJI-Survey 2007 für die betrachtete Altersgruppe eine Panelstudie ist, lässt sich für den Zeitraum 2003 bis 2007 die Entwicklung von Engagementformen analysieren. So wird am Beispiel der Beteiligung bei informellen Gruppierungen zu beiden Befragungszeitpunkten gezeigt, wie stark die politische Aktivierbarkeit junger Menschen von der biographischen Phase, den Gelegenheitsstrukturen und den Anlässen abhängt. Weiterhin können Zusammenhänge zwischen Aktivität in Vereinen und sozialen Kompetenzen nachgewiesen werden.Ursula Hoffmann-Lange/Johann de Rijke: Argumente und Daten zur Herabsetzung des WahlaltersDas Wahlrecht kann als "harter" Kern der Demokratie angesehen werden. Ab welchem Alter sollte dieses Recht "zugestanden" werden? Der Beitrag beleuchtet nicht nur die politische Debatte, sondern gibt auch auf empirischer Grundlage wichtige Hinweise für diese Diskussion. Dabei geht es im Einzelnen um die Entwicklung politischer Kompetenzen im Jugendalter, um die subjektive Bedeutung des Wählens für die junge Generation, um altersspezifisches Wahlverhalten sowie den erwartbaren Einfluss der Herabsetzung des Wahlalters auf die Wahlbeteiligung. Resumiert wird schließlich, dass eine Herabsetzung des Wahlalters kaum Auswirkungen auf die Wahlergebnisse hätte, insgesamt gesehen jedoch zu einer weiteren Abnahme der Wahlbeteiligung führen würde.Claus J. Tully/Wolfgang Krug: Engagement befördert Teilhabe und setzt sie voraus. Erkenntnisse aus dem Projekt "Informelle Lernprozesse im Jugendalter in Settings des freiwilligen Engagements"Der Beitrag beleuchtet Partizipation im Rahmen freiwilligen Engagements. Die Autoren stützen sich auf die Ergebnisse des Projekts "Informelle Lernprozesse im Jugendalter in Settings des freiwilligen Engagements" (durchgeführt vom Forschungsverbund Deutsches Jugendinstitut/Universität Dortmund). Sie belegen, dass das freiwillige Engagement für Jugendliche ein wichtiges gesellschaftliches Lernfeld sein kann. Unter anderem zeigen sie, dass engagierte Jugendliche ein positiveres Selbstbild haben als nicht Engagierte, auch sind sie besser sozial eingebunden. Darüber hinaus fördert freiwilliges Engagement politische Teilhabe Jugendlicher. Ein Effekt der sich daraus speist, dass im Verein/Verband eine teamförmige Zusammenarbeit nötig ist, um die gesetzten Ziele zu erreichen und den Fortbestand des Vereins/Verbands zu sichern: Das Team in das Jugendliche im Rahmen ihrer Mitwirkung eingebunden sind, zeigt sich als Verknüpfung zwischen dem Einzelnen und dem Verein/Verband als Ganzem. Dies ist zugleich der konkrete Ort an dem die gesellschaftlichen Werte, die der Verein/Verband repräsentiert, diskutiert, bewertet, reflektiert und angeeignet werden.Christine Feil: Partizipation im Netz. Zur Bedeutung des Web 2.0 für Kinder und JugendlicheDas "Web2.0" ist zum Synonym für die aktive Beteiligung der "User" an der Gestaltung des Internets geworden. Es erlaubt nicht nur Informationen abzurufen, sondern auch ins Netz zu stellen, nicht nur downzuloaden, sondern auch upzuloaden. Es gibt eine ganze Reihe an deutschsprachigen Partizipations-Plattformen bzw. Communities, die es Kindern und Jugendlichen mit einfachsten technischen Mitteln ermöglichen, ihre Interessen, ihr Selbstbild, ihre Denkweisen und ihren Lebensstil, kurz gesagt, ihre Identität durch Fotos, Videos, Musik, Texte, Kommentare und anderes mehr im Web zu demonstrieren, manchmal aber auch zu demontieren. Das Web2.0 gilt in der Öffentlichkeit als "junges Medium", quasi als kinder- und jugendkultureller Freiraum, in dem sich die medienkompetente Kinder- und Jugendgeneration von Erwachsenen unkontrolliert artikuliert. Wie sieht es jenseits der öffentlichen Debatte mit der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Web 2.0 aus? Nach einer kurzen Skizzierung seiner Facetten wird anhand von Daten, die 2007/ 2008 im Projekt "Digital Divide" bei 10- bis 11-Jährigen und 13- bis 14-Jährigen erhoben wurden, zunächst der Frage nachgegangen, in welchem Umfang Kinder die interaktiven Elemente des Internets überhaupt wahrnehmen. Dargestellt wird darüber hinaus, welche Kinder die Potenzen des Web2.0 nutzen, ob sie sich durch besondere Medienpräferenzen auszeichnen oder eher soziodemografische und personale Faktoren die Partizipation im Netz dominieren. Vor dem Hintergrund des Alters der Befragten ist mit Blick auf die Motivlagen der Partizipation im Netz festzuhalten, dass sie selten sozial- und gesellschaftspolitisch als vielmehr privatistisch und selbstreferentiell sind. Holger Quellenberg: Partizipation von Kindern in Familie und Schule - Eine Reanalyse des DJI-KinderpanelsDer Beitrag widmet sich dem Vergleich von Partizipationsmöglichkeiten in Familie und Schule als zwei zentralen institutionellen Kontexten für das Aufwachsen von Kindern. Die empirische Basis dafür bilden drei Erhebungswellen des DJI-Kinderpanels, einer Studie, die das Aufwachsen von Kindern in einem breiten Themenspektrum aus der Perspektive der Kinder untersucht. Zumeist wird dabei angenommen, dass das frühe Erlernen von partizipativen Verhaltensmustern notwendig oder zumindest förderlich für die Entwicklung einer demokratischen Persönlichkeit ist. Deshalb ist es sinnvoll, partizipative Verhaltensformen bereits in der Grundschule zu fördern. Aber auch der Familie als der zentralen Sozialisationsinstanz kommt die Rolle zu, demokratische Grundwerte zu vermitteln und folglich partizipative Verhaltensweisen zu unterstützen. Den Erfolg solcher Bemühungen dokumentieren auch die Ergebnisse von Alt u.a. (2005: 30). Sie zeigen für die Befragten der zweiten Welle des Kinderpanels, dass es eine hohe Übereinstimmung zwischen schulischer und familialer Partizipation gibt. Im vorliegenden Artikel wird dieses Ergebnis zunächst aufgegriffen, noch einmal vertieft und mit den Daten der dritten Welle analysiert. Anhand deskriptiver Analysen wird untersucht, welche persönlichen Merkmale und Umweltkontexte die Wahrnehmung und Beurteilung von Partizipationsmöglichkeiten bestimmen. Weiter wird analysiert, wie konsistent die Angaben zu den einzelnen Items sind und wie oder ob daraus für beide Wellen vergleichbare Indexvariablen gebildet werden können. Abschließend wird regressionsanalytisch der Frage nachgegangen, welche Veränderungen der Einflussfaktoren zur Veränderung der Wahrnehmung von Partizipationsoptionen beitragen.Bettina Arnoldt/Christine Steiner: Partizipation an GanztagsschulenAufgrund des erweiterten Zeitrahmens wird erwartet, dass sich Ganztagsschulen stärker als es an Halbtagsschulen möglich ist zu Lebenswelten entwickeln, innerhalb derer eine partizipative, von Fairness bestimmte Praxis verwirklicht und von den Schüler/innen eingeübt werden kann. Im Beitrag wird auf der Basis der Befunde aus der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG), untersucht, welche Partizipationsmöglichkeiten Schüler/innen seitens der Schulen eingeräumt werden und wie die Schüler/innen diese Möglichkeiten wahrnehmen. Dabei zeigt sich, dass auch an Ganztagsschulen Schüler/innen vor allem dann größere Beteiligungsspielräume eingeräumt und insbesondere von den Ganztagsteilnehmer/innen wahrgenommen werden, wenn an den Schulen das explizite Ziel verfolgt wird, eine beteiligungsorientierte Schulkultur zu entwickeln.Heinz-Jürgen Stolz/Elke Kaufmann/Anna Schnitzer: Bedeutung partizipativer Gestaltungsformen für Unterricht und Angebot in GanztagsschulenZwei methodisch qualitativ ansetzende Forschungsprojekte am Deutschen Jugendinstitut geben Aufschluss über partizipative Gestaltungsformen von Unterricht und Angebot in Ganztagsschulen. Sie zeigen auf, dass das partizipative Profil dieser Bildungssettings nicht so sehr von den besonderen Rahmenbedingungen der Ganztagsschule, sondern von grundlegenderen Konstellationen abhängt, die so auch für Halbtagsschulen gelten könnten: Die den Unterricht und das Ganztagsangebot verantwortenden Lehr- und Fachkräfte sollten, den Ergebnissen zufolge, die pädagogische Beziehung zu den SchülerInnen künftig verstärkt als ein nicht auf institutionelle Rollendefinitionen reduzierbares soziales Anerkennungsverhältnis wahrnehmen, lernrelevante Motivationsformen der SchülerInnen in entsprechend interessenssensitiven pädagogischen Konzepten reflektieren und verstärkt offene, auf Mitverantwortung der SchülerInnen basierende Unterrichtsformen konzipieren. Des Weiteren zeigen die Befunde, dass der Einbezug außerschulischer Kooperationspartner in den Ganztag bislang nicht – wie politisch erhofft – zum nachhaltigen Aufbau einer setting- übergreifenden, partizipativen Schul- und Unterrichtskultur beiträgt.Liane Pluto: Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe. Empirische Befunde zu einem umfassenden AnspruchIn der Kinder- und Jugendhilfe existiert eine gute gesetzliche Ausgangsbasis (SGB VIII) für die Partizipation von Kindern und Jugendlichen, die auf unterschiedlichen Handlungsebenen eine Verbesserung der Partizipation der Adressat/innen anregt. Dies hat unter anderem zu einer differenzierten Fachdebatte geführt, in der die Möglichkeiten der Partizipation von Adressat/innen diskutiert und ausgeweitet wurden. Zugleich existieren besondere Bedingungen, die in der Alltagspraxis die Verwirklichung von Partizipation mitunter erschweren. Der Beitrag skizziert exemplarisch auf der Basis empirischer Daten des DJI-Projekts "Jugendhilfe und sozialer Wandel" an drei unterschiedlichen Aufgabenbereichen (Steuerung, Organisation und pädagogisches Handeln) in drei Handlungsfeldern, in der Jugendhilfeplanung, der Jugendarbeit und der Heimerziehung, inwieweit die Kinder- und Jugendhilfe diesem Anspruch nachkommt und welche Veränderungsnotwendigkeiten beschrieben werden können.Bernhard Babic: Zur Gestaltung benachteiligungssensibler Partizipationsangebote - Erkenntnisse der HeimerziehungsforschungEiner der größten Herausforderungen für viele Angebote und Initiativen zur Kinder- und Jugendlichenpartizipation ist die angemessene Einbindung sozial Benachteiligter. Die Jugend(hilfe)forschung hat jedoch erst vor kurzem begonnen, sich ausdrücklich dieser Thematik anzunehmen. Zur Beantwortung der Frage, wie benachteiligungssensible Partizipationsangebote ausgestaltet werden sollten, ist es daher sinnvoll, einen Blick auf den Partizipationsdiskurs in der Heimerziehung zu werfen. Denn diese Form der Erziehungshilfe wendet sich mit ihren Angeboten und Maßnahmen nicht zuletzt an sozial benachteiligte junge Menschen. Welche Schlüsse sich aus dieser Perspektive für eine bessere Beteiligung sozial Benachteiligter auch über den Bereich der Heimerziehung hinaus z
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Der vorliegende Band der Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1/2017 beschäftigt sich mit der materiellen und symbolischen Bedeutung des 'Einfamilienhauses' seit der Frühen Neuzeit. Sowohl für das Adelshaus, das Einfamilienhaus im Vorort, die Praxis des Heimwerkens sowie die aktuelle Neubewertung des Einfamilienhauses gilt, dass sie mit sozio-kulturellen und sozio-politischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Zeit eng verzahnt sind. Im einführenden Text "Das Einfamilienhaus als neue anonyme Architektur. Bestand und Begehren" befassen sich die Autorinnen Sonja Hnilica und Elisabeth Timm mit dem suburbanen Einfamilienhaus als materiellem und kulturellem Erbe des 20. Jahrhunderts. Themenbereiche, wie die 'Freiheit' und 'Wohlstand' symbolisierende Wirkkraft des Einfamilienhauses, die Verschränkung mit Konsum-, Mobilitäts- und Medienverhalten im 20. Jahrhundert, die über diese Wohnform herausgebildete gesellschaftliche Ordnung (Kleinfamilie, Mittelschicht) sowie die heute zu lösenden Probleme in Strukturpolitik und Stadtentwicklung, werden allesamt überblicksartig skizziert und problematisiert. Ausgang ist ein historischer Abriss über die Entstehung dieser Bautypologie und im speziellen die Verflechtung mit politischen und sozioökonomischen Zuständen seiner Zeit. Weiters wird die (historische) wissenschaftliche Rezeption sowie der verfehlte Fachdiskurs zum Massenphänomen Einfamilienhaus beleuchtet. Der Text, welcher somit auch einen kurzen Ausblick auf das vorliegende Buch gibt, betont abschließend die Wichtigkeit, die fachspezifischen Positionen neu zusammenzubringen, um den 'Bestand' Einfamilienhaus besser zu verstehen. Michael Hechts Text "Das Adels-Haus in der Frühen Neuzeit" (S. 29–48) behandelt das eigentümliche Ineinanderfallen von Architektur, Wohnsitz, Arbeitsteilung und Familiengefüge im Falle der vormodernen europäischen Elite und gibt einen Überblick über Forschungsstand und aktuelle kulturwissenschaftliche Debatten zum 'Haus' als in materieller sowie semantischer Hinsicht sozialer Institution des Adels. Das 'Haus' als "genealogisches Konzept" (S. 31) und Synonym für 'Adelsgeschlecht' spielt für die Organisation der Aristokratie eine ganz zentrale Rolle, da Privilegien und Güter vererbt wurden und die Abstammungskette – zwar mit oft vermeintlich mythischen Vorfahren – von besonderer Bedeutung war. Das 'Haus', so beschreibt Hecht, meinte dabei im 12. und 13. Jahrhundert vor allem die materiellen Besitztümer, die eine Familie zu einer bestimmten Zeit besaß. Diese Bedeutung wandelte sich ab dem 15. Jahrhundert zur Bezeichnung des sozio-politischen Einflussbereichs von Familien. So sprach man nicht von "'Habsburg', 'Wittelsbach' oder 'Wettin', sondern vom 'Haus Österreich', 'Haus Bayern' und 'Haus Sachsen'" (S. 32). Das Haus selbst sollte dem Stand entsprechend ausgestattet sein und symbolisierte damit ebenso jene "Statuskonkurrenz" (S. 42), die auf allen Ebenen des Adels, zwischen einzelnen Häusern, aber auch zwischen unterschiedlichen Zweigen von Familien oder zwischen Brüdern oder Cousins herrschte. Unter dem Titel "Zur Rezeption des Bauernhauses durch die Architekten der Moderne in Deutschland um 1900" (S. 49–71) untersucht Jeannette Redensek, wie das Bauernhaus am Ende des Wilhelminismus in den Fokus breiter wissenschaftlicher Aufmerksamkeit rückte, wie man es vorbildhaft für die Gestaltung eines modernen Arbeiter_innenwohnhauses – sowie der Identität der Arbeiter_innenklasse selbst – zu instrumentalisieren versuchte, und dadurch auch als Lösung für den Aufbau einer deutschen Nationalkultur begriff. Als die Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf das Bauernhaus aufmerksam wurde, gab es nach Redensek bereits beträchtliches Forschungsmaterial aus der Philologie, Geografie und Ethnografie, welches besonders präzise regionale Stile dokumentierte, sowie darauf aufbauende ideologische Theorien. 1905 fand schließlich die Konferenz "Die künstlerische Gestaltung des Arbeiter-Wohnhauses" in Hagen statt, an der führende Architekten, Stadtplaner sowie Repräsentanten aus Kunst und Design teilnahmen. Zwei Konferenzteilnehmer werden in weiterer Folge von der Autorin genauer untersucht: Karl Ernst Osthaus, der Initiator der Konferenz, und der Architekt Hermann Muthesius. Für Osthaus würde, so analysiert Redensek, sich der wahre Stil der Moderne über das Arbeiterwohnhaus und die Massen der Industriearbeiter_innen entwickeln. Die einfache häusliche Kultur war für ihn Grundlage der großen Denkmäler der Baukunst sowie von Kultur, und demnach führte der Weg vom historischen Bauernhaus, über das moderne Arbeiterwohnhaus, wieder zu einer modernen deutschen Kultur. Muthesius teilte diese Meinung. Beide knüpften an zeitgenössische Theorien an, nach denen sich die Epoche der Moderne über industrielle Massenfertigung und die Arbeiter_innenklasse charakterisieren würde, und wonach der Genius einer Nation von unten komme, aus dem einfachsten Alltagsleben. Für die wachsende Mittelschicht sowie die neue Arbeiter_innenklasse, musste überhaupt erst eine Identität samt ästhetischer Kultur gestaltet werden. Hier spielte die 'Ursprünglichkeit' des Bauern- und Bäuerinnenstands und seine Baukultur eine wesentliche Rolle, über welche man die Arbeiter_innenklasse außerhalb ihrer Funktion in der industriellen Produktionskette aufbauen und gestalten wollte. Das Bauernhaus, das ergibt Redenseks spannende historisierende Untersuchung, eignete sich über Authentizität, Funktionalismus und Tradition dazu, der Arbeiter_innenschicht ein 'Zuhause' zu geben, und in weiterer Folge die Gesellschaft in eine "harmonische Gemeinschaft zu verwandeln" (S. 65). Der Text von Alexandra Staub "Von Stunde Null bis Tempo 100" (S. 73–95) behandelt den Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg und die Impulse, die dabei von den USA ausgingen. Die USA setzten nach Staub insbesondere auf die Maximierung von Wohlstand im Sinne der Ermöglichung des Konsums von bis dahin unerreichbaren Luxusgütern für die breite Masse der Bevölkerung – darunter auch das Einfamilienhaus. Abgesehen von Bauernhäusern, waren Einfamilienhäuser lange Zeit eine Wohnform für Aristokratie und Großbürgertum. Für die Befürworter_innen des Einfamilienhauses ging es laut Staub darum, die Werte der Kleinfamilie zu stärken und die Leute durch ein komfortables Zuhause davon abzuhalten, sich an öffentlichen Orten zu politisieren. Nach dem Krieg herrschte aufgrund der großflächigen Zerstörung und des Zuzugs Vertriebener deutschsprachiger Minderheiten aus Osteuropa große Wohnungsnot. Zur Lösung des Problems wurden zwei Wohnformen diskutiert: das vom französisch-schweizerischen Architekten Le Corbusier und von den Deutschen Ludwig Hilberseimer und Ludwig Mies van der Rohe befürwortete "Hochhaus in einer Parklandschaft" und das in den USA erprobte und durch den Marshall-Plan unterstütze "Einfamilienhaus in der Vorstadtsiedlung" (S. 78). Durch das Zweite Wohnbaugesetz der konservativen Adenauer-Regierung von 1956 wurde schließlich die Förderung der "patriarchalische(n) Familienstruktur" (S. 82) durch das Einfamilienhaus als Garant politischer Stabilität gesetzlich verankert. Das Einfamilienhaus, so Staub, ist jene architektonische Form, die am stärksten die individuelle Motorisierung der Bevölkerung durch Autos und Straßenbau beförderte – beide Entwicklungen haben die Raumordnung seit dem Zweiten Weltkrieg in westlichen Industrienationen maßgeblich bestimmt. Der darauffolgende Text von Jonathan Voges, der sich um das "Heimwerken als Aneignungspraxis des Einfamilienhauses" (S. 97–115) dreht, schließt hier in Hinblick auf Individualisierungs- und Aneignungsmodi an. Heimwerken bezeichnet dabei insbesondere männlich konnotierte Arbeiten, die auch durch professionelle Handwerker_innen erledigt werden könnten, wie Maurer-, Tischler- und Anstreicherarbeiten. Von der Notwendigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das Heimwerken zu einer mit der Zeit eigentümlich lustvoll praktizierten und repräsentierten, quasi klassenübergreifenden Freizeitbeschäftigung, die unter anderem eine beachtliche Ratgeberliteratur und die Entstehung von Baumärkten als dem 'Männergeschäft' schlechthin zur Folge hatte. Voges analysiert in seinem Beitrag unter anderem Texte des Heimwerkerliteraten Otto Werkmeister. Dieser streicht vor allem das Sparen von Geld, Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und die Aneignung des Hauses als Heim durch den 'Hausvater' als Vorzüge des Heimwerkens hervor. Besonders um den Schritt von der Behausung zum Zuhause zu leisten, mussten schier endlos Arbeitskraft investiert und Do-it-yourself-Praktiken umgesetzt werden. Das über diese Praktiken konstituierte Heimwerkersubjekt leistet kontinuierlich Arbeit am Haus und am damit verbundenen Selbst und verkörpert somit nicht zuletzt kleinbürgerlich-materialistische Ideale, indem vom Heim auf den Charakter der Bewohner_innen und umgekehrt geschlossen wird. "Das Eigenheim im Grünen" (S. 117–131) ist ein Text von Marcus Menzl und ergründet das Phänomen der Reurbanisierung, das einen Zentralisierungsschub hin zu den Kernbereichen von Städten nach Jahrzehnten der Abwanderung in die Vorstädte meint. Gesprochen wird auch von relativer Zentralisierung, bei der sowohl Kernbereiche von Städten als auch ihr Umland Zuzug verzeichnen – damit hängen Gentrifizierungsprozesse und Änderungen im Verhältnis zum sog. 'Eigenheim im Grünen' zusammen. Menzl attestiert auf Grundlage von insgesamt 45 qualitativen problemzentrierten Interviews mit bildungsbürgerlichen Mittelschichtsfamilien, dass sich die Wohnbedürfnisse ausdifferenziert hätten. Die Idealform für wohlhabende Familien sei nun die geräumige Stadtwohnung mit Wochenendhaus am Land geworden, um den Zugang zu guten Jobs und Infrastruktur als auch zu Natur und Erholungsräumen zu sichern. Ein bedeutender Faktor für diese Entwicklung ist laut Menzl die Emanzipation der Frauen, denn vor allem Familiengründungen in der Vorstadt bzw. in ländlichen Gebieten können dazu führen, dass gut ausgebildete Frauen aus ihrem sozialen Netz in der Stadt gerissen werden und außerdem keine ihren Qualifikationen und Vorstellungen entsprechende Arbeit mehr im näheren Umfeld finden können. Der "Wohntraum vom Eigenheim im Grünen" (S. 123), mit den damit verbundenen Wünschen nach Zugang zu Natur und Freiräumen, kann – so fasst Menzl die psychosozialen Folgen dieser Wohnräume zusammen – schnell in Gefühle der Entfremdung innerhalb der Familie, für gut ausgebildete Frauen in die soziale und berufliche Isolation und für die Männer zum "Leben in zwei Welten" (S. 125) kippen. Im Band wird außerdem das "The Eternal Sukha Project" vorgestellt sowie im Debattenteil ("Altbauten in der Vorstadt" ab S. 141) abschließend der Text "Diskrete Stadtlandschaften" (S. 143–148) von Christoph Luchsinger weiterführend diskutiert und kontextualisiert. Der Band ist gut verständlich gestaltet und spannt einen beachtlichen historischen Bogen – er beginnt mit einem Text zum Adelshaus in der Frühen Neuzeit und resümiert in der Gegenwart. Gefehlt haben uns jedoch einerseits eine globalere Sichtweise und andererseits Beiträge zur inneren Struktur oder den medialen Innenwelten des Einfamilienhauses sowie zu Fragen von Smart Homes und der Zukunft des Wohnens bzw. 'Auswegen' und Alternativen zum Einfamilienhaus. Das Buch ist sehr gut geeignet, um wichtige Problematisierungsansätze kennenzulernen und bietet interessante Schlaglichter auf die historische Entwicklung und die Bedeutung des Einfamilienhauses als geerbte Struktur aus dem 20. Jahrhundert, hätte aber noch klarere Perspektiven herausarbeiten/aufzeigen können, wie mit diesem 'Bestand' heute umzugehen sei, was vielleicht ein hierauf folgender Band leisten könnte.
