Die Inhalte der verlinkten Blogs und Blog Beiträge unterliegen in vielen Fällen keiner redaktionellen Kontrolle.
Warnung zur Verfügbarkeit
Eine dauerhafte Verfügbarkeit ist nicht garantiert und liegt vollumfänglich in den Händen der Herausgeber:innen. Bitte erstellen Sie sich selbständig eine Kopie falls Sie diese Quelle zitieren möchten.
1. EinleitungAls im Frühjahr viele Menschen auf die Straße gingen, um gegen die von der Regierung beschlossenen Einschränkungen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus zu demonstrieren, fühlten sich nicht wenige an die Pegida-Proteste - beginnend im Dezember 2014 - erinnert, bei denen vor allem in Dresden, aber auch in anderen deutschen Städten tausende Menschen auf die Straße gegangen sind, um ihrem Unmut hinsichtlich der Einwanderungspolitik der Regierung Ausdruck zu verleihen.Den Teilnhemer:innen der Pegida-Proteste wird oftmals vorgeworfen, 'rechts' oder gar Neo-Nazis zu sein, während die "Querdenker" als Verschwörungstheoretiker:innen und Maskenverweigerer dargestellt werden. Entsprechend konnten einschlägigen Medien die folgenden Überschriften entnommen werden:Pegida-Teilnehmer beschimpfen Hotel-Gäste rassistisch (Abendzeitung am 03.08.2016) [1]Typischer Pegida-Anhänger ist 48, männlich und gut gebildet (Berliner Zeitung am 04.02.2020) [2]"Querdenker"-Demo in Leipzig: Journalisten angegriffen, Grünen-Politiker belästigt (Frankfurter Rundschau am 08.11.2021) [3]Angriff auf Reichstag: 40 mutmaßliche Randalierer bislang ermittelt (ntv.de am 16.01.2021) [4]Aber wer sind diese Leute wirklich, die auf die Straße gehen, welche Motive haben sie und wie rechts sind sie? Mit dieser Frage beschäftigten sich verschiedene Forscherteams, die mit Hilfe von Befragungen versucht haben, dies herauszufinden. In der vorliegenden Arbeit werden diese Studien aufgegriffen und miteinander verglichen. Da die Ereignisse, insbesondere die Pegida-Proteste, bereits einige Jahre zurückliegen, wird in einem ersten Schritt die Entstehung und Chronologie der Proteste beschrieben, bevor im zweiten Teil die Pegida-Proteste mit denen der Querdenker verglichen werden.Dabei beschränkt sich die hier vorliegende Arbeit darauf, die Querdenker-Demonstrationen und die Pegida-Proteste hinsichtlich der Teilnehmer:innen und den Motiven für die Teilnahme zu untersuchen und vergleichen. Zudem soll das rechtextremistische Potential analysiert werden. Bei den ausgewählten Kategorien werden die jeweiligen Protestphänomene zunächst getrennt voneinander betrachtet und in einem zweiten Schritt miteinander verglichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. 2. Chronologie der Proteste2.1 Chronologie der Pegida-ProtesteVersetzt man sich in das Jahr 2014, dem Beginn der Pegida-Proteste zurück, ist in Deutschland und insbesondere in Sachsen eine anhaltende negative Stimmung gegenüber Geflüchteten zu beobachten. Immer wieder kommt es zu Protesten gegen geplante Unterkünfte für die temporäre Unterbringung von Flüchtlingen, wie beispielsweise im November 2013 in Schneeberg, wo sich rund 2000 Menschen versammeln, um gegen die Unterbringung von rund 250 aus Syrien geflüchteter Menschen zu demonstrieren (Röpke 2013; Antifa Reche Team Dresden 2016, S. 35).Von dieser allgemeinen Stimmung angeregt, gründete Lutz Bachmann später eine Facebookgruppe "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", woraus schließlich der eingetragene Verein 'Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes' kurz 'Pegida' hervorging (Geiges, Marg & Walter 2015, S. 19), welcher am 20. Oktober 2014 zu einem sogenannten Abendspaziergang in die Dresdner Innenstadt aufrief (Vorländer, Herold & Schäller 2016, S. 109).Unter der Bezeichnung 'Spaziergang' fanden diese Demonstrationen fortan jeden Montag in Dresden statt, um gegen Glaubens- und Stellvertreterkriege auf deutschem Boden sowie gegen die 'Islamisierung des Abendlandes' zu protestieren (Geiges, Marg & Walter 2015, S. 12), wobei am 8. Dezember 2014 zum ersten Mal die Marke von 10.000 Teilnehmenden überschritten wurde (Antifa Reche Team Dresden 2016, S. 35).In den darauffolgenden Wochen konnte ein weiterer Zustrom zu den wöchentlich montags stattfindenden Protesten beobachtet werden. Den Höhepunkt der Demonstrationen bildete der Spaziergang am 12. Januar 2015, der unter den Eindrücken des Anschlags auf das französische Satiremagazin 'Charlie Hebdo' stand und an dem sich nach offiziellen Angaben der Polizei rund 25.000 Menschen beteiligten (ebd.; Geiges, Marg & Walter 2015, S. 18).Angeregt von dem großen Zuspruch der Dresdner Spaziergänge gründeten sich in ganz Sachsen, aber auch in viel anderen Städten der Bundesrepublik, wie München, Würzburg, Kassel, Hannover und Bonn, Ableger, die allerdings mit wenigen Ausnahmen in Sachsen nicht annähernd so großen Zulauf hatten wie die Proteste in Dresden und an denen teilweise nur wenige Dutzend Menschen teilnahmen (Antifa Reche Team Dresden 2016, S. 36).Im Frühjahr und Sommer flachte, auch aufgrund anhaltender Konflikte innerhalb des Organisationsteams, der Zulauf zu den Demonstrationen merklich ab. Bisweilen versammelten sich nur noch weniger als 2.000 Menschen zu den Spaziergängen in Dresden. Jedoch fanden insbesondere im Umland von Dresden nahezu täglich Demonstrationen, organisiert von Pegida Ablegern, statt (Antifa Reche Team Dresden 2016, S. 47, Geiges, Marg & Walter 2015, S. 21).Auch unter dem Einfluss des anhaltenden Zustromes von Flüchtlingen konnte über den Sommer hinweg wieder eine Steigerung der Teilnehmerzahl beobachtet werden. Waren es im Juli noch rund dreitausend Teilnehmende, waren es Anfang September bereits über fünftausend, was sich bis Ende September auf neuntausend Teilnehmende steigerte (Antifa Reche Team Dresden 2016, S. 47). Zum einjährigen Bestehen von Pegida am 19. Oktober 2015 versammelt sich bei einer stationären Kundgebung in der Dresdener Innenstadt 15.000 bis 20.000 Menschen (ebd.).Bei den folgenden Kundgebungen konnte eine immer aufgeladenere Stimmung beobachtet werden, die zunehmend auch zu gewaltsamen Ausschreitungen führte. Beispielsweise wurden am Rand des Pegida-Weihnachtssingens am 21. Dezember 2015 gezielt Menschen von Nazis und Hooligans angegriffen, die sich unter die Pegida-Anhänger gemischt hatten (ebd.; Jacobsen 2015).Vorläufiger Höhepunkt sollte eine europäische Vernetzung der Pegida-Demonstrationen am 6. Februar 2016 sein, bei der in vielen europäischen Städten wie Graz, Amsterdam, Dublin und Antwerpen gleichzeitig Kundgebungen abgehalten und so die 'Festung Europa' symbolisiert werden sollte. Der Zuspruch blieb aber selbst in Dresden weit hinter den Erwartungen zurück (Antifa Reche Team Dresden 2016, S. 50; Zeit online 2016).Insbesondere in Dresden kam es dennoch bis weit ins Jahr 2017 hinein zu weiteren Protestkundgebungen mit bis zu zweitausend Teilnehmenden. Die bisher letzte größere Protestaktion fand anlässlich des fünfjährigen Bestehens der Organisation am 20. Oktober 2019 statt, bei der sich rund dreitausend Menschen versammelten, um erneut gegen die Migrationspolitik zu demonstrieren (Tagesschau 2019). 2.2 Chronologie der Querdenker-ProtesteErste Meldungen, nach denen in der Provinz Wuhan in China ein vermutlich tödliches, hoch ansteckendes Virus entdeckt wurde, konnten den Medien bereits Ende 2019 entnommen werden. Der erste bestätigte Fall wurde in Deutschland schließlich am 27. Januar 2020 in Bayern gemeldet (Imöhl & Ivanow 2021). Nachdem die Bundesregierung zunächst eher zurückhaltend reagiert und sich gegen striktere Maßnahmen ausgesprochen hatte, wurde schließlich beginnend mit dem 22. März 2020, zunächst befristet bis zum 19. April, der erste Lockdown verhängt, der mehrmals verlängert wurde und schließlich nach sieben Wochen am 7. Mai. 2020 endete (Bundesministerium für Gesundheit 2022).Unter dem Begriff der 'Hygienedemos' fanden bereits im April erste Protestaktionen gegen die von der Bundesregierung beschlossenen tiefgreifenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens statt. Nachdem anfänglich ein Schwerpunkt der Proteste in Berlin beobachtet werden konnte, fanden bereits kurze Zeit später ähnliche Aktionen in anderen deutschen Großstädten und ebenfalls im ländlichen Raum statt (Frei & Nachtwey 202, S. 1).Die Proteste gewannen dabei schnell an Zulauf und breiteten sich immer weiter aus. Im Anschluss an eine Großkundgebung am 9. Mai 2020 in Stuttgart mit über 20.000 Teilnehmenden gründete sich schließlich unter der Federführung von Michael Ballweg die Initiative 'Querdenken 711' (ebd.). Hierbei wurde auch der Begriff 'Querdenken' geprägt (Bundesstelle für Sektenfragen 2021, S. 5).Bundesweit gründeten sich nach dem Stuttgarter Vorbild weitere Querdenken-Initiativen, sowohl in größeren Städten als auch im ländlichen Raum. Zudem gelang es den Organisatoren der Querdenker-Bewegung innerhalb kurzer Zeit, erhebliche finanzielle Mittel zu generieren, mit denen die Protestkundgebungen finanziert werden konnten (Holzer, et al., 2021, S. 21).Den Höhepunkt erreichten die Proteste Mitte Mai 2020, ehe mit Auslaufen des Lockdowns auch die Teilnehmerzahlen an den Demonstrationen wieder abflachte (Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen 2022, S. 12). Initiiert von der Querdenker-Bewegung unter der Führung von Michael Ballweg vernetzten und strukturierten sich die einzelnen Protestgruppen und es wurden bundesweit Kundgebungen organisiert (Holzer, et al., 2021, S. 13).Die größten Kundgebungen fanden am 1. und 29. August in Berlin, am 4. Oktober in Konstanz sowie am 7. November 2020 in Leipzig statt (Frei & Nachtwey 202, S. 1), ehe über den Winter hinweg der Zulauf erneut abflachte. Eine weitere Protestwelle konnte im Frühjahr 2021 beobachtet werden. Vor dem Hintergrund des zweiten Lockdowns, der am 6. Januar 2021 beschlossen wurde und bis in den Mai hinein anhielt, zogen wieder vermehrt Menschen auf die Straße, um gegen die Maßnahmen zu demonstrieren (Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen 2022, S. 12).In diesem Zusammenhang identifizierte der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen (2022, S. 12) eine positive Korrelation zwischen steigenden Infektionszahlen und Protestgeschehen. Der Bericht stellt zudem fest, dass im Lauf des Jahres 2021 eine Zunahme verbal aggressiven Verhaltens seitens der Teilnehmenden zu beobachten war und sich Ärzt:innen, Politiker sowie Wissenschaftler als Feindbild herausbildeten, die teilweise sogar angegriffen und bedroht wurden (Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen 2022, S. 16; S. 20).Mit Abflachen der Infektionswelle nahm auch das Protestgeschehen im Sommer 2021 zunächst merklich ab. Im Herbst veränderte sich schließlich die Form des Protestes. Die Querdenken-Organisationen verloren zunehmend an Einfluss und statt großer Kundgebungen war eine Verschiebung hin zu einer Vielzahl kleinerer Protestaktionen in kleineren Städten und ländlichen Gebieten zu beobachten (Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen 2022, S. 16; S. 20).Mit dem Auslaufen der meisten Corona-Maßnahmen konnte auch ein deutlicher Rückgang an Protesten gegen die Maßnahmen beobachtet werden. Zurzeit finden nach wie vor in vielen Städten noch regelmäßig Demonstrationen statt, wie beispielsweise am 13. August 2022 in Berlin ein Auto- und Fahrradkorso, um gegen das vom Bundestag beschlossene Infektionsschutzgesetz zu demonstrieren [5]. 3. Vergleich der Protestphänomene3.1 Wer nimmt an den Protesten teil?3.1.1 Pegida-ProtesteMit der Frage, wer an den Protesten teilnimmt, beschäftigt sich insbesondere eine Studie von Vorländer, Herold & Schäller aus dem Jahr 2015, bei der durch "Face-to-Face-Interviews" (Vorländer, Herold & Schäller 2015; S 13) mit Teilnehmenden an Pegida-Demonstrationen in Dresden die soziodemografische Zusammensetzung sowie die zentralen Motive der Protesttierenden ermittelt werden sollten.Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigen, dass die Befragten durchschnittlich 47,6 Jahre alt und von den 397 Teilnehmenden der Proteste eine Mehrheit von 74,6 Prozent männlich waren (ebd., S. 43f). Zudem wurde der letzte Bildungsabschluss ermittelt. Die Mehrheit der Befragten hat demnach die Schule nach der 10. Klasse verlassen (ebd. S. 45). Ebenfalls auffällig ist der hohe Anteil an Befragten, die einen Hochschulabschluss als letzten Bildungsabschluss angaben [6]. Mit 28,2 Prozent ist der Anteil im Vergleich zum Bundesdurchschnitt doppelt so hoch (ebd., S. 46). Des Weiteren gaben 5 Prozent einen Hauptschulabschluss, 16,4 Prozent die Hochschulreife und 8,6 Prozent einen Meisterabschluss als letzten Bildungsabschluss an (ebd.). Mit rund 47,6 Prozent waren die meisten der Befragten Arbeiter oder Angestellte, gefolgt von 20,4 Prozent Selbständigen und 17,6 Prozent Rentner (ebd., S. 47). Beamte, Studierende, Auszubildende, Schüler:innen und Arbeitslose machten lediglich etwas mehr als 10 Prozent der Protestierenden aus.Auch wurde nach der Parteiverbundenheit der Pegida-Anhänger gefragt. Eine große Mehrheit von 62,1 Prozent fühlt sich demnach zu keiner der etablierten Parteien hingezogen (ebd., S. 52). Betrachtet man die Ergebnisse, geben 16,8 Prozent der Befragten an, dass ihre Einstellungen am ehesten mit den Ideen der 'Alternativen für Deutschland' (AfD) übereinstimmen. Die anderen Parteien sind weit abgeschlagen: CDU 8,9 Prozent, NPD 3,7 Prozent, Linke 3,0 Prozent, SPD und FDP 1,2 Prozent, Grüne 1,0 Prozent (ebd.). Die Ersteller der Studie vermuten zudem eine große Schnittmenge zwischen dem hohen Anteil an Nichtwähler bei der Landtagswahl in Sachsen (50,9 Prozent) und dem Anteil der Befragten an den Pegida-Kundgebungen, die sich zu keiner der etablierten Parteien hingezogen fühlen (ebd., S. 53).Die Ergebnisse der Studie lassen darauf schließen, dass es sich um eine sehr heterogene Gruppe mit überdurchschnittlicher Bildung und überdurchschnittlichem Einkommen handelt, die sich vorwiegend aus Menschen in der 'Mitte der Gesellschaft' zusammensetzt (Kocyba 2016, S. 149f). Die hier verwendeten Daten müssen allerdings mit Vorsicht betrachtet werden, Kocyba (2016, S. 151) und Nachtwey (2016, S. 305) merken an, dass beobachtet werden konnte, dass viele der Demonstrierenden nicht an wissenschaftlichen Befragungen teilnahmen und dadurch nur ein verzerrtes Ergebnis hin zur Mitte der Gesellschaft abgebildet werden konnte.3.1.2 Querdenker-ProtesteBei den verwendeten Studien handelt es sich zum einen um eine Umfrage, die im Rahmen der sogenannte Erntedank-Demonstration Anfang Oktober in Konstanz durchgeführt wurde, die von der Initiative "Querdenken 753" organisiert wurde und bei der es gelungen ist, 138 Personen zu interviewen (Koos 2022, S. 68). Dabei wurden nach dem Zufallsprinzipe gezielt Protestierende auf der Demonstration angesprochen und per Handzettel zur Teilnahme an der Umfrage eingeladen (ebd.).Bei der zweiten Studie handelt es sich um eine im Herbst 2021 durchgeführte Online-Umfrage des Schweizer Forscherteams Frei, Schäfer & Nachtwey. Bei dieser nicht-repräsentativen Umfrage wurden die Einladungen zur Teilnahme in offenen Telegram-Gruppen von Protestorganisator:innen gepostet (Frei, Schäfer & Nachtwey 2021, S. 251). Dadurch konnten 1152 Umfrageteilnehmer gewonnen werden (ebd.).Beide Studien kommen zum Schluss, dass die Teilnehmer:innen an den Protesten durchschnittlich etwa 48 (47) [7] Jahre alt sind und vorwiegend über einen höheren Bildungsabschluss verfügen (Koos 2022, S. 71). Nachtwey, Schäfer & Frei fanden dabei heraus, dass rund 34 Prozent über ein abgeschlossenes Studium verfügen, 31 Prozent das Abitur als höchsten Abschluss angaben und 21 Prozent mindestens die Mittlere Reife. Damit sind unter den Demonstrationsteilnehmer:innen Personen, die mindestens das Abitur als höchsten Bildungsabschluss angaben, überdurchschnittlich häufig vertreten verglichen mit dem Durchschnitt der deutschen Bevölkerung (ebd.).Ebenfalls überrepräsentiert sind Selbständige mit 20 (25) Prozent der Teilnehmer:innen, während die Mehrheit von 46 Prozent sich selbst als Arbeiter oder Angestellte einstuften (ebd.). Rentner:innen, Hausfrauen, Student:innen bildeten zusammen rund 20 Prozent der Teilnehmenden (Nachtwey, Schäfer, & Frei 2022, S. 8). Beide Studien kommen entsprechend zum Schluss, dass sich die Teilnehmer:innen der Querdenker-Proteste meist der Mittelschicht zuordnen lassen (Koos 2022, S. 72).Eine Mehrheit von 61 Prozent bezeichnet sich den Umfragen zufolge als politisch interessiert (ebd. S. 80). Fragt man nach dem Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 2017, gaben die meisten (23 Prozent) an, die Grünen gewählt zu haben, gefolgt von 'Die Linke' (18 Prozent), AfD (15 Prozent), CDU/CSU (10 Prozent), FDP (7 Prozent), SPD (6 Prozent) sowie 'andere Parteien' (21 Prozent) (Nachtwey, Schäfer, & Frei 2022, S. 10).Auf die Frage, welche Partei die Teilnehmer:innen heute wählen würden, antworteten 61 Prozent 'andere Parteien' (ebd.). Die AfD käme demnach auf 27 Prozent der Stimmen, FDP 6 Prozent, die Linke 5 Prozent, Grüne und CDU/CSU jeweils 1 Prozent und SPD 0 Prozent (ebd.). Es zeigt sich hier eine deutliche Verschiebung hin zu anderen Parteien und auch zur AfD, was darauf schließen lässt, dass sich eine Mehrheit der Befragten nicht ausreichend von den etablierten Parteien vertreten fühlt.Hierbei sei bemerkt, dass die Studie von Koos die Tendenzen hin zur AfD nicht bestätigen konnte. Zwar wurden auch hier 'andere Parteien' mit 55 Prozent am häufigsten genannt, es gaben jedoch lediglich 2 Prozent der Befragten an, die AfD bei der kommenden Bundestagswahl wählen zu wollen (Koos 2022, S. 81). Diese Diskrepanz könnte darauf zurückzuführen sein, dass Koos lediglich Personen befragte, die bei der Demonstration in Konstanz teilnahmen, während Nachtwey und Kolleg:innen auf Umfrageteilnehmer:innen aus ganz Deutschland zurückgriffen, entsprechend auch aus Regionen, in denen die AfD stärker vertreten ist (Sachsen: 28,4 Prozent [8]; Thüringen: 22 [9]) als in Baden-Württemberg (9,7 Prozent [10]), was darauf schließen lässt, dass dort unabhängig von Corona die AfD eher eine etablierte Wählerklientel aufweisen kann.3.1.3 Gemeinsamkeiten und UnterschiedeDer Vergleich der Pegida-Demonstrationen und der Querdenker-Proteste zeigt, dass sich die Teilnehmenden recht ähnlich sind. Vergleicht man die beiden Protestphänomene miteinander, ist zunächst das Durchschnittsalter mit 47-48 Jahren auffällig gleich. Auch hinsichtlich des Bildungsabschlusses und der Berufstätigkeit gibt es nur geringe Unterschiede. In beiden Fällen sind die Teilnhmer:innen eher überdurchschnittlich gebildet. Der Anteil von Angestellten und Arbeitern ist jeweils am höchsten. Außerdem ist auffällig, dass ein nicht unerheblicher Teil einer selbstständigen Tätigkeit nachgeht. Unterschiede gibt es hinsichtlich der Geschlechterverteilung. Während bei den Querdenker-Protesten die Verteilung nahezu gleich ist, sind männliche Teilnehmer bei den Pegida-Kundgebungen in der Überzahl.Schaut man sich das Wahlverhalten an, stellt man fest, dass die meisten der Befragten keine der 'etablierten' Parteien bei der nächsten Bundestagswahl wählen würden. Bei den jeweiligen Befragungen kommt keine der 'etablierten' Parteien über 10 Prozent der Stimmen. Vor allem Parteien aus dem linken Spektrum überzeugen nur wenige der Protestteilnehmer:innen. Dies spiegelt die große Unzufriedenheit der Befragten mit der Arbeit von Regierung und Politikern wider, auf die im folgenden Kapitel nochmals genauer eingegangen wird.Die Rolle der AfD ist etwas undurchsichtiger. Von den etablierten Parteien findet die AfD unter