Inhalt: 1. Das Gesellschaftliche des Sprechens: Von der Slawistik zur Sprachsoziologie und Allgemeinen Sprachwissenschaft – »Was will ich studieren?«/2. Männer,Frauen,Autos – Vor Gericht/3. Sprachanalyse,wozu?/4. Antisemitismus und versprachlichte Vergangenheitspolitik oder die allgegenwärtige Frage,»wer man ist«?/5. Linguistik als Sozialwissenschaft oder die disziplinierende Frage: Wer darf was?/6. Britisches academic life/7. Vielfalt,Konkurrenz und Interesse der Sprachforschungen. Zur Fundierung von Kritik/8. »Schamlose Normalisierung«/9. Diskurs/discourse/10. Diskurs/Narration/11. Diskurshistorisches/Kontext/12. Die Politik der Diskurskontrollen
ZusammenfassungDer Beitrag widmet sich dem Verhältnis von Wissenssoziologie und Soziologie sozialer Probleme. Er geht von weitreichenden Überlappungen zwischen zentralen wissenssoziologischen Positionen und Forschungsinteressen sowie den im engeren und weiteren Sinne 'konstruktivistischen' Positionen innerhalb der Soziologie sozialer Probleme aus. Die Argumentation greift Konzepte aus der jüngeren deutschsprachigen Wissenssoziologie – "Problematisierungswissen" und "Relevanzhorizonte", "Wissenskulturen" und "Wissensverhältnisse/Wissenspolitiken" – auf und verdeutlicht deren mögliche Anregungspotentiale für eine Soziologie sozialer Probleme.
How do sociologists know what they know? Although sociology around the world is deeply shaped by processes of internationalization, strong regional, linguistic, and cultural differences persist. This concerns general production of knowledge, applied theories, methods as well as questions posed. In the present contribution, we discuss the development of and differences inherent to epistemic cultures in qualitative and interpretive research in French and German Sociology since the 1960s. In doing so, we refer to a document and interview based research project we directed in 2012-2014. Epistemic cultures are conceived of as the forms, ways, and practices of producing and legitimizing scientific (sociological) "output" involved in sociological knowledge-making. The production of knowledge is the core "action problem" that sociological inquiry is confronted with. This problem is addressed in rather different ways. French qualitative sociology trusts in researchers' skills, competencies, and inspirations in order to establish new knowledge. German qualitative and interpretive sociology prefers establishing "legitimacy through procedure" (procedural legitimation). We illustrate the unfolding of this difference between French and German based qualitative sociology in the early 1960s and discuss how it shapes their further development. In doing so, we intend to contribute to a current reflexive movement in sociology.
Wie wissen Soziologinnen und Soziologen, was sie wissen? Trotz der Internationalisierung der Soziologie bestehen nach wie vor starke sprachräumliche Unterschiede in der soziologischen Wissensproduktion, in eingesetzten Theorien, Methoden und Fragestellungen. Der nachfolgende Beitrag erläutert die Entwicklung und Ausprägung der Unterschiedlichkeit soziologischer Wissenskulturen im Hinblick auf den Einsatz qualitativer bzw. interpretativer Ansätze seit den 1960er Jahren in Deutschland und Frankreich. Er stützt sich auf ein von uns 2012-2014 geleitetes Forschungsprojekt und dessen empirische Grundlagen: Dokumentenanalysen und Interviews. Wissenskulturen werden als die Arten und Weisen der Produktion und Legitimation von (hier: soziologischem) Wissen verstanden. Diesbezüglich lässt sich von der Erkenntnisproduktion als dem zentralen Handlungsproblem soziologischen Forschens sprechen. Während für die französischsprachige Soziologie diagnostisch von einer Lösung dieses Erkenntnisproblems durch die den Forschenden zugeschriebenen Kompetenzen und Inspirationen ausgegangen werden kann, schiebt sich im deutschsprachigen Raume eine prozedurale Legitimation durch Verfahren in den Vordergrund. Der Beitrag rekonstruiert exemplarisch die Ausgangssituation dieser Entwicklungen um die Wende zu den 1960er Jahren und bettet sie in die weitere Entfaltung der jeweiligen Soziologien ein. Er will damit zur gegenwärtigen Entwicklung einer reflexiven Soziologie beitragen.URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs1601145 ; How do sociologists know what they know? Although sociology around the world is deeply shaped by processes of internationalization and shares many common points of reference, strong regional, linguistic and cultural differences persist. This concerns the general production of knowledge, applied theories, and methods as well as questions posed. In this contribution, we discuss the development of and differences inherent in epistemic cultures in qualitative and interpretive research in French and German sociology ...