Urbane Informalität ist ein deutlicher Ausdruck der Transformationsprozesse städtischer Räume unter globalen Urbanisierungsbedingungen. Sie stellt sich insbesondere in den Megastädten des globalen Südens als Überlebenskampf der sozial und ökonomisch Benachteiligten, aber auch als enge Verflochtenheit mit den urbanen Entwicklungsprozessen dar. Informelle Siedlungen sind von Armut, Unsicherheit und Vulnerabilität geprägt. Sowohl in der politischen Rahmensetzung als auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung werden sie bis auf wenige integrative Ansätze bis heute als Problem sozialer, räumlicher und ökologischer Prekarität sowie als Formen der Landbesetzung behandelt, die sich außerhalb der gesetzlichen Normen situieren. Sie spiegeln jedoch auch einen hohen Grad an Selbstorganisation zur Sicherung des Überlebens wieder. Diese drückt sich durch eine gemeinschaftliche Regulierung der Siedlungsräume und Selbstkonstruktion von Infrastrukturen in Abhängigkeit zu städtischer Wohnungsbaupolitik und der Implementierung von Sanierungsprojekten aus. Die Raumproduktion informeller Siedlungen ist durch ein Ineinandergreifen verschiedener und differenzierter Akteursnetzwerke und Interessen geprägt sowie durch eine enge Verbundenheit der Bewohner mit ihrem Wohn- und Siedlungsraum. Vor dem Hintergrund, ein komplexeres Verständnis dieser wechselseitigen Prozesse zu entwickeln, richtet sich die Arbeit auf die Offenlegung der spezifischen Beziehungen zwischen den Akteuren der Raumproduktion und dem Raum informeller Siedlungen. Am Beispiel des Favelakomplexes Manguinhos in Rio de Janeiro wird untersucht, wie diese Prozesse sich entwickeln und welche Akteursnetzwerke daran beteiligt sind. Mit dem Ansatz der Arbeit wird eine neutrale Perspektive verfolgt, die den Raum informeller Siedlungen im Kontext seiner Interaktivität thematisiert. Aus dem Blickwinkel einer raumgestaltenden Disziplin ist Gegenstand der Arbeit die Entwicklung und Anwendung einer theoretisch-analytischen Methode. Sie verbindet sozialwissenschaftliche und architektonische Ansätze, die Raum in seiner interaktiven Rolle und als soziales Konstrukt verstehen. Die Erarbeitung der Methode basiert auf einer grundlegenden Auseinandersetzung mit Henri Lefebvres Werk 'La production de l'espace' von 1974 und seinem Verständnis des sozialen Raums. Sie richtet sich auf Lefebvres theoretisch-methodischen Ansatz, urbanen Raum als Produkt der Interaktion sozialer Beziehungen zwischen der Gesellschaft und den Individuen sowie im Prozess seiner Produktion zu decodieren. Es wird eine konzeptionelle und räumliche Lesart seiner Dimensionen des sozialen Raums herausgearbeitet. Die Methode richtet sich auf die Charakteristik und Entschlüsselung von räumlicher Interaktivität urbaner Räume und innerhalb der Siedlungs- und Freiraumproduktion informeller Siedlungen. Mit einer analytischen Untersuchung von 14 Comunidades in dem Favelakomplex Manguinhos kommt die Methode exemplarisch zum Einsatz. Anhand des Entwicklungsprozesses der einzelnen Siedlungsräume sowie der alltäglichen Prozesse der Freiraumproduktion wird die Komplexität und Dynamik der jeweiligen Raumproduktion sichtbar gemacht. Dazu zählt die Offenlegung der beteiligten Akteursnetzwerke, ihrer sozialen und räumlichen Praktiken der Interaktion sowie der daraus sich abbildenden differenzierten Raumstrukturen. Die Arbeit schließt mit einer Formulierung möglicher Entwicklungstendenzen anhand der markierten interaktiven Schnittstellen des Ineinandergreifens der Akteure und ihres Siedlungs- und Freiraums. Sie zeigt eine Einschätzung über mögliche Tendenzen der Reproduktion und Vervielfältigung, aber auch als Katalysator zur sozialräumlichen Konsolidierung informeller Siedlungen. Es wird eine Wissensbasis geschaffen, die das theoretisch-methodische Raumkonzept Lefebvres für eine analytische Untersuchung sozialer Problemstellungen anwendbar macht. Damit werden die Akteur-Raum-Beziehungen als Schnittstellen markiert für die Prognose der Wachstumsdynamik informeller Siedlungen, die mit dem Risiko einer Ausbreitung des informellen Bodenmarktes, aber auch als soziales und räumliches Regenerationspotenzial mit einer urbanen Tragweite sichtbar gemacht werden können. Die Arbeit versteht sich als interdisziplinärer theoretisch-analytischer Beitrag für eine Erweiterung des wissenschaftlichen Diskurses zu urbaner Informalität und interaktiver Raumproduktion. ; Urban informality is a clear expression of the transformation of urban spaces under conditions of global urbanization. Particularly in the megacities of the global South, it highlights the struggle for survival of the socially and economically disadvantaged, one that is also closely interwoven with processes of urban development. Informal settlements are marked by poverty, insecurity and vulnerability. Both political guidelines and scientific studies, with the exception of a few integrative studies, approach informal settlements as a problem of social, spatial and ecological vulnerability, as well as forms of land occupation that situate themselves outside the legal norms. They, however, also display a great deal of the self-organization required to ensure survival. This is expressed through community-based regulation of the settlement areas and a self-constructed infrastructure dependent on urban housing policy and the implementation of slum upgrading projects. Space production is marked by the interactions of various different actor networks and interests, as well as a close relationship between dwellers and their particular housing and settlement areas. With the goal of developing a more complex understanding of these reciprocal processes, the present study focuses on identifying the interconnectivity between the actors of space production and the spaces of informal settlements. The Manguinhos favela complex in Rio de Janeiro is taken as an example through which to discover how these processes develop and which actor networks are involved. This study's approach takes a neutral perspective that observes the spaces of informal settlements in the context of their interactivity. From the viewpoint of a space-designing discipline, the object of the study is the development and application of a theoretical-analytic method. The method connects social scientific and architectural approaches that understand space in its interactive role and as a social construct. Development of the method is based on a foundational engagement with Henri Lefebvre's 1974 work 'La production de l'espace' and his understanding of social space. It adopts Lefebvre's theoretical-methodological approach to decoding urban space both in the process of its production and as a product of the interactions between society and individuals. This study conducts a conceptual and spatial reading of the dimensions of social space. The method looks at the characterization and decoding of spatial interactivity of urban spaces and within the settlement and the open space production of informal settlements. It is applied to the example of the Manguinhos complex in Rio de Janeiro, with an analytical examination of 14 'comunidades'. Given the historical development processes of the individual settlement spaces, as well as the everyday processes of open space production, the complexity and dynamics of this space production is made visible. This includes the identification of the actor networks involved and their social and spatial practices of interaction, as well as the differentiated spatial structures. . This study concludes with a formulation of possible development tendencies visible in the observed interactive interfaces between the actors and their settlements and open spaces. This allows for an estimation of the possible tendencies of reproduction and multiplication, but also for the socio-spatial consolidation of informal settlements. It creates a knowledge basis that makes Lefebvre's theoretical-methodological spatial concept applicable to the analysis of social problems. The actor-space-relationships are identified as interfaces for the prognosis of growth dynamics of informal settlements, which can be made visible with respect to their risk of expanding of an informal land market, but also as the potential for social and spatial regeneration in an urban context. The work can be seen as an interdisciplinary theoretical-analytical contribution towards the enrichment of the scientific discourse on urban informality and interactive production of space.
As the capabilities of the mobile robots as well as their abilities to perform more tasks in an autonomous manner are increased, we need to think about the interactions that humans will have with these robots. Human-robot interaction (HRI) has recently received considerable attention in the academic community, government labs, technology companies, and through the media. The interdisciplinary nature of HRI requires researchers in the field to understand their research within a broader context. Since natural language is the easiest and most natural mode of communication for humans, it is desirable to use it to instruct the robot and to generate easy-to-understand messages for the user. Using natural language to teach a navigation task to a robot is an application of a more general instruction-based learning methodology. It can be used to instruct the robot with higher-level goals or to handle certain behaviors and modify their execution. One effective way is to describe the route to the robot in a multimodal way. On the other hand, significant progress has been made towards stable robotic bipedal walking in the last few years. This is creating an increased research interest in developing autonomous navigation strategies which are tailored specifically to humanoid robots. Efficient approaches to perception and motion planning, which are suited to the unique characteristics of bipedal humanoid robots and their typical operating environments, are receiving special interest. One important area of research involves the design of algorithms to compute robust navigation strategies for humanoid robots in human environments. Therefore, autonomous robot navigation based on route instruction is becoming an increasingly important research topic with regard to both humanoid and other mobile robots. In this dissertation, the problem of humanoid robot navigation in indoor environments is addressed. A complete framework is presented for humanoid robot navigation based on a multimodal cognitive interface. First, a spatial language to describe route-based navigation tasks for a mobile robot is proposed. This language is implemented to present an intuitive interface that enables novice users to easily and naturally describe a route to a mobile robot in indoor environments. An instruction interpreter is implemented to analyze the user's route to generate its equivalent symbolic and topological map representations which are used as an initial path estimation for the humanoid robot. Second, a robust lightweight object processing system with a high detection rate is developed. It can actually be used by mobile robots and meet their hard constraints to recognize landmarks during navigation. A landmark processing system is developed to detect, identify, and localize different types of landmarks during robot navigation in indoor or miniature city environments. The system is based on a two-step classification stage which is robust and invariant towards scaling and translations. By combining the strengths of appearance-based and model-based object classification techniques, it provides a good balance between fast processing time and high detection accuracy. Finally, a time-efficient hybrid motion planning system for a humanoid robot in indoor environments is implemented. The proposed technique is a combination of sampling-based planner and D* Lite search to generate dynamic footstep placements in unknown environments. A modified cylinder model is used to approximate the trajectory for the robot's body-center during navigation. It calculates the actual distances required to execute different actions of the robot and compares them to the distances from the nearest obstacles. D* Lite search is then used to find dynamic and low-cost footstep placements within the resulting configuration space. ; Da die Fähigkeiten von mobilen Robotern einschließlich ihrer Möglichkeiten, Aufgaben autonom durchzuführen, erweitert wurden, muss die Interaktion zwischen Mensch und Roboter neu betrachtet werden. Human-Robot-Interaction (HRI) ist ein aktuelles Thema in der Forschung, in Technologie-Unternehmen und in den Medien. Der interdisziplinäre Charakter des HRI-Bereiches erfordert Forschung innerhalb eines breiten Themenkomplexes. Da natürliche Sprache das einfachste und natürlichste Mittel der Kommunikation für Menschen ist, ist es wünschenswert, diese Form der Kommunikation auch bei der HRI zu nutzen, um einem Roboter Anweisungen zu geben und leicht verständliche Botschaften für den Benutzer zu generieren. Die Verwendung natürlicher Sprache zur Instruierung bei Navigations-Aufgaben ist eine Anwendung einer allgemeineren instruktions-basierten Lernmethodologie. Dem Roboter können so übergeordnete Ziele mitgeteilt werden, bestimmte Verhaltensweisen geändert oder auch die Ausführung einzelner Aktionen modifiziert werden. Eine effiziente Methode zur Beschreibung der Route ist die Verwendung multimodaler Anweisungen. Weil die vergangenen Jahre einen bedeutenden Fortschritt auf dem Gebiet der humanoiden Roboter und des stabilen zweibeinigen Gehens gebracht haben, besteht ein verstärktes Forschungsinteresse an der Entwicklung autonomer Navigationsstrategien, die speziell auf humanoide Roboter zugeschnitten sind. Von besonderem Interesse sind effiziente Ansätze zur kombinierten Perzeptions- und Aktionsplanung, die an die speziellen Eigenschaften von zweibeinigen humanoiden Robotern und ihre typischen Betriebsumgebungen angepasst sind. Ein wichtiges Gebiet der Forschung ist der Entwurf von Algorithmen zur Berechnung von robusten Navigations-Strategien für humanoide Roboter in menschlicher Umgebung. Aus diesem Grunde ist die auf Routen-Instruktion beruhende autonome Roboter-Navigation ein zunehmend interessantes Thema im Hinblick auf humanoide und andere mobile Roboter. Diese Dissertation befasst sich mit dem Problem der humanoiden Roboter-Navigation in Innenräumen. Es wird ein komplettes Framework für humanoide Roboter-Navigation basierend auf einer multimodalen Schnittstelle vorgestellt. Zunächst wird eine formale Sprache eingeführt, mit der die routen-basierten Navigationsaufgaben beschrieben werden können. Diese Sprache stellt eine intuitive Schnittstelle bereit, mit der auch unerfahrene Anwender leicht einen mobilen Roboter in einer Route in Innenräumen instruieren können. Ein Befehls-Interpreter analysiert die Benutzer-Eingabe und generiert entsprechende symbolische und topologische Darstellungen, die als erste Pfad-Schätzung für den humanoiden Roboter verwendet werden. Des Weiteren wird in dieser Arbeit ein robustes und effizientes Objekterkennungssystem mit einer hohen Erkennungsrate entwickelt. Es kann bei mobilen Robotern eingesetzt werden und erfüllt die Anforderung, Landmarken während der Navigation zu erkennen. Das Landmarken-Detektions-System ist in der Lage, während der Roboter-Navigation in einer Miniatur-Stadt verschiedene Typen von Landmarken zu detektieren, identifizieren und zu lokalisieren. Das System basiert auf einem zweistufigen Klassifikations-Prozess, der robust und invariant gegenüber Skalierung und Translation ist. Durch die Kombination der Stärken der erscheinungs-basierten und modell-basierten Objekt-Klassifikation bietet es einen guten Kompromiss zwischen schnellen Bearbeitungszeiten und hoher Erkennungsgenauigkeit. Ebenfalls Bestandteil dieser Arbeit ist die Implementierung eines zeiteffizienten hybriden Bewegungs-Planungs-Systems für humanoide Roboter in einer Innenraum-Umgebung. Die vorgeschlagene Technik ist eine Kombination aus Sampling-basierter Planung und "D * Lite"-Suche, die ermöglicht, dynamisch Tritt-Platzierungen in unbekannten Umgebungen zu erzeugen. Ein modifiziertes Zylinder-Modell wird verwendet, um die Trajektorie des Roboters während der Navigation näherungsweise zu bestimmen. Die Planungskomponente berechnet die benötigten Freiräume, um verschiedene Aktionen des Roboters auszuführen und vergleicht sie mit der aktuellen Entfernung zu den nächstgelegenen Hindernissen. "D* Lite"-Suche wird dann verwendet, um eine dynamische und effiziente Platzierung der Schritte innerhalb des resultierenden Konfigurations-Raumes zu finden.