den Pegida-Anhänger die meiste Zustimmung, wenngleich der Wert mit etwas mehr als 16 Prozent recht gering ist. Bei den Querdenker-Anhängern kommen die Befragungen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Bei der Online-Befragung würden 27 Prozent bei der kommenden Bundestagswahl die AfD wählen, während dies bei der Vor-Ort-Befragung in Konstanz nur zwei Prozent tun würden.Die hier aufgeführten Aspekte zeigen eine recht große Übereinstimmung hinsichtlich demographischer, sozioökonomischer und politischer Einstellungen der Protesteinehmerenden, die im folgenden Kapitel auch hinsichtlich ihrer Motive für die Protestteilnehme verglichen werden.3.2 Welche Motive haben die Protestteilnehmer:innen?3.2.1 Pegida-ProtesteDie Motive für die Teilnahme an den Pegia-Protesten in Dresden sind vielfältig. Generell lassen sich die Motive als allgemeine Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen und deren Kommunikation beschreiben (Vorländer, Herold, & Schäller 2015, S. 63). Bei der Umfrage des Dresdner Forscherteams Vorländer, Herold und Schäller gaben über 71 Prozent der Befragten dies als eines der Hauptmotive für die Teilnahme an den Pegida-Protesten an. Weitere wichtige Teilnahmemotive waren Kritik an Medien und Öffentlichkeit (34,5 Prozent), grundlegende Vorbehalte gegenüber Zuwanderern und Asylbewerbern (31,2 Prozent) sowie Protest gegen religiös oder ideologisch motivierte Gewalt (10,3 Prozent) [11] (ebd. S. 59). Sonstige Motive nannten 21,9 Prozent.Betrachtet man die Antwortengruppe 'Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen und deren Kommunikation' genauer, waren die am häufigsten gegebenen Antworten 'Unzufriedenheit mit der Asylpolitik' und 'Allgemein empfundene Diskrepanz zwischen Volk und Politikern' mit jeweils über 25 Prozent (ebd. S. 62). Zudem wurden häufig die 'Unzufriedenheit mit dem politischen System der Bundesrepublik', 'Unzufriedenheit mit Zuwanderungs- und Integrationspolitik', 'Allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik' sowie 'Unzufriedenheit mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik' genannt (ebd.).Daraus resultiert, dass rund 34 Prozent (bereinigt von Doppelnennungen) der Befragten allgemein mit der Integrations-, Asyl- oder Sicherheitspolitik der Regierung unzufrieden sind (ebd. S. 63). Generell scheinen grundlegende Vorbehalte gegenüber Zuwanderung, insbesondere aus dem islamischen Raum, eines der Hauptmotive für die Teilnahme zu sein.Wirft man einen genaueren Blick auf die Kategorie 'Grundlegende Vorbehalte gegenüber Zuwanderern und Asylbewerbern', geben 15,4 Prozent der Befragten an, allgemeine Vorbehalte gegenüber Muslimen bzw. dem Islam zu haben (Vorländer, Herold, & Schäller 2015, S. 69). Die Angst vor sozioökonomischer Benachteiligung, Sorge um hohe Kriminalität von Asylbewerbern und die Furcht vor eigenem Identitätsverlust und 'Überfremdung' werden ebenfalls häufig als zentrale Motive für die Teilnahme genannt (ebd.).In einem Positionspapier fordern die Organisatoren von Pegida entsprechend eine im Grundgesetz verankerte Integrationspflicht für Geflüchtete, um einer "Islamisierung des Abendlandes" und damit verbundenen "Glaubenskriegen auf deutschem Boden" entgegenzuwirken (Antifa Recherche Team Dresden 2016, S. 45).Laut Organisator:innen gibt Pegida all den Menschen eine Stimme, die sich "überfremdet, benachteiligt und in ihrer Identität bedroht fühlen" (ebd. S. 35), um zu verhindern, dass Asylsuchende Geld vom Staat bekommen, während ein Großteil der Bevölkerung sich das alltägliche Leben nicht mehr leisten kann. Hierbei gibt es Überschneidungen zwischen den Kategorien 'Unzufriedenheit mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik' und der allgemeinen Angst, das eigene Leben nicht mehr finanzieren zu können, sowie der 'Angst vor sozioökonomischer Benachteiligung' durch Einwanderung.Obwohl rund 34 Prozent der Antworten das Themenfeld Integrations-, Asyl- und Sicherheitspolitik als Motiv für die Protestteilnahme angeben, wurde von lediglich 24,2 Prozent der Befragten explizit der Islam, Islamismus und Islamisierung als Grund genannt (Vorländer, Herold, & Schäller 2015, S. 72).Neben den Themen Zuwanderung, Asyl und Islam ist auch die kritische bis ablehnende Haltung gegenüber Öffentlichkeit und Medien, insbesondere gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eines der Hauptmotive für die Teilnahme an den Pegida-Demonstrationen. Der Begriff der 'Lügenpresse' verdeutlicht die Wut und ablehnende Haltung gegenüber Vertretern der Medien und den Medien als Institution.21,2 Prozent der Befragten äußerten entsprechend eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Berichterstattung der Medien und 18,4 Prozent kritisieren eine diffamierende Berichterstattung über die Pegida-Proteste (Vorländer, Herold, & Schäller 2015; S. 66.). Oft wird dabei pauschalisierend Kritik an der politischen Einstellung und an der Arbeit von Medienvertretern geübt (ebd. S. 67). Anhänger der Pegida-Bewegung bemängeln zudem, dass sie zu wenig im öffentlichen Diskurs gehört werden und die Sorgen und Ängste nicht ernst genommen werden. Zudem wird beklagt, dass der Öffentlichkeit Informationen vorenthalten werden (ebd. S. 68). Am Rande der Demonstrationen ist entsprechend eine aufgeladene Stimmung gegenüber Vertretern der Medien sowie eine Weigerung, mit Medienvertretern zu sprechen, zu beobachten.3.2.2 Querdenker-ProtesteSo vielfältig wie die Protestteilnehmer:innen sind auch die Motive für die Teilnahme. Trotz der Heterogenität vereint alle der zentrale Aspekt, gegen etwas zu sein (Frei, Schäfer, & Nachtwey 2021, S. 251). Ein Hauptgrund für die Teilnahme bilden die durch die Krise hervorgebrachten sozialen Ungleichheiten und die hierdurch verursachte wahrgenommene Benachteiligung in unterschiedlichsten Bereichen (Koos 2022, S. 73).Befragungen von Koos (2022, S. 73) bei der Demonstration in Konstanz im Herbst 2022 zeigen, dass weniger die persönliche Betroffenheit Grund für die Teilnahme ist, sondern vielmehr die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen ausschlaggebend sind. Lediglich rund 20 Prozent der Befragten nannten unmittelbare finanzielle Auswirkungen als ein Teilnahmemotiv (ebd.).Hauptsächlich spielt die Sorge um die eigene familiäre Situation eine Rolle. 39 Prozent (der Studie von Nachtwey, Schäfer, & Frei [2022, S. 16] zufolge rund 34 Prozent) der Befragten gaben an, dass durch die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Pandemiegeschehens übermäßig hohe Belastungen für Familien entstanden sind (Koos 2022, S. 74). Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass Nachtwey und Kollegen (2021, bei ihrer Umfrage eine 80-prozentige Zustimmung zur Aussage über die Willkürlichkeit der Corona-Maßnahmen ermittelten und dass rund 95 Prozent der Aussage, die Regierung dramatisiere oder übertreibe die Corona-Problematik,k zustimmten bzw. voll und ganz zustimmten (Nachtwey, Schäfer, & Frei 2022, S. 14f.).Größter Kritikpunkt an den Maßnahmen sind die temporären Einschränkungen der Grundrechte, wie Ausgangsbegrenzungen und Kontaktverbote. 80 Prozent der Befragten nannten die negativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die eigenen Grundrechte als einen der Hauptgründe, sich an den Querdenker-Protesten zu beteiligen (Koos 2022, S. 75). Zudem stimmten 95 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Corona-Maßnahmen die Meinungsfreiheit und Demokratie bedrohen (Nachtwey, Schäfer, & Frei 2022, S. 17).Als Einschränkung der Grundrechte wird auch die Verpflichtung zum Tragen von Masken gesehen. Teilnehmer:innen behaupteten hierbei, dass es durch das Tragen der Maske zu Todesfällen in Deutschland gekommen sei (Gensing 2020). Entsprechend stimmen über 88 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Maskenpflicht Kindesmissbrauch sei (Nachtwey, Schäfer, & Frei 2022, S. 18). Auch aufgrund der temporären Schulschließungen ist der Schutz von Kindern unter den Motiven der Demonstrationsteilnehmer:innen zu finden und rückte mit zunehmendem Verlauf des Corona-Protestgeschehens vermehrt in den Fokus der Debatte.Neben Kritik an den konkret aufgrund der Corona-Pandemie getroffenen Maßnahmen durch die Bundesregierung ist auch die allgemeine Kritik an Regierung und Parlament eine der Hauptmotivationen. So gaben 88 Prozent der Befragten an, kein Vertrauen in die Regierung zu haben (Koos 2022, S. 79). Gleiches gilt für den Bundestag. In das Parlament und die gewählten Abgeordneten haben nur 4 Prozent Vertrauen (ebd.). Eine Mehrheit von 77 Prozent hat dabei das Vertrauen in das politische System verloren (ebd. S. 80). Dennoch lehnen 94 Prozent eine Diktatur als möglicherweise bessere Staatsform ab (ebd.). Der Aussage, dass 'Medien und die Politik unter einer Decke stecken' stimmen rund 77 Prozent der Teilnehmer in der Befragung von Nachtwey, Schäfer, & Frei (2022, S. 17) zu.Entsprechend groß ist die Ablehnung gegenüber etablierten Medien (91 Prozent) (Koos 2022, S. 79). Die oftmals als einseitig empfundene Berichterstattung von den Corona-Protesten, vermeintlich tendenzielle Berichterstattung und das mutmaßliche Zurückhalten wichtiger Informationen werden oft als Hauptgründe für die ablehnende Haltung gegenüber etablierten Medien, insbesondere dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk genannt (Frei, Schäfer, & Nachtwey 2021, S. 225). Konkret wird den Medien 'Angstmacherei' vorgeworfen mit dem Ziel, die Menschen zu verunsichern. Die Teilnehmer:innen bezeichnen sich daher oftmals selbst als besonders kritische Menschen, die Dinge hinterfragen und gegen die "mediale Desinformation" (ebd. S. 256) vorgehen und aufklären wollen.Waren im Frühjahr und Herbst 2020 noch die von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen und deren Auswirkungen, wie Lockdown, Schulschließungen und Maskentrageverordnung, der Hauptgrund für die Teilnahme an den Querdenker-Demonstrationen, wandelten sich die Motive im Lauf der Zeit. Mit der Entwicklung von Corona-Impfstoffen, deren Zulassung und den anschließenden, im Frühjahr und Sommer 2021 groß angelegten Impfkampagnen, wurde vermehrt auch die Kritik an einer vermeintlichen Zwangsimpfung und die Diskriminierung Ungeimpfter zum zentralen Motiv (Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen 2022, S. 3).Entsprechend konnten sich 70 Prozent der Befragten vorstellen, dass einflussreiche Geschäftsleute die Menschheit zwangsimpfen lassen wollen, um so persönlich davon zu profitieren (Koos 2022, S. 77). Allgemein haben Verschwörungstheorien und eine darauf aufbauende "Realität" großen Einfluss, die Motive der Teilnehmer:innen betreffend. Unter den Befragten können sich 75 Prozent vorstellen, dass Wissenschaftler gezielt manipulieren, Tatsachen erfinden oder Beweise zurückhalten, um die Öffentlichkeit zu täuschen (ebd.).Zwar haben 37 Prozent der Befragten Vertrauen in die Wissenschaft, dieser vergleichsweise hohe Wert könnte aber auch darauf zurückgeführt werden, dass sich im Lauf der Pandemie eine Vielzahl selbsternannter Experten etabliert hat, deren Wissen und Expertise gleichgesetzt wurde mit Wissen von Experten, die dem etablierten Wissenschaftssystem zuzuordnen sind (ebd. S. 79). Hauptkritikpunkt ist dabei die Nichtproduktion eindeutiger Ergebnisse und die Anpassung von Empfehlungen aufgrund neuster Erkenntnisse, die oftmals zu Verwirrung und Irritationen führten.Es bleibt festzuhalten, dass sich berechtigte Kritik an den Corona-Maßnahmen mit inhaltlich diffuser Kritik (Frei, Schäfer, & Nachtwey 2021, S. 257) mischt, was zu einer wirren Verflechtung von Tatsachen mit Verschwörungserzählungen führt, die schließlich zur Teilnahme an den Querdenker-Demonstrationen führen.3.2.3 Gemeinsamkeiten und UnterschiedeZu den Gemeinsamkeiten beider Protestgruppen lässt sich zunächst herausstellen, dass beide sehr heterogen zusammengesetzt sind und eine Vielzahl von Motiven die Menschen zur Teilnahme an den Protesten veranlasst. In beiden Gruppen ist eines der Hauptmotive die allgemeine Unzufriedenheit mit Mandatsträgern und politischen Entscheidungen im allgemeinen.Beide Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich des konkreten Anlasses für die Proteste. Während der Hauptauslöser für die Pegida-Proteste in der Asylpolitik der Regierung, der mangelnden Kommunikation bei der Unterbringung von Geflüchteten sowie in einer vermeintlichen Überfremdung Deutschlands liegen, resultierte die Unzufriedenheit bei den Querdenker-Protesten hauptsächlich aus den Grundrechtseinschränkungen, die die Corona-Pandemie eindämmen sollten, sowie später aus der vermeintlichen Diskriminierung von Ungeimpften.Auch wenn sich die konkreten Anlässe unterscheiden, ist der Auslöser für die jeweiligen Proteste eine aktuelle Gegebenheit, die aufgegriffen und instrumentalisiert wird. Die Proteste beziehen sich dabei nicht nur auf den konkreten Anlass, sondern lassen sich als allgemeine Unzufriedenheit interpretieren. Was beide Gruppen gemein haben, ist die generelle Ablehnung von Politik und der Vertrauensverlust in Politik und Politiker. Waren es bei den Pegida-Protesten rund 71 Prozent, die angaben, mit politischen Entscheidungen unzufrieden zu sein, nannten bei der Befragung bei einer Querdenken-Kundgebung in Konstanz 88 Prozent der Teilnehmer:innen dies als Grund für die Teilnahme.Hier zeigt sich eine Zunahme der Unzufriedenheit. Dies ist vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass die Menschen aufgrund der Corona-Maßnahmen direkter von Regierungsentscheidungen betroffen sind und diese auch das tägliche Leben betreffen. Bei beiden Umfragen zeigt sich besondere eine ablehnende Haltung gegenüber politischen Mandatsträgern, die sich nach Ansicht vieler Befragter zu weit vom einfachen Bürger entfernt haben und nicht mehr im Sinne des Volkes handeln.Bei beiden Protestbewegungen konnte zudem eine ablehnende Haltung gegenüber etablierten Medien beobachtet werden. Dies zeigte sich zum einen in der Verweigerung, mit Medien zusammenzuarbeiten, als auch in verbalen und teilweise handgreiflichen Übergriffen auf Medienvertreter:innen. Sowohl bei Querdenker-Kundgebungen als auch bei Pegida-Demonstrationen hat sich der Begriff 'Lügenpresse', als Ausdruck einer kritischen Haltung gegenüber Medien etabliert. Häufig wird zudem eine tendenziöse, abwertende Berichterstattung von den Protestkundgebungen und ein absichtliches Zurückhalten von vermeintlich wichtiger Informationen für die ablehnende Haltung genannt.Sowohl bei den Protesten der Querdenker-Bewegung gegen die Corona-Politik als auch bei den Pegida-Protesten spielt die Angst vor einer sozioökonomischen Benachteiligung eine wichtige Rolle, wenngleich die Angst unterschiedlich begründet wird. Während dies bei Pegida-Anhängern durch die Zuwanderung von Menschen mit muslimischem Glauben und damit verbundener größerer Konkurrenz um Arbeitsplätze sowie der durch Einwanderung veränderten Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel auf mehr Personen begründet wird, argumentieren Anhänger der Querdenker-Bewegung dahingehend, dass mit den von der Politik getroffenen Maßnahmen, die das öffentliche Leben einschränken, die Lebensgrundlage wegfällt. Auch wenn viele der Teilnehmer:innen angaben, von den Maßnahmen nicht unmittelbar betroffen zu sein, zeigt sich die Angst besonders bei Selbständigen, die aufgrund der Maßnahmen ihrer Berufstätigkeit nicht mehr nachgehen können.Auch hinsichtlich des Glaubens an Verschwörungstheorien gibt es eine Schnittmenge zwischen beiden Protestphänomenen. Zentral ist die Idee einer geheimen Machtelite, die negativen Einfluss auf das Volk nehmen möchte. Bei den Pegida-Protesten wird dieses Narrativ untermauert von dem Glauben an eine "Umvolkung", also dem Austausch der Deutschen durch zugewanderte Flüchtlinge aus dem islamischen Raum. Von der Unterdrückung des Volkes durch die getroffenen Maßnahmen und die vermeintliche Absicht, die Menschen durch die Corona-Impfung zu reduzieren oder zumindest durch das Einpflanzen eines Computerchips unter die Kontrolle einer Machtelite zu bringen, sind zentrale Erzählungen bei Querdenker-Kundgebungen.Auch wenn sich die Protestbewegungen in ihren eigentlichen Auslösern unterscheiden, gibt es die Motive betreffend erstaunlich viele Überschneidungen. Die Einwanderung bzw. der Protest gegen die Corona-Maßnahmen sind in beiden Fällen ein allgemeiner Ausdruck angestauter politischer Unzufriedenheit, der sich im Kontext der konkreten Anlässe entlädt. 3.3 Das rechtsradikale Potential der Protestbewegungen3.3.1 Pegida-ProtesteAuch wenn die Studie von Vorländer, Herold & Schäller vermuten lässt, dass die Pegida-Teilnehmer:innen vorwiegend aus der Mitte der Gesellschaft kommen, stellt dies kein Grund zur Verharmlosung dar (Kokyba 2016, S. 149). Oftmals wird dieser Studie vorgeworfen, das rechtsradikale Potenzial der Protestbewegung zu unterschätzen. Als Hauptgrund wird angeführt, dass eine Vielzahl von Teilnehmenden sich weigern, an wissenschaftlichen Umfragen teilzunehmen, und dass diejenigen, die mit wissenschaftlichen Institutionen sprechen, eher der gemäßigten Mitte zuzuordnen sind und daher das Ergebnis in Richtung gemäßigter Ansichten verzerren.Als Indiz für eine rechtsradikale Gesinnung kann allein die Teilnahme an einer Kundgebung unter dem islamfeindlichen Motto 'Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes' angesehen werden (ebd. S. 152). Auch kann eine solche Gesinnung aus den Rednern und den Inhalten von Reden im Rahmen der Kundgebungen abgeleitet werden.Bei der Kundgebung zum einjährigen Bestehen von Pegida am 19. Oktober 2015 war Akif Pirinçci einer der Hauptredner. Pirinçci, der offen rechtspopulistische und islamfeindliche Positionen vertritt und zudem aufgrund diverser Äußerungen rechtskräftig verurteilt wurde, sprach bei der genannten Veranstaltung unter anderem von der "Moslemmüllhalde" Deutschland und warf Politikern vor, als "Gauleiter gegen das eigene Volk" zu agieren (Spiegel.de 2015). Wegen dieser Äußerungen und auch der Aussage "die KZs sind leider derzeit außer Betrieb" wurde die Rede schließlich nach 25 Minuten abgebrochen und Pirinçci im Anschluss wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt (ebd.).Offiziell grenzt sich Pegida zwar immer wieder von rechtsextremen Positionen ab, die Bewegung mobilisiert jedoch eine rechtspopulistisch rebellierende Bevölkerung, die sich aus der Mitte der Bevölkerung her rekrutiert und den Anspruch erhebt, das Volk zu repräsentieren (Nachtwey 2016, S. 210). Eine Studie von Daphi et al. (2015: S. 22f.) zeigt zudem, dass über 59 Prozent der Pegida-Anhänger bei der Landtagswahl in Sachsen 2014 der AfD ihre Stimme gegeben haben. Somit hat eine Partei, die zwar im Bundestag vertreten ist, aber in Teilen aufgrund von verfassungswidrigen Positionen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, eine absolute Mehrheit unter den Pegida-Anhängern erzielen können.Vorländer, Herold & Schäller (2016, S. 116) stellen jedoch auch heraus, dass sich die rechtsradikale und ausländerfeindliche Einstellung der Pegida-Teilnehmer in Dresden nicht wesentlich von Werten in West- bzw. Gesamtdeutschland unterscheiden. Es bleibt festzuhalten, dass die Pegida-Bewegung keine "originär" (Nachtwey 2016, S 1) rechtsextreme Bewegung ist, jedoch das rechtsextreme Potenzial nicht unterschätzt werden darf.3.3.2 Querdenker-ProtesteDer Sonderbericht des nordrhein-westfälischen Innenministeriums bescheinigt der Querdenker-Bewegung, dass einzelne Personen und Bewegungen aus der rechtsextremistischen Szene Einfluss nehmen und die Bewegung für ihre eigene Agenda zu instrumentalisieren versuchen (Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen 2022, S. 34). Zudem wurden bei den Kundgebungen rechtsextremistische Inhalte geteilt, bei gleichzeitigem Bemühen, einen demokratischen und rechtsstaatlichen Anschein zu wahren (Stern 2021, S. 2).Der Bericht bezieht sich dabei auf eine hohe Ablehnung des Rechtsstaates, die sich jedoch laut der Umfrage von Koos (2022, S. 80) nur bedingt bestätigen lässt. 