Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut. Unsere Sicherheit aber auch
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Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume kritisiert die BAföG-Reform von BMBF-Chefin Stark-Watzinger, fordert eine Zeitenwende auch in der Wissenschaftspolitik – und sagt, warum die Hochschulen im Krisenfall zur Kooperation mit der Bundeswehr verpflichtet werden sollen.
Markus Blume, 49, ist studierter Politikwissenschaftler und war von 2018 bis 2022 CSU-Generalsekretär. Seit Februar 2022 ist er bayerischer
Staatsminister für Wissenschaft und Kunst. Außerdem fungiert er als länderseitiger Vorsitzender der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK). Foto: Axel König.
Herr Blume, das Bundeskabinett beschließt heute den nächsten Schritt der BAföG-Reform von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Damit sollen
weitere strukturelle und finanzielle Verbesserungen "noch in diesem Jahr" erreicht werden, sagt das BMBF. Was sagen Sie?
Ich bin sehr enttäuscht von diesem Entwurf. Und ich bin mir sicher, dass Millionen von Studierenden in Deutschland auch enttäuscht sind. Denn dieser groß angekündigte Beschluss geht am
Notwendigsten vorbei: der zwingend erforderlichen Anhebung der Bedarfssätze. Die Bundesregierung setzt hier die falschen Prioritäten. Auf der einen Seite beim Bürgergeld großzügig sein, aber den
Studierenden mit einer Nullrunde kommen. Das passt nicht zusammen und verfehlt die Lebensrealität der Studierenden.
Ein wenig wohlfeil ist Ihre Entrüstung schon angesichts der Tatsache, dass die Bundesländer seit 2016 den Bund allein das BAföG finanzieren lassen, oder?
Dadurch wird die Kritik nicht weniger relevant, zumal der Bund auch die steigenden Mietkosten der Studierenden nicht berücksichtigt und die immerhin vorgesehene Erhöhung der Freibeträge viel zu
gering ausfällt. Anstatt bei den bewährten Instrumenten für alle großzügiger zu sein, will die Koalition mit einem Teil des eingesparten Geldes ein neues Programm starten, die Studienstarthilfe.
Die aber im Kern zunächst vor allem eines bedeutet: noch mehr Bürokratie bei der Antragstellung und Bewilligung. Mir fehlt hier die Sinnhaftigkeit. Wir wissen doch, unter welchem Druck die
Studierenden und Auszubildenden heute stehen. Wenn wir gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels Interesse daran haben, unsere jungen Menschen hier im Land auszubilden, dann braucht es für
unsere Talente die bestmögliche Startrampe. Diese wirksame Startrampe war über Jahrzehnte das BAföG. Daher klare Botschaft: die Bedarfssätze deutlich anheben, aber auf bürokratische Monster wie
die Studienstarthilfe verzichten.
"Das macht mich zunehmend unruhig,
und ich spüre dieselbe Unruhe bei meinen Ministerkolleginnen und -kollegen."
Ihre öffentliche Enttäuschung passt nicht zu dem Eindruck, dass zuletzt Tauwetter zwischen Bundesministerin Stark-Watzinger und ihren Länderkollegen herrschte. Das vertrauliche
Kamingespräch vergangene Woche am Vorabend der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) soll fast schon harmonisch verlaufen sein.
Was nichts daran ändert, dass die entscheidende wissenschaftspolitische Frage noch unbeantwortet bleibt: Wann kommt die Zeitenwende, die der Bundeskanzler vor zwei Jahren ausgerufen hat, bei
Wissenschaft und Forschung an? Das macht mich zunehmend unruhig, und ich spüre dieselbe Unruhe bei meinen Ministerkolleginnen und -kollegen aus den Ländern. Wir müssten viel mehr tun. Es braucht
mehr Missionsorientierung – und zwar kooperativ gedacht, in der Gemeinschaft von Bund und Ländern. Eine Zeitenwende bedeutet ja nicht nur mehr Geld, sondern vor allem bedeutet sie mehr Fokus –
und eine bessere Koordination zwischen Bund und Ländern und den unterschiedlichen beteiligten Ressorts. Bei den Schüsselmissionen für unsere Zukunft von der Künstlichen Intelligenz über das
Quantenrechnen bis hin zu neuen Energieformen wie der Kernfusion geht es nur gemeinsam mit Bund und Ländern.