Aus der Einleitung: Das Zeitschriftenangebot in Kiosken und Buchläden ist heute nur noch schwer überschaubar. Nahezu täglich kommen neue Titel hinzu, andere hingegen werden eingestellt und machen den Platz frei für Neues. Das Segment der Frauenzeitschriften sticht durch seine Vielzahl an Publikationen hervor: Etwa 50 Hefte wollen ihre Leserinnen über die effektivsten Diäten, die besten Kochrezepte, die neueste Mode, über Liebe, Lust und Luxus, Kosmetik, Wohnen und Reisen, aber auch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft informieren. Das Angebot befriedigt sowohl die Interessen der popkulturell interessierten Feministin als auch die der koch- und rätselinteressierten Hausfrau. Blickt man 20 Jahre zurück, auf die Liste des Postzeitungsvertriebs (PVZ) der DDR, so fand sich dort ebenfalls eine große Auswahl an Zeitschriften und Zeitungen. Nur eins suchte man vergeblich: die Frauenzeitschriften. In einem Staat, der für sich beanspruchte, die Gleichberechtigung der Frau verwirklicht zu haben, betrachtete man es als überflüssig nach Geschlechtern getrennte Publikationen zu produzieren. Trotzdem erschienen Zeitschriften, die sich thematisch an eine weibliche Leserschaft richteten. Dazu zählte auch die SIBYLLE, die darüber hinaus aber noch den Anspruch stellte, ein 'Kulturjournal im umfassenden Sinne' zu sein, in dem 'Kunst und Literatur […] ihren gleichberechtigten Platz neben der dominierenden Mode' hatten. Da Medien eine zentrale Rolle bei der Hervorbringung von Selbstbildern einnehmen, indem sie Sinn- und Deutungsmuster vervielfältigen und als Vermittler der jeweils gültigen Werte und Normen fungieren, macht dies Zeitschriften zu interessanten Forschungsobjekten. Die Reglementierungen des DDR-Mediensystem ließen eine freie Presse im bürgerlich-liberalen Sinne nicht zu. Vielmehr wurde die Presse instrumentalisiert und als 'schärfste Waffe' der Partei betrachtet. Diese Voraussetzungen lassen erwarten, dass sich politische Vorgaben in Presseerzeugnissen niederschlugen und deren Inhalt beeinflussten. Zeitschriften eigenen sich für die Untersuchung von politischen Richtlinien und deren Umsetzung, da sie in ihrer Gesamtheit die ganze Gesellschaft wiederspiegeln und 'damit sowohl den von Sektor zu Sektor, von Phase zu Phase ganz unterschiedlichen Grad ihrer 'Durchherrschung' als auch die Eigensinnigkeiten, 'Abweichungen' und Widerstände'. Die SIBYLLE qualifiziert sich insbesondere auch durch den umfangreichen Platz, den sie der Mode einräumte, für eine Analyse, da an Mode, als Ausdrucksmittel der jeweiligen Zeit, vieles ablesbar ist: 'Der Stil einer Kulturepoche, der Stand der Technik, die soziale Stellung der Frau in der Gesellschaft'. Die Frage nach der Reichweite der Diktatur, inwieweit die vorgegebenen Ideale und abgebildeten und ausformulierten Leitbilder Einfluss auf den Alltag und die Lebensweise der DDR-Bürger hatte, kann und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht beantwortet werden. Ein Überblick über die aktuelle Forschung soll jedoch gegeben werden, um den Spielraum der SIBYLLE-Redakteure zu verdeutlichen. Die ausführliche Diskussion der Reichweite der Diktatur kumuliert in dem Versuch einer Definition des Herrschaftssystems der DDR: SABROW weist das Konzept einer 'durchherrschten Gesellschaft', in der die Grenze zwischen privat und öffentlich vollständig aufgehoben wurde und kaum Raum für selbstbestimmte Lebensentwürfe blieb, zurück. Er spricht stattdessen von einer Partizipationsdiktatur, die sich über die massenhafte Einbindung der Bürger entfaltete und in der die vermeintlich totalitäre Durchdringung der Gesellschaft tatsächlich ein täglicher Aushandlungsprozess war. Die DDR-Bürger reagierten demnach nicht nur passiv auf Anweisungen von 'oben', sondern interpretierten und füllten die Direktiven durch eigene Aneignungen mit Sinn, um sie anschließend in soziale Praxis zu übersetzen. KOCKA benutzt den Begriff der modernen Diktatur, um den DDR-Staat zu qualifizieren, wobei 'Moderne' einen bürokratisch durchorganisierten Verwaltungsapparat, eine monokratische Parteiherrschaft als Führungsmittel, Hochindustrialisierung, Moderne im Geschlechterverhältnis und bei Repressionsmethoden kennzeichnet. Moderne Diktaturen heben die Trennung der Sphären von Individuum, Familie, Gesellschaft und Staat auf und führen im Ergebnis zu einer Verstaatlichung der Gesellschaft unter Preisgabe des Individuums. Bei JARAUSCH findet sich der Begriff der Fürsorgediktatur, in welcher die politisch-ideologisch motivierte Fürsorge der Herrschenden für die Bevölkerung Bevormundungen und oktroyierte Dienstleistungen beinhaltete. Das Gebiet des DDR-Mediensystems erwies sich als gut erforscht. Der Diskurs bezüglich der Beherrschung der öffentlichen und veröffentlichten Meinung verläuft relativ einheitlich und konstatiert einen straff organisierten, effektiv arbeitenden Kontroll- und Lenkungsapparat. Über das Verhältnis von politischem Auftrag und Freiräumen, von Zensur und Selbstzensur herrscht kein Konsens in Forscherkreisen. Der auf diesem Gebiet omnipräsente HOLZWEIßIG stellt jedoch immer wieder heraus, dass es keinerlei Freiräume für Journalisten gab. Was als Spielraum empfunden wurde sei vielmehr von der Parteiführung aus taktischen Gründen gewollt und/oder geduldet worden. Auf der Ebene der DDR-Medien, insbesondere der der Zeitschriften, ist die bisherige Forschung sehr überschaubar. Bis auf das Überblickswerk von BARCK/LANGERMANN/LOKATIS lassen sich nur wenige Ergebnisse auf diesem Gebiet finden. Zeitschriften sind eine bis dato stark vernachlässigte Quellengruppe. Für diesen Umstand lassen sich mehrere Ursachen ausmachen: 1.) richtete sich die DDR-Medienforschung und -auswertung primär auf die Tagespresse, so dass 2.) nur wenige Zeitschriften kontinuierlich in Bibliothekssammlungen aufgenommen wurden und dadurch der Forschung zur Verfügung standen. 3.) wurden Zeitschriften in der BRD vorwiegend als Quelle für Fragestellungen und nicht als eigentlicher Forschungsgegenstand herangezogen. Zudem richtete sich 4.) Forschung einseitig auf Parteipublikationen und vordergründig politische Inhalte und vernachlässigte populäre (Massen)Blätter. 5.) überstanden nur wenige Zeitschriften wirtschaftlich die Wendezeit, so dass mit ihrer Einstellung oftmals auch das gesamte Redaktionsarchiv vernichtet wurde und sich heute nur noch schwer vollständige Sammlungen, offizieller Schriftverkehr, Vermerke und Notizen finden lassen. Das Gebiet der 'Frauenzeitschriften' in der DDR stellte sich als wenig erforscht dar, lediglich DANIELA SCHEEL, SABINE SCHMIDT und SABINE TONSCHEIDT publizierten umfassender zu diesem Thema. Im Verlauf der Arbeit war die Beschaffung der Quellen, der SIBYLLE-Ausgaben, eine Herausforderung, da neben der Berliner Zentral- und Landesbibliothek nur noch die Universitätsbibliothek in Leipzig einen kompletten Bestand der Ausgaben von 1956-1995 aufweist. Des weiteren waren die Exemplare in Berlin nur vor Ort einsehbar, eine Ausleihe und auch das Anfertigen von Kopien war nicht gestattet, so dass die Sichtung und Bearbeitung des Untersuchungsmaterials immer in konzentrierten Blöcken erfolgen musste und bei der Bild- und Textanalyse nicht im Original vorlag. Ebenso schwierig und nahezu ergebnislos war die Recherche nach Sekundärliteratur zur SIBYLLE, die bisher kaum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung war. 2001 wurde eine Magisterarbeit über die Geschichte der SIBYLLE in Form eines Dokumentarfilmes von Julie Schrader angefertigt, jedoch blieben die Bemühungen, mit der Autorin oder dem Verleih in Kontakt zu treten ohne Erfolg. Als sehr hilfreich erwies sich ein von der ehemaligen SIBYLLE-Redakteurin DOROTHEA MELIS herausgegebene Bild- und Sammelband über die Modefotografie in der SIBYLLE. Im Gegensatz dazu ist das Gebiet der DDR-Frauenforschung sehr gut erschlossen. Die gesichtete Literatur zum Thema gibt relativ einheitliche Einschätzungen und Bewertungen zur Rolle und Stellung der Frau in der DDR. Insbesondere GISELA HELWIG und HILDEGARD MARIA NICKEL haben mit ihrem Werk eine solide Basis für die weitere Forschung gelegt. Die Themenwahl der Arbeit begründet sich unter anderem auch in der Lektüre des Buches von HELWIG/NICKEL im Rahmen der Vorbereitungen auf die mündliche Magisterprüfung der Autorin. Des weiteren war die Zeitschrift SIBYLLE bereits bekannt, da Mitglieder der Familie noch Exemplare aus DDR-Zeiten aufbewahrt hatten. Noch bevor die Idee zu dieser Arbeit entstand, wurden bereits einige wenige Ausgaben mit großem Interesse gelesen, so dass die SIBYLLE als Untersuchungsobjekt für diese Magisterarbeit naheliegend war und letztlich auch gewählt wurde. Die Untersuchung der Kommunikationsinhalte der Zeitschrift SIBYLLE soll die Entwicklung des Frauenleitbildes über vier Jahrzehnte rekonstruieren und mit den offiziellen Richtlinien vergleichen. Insbesondere Widersprüche und Gegenbilder sollen auf dem Weg von der 'Dame' der 1950er Jahre zur 'Frau, die alles kann' der 1980er Jahre gesucht und, wenn vorhanden, in den kultur- und sozialpolitischen Kontext eingeordnet werden. Durch die Betrachtung des visuellen Diskurses, der durch die Mode im Medium Fotografie vermittelt wird, sowie die Untersuchung des sprachlichen Diskurses über die 'sozialistische Frau' soll der Wandel des Frauenleitbildes untersucht werden. Beide Diskursstränge sind für das Konzept einer Frauenzeitschrift essentiell, um die intendierte politisch-erzieherische Wirkung entfalten zu können. Visuell und sprachlich informieren sie Frauen wie eine dem Leitbild entsprechende sozialistische Frauenpersönlichkeit zu sein habe. In ihrer Funktion, die Welt sowohl über das fotografische Bild als auch sprachlich über Texte interpretierend zu deuten und zu strukturieren, reproduzieren sie die Einstellungskomplexe ihrer Macher. Das Ziel dieser Arbeit, die Entwicklung des Frauenleitbildes über vier Jahrzehnte DDR aufzuzeigen, soll mit Hilfe der methodischen Instrumente der Inhalts- und Fotoanalyse erreicht werden. Es wird zu untersuchen sein, ob die im redaktionellen Teil entworfenen Leitbilder mit den inszenierten der Modefotografie übereinstimmen oder ob sich hier widersprüchliche Aussagen finden lassen. Im Blickfeld soll dabei immer die Relation zum politischen gewollten Leitbild bleiben. Um das Forschungsziel zu erreichen gliedert sich diese Arbeit in einen theoretischen und einen forschungspraktischen Abschnitt. Im Anschluss an die Einleitung wird das System und die Funktionen der Massenmedien in der DDR erläutert (2.). Dazu wird mit Rückgriff auf Lenins Pressetheorie (2.1) und die Grundprinzipien des sozialistischen Journalismus (2.2) das Fundament beschrieben, auf dem die öffentliche Meinung der DDR basierte. Anschließend werden die Kontroll- und Lenkungsmechanismen (2.3), mit denen die Partei ihr Meinungsmonopol sicherstellte, vorgestellt. Dabei werden zum Einem die juristischen Bestimmungen (2.3.1), zum Anderen die institutionalisierten Kontrollmechanismen (2.3.1) der DDR beschrieben. In diesem Teil orientiert sich die Arbeit vor allen an HOLZWEIßIG, sowie an PÜRER/RAABE. Abgeschlossen wird das Kapitel der Massenmedien mit der Darstellung der staatlichen Zeitschriftenpolitik (2.4.1), der den Zeitschriften zugeschriebenen Funktionen (2.4.2), sowie einem Überblick über die Entwicklung der 'Frauenzeitschriften' in der DDR (2.4.3). Der daran anschließende Abschnitt thematisiert die Frau in der DDR: Einer Darstellung der juristischen Bestimmungen, die die Gleichstellung von Mann und Frau festschrieben (3.1) folgt eine Übersicht der sozialpolitische Maßnahmen zur Frauenförderung (3.2). Anschließend werden Bildung (3.3), Beruf und Einkommen (3.4), sowie die Stellung der Frau in Politik und Gesellschaft der DDR (3.5) beschrieben. Das Frauenleitbild, welches entlang der vorangegangenen Punkte entwickelt wurde, wird abschließend (3.6) für die vier Jahrzehnte der DDR jeweils erläutert. Auf Basis des theoretischen Fundaments aus den beiden ersten Abschnitten der Arbeit erfolgt die forschungspraktische Umsetzung im 4. Kapitel. Dazu wird zunächst das inhaltsanalytische Instrumentarium für die Untersuchung ausgewählt (4.1), sowie ein Profil des Untersuchungsgegenstandes SIBYLLE angefertigt (4.2). Anschließend wird anhand der Fotoanalyse (4.3) und der Inhaltsanalyse (4.4) der einzelnen Jahrzehnte die Entwicklung des Frauenleitbildes aufgezeigt. Bilanz wird im fünften Kapitel gezogen. Darin wird die theoretische und methodische Arbeit bewertet, sowie Probleme und Fragen diskutiert, die während der Untersuchung entstanden sind. Im Anhang I findet sich eine Übersicht über die Presseerzeugnisse der DDR, eine tabellarische Auflistung der Redaktionsmitglieder der SIBYLLE für die einzelnen Untersuchungszeiträume bildet den Anhang II. Eine Auswahl von Bildern, die Gegenstand der Fotoanalyse waren und zum Verständnis der Untersuchungsergebnisse beitragen soll, bildet Anhang III. In Anhang IV findet sich eine grafische Aufbereitung der Ergebnisse der quantitativen Inhaltsanalyse.