96 Prozent der Teilnehmenden widersprechen zumindest der Aussage, dass eine Diktatur eine möglicherweise bessere Regierungsform sei. Dennoch lässt sich bei den Kundgebungen eine gewisse antisemitische sowie anti-rechtsstaatliche Haltung finden, die sich vor allem in diversen Verschwörungserzählungen ausdrücken. Einer der Protagonisten in Berlin, Attila Hildmann, behauptete beispielsweise am Rande einer Kundgebung, jüdische Familien wollen die "deutsche Rasse auslöschen" (Leber 2020).Der Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen schätzte im Dezember 2020 zudem, dass rund 10 Prozent der Demonstranten Rechtsextreme oder Reichsbürger sind (Grande, Hutter, Hunger & Kanol 2021, S. 22). Einer Umfrage von Grande et al. (2021, S. 22) zufolge sind 7,5 Prozent der Protestierenden dem rechten Rand zuzuordnen. Zwar ist dies nur eine Minderheit, die jedoch aufgrund ihres Mobilisierungspotentials nicht vernachlässigt werden darf, zumal 40 Prozent der Befragten rechtsextreme Positionen zustimmungsfähig finden (ebd.). Die Umfragen haben zudem gezeigt, dass sich das rechtsextreme Potenzial im Lauf der Zeit verstärkt hat. Vergleicht man die erste Protestwelle mit der zweiten, stieg der Zustimmungswert von knapp über 30 Prozent auf über 40 Prozent (Grande et al. 2021, S. 23).Dieses Potenzial zeigt sich auch, wenn Teilnehmer:innen mit Reichskriegsflaggen die Absetzung der Regierung fordern. Am Rande der Kundgebung in Berlin Ende August 2022 versuchte schließlich eine Gruppe von Corona-Gegnern, den Reichstag zu stürmen und die Regierung zu stürzen (Patenburg, Reichhardt, Sepp 2021, S. 3). Zudem sind häufig Forderungen zu hören, die Verantwortlichen für die Corona-Maßnahmen bei einer Neuauflage der Nürnberger Prozesse zur Rechenschaft zu ziehen (Virchow 2022). Diese und weitere aus der NS-Zeit abgeleitete Semantik ist ein weiteres Indiz für die Nähe von Querdenkern zu rechtsradikalen Positionen.Zu beobachten ist zudem, dass sich immer wieder bekannte Neonazis unter die Demonstranten mischen. Diese nutzen die friedlichen Demonstrationen, um unter dem Deckmantel 'Corona' rechtsradikale Thesen zu verbreiten. Hierbei besteht insbesondere die Gefahr, dass friedliche Menschen aus der Mitte der Gesellschaft für eine rechtsradikale Agenda missbraucht werden. Abschließend kann herausgestellt werden, dass der zunächst friedliche Protest zunehmend von Anhängern rechtsradikaler Bewegungen unterlaufen und zunehmend für rechte Zwecke missbraucht wurde.3.3.3 Gemeinsamkeiten und UnterschiedeSowohl die Pegida-Proteste als auch die Querdenker-Kundgebungen rekrutieren ihre Teilnehmer:innen aus der Mitte der Gesellschaft. Obwohl sie den Anschein einer bürgerlichen Protestbewegung haben, ist ein rechtsextremistisches Potenzial nicht zu unterschätzen. Forschungen zeigen, dass bei beiden Bewegungen eine rechtsradikale Minderheit unter den Teilnehmenden vertreten ist, die die Proteste für eigene Zwecke zu instrumentalisieren versucht. Entsprechend konnte bei beiden Bewegungen eine zunehmende Radikalisierung festgestellt werdenCharakteristisch für beide Bewegungen ist zudem eine allgemeine Ablehnung von Rechtsstaat und politischen Institutionen. Dies zeigt sich auch im Wahlverhalten. Bei beiden Protestphänomenen identifizieren sich nur wenige Teilnehmenden mit einer der etablierten Parteien und gaben an, bei der kommenden Wahl eine 'andere Partei' wählen zu wollen.Unter den im Bundestag vertretenen Parteien kann lediglich die AfD einen nennenswerten Stimmenanteil auf sich vereinen. Auch hierbei zeigt sich das rechtsradikale Potenzial der Proteste. Die AfD ist zwar im Bundestag vertreten, doch werden einzelne Mitglieder und Landesparteien vom Verfassungsschutz beobachtet. Diese Haltung zeigt sich teilweise auch in Verschwörungserzählungen, die oftmals als Rechtfertigung für die Proteste herangezogen werden. Zudem sind bei beiden Protesten nationalistische Symbole wie die Reichskriegsflagge zu beobachten und Reden eindeutig rechter nationalistischer Personen zu hören.Was beide Protestgruppen unterscheidet, ist die ursprüngliche Intention, mit der die Menschen auf die Straße gegangen sind. Während bei Pegida von vorneherein eine eindeutig nationalistische, auch rechtsradikale Positionierung zu erkennen war, war die ursprüngliche Intention der Querdenker-Demonstrierenden gegen die aus ihrer Sicht unsinnigen Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Erst später bildeten sich auch hier nationalistische und rechtsradikale Züge heraus. Hier kann als Höhepunkt dieser Entwicklung der 'Sturm auf den Reichstag' genannt werden. Es beliebt festzuhalten, dass sich bei beiden Protestgruppen legitime Anliegen mit rechtsradikalen Positionen vermischen, was die Proteste so gefährlich macht.4. Zusammenfassung und AusblickIn der hier vorliegenden Arbeit wurden die Querdenker-Proteste in Folge der Corona-Pandemie und die aus dem vermehrten Zuzug islamischer Flüchtlinge resultierenden Pegida-Proteste miteinander verglichen sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufgezeigt. In einem ersten Schritt wurde die Chronologie der Protestbewegungen dargestellt und anschließend hinsichtlich dreier spezifischer Merkmale miteinander verglichen.Im Hinblick auf demografische und sozioökonomische Aspekte sowie dem Wahlverhalten sind sich die Teilnehmenden an beiden Protestphänomenen recht ähnlich. Die im Schnitt 48 Jahre alten Demonstrationsteilnehmer:innen sind zumeist Angestellte oder Arbeiter, wobei der Anteil an Selbständigen recht hoch ist. Politisch fühlt sich eine Mehrheit nicht von den etablierten politischen Parteien ausreichend vertreten und würde daher bei der kommenden Wahl eine 'andere Partei' wählen. Es konnte zudem gezeigt werden, dass bei Pegida- und Querdenker-Protesten die AfD als einzige der im Bundestag vertreten Parteien eine nennenswerte Wählerschaft anspricht.Auch in Bezug auf die Motive zeigte sich eine erhebliche Schnittmenge zwischen Teilnehmer:innen der Pegida- und Querdenker-Demonstrationen. Beide Phänomene nehmen aktuelle politische Entscheidungen als Demonstrationsanlass, die aber lediglich als Katalysator für aufgestaute Wut und Enttäuschungen wirken. Entsprechend wurde gezeigt, dass allgemeine Unzufriedenheit mit Politik, Regierung und Mandatsträgern ein zentrales Motiv für die Proteste ist.Hinzu kommt die Kritik an Medien, tendenziöse Berichterstattung zu betreiben und voreingenommen über die Proteste zu berichten. Zudem würden zentrale Informationen gezielt nicht weitergegeben, um so die Menschen gezielt zu täuschen und wahre Beweggründe politischer Entscheidungen zu verschweigen. Hier zeigte sich auch die Anfälligkeit der Proteste für Verschwörungstheorien, die auch Einfluss auf Wissensbasis und Motive haben.Abschließend wurde das rechtsradikale Potenzial der Bewegungen aufgezeigt. Beide Bewegungen haben sich dabei aus der Mitte der Gesellschaft hin an den rechten Rand bewegt, wobei die Pegida-Kundgebungen von Beginn an eher rechts zu verorten waren. Größtes Problem ist die Instrumentalisierung der Proteste durch rechte Gruppen, die unter dem Deckmantel friedlicher Proteste mit Menschen aus der Mitte der Gesellschaft rechtsradikale Propaganda gesellschaftsfähig machen wollen.Die hier untersuchten Kategorien bilden die beiden Protestphänomene bei weitem nicht vollständig ab. Es ist daher nötig, weitere Vergleiche anzustellen. Beispielsweise wäre es noch interessant zu ermitteln, inwiefern sich die Protestkundgebungen in puncto Wahrnehmung in der Bevölkerung unterscheiden oder inwiefern sich Politik und Regierung mit den Protesten auseinandergesetzt haben. Überdies sollte noch erforscht werden, wie die Teilnehmer:innen das Vertrauen in Politik zurückgewinnen können und was getan werden muss, um bei zukünftigen politischen Krisen ähnliche Protestbewegungen zu verhindern.Abschließend bleibt festzuhalten, dass wir uns zukünftig vermutlich häufiger mit solchen Formen des Protestes auseinandersetzen müssen. Im Zuge der Energiekrise, resultierend aus dem russischen Angriffskrieg und den Sanktionen gegen Russland, haben erste Verbände und Parteien dazu aufgerufen, den Unmut über Regierungsentscheidungen auf die Straße zu tragen und gegen die Regierenden zu demonstrieren. Es bleibt also abzuwarten, ob sich in den kommenden Monaten eine Protestbewegung, ähnlich wie die Pegida- und Querdenker-Proteste, entwickelt.5. LiteraturverzeichnisAntifa Recherche Team Dresden. (2016). Pegida: Entwicklung einer rechten Bewegung. In T. Heim (Hrsg.), Pegida als Spiegel und Projektionsfläche (S. 33-54). Wiesbaden: Springer VS.Bundesministerium für Gesundheit. (06. 08. 2022). Coronavirus-Pandemie: Was geschah wann? Abgerufen am 13.08.2022 von https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus/chronik-coronavirus.htmlBundeststelle für Sektenfragen. (2021). Das Phänomen Verschwörungstheorien in Zeiten der COVID-19-Pandemie. Bericht der Bundesstelle für Sektenfragen an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration .Wien.Frei, N., & Nachtwey, O. (2021). Wer sind die Querdenker_innen? Demokratie im Ausnachmezustand. Wie vrändert die Coronakrise Recht, Politik und Gesellschaft? (Friedrich-Ebert-Stiftung, Hrsg.).Frei, N., Schäfer, R., & Nachtwey, O. (26.06.2021). Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen: Eine soziologische Annäherung. Forschungsjournal Soziale Bewegungen, S. 249-258.Geiges, L., Marg, S., & Walter, F. (2015). Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft? Bielefeld: transcript Verlag.Gensing, P. (09. 30. 2020). Gezielte Gerüchte über Todesfälle durch Maske. Abgerufen am 16.08. 2022 von https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-kritiker-101.htmlGrande, E., Hutter, S., Hunger, S., & Kanol, E. (2021). Alles Covidioten? Politische Potenziale des Corona-Protests in Deutschland. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH.Holzer, B., Koos, S., Meyer, C., Otto, I., Panreck, I., & Reichardt, S. (2021). Einleitung: Protest in der Pandemie. In S. Reichardt (Hrsg.), Die Misstrauensgemeinschaft der "Querdenker" : Die Corona-Proteste aus kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektive (S. 7-26). Frankfurt: Campus Verlag.Imöhl, S., & Ivanov, A. (12.06.2021). Bundesregierung bestellt 80 Millionen Dosen Omikron-Impfstoff bei Biontech. Die Zusammenfassung der aktuellen Lage seit Ausbruch von Covid-19 im Januar 2020. Abgerufen am 13.08.2022 von https://www.handelsblatt.com/politik/corona-chronik-bundesregierung-bestellt-80-millionen-dosen-omikron-impfstoff-bei-biontech/25584942.htmlJacobsen, L. (23.12.2021). Selbst ihr Weihnachtsmann ist wütend. Abgerufen am 12.08.2022 von https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-12/pegida-weihnachten-singen-dresdenKocyba, P. (2016). Wieso Pegida keine Bewegung harmloser, besorgter Bürger ist. In K. Rehberg, F. Kunz, & T. Schlinzig (Hrsg.), PEGIDA - Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und »Wende«-Enttäuschung? (S. 147-164). Bielefeld: transcript Verlag.Koos, S. (2022). Konturen einer hetrerogenen 'Misstrauensgemeinschaft': Die soziale Zusammensetzung der Corona-Prosteste und die Motive der Teilnehmer:innen. In S. Reichardt (Hrsg.), Die Misstrauensgemeinschaft der 'Querdenker'. Bonn: Campus Verlag.Leber, S. (20.06.2020). Attila Hildmann gibt Juden die Schuld – und verteidigt Hitler. Abgerufen am 21.08.2022 von Der Tagesspiegel: https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/antisemitismus-im-netz-attila-hildmann-gibt-juden-die-schuld-und-verteidigt-hitler/25930880.htmlNachtwey, O. (2016). PEGIDA, politische Gelegenheitsstrukturen und der neue Autoritarismus. In K. Rehberg, F. Kunz, & T. Schlinzig (Hrsg.), PEGIDA - Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und »Wende«-Enttäuschung?(S. 299-312). Bielefeld: transcript Verlag.Nachtwey, O., Schäfer, R., & Frei, N. (2022). Politische Soziologie der Corona-Proteste. Von https://doi.org/10.31235/osf.io/zyp3f abgerufen am 21.08.2022Röpke, A. (04.11.2013). Rechter Aufruhr in Schneeberg. Abgerufen am 12.08.2022 von https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/schneeberg-in-sachsen-rechter-protest-gegen-fluechtlinge-a-931711.htmlReichardt, S., Pantenburg, J., & Sepp, B. (2021). Corona-Proteste und das (Gegen-)Wissen sozialer Bewegungen. Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 22-27.Spiegel.de. (20.10.2015). Eklat bei Pegida-Demo :"Die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb". Abgerufen am 22.08.2022 von https://www.spiegel.de/politik/deutschland/akif-pirincci-rede-bei-pegida-in-dresden-abgebrochen-a-1058589.html Stern, Verena (2021): Die Profiteure der Angst? - Rechtspopulismus und die COVID-19-Krise in Europa; Friedrich Ebert Stiftung, online unter https://library.fes.de/pdf-files/dialog/17736-20210512.pdf.Tageschau. (20.10.2019). Protest in Dresden: Menschen demonstrieren gegen "Pegida". Abgerufen am 12.08.2022 von https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-610155.htmlVerfassungsschutz Nordrhein-Westfalen. (2022). Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und "Corona- Protestlern" . Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen , Düsseldorf.Virchow, F. (01.03.2022). Querdenken und Verschwörungserzählungen in Zeiten der Pandemie. Abgerufen am 2021.08.2022 von Bundeszentrale für politische Bildung: https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/508468/querdenken-und-verschwoerungserzaehlungen-in-zeiten-der-pandemie/Vorländer, H., Herold, M., & Schäller, S. (2015). Wer geht zu PEGIDA und warum? Eine empirische Untersuchung von PEGIDA Demonstranten in Dresden. Dresden: Zentrum für Verfassungs und Demokratieforschung.Vorländer, H., Herold, M., & Schäller, S. (2016). PEGIDA – eine rechtsextremistische Bewegung? In G. Pickel, & O. Decker (Hrsg.), Extemismus in Sachsen. Eine kritische Bestandsaufnahme. Dresden/Leipzig: Sächsische Landeszentrale für politische Bildung.Zeit Online. (06.02.2016). Pegida-Aktionstag bleibt überschaubar. Abgerufen am 12.08.2022 von https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-02/pegida-aktionstag-europa-fluechtlinge-dresdenFußnoten[1] https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/pegida-teilnehmer-beschimpfen-hotel-gaeste-rassistisch-art-354308[2] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/studie-der-tu-dresden-typischer-pegida-anhaenger-ist-48-maennlich-und-gut-gebildet-li.24398[3] https://www.fr.de/politik/leipzig-querdenker-demonstration-eskalation-angriff-journalisten-gruene-gewalt-verletzte-news-zr-91099309.html[4] https://www.n-tv.de/panorama/40-mutmassliche-Randalierer-bislang-ermittelt-article22295508.html[5] Quelle: Demonstrationskalender der Polizei Berlin, abzurufen unter: https://www.berlin.de/polizei/service/versammlungsbehoerde/versammlungen-aufzuege/ (abgerufen am 13.08.2022)[6] Vgl. Mikrozensus 2013. https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Jahrbuch/statistisches-jahrbuch-2018-dl.pdf?__blob=publicationFile (zu beachten ist, dass die Daten aufgrund der zeitlichen Verschiebung nur eingeschränkt miteinander verglichen werden können, dennoch Tendenzen davon abgeleitet werden können.[7] Die Werte in Klammern beziehen sich auf die Studie von Nachtwey, Schäfer, & Frei 2022[8] Stimmanteil der AfD bei der Landtagswahl in Sachsen am 01. September 2019. Quelle:https://wahlen.sachsen.de/landtagswahl-2019-wahlergebnisse.php (angerufen am 14.08.2022)[9] Stimmanteil der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober 2019 Quelle: https://www.wahlen.thueringen.de/datenbank/wahl1/wahl.asp?wahlart=LW&wJahr=2019&zeigeErg=Land (angerufen am 14.08.2022)[10] Stimmanteil der AfD bei der Landtagswahl Baden-Württemberg am 14. März 2021. Quelle: https://www.statistik-bw.de/Wahlen/Landtag/02035000.tab?R=LA (angerufen am 14.08.2022)[11] Die mehr als 100 Prozent sind auf Mehrfachnennungen der Befragten zurückzuführen.
Der vorliegende Band nimmt seinen Ausgangspunkt in der krisenhaften Situation um Covid-19. Er hat den Anspruch, mittels wissenschaftlicher Praktiken der Verunsicherung bzw. dem Bruch mit den bisher als "Normalität" aufgefassten Verhältnissen etwas entgegen zu setzen. Involviert in bildungswissenschaftliche Forschung und Lehre, die sich angesichts der Pandemie in vielfältiger Weise neu verorten und gestalten, wenden sich die Autor*innen grundlegenden bildungswissenschaftlichen Verhältnisbestimmungen in ihren ideellen, kategorialen, sozialen und materiellen Neuverortungen zu. Dabei kommen auch Themen in den Blick, die in bildungswissenschaftlichen Arbeiten bisher eher randständig waren, sich aber als künftige Forschungsthemen zeigen, beispielsweise die Technisierung des Umgangs miteinander. (DIPF/Orig.)
In: Integration: Vierteljahreszeitschrift des Instituts für Europäische Politik in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Europäische Integration, Band 27, Heft 4, S. 274-287
Gegenstand des Buches ist die Entwicklung des Rechtszweigs Familienrecht, also ein wesentliches Stück Rechtsgeschichte und zugleich Geschichte der DDR. Der Bogen spannt sich von den ersten Reformschritten im Bereich des Scheidungsverfahrens (u.a. mit der Abschaffung des Anwaltszwangs 1948) über die Verfassung der DDR (1949) mit ihren weitreichenden Konsequenzen und Problemen für das Familienrecht und das die Familie betreffende Sozialrecht (seit 1950), über den Entwurf eines Familiengesetzbuches (1954), ein neues Scheidungsrecht (1955), das Familiengesetzbuch der DDR (FGB,1965) und die dazu erlassenen Richtlinien und Beschlüsse des Obersten Gerichts der DDR, die sich als Form der Leitung der Rechtssprechung verstanden und bezüglich der Ehescheidung besonders, wenn auch erfolglos, auf die Verringerung der Scheidungszahlen abzielten. Dargestellt werden die stark intensivierte Familienförderung im Bereich der Sozialpolitik in den 70er und 80er Jahren und Überlegungen zur Reform des Familienrechts, die zunächst nicht aufgegriffen wurden, aber eine Grundlage für das im Juni 1990 von der Volkskammer der DDR verabschiedete, ebenfalls einbezogene Familienrechtsänderungsgesetz waren. Schließlich wird die am 3.10.1990 erfolgte Überleitung des bundesdeutschen Familienrechts auf das Beitrittsgebiet und die damit bewirkte starke Veränderung des rechtlichen Inhalts der Ehe und des Eltern-Kind-Verhältnisses im Beitrittsgebiet skizziert. // Es geht bei allem um die Rolle von Ehe und Familie und dabei vorrangig um die Probleme der Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Mutter und Vater und um die der Kinder unabhängig davon, ob sie in der Ehe oder außerhalb einer Ehe geboren wurden und um die Stabilität der Ehe. Es wird die Gesetzgebung und die Rechtsanwendung in ihren Schwerpunkten dargestellt mit den jeweiligen systemtypischen Zielen, Inhalten und Problemen. ; Not Reviewed
Die Inhalte der verlinkten Blogs und Blog Beiträge unterliegen in vielen Fällen keiner redaktionellen Kontrolle.
Warnung zur Verfügbarkeit
Eine dauerhafte Verfügbarkeit ist nicht garantiert und liegt vollumfänglich in den Händen der Herausgeber:innen. Bitte erstellen Sie sich selbständig eine Kopie falls Sie diese Quelle zitieren möchten.