Bei der neuen Wissenschaftsministerkonferenz, auf die Sie und Ihre Kollegen sich gerade geeinigt haben, nehmen Sie den Bund
auch nicht mit ins Boot.
Nochmal, das Gebot der Stunde ist: Fokus, Fokus, Fokus. Die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen sind in erkennbarer Weise endlich – im Bund und in den Ländern. Weshalb wir uns auch auf
Länderseite besser konzentrieren und koordinieren müssen. Dazu brauchen wir einen geschützten Raum, wo wir uns austauschen können. Die WissenschaftsMK wird dieser Raum sein.
Wie passt die Gründung einer neuen Ministerkonferenz innerhalb der bestehenden Kultusministerkonferenz eigentlich zu der Kernkritik an der KMK, diese bestehe schon jetzt aus viel zu vielen und oft
genug nur schlecht miteinander abgestimmten Gremien?
Die KMK hat schon einen Bereich Hochschule. Doch die aktuellen Strukturen sind nicht geeignet, um den Herausforderungen der Zeitenwende zu begegnen. Das ist das übereinstimmende Ergebnis aller
Kommissionen und Gutachter. Insofern passt die neue WissenschaftsMK sehr wohl zu der gemeinsamen Grundüberzeugung von Schul- und Wissenschaftsministern, dass wir in der KMK schlanker,
handlungsfähiger und agiler werden wollen – und müssen. Wir werden getrennt marschieren, trotzdem aber an den gemeinsamen Themen weiter gemeinsam arbeiten. Ich halte es für klug, dass sich die
Wissenschaftsseite kraftvoll verselbständigt. Wissenschaft und Forschung sind kein Anhängsel, sondern eine Lebensader für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Es ist sinnvoll, dass jährlich eine
Sitzung der WissenschaftsMK zusammen mit der Schulseite stattfinden soll. Unsere wichtigste Mission als Wissenschaftsminister wird aber sein, miteinander Strategien zu entwickeln, um im
Wettrennen der Welt um die Zukunftstechnologien mithalten zu können – als Deutsche und als Europäer. Dazu müssen wir als Länder für die Verhandlungen mit dem Bund in der GWK gut abgestimmt sein.
Und wir müssen im globalen Wettbewerb um die Talente die Weichen dafür stellen, dass wir unser wichtigstes Gut, die klügsten Köpfe, in Deutschland halten und nach Deutschland zurückbringen.
"Die Wissenschaft muss sich auf die neue Zeit einstellen
und ihren Beitrag leisten können."
Neben dem internationalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe befinden wir uns mittlerweile auch in einem Wettbewerb der Systeme, der zunehmend aggressiv ausgetragen wird. Die bayerische
Staatsregierung hat Ende Januar ein "Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern" beschlossen, das unter anderem Zivilklauseln an Hochschulen untersagen und "aus Gründen der nationalen
Sicherheit" die Wissenschaft sogar zur Kooperation mit der Bundeswehr verpflichten soll. Verstoßen solche Regelungen nicht gegen die im Grundgesetz verankerte Wissenschaftsfreiheit?
Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut. Unsere Sicherheit aber auch. Eine freie Wissenschaft kann es nicht geben, wenn wir nicht in Freiheit leben. Deshalb müssen wir alles tun, um unsere
nationale Sicherheit zu gewährleisten. Die Zeiten, in denen wir ohne eigene Anstrengungen die Friedensdividende einsammeln konnten, sind leider vorbei. Unsere Sicherheit als Gesellschaft, aber
auch unsere militärische Stärke hängen ab von unserer Stärke in den Feldern von Technologie und Innovation. Deshalb wirken Zivilklauseln, die Forschung zu militärischen Zwecken verbieten, derart
aus der Zeit gefallen. Nochmal: Wir erleben gerade eine Zeitenwende. In diesen Zeiten müssen wir auch Entwicklungen ins Auge sehen, die auf den ersten Blick unbequem erscheinen mögen.