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Abkürzungsverzeichnisv 1.Einleitung1 2.Massenmedien in der DDR7 2.1Pressetheorie8 2.2Grundprinzipien des sozialistischen Journalismus11 2.3Lenkung und Kontrolle13 2.3.1Rechtslage in der DDR13 2.3.2Institutionalisiertes Kontroll- und Lenkungssystem15 Exkurs: Das Ministerium für Staatssicherheit und die Medien18 2.4Zeitschriften in der DDR19 2.4.1Grundlagen staatlicher Zeitschriftenpolitik20 2.4.2Funktion und Gegenstand von Zeitschriften22 2.4.3Entwicklung der Frauenzeitschrift in der DDR23 3.Stellung der Frau in der DDR24 3.1Rechtliche Gleichstellung der Frau26 3.2Familien- und Frauenpolitik28 3.3Bildung31 3.4Berufs- und Einkommensstruktur33 3.5Politik und Gesellschaft35 3.6Frauenleitbild38 4.Zeitschriftenbetrachtung41 4.1Anlage der Untersuchung42 4.2Profil SIBYLLE44 Leserprofil52 4.3Fotoanalyse53 4.3.1Die Fünfziger: Fein gepflegte Dame, nette und adrette Hausfrau56 4.3.2Die Sechziger: 'Bloß keine Hausfrauen-Pose'60 4.3.3Die Siebziger: Stilpluralismus mit Gefühl63 4.3.4Die Achtziger: Alles ist (un)möglich65 4.4Inhaltsanalyse68 4.4.1Frauenbild 1956 bis 195871 4.4.2Frauenbild 1966 bis 196779 4.4.3Frauenbild 1976 bis 197784 4.4.4Frauenbild 1986 bis 198789 5.Schlussbetrachtung95 6.Anhang98 Anhang I: Übersicht Presseerzeugnisse der DDR98 Anhang II: Redaktionsmitglieder SIBYLLE99 Anhang III: Bilder SIBYLLE101 Anhang IV: Themenprofil SIBYLLE136 7.Literaturverzeichnis138 7.1Primärliteratur138 7.2Sekundärliteratur138 Gesetzestexte138 Bibliographien, Handbücher, Nachschlagewerke138 Monographien, Sammelwerke138 Beiträge in Zeitschriften, Zeitungen und Sammelwerken140 Internetdokumente144Textprobe:Textprobe: Kapitel 4.3.1, Die Fünfziger: Fein gepflegte Dame, nette und adrette Hausfrau: Mode kann nicht kulturunabhängig gedacht und entworfen werden. Der Grundsatz galt auch in der DDR. Seit den Anfängen der sozialistischen Bewegung gab es Bestreben, den Luxus und den Wechsel der Moden zu beseitigen, um statt dessen eine bedarfsgerechte und mit hohem Gebrauchswert ausgestatte Kleiderproduktion zu etablieren. Die Debatten um das Modeverständnis gewannen Ende der 1950er Jahre im Zuge der Entstalinisierung und der damit einhergehenden kulturpolitischen Diskussionen neue Konturen. Die Arbeiter sollten als 'werktätige Intelligenz', als 'herrschende Klasse' das modebestimmende Milieu bilden. Die Mode, welche in den Ausgaben des ersten Untersuchungszeitraumes fotografisch inszeniert wurde, lässt sich als biedere Hausfrauenmode aus der Vorkriegszeit beschreiben. Diese eher reaktionären denn innovativen Tendenzen verwirren anfänglich, da sie dem Bild von der neuen sozialistischen Frau diametral gegenüber stehen. MÜHLBERG sieht darin den Versuch der Wiederherstellung der Normalität durch ein gestriges Erscheinungsbild Ausdruck zu verleihen. War die 'sozialistische Frauenpersönlichkeit' in den Anfangsjahren der Republik vor allem 'tüchtig', verschob sich der Akzent ab Mitte der 1950er Jahre zur vordergründig 'schönen' Frau. BUDDE macht dafür zwei Faktoren aus. Zum einen blieb der Bedarf an Arbeitskräften auf einem konstant hohen Niveau. Der Anteil der berufstätigen Frauen stagnierte jedoch bei rund 50 Prozent. Zum anderen bestand das Interesse, körperliche Arbeit mit Insignien der Weiblichkeit zu versehen, um so dem Schreckensbild der 'ostdeutschen Mannweiber' entgegen zu wirken. So mahnte eine Freie Deutsche Jugend (FDJ)-Funktionärin: 'Wir müssen uns immer bemühen, nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich gepflegt und ordentlich aufzutreten und vor allem Mädchen zu bleiben'. Anstelle der überzogenen Bemühungen der Anfangsjahre, die Frauen als resolute und robuste Kameradin an der Seite des Mannes kräftig zupackend zu zeigen und dadurch die gleichberechtigte Stellung der Frau in der sozialistischen Gesellschaft zu visualisieren, trat die Forderungen nach mehr Weiblichkeit. In der Enzyklopädie 'Die Frau' wird der hohe Erwartungsdruck deutlich: 'Die Frau unserer Zeit hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, gut und gepflegt auszusehen. Sie präsentiert mit ihrer Erscheinung den Staat, dessen Bürgerin sie ist. Neben der Forderung an die Frau, sich deshalb allseitig zu bilden und am öffentlichen Leben gleichberechtigt mit dem Mann teilzunehmen, muß auch verlangt werden, daß ihr Äußeres dieser neuen gesellschaftlichen Stellung in jeder Weise entspricht. Dazu gehört in erster Linie neben Formen des Auftretens und gutgewählter Kleidung eine gründliche und regelmäßige Körperpflege. Sie ist kein Luxus.' SIBYLLE entsprach diesen Forderungen nur unzureichend in ihren Anfangsjahren. Geschmacksbildend und weltgewandt wollte man sich präsentieren, steif und unnatürlich, seltsam antiquiert und bieder wurde das Ziel inszeniert. Vorgeführt wurden Abend- und Cocktailkleider, Hüte, Taschen und andere Accessoires. Alltagsmode und praktische Kleidung fanden sich kaum. Die Versuche, 'geschmackvolle Mode für unsere werktätigen Frauen' zu zeigen, manifestierten sich in Roben, plissierten Röcken und Cocktail-Kleidern, die im Widerspruch zum erklärten Modeverständnis standen. Hosen und Hosenanzüge werden kaum gezeigt, da sie noch eindeutig der männlichen Kleidung zugeordnet wurden. Lediglich im geschützten Raum der Privatsphäre oder in der Freizeit waren es auch weibliche Kleidungsstücke. In der Ausgabe 1/1956 finden sich zwar auch Tageskleider, die '[f]ür das Büro genau das Richtige' sind, im Fokus steht jedoch nicht ihre Praktikabilität, sondern das Potential, mit ihnen 'einen wohlwollenden Blick Ihrer Kollegen empfangen' zu können. Die Modelle erscheinen dazu keineswegs als selbstsichere Frauen, vielmehr erzeugen das Lächeln, das Festhalten an Einrichtungsgegenständen und die Vermeidung des direkten Blickkontaktes mit der Kamera den Eindruck von Unsicherheit und lassen die Frauen in den Bildern als Fremdkörper wirken. Auch in anderen Ausgaben wird zweckmäßige Kleidung für die berufstätige Frau thematisiert, jedoch meist nur am Rande und mit Fokus auf dem praktischen Nutzen, zum Beispiel bezüglich der Reinigung. So heißt es in 3/1957: 'Kein noch so zweckmäßiges und schickes Kleid kann den Anforderungen einer berufstätigen Frau so sehr entgegenkommen, wie die Zusammenstellung von Rock und Bluse. [E]r [der Rock; AR] ist auch leichter zu reinigen und zu bügeln als ein ganzes Kleid'. Exemplarisch ist hier festzustellen, dass Kleidung für Frauen primär einfach zu pflegen sein musste. Das ist ein Hinweis auf die Belastungen, denen die (berufstätigen) DDR-Frauen gegenüber standen: Die pflegeleichten, neuen, synthetischen Stoffe sollten dazu beitragen, die Frau von den Mühen der zeitintensiven und erst ansatzweise technisierten Hausarbeit zu entlasten. Desweiteren fällt auf, dass Hausfrauen-Mode auch in einem häuslichen Kontext respektive mit Accessoires aus dem Haushalt inszeniert wird. Die Garderobe für 'die […] moderne berufstätige Frau' hingegen wird nicht kontextualisiert, sondern auf der Wiese und im schmucklosen, steril wirkenden Studio inszeniert. Erst 1958 finden sich Aufnahmen, die in einer adäquat erscheinenden Umgebung aufgenommen wurden. Eine Fotoserie zeigt in der Ausgabe 1/1958 Modestücke, die 'die Wünsche, die eine moderne berufstätige Frau an ihre Garderobe stellt', erfüllt. Abgelichtet wurden die Modelle auf der Straße, auf ihrem Weg zur Arbeit. In derselben Ausgabe findet sich auch ein Bericht, warum die richtige Kleidung wichtig für den beruflichen Erfolg ist. Vorgestellt werden sieben Frauen, fotografiert in ihrem beruflichen Umfeld. Neben dem Beruf fehlen persönliche Angaben, bedient werden hier vorrangig Klischees: Die junge Mathematiklehrerin weiß sich vor 50 Schülern Respekt zu verschaffen - das Foto zeigt sie aber milde lächelnd, fast ein wenig schüchtern in die Klasse blickend. Die Juristin ist besorgt, sich zu 'konventionell und 'angsterregend' zu kleiden'. Das vorgestellte Kostüm verleiht ihr eine 'seriöse, doch nicht unweibliche Note'. Die Sekretärin, das 'Fräulein', kleidet sich hingegen lieber jugendlich und sportlich, die Redakteurin 'liebt eine unaufdringliche Bürokleidung […] die nicht alt macht'. Auch die zukünftige Objektleiterin der SIBYLLE-Boutique wird in damenhaft und zurückhaltend wirkender, die Figur streckender Kleidung gezeigt. Allen Abbildungen gemeinsam ist, dass die Frauen sich an etwas festhalten, abstützen oder anlehnen, den direkten Blick in die Kamera vermeiden oder, wie im Falle der Modeschöpferin, durch den Blick in die entgegengesetzte Richtung, bezuglos zu ihrer Arbeit wirken. Diese Art der Inszenierung findet sich wiederholt. Auffällig in den ersten Ausgaben ist zudem die Sprache, mit der die Modeaufnahmen kommentiert wurden: Es dominiert der Diminutiv. Zu sehen gab es 'Kostümchen', 'Blüschen', 'Hütchen', 'Jäckchen', 'Gürtelchen', 'Kleidchen', 'Schleifchen', 'Käppchen', 'Röckchen', 'Schürzchen', 'Kittelchen' mit 'Ärmelchen', 'Fältchen', 'Pünktchen' und 'Knöpfchen'. Wiederholend wird die Kleidung mit Adjektiven wie 'elegant', 'weiblich/feminin/fraulich', 'sportlich', 'damenhaft', 'apart', 'leger', 'adrett', 'jugendlich/jung', 'liebenswert', 'flott', 'duftig', 'gefällig', 'salopp', 'charmant', 'anspruchsvoll', 'klassisch', 'modisch', 'kess', 'anmutig', 'sachlich', 'tragbar', 'kokett', 'fesch' und 'entzückend' beschrieben. Männermode hingegen besteht aus 'Hemden' und 'Hüte', 'Jacken' und 'Mäntel'. Auch wird hier viel sparsamer mit Attribuierungen umgegangen: Der Herr ist 'jung' und 'seriös'. Der Hausfrau wird explizit Aufmerksamkeit gewidmet. So lässt sich anhand der Schürzen sagen, 'daß sich der Typ unserer Hausfrau verändert hat', denn auch bei der Hausarbeit zählen 'jugendliches und frisches Aussehen'. Der Hausanzug kommt praktischerweise mit einer kleinen Schürze und ist daneben auch noch hübsch anzusehen. Für die Ausgaben des ersten Untersuchungszeitraums lässt sich bezüglich des visuellen Diskurses zur Deutung der Weiblichkeit feststellen: Durch den Rückgriff auf Weiblichkeitsklischees wird der gesellschaftliche Prozess der Restabilisierung der Normalität unterstützt. Für das Erscheinungsbild der Frau bedeutete dies, dass es harmonisch, unauffällig und einen angenehmen Eindruck hinterlassen sollte. Die traditionelle Deutung von Weiblichkeit wird auch durch die Betonung der Geschlechterdifferenzen determiniert. Wie bereits ausgeführt, unterscheiden sich die sprachlich verwandten Mittel stark. Dem folgt auch die bildhafte Umsetzung: Männermode ist eckig, kantig und betont rational, Frauenkleidung akzentuiert die Taille und hinterlässt dadurch einen grazilen, weiblichen Gesamteindruck. Dieser wird, vor allem in den ersten Ausgaben, durch die geziert-gerundete Körperhaltung unterstützt. Viele Posen erinnern, zum Beispiel durch das Anwinkeln der Arme, an das klassische Ballett. Erst in den letzten Ausgaben dieses Untersuchungszeitraums erscheinen Fotostrecken, auf denen die Modelle nicht mehr steif und eingefroren, sondern offen und natürlich wirken. Auch der breitbeinige Stand findet sich vereinzelt, jedoch wird der Eindruck von Eckigkeit durch abgewinkelte Füße, abgeknickte Hüften und Arme wieder abgemildert. Bevorzugt wird Kleidung für die berufstätige Frau so inszeniert. Auf diese Art wird versucht, berufliche Kompetenz mit weiblicher Anmut zu kombinieren und somit den Ängsten vor einer Vermännlichung der berufstätigen Frau entgegenzutreten.
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Die schier unendliche Geschichte der DATI-Gründung hat ihr nächstes Kapitel erreicht. Inzwischen ist auch die Besetzung der Agenturspitze um Monate verzögert. Was dahintersteckt, warum es aber im April endlich vorangehen könnte: ein aktueller Überblick.
Bild: NoName_13 / Pixabay.
DIE GESCHICHTE DER DATI ist eine Geschichte der Verspätungen. Das muss nichts Schlechtes sein, wenn am Ende das Ergebnis stimmt: die Gründung einer neuartigen Bundesagentur für die Förderung von Transfer und Innovation aus den deutschen Hochschulen heraus, ausgestattet mit strategischen und unternehmerischen Freiheitsgraden, wie sie für eine staatliche Behörde ein Widerspruch in sich erscheinen – gäbe es nicht mit der SPRIND, der Bundesagentur für Sprunginnovationen, eine Art Role Model. Obgleich deren Freiheitskampf auch bis vier Jahre nach der Gründung gedauert hat (und nach Meinung mancher Experten immer noch mit einem Teilsieg der staatlichen Bürokraten endete).
Teil 1 der Geschichte der DATI-Verspätungen zog sich vom März 2022, als der wenig später im Zorn zurückgetretene Ex-BMBF-Staatssekretär Thomas Sattelberger (FDP) seinen ersten "Grobkonzept" genannten Entwurf zur Agentur-Gestaltung vorlegte, bis hin zum November 2023, für den Sattelbergers Nachfolger Mario Brandenburg (ebenfalls FDP) die Kabinettsbefassung des unter seiner Regie völlig neu ausgearbeiteten Konzepts angestrebt hatte. Das Novemberziel stand noch in einer auf den 27. September 2023 datierten "internen Arbeitsversion" des Papiers (das übrigens bemerkenswerte Ansätze hatte), doch bis heute ist die Endfassung nicht im Kabinett aufgetaucht. Womit sich Teil 2 der DATI-Verspätungen jetzt schon wieder auf vier Monate summiert.
Parallel dazu verzögert sich auch die Ausschreibung für den wissenschaftlichen Chefposten der DATI weiter, den die erst im Herbst 2023 einberufene Gründungskommission als eine ihrer Kernaufgaben bereits Anfang Januar diesen Jahres beschlossen hat. Zunächst hieß es, die Ausschreibung könne erst veröffentlicht werden, nachdem der – verspätete – Bundeshaushalt für 2024 stehe. Doch den hat der Bundestag bereits am 2. Februar verabschiedet. Und jetzt? Was die Kommissionsmitglieder wissen: Ihre für Montag, den 11. März geplante Sitzung, die ursprünglich ihre letzte sein sollte, wurde von einem Präsenz- in einen Onlinetermin umgewandelt, wohl weil die gewichtigen Inhalte fehlen. "Aufgrund der absehbar gewordenen zeitlichen Streckung der Arbeiten der Gründungskommission bestand Einvernehmen dahingehend, dass weitere Sitzungen vereinbart werden", teilt das BMBF auf Anfrage mit.
Warum aber die erneute zeitliche Streckung, vulgo weitere Verzögerung? Hintergrund ist dem Vernehmen nach Ärger in der Koalition, der kurz nach der offiziellen Bekanntgabe des DATI-Standorts angefangen hat. Kurz vor Weihnachten hatte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) entschieden, dass Erfurt Sitz der Agentur werden sollte. Damit folgte sie einer von der Gründungskommission in geheimer Abstimmung aufgestellten Vierer-Shortlist, auf deren Platz 1 die thüringische Landeshauptstadt gestanden haben soll. Dass es Erfurt wurde, hatte wiederum mit den Kriterien – unter anderem zentral gelegen, strukturschwache Region, bevorzugt Ostdeutschland, guter Bahnanschluss, Hochschulnähe – zu tun, die intern vom BMBF vorgegeben waren. Fühlten sich das Kanzleramt und/oder andere in der Ampelkoalition unzureichend einbezogen? Was tief blicken ließe angesichts der bewusst wissenschaftsbasierten Entscheidung zum Standort.
Irgendwer in der Ampel hat kräftig auf die Bremse getreten
Das Ministerium von Stark Watzinger sagt lediglich, man befindet sich "in einem produktiven Austausch" innerhalb der Bundesregierung, der kontinuierlich weitergeführt werde, "um auch die anstehenden Arbeitsschritte in guter Zusammenarbeit gemeinsam umzusetzen". Fest steht allerdings: Noch in der Pressemitteilung vom 21. Dezember 2023, in der Stark-Watzinger die Standort-Entscheidung für Erfurt verkündete, hatte sie mitgeteilt, "in Kürze "werde nun auch die DATI-Geschäftsführung ausgeschrieben. Doch hat sich kurz danach die Reihenfolge der weiteren Entscheidungsabläufe geändert.
Das BMBF stellt den Hergang so dar: "Die Ausschreibung der Stelle für die wissenschaftliche Geschäftsführung der DATI soll mit einem Anforderungsprofil einhergehen, das konkret auf die Konzeption der Agentur Bezug nimmt. Entsprechend wurde der Zeitpunkt für die Stellenausschreibung mit der beim Prozess der Kabinettsbefassung erfolgenden inhaltlichen Abstimmung der Bundesregierung zum DATI-Konzept synchronisiert." Mit anderen Worten: Es geht jetzt erst weiter, wenn alle in der Bundesregierung ihr grünes Licht gegeben haben. Irgendwer hat kräftig auf die Bremse getreten. Mit dem Ergebnis, dass der Frust in der bislang so motiviert und konstruktiv zu Werke gehenden Gründungskommission zuzunehmen droht.
Jetzt soll das Konzept "im April" ins Kabinett gehen, ist zu hören, was immerhin absehbar wäre – allerdings klang die interne Planung "im November" vor einem halben Jahr auch recht überzeugend. Und selbst wenn der Termin klappt, hieße das: Es wird mindestens Sommer werden, bevor die DATI endlich ein Gesicht hat, eine Person, die öffentlich für sie steht und eintreten kann. Was noch immer nicht gleichbedeutend mit der Gründung ist. Zum Vergleich: SPRIND-Direktor Rafael Laguna de la Vera wurde im Juli 2019 berufen, doch die offizielle Gründung der Agentur dauerte nochmal fünf Monate bis Dezember 2019.
Überträgt man diese Zeitabläufe auf die DATI, so blieben der Agentur und ihrem neuen Chef/ihrer neuen Chefin nach Gründung noch zehn Monate bis zur nächsten Bundestagswahl. Und ihr erster richtiger Haushalt fiele in ein Jahr, das schon jetzt absehbar von wahrhaft empfindlichen Einschnitten im Bundeshaushalt geprägt sein dürfte. Hat man im BMBF die Umsetzung eines der wichtigsten wissenschaftspolitischen Projekte der laufenden Legislaturperiode so lange verpeilt, dass sie jetzt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt starten muss?