Exakt 20 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kündigte der derzeit amtierende US-Präsident Joe Biden den Abzug aller amerikanischen Truppen aus Afghanistan an. "Es ist Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden" (Böhm 2021, 92). Bereits vor dem Einmarsch amerikanischer und britischer Truppen am 7. Oktober 2001, bekannt als die Operation "Enduring Freedom", hatte Amerika Stützpunkte der in Afghanistan ansässigen Terrorgruppe Al-Qaida attackiert. Der Grund hierfür waren die durch Mitglieder der Gruppe geplanten und durchgeführten Anschläge auf amerikanische Botschaften in Tansania und Kenia im Jahr 1998. "Aber die Schwelle der Kriegserklärung gegen Terroristen wurde nicht überschritten, auch um Letztere politisch nicht aufzuwerten" (Böhm 2021, 94).Als Wendepunkt gilt der 11. September 2001. Neunzehn Terroristen der Terrorgruppe Al Qaida entführten vier Passagierflugzeuge. Zwei dieser Flugzeuge wurden in die Twin Towers des World Trade Centers gesteuert. Ein weiteres zerstörte den westlichen Teil des Pentagons in Washington. Das vierte stürzte in einem Feld in New Jersey ab. Insgesamt starben durch diese vier Flugzeuge fast 3000 Menschen aus 80 verschiedenen Ländern (vgl. Hoffmann 2006, 47).Die Anschläge veränderten die Wahrnehmung der durch den Terrorismus bestehenden Bedrohung. Bereits wenige Tage nach den Anschlägen verkündete der damalige US-Präsident George W. Bush den "Global War on Terror" (Böhm 2021, 92), eine Kriegserklärung an den Terrorismus. Damit definierte er die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus als Krieg.Neben dieser Auslegung gilt auch die Interpretation des Verhältnisses zwischen terroristischen Gruppierungen und Amerika feindlich gesinnten Staaten als entscheidend. Unmittelbar nach den Anschlägen wurde zunächst nur die Bekämpfung der Terrorgruppe Al-Qaida und des Taliban-Regimes in Afghanistan priorisiert. In den darauffolgenden Monaten wurden neben diesen auch den Terrorismus unterstützende, autoritäre Staaten und Staaten mit Zugang oder Beschaffungsmöglichkeiten von Massenvernichtungswaffen zu möglichen Zielen von Militäraktionen zur Bekämpfung des Terrorismus (vgl. Böhm 2021, 92; Kahl 2011, 19).Durch die Anschläge am 11. September 2001 wurde neben der "seit längerem bekannte Dimension der internationalen Kooperation von terroristischen Gruppen […] die neue Dimension der transnationalen Kooperation, Durchführung, Logistik und Finanzierung terroristischer Gewalt deutlich" (Behr 2017, 147).Im Rahmen dieses Beitrags wird der Terrorismus als eine Herausforderung für die Vereinten Nationen vor und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 thematisiert. In diesem Zusammenhang wird der Frage nachgegangen, inwiefern diese die Sicherheitspolitik der Vereinten Nationen beeinflusst haben. In einem ersten Schritt wird eine Klärung des Begriffs Terrorismus vorgenommen. Im Anschluss daran wird auf die Strategien der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus vor dem 11. September 2001 eingegangen. Darauf folgt eine Darstellung der direkten Reaktionen der internationalen Staatengemeinschaft auf die Anschläge. In einem letzten Schritt werden die daraus resultierenden Folgen für die internationale Sicherheitspolitik näher beleuchtet.BegriffsklärungIn einem ersten Schritt gilt es nun, den Begriff des Terrorismus näher zu definieren. Der Begriff leitet sich von dem lateinischen Wort terror ab, das als Schrecken oder Furcht übersetzt werden kann (vgl. Pfahl-Traughber 2016, 10). Nach dem Terrorismusexperten Bruce Hoffmann wird unter dem Begriff des Terrorismus die "bewusste Erzeugung und Ausbeutung von Angst durch Gewalt oder die Drohung mit Gewalt zum Zweck der Erreichung politischer Veränderung" (Hoffmann 2006, 80) verstanden.Dementsprechend ist eine terroristische Tat zunächst einmal gekennzeichnet durch die Androhung oder die Ausübung von Gewalt. Im Hinblick auf die Intensität der ausgeübten Gewalt wird deutlich, dass keine humanitären Konventionen respektiert werden und terroristische Anschläge sich oft durch "besondere Willkür, Unmenschlichkeit und Brutalität" (Waldmann 2005, 14) auszeichnen."Die Gewalttat hat primär einen symbolischen Stellenwert, ist Träger einer Botschaft, die in etwa lautet, ein ähnliches Schicksal kann jeden treffen, insbesondere diejenigen, die den Terroristen bei ihren Plänen im Wege stehen" (Waldmann 2005, 15). Basierend auf dieser Tatsache bezeichnet der Soziologe Peter Waldmann den Terrorismus "primär [als] eine Kommunikationsstrategie" (Waldmann 2005, 15).Auf der psychologischen Ebene verfolgt der Terrorismus das Ziel, über die unmittelbaren Ziele und Opfer hinaus bei einer bestimmten Gruppe Furcht hervorzurufen, um für deren Einschüchterung zu sorgen. Als Zielgruppe kommt neben Staaten, Regierungen und einzelnen religiösen oder ethnischen Gruppen auch die allgemeine öffentliche Meinung in Frage (vgl. Hoffmann 2006, 80).Davon ausgehend verfolgt der Terrorismus mit der Erzeugung von Furcht und Schrecken auf der politischen Ebene das Ziel, das Vertrauen in eine bestehende politische Ordnung zu erschüttern (vgl. Waldmann 2005, 16). Im Hinblick auf die politische Dimension des Terrorismus grenzt Waldmann diesen bewusst vom Staatsterrorismus ab. Nach Waldmann kennzeichnen terroristische Anschläge ihre planmäßige Vorbereitung und ihre Aktivität aus dem Untergrund heraus.Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Staatsterrorismus um ein Terrorregime, errichtet durch staatliche Machteliten. Von Seiten des Staates kann zwar Terror gegenüber seinen Bürgern ausgeübt werden, er ist jedoch nicht in der Lage, die genannten Strategien gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen (vgl. Pfahl-Traughber 2016, 17; Waldmann 2005, 12).Bei den Akteuren handelt es sich um einen Zusammenschluss von Handlungswilligen, die sich in annähernd bürokratischen Strukturen organisieren, wobei Hierarchien und informelle Abhängigkeiten entstehen. In den meisten Fällen verfügen diese Gruppierungen über eine "geringe quantitative Dimension […] handelt es sich doch überwiegend um kleinere Personenzusammenschlüsse von wenigen Aktivisten" (Pfahl Traughber 2016, 12).Diese agieren im Untergrund, da sie weder über den erforderlichen Rückhalt innerhalb einer Bevölkerung noch über die erforderliche Kampfstärke verfügen. Am Beispiel von Al-Qaida in Afghanistan wird deutlich, dass ein Hervortreten aus dem Untergrund, beispielsweise durch die Errichtung von Lagern, das Risiko impliziert "angegriffen und vernichtet zu werden" (Waldmann 2006, 13).Hinsichtlich der Bezeichnung werden im Sprachgebrauch zwei Arten von Terrorismus, der internationale und der transnationale Terrorismus, unterschieden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob das Phänomen des Terrorismus eher als international oder transnational zu bezeichnen ist. Nach Steinberg zeigt sich aus historischer Sicht ein fließender Übergang von dem internationalen Terrorismus hin zum transnationalen Terrorismus.Der internationale Terrorismus zeichnet sich in erster Linie durch "zahlreiche grenzüberschreitende Aktionen [aus], bei denen häufig vollkommen unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger fremder Staaten zu Schaden kamen." (Steinberg 2015). Ferner ist für den internationalen Terrorismus charakteristisch, dass die terroristischen Aktivitäten durch Staaten unterstützt werden. Zu den Unterstützerstaaten in der Vergangenheit zählten insbesondere Verbündete der ehemaligen Sowjetunion wie beispielsweise Syrien oder Libyen.Als historisches Beispiel für den internationalen Terrorismus gelten die Attentate auf israelische Sportler*innen während der Olympischen Spielen in München 1972 durch palästinensische Terroristen. Mit dem Fall der UdSSR verloren diese Staaten ihren Schutz vor Sanktionen westlicher Nationen. Damit endete nach und nach auch die Unterstützung terroristischer Gruppierungen. Es folgte ein fließender Übergang vom internationalen Terrorismus hin zum transnationalen Terrorismus.Der Unterschied besteht darin, dass die terroristischen Aktivitäten nicht mehr durch einen Staat unterstützt werden. Die Gruppierungen werden privat mit Geld und Waffen unterstützt oder bauen eigene, substaatliche Logistik- und Finanzierungsnetzwerke auf. Der Terrorismus gilt zudem als transnational, "weil sich die terroristischen Gruppen auf substaatlicher Ebene länderübergreifend miteinander vernetzen und sich dementsprechend aus den Angehörigen verschiedener Nationalitäten zusammensetzen" (Steinberg 2015).Basierend auf diesen Erkenntnissen ist ab den 1990er Jahren nicht mehr von internationalem Terrorismus, sondern vielmehr von transnationalem Terrorismus zu sprechen (vgl. Steinberg 2015). Dies hat auch Auswirkungen auf die Organisationsstrukturen terroristischer Gruppierungen. Sie zeichnen sich durch "Dezentralisierung, Entterritorialisierung und durch Überlagerung und Fragmentierung zwischen wechselnden, funktional orientierten Akteuren aus" (Behr 2017, 150).Ein Beispiel für den Übergang von einer internationalen Organisation hin zu einem transnationalen Netzwerk stellt die im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 stehende Terrorgruppe Al-Qaida dar. Vor den Anschlägen galt sie als eine internationale Organisation, die über ein "recht einheitliches Gebilde" (Hoffmann 2006, 425) verfügt. In Folge der Reaktionen auf die Anschläge entwickelte sie sich als eine transnationale Bewegung "mit gleich gesinnten Vertretern an vielen Orten, die über ein ideologisches und motivierendes Zentrum locker miteinander verbunden sind, aber die Ziele dieses noch verbleibenden Zentrums gleichzeitig und unabhängig voneinander verfolgen" (Hoffmann 2006, 425).Nach Vasilache ist "der gebräuchliche Terminus des internationalen Terrorismus irreführend, da er keine gängige Strategie eines Staates gegen einen anderen, sondern ein transnationales Phänomen ist, das vor Staatsgrenzen nicht halt macht" (Vasilache 2006, 151). Als Begründung führt er an, dass terroristische Anschläge oftmals von einzelnen Gruppierungen ausgehen, wobei auf die unterschiedlichen Motive in einem nächsten Schritt eingegangen wird. Weiterhin begründet er seine Aussage mit der Tatsache, dass das Ziel von staatlich initiiertem Terrorismus nicht direkt ein anderer Staat ist, sondern vielmehr zivile Ziele verdeckt attackiert werden (vgl. Vasilache 2006, 151).Anders als Steinberg spricht Vasilache also nicht von einer historischen Veränderung vom internationalen Terrorismus hin zum transnationalen Terrorismus, sondern bezeichnet das Phänomen Terrorismus generell als transnational. Da beide in der Ansicht übereinstimmen, zum Zeitpunkt der Anschläge am 11. September 2001 handele es sich um die transnationale Form des Terrorismus, wird im weiteren Verlauf von transnationalem Terrorismus gesprochen.Im Hinblick auf die Motive terroristischer Gruppierungen können im Wesentlichen vier Motive benannt werden, die sich überschneiden oder einander angleichen können. In diesem Zusammenhang wird von der Tatsache ausgegangen, dass terroristische Gruppierungen mit ihren Zielen und ideologischen Rechtfertigungen nicht zufällig entstehen, "sondern einen bestimmten gesellschaftlich-historischen Hintergrund widerspiegelt, der seinerseits wieder durch ihr Vorgehen eine spezifische Aktivierung erfährt" (Waldmann 2005, 100).Der sozialrevolutionäre Terrorismus möchte die politischen und gesellschaftlichen Strukturen nach der Ideologie von Karl Marx verändern (vgl. Waldmann 2005, 99). Ein Beispiel hierfür stellt die Rote Armee Fraktion (kurz: RAF) dar, die in den 1970er Jahren in Deutschland terroristische Anschläge verübte.Wenn unterdrückte Völker oder Minderheiten das Ziel von mehr politischer Autonomie oder staatlicher Eigenständigkeit mit terroristischen Strategien verfolgen, handelt es sich um ethnisch-nationalistischen Terrorismus. Als Exempel hierfür kommt die baskische ETA infrage, die aus einer Studierendenorganisation heraus entstanden ist und sich in den 1960er Jahren zunehmend radikalisierte (vgl. Waldmann 2005, 103f.).Unter die dritte Form des Terrorismus, "der militante Rechtsradikalismus" (Waldmann 2005, 115), fallen unterschiedliche Gruppen wie beispielsweise die Ku-Klux-Klan-Bewegung in Amerika. Trotz der unterschiedlichen Ausprägungen können bei all diesen Gruppen im Wesentlichen zwei Merkmale ausgemacht werden: zunächst einmal kämpfen sie für den Erhalt bestehender Strukturen und wollen keine strukturellen Veränderungen hervorrufen. Zudem richtet sich diese Form des Terrorismus in erster Linie nicht gegen das politische System, sondern vielmehr gegen einzelne Gruppen der Gesellschaft (vgl. ebd., 115). Ferner kennzeichnet den rechtsradikalen Terrorismus auch eine andere Strategie und eine andere Erscheinungsform. Bei den Aktivisten handelt es sich um "Teilzeitterroristen" (ebd., 117), die typischerweise in ihrer Freizeit agieren. Ihre Aktivitäten sind nicht im Untergrund, sondern werden vielmehr offen durchgeführt. Hinzu kommt, dass die Anschläge teils geplant und teils spontan erfolgen, mit dem Ziel, die Opfer zum Verlassen des Ortes oder Landes zu bewegen (vgl. ebd., 117f.).Bei der vierten Form des Terrorismus handelt es sich um religiös motivierten Terrorismus. Beispiel hierfür ist die bereits mehrfach angesprochene Terrorgruppe Al-Qaida. Sie entstand als Reaktion auf den Angriff der Sowjetunion auf Afghanistan Ende der 1970er Jahre. Die Brutalität der Invasion sorgte für eine große Solidarität innerhalb der islamischen Welt und führte zu einem Zuzug von zahlreichen islamischen Glaubenskämpfer*innen aus anderen Ländern, darunter auch Osama Bin Laden. Dieser gewann im Laufe der 1980er Jahre immer mehr an Einfluss und gründete mit dem Abzug der Sowjets Ende des Jahrzehnts Al Qaida mit dem Ziel, an einer anderen Front weiterzukämpfen. Es erfolgte ein Strategiewechsel "des Djihads nach innen, gegen verräterische Herrscher in den islamischen Staaten, auf die Strategie eines Djihads nach außen, gegen den Westen" (ebd., 152).Ein definitorisches Problem von Terrorismus ergibt sich aus der Tatsache, dass auf der internationalen Ebene bislang keine einheitliche Definition gefunden wurde. Im Rahmen der Resolution 1566 aus dem Jahr 2004 definierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Begriff Terrorismus wie folgt als "Straftaten […], die mit dem Ziel begangen werden, die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzten, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen […]" (UN-Resolution1566 2004).Neben dieser existieren weitere nationale und internationale Definitionen, wie unter anderem die der Europäischen Union oder die Definitionen einzelner amerikanischer Behörden. Auf der politischen Ebene können die Schwierigkeiten hinsichtlich einer einheitlichen Definition anhand folgender Punkte näher beleuchtet werden: zunächst einmal werden Handlungen von unterschiedlichen Staaten unterschiedlich eingestuft. Für die einen handelt es sich um gewalttätige terroristische Angriffe; andere stufen die Aktivitäten als politisch legitimierte Handlungen in Ausübung des Selbstverteidigungsrechts während eines nationalen Befreiungskampfes ein.Ferner herrscht Uneinigkeit darüber, ob eine Definition auch den Staatsterrorismus umfassen sollte oder ob sie lediglich die motivationalen Hintergründe der Täter umfasst. Anhand der genannten Schwierigkeiten wird deutlich, dass die Einschätzung, ob es sich bei der Bedrohung um eine terroristische Bedrohung handelt und ob es sich bei der Organisation um eine terroristische Organisation handelt, dem nationalen Verständnis oder dem Verständnis der jeweiligen Institution unterliegt. Folglich könnte die Klassifizierung missbraucht werden, um ungewünschte innerstaatliche Gruppierungen oder andere mit dem Begriff zu stigmatisieren und deren Verfolgung zu rechtfertigen (vgl. Finke/Wandscher 2001, 168; Kaim 2011, 6).Abschließend gilt es noch zu klären, ob terroristische Aktivitäten als Kriegshandlungen bezeichnet werden können oder ob vielmehr eine Trennung der beiden Begriffe erforderlich ist. Als unmittelbare Reaktion auf die Anschläge des 11. Septembers bekundete Amerika immer wieder seinen Krieg gegen den Terror. Neben Präsident Bushs "global war on terror" sprach auch der amerikanische Verteidigungsminister Donald H. Rumsfeld im Zuge der Anschläge von einer neuen Kriegsart, "die sich vor allem neuer Technologien bedienen, asymetrisch verfahren und deswegen auch nicht leicht zu erkennen sein würde" (Czempiel 2003, 113).Diese Verwendung des Kriegsbegriffes in Verbindung mit terroristischen Anschlägen offenbart einen strategischen Zug der US-Regierung. "Dehnt man den Kriegsbegriff auf terroristische Akte aus, legitimiert dies den Angegriffenen auch zu Kriegshandlungen" (Geis 2006, 12). Der Regierung ist es infolgedessen möglich, über rechtsstaatliche Mittel hinaus Maßnahmen zu ergreifen und sie kann zudem von einer breiten Unterstützung innerhalb der eigenen Bevölkerung ausgehen (vgl. Geis 2006, 12). Bei der Frage, ob der transnationale Terrorismus als eine Form des Krieges bezeichnet werden kann, offenbart sich aus politikwissenschaftlicher Sicht eine erhebliche Kontroverse.Neben der Kategorisierung zwischen den alten und neuen Kriegen existiert auch die Unterscheidung zwischen großen und kleinen Kriegen. Diese "basiert auf der Art der Vergesellschaftungsform der Kriegführenden" (Geis 2006, 21). Im Fall des großen Krieges sind die Akteure in gleichem Maß vergesellschaftet, ein Staat kämpft gegen einen anderen Staat. Im Falle eines kleinen Krieges besteht eine "asymetrische Konfliktstruktur zwischen ungleich vergesellschaftlichen Akteuren: Staatliche Kombattanten treffen auf nichtstaatliche Kämpfer" (Geis 2006, 21).Ob unter die kleinen Kriege auch der Terrorismus zu subsumieren ist, ist jedoch umstritten. Zunächst einmal wird dagegen angeführt, dass der Preis auf normativer Ebene zu hoch sei. Eine Unterscheidung beider bedeutet einen Fortschritt des Völkerrechts, da die Trennung immer eine Unterscheidung zwischen politisch legitimierter Gewalt im Zuge einer Kriegshandlung und illegitimer Gewalt, ausgeübt im Zuge eines Verbrechens, ermöglicht.Hinzu kommen Bedenken "bezüglich der Folgen eines ungehegten Counterterrorismus der angegriffenen Staaten" (Geis 2006, 22). In einem permanenten Kriegszustand hätten demokratische Staaten die Möglichkeit, die Erweiterung des Sicherheitsapparates und Bürgerrechtseinschränkungen zu legitimieren (vgl. ebd., 21f.). Als weiteres Argument wird angeführt, dass eine Trennung beider Begriffe aus analytischer Sicht sinnvoll sei, da es sich beim Terrorismus primär um eine Kommunikationsstrategie handele. Dieser fehlen neben der territorialen Dimension auch die wechselseitig beständige Gewaltanwendung und das Charakteristikum eines Massenkonflikts (vgl. ebd., 23).Für eine Subsumierung des Terrorismus unter den Kriegsbegriff spricht insbesonders die Sichtweise der Vereinten Nationen, die im Zuge der Anschläge vom 11. September 2001 den Vereinigten Staaten von Amerika das Recht auf Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta zugesprochen hat (vgl. Resolution 1373 2001). Auf diese Tatsache wird zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal eingegangen. Anschließend wird der Sichtweise der Vereinten Nationen gefolgt und folglich der Terrorismus unter den Begriff des Krieges subsumiert.Reaktionen der Vereinten Nationen auf Terrorismus vor dem 11. September 2001In einem nächsten Schritt gilt es, auf die Reaktionen der Vereinten Nationen auf das Phänomen des Terrorismus vor dem 11. September 2001 einzugehen. Hierbei wird zunächst auf das unterschiedliche Verständnis in Bezug auf den Sicherheitsbegriff näher eingegangen. Seit den 1970er Jahren gilt nicht mehr nur die politische Souveränität und die territoriale Integrität der einzelnen Staaten als das zu schützende Objekt der Sicherheitspolitik.Neben der zu schützenden staatlichen Sicherheit geriet auch die Gesellschaft, definiert als ein "Zusammenschluss von Individuen" (Kaim 2011, 3), in den Mittelpunkt sicherheitspolitischen Handelns. In den 1990er Jahren erfolgte die Aufnahme einer weiteren Dimension in Gestalt der menschlichen Sicherheit in den Diskurs rund um den Sicherheitsbegriff und die damit verbundenen Aufgaben. Nach diesem Verständnis ist die Sicherheit, die Freiheit und der Wohlstand des Individuums zu schützen. Es zeigt sich jedoch, dass die Dimensionen in der politischen Praxis nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Der Schutz des Individuums umfasst ebenso die Gesellschaft, in der es lebt, und letzlich auch den Staat (vgl. Kaim 2011, 3f.).Aus sicherheitspolitischer Perspektive gilt der "Terrorismus als entterritorialisiertes Sicherheitsrisiko" (Behr 2017, 151), das zu drei Konsequenzen führt. Zunächst einmal sind terroristische Aktivitäten nicht voraussagbar. Es besteht das Risiko, dass sie sich zu jeder Zeit an jedem Ort ereignen können. Hinzu kommt, dass die Akteure anders als Staaten keine politische Einheit darstellen. Vielmehr ereignen sich einzelne, verstreut zusammenhängende Handlungen ohne einen genau ausmachbaren Anfang oder Ende. Folglich kann auf das sicherheitspolitische Risiko Terrorismus nur reagiert werden, wenn die Maßnahmen "Handlungs- und Organisationslogiken transnationaler Politik erfassen und übernehmen" (Behr 2017, 151).Die Problematik des transnationalen Terrorismus als Herausforderung für die Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen führte zu einer Reihe von Abkommen mit der Intention der Beseitigung und Bekämpfung der Problematik. In diesem Zusammenhang kristallisierte sich ein pragmatischer Ansatz heraus. "[B]esonders häufig auftretende terroristische Aktivitäten [wurden] zum Gegenstand spezifischer Konventionen gemacht" (Finke/Wandscher 2001, 169).Nahezu alle von der Generalversammlung und den Sonderorganisationen verabschiedeten Abkommen können aufgrund bestimmter Kernelemente als Antiterrorkonventionen bezeichnet werden. Zu den besagten Kernelementen gehört zunächst einmal die Verpflichtung der Vertragsstaaten, die in dem jeweiligen Abkommen genannte strafbare Handlung in das jeweilige innerstaatliche Recht aufzunehmen und angemessen zu bestrafen.Hinzu kommt, dass verdächtige Personen entweder durch den Staat selbst zu verfolgen sind oder an einen anderen, verfolgungswilligen Staat ausgeliefert werden müssen. Eine Auslieferung kann nur dann verweigert werden, wenn das Auslieferungsgesuch aufgrund religiöser, ethischer, nationaler, rassistischer oder politischer Gründe erfolgt ist. Ferner sind die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, untereinander zu kooperieren und sich gegenseitig Rechtshilfe zu gewähren (vgl. Finke/Wandscher 2001, 169).Das erste derartige Übereinkommen stellt das Haager Abkommen von 1970 zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen dar. Darauf folgte das Montrealer Abkommen von 1971 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt (vgl. ebd., 169). Die besagten Abkommen ordnen bestimmten Aktivitäten zwar das Adjektiv terroristisch zu, stufen diese jedoch nicht als Bedrohung des Weltfriedens ein oder führen zu der Anordnung von Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta durch den Sicherheitsrat.Dies änderte sich mit der Explosion einer Bombe an Bord des Pan-American-Flugs 103 über der schottischen Ortschaft Lockerbie im Jahr 1988. Hier wurden zwei Staatsangehörige Libyens für die Anschläge verantwortlich gemacht, und das Land von den Vereinigten Staaten und Großbritannien zu deren Auslieferung aufgefordert. Der libysche Staat verweigerte das. Als Reaktion darauf wurde der Terrorakt im Rahmen der Resolution 731 durch den Sicherheitsrat als Bedrohung des Weltfriedens gemäß Kapitel V Artikel 24 eingestuft.Durch Resolution 748, ebenfalls 1992 verabschiedet, wurde die Nichtauslieferung durch Libyen als "eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" (Finke/Wandscher 2001, 171) bezeichnet und Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII UN-Charta gegen das Land erlassen (vgl. Behr 2017, 147; Finke/Wandscher 2001, 170f.).Der Einsatz von Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta erwies sich als wirksames Mittel der Terrorismusbekämpfung im Hinblick auf die Durchsetzung bestimmter Maßnahmen. Hierunter fallen insbesonders Maßnahmen, die zwar Gegenstand geltender Antiterrorkonventionen sind, diese durch die betreffenden Staaten jedoch nicht ratifiziert wurden oder die Konvention selbst noch nicht in Kraft getreten ist (vgl. Finke/Wandscher 2001, 171).Diese Strategie des Sicherheitsrates etablierte sich insbesonders hinsichtlich der Situation in Afghanistan. In Folge der Anschläge auf amerikanische Botschaften in Nairobi und Daressalam erließ der Sicherheitsrat mit der Resolution 1267 Individualsanktionen gegen die afghanischen Taliban. Der Grund hierfür war die Tatsache, dass diese den Verantwortlichen für die Anschläge, der Terrorgruppe Al-Qaida und ihrem Anführer Osama bin Laden, Unterstützung gewährte.Insbesonders durch das Einfrieren der finanziellen Mittel, aber auch durch ein Waffenembargo und ein Reiseverbot, sollten diese zur Auslieferung Bin Ladens gezwungen werden. Um die Umsetzung dieser Maßnahmen zu gewährleisten, setzte die Resolution zudem einen Unterausschuss des Sicherheitsrates ein (vgl. Kreuder-Sonnen 2017, 159).Direkte Reaktionen der Staatengemeinschaft auf den 11. September 2001Als erste Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 wurde vom Sicherheitsrat bereits am Tag nach den Anschlägen die Resolution 1368 erlassen. In dieser wurde der Terrorismus einstimmig als "Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" (UN-Resolution 1368 2001) im Sinne von Art. 39 UN-Charta bezeichnet. Zugleich wurde auf das Recht zur individuellen und zur kollektiven Selbstverteidigung verwiesen (vgl. UN-Resolution 1368 2001).Noch im gleichen Monat, am 28 September 2001, wurde das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung mit Resolution 1373 bekräftigt und die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, "durch terroristische Handlungen verursachte Bedrohungen […] mit allen Mitteln im Einklang mit der Charta zu bekämpfen" (Resolution 1373 2001).Neben dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen reagierte auch der Nordatlantikrat umgehend. Am 12. September erklärte der damalige Generalsekretär George Robertson die Anschläge zum kollektiven Verteidigungsfall, wodurch Artikel 5 des NATO-Vertrages in Kraft trat. Nach diesem ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, mit von ihm ausgewählten Mitteln zu helfen (vgl. Robertson 2001).Aus amerikanischer Sicht dienten die Anschläge nicht nur dem Zweck der Tötung von amerikanischen Zivilisten, "Bush sah darin die gesamte westliche Zivilisation herausgefordert" (Czempiel 2003, 114). In seiner Rede am 20. September 2001 warnte der amerikanische Präsident alle Staaten hinsichtlich der Unterstützung und der Beherbergung von Terroristen. Innerhalb der Regierung wurde hinsichtlich der Bekämpfungsstrategie "offen von Präemption gesprochen" (Czempiel 2003, 115).Als Adressaten der amerikanischen Drohung kamen insgesamt 60 Länder mit aktiven terroristischen Organisationen in Frage (vgl. ebd., 114). Auch wenn die meisten Attentäter der Anschläge ursprünglich aus Saudi-Arabien stammten, erhärtete sich zunehmend der Verdacht, dass ihre Aktivitäten von Afghanistan aus gelenkt wurden. Im Zuge dessen wurde das Land als "Prototyp" (ebd., 115) für die Terrorismusbekämpfung ausgewählt. Mit der Operation "Enduring Freedom" starteten amerikanische und britische Truppen am 7. Oktober 2001 Angriffe auf Talibanstützpunkte wie etwa auf Regierungsgebäude in Kandahar und Kabul (vgl. Bruha/ Bortfeld 2001, 162; Czempiel 2003, 115).Der Umstand, dass sich am Tag nach den Anschlägen der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit diesen befasste "ist ein erstaunlicher Beweis für die politische Klugheit der USA" (Tomuschat 2002, 20) hinsichtlich der Legitimation der Reaktion auf diese. In diesem Zusammenhang gilt es sich jedoch zu fragen, ob die genannten Resolutionen das Land tatsächlich zu einem Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 UN-Charta legitimieren.In Resolution 1368 findet sich in Bezug darauf ein entscheidender Widerspruch, welcher die rechtlich bedeutsamen Aussagen schwer greifbar macht. Dieser bekräftigt das Recht auf individuelle und kollektive Sicherheit im Sinne der Charta, bezeichnet die Angriffe jedoch lediglich als eine Bedrohung des globalen Friedens und der Sicherheit. Die bekundete Entschlossenheit, die Bedrohung "mit allen Mitteln zu bekämpfen" (UN 2001, 315), kann nicht als eine Ermächtigung für einzelne Staaten aufgefasst werden, sondern steht für die grundsätzliche Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft.Anders als Resolution 1368 enthält Resolution 1373 mehr rechtlich eindeutige Aussagen. Bereits in der Präambel wird auf die Anwendung der Maßnahmen gemäß Kapitel VII UN-Charta verwiesen. Zudem bestätigt sie die Zulässigkeit des Einsatzes "aller Mittel" durch die Opfer von terroristischen Anschlägen (vgl. UN 2001, 316f.). Es zeigt sich also, dass eine Berechtigung zu der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 UN-Charta durch die Vereinigten Staaten im Rahmen der genannten Resolution durchaus vorliegt (vgl. Tomuschat 2002, 20f.).Nun stellt sich die Frage, ob die Verbindungen zwischen den Anschlägen und dem Taliban-Regime derart offensichtlich waren, dass die militärischen Aktionen gegen die Taliban in Afghanistan unter die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts fallen. In diesem Zusammenhang kann man sich nicht auf die genannten Resolutionen berufen, da diese nicht aufzeigen, "gegen wen Gegenwehr zulässig sein soll" (Tomuschat 2002, 21). Folglich gilt es, die Reaktionen des Sicherheitsrates und der Generalversammlung näher zu betrachten.Es zeigt sich, dass beide Institutionen die amerikanisch-britische Militärintervention nicht verurteilten. Vielmehr verabschiedete der Sicherheitsrat am 12. November 2001 einstimmig Resolution 1377. In dieser wurde der Terrorismus als "eine der schwerwiegendsten Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im 21. Jahrhundert" (UN-Resolution 1377 2001) bezeichnet. Mit dieser Qualifikation wurde implizit der Einsatz von äußersten Mitteln gestattet, da die Resolution keine "Grenzen und Schranken von Gegenmaßnahmen enthält" (Tomuschat 2002, 21). Letztendlich kann man also davon ausgehen, dass die Vereinten Nationen die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 UN-Charta durch die USA als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 zumindest implizit gebilligt haben (vgl. Tomuschat 2002, 21f.).Als Reaktion auf die Anschläge wurden die bislang geltenden Individualsanktionen gegen die afghanischen Taliban und das Terrornetzwerk Al-Qaida mithilfe der Resolution 1390 zu allgemeinen, dauerhaft geltenden Maßnahmen gegen den transnationalen Terrorismus umgewandelt. Damit wurde nicht nur der Adressatenkreis erweitert, es wurde zusätzlich auch die räumliche und die zeitliche Begrenzung aufgehoben.Jede Person, die von einem Staat als Terrorverdächtiger genannt wurde, bekam ab diesem Zeitpunkt die Sanktionen im Hinblick auf das Privatleben, das private Eigentum, auf den Sozialstatus und das Unterhalten von geschäftlichen Beziehungen zu spüren. Fundierte Beweise für eine Aufnahme in die sogenannte "Schwarze Liste" (Kreuder-Sonnen 2017, 160) durch die Staaten waren ebenso wenig notwendig wie eine Begründung gegenüber dem Individuum (vgl. Kreuder- Sonnen 2017, 160).Folgen für die SicherheitspolitikAngesichts der aufgezeigten Gegenmaßnahmen als direkte Reaktion auf die Anschlage des 11. Septembers 2001 wird deutlich, dass man "bezüglich der Reaktion auf den Terrorismus von einer neuen Ära" (Waldmann 2005, 229) ausgehen muss. Es zeigt sich, dass sowohl bei diesen Anschlägen als auch bei terroristischen Anschlägen in den Folgejahren "die durchschnittliche Zahl der Opfer pro Anschlag […] kontinuierlich ansteigt" (Waldmann 2005. 16).Infolgedessen spricht auch Waldmann im Kontext von terroristischen Anschlägen von Kriegshandlungen. Seiner Ansicht nach hat das zunehmende Ausmaß der Anschläge dazu geführt, dass diese nicht mehr als `low intensity´ war, sondern vielmehr als `high intensitiy´ war eingestuft werden müssen. Der Grund hierfür ist seiner Ansicht nach die Tatsache, dass der Begriff des low intensity war neben dem fehlenden Einsatz von konventionellem Kriegsgerät und größeren Truppenverbänden auch einen begrenzten Personen- und Sachschaden impliziert (vgl. Waldmann 2005, 16f.).Auf der internationalen Ebene spiegelten sich die Reaktionen auf das zunehmende Ausmaß der Anschläge vor allem in den zahlreich erlassenen Konventionen und Resolutionen wieder. Hinzu kommt die Tatsache, dass terroristische Anschläge erstmals zu militärischen Interventionen in Länder geführt haben, die sich in erheblicher Entfernung von dem betroffenen Land befinden. Zumindest im Fall von der militärischen Intervention in Afghanistan herrschte eine seltene Einigkeit zwischen den Großmächten im Sicherheitsrat.Ferner führten die Ereignisse zu einem erheblichen Medieninteresse (vgl. Waldmann 2005, 229). Anhand dessen lässt sich "[d]ie neue Einschätzung des gewaltigen, vor allem dem internationalen Terrorismus zugeschriebenen Drohpotentials" (ebd., 230) feststellen. Diese führte zu drei als signifikant zu bezeichnenden Veränderungen im Hinblick auf die Politik und die Einstellung in Bezug auf den Terrorismus (vgl. ebd., 230).Zunächst einmal bewirkte der transnationale Terrorismus in den westlichen Nationen nicht nur einen "politischen Rechtsruck" (ebd., 230) aller regierenden Parteien. Er wirkte sich auch auf alle Ebenen der Gesellschaft aus. Dieser Wandel auf der nationalen Ebene wirkte sich auch auf die Entscheidungen internationaler Gremien aus. Die bislang vorhandene Balance zwischen der individuellen und kollektiven Sicherheit auf der einen Seite und den Grund- und Freiheitsrechten auf der anderen Seite hat sich zunehmend zugunsten des Sicherheitsaspektes verschoben (vgl. ebd., 230).Insbesonders um den Informationsaustausch zwischen den Staaten gewährleisten zu können und damit ein gemeinsames Vorgehen gegen die Bedrohung zu ermöglichen, wurden internationale Instanzen zur Koordinierung geschaffen (vgl. Behr 2017, 151; Waldmann 2005, 231). Ferner erfolgte eine erhöhte Aufmerksamkeit und Ressourcenbereitstellung für national und international agierende Behörden hinsichtlich terroristischer Aktivitäten und damit verbunden eine Reihe neuer, zu diesem Zweck erlassener Gesetze.Neben dem Informationsaustausch wurden auch die Möglichkeiten der Polizei und anderer Instanzen erweitert, um Anschläge bereits im Planungs- und Vorbereitungsstadium erkennen und verhindern zu können. Hierzu gehören beispielsweise Einreiseverbote für Mitglieder islamistischer Gruppierungen. Neben den erweiterten präventiven Maßnahmen wurden auch Notfallszenarien entwickelt, die im Fall eines Anschlags in Kraft treten (vgl. Waldmann 2005, 232).Im Hinblick auf die dargestellten Veränderungen stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, inwiefern weitere Maßnahmen aus der Sicht der Vereinten Nationen erforderlich sein könnten. Nach dem Terrorismusexperten Peter Waldmann "wird keine Unterscheidung zwischen Maßnahmen auf der nationalen und der internationalen Ebene getroffen, weil beide längst immer enger ineinander greifen und in die gleiche Richtung zielen" (Waldmann 2005, 239).Als zentrale Handlungsmaxime benennt Waldmann in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Strategien gegenüber terroristischen Netzwerken beziehungsweise dem Terrorismus im Allgemeinen "klar, konsistent und glaubhaft" (Waldmann 2005, 239) sein sollen. Hinsichtlich des Umgangs mit dem islamistischen Terrorismus besteht die größte Problematik darin, dass westliche Nationen ihre Glaubhaftigkeit bezüglich ihrer Leitlinien teilweise verlieren. Insbesonders den Vereinigten Staaten von Amerika wird vorgeworfen, dass sie ihren Prinzipien der Demokratie, des Grundrechtsschutz und der Rechtsstaatlichkeit zugunsten von politischen und wirtschaftlichen Interessen teilweise nicht treu sind (vgl. ebd., 240)."Dass sie aus machtpolitischen Erwägungen jederzeit dazu bereit sind, mit Diktaturen Bündnisse zu schließen, und hinter ihrem quasi messianischen Diskurs, es gelte in der ganzen Welt demokratische Verhältnisse herzustellen, nun allzu deutlich das dringende Bestreben durchscheint, der eigenen Wirtschaft lukrative neue Erdölfelder zu erschließen." (Waldmann 2005, 240).Hinsichtlich der Maßnahmen auf der internationalen Ebene gilt es zunächst auf die Transnationalität näher einzugehen. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei terroristischen Gruppen in den meisten Fällen nicht um eine Gruppe aus einem Land, sondern um Angehörige unterschiedlicher Länder, die sich länderübergreifend miteinander vernetzt haben. Um dem begegnen zu können, erscheint es unabdingbar, dass auch Staaten grenzübergreifend miteinander kooperieren. Dies würde eine erhebliche Bereitschaft der Teilnehmenden zu einem Teilverzicht auf ihre staatlichen Souveränitätsräume und ihrer Souveränitätsrechte bedeuten.Hinsichtlich der nationalen und internationalen Rechtsordnungen im Allgemeinen verlangen transnationale Rechtsverstöße auch eine entsprechende Weiterentwicklung des Rechts auf internationaler Ebene. Transnationale Verbrechen können nicht durch an nationale Grenzen gebundenes Recht bekämpft werden, da aufgrund der unterschiedlichen Verfassungen rechtsfreie Sphären auf globaler Ebene entstehen. Folglich ist eine Ausweitung des transnationalen Rechts erforderlich. Hierfür müsste das Völkerrecht, bislang mit dem Staat als Rechtsperson und einer rechtlichen Bindung auf dem staatlichen Territorium, entterritorialisiert werden (vgl. Behr 2017, 151; Schmalenbach 2004, 266).Neben der Kooperation von Staaten und der Erweiterung des internationalen Rechts spricht Ernst-Otto Czempiel von einer "dreigeteilte[n] Strategie" (Czempiel 2003, 57) hinsichtlich der Verhinderung weiterer terroristischer Anschläge. Kurzfristig ist es die Aufgabe der Staaten, weitere Anschläge zu verhindern. In diesem Zusammenhang offenbart sich jedoch eine in demokratischen Staaten schwierige Güterabwägung hinsichtlich des Schutzes der kollektiven Sicherheit und der individuellen Freiheitsrechte (vgl. Czempiel 2003, 57).Die bürgerliche Freiheit stellt in demokratischen Staaten ein hohes Gut dar. Auf der anderen Seite würde der fortschreitende Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparates eine "allmähliche Aushöhlung der individuellen Grund- und Freiheitsrechte um des Schutzes angeblich höherwertiger Güter willen" (Waldmann 2005, 242) bedeuten. Die Folge wäre eine Entwicklung des Rechtsstaates hin zu einem "präventiven Sicherheitsstaat" (Waldmann 2005, 242) mit einer teilweisen Abkehr von demokratischen Grundsätzen (vgl. Hofmann 2006, 446; Waldmann 2005, 242).Infolgedessen gilt es mittelfristig, sich mit dem Hintergrund der Akteure auseinanderzusetzen. "Als besonders fruchtbare Brutstätte gelten die zahlreichen `failing states´, also die gescheiterten oder zerfallenen Staaten" (Czempiel 2003, 58). Am Beispiel Afghanistans wird deutlich, dass der Westen einen erheblichen Anteil an dem Scheitern des Landes und an der Entstehung der dort ansässigen Terrorgruppe hatte.Im Zuge des Konflikts mit der Sowjetunion hatte Amerika die Kämpfer unterstützt. Mit dem sowjetischen Abzug endete auch die amerikanische Unterstützung, und das zerstörte Land wurde ebenso wie die von Amerika ausgebildeten Kämpfer sich selbst überlassen. Es gründete sich die Terrorgruppe Al Qaida mit dem neuen Feind in Gestalt der USA. Die Entwicklungen in Afghanistan haben gezeigt, dass bei jeder Einmischung von außen neben den kurzfristigen auch die langfristigen Konsequenzen zu bedenken sind und dass "das Objekt der Einmischung auch politisch und wirtschaftlich davon profitiert" (Czempiel 2003, 58).Aus langfristiger Sicht gilt es, die "Quellen des Terrorismus auszutrocknen" (ebd., 58) und eine Veränderung des Kontextes zu erwirken. In diesem Zusammenhang ist die Stabilisierung der "failing states" von entscheidender Bedeutung. Czempiel spricht von einer Neuordnung der Welt, "die immer mehr als ein Quasi-Binnenraum begriffen und mit entsprechender Strategie bearbeitet werden muss" (ebd., 59). Neben der Verringerung der Dominanz des Westens ist eine Änderung der Werteverteilung und ein Lösen der großen Konflikte erforderlich (vgl. ebd., 59).FazitDie Anschläge in den Vereinigten Staaten von Amerika am 11. September 2001 wirkten sich nicht nur traumatisch auf das "Selbst- und Machtbewusstsein der USA" (Czempiel 2003, 40) aus, sie versetzten auch den Rest der Welt in "Angst und Schrecken" (Czempiel 2003, 40). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts erschien eine militärische Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten unwahrscheinlich. Vielmehr stellte der Terrorismus als eine "neue Bedrohung von innen durch gesellschaftliche Akteure" (ebd., 57) das größte sicherheitspolitische Risiko insbesonders für westliche Industriestaaten dar. (vgl. ebd., 57). "Der Terror soll Angst und Schrecken verbreiten, ein Gefühl allgemeiner Unsicherheit erzeugen und offene Panik auslösen" (Hofmann 2006, 445). Hinzu kommt, dass mit dieser Form der psychologischen Kriegsführung das Vertrauen innerhalb der Gesellschaft in die politische Führung und in den Staat im Allgemeinen zerstört werden soll.Aus historischer Sicht existiert das Phänomen des Terrorismus seit mehr als 2000 Jahren. "Er hat überlebt, weil es ihm gelungen ist, sich immer wieder an die veränderten Bedingungen und Gegenmaßnahmen anzupassen und die verwundbaren Stellen seines Gegners ausfindig zu machen, um sie für seine Zwecke zu nutzen" (Hofmann 2006, 446). Entsprechend muss bei Gegenmaßnahmen "das gesamte Spektrum der verfügbaren Mitteln […], psychologische und physische, diplomatische und militärische, ökonomische und moralische" (ebd., 445) eingesetzt werden.Es gilt nun abschließend eine Antwort auf die Frage zu finden, inwiefern die Anschläge im Herbst 2001 die Sicherheitspolitik der Vereinten Nationen verändert haben. Kurzfristig führten diese zu einer seltenen Einigkeit der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, was sich in den zahlreichen erlassenen Resolutionen wiederspiegelt. Darunter fällt auch die Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft die Militärintervention in Afghanistan nicht verurteilte, sondern vielmehr den Vereinigten Staaten ihr Recht auf Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta einstimmig zugestand.Es erwies sich jedoch hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit als problematisch, dass keine einheitliche Definition des Begriffs Terrorismus besteht. Das könnte dazu führen, dass wirtschaftliche Sanktionen oder militärische Aktionen zur Durchsetzung eigener Interessen fälschlicherweise als Terrorismusbekämpfung etikettiert werden.Generell zeigt sich, dass die Anschläge einen erheblichen innenpolitischen Rechtsruck bewirkten, der sich auch auf die Entscheidungen internationaler Gremien auswirkte. Das wurde durch erweiterte Befugnisse für die Polizei und andere Exekutivorgane in Fragen der nationalen und internationalen Sicherheit sichtbar.Mit der Resolution 70/291 stellte der amtierende UN-Generalsekretär Antonio Guterres am 22. Februar 2017 strategische Handlungsoptionen für die Terrorismusbekämpfung vor. Zunächst einmal soll die Effizienz der Vereinten Nationen im Bereich der Terrorbekämpfung allgemein gestärkt werden. Zudem soll die Qualität der Vereinten Nationen hinsichtlich der Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der UN-Terrorismusbekämpfungsstrategien hinterfragt werden. Hinzu kommt der Anstoß zu einer Debatte hinsichtlich der regionalen und internationalen Zusammenarbeit von Staaten und UN-Sonderorganisationen.Außerdem wurde Wladimir Iwanowitsch Woronkow auf Vorschlag von Guterres zur Umsetzung und Koordinierung der Vorschläge am 21. Juni 2017 als Untergeneralsekretär eingesetzt. Diese strategische Neuausrichtung wird als eine strategische Aufwertung der Terrorismusbekämpfung im Rahmen der Vereinten Nationen verstanden (vgl. Behr 2017, 152).Zusammenfassend zeigt sich also, dass sich die internationale Gemeinschaft der Tatsache bewusst ist, dass eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung des transnationalen Phänomens erforderlich ist. "Wenn wir den Terrorismus erfolgreich bekämpfen wollen, müssen wir ebenso unermüdlich, innovativ und dynamisch vorgehen wie unsere Gegner" (Hoffmann 2006, 446).LiteraturBehr, H. (2017): Die Antiterrorismuspolitik der UN seit dem Jahr 2001. In: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. [Hrsg.]: Terrorismusbekämpfung und die Vereinten Nationen. S. 147-151.Böhm, A. (2021): Die Gesetzte des Dschungels. In: ZEIT Geschichte 4/21. S 92-97.Czempiel, E.-O. (2003): Weltpolitik im Umbruch. Die Pax Americana, der Terrorismus und die Zukunft der internationalen Beziehungen. München: Verlag C.H.Beck oHG.Finke, J./ Wadscher, C. (2001): Terrorismusbekämpfung jenseits militärischer Gewalt. In: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. [Hrsg.]: Terrorismusbekämpfung und die Vereinten Nationen. S. 168-173.Geis, A. (2006): Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse. Zugriff am 09.03.2022 unter https://www.pw.ovgu.de/ipw_media/Downloads/Geis/Geis__Einleitung_Den_Krieg_berdenken_9_43-p-90.pdf.Hofmann, B. (2006): Terrorismus – der unerklärte Krieg. New York: Columbia University Press.Kahl, M. (2011):Die Militärstrategie der USA nach dem 11. September. In: Bundeszentrale für Politische Bildung [Hrsg.]: Aus Politik und Zeitgeschichte 27/2011. S. 19-24.Kaim, M. (2011): Internationale Sicherheitspolitik nach dem 11. September. In: Bundeszentrale für Politische Bildung [Hrsg.]: Aus Politik und Zeitgeschichte 27/2011. S. 3-9.Kreuder-Sonnen, C. (2017): Terrorismusbekämpfung und die Vereinten Nationen. In: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. [Hrsg.]: Terrorismusbekämpfung und die Vereinten Nationen. S. 159-163.Pfahl-Traughber, A. (2016): Terrorismus – Merkmale, Formen und Abgrenzungsprobleme. In: Bundeszentrale für Politische Bildung [Hrsg]:Aus Politik und Zeitgeschichte 24-25/ 2016. S. 10-19.Nato Press Releases (2001): Statement by the North Atlantic Council. Zugriff am 09.03.2022 unter https://www.nato.int/docu/pr/2001/p01-124e.htmSchmalenbach, K. (2017): Völker- und unionsrechtliche Anstöße zur Entterritorialisierung des Rechts. In: Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer [Hrsg]: Grenzüberschreitungen. Berlin: DeGruyter. S. 245-272.Steinberg, G. (2015): Transnationaler Terrorismus. Zugriff am 06.03.2022 unter https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/209663/transnationaler-terrorismus/.Tomuschat, C. (2002): Der 11. September 2001 und seine rechtlichen Konsequenzen. Zugriff am 22.02.2022. unter https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/26104/ssoar-2002-tomuschat-der_11_september_2001_und.pdf;jsessionid=A9D1D4BAEDCA16B97394171E0769C782?sequence=1.United Nation publication:(2001): Resolution 1373. Zugriff am 02.03.2022 unter https://www.un.org/depts/german/sr/sr_01-02/sr1368.pdf(2001): Resolution 1377. Zugriff am 26.02.2022 unter https://www.un.org/depts/german/sr/sr_01-02/sr1373.pdf(2002): Resolution 1390. Zugriff am 28.02.2022 unter https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_01-02/sr1390.pdf.(2004): Resolution 1566. Zugriff am 01.03.2022 unter https://www.un.org/depts/german/sr/sr_04-05/sr1566.pdf.Vasilache, A. (2006): Hobbes, der Terrorismus und die Angst in der Weltpolitik. Zugriff am 06.03.2022 unter https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/899/file/51_fb_vasilache.pdf.Waldmann, P. (2005): Terrorismus. Provokation der Macht. Hamburg: Murmann Verlag GmbH.