Der weltweit für seine Arbeiten über den französischen Philosophen Michel FOUCAULT und für seine theoretischen, begrifflichen und empirischen Arbeiten zur aufkommenden Biosozialität bekannte US-amerikanische Anthropologe Paul RABINOW hat in den letzten Jahren eine Anthropologie des Zeitgenössischen entwickelt. Darin wird Anthropologie als eine Praxis der Erforschung der Formierungen und des Zusammenhangs von Wissen, Denken und Sorge um sich selbst und um Andere in sich verschiebenden Machtrelationen verstanden. RABINOW argumentiert, dass gegenwärtig die vorherrschenden Praktiken, Institutionen und Orte der Wissensproduktion über Angelegenheiten des Menschlichen im 21. Jahrhundert in institutioneller und epistemologischer Hinsicht unangemessen sind. In Reaktion darauf hat er Formen des Experimentierens und des gemeinsamen Arbeitens entworfen, die aus der fokussierten Arbeit an Begriffen und der Exploration neuer Formen fallorientierter Forschungen und Erkundungen bestehen. Die Herausforderung besteht darin, Wissen in einer Weise herzustellen, dass diese Arbeit uns in ethischer, wissenschaftlicher, politischer und ontologischer Hinsicht bereichert. Welche Konzepte, Orte und Formen eignen sich am besten, um eine reflexive Beziehung zu unserer Gegenwart herzustellen? Das nachfolgende Interview lädt dazu ein, über die "Forderungen des Tages" in der zeitgenössischen anthropologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung nachzudenken.URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs1601199 ; American Anthropologist Paul RABINOW, known worldwide for his work on French philosopher Michel FOUCAULT as well as for his theoretical, conceptual and empirical work on emerging biosociality, has recently developed an anthropology of the contemporary that conceives of anthropology as a practice of studying how current relations of knowledge, thought, and care are given form within shifting relations of power. He argues that currently the dominant knowledge production practices, institutions, and venues for understanding things ...
American Anthropologist Paul Rabinow, known worldwide for his work on French philosopher Michel Foucault as well as for his theoretical, conceptual and empirical work on emerging biosociality, has recently developed an anthropology of the contemporary that conceives of anthropology as a practice of studying how current relations of knowledge, thought, and care are given form within shifting relations of power. He argues that currently the dominant knowledge production practices, institutions, and venues for understanding things human in the 21st century are inadequate institutionally and epistemologically. In response, he has designed modes of experimentation and collaboration consisting in focused conceptual work and the exploration of new forms of case-based inquiry. The challenge is to produce knowledge in such a way that the work enhances us ethically, scientifically, politically, and ontologically. What concepts, venues, and forms are most pertinent for building a reflective relation to the present? The following interview invites to reflect on the "demands of the day" in current anthropological and social sciences research. (author's abstract)
Kathy Charmaz is one of the most important thinkers in grounded theory methodology today. Her trailblazing work on constructivist grounded theory continues to inspire research across many disciplines and around the world. In this interview, she reflects on the aura surrounding qualitative inquiry that existed in California in the late 1960s to early 1970s and the lessons she learned from her first forays into empirical research. She comments on the trajectory that grounded theory research has followed since then and gives an account of her own perspective on constructivist grounded theory. In doing so, she underlines the importance of the Chicago School and symbolic interactionist tradition for grounded theory research work today and shows where the latter is positioned in the current field of qualitative fieldwork. (author's abstract)
Wie wissen Soziologinnen und Soziologen, was sie wissen? Trotz der Internationalisierung der Soziologie bestehen nach wie vor starke sprachräumliche Unterschiede in der soziologischen Wissensproduktion, in eingesetzten Theorien, Methoden und Fragestellungen. Der nachfolgende Beitrag erläutert die Entwicklung und Ausprägung der Unterschiedlichkeit soziologischer Wissenskulturen im Hinblick auf den Einsatz qualitativer bzw. interpretativer Ansätze seit den 1960er Jahren in Deutschland und Frankreich. Er stützt sich auf ein von uns 2012-2014 geleitetes Forschungsprojekt und dessen empirische Grundlagen: Dokumentenanalysen und Interviews. Wissenskulturen werden als die Arten und Weisen der Produktion und Legitimation von (hier: soziologischem) Wissen verstanden. Diesbezüglich lässt sich von der Erkenntnisproduktion als dem zentralen Handlungsproblem soziologischen Forschens sprechen. Während für die französischsprachige Soziologie diagnostisch von einer Lösung dieses Erkenntnisproblems durch die den Forschenden zugeschriebenen Kompetenzen und Inspirationen ausgegangen werden kann, schiebt sich im deutschsprachigen Raume eine prozedurale Legitimation durch Verfahren in den Vordergrund. Der Beitrag rekonstruiert exemplarisch die Ausgangssituation dieser Entwicklungen um die Wende zu den 1960er Jahren und bettet sie in die weitere Entfaltung der jeweiligen Soziologien ein. Er will damit zur gegenwärtigen Entwicklung einer reflexiven Soziologie beitragen. (Autorenreferat)
Gegenstand einer gemeinsamen Tagung der Sektionen Wissenssoziologie und Soziologie des Körpers und des Sports der Deutschen Gesellschaft für Soziologie waren verschiedene Dimensionen von Körperwissen: explizites und implizites, reflexives und inkorporiertes, Expert/innen- und Laienwissen. Anhand unterschiedlicher sozialer Felder (Schule, Medizin, Sport, Arbeit, Sexualität) wurde der Zusammenhang der Dimensionen erläutert und diskutiert. Des weiteren standen Möglichkeiten und Probleme einer theoretischen Konzeptualisierung des Zusammenhangs von Körperwissen und Körperpraxis im Fokus sowie Fragen des methodischen Zugangs zu vorreflexiven Körperpraxen. Die Tagung zeigte zum einen, dass die körpersoziologische Forschung in den letzten zehn Jahren einen deutlichen Aufschwung erfahren hat, zum anderen wurde deutlich, dass die zentralen Desiderate im Bereich von Theorie- und Methodenentwicklung liegen.