Wie gesagt: All die Verzögerungen müssen nichts Schlechtes sein, wenn am Ende das Ergebnis stimmt. Indes sind auch hier Fragen angebracht, wenn doch fast die gesamte bisherige DATI-Entstehungsgeschichte (und zuletzt die Irritationen um Standort und Stellenausschreibung) herauszuschreien scheint, wie schwer der Politik einmal mehr das Loslassen fällt. Auch deshalb sind sie übrigens in der Gründungskommission sehr entschieden (und hoffentlich weiter motiviert), mit ihren inhaltlichen, strategischen und prozeduralen Empfehlungen doch noch möglichst viel Freiraum für die DATI-Führung herauszuholen. Nur dass diese Empfehlungen gar nicht Teil der Kabinettsvorlage im April sein werden, es auch nie sein sollten.
Die SPRIND hat sich den Weg freigekämpft
Unterdessen berichtete das BMBF vergangene Woche per Pressemitteilung über die Ergebnisse der "Roadshow" von "DATIpilot", das die Zeit bis zur Agentur-Gründung überbrücken soll. "Es steckt unheimlich viel innovatives Potenzial in unserem Land, das wir gezielt fördern müssen. Mit der DATIpilot Roadshow haben wir erfolgreich demonstriert, wie das geht", verkündete Ministerin Stark-Watzinger zufrieden. Im Juli 2023 ausgeschrieben, wurden in der Förderlinie jetzt insgesamt 300 Projekte ausgewählt, und das auf innovative Weise: gut die Hälfte per Teilnehmendenvoting bei den 23 Pitching-Veranstaltungen quer durch die Republik, der Rest per Losverfahren. Was bei knapp 3000 eingegangen Antragsskizzen allerdings eine Erfolgsquote von unter zehn Prozent bedeutet und eine ungemein aufwändige – und wenig transparente – Vorauswahl der 600 Pitch-Teilnehmenden. "DATIpilot" fungiere als "Experimentierraum sowie als Erfahrungs- und Ideenspeicher" für die DATI-Konzeption, sagt das Ministerium.
Übrigens eine weitere Parallele zu SPRIND: Auch deren Gründung wurden Pilot-Förderlinien vorgeschaltet. Schaut man sich an, was die Agentur heute macht, gibt es freilich kaum noch Gemeinsamkeiten zwischen den Wettbewerbs-Anfängen damals und heute. Lagunas Team hat sich den Weg freigekämpft. Ob die Politik das der DATI-Spitze auch zugesteht? Dafür müsste sie sie erstmal loslegen lassen.
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Die Debatte um die internen RKI-Protokolle zeigt: Die Aufarbeitung der Pandemiepolitik hat sich noch längst nicht erledigt. Sonst überlässt man den Rechtspopulisten das Feld.
Illustration: Gerd Altmann / Pixabay.
WAS BLEIBT nach der teilweise erregten Debatte über die vom rechten Onlinemagazin Multipolar herausgeklagten Protokolle des Corona-Krisenstabs am Robert-Koch-Institut (RKI)? Bei mir als einer, der sich in der Corona-Zeit teilweise sehr kritisch mit den Bekämpfungsstrategien von Bund und Ländern auseinandergesetzt hat, mit deren empirischen Grundlagen und ebenso mit der Rolle der Medien, vor allem dieses: ein ungutes Gefühl, viel Nachdenklichkeit und ein paar Fragen.
Ein ungutes Gefühl: Die juristische Auseinandersetzung um die Veröffentlichung, die zahlreichen Schwärzungen in den dann herausgegebenen Unterlagen wie auch die zunächst sehr defensive Reaktion vor allem aus Reihen der SPD und der Grünen haben einer publizistisch bislang eher unbedeutenden Website zum großen Auftritt verholfen, die in ihren Beiträgen immer wieder zwischen Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien changiert, aber schon in einer solchen Beschreibung durch andere Medien eine "Anordnung" von wo auch immer vermutet.
Warum, müssen sich die klassischen Medien fragen lassen, haben sie nicht selbst eine solche Hartnäckigkeit an den Tag gelegt, um mehr über das Krisen-Handling im RKI zu erfahren und über seine Wechselwirkungen mit der Politik? Für die Erkenntnis, dass das Institut offensichtlich über weite Strecken der Pandemie überfordert war, brauchte man nicht erst die Kenntnis der internen Protokolle.
"Das RKI muss reformiert werden", schrieb ich etwa im Oktober 2021 im Freitag: "Es braucht eine neue, unabhängigere Führung, die liefert, was gebraucht wird – und nicht das, was die Politik anfordert. Es braucht eine wissenschaftsnähere Struktur und schnellere Entscheidungswege." Das Problem war nie die Qualität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am RKI oder die Vielfalt ihrer Perspektiven – wie übrigens auch die Protokolle belegen, wenn sie die lebendige Debatte um die Einordnung der Pandemie und der angemessenen Gegenmaßnahmen widerspiegeln.
Für eine Jahrhundert-Gesundheitskrise ungeeignete Zwitterstruktur
Das Problem war die für eine Gesundheitskrise maximaler Dimensionen ungeeignete Zwitterstruktur aus nachgeordneter Behörde eines Bundesministeriums und einer Forschungseinrichtung, die für die Produktion und die Kommunikation hochwertiger wissenschaftlicher Erkenntnisse ausreichend Freiraum benötigt. Die in ihrem Umfang übertrieben erscheinenden und neue Verschwörungsnarrative auslösenden Schwärzungen begründen sich, so meine Annahme, durch dieses Spannungsfeld – ganz sicher aber nicht durch eine vermeintlich bedingungslose Hörigkeit des RKI gegenüber der Politik, die es jetzt zu vertuschen gelte.
Doch weil weder die Politik noch die Medien (ich nach Ende der Pandemie auch nicht mehr) konsequent genug in der Beschreibung dieses konstruktionsbedingten Konflikts waren, müssen wir uns jetzt alle in unserer Berichterstattung auf die Recherche-Vorarbeit von Multipolar beziehen. Zugleich, und damit sind wir beim Punkt der Nachdenklichkeit, kann die nötige kritische Berichterstattung weder in der Übernahme rechter Deutungen (und Verzerrungen) bestehen noch in einer Vermeidung neuralgischer Themen und Schlussfolgerungen aus Sorge, damit doch dann doch wieder rechte Narrative zu bedienen. Aber worin denn dann?
Meines Erachtens nur im immer wieder aufs Neue Stellen derselben Fragen. Es sind massive Fehler in der Pandemiebewältigung gemacht worden, wichtige habe ich über die Jahre hinweg immer wieder hier im Blog benannt. Meine persönlichen Top 5: Erstens die über einen längeren Zeitraum anhaltende Überhöhung der Virologie und ihrer Positionen als "die Wissenschaft", die einherging mit der Abwertung der Erkenntnisse anderer Wissenschaften, so dass Bund und Länder sich zu lange nicht zu einer angemessen interdisziplinären Kosten-Nutzen-Abwägung von Maßnahmen gezwungen sahen. Damit zusammenhängend zweitens die zu lange unsystematisch, ja willkürlich erscheinende Auswahl von Wissenschaftlern für die Politikberatung, anstatt frühzeitig und wissenschaftsgeleitet etwa einen Pandemierat einzurichten.
Drittens das aus nicht nachvollziehbaren Gründen mangelhafte Pochen der Politik auf besseren – das heißt: repräsentativen und in kurzen Abständen stichprobenartig erhobenen – Daten zum Infektionsgeschehen, die Bereitstellung der dafür nötigen Finanzierung und spätestens an dieser Stelle die Erkenntnis, dass es nicht nur, aber eben auch mit dem RKI in seiner bestehenden Form ein echtes Performance-Problem gab. Viertens die auf einer solchen Grundlage nicht mehr empirisch zu begründende, sondern machtpolitisch entschiedene Frage, vor allem die junge Generation, die Kinder und Jugendlichen, über Gebühr für die Pandemiebekämpfung in Anspruch zu nehmen.
Das früheste Versäumnis der Politik
Warum, müssen wir immer wieder fragen, war das so? Hätte es anders laufen können und wenn ja, was hätte das bedingt? Welche Rückschlüsse auf nicht geeignete Entscheidungsabläufe, Institutionen und Strukturen in Gesellschaft, Wissenschaft und Politik lassen sich ziehen? Auch viele Medien müssen sich fragen lassen, wie Tagesspiegel-Chefredakteur Christian Tretbar es neulich formulierte, warum in der Öffentlichkeit "der Eindruck oder das Gefühl entstehen konnte, man dürfe die Maßnahmen nicht kritisieren". Der Gegenwind, wenn man sie doch immer wieder hinterfragte, war – aus eigener Erfahrung gesprochen – auch von Seiten eigener Journalistenkollegen groß.
Das fünfte und – zugleich früheste – Versäumnis der Politik aber war, genau diese so nötige Evaluation der Corona-Bekämpfung nicht von Anfang an in den Ministerien mitzudenken und vorzubereiten. Ende März 2020 schrieb ich, eine Begleitforschung wäre "ja nicht dafür bestimmt, im Nachhinein alles besser zu wissen und die Regierung für Entscheidungen zu kritisieren, die in der aktuellen Situation richtig erscheinen, sich aber später als nicht geeignet erweisen".
Die Gefahr, sich später solchen unfairen Vorwürfen ausgesetzt zu sehen, müssten Bund und Länder eingehen, fügte ich hinzu: "aus der Verantwortung vor künftigen Generationen. Der gegenwärtige Kampf gegen das Virus ist ein Jahrhundertereignis, von der Dokumentation heutiger politischer Entscheidungen und ihren Konsequenzen werden Regierungen in 50 oder 100 Jahren profitieren, wenn sie erneut vor einer ähnlichen Situation stünden. Dieser Verpflichtung muss sich die Politik stellen. Und zwar jetzt. Die Ausrede, dafür sei in der Krise keine Zeit, ist billig und hält nicht stand vor den nachfolgenden Generationen."
Mir scheint, als könnte ich meine damaligen Worte jetzt eins zu eins wiederholen in der wieder einsetzenden Debatte über die Einrichtung einer Enquete-Kommission. Sie abzulehnen, stärkt nur die Narrative von Corona-Leugnern und Verschwörungstheoretikern. Und ja, auch sie zuzulassen, wäre eine Gefahr für die Reputation der Demokratie. Weil eine schonungslose Aufarbeitung nicht ohne die ernsthafte Bearbeitung unter anderem meiner Top 5 auskäme. Doch könnte zugleich Vertrauen in die Demokratie zurückgewonnen werden, wenn die Entscheidungsträger aus ihrer Abwehrhaltung herauskämen, anstatt weitere Öffentlichkeitsdesaster a la "RKI Files" zu produzieren (deren Inhalte die Aufregung dann erwartungsgemäß gar nicht rechtfertigen).
Das Raunen von juristischer Konsequenzen
Ob Enquete-Kommission oder nicht, es ist richtig, dass die von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eingerichtete Pandemiekommission in ihrem gerade veröffentlichten Abschlussbericht eine systematische und wissenschaftsgeleitete Aufarbeitung der Pandemie und Pandemiemaßnahmen und damit der Rolle der Wissenschaft für nötig hält.
Eines muss aber auch klar sein: Wer jetzt von einer "juristischen Aufarbeitung" der Pandemiezeit raunt und damit offenbar einer Bestrafung der damals Verantwortlichen das Wort redet, ist nicht wirklich an Erkenntnisgewinn interessiert, sondern an einer populistischen Show. Und nimmt in Kauf, dass die nächste Krisenbewältigung noch schlechter liefe. Hätte die Realisierung solcher Forderungen doch die fatale Folge, dass in künftigen Krisen noch ängstlicher und mit noch weniger Weitsicht und Transparenz agiert werden könnte. Das kann, das darf es nicht sein. Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte 2020 seinen seitdem vielzitierten Satz: "Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen." Das gilt weiterhin. So unabdingbar das Verzeihen ist, so wichtig ist allerdings die genaue Bearbeitung der Frage, wofür eigentlich.
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Das BMBF reagiert auf parlamentarische Anfrage der Union, die Zweifel an der Pakttreue geäußert hatte – und buchstabiert die Finanzplanung für die nächsten Jahre aus.
KLEINE ANFRAGEN sind ein wichtiges parlamentarisches Instrument der Opposition, um die Regierung zu kontrollieren. Und manchmal sind sie zugleich die Gelegenheit für eine ehemalige Regierungsfraktion, ihre eigenen Verdienste hervorzuheben: indem sie Zweifel formuliert, dass ihre Nachfolger die Verantwortung ähnlich ernst nehmen, wie sie selbst es nach eigener Meinung getan hat. Im Falle der Kleinen Anfrage, die der CDU-Politiker Thomas Jarzombek für die CDU-/CSU-Bundestagsfraktion zum sogenannten Pakt für Forschung und Innovation (PFI) auf den Weg gebracht hatte, trifft beides zu.
Der PFI, den Bund und Länder 2005 vereinbart und seitdem immer wieder erneuert haben, garantiert den großen außeruniversitären Forschungsorganisationen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) regelmäßig sichere Aufwüchse ihrer Grundbudgets. In der laufenden – bereits der vierten – mehrjährigen Paktphase drei Prozent – Jahr für Jahr, und das, wie 2019 festgelegt, diesmal für einen exzeptionell langen Zeitraum bis 2030.
Im Gegenzug verpflichteten sich Max Planck, Helmholtz, DFG und Co auf die Erreichung der im PFI vereinbarten forschungspolitischen Ziele (wissenschaftliche Exzellenz, Talentförderung, Transfer etc.) – wobei sie viel Freiraum bei der Umsetzung haben. Und auch wenn sie über ihre Performance transparenter als früher Rechenschaft ablegen müssen, so droht ihnen doch kaum Ungemach, wenn sie hinter den Erwartungen zurückbleiben. Aber das ist eine andere Geschichte.
"Erstmals kein klares Bekenntnis mehr zum PFI"?
Das Besondere an der Pakt-Garantie ist, dass die Bundesregierung sie auf so lange Zeit gar nicht wirklich geben kann – sondern immer nur unter dem Vorbehalt der jährlichen Haushaltsbeschlüsse des Bundestages. Anlass zur Sorge gab aus Sicht der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion jetzt, dass im Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2024 "erstmals kein klares Bekenntnis mehr zum PFI" zu finden sei, wie es in der Kleinen Anfrage heißt.
Eine Interpretation, die man durchaus als nicht zwingend bezeichnen kann, zitiert die Fraktion doch selbst den – auf den ersten Blick eindeutigen – Wortlaut im Regierungsentwurf: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) "bleibt ein zuverlässiger Partner von Bildung, Wissenschaft und Forschung und stärkt nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Hierzu tragen maßgeblich der Pakt für Forschung und Innovation sowie der Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken bei, die beide dynamisiert sind und damit jährliche Aufwuchs gewähren."
Auf den zweiten Blick fehlt in der Formulierung allerdings die genaue Angabe in Prozent, wie hoch der jährliche Aufwuchs sein soll – im Unterschied etwa zu den Haushalten 2020 und 2021 (die noch unter Unions-Regierungsbeteiligung entstanden und im Fragetext entsprechend gewürdigt werden). Hinzu kommt, dass das BMBF nach Veröffentlichung der Regierungsaufstellung für 2024 tatsächlich unter Druck geriet, was den PFI anging. Aber nicht, weil im Entwurf die versprochenen Zuwächse fehlen, sondern gerade weil sie abgebildet sind, während das Gesamtbudget des Ministeriums schrumpft.
Wenn die Pakt-Ausgaben schneller wachsen als der BMBF-Haushalt
Dynamisch wachsende Budgets für die Forschungsorganisationen, während in der Bildung (Beispiel BAföG-Titel) gekürzt werden muss? Insofern könnte den PFI-Organisationen also wirklich Ungemach drohen in den nächsten Jahren, wenn die PFI-Überweisungen weiter schneller zulegen sollten als der Ministeriumshaushalt. Und hier kommt das erforderliche klare Bekenntnis der Bundesregierung ins Spiel, das die CDU-/CSU-Opposition bislang vermisste laut ihrer Kleinen Anfrage.
Zur Wahrheit gehört indes, dass ein Sprecher von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) auf meine Anfrage hin schon Mitte Juli betont hatte, das BMBF stehe zu den mit den Ländern vereinbarten jährlichen Steigerungen für den Pakt für Forschung und Innovation und für den Zukunftsvertrag. Aber klar, eine Aussage der gesamten Bundesregierung war das noch nicht.
Genau das aber ist die jetzt veröffentlichte Antwort auf die Kleine Anfrage der Unionsfraktion, auch wenn sie im BMBF federführend formuliert wurde. Und sie lässt keinen Spielraum mehr für Interpretation, so eindeutig ist sie – inklusive Seitenhieb in Richtung Vorgängerregierung: "Die Bundesregierung leistet die vereinbarten PFI-Aufwüchse trotz der bereits in der 19. Legislaturperiode absehbaren finanziellen Herausforderungen. Die in der 19. Legislaturperiode vorgelegte Finanzplanung hatte einen niedrigeren Plafond vorgesehen, als dies unter den nun weitaus schwierigeren Rahmenbedingungen der Fall ist."
Also: Ja, nicht nur Stark-Watzingers Ministerium, sondern die gesamte Bundesregierung steht zu den Aufwüchsen. Und betont zugleich, dass die mittelfristige Finanzplanung zu Zeiten von BMBF-Chefin Anja Karliczek (CDU) weniger Geld fürs Forschungsministerium vorsah. Subtext: Die alte Regierung ist Versprechungen eingegangen, ohne deren Ausfinanzierung sicherzustellen. Was wir jetzt nachgeholt haben.
Warum der Bund nicht genau
drei Prozent mehr überweist pro Jahr
Als Retourkutsche nicht ungeschickt– allerdings ähnlich einseitig wie die Eigenlob-Formulierung in der Kleinen Anfrage. Denn dass eine alte Regierung sich vor einer anstehenden Bundestagswahl bei der mittelfristige Finanzplanung zurückhält, um der Prioritätensetzung ihrer Nachfolger nicht vorzugreifen, ist eingeübte parlamentarische Praxis.
Für 2024 liefert die Bundesregierung in ihrer Antwort die Haushaltsansätze für alle fünf PFI-Organisationen und die jeweiligen Steigerungen im Vergleich zu 2023 mit. Dabei erklärt der im BMBF formulierte Text auch nachvollziehbar, warum das Plus bei keiner Organisation drei Prozent erreicht und das PFI-Versprechen trotzdem erfüllt wird.