Die Inhalte der verlinkten Blogs und Blog Beiträge unterliegen in vielen Fällen keiner redaktionellen Kontrolle.
Warnung zur Verfügbarkeit
Eine dauerhafte Verfügbarkeit ist nicht garantiert und liegt vollumfänglich in den Händen der Herausgeber:innen. Bitte erstellen Sie sich selbständig eine Kopie falls Sie diese Quelle zitieren möchten.
"Deutschlands wirtschaftliches und politisches Gewicht verpflichtet uns, im Verbund mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern Verantwortung für die Sicherheit Europas zu übernehmen, um gemeinsam Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht zu verteidigen" (Angela Merkel: Bundesministerium der Verteidigung 2016, S. 6) Obwohl Angela Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin ist, sind die Leitlinien, die im Weißbuch 2016 für die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands festgelegt wurden, weiterhin elementar – oder nicht? Aber wie lässt sich ihre Aussage im Jahr 2022 verorten? Zeigt Deutschland Verantwortung für die EU, transnationale Partnerschaften und Völkerrecht? In diesem Beitrag soll das Verhältnis zwischen Deutschland und den Vereinten Nationen (VN) in den Blick genommen werden: Mit dem Wegfall des West-Ost-Konflikts, der Dekolonialisierung, dem Beitritt weiterer Staaten und der Veränderung des Krieges hin zu "Neuen Kriegen" (Hippler 2009, S. 3-8) ergeben sich neue Handlungsfelder und Herausforderungen, die die Vereinten Nationen in den Blick nehmen müssen.Je nach Ansicht fällt der größten Weltorganisation eine mehr oder weniger bedeutende Rolle in der internationalen Politik zu (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 295). Allerdings sind maßgeblich die Mitgliedsstaaten für das Gelingen der Vereinten Nationen und für die notwendigen Reformen zuständig, da sie als "klassische intergouvernementale Organisation" (ebd., S. 295) bezeichnet werden können.Die Forschungsfrage lautet daher, wie sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik international, im Rahmen der VN, verortet. Die deutsche Politik formuliert hierfür Ziele, die noch genauer zu untersuchen sind. Als eine Maßnahme, um die Zielerreichung zu gewährleisten, kann der MINUSMA-Einsatz in Mali angesehen werden, unter deutscher Beteiligung und von den Vereinten Nationen geführt. Es wird herausgearbeitet, inwiefern die deutsche Partizipation als Erfolg angesehen werden kann. Hierfür wird zuerst der theoretische Rahmen der Internationalen Beziehungen - der Grundzustand der Anarchie - erklärt und weitere Prämissen der VN, des VN-Peacekeepings, der historischen Rahmung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Einsatz selbst beschrieben, um am Ende zu einer elaborierten Aussage kommen zu können. 1. Theoretische Rahmung – Grundzustand AnarchieGareis und Varwick (2014, S. 67) konstatieren einen allgemeinen Anforderungswunsch an die VN, die eine 'Lücke' in der Ordnung der Internationalen Beziehungen füllen sollen. Aber von welcher 'Lücke' wird hier gesprochen? In der Politikwissenschaft gibt es verschiedene Ansätze, um die Beziehungen zwischen Staaten und das Wirken von internationalen Organisationen zu beschreiben. Die Prämisse bildet der Grundzustand von Anarchie, der wie folgt definiert werden kann: "Unter Anarchie wird in diesem Zusammenhang die für Kooperationschancen folgenreiche Struktur der Herrschaftslosigkeit bzw. der Nichtexistenz einer den Staaten übergeordneten, zentralen Autorität mit Handlungskompetenz verstanden" (Gareis & Varwick 2014, S. 67) Es gibt verschiedene Denkschulen, die den Grundzustand unterschiedlich gewichten und bewerten (vgl. Schimmelfennig, S. 63ff). Darunter sind zum Beispiel der Realismus, der Idealismus, der Institutionalismus und der Konstruktivismus zu nennen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 71). Um das Verhältnis zwischen den VN und Deutschland erklären zu können, ist es hilfreich, zu überlegen, an welcher Denkschule sich die Sicherheits- und Außenpolitik Deutschlands (schwerpunkt- und situationsbezogen) orientiert. Die Ansätze sind in ihrer Gesamtheit in diesem Beitrag nicht zu würdigen, daher werden einzelne Hauptdifferenzen geklärt, um für die Beantwortung der Forschungsfrage eine Richtlinie geben zu können. Die Beschreibung erfolgt idealtypisch: Im Realismus ist der Grundzustand besonders präsent und hauptsächlich staatliche Akteure sind für die Internationalen Beziehungen verantwortlich. Die Staaten haben ein starkes Eigeninteresse, das sich aus der Unsicherheit des Grundzustandes speist, und handeln nach eigenen Machterhaltungsvorstellungen. "In dieser Sichtweise erfüllen internationale Organisationen lediglich aus der Souveränität und den Interessen ihrer Mitglieder abgeleitete Funktionen" (ebd., S. 68). Damit wären Handlungsfelder und Möglichkeiten eng an die Vorgaben der Staaten gekoppelt. Frieden wird als Sicherheit-Erhalten verstanden und bedeutet, dass die Nationalstaaten durch Machtsicherung ihre Souveränität gewährleisten können. (vgl. ebd., S. 68 & 71) Im Idealismus soll der anarchische Grundzustand durch "Kooperationsformen" (ebd., S. 68) geregelt werden. Die Friedenssicherung läuft über einen stetigen Prozess über eine "universelle Gemeinschaft" (ebd., S. 69), die für alle Vorteile bringen kann. Damit wäre das Ziel, Konflikte nicht mehr mit Gewalt lösen zu müssen, anders als im Realismus, wo Krieg als natürliche Form besteht, durch die normative Regelung des Grundzustandes möglich. Internationale Organisationen können mit ihren Regelungen die Realisierung von Frieden darstellen. Damit sind nicht nur Staaten als Akteure zu sehen und statt Machterhaltungsvorgaben ist das Handeln auf ein Gemeinwohl konzentriert. (vgl. ebd., S. 69 & 71) In der Tradition des Institutionalismus sind internationale Kooperationen deutlich wahrscheinlicher als im Realismus. Außerdem ist ihr Einfluss auf Staaten bedeutend höher einzuschätzen. Demnach helfen sie zum Beispiel, Informationen über andere Staaten zu sammeln und können so beim Aufbau von Vertrauen mitwirken. (vgl. ebd., S. 69f) Die "Interdependenz" (Schimmelfennig 2010, S. 93) zwischen den Staaten wird als hoch angesehen und bedarf internationaler Regelwerke, die die Kooperationsmöglichkeiten regulieren. In diesem Sinne sind Staaten an friedlichen Lösungen interessiert und halten Krieg für nicht gewinnbringend bzw. sehen Machtkonzentration als weniger produktiv an als das Streben nach Gewinnen. Dadurch ist der Grundzustand der Anarchie zwar nicht auflösbar, allerdings soll im Laufe der Zeit eine Zivilisierung stattfinden. (vgl. ebd., S. 90) Der Konstruktivismus sieht den Grundzustand der Anarchie nicht als gegeben, sondern als eine Konstruktion von Wirklichkeit an. Dadurch ist es möglich, diesen Zustand zu verändern / aufzuheben. Damit sind die Akteure selbst für den Grundzustand verantwortlich. (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 70) Damit lautet eine Kernhypothese des Konstruktivismus: "Je größer die Übereinstimmung der Ideen von internationalen Akteuren und je stärker damit Gemeinschaft zwischen ihnen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Frieden und internationaler Kooperation" (Schimmelfennig 2010, S. 185) Es wären bspw. Staaten gemeint, die eine freundschaftliche Beziehung pflegen und unabhängig von Machtkonzentration Vertrauen aufbauen. (vgl. ebd., S. 184f) In den Denkschulen sind relativ konkrete Vorstellungen gegeben, wie eine internationale Organisation Einfluss und Machtkonzentration entwickeln kann oder sollte oder bereits beinhaltet. Die Vereinten Nationen können auf einen Blick als größte Organisation im internationalen Spektrum angesehen werden, denn sie haben aktuell 193 Mitgliedsstaaten (Stand 2022) (vgl. Die Vereinten Nationen im Überblick: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V., o. J.).2. Die Vereinten Nationen Bevor über die VN auf manche Aspekte schwerpunktmäßig eingegangen werden kann, ist knapp zu klären, was eine internationale Organisation wie die VN darstellt. Hierbei orientiert sich dieser Beitrag an Gareis und Varwicks (2014, S. 295) Konstruktion von einer "klassische[n] intergouvernementale[n] Organisation", deren Reformfähigkeit und Erfolge maßgeblich von den Mitgliedsstaaten abhängen – also auch von Deutschland. Es werden prinzipiell keine Souveränitätsrechte an die Organisation abgegeben, mit der Ausnahme, dass der Sicherheitsrat Zwangsmaßnahmen zur Friedenswahrung durchsetzen kann (vgl. ebd., S. 72).2.1 Grundlegende Kennzeichen der Vereinten Nationen Die Grundlagen der Vereinten Nationen können an zwei Hauptfaktoren exemplarisch aufgezeigt werden: Erstens ist der Friedensbegriff nicht nur als Abwesenheit von Krieg definiert, er schließt vielmehr das Wohlergehen der Menschen in den Staaten ein und geht somit über das Nationalstaats-Denken hinaus (positiver Friedensbegriff). Das zweite Konzept ist das System kollektiver Sicherheit, dadurch soll der erhöhte Druck, von allen Staaten bei einer Aggression automatisch angegriffen oder anderweitig verurteilt zu werden, die Friedensbedrohung reduzieren. (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 19-22 & 87-92) Dass das System der kollektiven Sicherheit nicht bedingt greift oder einigen Herausforderungen unterworfen ist, liegt bspw. an den neuen Kriegsformen (vgl. Hippler 2009, S. 3f). Gleichzeitig kann die aktuelle Invasion Russlands in die Ukraine (vgl. u.a. Russlands Angriff auf die Ukraine: Beckmann 2022) herangezogen werden, dass die Mechanismen bspw. für Supermächte weitere Schwierigkeiten in der Praxis aufzeigen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 89f). 2.2 Generalversammlung und Sicherheitsrat – wichtigste Gremien der VN Die Vereinten Nationen sind mittlerweile zu einer undurchsichtigen Ansammlung an offiziellen und inoffiziellen Strukturen geworden und sind unter dem Begriff VN-System sehr weit zu fassen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 21f). Allerdings sind nach wie vor zwei von sechs Hauptorganen hervorzuheben:In der Generalversammlung (GV) sitzen alle Mitgliedsstaaten und sind nach dem Prinzip der Gleichberechtigung mit jeweils einer Stimme ausgestattet. Hauptcharakteristikum ist, dass die Generalversammlung ein Forum für Gespräche bietet und somit als größtes Austauschforum auf der Welt bezeichnet werden kann. In sechs Hauptausschüssen vollzieht sich die meiste Arbeit der Generalversammlung, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Entscheidend ist der Unterschied zum Sicherheitsrat: Die GV hat keinen Sanktionskoffer parat und kann lediglich Empfehlungen aussprechen. (vgl. ebd., S. 45-47) Der Sicherheitsrat besteht aktuell aus 15 Mitgliedsstaaten, wobei zwischen ständigen und nichtständigen Mitgliedern differenziert werden muss. Die ständigen Mitglieder sind die sogenannten 'Big Five' und setzen sich aus Frankreich, Großbritannien, USA, Russland und China zusammen. Sie werden nicht wie die nichtständigen Mitgliedsstaaten von der Generalversammlung im Zwei-Jahres-Zyklus gewählt.Verkürzt dargestellt nimmt der Sicherheitsrat Aufgaben wie Friedensmissionen, Ausschüssen o. Ä. wahr. Die ständigen Mitgliedsstaaten haben historisch bedingt ein Veto-Recht, das eine große Rolle spielt und mehrfach zur Lähmung des SR führte. Der Sicherheitsrat ist das mächtigste Hauptorgan der Vereinten Nationen und ist berechtigt, zur Friedenssicherung weitreichende Sanktionen und militärische Maßnahmen zu ergreifen. (vgl. ebd., S. 47-49) 2.3 Das VN-Peacekeeping aus historischer Perspektive Die Geschichte der VN ist überaus vielschichtig und kann hier nur in den Grundzügen wiedergegeben werden. Im Jahr 1945 wurde die Charta von 51 Staaten unterzeichnet. In den ersten Jahren ihrer Arbeit (1945-1954) mussten organisatorische und strukturelle Systeme aufgebaut werden, die im West-Ost-Konflikt zugleich erste Einschränkungen erfuhren. Die erste große Herausforderung des kollektiven Sicherheitssystems betraf den Korea-Krieg: Nordkorea fiel 1950 in Südkorea ein und der Sicherheitsrat wurde durch Russland blockiert. Daraufhin entstand in der Generalversammlung die Uniting for Peace-Resolution, die Empfehlungen und militärische Interventionen beinhaltete, sollte der SR seiner Aufgabe, den Weltfrieden zu sichern, nicht nachkommen. Die erste inoffizielle Blauhelmmission stellt die UNTSO-Mission dar, die die Überwachung eines Waffenstillstandes 1948 zwischen Israel und arabischen Staaten beinhaltete. (vgl. ebd., S. 27-30 & 127) In den darauffolgenden 19 Jahren (1955-1974) verschob sich das Mächtegleichgewicht maßgeblich durch die Dekolonisation und die Entstehung unabhängiger Staaten im Süden. Hervorzuheben ist die Suez-Krise, in der der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser 1956 den Suez-Kanal verstaatlichte. Großbritannien, Israel und Frankreich gingen ungeachtet der Ablehnung des SR militärisch dagegen vor, verhinderten gleichzeitig mit ihren Vetos eine Deeskalation der Lage. Auf Grundlage der Uniting for Peace-Resolution wurde wieder versucht, den Konflikt auszusetzen und einen Waffenstillstand einzufordern. Die GV beschloss daraufhin die Etablierung der United Nations Emergency Force (UNEF I), um zwischen den Konfliktparteien eine neutrale Zone aufzubauen. Die Blauhelme nahmen hier ein erweitertes Aufgabenspektrum wahr und erhielten bspw. Kontrolle über Hoheitsgebiet. "Damit wurde das wohl bedeutendste Friedenssicherungsinstrument der Vereinten Nationen, die Blauhelmeinsätze, ins Leben gerufen" (ebd., S. 31). (vgl. ebd., S. 27-30 & 128) Im "Nord-Süd-Konflikt (1975-1984)" (ebd., S. 32) versuchten die VN weiterhin, in einigen Konflikten aktiv mit Blauhelmeinsätzen zu vermitteln und zeigten sich angesichts der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan (1979) als handlungsunfähig. (vgl. ebd., S. 32f) Die letzte Phase reicht bis heute und beginnt ab dem Jahr 1985. Die Annäherung der beiden Großmächte USA und Sowjetunion und der Zerfall der Sowjetunion ergab Handlungsspielraum im SR. Allerdings entzündete sich auch eine Reihe an neuen Konfliktherden: "Innerhalb von rund 25 Jahren stieg die Zahl der Friedensmissionen von 14 auf nunmehr 68" (ebd., S. 33). Nötige Reformen rückten zuletzt durch den USA geführten Irakkrieg und die Terroranschläge am 11. September vermehrt in den Fokus. (vgl. ebd., S. 33-35) 2.4 Typologisierung und Reformansätze Wie in der historischen Rahmung aufgezeigt, entstand das Peacekeeping, weil das kollektive Sicherheitssystem nicht funktionsfähig war. Die Blauhelmeinsätze sind praxisnahe Formen zur Sicherung des Friedens, die sich zwischen dem Souveränitätsanspruch und den Zielen der VN bewegen. Die Ausgestaltung der Friedensmissionen sind vielfältig: Die VN typologisieren die Einsätze in vier Generationen:In der ersten Generation sind Einsätze hauptsächlich "zur Beobachtung und Überwachung von bereits beschlossenen Friedens- bzw. Waffenstillstandsabkommen […]" (Gareis & Varwick 2014, S. 126) gemeint. Missionen der zweiten Generationen sind durch "ein erweitertes Aufgabenspektrum" (ebd.) ausgezeichnet und meinen Einsätze nach 1988. In der dritten Generation liegt der Fokus nicht nur auf Friedenserhaltung sondern auch auf dessen Erzwingung. Zum Schluss kommen in der vierten Generation nicht-militärische administrative Funktionen hinzu.Jede Generation erforderte Anpassungen und ein mühsames Lernen, sodass die Bilanz des VN-Peacekeeping sehr gemischt ausfällt. Neuere Bestrebungen zielen daher darauf ab, aus den vergangenen Fehlern zu lernen. Zum Beispiel soll das Peacekeeping nur noch mit realistischem Mandat stattfinden und die individuelle, komplexe Konfliktsituation angemessen darstellen. Außerdem ist zu gewährleisten, dass die Blauhelme gut ausgerüstet sind und unter den Aspekten eines robusten Mandats alle neuen Perspektiven der Friedenssicherung wahrnehmen können. Diese beinhalten vereinfacht dargestellt die Konfliktvermeidung, das Konfliktmanagement und die Konfliktnachsorge. (vgl. ebd., S. 124-151) Nachfolgend ist zu klären, inwiefern sich der MINUSMA-Einsatz darin einfügt und welche Rolle Deutschland in dem Entwicklungsprozess des VN-Peacekeeping und des Einsatzes spielt.3. United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA) Der MINUSMA-Einsatz der Vereinten Nationen ist als Peacekeeping-Mission der vierten Generation zu charakterisieren. 3.1 Strukturelle Rahmung des MINUSMA-Einsatzes Das Departement of Peacekeeping Operations (DPKO) ist für die Umsetzung und Planung der Blauhelmmissionen verantwortlich. Mit Stand 2022 sind insgesamt 15 Einsätze zu verzeichnen (DPKO: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., o. J.). Die Mission in Mali gehört zu den jüngsten Einsätzen und begann im April 2013 (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 141).Sie gründet sich auf die Resolution 2100 (vgl. Security Council Establishes Peacekeeping Force for Mali Effective 1 July: United Nations 2013) vom 25. April und die Resolution 2164 (vgl. Security Council: United Nations 2014) des Sicherheitsrates und hat multidimensional den Schutz der Zivilisten, die Gewährleistung der Menschenrechte, die Etablierung einer Staatsmacht, die Stabilisierung der Region durch den Aufbau eines Sicherheitsapparates und die Aufrechterhaltung der politischen Dialogfähigkeit und Konsultation als Aufgabe formuliert (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022).Damit stehen auch militärische Interventionen zur Verfügung und es kann von einem robusten Mandat gesprochen werden, das lediglich als Ausnahme die aktive Terroristenbekämpfung ausschließt (vgl. Mali: Konopka 2022). Stand November 2021 befinden sich insgesamt 18.108 Menschen im Einsatz und davon sind 13.289 dem militärischen Personal zuzuordnen (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022). Dazu kommen zivile Einsatzkräfte und bspw. Polizeiausbildende (vgl. ebd.).Die größten teilnehmenden Länder mit militärischem Personal sind mit 1440 Chad, mit 1119 Bangladesch, Ägypten mit 1072 und auf Platz 10 folgt Deutschland mit 531 Angehörigen (vgl. ebd.). Die Verluste an Menschenleben werden bisher auf 260 (Stand 2021) beziffert (vgl. ebd.). Die Finanzierung wird über die Generalversammlung jährlich geregelt und betrug zwischen 2021 und 2022 1.262.194.200 Dollar (vgl. ebd.).Neuere Zahlen der Bundeswehr (Stand Februar 2022) geben an, dass Deutschland mit über tausend Soldatinnen und Soldaten in Mali im Einsatz ist (vgl. Personalzahlen der Bundeswehr: Bundeswehr 2022). Die Zahl stellt sich als irreführend heraus, weil die Bundeswehr alle Beteiligten zusammenzählt, auch die, die bspw. in Nachbarländern an Schlüsselstellen der Infrastruktur beschäftigt sind (vgl. Mali: Konopka 2022).Die aktuelle Resolution der VN (2584) trat am 29. Juni 2021 in Kraft und ist bis zum 30. Juni 2022 gültig (vgl. Mali – MINUSMA: Bundeswehr 2022). Durch das Ablaufen des Mandats in diesem Jahr ist die Forschungsfrage darauffolgend auszuweiten, inwiefern Deutschland sich weiterhin an der Mission beteiligen wird. Zuerst sollte aber kurz auf die Situation Malis eingegangen werden, um zu klären, warum Deutschland und viele weitere Staaten überhaupt intervenieren. 