Es gibt aber gar keine Zivilklauseln an einer bayerischen Hochschule.
Und das ist auch gut so! Wir müssen dort zusammenarbeiten, wo es die nationale Sicherheit erfordert. Die Wissenschaft muss sich auf die neue Zeit einstellen und ihren Beitrag leisten
können. Es kann keine Sicherheit geben ohne technologische Stärke. Führend in Wissenschaft und Forschung zu sein, ist am Ende auch eine Souveränitätsfrage. Ich möchte, dass wir in Deutschland und
Europa technologiepolitisch souverän bleiben.
Ein "Kooperationsgebot" mit der Wissenschaft, wann immer es die "nationale Sicherheit" erfordert: Sind nicht schon die Begrifflichkeiten viel zu schwammig, um einer Verfassungsklage
standzuhalten?
Wir halten den Gesetzentwurf für verfassungsrechtlich gut abgewogen. Im Übrigen ist es doch so: In anderen Teilen der Welt, in den Vereinigten Staaten zum Beispiel, stehen Militärforschung und
Dual Use wie selbstverständlich auf der Tagesordnung. Egal, welche wissenschaftliche Einrichtung ich bei meinem letzten Aufenthalt an der Ostküste besucht habe, überall waren das Department of
Energy oder das Department of Defense massiv an der Forschungsförderung beteiligt. Das sind Mittel, die der Wissenschaft in Deutschland fehlen. Darum würde ich mir wünschen, dass sich die
Forschungs- und Technologieförderung auch bei uns künftig nicht nur aus den Haushalten von BMBF und BMWK speist, sondern dass zusätzlich diejenigen Ministerien einen größeren Beitrag leisten, die
von unserer technologischen Stärke sicherheits- und militärpolitisch profitieren.
Debatten über die Freiheit von Lehre und Forschung hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auch durch seine Ankündigung ausgelöst, das Gendern in Schulen und Verwaltungen untersagen zu
wollen. Sie selbst wollen zu diesem Zweck eine Klarstellung ins Bayerische Hochschulinnovationsgesetz einbauen. Was genau gilt es denn da klarzustellen?
Die generelle Leitplanke wird sein: Geschlechtersensible Sprache: Ja. Sprachliche Künstlichkeit und erzieherische Tendenzen: Nein. Man könnte auch sagen: Genderfreiheit statt Genderzwang. Mich
erreichen immer wieder Zuschriften von Studierenden, die sich einem gefühlten Druck oder tatsächlichen Vorgaben ausgesetzt sehen, in einer Art und Weise zu formulieren, wie es von der amtlichen
deutschen Rechtschreibung eben gerade nicht gedeckt ist.
"Forschende können formulieren, wie sie wollen. Wir werden aber klarstellen, dass keine Dinge von Studierenden gefordert oder bewertungsrelevant sein dürfen,
die nicht der amtlichen deutschen Rechtschreibung entsprechen."
Mit Sonderzeichen wie dem Binnen-I oder dem Genderstern?
So ist es. Selbstverständlich kann jeder so reden und schreiben, wie er möchte. Zumal die deutsche Sprache reichlich Möglichkeiten bereithält, gendersensibel so zu formulieren – und zwar im
Einklang mit den Empfehlungen des Rats für deutsche
Rechtschreibung. Auch Forschende können in ihren Arbeiten formulieren, wie sie wollen. Wir werden aber klarstellen, dass keine Dinge von Studierenden gefordert oder bewertungsrelevant sein
dürfen, die nicht der amtlichen deutschen Rechtschreibung entsprechen. Und dort, wo eine Hochschule als staatliche Einrichtung auftritt, bei amtlichen Bescheiden, Zeugnissen und Formularen etwa,
werden wir festhalten, dass die amtlichen Vorgaben zur Rechtschreibung eingehalten werden müssen. Ansonsten beschränken wir uns darauf, die Studierenden vor Übergriffigkeit zu schützen. Vielen
geht dieser gefühlte Zwang auf die Nerven.