Einerseits, weil nur die 2019 für jede Organisation vereinbarten Sockelbeträge mit drei Prozent pro Jahr angehoben werden und nicht seitdem hinzugekommene Sonderfinanzierungen. Anderseits, und das ist 2024 neu, weil von jetzt an über sieben Jahre hinweg die Länder jedes Jahr etwas mehr zum Aufwuchs beitragen müssen. Hintergrund: Die damalige Große Koalition hatte sich für die Jahre 2016 bis 2020 darauf eingelassen, das 3-Prozent-Plus allein zu tragen, was die über Jahrzehnte angestammten Finanzierungsschlüssel zwischen Bund und Ländern verändert hatte. Zu diesen Schlüsseln soll es nun bis 2030 zurückgehen, wodurch der Anstieg auf Bundesseite geringer ausfällt.
Zu den Haushalten 2025 und 2026 gibt die Bundesregierung indes keine konkreten Zahlen im Detail an, sondern verweist darauf, dass die mittelfristige Finanzplanung ein regierungsinternes Planungsinstrument sei, verbunden mit der Zusicherung: "Die gemäß dem PFI vorgesehenen Steigerungen des Bundes in Höhe von jährlich drei Prozent sind in den Ansätzen des Regierungsentwurfs sowie der Finanzplanung enthalten."
Unabhängig davon, ob bislang Zweifel an der Pakttreue berechtigt oder doch ein wenig aufgebauscht waren, nach der Kleinen Anfrage haben es die Forschungsorganisationen nun schriftlich, dass die Ampel sich für die nächsten Jahre committed hat zu den drei Prozent und Stark-Watzinger damit den Rücken stärkt. Ob ein solches Commitment in Zeiten knapper Kassen Sicherheit genug bietet, müssen die Präsidenten der Pakt-Organisationen freilich selbst entscheiden.
Schutzwall nur für die Wissenschaft?
Für die Union ist die Antwort des Ministeriums immerhin Anlass, auch die Regierung ein bisschen zu loben, vor allem aber wieder sich selbst. "Ich finde es wichtig, dass sich die Bundesregierung auf unsere Nachfrage hin jetzt klar zu den Verpflichtungen aus dem PFI bekannt hat", sagt Jarzombek, der bildungs- und forschungspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist. Die geplante Kürzung des BMBF-Etats im kommenden Jahr könnten viele Menschen als Prioritätensetzung der Ampel nicht nachvollziehen und hielten sie für falsch. "Umso wichtiger war es im Rückblick, dass wir 2019 auf Drängen der unionsgeführten Bundesregierung mit den drei Wissenschaftspakten gewissermaßen einen Schutzwall um unsere Wissenschaft errichtet haben." Und Jarzombek zeigt sich überzeugt: "Ohne diesen Schutzwall wären die von der Regierungskoalition jetzt geplanten Kürzungen in Bildung und Forschung voraussichtlich noch größer ausgefallen."
Noch ist der Regierungsentwurf nur ein Entwurf. Die Regierungsfraktionen werden in den parlamentarischen Haushaltsberatungen das letzte Wort haben. Zuletzt war viel koalitionsinterne Unzufriedenheit zu hören und die Sorge, die versprochene BAföG-Reform werde dem Rotstift geopfert. Gut möglich also, dass in den nächsten Wochen vor allem der genauso nötige Schutzwall um den BMBF-Bildungsetat zur Sprache kommen wird.
This research seeks to investigate the development of public green open space in Bangkok from the historical period to the systematic planning of the Bangkok Metropolitan Administration from 1977 to 2012. The study aims to demonstrate the development of public green open space in Bangkok by defining the role of public green open space in Bangkok and clarifying factors that affect using public green open space in order to provide a recommendation that helps to improve the policy of making public green open space for Bangkok more efficient and sustainable. The research provides the study of public green open space development from the Thai historical period to the 1ˢᵗ – 8ᵗʰ Bangkok Metropolis Development Plans (BMDP). The process and policies of public green open space development were analysed including the approach towards sustainable development in Thailand and the four dimensions of sustainable development. To find out the factors that impact the usage of public green open space, the survey of public green open space in Bangkok is required as the case study to analyse the use of public green open space. From the results it was found that the function, meaning, and form of public green open space in Thailand changed through the historical period to 2012. The use of green open space in the historical period was limited to agricultural purposes, which provided a multifunction for occupation and recreation for the agrarian society. Well-designed gardens could only be found in palaces and they were typically used as a royal recreational place. Towards the latter part of the Rattanakosin era, one of the royal gardens, Saranrom, was opened for ordinary people every Sunday. This kind of modernization was a major drive to help avoid being colonized by Western countries in the reign of King Rama V. Decades later, the first real public park, Lumpini Park, was created in 1925 for use as a public recreational place. Since 1977, public green open space in Bangkok has been developed systematically under the supervision of BMA that aims in a long term to develop Bangkok "Striving for green Bangkok". This makes an increasing of public green open space one of the major policies of BMA. However, the city was expanded with unstructured planning, which caused the problem of lacking area for public green open space. The public stepped out to demand an urgent alleviation of the problem, which has made politics a significant factor to stimulate the development of public green open space in Bangkok since then. The important aspect which is the changing point in public green open space development in Bangkok is the adoption of the sustainable development concept and the standards of WHO for livable cities during the 6ᵗʰ - 7ᵗʰ BMDP (2002–2008). The policies in public green open space development were changed; firstly, public participation and public awareness were pushed forward in the development of public green open space to raise the public consciousness of environmental problems and encourage people's awareness of green areas' value, which helps the development of public green open space. Secondly, the green area coverage in a proportion suitable to the number of population becomes an index of sustainability and reflects the country's environmental-friendly potential and a good quality of life. BMA has employed various strategies to add more green areas while the acquisition of big pieces of land for constructing public parks is very difficult. Therefore, BMA has issued a policy of creating street parks and vertical gardens. The change in policy has had a direct impact and resulted in physical change in the green areas. To understand the use of public green open space, three case studies (Lumpini Park, Wachirabenchatat Park, and Phra Ram I Street Park) were chosen for a survey to clarify the factors that impact the usage of public green open space. The results of the study and the survey lead to finding recommendations for improving the policy of public green open space development regarding the four aspects of society, economy, environment, and culture. ; Diese Forschungsarbeit soll die Entwicklung der öffentlichen Grünflächen in Bangkok von der historischen Periode bis hin zum Beginn der systematischen Planung durch das "Bangkok Metropolitan Administration (BMA)" im Jahr 1977 – 2012 untersuchen. Die Studie soll die Entwicklung öffentlicher Grünflächen in Bangkok veranschaulichen und deren Bedeutung sowie Klärung der Einflussfaktoren auf die Nutzung des öffentlichen grünen Freiraums darstellen, um eine Empfehlung abzugeben, die zur Verbesserung der politischen Richtlinien und Planungsprozesse von öffentlichen Grünflächen für Bangkok dienen sollen um diese effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Die Forschung zeigt die Entwicklung öffentlicher Grünflächen von der thailändischen historischen Periode bis hin zu den 1. bis 8. Stadtentwicklungsplänen von Bangkok (Bangkok Metropolis Development Plans – BMDP). Der Prozess und die Politik zur Entwicklung öffentlicher Grünflächen wurden, einschließlich des Ansatzes für eine nachhaltige Entwicklung in Thailand und der vier Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung, analysiert. Um herauszufinden, welche Faktoren Einfluss auf die Nutzung öffentlicher Grünflächen haben, ist eine Untersuchung öffentlicher Grünflächen in Bangkok als Fallstudie erforderlich. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass sich Funktion, Bedeutung und Form der öffentlichen Grünflächen in Thailand im Verlauf der Geschichte bis 2012 verändert haben. Die Nutzung von Grünflächen in der historischen Zeit war auf landwirtschaftliche Zwecke beschränkt, die die Multifunktion für Beruf und Freizeit als Erholungsort für die Agrargesellschaft bildeten. Künstlich angelegte und geplante Gärten waren nur in Palästen zu finden und wurden üblicherweise als royaler Erholungsort genutzt. Gegen Ende der Rattanakosin Ära wurde einer der königlichen Gärten, der Saranrom, jeden Sonntag für die "normale" Bevölkerung geöffnet. Diese Art der Öffnung war ein wichtiges Vorgehen, um zu verhindern, dass während der Regierungszeit von König Rama V eine Kolonisierung durch westliche Länder erfolgen konnte. Jahrzehnte später, erstmals im Jahr 1925, wurde der erste "echte" öffentliche Park - Lumpini Park - als öffentlicher Erholungsort angelegt. Seit 1977 wurden öffentliche Grünflächen in Bangkok systematisch unter der Aufsicht des BMA (Bangkok Metropolitan Administration) mit der Zielsetzung entwickelt, Bangkok langfristig unter dem Motto "Striving for green Bangkok" zu entwickeln. Dies erfordert eine Zunahme an öffentlichen Grünflächen zu einer der wichtigsten Maßnahmen des BMA. Die Stadt wurde jedoch durch unstrukturierte Planungen erweitert, was zu einem Problem aufgrund fehlender Flächen für öffentliche Grünanlagen führte. Die Öffentlichkeit forderte eine dringende Entschärfung des Problems. Politisch erkannte man diesen bedeutenden Mechanismus und fördert seitdem die die Entwicklung öffentlicher Grünflächen in Bangkok. Der entscheidende Aspekt der zum Wandel der Entwicklung öffentlicher Grünflächen in Bangkok führte, ist die Annahme des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung und der Standards der WHO für lebenswerte Städte während des 6. und 7. BMDP (2002 – 2008). Die Richtlinien zur Entwicklung öffentlicher Grünflächen wurden geändert. Zuerst wurden die Öffentlichkeitsbeteiligung und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit bei für die Entwicklung von öffentlichen Grünflächen vorangetrieben, um das Bewusstsein der Öffentlichkeit für Umweltprobleme zu schärfen und die Menschen zu ermutigen, sich der Bedeutung von Grünflächen bewusst zu sein, was zur nachhaltigen Entwicklung von öffentlichen Grünflächen beiträgt. Zweitens soll die flächenmäßige Abdeckung der Grünfläche in einem angemessenen Verhältnis zur Bevölkerungszahl stehen. Der Index der Nachhaltigkeit spiegelt das umweltfreundliche Potenzial des Landes und eine gute Lebensqualität wider. Die BMA hat verschiedene Strategien entwickelt, um mehr Grünflächen zu schaffen, obwohl der Erwerb großer Flächen für den Bau öffentlicher Parkanlagen sehr schwierig ist. Daher hat die BMA politische Richtlinien zur Schaffung von Straßenparks und vertikalen Gärten erlassen. Die Änderung der politischen Richtlinien hatte direkte Auswirkungen und führte zu physischen Veränderungen in den Grünflächen. Um die Nutzung öffentlicher Grünflächen zu verstehen, erfolgten drei Fallstudien in Parkanlagen. Dabei wurden folgende Parkanlagen genauer untersucht: Lumpini Park, Wachirabenchatat Park und Phra Ram I Street Park. Diese wurden für eine Umfrage ausgewählt, um die Faktoren zu klären, welche sich auf die Nutzung öffentlicher Grünflächen auswirken. Das Ergebnis der Studie und der Umfrage soll es sein herauszufinden, welche Empfehlungen zur Verbesserung der Richtlinien der Entwicklung öffentlicher Grünflächen in den vier Bereichen Soziales, Wirtschaft, Umwelttechnik, und Kultur erforderlich sind.
'Artistic Research' (oder zu Deutsch: 'Künstlerische Forschung') lautet ein Schlagwort, das sich in den letzten Jahren im zeitgenössischen Kunst- und Wissenschaftsdiskurs etabliert hat. Es zielt darauf ab, Kunst und Forschung zusammenzudenken, also das Forschungspotenzial von Kunst herauszukehren – und umgekehrt. Nun hat sich die in Wien ansässige Regisseurin und Leiterin des theatercombinats, Claudia Bosse, zu einer Publikationsserie über/als künstlerische Forschung entschieden, die sich CHEAP METHOD EDITION nennt. Zwei bis vier Hefte pro Jahr sollen erscheinen, und zwar bei dem noch jungen Schweizer Verlag Motto Books, der sich auf die Herausgabe von Kunstbüchern spezialisiert hat. Geschrieben sind die Texte, deren Inhalte sich aus Bosses Arbeiten in den Bereichen Performance und Installation, Philosophie, Theorie und Politik ergeben, durchwegs in Kleinbuchstaben. Als Künstlerin sei ihr dies erlaubt, so Bosse, die ihre Publikationsreihe nicht bloß als Dokumentationsmedium für bereits abgeschlossene Werke begreift. Es ist ihr vielmehr ein Anliegen, die fragile Entwicklung eines Projektes zu zeigen, Materialien (Bilder, Texte, Gesprächsprotokolle etc.) daraus zu präsentieren, Andere ihre Arbeit reflektieren zu lassen. Dieses Vorgehen soll den prozessualen Charakter ihrer Projekte, die sie oft auch als 'theatrale Recherchen' bezeichnet, in den Vordergrund rücken. Es soll Fragen aufwerfen anstatt konkrete (apodiktische) Antworten zu liefern, es soll einen Raum aufmachen für neue Gedanken, vielleicht als/für neue Methode(n) – auch im Sinne von 'artistic research': "CHEAP METHOD EDITION will publish examples to create a discourse on fading performative works. CHEAP METHOD EDITION combines artistic research with scientific and experimental knowledge, connecting both in thematic issues to open up wider contexts which can be re-used, re-worked, re-discussed and compared" (S. 4). Das erste Heftchen dieser Serie kommt gerade frisch aus der Druckerpresse, es nennt sich struggling bodies in capitalist societies (democracies). Auf dem Titelblatt zu sehen eine Farbfotografie: Sie zeigt den Körper einer Frau in Unterhosen, auf einer Bank liegend in einem – ob der zum Teil abgeschlagenen Fliesen an Wand und Boden – kalt wirkenden Raum, vielleicht schlafend, ein Kissen zwischen die Knie geklemmt und eins unterm Kopf. Zu ihren Füßen ein Zettel, auf ihm zu lesen der Titel eines Symposiums vom Dezember 2012 – und nun auch dieses Heftes: struggling bodies in capitalist societies (democracies). Bei dem experimentellen Symposium, das in der ehemaligen Zollamtskantine im dritten Wiener Gemeindebezirk im Rahmen von Bosses Projekt Designed Desires stattgefunden hat, wurden von sechs geladenen Gästen in unterschiedlichen Formaten (Vorträge, Dialoge, Diskussionsrunden mit dem Publikum) die Themenkomplexe Disziplin, Asketismus, Körperbilder und politische Konstruktionen des 'Selbst' einer kritischen Befragung unterzogen. Titel und Inhalt dieser ersten Ausgabe der CHEAP METHOD EDITION basieren vorrangig auf den Materialien dieses zweitägigen Symposiums, dessen Struktur auf die spezifische Methode der ästhetischen Arbeiten Claudia Bosses verweist: So ist es Bosse ein Anliegen, Platz zu schaffen nicht nur für präzise durchdachte, für das Format eines Vortrags zum Zuhören und Mitdenken gut aufbereitete und konstruierte Gedankenstränge, sondern eben auch für fragilere Formen wie unmittelbar beim Reden entstehende Ideen, das heißt: der, mit Kleist gesprochen, allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden Raum zu geben. struggling bodies in capitalist societies (democracies) versammelt denn also die Niederschrift von Vorträgen sowie Fragmente transkribierter Dialoge und Diskussionen. Zwischendurch zu sehen gibt es Fotos: vom Symposium, von Günther Auers Performance Boxen, die während des Symposiums gezeigt wurde, und von der Performance Designed Desires, deren Uraufführung vom 27. November bis zum 9. Dezember 2012 zu sehen war. Die Ordnung der Texte folgt der Struktur des Symposiums; sie soll ein Parallellesen von konstruierten Gedanken und im Augenblick entstandenen Ideen ermöglichen, um unterschiedliche Standpunkte und Gedankenmodelle zum zentralen Thema struggling bodies in capitalist societies (democracies) miteinander in Dialog treten zu lassen. Inhaltlich entfaltet sich die Publikation entlang dreier Themenbereiche. Im ersten präsentieren Gerald Siegmund (Institut für Angewandte Theaterwissenschaft, Gießen) und Elke van Campenhount (sie lebt und arbeitet als 'artistic researcher' in Brüssel) ihre Gedanken zum Thema 'self-subversion: concepts and try-outs of (self)disciplined bodies', als Vortrag, als Dialog, und schließlich innerhalb einer Diskussionsrunde mit dem Publikum. Siegmunds Beitrag titelt 'to be or not to be: towards a theatre of disidentification or: the body as supplement'. Er präsentiert unterschiedliche philosophische Gedanken zum Thema Körper, unter anderem etwa Jean-Luc Nancys 'corpus'-Theorien, um schließlich Möglichkeiten für das Theater zu skizzieren, mit dem Körper umzugehen: "in order to explain aspects of performances like atmosphere, scholars revert to primary integral modes of perception before the division into separate senses has taken place. rather than integrating perception, theatre may produce various bodies precisely by separating the 'organs' of theatre, that is to say its technical means. thus theatre juxtaposes the channels of perception, creating a light body, a sound body, a movement body, a speaking body, a scenographic body and so on. by insisting on the plurality of its constituent elements, any performance may create a plurality of bodies that interact and contradict each other" (S. 11). Seine Überlegungen wird Siegmund später in einem Gespräch mit Elke van Campenhount reflektieren, die in ihrem Beitrag über Hunger als künstlerische Haltung spricht/schreibt und damit unter anderem auf den deleuzianischen Begriff des organlosen Körpers rekurriert. Im zweiten Themenkomplex geht es um das Thema 'the body and its normatives'. Marina Gržinić (Akademie der bildenden Künste, Wien) spricht/schreibt und diskutiert mit dem Publikum über Hungerstreiks, die Asylpolitik der Europäischen Union und die politische Figur der Asylwerberin bzw. des Asylwerbers – auch aus gegebenem Anlass: "it is december 1, 2012, and i am speaking at this conference while a protest in support of the refugee protest camp set up one week ago, on november 24, 2012, in the center of vienna, in front oft he sigmund-freud-park's votive church, is taking place" (S. 40). Der dritte Themenschwerpunkt verhandelt 'the body as the place of the political'. Alice Pechriggl (Institut für Philosophie, Universität Klagenfurt) nutzt den, wie sie es bezeichnet, "jam-session-artigen experimentellen charakter dieser veranstaltung" (S. 66), um in Form einer Lecture-Performance ein sehr spezielles Textfragment 'zu konstitution und aisthêsis eines unumgänglich/en demokratischen körpers' zu präsentieren: "against the yet undetermined democratic body stands 'the body as battlefield', körperschlachtfeld schlachtfeld-körper; der antidemokratische körper ist der althergebrachte militärisch-männerbündische exekutionskörper als nur gehorchender, als beherrschter eines formiert-formierenden korpsgeistes, als ein in heteronomen verfassungen aufgespannter, gedrillter, drilled and grilled bodies of male battles, body formations against democracy. The struggle of the democratic bodies against a spirit and a mind of exploitation is in itself freedom because it marks the resistance against a military and industrial formation through the selfdetermination of the body as body, as animation for life and eros, for creativity against bureaucratization and countability, as a body of awareness preparing the psyche to the realistic acceptance of their living together and for their common death when time has come for body and its psyche, for psyche and its body" (S. 69f.). Mit Pechriggl im Panel ist Hrvoje Jurić (Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften, Zagreb), der in seinem Beitrag zunächst ganz allgemein danach fragt, wer oder was überhaupt der Körper ist, um dann auf aktuelle Dynamiken eines Embodiment und die Beziehungen zwischen Körper und Kunst zu sprechen/schreiben zu kommen: "art should try to destroy the crucifix made by the technoscientific-economic-political system, as well as to liberate both the body as the most crucified part of the human being and the entirety of human beings whose freest 'part' still remains the body", so sein Plädoyer am Ende seines Vortags (S. 80). Künstlerisch-(nach)forschende Methoden, vor allem die gezielten Setzungen von Denk-Freiräumen wie jene, die Claudia Bosse für das Symposium und die Publikation struggling bodies in capitalist societies (democracies) gleichsam inszeniert hat, fordern die Vor- und Beitragenden – vielleicht intensiver als klassische Vortrags-Formate – zu Reflexionen und Diskussionen auf und generieren nicht vorab konstruierte, feststehende Gedanken. Nur so ist es möglich, auf Dinge zu stoßen, von denen man nicht wusste, dass man sie nicht weiß, oder dass sie von Relevanz sein könnten. Claudia Bosses CHEAP METHOD EDITION soll zum einen Methoden und Materialien ihrer beiden zentralen Arbeitsschwerpunkte präsentieren: Political hybrids und Producing tragedy. Die ersten Ausgaben (die nächsten beiden stehen schon fest: Im Herbst soll es ein Heft zu dem Projekt biographical landscapes of new zagreb geben, und Nummer drei wird some democratic fictions beirut heißen und vor allem Bilder in schwarz/weiß zeigen) widmen sich zunächst den Political hybrids; Thema von Producing tragedy werden etwa Bosses Perser-Inszenierungen von 2006 sein. Zum anderen soll es aber auch Themenhefte geben, die loser oder gar nicht mit Bosses Projekten assoziiert sind, die etwa in Kooperation mit anderen Institutionen (wie etwa dem Museum of Contemporary Art (MSU) Zagreb) entstehen. Es ist freilich unmöglich, eine gerade im Entstehen begriffene Publikationsreihe in ihrer Gesamtheit zu diskutieren oder gar zu bewerten. Was ich mich dieser Stelle allerdings bereits zu prognostizieren getraue: "billige" Methoden wird die Cheap Method Edition keinesfalls liefern.