3.2 Mali – eine von Gewalt geplagte Region Die gesamte Komplexität dieser Krisenregion kann hier nicht dargestellt werden. Allerdings sind einige Aspekte zu nennen, um die Verortung und die Herausforderungen des Peacekeepings zu verdeutlichen. In Nordmali begann 2012, um die politische Unabhängigkeit zu gewährleisten, ein gewaltsames Vorgehen gegen die malische Regierung. Als fragiles Bündnis kamen dschihadistische Kämpfende hinzu, die jedoch nach den ersten Eroberungen der nordmalischen Städte 2013 die Oberhand gewannen.Der Süden Malis war ebenfalls von einem Militärputsch geschwächt und die malische Regierung bat um internationale Hilfe. Frankreich folgte der Bitte und eröffnete die Operation Serval. Afrikanische Länder griffen unter der Mission AFISMA ein. Den alliierten Kräften gelang schnell die Rückeroberung der Städte im Norden. Allerdings ging daraus eine asymmetrische Kriegsführung hervor, die die vom Sicherheitsrat legitimierten Einsatztruppen besonders in den Fokus der Attacken der Dschihadisten stellt.Ein Friedensvertrag von 2015 umfasste bspw. nicht alle Konfliktparteien. Im Allgemeinen ist eine Verschlechterung der Gesamtsituation zu verzeichnen, da Dschihadisten mittlerweile versuchen, auch die Nachbarländer Niger und Burkina Faso zu destabilisieren und sich die Gewalt besonders um Zivilisten zentriert. (vgl. Mali: Konopka 2022) Im Zentrum dieses Kapitels soll die asymmetrische Kriegsführung, auch unter dem Aspekt der 'Neuen Kriege' bekannt, und somit die problematische Lage der Mission im Mittelpunkt stehen. Die Kernfrage ist bereits auf das weitere Engagement Deutschlands ausgeweitet worden und ist realitätsnah zu prüfen: In Afghanistan gelang keine Stabilisierung eines afghanischen Staates. Hier kam nach jahrzehntelangen erfolglosen Gefechten die Terrorgruppe Taliban 2021 an die Macht, als allen voran die USA den Rückzug aus der Krisenregion vollzogen (vgl. Nach 20 Jahren: bpb 2021). 4. Die deutsche Außenpolitik – Schwerpunktsetzung VN Die deutsche Sicherheits- und Außenpolitik ist sehr komplex und selbst ein kursorischer Überblick kann hier nicht geleistet werden. Durch die Darstellung diverser Aspekte ist jedoch eine Verortung möglich. 4.1 Historische Perspektive der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik Deutschland blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Ab 1945 wurde die Bundesrepublik enormen Veränderungen durch die Besatzungsmächte unterworfen. Während die DDR unter der UdSSR keine wirklich eigene Außenpolitik entwickelte, gelang es Westdeutschland allmählich, politische Spielräume zurückzugewinnen und eigene Ziele zu vertreten (vgl. Gareis 2021, S. 57). In der Zeit vor der Wiedervereinigung sind einige "konstante Handlungsmuster" (ebd., S. 58) zu erkennen, die bis heute ihre Wichtigkeit beibehalten haben. Darunter sind besonders vier Punkte zu nennen:"die Westintegration, durch welche die Bundesrepublik ihren Platz in den europäischen und transatlantischen Strukturen fand und einnahm die Entspannungs- und Ostpolitik, durch die sie ihre friedens- und stabilitätspolitische Handlungsspielräume erweitern konnte die Offenheit für einen breit angelegten, globalen Multilateralismus mit dem Ziel einer verlässlichen rechtlichen Verregelung und Institutionalisierung des Internationalen Systems die selbstgewählte Kultur der Zurückhaltung in machtpolitischen, insbesondere militärischen Angelegenheiten" (ebd., S. 58) Hervorzuheben sind die anfänglichen Bemühungen der deutschen Außenpolitik, um Frankreich von ihrer skeptischen Sichtweise auf die Wiederbewaffnung und Wiederaufnahme der deutschen Souveränität nach dem Zweiten Weltkrieg abzubringen. Die Bemühungen mündeten bspw. 1963 im Élysée-Vertrag, der die enge Partnerschaft merklich vorantrieb und als "deutlicher […] Motor der europäischen Integration" (ebd., S. 65) zu sehen ist.Eine Verankerung in Internationale Beziehungen vollzog sich somit bereits früh mit den Bemühungen Deutschlands, sich in Europa und in die NATO zu integrieren. In den Zeiten vor der Wiedervereinigung konnte Deutschland dennoch nicht gänzlich zu seinem Selbstvertretungsanspruch finden. Die Integration in internationale Organisationen, die die Machtkonzentration des teilnehmenden Landes einschränken können, wurde zwar innenpolitisch heftig diskutiert, kollidierte jedoch mit realen Erweiterungen der Souveränitätsansprüche Deutschlands und formte somit die Erfahrung dieser Ordnungen.Der Multilateralismus ist eine logische Konstante, weil der Wunsch nach Regeln im Internationalen System die eigene Sicherheit erhöhen soll und im Falle Deutschlands auch politische Freiheiten bedeutete. Das Engagement kann als ernsthaft beschrieben werden, weil die Bemühungen auch mit der Erreichung der eigenen Staatssouveränität bspw. in den Vereinten Nationen und dem europäischen Einigungsprozess nicht nachließ – im Gegenteil intensiviert stattfindet. (vgl. ebd., S. 57f & 61-65 & 70f) 4.2 Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert - Verortung Im 21. Jahrhundert sind eine neue Vielzahl an nicht-staatlichen Akteuren, weitere Unwägbarkeiten und multidimensionale Problemfelder mit einer höheren Unsicherheit im Internationalen System verbunden, die die Zuverlässigkeit von internationalen Partnern einschränkt. Diese Problematik wird bspw. u. a. durch das Erstarken des Rechtspopulismus, dem Rückgang liberal-demokratischer Regierungen seit 2005, der neuen Risikobewertung und Qualität des transnationalen Terrorismus begründet. (vgl. Gareis 2021, S. 89f) Als aktuelle Referenz kann das Weißbuch 2016 die Sicherheitsinteressen Deutschlands aufzeigen. Darin sind, bedingt bspw. durch die russische Aggression gegenüber der Ukraine, wieder vermehrt nationale Interessen vertreten, die den Schutz der Bürger*innen und die Integrität der Souveränität Deutschlands ins Blickfeld nehmen. Allerdings sind auch internationale Bestrebungen zur vertiefenden Weiterarbeit in der Entwicklungspolitik, dem Völkerrecht und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit in allen wichtigen Internationalen Organisationen wie NATO, EU und VN zu nennen. (vgl. Gareis 2021, S. 105)4.2 Deutschland und die Vereinten Nationen Ein ernsthafter Beitrag zur strategischen (Neu-)Kalibrierung der Sicherheits- und Außenpolitik, die in ihren anfänglichen vier Konstanten (s.o.) auch Diskontinuitäten erfuhr, ist die Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2014 hervorzuheben, in der das Engagement für internationale Organisationsformen, die einen supranationalen Ordnungsrahmen darstellen können - wie die EU, NATO und VN - verstärkt in den Mittelpunkt gestellt worden. Die Konstante der 'Zurückhaltung' bricht also weiter auf und zeigt das "Leitmotiv der aktiven Übernahme größerer Verantwortung für Frieden und Internationale Sicherheit in einem umfassenden Ansatz […]" (Gareis 2021, S. 92) auf. (vgl. ebd., S. 91f) Für Deutschland stellen die Vereinten Nationen das Höchstmaß für Multilateralismus und Institutionalismus dar. Bestrebungen in den VN waren von der Gründung an ein wichtiges Anliegen der Bundesrepublik, um auf die internationale Bühne zurückkehren zu können. Insgesamt kann das Engagement Deutschlands in den VN als hoch angesehen werden: Aktuell ist Deutschland der viertgrößte Beitragszahler, unterhält über 30 VN-Organe im Land und ist um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat bemüht und mindestens durch die häufige Wiederwahl (zuletzt 2019/20 – damit zum sechsten Mal) und eindeutigen Wahlergebnissen um einen nichtständigen Sitz als international anerkannt zu bezeichnen. Das Interesse beider Akteure ist als interdependent zu bezeichnen: Die VN brauchen in diesen schwierigen Zeiten einflussreiche Staaten und Deutschland hingegen internationale Kooperationsmöglichkeiten in vielfältigen Ressorts. (vgl. ebd., S. 193f) Deutschland beteiligte sich gleich nach der Wiedervereinigung an VN-Peacekeeping-Einsätzen – allerdings mit unbewaffneten Zivilkräften. Anfang des 21. Jahrhunderts stellte Deutschland nicht nur zivile sondern auch militärische Einheiten zur Verfügung. Das Engagement kann in ihren Anfängen als bescheiden beschrieben werden. Insgesamt bevorzugt Deutschland vom VN-mandatierte Einsätze, die anschließend von der EU oder NATO ausgeführt werden. Der MINUSMA-Einsatz ist somit eine Ausnahme und der zweitgrößte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Der afrikanische Raum ist aufgrund seiner Fluchtbewegungen zu einem wichtigen sicherheitspolitischen Raum geworden. (vgl. ebd., S. 203f) Allerdings sind die Gründe für den Einsatz in Mali weiter auszuführen, da die Argumentation möglicher Fluchtbewegungen Lücken aufweist. (vgl. Mali: Konopka 2020) 5. Deutschland und der MINUSMA-Einsatz In den vorherigen Kapiteln sind die Bezüge der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik zu den Vereinten Nationen bereits angeschnitten worden. Als Nächstes ist der MINUSMA-Einsatz aus einer politischen Perspektive unter Einbezug der Ziele Deutschlands zu charakterisieren und ein Ausblick auf das Ergebnis dieser Intervention zu geben. Die Bewertung des Einsatzes ist entscheidend, um den deutschen Einsatz nachzuvollziehen. 5.1 Motive für die Beteiligung am MINUSMA-Einsatz Die Intervention und Beteiligung Deutschlands am MINUSMA-Einsatz scheint sich nicht auf die Bekämpfung von Fluchtursachen zu beschränken (vgl. Mali: Konopka 2020 & Kaim 2021, S. 31). Weitere Motive sind aus Kapitel 4 abzuleiten und könnten, kombiniert aus dem Wunsch humanitäre Hilfe leisten zu wollen und die Position der Vereinten Nationen - und sich selbst im Internationalen System und den Multilateralismus - zu stärken, eine Begründungslage bieten. Sie wirkt jedoch unpräzise und bedarf genauerer Beschreibungen: Wie bereits beschrieben, ist Frankreich bereits 2013 dem Hilfegesuch der malischen Regierung gefolgt und musste anhand der realen Bedingungen ihre Ziele anpassen: Deutschland sollte dem engen Bündnis- und EU-Partner unter die Arme greifen. Die Bundesregierung gab zunächst lediglich unbewaffneten Kapazitäten Platz, ehe das Mandat langsam auf aktuell 1100 Soldat*innen aufgestockt wurde.Deutschland schien dabei die Vertiefung der Kooperation von EU-Staaten wie Frankreich und den Niederlanden als geeignete Gelegenheit. Ebenfalls ließ der Friedensvertrag auf weitere Stabilität im Land hoffen. Außerhalb der Bemühungen um die Partnerschaft ist für den Autor Konopka die Bewerbung Deutschlands für den nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat (2019/20) ausschlaggebend gewesen.Die anfängliche Konzentration auf die europäische Mission EUTM Mali ging mit einer deutlichen Ausweitung auf die VN-Peacekeeping-Mission über. Außerdem, so der Autor, wäre Deutschland in der Bringschuld gegenüber den Teilnehmenden gewesen, da die Bundesrepublik in weiteren Missionen kaum bis gar keine Präsenz vorzuweisen hatte (bspw. EUMAM RCA oder EUTM RCA). (vgl. Mali: Konopka 2020) Kaim (2021) von der Stiftung Wissenschaft und Politik spricht von einem typischen Muster der deutschen Auslandseinsatzbereitschaft, erst durch Bündnisanfragen Einsatzkräfte zu mobilisieren. Aus dieser Sicht ist primär der Versuch, einen "europäischen Fußabdruck" (ebd., S. 12) im internationalen System zu hinterlassen, anzusehen. Allerdings wird auch hervorgehoben, wie die Bewerbung um den nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat eine Intensivierung der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik in den VN und besonders im afrikanischen Raum beinhaltete. (vgl. ebd., S. 12-20) Dadurch sind sechs Hauptmotive auszumachen, davon greifen manche weniger als andere: 1. Die Bündnistreue zu Frankreich 2. Die Ausgangslage durch die Münchner Sicherheitskonferenz (2014) 3. Das erweiterte Engagement Deutschlands in den VN 4. Der Versuch, eine europäische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. 5. Die regionale Sicherheit in Mali zu gewährleisten 6. Terrorismusbekämpfung und die Eindämmung von Fluchtbewegungen (vgl. ebd., S. 27-31) Die Punkte 4, 5 und 6 sind als Hauptmotivlage nachrangig einzusortieren; Punkt 5 wird anhand der deutlichen Zunahme an Instabilität den MINUSMA-Einsatz generell und die deutsche Beteiligung gezielt infrage stellen. 5.2 Bewertung des Einsatzes Die bisherige Bewertung des Einsatzes ist auf Grundlage der festgestellten Motive zu leisten, die eine detaillierte Rahmengebung vorgeben. In die Bewertung fließen themenbedingt erste wichtige Aspekte für das Abschlusskapitel ein. 5.2.1 Die Bündnistreue zu Frankreich Die Unterschiede in der strategischen Bewertung des Einsatzes der beiden Länder zeigt deutlich auf: Während Frankreich mehr militärisches Engagement erwartet und die Terrorbekämpfung in den Fokus stellt, steht die Bundesregierung der Friedenssicherung unter VN-Mandat näher, die die Terroristenbekämpfung explizit ausschließt. Festzuhalten wäre, dass die unterschiedlichen Herangehensweisen in Mali zwischen Frankreich und Deutschland differente Zielvorstellungen aufweisen und das gemeinsame Handeln konterkarieren. (vgl. Kaim 2021, S. 27f) Daraus ist ebenso die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung das auslaufende Mandat (vgl. Mali: Konopka 2020) ausweiten, beibehalten oder beenden wird. 5.2.2 Die Ausgangslage durch die Münchner Sicherheitskonferenz Deutschland ist bis heute im MINUSMA-Einsatz tätig (2013-2022) und ist dem Bündnis- und langjährigen EU-Partner Frankreich nachgekommen (vgl. Mali: Konopka 2020). Das Engagement ist bis jetzt ausgeweitet worden und von einer anfänglichen Symboltruppe stehen im direkten Einsatzgebiet in Mali ca. 500 (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022) und im erweiterten Einsatz ca. 1000 Soldat*innen (vgl. Personalzahlen der Bundeswehr: Bundeswehr 2022).Die Steigerung der Fachkräfte im MINUSMA-Einsatz ist als Intensivierung zu werten (vgl. Kaim 2021, S. 28). Dies kann als Beleg für die vertiefende Arbeit international angesehen werden, wie es zuvor auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 skizziert wurde. Allerdings wären andere Erweiterungen der Tätigkeitsfelder im internationalen Raum und besonders in internationalen Organisationen denkbar und beinhalten nicht zwangsläufig die Intensivierung des MINUSMA-Einsatzes – gleichzeitig bietet das Einsatzgebiet ein robustes Mandat, also internationale Legitimierung, die für deutsche Auslandseinsätze mitentscheidend ist und einen multilateralen Raum, den die Sicherheits- und Außenpolitik favorisiert (vgl. ebd.).5.2.3 Das erweiterte Engagement Deutschlands in den VN Politisch und militärisch dürfte die Beteiligung Deutschlands am MINUSMA-Einsatz die Vereinten Nationen stärken (vgl. Kaim 2021, S. 28). Bei dieser Beteiligung ist mitunter auch deutlich, dass Deutschland nicht altruistisch, sondern auch im Sinne der im Kapitel 4.2 festgelegten Interdependenzen für den Erhalt der eigenen Sicherheit im Internationalen System handelt.Die Idee eines ständigen Sitzes im Sicherheitsrat gilt als unwahrscheinlich sowie der Reformvorschlag der 'Gruppe der Vier' (mit deutscher Beteiligung), der von den vielen Vorschlägen zur Veränderung des Sicherheitsrates zwar als angemessen erscheint, aber dennoch u. a. an den Veto-Mächten bisher scheiterte (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 308-311). Somit bleibt Deutschland lediglich die Kandidatur im SR als nichtständiges Mitglied, dem die Bundesregierung mit ähnlicher Argumentation und Engagement vermutlich in der nächstmöglichen Amtszeit nachkommen wird (vgl. Kaim 2021, S. 29). 5.2.4 Der Versuch, eine europäische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren Die europäische Handlungsfähigkeit kann bereits unter Punkt 5.2.1 als inkonsequent bezeichnet werden. Außerdem sind europäische Kräfte an eigenen Missionen vor Ort gebunden und stellen im MINUSMA-Einsatz nicht die meisten Einsatzkräfte zur Verfügung (vgl. Kaim 2021, S. 29 & MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022). Von einer geschlossenen oder klaren europäischen Einheit kann nicht gesprochen werden, jedoch von einer klaren Beteiligung Deutschlands am Einsatz. 5.2.5 Die regionale Sicherheit in Mali zu gewährleisten Seit dem Friedensabkommen 2015 hat sich die Lage stetig verschlechtert und stellt die VN-Friedensmission insgesamt infrage. (vgl. Kaim 2021, S. 30) Weitere Problemfelder stellen gerade die Alleingänge der europäischen Länder an der MINUSMA-Mission dar, die bspw. auf die typischen Blauhelme und auf die VN-Farbgebung bei Fahrzeugen verzichten. Außerdem sind europäische Kräfte vornehmlich in als sicher geltende Einsätze gebunden und in anderen Stützpunkten als die restlichen Länder wie bspw. Ägypten untergebracht. (vgl. Mali: Konopka 2020) Das stellt die VN-geführte Friedensmission auch vor interne Probleme und kann die Handlungsfähigkeit sowie Moral der teilnehmenden Länder beeinträchtigen.5.2.6 Terrorismusbekämpfung und die Eindämmung von FluchtbewegungenDie Mission ist unter den Aspekten von Fluchtbewegungen bereits als vernachlässigbar (zumindest für Fluchtbewegungen nach Europa) klassifiziert worden (vgl. Kaim 2021, S. 30f). Außerdem wird wegen der Destabilisierung des Landes sogar mit weiteren Flüchtenden zu rechnen sein. Weiterhin ist die dynamische Situation in Mali undurchsichtig und schwer zu charakterisieren, inwiefern der Terrorismus Deutschland bedroht (vgl. ebd.) und inwiefern Dschihadisten mittlerweile als Hauptproblem angesehen werden können, wenn die malischen Sicherheitskräfte immer mehr in den Fokus von Korruption und Destabilisierung rücken (vgl. Mali: Konopka 2020). 5.3 Ausblick – Bleibt Deutschland im MINUSMA-Einsatz? Die Motive sowie deren Zielerreichung sind größtenteils als Fehlschlag zu werten und stellen als größten Erfolg die Arbeit in der internationalen Organisation, den Vereinten Nationen, heraus. (vgl. Kaim 2021, S. 31f) Dass nicht alle Ziele erreicht werden können, liegt mitunter an der multidimensionalen und dynamischen Situation vor Ort und an der Herausforderung, die den 'Neuen Kriegen' (vgl. Hippler 2009, S. 3-8) und das VN-Peacekeeping in der vierten Generation (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 119-127) kennzeichnen. Somit hängt das Engagement Deutschlands im MINUSMA-Einsatz von vielen Faktoren ab, die bspw. die öffentliche Meinung über Auslandseinsätze und die Beschaffenheit und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr nach Etatkürzungen einschließen (vgl. Kaim 2021, S. 32). Wie die Einsatzkosten zeigen (s. Kapitel 3), sind das insgesamt beträchtliche Summen, die die Staatengemeinschaft – und anteilig Deutschland – aufbringen müssen.Während die Stiftung Wissenschaft und Politik noch von größeren Hürden diesbezüglich ausgeht (vgl. ebd.), ist durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine ein Paradigmenwechsel mit ungeahnter Tragweite in der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik möglich (vgl. Mehrheit unterstützt deutschen Ukraine-Kurs: Tagesschau 2022), der die Fortführung des VN-Peacekeepings neu bewerten wird. 6. Zusammenführung und Interpretation Unter dem Aspekt des VN-Peacekeeping wurden zuerst allgemeine Aspekte umrissen und die Forschungsfrage weiter ausgeweitet. Im Kern geht es um die Frage, wie Deutschland sich im 21. Jahrhundert mit seiner Sicherheits- und Außenpolitik im Internationalen System verortet und inwiefern dies als Erfolg angesehen werden kann. Letzteres ist nur unter bestimmten, einschränkenden Aspekten zu beantworten und ist mithilfe des MINUSMA-Einsatzes zu verorten. Deutschland positioniert sich offen und ernst zu den Vereinten Nationen und folgt dabei historisch gewachsenen Paradigmen und Erfahrungswerten (s. Unterkapitel 4.1): Daraus lassen sich die Bemühungen um einen ständigen oder nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat und weiteres internationales Engagement wie im VN-Peacekeeping und somit die Beteiligung in Mali (MINUSMA-Mission) folgerichtig begründen.Deutschland hat ein nationales sicherheitspolitisches Interesse an einer Verregelung des anarchischen Grundzustandes, um die eigene Position darin zu stärken – Unsicherheiten also abzubauen (vgl. Gareis 2021, S. 58). Damit folgt die Politik nicht einer uneingeschränkten Idealismus-Denkschule und zeigt auch zweckrationale Positionen auf. Dennoch ist der MINUSMA-Einsatz in diesem Sinne als Misserfolg zu werten und zeigt besonders in den Bemühungen um Multilateralismus und einer Institutionalisierung des Internationalen Systems, hier in Form der Vereinten Nationen zu interpretieren, erwähnenswerte Erfolge auf (s. Kapitel 5).Die deutsch-französischen Beziehungen hingegen könnten insgesamt unter dem Konstruktivismus Betrachtung finden: Obwohl die strategische Ausrichtung beider Länder nicht immer im selben Verständnis verläuft (s. Kapitel 5), ist sehr wohl ein ernstzunehmender Konflikt zwischen den beiden großen europäischen Staaten nicht anzunehmen und die außerordentliche