Bulgariens schwieriger Weg in die Europäische Union: ethnologische Perspektiven auf soziokulturelle Disparitäten
In: Europa Regional, Band 15.2007, Heft 3, S. 147-152
Die Gesellschaften Südosteuropas sind durch eine Reihe zum Teil gravierender Disparitäten gekennzeichnet. Sie haben ihre Ursachen sowohl im spezifischen historischen Schicksal (osmanische Fremdherrschaft, Sozialismus) als auch in geopolitischen Gegebenheiten (periphere Lage zum Zentrum Europas) und makroökonomischen Faktoren (besonders bedingt durch den Verlauf der postsozialistischen Transformation). Obwohl alle Disparitäten eng miteinander verflochten sind, lassen sich für Bulgarien folgende Kategorien unterscheiden: räumliche, ökonomische, soziokulturelle und politische Disparitäten. Die beiden letztgenannten betreffen vor allem die alltägliche Lebenswelt und das Alltagshandeln. Wie die Untersuchungen im Rahmen eines Forschungsprojektes zur "Europäisierung von unten" zeigten, spielen enge soziale Netzwerke, die Arbeits- und Lebenswelt verbinden, eine sehr große Rolle. Das heißt, die Bevölkerung ist nach Herkunft und Mentalität weitgehend dörflich geprägt. Zu den daraus resultierenden negativen Folgen gehören die extreme Orientierung am Eigeninteresse, das weitgehende Fehlen eines Raumes bürgerlicher Öffentlichkeit sowie die Behinderung des ökonomischen Wachstums. Geschäftsbeziehungen und internationale Kooperationen bedürfen dagegen formalisierter Arbeitsbedingungen. Zunehmende Formierung einer zivilen Öffentlichkeit und wachsendes institutionelles Vertrauen sind erkennbare optimistisch stimmende Tendenzen in Bulgarien auf dem Weg zur Integration in die Europäische Union und damit in Richtung Verringerung und Überwindung der Disparitäten. (Autorenreferat)