Das Ende des Kalten Krieges verschaffte einzelnen Staaten wie der Türkei Israel auch mehr Freiraum, ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen. Es entstand also eine gewisse Multilateralität/Multipolarität in der Weltpolitik allerdings nur innerhalb eines durch die Interessen der USA und deren oftmals unilaterales Vorgehen definierten Rahmens. Unter dem Schutz der einzig verbliebenen Supermacht USA können deren Verbündete, wie die Türkische Republik, auf regionaler Ebene ihre machtpolitischen Interessen gezielter verfolgen als in der Vergangenheit. Dies macht sich in geografischen, sprachlichen, ethnischen, geschichtlichen und ökonomischen Aspekten der Außenpolitik der Türkei gegenüber den Ländern des Nahen Ostens und des Kaukasus bemerkbar. Sie setzt als ein Verbündeter und Partner des Westens vermehrt Mittel und Ressourcen in der Region ein, um zu einer Regionalmacht aufzusteigen, und übt als EU-Anwärter und Nachbar des Nahen Ostens und des Kaukasus eine wichtige ökonomische und geostrategische Brückenfunktion zwischen Europa und dem Nahen Osten aus. Der Verfasser geht also davon aus, dass sich die Türkische Republik seit dem Ende des Kalten Krieges außenpolitisch neben der Westbindung zum Ziel gesetzt hat, zu einer regionalen Großmacht aufzusteigen. Die Handlungsfähigkeit der türkischen Interessenpolitik im internationalen System wird aber durch zwei Hindernisse stark eingeschränkt. Das sind erstens die Kurdenfrage und zweitens ökonomische Probleme in Form eines zu großen Handelsdefizits und daraus resultierender Abwertungen, die zu einer Reihe von Wirtschaftskrisen in der jüngeren Vergangenheit führten. Durch das Südostanatolien-Projekt (Güneydoğu Anadolu Projesi, GAP) strebt die Türkei einen entscheidenden Machtzuwachs an, denn das Projekt ermöglicht es, das Wasser des Euphrat und des Tigris als wirtschaftliches und strategisches Mittel sowohl in der Innenpolitik als auch in der regionalen und internationalen Politik zur Durchsetzung türkischer Interessen zu nutzen. Nicht nur im Nahen Osten, sondern in der gesamten Weltwirtschaft und Weltpolitik ist das Wasser im neuen Jahrhundert zu einem knappen, strategischen und lebenswichtigen Wirtschaftsgut geworden. Wasser, das "weiße Gold", ist dabei, dem "schwarzen Gold" (Öl) den Rang abzulaufen. Der Nahe Osten gehört zu den wasserärmsten Regionen der Welt. Die Türkei verfügt aber mit ihren 112 Mrd. Kubikmetern m³ Wasser im Vergleich zu ihren Nachbarn Irak und Syrien über große Vorkommen. Sie hat diesen Vorteil erkannt und setzt ihn nun in ihrer Großmachtpolitik in der Region ein. Von der türkischen Wasserpolitik und dem GAP sind der Irak und Syrien als Unteran-rainerstaaten direkt betroffen, vor allem aber die Kurden, da das GAP ausschließlich auf kurdischem Siedlungsgebiet durchgeführt werden soll. Der Radius der kurdischen Aktionsmöglichkeiten ist dabei nicht auf die Türkei beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf die Nachbarstaaten Iran, Irak und Syrien; und selbstverständlich haben ihre Interessen nach der US-amerikanischen Invasion im Irak an Bedeutung gewonnen. Die Türkei ist als Partner der EU, Israels und der USA im Nahen Osten zwar ein entscheidender Baustein im politischen Gefüge dieser Region, sieht sich aber von ihren Partnern noch nicht als vollwertig und gleichberechtigt akzeptiert, sondern in der Wahrung ihrer Interessen in der Region durch diese Mächte beeinträchtigt. Sie ist der Ansicht, dass ebenso wie die politischen Konkurrenten der Türkei (Russland, Iran, Irak und Syrien) auch die westlichen Partner die Kurdenfrage gegebenenfalls gegen die Türkei instrumentalisieren. In diesem Machtspiel soll das GAP ein Gegeninstrument zur Wahrung wirtschaftlicher und strategischer Interessen der Türkei darstellen. Das kostspielige GAP an Euphrat und Tigris in Südostanatolien umfasst zunächst einmal 19 Wasserkraftwerke mit einer Kapazität von je 8 000 MW. Jährlich sollen 27 Milliarden kWh Strom produziert werden, 22 Staudämme und Bewässerungskanäle werden die Bewässerung von 1,82 Millionen Ha Boden ermöglichen. Das Projekt soll bis zur Fertigstellung nach offiziellen Angaben 32 Milliarden US-Dollar kosten und nach seiner geplanten Vollendung im Jahre 2010 Einnahmen von mindestens 17,1 Mrd. Dollar jährlich erwirtschaften. Diese Einnahmen könnten durch Mehrwertprodukte und Wasserexporte um ein Vielfaches gesteigert werden. Da Wasser im Nahen Osten auf Grund des Bevölkerungswachstums und Klimawandels immer knapper wird, kommt ihm neben dem Öl eine zentrale strategische und wirtschaftliche Bedeutung in der Region zu. In dieser Situation soll das an Euphrat und Tigris im Bau befindliche Projekt der Türkei als Werkzeug zum Aufstieg zur Regionalgroßmacht in einer wasserarmen Region dienen: Das Wasser soll der Türkei die für ihre Sicherheit und Stabilität als notwendig erachteten Machtressourcen verschaffen. Dies gilt sowohl in Bezug auf die Nationalökonomie als auch in innenpolitischer, regionalpolitischer und sicherheitspolitischer Hinsicht, womit sämtliche entscheidenden Machtfaktoren abgedeckt wären. ; The end of the cold war created more space for countries like Turkey and Israel to pursue their own political and economic interests. A kind of multilateralism/multipolarity emerged, however only in the framework, which was designed by the interests of the USA. Protected by the only super power USA, its allies such as the Republic of Turkey, can pursue their interests more directly than in the past. This can be observed in geographic, linguistic, ethnic, historic and economic aspects of Turkey's foreign policy towards the countries of the Middle East and the Caucasus. As an ally and partner of the West, Turkey is committing more resources in the region to emerge as a regional power, recognizing that as an EU candidate and neighbour to the Middle East and the Caucasus, Turkey is in a singular position to play an important economic and geostrategic in the region. The author assumes that after the end of the Cold War Turkey, besides alignment with the West, also added to its foreign policy the goal to become a regional power. However, Turkey's ability to make progress in this regard is hindered by two obstacles: the Kurdish situation and economic problems stemming from a trade deficit which has led to a series of recent economic crises. With the Southeast Anatolia Project (Güneydoğu Anadolu Projesi, GAP), Turkey is striving to gain power, because the project will enable Turkey to use the water of the Euphrates and Tigris as both an economic and strategic means in domestic and international policies to promote Turkish interests. Not only in the Middle East, but in several key global regions of global economic and security interest, water has become a commodity of strategic and vital economic value. Water, the "white gold" is outstripping the "black gold" (oil). The Middle East is one of the most arid regions in the world. However, Turkey has 112 billion cubic meters more in comparison with her neighbours Iraq and Syria. Turkey has recognized this advantage and is using it to leverage its influence in the region. Iraq and Syria are directly affected by Turkey's water policy and GAP, as are the Southern neighbours and especially the Kurds, because GAP is exclusively accomplished on Kurdish settlement areas. Kurdish activities are not limited to Turkey, but include Iran, Iraq and Syria. After the US-invasion of Iraq Kurdish influence has increased in the region. Turkey as partner of the EU, Israel and the US in the Middle East is a decisive part of the political arrangement of the region, but doesn't feel accepted as an equal, but limited by these powers to achieve her interests. Turkey believes that both the political competitors (Russia, Iran, Iraq, Syria) and the Western partners bolster the Kurdish cause against Turkey. In this power struggle GAP shall serve as a counter balance to maintain economic and strategic interests of Turkey. The costly GAP includes 19 hydro power plants with a capacity of 8000 MW each. Yearly 27 billion kWh electricity shall be produced, 22 dams and irrigation channels for 1,82 million Ha built. The project is supposed to cost in total according to official numbers 32 billion USD and after its completion in 2010 generate yearly 17.1 billion USD. These revenues could be multiplied through water exports and value-added products. Since water is getting ever scarcer in the Middle East due to population growth and climate change, it is occupying a role similar to that of oil in the strategic and economic planning in the region. In this situation the project currently being built at the Euphrates and Tigris should serve Turkey's bid to become a regional power in an arid region: water should get Turkey the necessary power resources for security and stability. This is true for both the national economy and the domestic, regional and security policy aspects, through which all important power factors would be covered.
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Kommt nun endlich die überfällige Bundestags-Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland? Prominente Kritiker warnen allerdings weiter vor den Folgen für die Wissenschaftsfreiheit – und haben der Politik eine Alternativfassung vorgeschlagen.
Harte Verhandlungen über die Resolution im Bundestag, aber wenig davon dringt nach außen.
Foto: Tobias Nordhausen. CC BY-NC-SA 2.0.
ES IST EINE BLACKBOX selbst für viele Abgeordnete. Wie genau sieht er jetzt aus, der Entwurfs einer Bundestags-Resolution zum Schutz jüdischen Lebens, die eigentlich schon zum Jahrestag der Terrorangriffe der Hamas auf Israel am 7.Oktober verabschiedet werden sollte?
"Jüdinnen und Juden brauchen die Unterstützung und die klare Haltung des Parlaments", hatte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, Ende August in einem Gastbeitrag in der WELT gefordert.
Das war, bevor sich der Beschluss immer weiter verschob aufgrund des anhaltenden Streites zwischen SPD, Grünen, FDP und Union um den genauen Wortlaut. Federführend sind nach monatelangen Verhandlungen der Innenpolitiker inzwischen die Fraktionsspitzen, aus deren Beratungen jedoch bis zuletzt nur wenige Details über den Stand der Beratungen nach außen drangen. Was jetzt immerhin bekannt wurde: Eine Einigung der beteiligten Fraktionen scheint bevorzustehen, in der Sitzungswoche nach dem 4. November könnte die Resolution beschlossen werden.
Der interne wie externe Druck auf die Abgeordneten, endlich fertigzuwerden, hatte nicht zuletzt nach dem Sturm vermummter Angreifer auf das Präsidiumsgebäude der Freien Universität Berlin (FU) vergangene Woche weiter zugenommen. Mitarbeiter wurden verbal und körperlich bedroht, Räume wurden verwüstet und Parolen und Hamas-Dreiecke auf Wände und Fassade gesprüht.
Gleichzeitig warnen jedoch Kritiker weiter vor den Folgen des Resolutionstextes vor allem für die Wissenschaft, die gegenwärtige Entwurfsfassung sei gegenüber früheren Versionen im Kern unverändert geblieben. So soll der Text der Resolution immer noch die IHRA-Definition von Antisemitismus enthalten.
Bereits im August hatte hier im Blog der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete und bayerische Verfassungsrichter Jerzy Montag kommentiert, er befürworte sehr, dass die Ampel-Fraktionen und die Union über eine gemeinsame Resolution berieten, um jüdisches Leben in Deutschland zu "schützen, bewahren und stärken". Doch der Inhalt des Entwurfs entsetze und sorge ihn zutiefst. Er halte eine staatliche Festlegung auf eine Definition "eo ipso für falsch", sagte Montag im August. "Wenn schon, dann sollte der Staat zur Erfassung des Antisemitismus auf die Vielfalt der Debatten und Definitionsversuche zurückgreifen und nicht eine einzige noch dazu verwaschene absolut setzen."
Antisemitismus-Klausel als Haupt-Streitpunkt
Montag und andere prominente Juristen und Wissenschaftler hatten zudem gefordert, einen Passus aus dem Entwurf zu streichen, demzufolge Anträge auf staatliche Förderung künftig auf Unterstützung oder Reproduktion antisemitischer Narrative überprüft werden sollten. Kombiniert mit der IHRA-Definition berge die Resolution das Potential einer akuten Gefährdung der Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit. Montag kommentierte: "Die Umsetzung einer Antisemtismus-Klausel würde nur gelingen, wenn wir eine Zensurbehörde installieren, wie es sie in der McCarthy-Ära in den USA gegen antiamerikanische Umtriebe gegeben hat."
Diese sogenannte Antisemitismus-Klausel galt bisher als Haupthindernis für eine Einigung, speziell die Grünen sperrten sich offenbar gegen sie. Zentralrats-Präsident Schuster forderte demgegenüber, die Resolution solle "ein klares Zeichen sein, dass künftig die Vergabe von Fördergeldern an unmissverständliche Bedingungen unserer freiheitlichen Grundordnung geknüpft werden muss."Wer sollte etwas dagegen haben?"
Appelle, die Bundestagsresolution nicht in der beabsichtigten Form zu verabschieden, kamen unter anderem auch von Dutzenden deutschen und israelischen Menschenrechtsorganisationen. Zudem erwähnte der jährliche "Free to Think"-Report von "Scholars at Risk" Deutschland: Zwar sei die Bundesrepublik das einzige Land im Bericht, das in Hinblick auf die Wissenschaftsfreiheit als vollkommen frei eingestuft werde, doch hätten Wissenschaftler und Studierende ihre akademische Freiheit und ihre Möglichkeit zu freien Meinungsäußerungen auf dem Campus als eingeschränkt empfunden, insbesondere in Zusammenhang mit dem israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen.
Jetzt kritisieren fünf Wissenschaftler, darunter die Theaterwissenschaftlerin Margarita Tsomou, die Historikerin und Publizistin Marion Detjen und der Politikwissenschaftler Ilyas Saliba, in einer gemeinsamen Stellungnahme, die Verhandlungsführer der Parteien hätten trotz der umfangreichen Kritik auch "von in Deutschland lebenden Jüd*innen, israelischen NGOs, Jurist*innen, Menschenrechtsorganisationen sowie aus der Wissenschaftscommunity und der Kultur" seitens der Politik kein Gesprächsangebot angenommen. "Darüber hinaus wurden alternative Formulierungen und nicht karzerale Maßnahmen zum Schutz jüdischen Lebens, die auf expliziten Wunsch der Verhandler:innen in der Zivilgesellschaft ausgearbeitet wurden und bereits vor Wochen an die Politik gingen, vollends ignoriert."
Prominente Autoren eines alternativen Resolutionstextes
Im Raum stehe nun die Frage an die Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und Fraktionsspitzen, "ob die Resolution die IHRA-Definition verbindlich machen wird oder nicht. Es kann nicht sein, dass grundgesetzlich geschützte Freiheiten zum Spielball der Verhandlungen über ein politisches Maßnahmenpaket wird."
Zu den Autoren der erwähnten Formulierungsvorschlägen für eine alternative Bundestagsresolution gehörten neben Montag die Soziologen Armin Nassehi und Paula-Irene Villa Braslavsky von der LMU München, außerdem der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Andreas Paulus und der Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Ralf Michaels. Die Vorschläge wurden zusammen mit einem auf den 9. September datierten Anschreiben an die Parteien verschickt.
Darin schreiben die Autoren, um die Kritik am Resolutionsentwurf "positiv zu
wenden und dem wichtigen Projekt zum Erfolg zu verhelfen, hat eine informelle Gruppe von jüdischen und nichtjüdischen Wissenschaftler*innen den folgenden Entwurf zusammengestellt". Er verstehe sich als Arbeits- und Diskussionsgrundlage und als Formulierungshilfe "und möchte damit zu einer auch zivilgesellschaftlich und politisch geführten Diskussion um eine entsprechende Resolution zur Bekämpfung des Antisemitismus und zum Schutz jüdischen Lebens beitragen". Man beanspruche nicht, repräsentativ zu handeln. "Wir hoffen aber, dass dieser von Menschen mit unterschiedlichen politischen
Ansichten getragene Entwurf die Ideologisierung und juristische Verunklarung einiger Themen vermeidet und so die Formulierung einer konsensfähigen Resolution erleichtert. Er ist zu Ihrer Unterstützung entstanden; eine Veröffentlichung planen wir zu diesem Zeitpunkt nicht."