Kritiker werfen Ihnen vor, aus politischem Kalkül ein Problem aufzublasen, das keines sei. "Uns haben als Studierendenvertretungen noch nie Beschwerden zu einem "Genderzwang" erreicht,
auch zu schlechteren Bewertungen durch ein "Nicht-Gendern" ist an allen Hochschulen, die an diesem Schreiben beteiligt sind, kein Fall bekannt", steht in einer Erklärung der Studierendenvertretungen unter anderem der
Universitäten Erlangen-Nürnberg und Würzburg, der Ludwig-Maximilians-Universität und der TU München.
Wir führen keine Statistiken über solche Fälle, und die meisten Konflikte werden schon an den Hochschulen gelöst. Aber ich kann Ihnen gern konkrete Beispiele nennen, die bei uns aufschlagen und
inzwischen gelöst sind. Jüngst meldete sich die Promovendin, der die Verleihung des Doktorgrades verwehrt wurde, solange sie sich weigerte, auf dem Titelblatt das Gendersternchen zu verwenden.
Was sogar in der Promotionsordnung so vorgeschrieben ist. Das ist ein klarer Fall von sprachlicher Übergriffigkeit.
Wissenschaftsfreiheit erfordert zudem eine auskömmliche Hochschulfinanzierung. Angesichts von Inflation und Wirtschaftsflaute sorgen sich allerdings auch bayerische Hochschulen um ihr
Auskommen. Neulich sagte zum Beispiel die Pressesprecherin der Universität Erlangen-Nürnberg bei Forschung & Lehre, an ihrer Hochschule gehe
man von einem stabilen Haushalt aus, erwarte aber keine wesentlichen Steigerungen. Weiter erklärte die Sprecherin: "Selbstverständlich betrachten auch wir Inflation und Tarifsteigerungen mit
Sorge, besonders auch die massiven Steigerungen bei den Energie- und Bewirtschaftungskosten" und, speziell in Erlangen-Nürnberg, den steigenden Sanierungsstau bei den in die Jahre gekommenen
Unigebäuden. Regiert an Bayerns Hochschulen künftig der Schmalhans, Herr Blume?
Wir befinden uns gerade in der Aufstellung für den Doppelhaushalt 2024/25, und ich kann nur sagen: Er wird ein echter Gegenentwurf zum Bund. Auch in schwierigen Zeiten sparen wir nicht an
Forschung und Wissenschaft – ganz im Gegenteil. Wir legen noch eine deutliche Schippe drauf, allein 2024 einen dreistelligen Millionenbetrag, und werden über sieben Milliarden Euro pro Jahr
ausgeben. Über die vergangenen Jahre haben wir über unser Aufbauprogramm, die Hightech Agenda Bayern, mehr als 1000 neue Professuren geschaffen und verstetigt und die Rahmendaten der
Hochschulfinanzierung schon bis 2027 vereinbart. Wir geben Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Bei Wissenschaft und Forschung wird in Bayern nicht gespart, sondern weiter investiert.
Mehr Professoren bedeuten auch mehr Kostensteigerungen, wenn die Gehälter angehoben werden.
Aber nicht für die Hochschulen, weil der Großteil des Personals der Hochschulen direkt vom Freistaat bezahlt wird. Wenn also überhaupt, dann können sich die Sorgen über Preis- und
Tarifsteigerungen nur auf jene Personalstellen beziehen, die bislang aus staatlichen Programm-Mitteln finanziert worden sind, und zwar ohne Inflationsausgleich. Da lautet meine Botschaft an die
Hochschulen: Wir sehen die Entwicklung und werden auch das lösen durch eine Umsetzung dieser Stellen bis zum Jahr 2026.
Änderung am 11. März: Auf Bitten des Wissenschaftsministeriums wurde die Antwort von Markus Blume zu Konflikten um die Verwendung des Gendersternchens um den Satzteil
"und inzwischen gelöst sind" ergänzt.
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