"Die sozialwissenschaftliche Diskursanalyse stellt sprachlich-symbolische Äußerungen ins Zentrum der Analyse, wobei Diskurse strukturierte Aussagen- Zeichen- und Symbolzusammenhänge oberhalb der Ebene singulärer Äußerungen und isolierter individueller Sprechakte sind. Sie konstituieren, reproduzieren oder transformieren symbolische Ordnungen und (soziale) Wirklichkeit als bedeutungsvolle Wissensordnungen. Von den konkreten materialen Manifestationen der symbolischen Ordnungen durch Diskurse als textübergreifende Sinn- und Aussagenzusammenhänge ist die Praxis der Erzeugung von Diskursen zu unterscheiden. Diskurse manifestieren sich im Rahmen von Praktiken sowie Interaktions- und Kommunikationszusammenhängen zwischen Akteuren und Akteursnetzwerken in je spezifischen sozio-historischen/ materiellen Kontexten - in diesem Sinne handelt es sich nicht um 'freischwebende' Sprachspiele. Vielmehr stehen die diskursiven Praktiken einerseits in einem rekursiven Verhältnis zur (verfügbaren) Kultur, sie sind aber andererseits virtuell ereignisoffen (Keller 2005: 283-309). Gegenstand der Diskursanalyse sind die durch Aussagenzusammenhänge konstituierten symbolischen (Wissens-)Ordnungen, die Prozesse und Praktiken ihrer Erzeugung, Reproduktion und Transformation, die in die Diskurse involvierten Diskurskoalitionen sowie die Dispositive und deren Machteffekte. Dispositive bezeichnen in diesem Zusammenhang die Objektivierungen von Diskursen in Formen von Texten (Gesetzestexte, Kommentare, Ausführungsbestimmungen etc.), Praktiken (der Entscheidungsfindung, des Strafvollzugs etc.) und materiellen Objekten (Techniken, Gebäude, Infrastrukturen etc.). Diskursanalysen untersuchen a) Diskurse im Hinblick auf deren Regelstrukturen, ihre symbolische, semantische, pragmatische und kognitive Strukturierung (Diskurse als strukturierte Sinnsysteme) und b) die Praktiken und (rhetorischen) Strategien ihrer Artikulation durch Akteure und Akteursgruppen (Diskurskoalitionen) in Inter-Aktion (Diskurse als System von Praktiken). Schließlich geht es um die Frage der sozialen, politischen und institutionellen Wirkung von Diskursen. Diskurse können sowohl in synchron-vergleichender als auch in diachroner, historisch vergleichender Perspektive untersucht werden. Diskursanalysen können sich dabei auf Prozesse des (politischen und medialen) agenda-building und der Institutionenbildung (Internationale Regime) ebenso beziehen, wie auf die Genese, Implementation und Evaluation konkreter Policies (z.B. Hartz IV, Embryonenschutzgesetz). Sie können themen- und politikfeldspezifische (Renten-, Umwelt-, und Außenpolitik), akteurs-, organisations-, institutionenspezifische (Interessengruppen, Parteien und Internationale Regime) sowie bereichsspezifische Diskurse zum Gegenstand haben (wissenschaftliche, rechtliche, öffentliche, wirtschaftliche, politische Diskurse). Die Diskursanalyse ist keine Methode, sondern ein (sehr heterogenes) disziplinspezifisch auszubuchstabierendes Forschungsprogramm, das sich auf textübergreifende Aussagenzusammenhänge und mithin große 'Textmengen' bezieht und dessen Umsetzung offen für eine Reihe methodischer Verfahren ist, welche von der grounded theory (siehe 'grounded theory') bis zur Sequenzanalyse und von der narrativen Semiotik bis zur qualitativen Inhaltsanalyse reichen. Gleichwohl gibt es auch im Feld der sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse in jüngster Zeit Bemühungen um eine Explizierung der methodischen Verfahren, die es erlauben, zu intersubjektiv nachvollziehbaren Analyseergebnissen zu gelangen. Methodisch rekurrieren Diskursanalysen zumeist auf qualitative Verfahren; sie sind aber, je nach Untersuchungsgegenstand, für quantitative Methoden und computergestützte Verfahren der Textanalyse anschlussfähig." (Autorenreferat)