Dass sie ihren Alternativentwurf jetzt doch öffentlich machen, offenbart den Frust über die – aus Sicht der Verfasser – unzureichende Reaktion der Politik. Zuletzt war lediglich bekannt geworden, dass es parallel zur Resolution Umsetzungsrichtlinien geben soll. Was die wiederum beinhalten und ob sie die Gemüter beruhigen werden, ist offen.
Mehr als der bekanntgewordene Resolutionsentwurf setze der Alternativtext positive Maßnahmen zur Unterstützung jüdischen Lebens in den Vordergrund, erläutern seine Autoren. "Das liegt auch daran, dass das Grundgesetz staatlicher Regulierung insbesondere in grundrechtsintensiven Bereichen wie Kunst und Wissenschaft bewusst enge Grenzen setzt und stattdessen in der Bekämpfung menschenverachtender Ideologien wie dem Antisemitismus auf die Eigenverantwortung der Gesellschaft sowie ihrer jeweiligen Teilbereiche vertraut. Statt Repression oder Misstrauen gegenüber Geförderten setzt der Entwurf daher weitgehend darauf, die Gesellschaft hierin die Pflicht zu nehmen, ihr aber dabei auch den nötigen Freiraum und die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen."
Auch zur Kritik an der im bisherigen Entwurf allein verwendeten IHRA-Arbeitsdefinition äußern sich die Autoren: Ihr Entwurf orientierte sich an der "U.S. National Strategy to Counter Antisemitism der Biden-Regierung, die sich auf die Arbeitsdefinition beruft, sie aber in den Kontext auch anderer Definitionen stellt".
Wissenschaftspolitiker arbeitet an einem eigenen Antrag
Derweil bestätigen Abgeordnete der Ampel-Koalition, dass Wissenschafts- und Bildungspolitiker der SPD, Grünen, FDP und Union an einer weiteren Resolution speziell für Bildung und Wissenschaft arbeiteten. Eigentlich hatte auch dieser schon vor der Sommerpause ins Plenum eingebracht werden sollen, doch zog er sich dann ebenfalls hin.
"Ich kann Ihnen versichern, dass wir als SPD-Wissenschaftspolitiker zusammen mit der Spitze der Fraktion die Warnungen aus der Wissenschaftsszene vor einer Art Gesinnungsprüfung sehr ernstgenommen haben“, sagt der für Bildung und Wissenschaft zuständige Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek. Die Fraktion habe die Bedenken aufgenommen, der zweite Resolutionsentwurf diene nun zur Konkretisierung für Schulen, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen gegenüber der von den Fraktionsspitzen zusammen mit Innenpolitikern ausgearbeiteten, allgemeiner gehaltenen Fassung. "Wir wollen zum Beispiel klar sagen, wie Antisemitismus-Forschung noch besser gefördert werden kann." Derzeit gebe es noch einige Streitpunkte, im November könnte auch dieser Entwurf von den beteiligten Fraktionen (erneut Ampel plus Union) beschlossen werden und dann ins Plenum gehen, so Kaczmarek.
Wobei nicht alle beteiligten Abgeordneten diesen Zeitplan so bestätigen wollen. Aus Unionskreisen heißt es, man sehe die umstrittene Antisemitismusklausel bereits durch die normalen Mechanismen der DFG erfüllt, es werde sicherlich keine neuen Prüfungen geben.
"Sie können sich vorstellen, dass wir aufgrund der oben aufgeführten Argumente, aber auch nicht zuletzt aufgrund der Fördergeldaffäre und dem Verhalten der Ministeriums keinerlei Vertrauen in seine Bemühungen haben, eine Resolution zum Schutz jüdischen Lebens an deutschen Hochschulen zu verfolgen, die dem Namen gerecht wird", kommentiert unterdessen der Ilyas Saliba, Non-Resident Fellow am Global Public Policy Institute in Berlin. "Es wäre zentral, dass bei dieser Wissenschaftsresolution die Wissenschaft und Zivilgesellschaft beteiligt wird und dies nicht wie die andere Resolution ausschließlich intransparent in fraktionsinternen Kreisen ausgehandelt wird."
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Ein Buch als Geburtstagsgeschenk: Im März 2011 feierte das Animationsfilmfestival Tricky Women zehnjähriges Bestehen. Aus Anlass dieses runden Jubiläums haben die Veranstalterinnen Birgitt Wagner und Waltraud Grausgruber nun ein Buch herausgegeben, zu dem eine illustre Reihe von Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen Texte beigetragen hat. Als weltweit nach wie vor einzige Veranstaltung ihrer Art, die alljährlich unter regem Publikumszuspruch im Wiener Topkino eine Woche lang die Animationsfilmkunst von Frauen zum Schwerpunkt macht, füllt Tricky Women seit 2001 eine Leerstelle und ist eine aus der internationalen Festivallandschaft nicht mehr wegzudenkende Institution. Wäre alleine das schon Anlass genug für eine Festschrift, verknüpft sich dieser mit dem Anliegen der Herausgeberinnen, auch auf dem Gebiet wissenschaftlicher Publikationen eine klaffende Lücke zu schließen: Zwanzig Jahre nach dem Erscheinen von Women and Animation. A Compendium von Jayne Pilling, die in der vorliegenden Neuerscheinung ebenfalls als Autorin vertreten ist, versammelt der Band vierzehn Beiträge zu Geschichte, Status quo und medientheoretischer Kontextualisierung des animierten Films aus 'Frauenfeder'. Der erste Teil, "Rückblicke: Historie des Animationsfilms von Frauen", zeigt dabei unter anderem, wie jung zumindest der offizielle Teil dieser Geschichte ist. Jayne Pilling, Direktorin des British Animation Awards, formuliert in "Historical Milestones: Who Gets to Tell Whose Stories? (Or . the dilemmas of programming .)" in durchaus persönlicher Weise die fundamentalen Zweifel einer Kuratorin angesichts der Aufgabe, ein Programm mit den Meilensteinen in der Animationsfilmkunst von Frauen zusammenzustellen: "For, as we know, although history is constituted of dates and facts, it is also always a matter of interpretation" (S. 9). Die ursprüngliche Idee wurde also fallengelassen, und das Programm stattdessen von zehn Filmemacherinnen zusammengestellt, die jeweils ihre drei persönlichen 'Meilensteine' auswählten. Pilling wirft zudem in ihrem Text anhand der Auseinandersetzung mit den ausgewählten Filmen Schlaglichter auf die Geschichte weiblichen Trickfilmschaffens. Dabei wird deutlich, dass, abgesehen von einigen wenigen privilegierten Beispielen wie Lotte Reiniger und Mary Ellen Bute, Frauen als Autorinnen erst ab den 1970er Jahren in größerer Zahl sichtbar werden (vgl. S. 14). Dies hat vor allem mit den sozio-ökonomischen Aspekten professioneller Filmproduktion zu tun, die im Vergleich mit anderen Kunstformen erheblich größere finanzielle und personelle Ressourcen voraussetzt. Der für Frauen traditionell erschwerte Zugang zu 'Leitungspositionen' erklärt so nicht nur die weitgehende Abwesenheit von Regisseurinnen in der Filmgeschichte, sondern auch ihr – im Verhältnis zu anderen Filmformen – überproportionales Auftauchen im Animationsfilm. Einer der herausragenden Pionierinnen der abstrakten Animationsfilmkunst ist der Beitrag der Berliner Medienwissenschaftlerin und Kuratorin Sandra Naumann gewidmet. In "Mary Ellen Bute. Color – Form – Movement – Sound" beschreibt Naumann Werdegang und Werk eines 'All-American-Girls' aus Houston, Texas, deren Schaffen sich unter dem Motto "Seeing Sound" um die Visualisierung von Klängen dreht. Von der Malerei kommend, kombiniert Bute zunächst "handgezeichnete Bilder geometrischer Figuren mit fotografischen Aufnahmen von Alltagsgegenständen" (S. 39) und wendet sich bald den Möglichkeiten der elektronischen Bilderzeugung durch das Oszilloskop zu. Die folgenden Beiträge verlagern den Schwerpunkt auf die jüngere Geschichte und den mittel- bzw. osteuropäischen Raum: "Vera Neubauer: Soft Toys, Rough Treatment" ist eine Hommage der Filmemacherin Ruth Lingford an die in der ehemaligen Tschechoslowakei geborene Grande Dame des britischen Animationsfilms, deren Schaffen sich durch einen rohen und anarchischen Zugang auszeichnet. In "Don't Be Afraid of Freedom. An Interview with Vera Neubauer" spricht die Kultursoziologin Maša Ogriez mit der Künstlerin über Feminismus als Zwangsjacke und die Unzulänglichkeit von Sprache als künstlerisches Mittel. Eliška Děcká, die an der Universität Prag zu Female Heroines in Animated Film forscht, widmet sich in ihrem Beitrag den Neubauer folgenden Generationen: In "The Czech und Slovak New Female Wave of Animation" geht sie auf das Schaffen von Michaela Pavlátová, Kristina Dufková, Galina Miklínová, Veronika Obertová, Vlasta Pospíšilová und Katarína Kerekešová ein. Der letzte Beitrag des 'historischen' Teils führt nach Österreich: Die Filmemacherin und Künstlerin Sabine Groschup teilt in "Ganzheiten. Maria Lassnig" Erinnerungen aus ihrer Studienzeit in den 1980er Jahren in Lassnigs Klasse für Malerei und experimentellen Trickfilm an der Universität für Angewandte Kunst in Wien mit. Groschup beleuchtet das umfangreiche Filmschaffen der vorwiegend als Malerin bekannten Künstlerin und zeigt, warum Lassnig, die den Trickfilm als Erweiterung der Malerei begreift, als wichtigste Pionierin des experimentellen Animationsfilms in Österreich gelten muss. Der zweite Teil des Buchs wirft unter dem Titel "Ausblicke: Aktuelle Entwicklungen" Schlaglichter auf das zeitgenössische Trickfilmschaffen von Frauen. Franziska Bruckner, die an der Universität Wien zu Animationsfilmkunst forscht und lehrt, gibt in "Tricky Women Today. Momentaufnahmen einer neuen Generation österreichischer Animationsfilmemacherinnen" Einblicke in eine sehr lebendige Szene: Exemplarisch für die Formenvielfalt sind etwa die multimedialen "(film)sprachlichen Experimente" (S. 78) von Veronika Schubert, die Found-Footage ebenso wie textile Techniken zum Einsatz bringt, aber auch die experimentellen Musikvideos des Produktionsduos Mirjam Baker und Michael Krenoder sowie die "kulinarische(n) Metamorphosen" (S. 85) von Adele Raczkövi, die Figürliches aus Kaffee und Wurstwaren animiert. Der nächste Beitrag führt wieder in den osteuropäischen Raum: Dina Goder gibt in "Drei Portraits. Regisseurinnen in der zeitgenössischen Animationsfilmkunst Russlands" einen Überblick über eine reichhaltige russische Trickfilmkultur, in der schon seit Sowjetzeiten – gefördert durch zahlreiche Studienmöglichkeiten und staatliche finanzierte Trickfilmstudios – ein weitgehend unabhängiger AutorInnenfilm existiert und in der Frauen damals wie heute eine besonders große Rolle spielen. Goder portraitiert drei Generationen von aktiven Filmemacherinnen am Beispiel der Regisseurinnen Oxana Cherkasova, Svetlana Filippova und Yulia Aronova. Die Produzentin Julie Roy widmet sich in "Metamorphosis in Michèle Cournoyer's Work" der für den animierten Film zentralen Technik der Metamorphose und ihrer herausragenden Perfektionierung im Schaffen der kanadischen Filmemacherin. Metamorphose schreibt sich als Arbeits-Prozess in die Entstehung der Filme ein und "emphazises the raw material of the subconscious" (S. 14). Im letzten Beitrag des zweiten Teils beleuchtet Annegret Richter, Leiterin der Animationsfilmsektion des internationalen DOK Leipziger Festivals für Animations- und Dokumentarfilm, unter dem Titel "Zeichnung der Wirklichkeit. Animation als dokumentarisches Mittel" eine "neue 'alte' Filmform" (S. 125), die eine lange Tradition hat und gerade in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt. Richter zeigt, dass der Einsatz von Animation zur Vermittlung nonfiktionaler Inhalte gerade im weiblich dominierten Genre des autobiografischen Films eine besondere Rolle spielt, weil sich damit das Feld des Dokumentarischen um die Komponente der Erinnerung erweitern lässt. Den dritten Teil "Durchblicke: Medientheorien und Gaming" eröffnet ein Beitrag von Suzanne Buchnan, Professorin für Animation Aesthetics und Direktorin des Animation Research Centre an der University for Creative Arts. In "Tricky Spaces. Animation, Installation and Spatial Politics" beschäftigt sie sich mit Animation im Kontext der Bildenden Kunst, die sie (berechtigterweise?) vom kommerziellen Trickfilm-Mainstream abgrenzt: "Commercial theatrical animation films do not want to draw attention to the 'otherness' of the world they create" (S. 143). Im Gegensatz dazu ließe sich in der Kunst, wie Buchnan am Beispiel der Installationen von Rose Bond, Marina Zurkow und Tabaimo zeigt, genau diese den Techniken der Animation inhärente 'otherness' nützen, um 'tricky spaces' zu erzeugen und damit Kritik an Wahrnehmungskonventionen zu üben. In "God Trick, Good Trick, Bad Trick, New Trick: Reassembling the Production Line" befassen sich die beiden Kanadierinnen Jennifer Jenson, Professorin für Pedagogy and Technology an der York University, und Suzanne de Castell, Professorin an der Faculty of Education an der Simon Fraser University, mit der Genderfrage in der Gaming Culture. Das Ziel ihrer auf umfangreichen Studien basierenden Forschungen besteht darin, die Stereotypen einer männlichen Konnotierung von Computerspielen zu sprengen. Einerseits sollen Mädchen, die jetzt schon knapp die Hälfte der Spielerinnen ausmachen, auch als Konsumentinnen sichtbar gemacht werden, andererseits geht es darum, den erschreckenden niedrigen Frauenanteil im "old boys club" der Gamingindustrie (S. 147) zu erhöhen. Den letzten Beitrag steuert Esther Leslie bei, Professorin für Political Aesthetics an der University of London: "Shadowy, Shape-shifting, Shaky. Animation as Subversion". Hier entwickelt sie anhand eines Streifzugs durch die Geschichte des animierten Films die These, dass dieser die technisch-sozialen Prädispositionen des Mediums selbst unterwandere: "The illusion of movement that is animation is also, chiasmally, the movement of illusion" (S. 159). Das subversive Potential des Trickfilms liegt laut Leslie in seiner ironischen Distanz zur Mimesis, seiner 'Unnatürlichkeit' und Selbstreflexivität, die als Mittel zur Offenlegung des Tricks der Bewegungsillusion fungieren, die das Kino ausmacht: "The movement of illusion suggests […] the shifting of conventional ideology, wisdom or conformism, in order to sketch out an altered vision, another world that might yet be possible" (ebd.). Den Band beschließt Antonia Cicero, selbst langjährige Begleiterin des Festivals, mit einer Jubiläumsschrift. In "Tricky Women. Vom Trickfilm verzaubert" berichtet sie, basierend auf einem Interview mit den Veranstalterinnen Birgitt Wagner und Waltraud Grausgruber sowie ihren eigenen Erfahrungen, von den Anfängen und der Geschichte des Festivals und der anhaltenden Begeisterung für dieses so vielgestaltige Genre: "Trickfilme sind von einer gewissen Leichtigkeit, ohne dabei auf Tiefgang zu verzichten: eine Leichtigkeit im positivsten Sinn. Sie nähern sich außergewöhnlichen oder schwierigen Themen manchmal spielerisch, manchmal geradlinig und nüchtern, manchmal hochartifiziell. Oder schaffen überraschende Einsichten, indem sie alltägliche Situationen und gewöhnliche Dinge aus neuen Blickwinkeln betrachten" (S. 178). Die Möglichkeiten des Animationsfilms sind schier grenzenlos – das wird auf den 189 Seiten dieses Buchs deutlich. Eben diese Vielseitigkeit bedingt aber auch, dass Animation nur als eine sich stetig wandelnde und wachsende Filmgattung begriffen werden kann, die immer neue Techniken und Genres zu subsumieren im Stande ist. So reichen ihre – sich gerade in der heutigen Netzkultur so rasch erweiternden – Einsatzgebiete doch schon jetzt von abstrakten Filmexperimenten und Installationen im Kunstkontext, über narrative Kurz- und Langfilmformate in Kino und Fernsehen, bis hin zu Musikvideo, Kinderfilm, Computerspielen und Werbung. Der Sammelband Tricky Women wirft Schlaglichter auf viele dieser Bereiche, streift dabei historische und aktuelle Entwicklungen und präsentiert auch einige medientheoretische Ansätze. Offen und weiterhin zu diskutieren bleiben dabei die beiden schon im Titel aufgeworfenen grundlegenden Fragen nach dem Verhältnis von Animationsfilm und Kunst einerseits und der Geschlechterfrage in der Animation andererseits. Lässt sich eine 'AnimationsfilmKunst' historisch und ästhetisch vom 'kommerziellen Trickfilm' eigentlich so eindeutig abgrenzen, oder ist es gerade die Nähe von Kunst und Unterhaltungsbranche, die hier befruchtend wirkt und Freiräume schafft? Und wie können wir die offenbar bedeutsame Rolle der Animation in der Geschichte des Filmschaffens von Frauen im Hinblick auf spezifische Ästhetiken, Techniken und Fragen der Autorinnenschaft einer kritischen medien- und gendertheoretischen Betrachtung unterziehen? Solche und andere spannende wie kontroversielle Fragen, die in Tricky Women aus verschiedenen Blickwickeln angeschnitten aber letztlich offengelassen werden, lassen auf weiterführende und umfassende Untersuchungen in diesem auch akademisch bisher viel zu wenig beachteten Bereich hoffen. Doch damit genug der Worte. Last but not least ist dem Buch auch eine DVD mit Filmen von Michèle Cournoyer, Andrea Dorfmann, Marjut Rimminen, Ruth Lingford und Anastasia Zhuravleva beigelegt. Denn: "Was wäre ein Filmbuch ohne Filme?" (S. 8).