internationale Kooperation als erwähnenswert anzusehen. Aus der Ausarbeitung tritt ein Dilemma zutage, das wie folgt zu charakterisieren ist: Deutschland als Nationalstaat hat nur begrenzt Ressourcen und Möglichkeiten, die auch interessengeleitet begründet werden müssen. Deswegen ist ein Problem für Deutschland darin zu skizzieren und zu fragen, in welche internationale Organisation sie ihren weiteren Fokus legen wird. VN-mandatierte aber von NATO und EU ausgeführte Friedensmissionen werden bspw. bevorzugt, gleichzeitig wird eine Stärkung der Vereinten Nationen als Ziel formuliert (s. Kapitel 4).Investitionen in allen internationalen Organisationen bringen Deutschland in eine prekäre Situation, wie die Motivlage und die Ausgestaltung des MINUSMA-Einsatzes aufzeigt (s. Unterkapitel 5.2.5). Als Fazit ist festzuhalten, dass der MINUSMA-Einsatz einer oftmals bloßen Rhetorik zur Stärkung multilateraler Beteiligung grundsätzlich entgegenläuft und Deutschland zukünftig als ernstzunehmenden internationalen Akteur kennzeichnen könnte (vgl. Gareis 2021, S. 216). Prinzipiell kann zudem bestätigt werden, dass Deutschland am ehesten seine Fähigkeiten einbringen kann, wenn internationale Legitimation besteht (mit Blick auf das Grundgesetz und der eigenen 'Zurückhaltungs-Konstante'), Bündnis- und beteiligte Partner mit ihren Interessen zumindest kollidieren (vgl. ebd., S. 112) und Multilateralismus als Merkmal auftritt. Daraus lässt sich die Intensivierung in internationale Organisationen ableiten, weil es nachhaltig die Souveränität Deutschlands positiv beeinflussen kann (vgl. ebd.). So kann Gareis (2021, S. 93) zugestimmt werden, wenn er schreibt: "Sicherlich kann auch im Jahr 2020 festgestellt werden, dass Deutschland an seinen Bemühungen um eine Zivilisierung der internationalen Politik durch Regime und Institutionen festhält. Auch ist es seiner Bevorzugung von friedlicher Konfliktbeilegung und Kooperation vor der Machtpolitik sowie schließlich auch seiner grundsätzlichen Bereitschaft zur Übertragung von Souveränitätsrechten weitestgehend treu geblieben – wenngleich die mit dem Zivilmachtkonzept gern verbundene 'Kultur der Zurückhaltung' Ergänzungen durch die Verfolgung stärker nationaler Interessen erfahren hat." Der Ausblick ist jedoch unter der aktuellen Prämisse (s. Unterkapitel 5.3) unter Vorbehalt zu stellen und zeigt deutlich die Unsicherheiten auf, die der Grundzustand der Anarchie treffend formuliert und exemplarisch die angerissene Reformbedürftigkeit der Vereinten Nationen sowie die Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrats hervorhebt. Deutschland wird in jeglichem denkbaren Szenario eine größere Rolle in den Internationalen Beziehungen spielen: "Die Anforderungen an die multilaterale deutsche Außen- und Sicherheitspolitik werden also steigen, und neben dem vielbeschworenen Willen zur Übernahme von 'Verantwortung' wird auch die Bereitschaft zum personellen und finanziellen Engagement wie auch zur Übernahme ungewohnter politischer Risiken wachsen müssen" (Gareis 2021, S. 216) 7. Literatur Beckmann, H. (26.02.2022): Russlands Angriff auf die Ukraine. Europa hat einen neuen Feind. Online: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-krieg-europa-101.html [09.03.2022]. Bundesministerium der Verteidigung (2016): Weissbuch 2016. Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Online: https://www.bmvg.de/resource/blob/13708/015be272f8c0098f1537a491676bfc31/weissbuch2016-barrierefrei-data.pdf [09.03.2022].Bundeswehr (21.02.2022): Personalzahlen der Bundeswehr. Wie lauten die Einsatzzahlen. Online: https://www.bundeswehr.de/de/ueber-die-bundeswehr/zahlen-daten-fakten/personalzahlen-bundeswehr [09.03.2022].Bundeswehr (0. J.): Mali – MINUSMA. Online: https://www.bundeswehr.de/de/einsaetze-bundeswehr/mali-einsaetze/minusma-bundeswehr-un-einsatz-mali [09.03.2022]. Bundeszentrale für politische Bildung (07.06.2021): Nach 20 Jahren: NATO-Truppenabzug aus Afghanistan. Online: https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/334345/nach-20-jahren-nato-truppenabzug-aus-afghanistan/ [09.03.2022]. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. (o. J.): Die Vereinten Nationen im Überblick. Online: https://dgvn.de/un-im-ueberblick [09.03.22].Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. (22.02.2022): Wie geht es weiter mit dem deutschen Engagement in Mali? Online: https://dgvn.de/meldung/wie-geht-es-weiter-mit-dem-deutschen-engagement-in-mali [09.03.22].Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. (o. J.): Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze (DPKO). Online: https://frieden-sichern.dgvn.de/friedenssicherung/organe/un-sekretariat-dpko/ [09.03.22].Gareis, S. B. (2021): Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik: eine Einführung. Stuttgart: UTB. Gareis, S. B. & Varwick, J. (2014): Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen. 5. Auflage. Bonn: Barbara Budrich, Opladen & Toronto.Hippler, J. (2009): Wie "Neue Kriege" beenden? Aus: APuZ (46/2009): Neue Kriege. Bpb, S. 3-8. Kaim, M. (2021): Die deutsche Politik im VN-Peacekeeping: eine Dienerin vieler Herren. Berlin: SWP. Konopka, T. (22.02.2022): Mali: Rückzug oder mehr Risiko? Online: https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/suche/zvn/artikel/mali-rueckzug-oder-mehr-risiko [09.03.22]. Schimmelfennig, F. (2017): Internationale Politik. 5. Auflage. Stuttgart und Paderborn: UTB.Tagesschau (03.03.2022): Mehrheit unterstützt deutschen Ukraine-Kurs. Online: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-2925.html [09.03.2022].United Nations (2013): Security Council Establishes Peacekeeping Force for Mali Effective 1 July. Unanimously Adopting Resolution 2100 (2013). Online: https://www.un.org/press/en/2013/sc10987.doc.htm [09.03.2022]. United Nations (2014): Security Council. Resolution 2164 (2014). Adopted by the Security Council at its 7210th meeting, on 25 June 2014. Online: https://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/RES/2164(2014) [09.03.2022]. United Nations (01.03.2022): MINUSMA Fact Sheet. United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali. Online: https://peacekeeping.un.org/en/mission/minusma [09.03.2022].
What is a radical? Somebody who goes against mainstream opinions? An agitator who suggests transforming society at the risk of endangering its harmony? In the political context of the British Isles at the end of the eighteenth century, the word radical had a negative connotation. It referred to the Levellers and the English Civil War, it brought back a period of history which was felt as a traumatic experience. Its stigmas were still vivid in the mind of the political leaders of these times. The reign of Cromwell was certainly the main reason for the general aversion of any form of virulent contestation of the power, especially when it contained political claims. In the English political context, radicalism can be understood as the different campaigns for parliamentary reforms establishing universal suffrage. However, it became evident that not all those who were supporting such a reform originated from the same social class or shared the same ideals. As a matter of fact, the reformist associations and their leaders often disagreed with each other. Edward Royle and Hames Walvin claimed that radicalism could not be analyzed historically as a concept, because it was not a homogeneous movement, nor it had common leaders and a clear ideology. For them, radicalism was merely a loose concept, « a state of mind rather than a plan of action. » At the beginning of the nineteenth-century, the newspaper The Northern Star used the word radical in a positive way to designate a person or a group of people whose ideas were conform to those of the newspaper. However, an opponent of parliamentary reform will use the same word in a negative way, in this case the word radical will convey a notion of menace. From the very beginning, the term radical covered a large spectrum of ideas and conceptions. In fact, the plurality of what the word conveys is the main characteristic of what a radical is. As a consequence, because the radicals tended to differentiate themselves with their plurality and their differences rather than with common features, it seems impossible to define what radicalism (whose suffix in –ism implies that it designate a doctrine, an ideology) is. Nevertheless, today it is accepted by all historians. From the mid-twentieth century, we could say that it was taken from granted to consider radicalism as a movement that fitted with the democratic precepts (universal suffrage, freedom of speech) of our modern world. Let us first look at radicalism as a convenient way to designate the different popular movements appealing to universal suffrage during the time period 1792-1848. We could easily observe through the successions of men and associations, a long lasting radical state of mind: Cartwright, Horne Tooke, Thomas Hardy, Francis Burdett, William Cobbett, Henry Hunt, William Lovett, Bronterre O'Brien, Feargus O'Connor, The London Society for Constitutional information (SCI), The London Corresponding Society (LCS), The Hampden Clubs, The Chartists, etc. These organizations and people acknowledged having many things in common and being inspired by one another in carrying out their activities. These influences can be seen in the language and the political ideology that British historians name as "Constitutionalist", but also, in the political organization of extra-parliamentary societies. Most of the radicals were eager to redress injustices and, in practice, they were inspired by a plan of actions drawn on from the pamphlets of the True Whigs of the eighteenth-century. We contest the argument that the radicals lacked coherence and imagination or that they did not know how to put into practice their ambitions. In fact, their innovative forms of protest left a mark on history and found many successors in the twentieth century. Radicals' prevarications were the result of prohibitive legislation that regulated the life of associations and the refusal of the authorities to cooperate with them. As mentioned above, the term radical was greatly used and the contemporaries of the period starting from the French Revolution to Chartism never had to quarrel about the notions the word radical covered. However, this does not imply that all radicals were the same or that they belong to the same entity. Equally to Horne Tooke, the Reverend and ultra-Tory Stephens was considered as a radical, it went also with the shoemaker Thomas Hardy and the extravagant aristocrat Francis Burdett. Whether one belonged to the Aristocracy, the middle-class, the lower class or the Church, nothing could prevent him from being a radical. Surely, anybody could be a radical in its own way. Radicalism was wide enough to embrace everybody, from revolutionary reformers to paternalistic Tories. We were interested to clarify the meaning of the term radical because its inclusive nature was overlooked by historians. That's why the term radical figures in the original title of our dissertation Les voix/voies radicales (radical voices/ways to radicalism). In the French title, both words voix/voies are homonymous; the first one voix (voice) correspond to people, the second one voies (ways) refers to ideas. By this, we wanted to show that the word radical belongs to the sphere of ideas and common experience but also to the nature of human beings. Methodoloy The thesis stresses less on the question of class and its formation than on the circumstances that brought people to change their destiny and those of their fellows or to modernize the whole society. We challenged the work of E.P. Thompson, who in his famous book, The Making of the English Working Class, defined the radical movements in accordance with an idea of class. How a simple shoe-maker, Thomas Hardy, could become the center of attention during a trial where he was accused of being the mastermind of a modern revolution? What brought William Cobbett, an ultra-Tory, self-taught intellectual, to gradually espouse the cause of universal suffrage at a period where it was unpopular to do so? Why a whole population gathered to hear Henry Hunt, a gentleman farmer whose background did not destine him for becoming the champion of the people? It seemed that the easiest way to answer to these questions and to understand the nature of the popular movements consisted in studying the life of their leaders. We aimed at reconstructing the universe which surrounded the principal actors of the reform movements as if we were a privileged witness of theses times. This idea to associate the biographies of historical characters for a period of more than fifty years arouse when we realized that key events of the reform movements were echoing each other, such the trial of Thomas Hardy in 1794 and the massacre of Peterloo of 1819. The more we learned about the major events of radicalism and the life of their leaders, the more we were intrigued. Finally, one could ask himself if being a radical was not after all a question of character rather than one of class. The different popular movements in favour of a parliamentary reform were in fact far more inclusive and diversified from what historians traditionally let us to believe. For instance, once he manage to gather a sufficient number of members of the popular classes, Thomas Hardy projected to give the control of his association to an intellectual elite led by Horne Tooke. Moreover, supporters of the radical reforms followed leaders whose background was completely different as theirs. For example, O'Connor claimed royal descent from the ancient kings of Ireland. William Cobbett, owner of a popular newspaper was proud of his origins as a farmer. William Lovett, close to the liberals and a few members of parliament came from a very poor family of fishermen. We have thus put together the life of these five men, Thomas hardy, William Cobbett, Henry Hunt, William Lovett and Feargus O'Connor in order to compose a sort of a saga of the radicals. This association gives us a better idea of the characteristics of the different movements in which they participated, but also, throw light on the circumstances of their formation and their failures, on the particular atmosphere which prevailed at these times, on the men who influenced these epochs, and finally on the marks they had left. These men were at the heart of a whole network and in contact with other actors of peripheral movements. They gathered around themselves close and loyal fellows with whom they shared many struggles but also quarreled and had strong words. The original part of our approach is reflected in the choice to not consider studying the fluctuations of the radical movements in a linear fashion where the story follows a strict chronology. We decided to split up the main issue of the thesis through different topics. To do so, we simply have described the life of the people who inspired these movements. Each historical figure covers a chapter, and the general story follows a chronological progression. Sometimes we had to go back through time or discuss the same events in different chapters when the main protagonists lived in the same period of time. Radical movements were influenced by people of different backgrounds. What united them above all was their wish to obtain a normalization of the political world, to redress injustices and obtain parliamentary reform. We paid particular attention to the moments where the life of these men corresponded to an intense activity of the radical movement or to a transition of its ideas and organization. We were not so much interested in their feelings about secondary topics nor did we about their affective relations. Furthermore, we had little interest in their opinions on things which were not connected to our topic unless it helped us to have a better understanding of their personality. We have purposely reduced the description of our protagonists to their radical sphere. Of course we talked about their background and their intellectual development; people are prone to experience reversals of opinions, the case of Cobbett is the most striking one. The life of these personalities coincided with particular moments of the radical movement, such as the first popular political associations, the first open-air mass meetings, the first popular newspapers, etc. We wanted to emphasize the personalities of those who addressed speeches and who were present in the radical associations. One could argue that the inconvenience of focusing on a particular person presents a high risk of overlooking events and people who were not part of his world. However, it was essential to differ from an analysis or a chronicle which had prevailed in the studies of the radical movements, as we aimed at offering a point of view that completed the precedents works written on that topic. In order to do so, we have deliberately put the humane character of the radical movement at the center of our work and used the techniques of biography as a narrative thread. Conclusion The life of each historical figure that we have portrayed corresponded to a particular epoch of the radical movement. Comparing the speeches of the radical leaders over a long period of time, we noticed that the radical ideology evolved. The principles of the Rights of Men faded away and gave place to more concrete reasoning, such as the right to benefit from one's own labour. This transition is characterized by the Chartist period of Feargus O'Connor. This does not mean that collective memory and radical tradition ceased to play an important part. The popular classes were always appealed to Constitutional rhetoric and popular myths. Indeed, thanks to them they identified themselves and justified their claims to universal suffrage. We focused on the life of a few influent leaders of radicalism in order to understand its evolution and its nature. The description of their lives constituted our narrative thread and it enabled us to maintain consistency in our thesis. If the chapters are independent the one from the other, events and speeches are in correspondences. Sometimes we could believe that we were witnessing a repetition of facts and events as if history was repeating itself endlessly. However, like technical progress, the spirit of time, Zeitgeist, experiences changes and mutations. These features are fundamental elements to comprehend historical phenomena; the latter cannot be simplified to philosophical, sociological, or historical concept. History is a science which has this particularity that the physical reality of phenomena has a human dimension. As a consequence, it is essential not to lose touch with the human aspect of history when one pursues studies and intellectual activities on a historical phenomenon. We decided to take a route opposite to the one taken by many historians. We have first identified influential people from different epochs before entering into concepts analysis. Thanks to this compilation of radical leaders, a new and fresh look to the understanding of radicalism was possible. Of course, we were not the first one to have studied them, but we ordered them following a chronology, like Plutarch enjoyed juxtaposing Greeks and Romans historical figures. Thanks to this technique we wanted to highlight the features of the radical leaders' speeches, personalities and epochs, but also their differences. At last, we tried to draw the outlines and the heart of different radical movements in order to follow the ways that led to radicalism. We do not pretend to have offered an original and exclusive definition of radicalism, we mainly wanted to understand the nature of what defines somebody as a radical and explain the reasons why thousands of people decided to believe in this man. Moreover, we wanted to distance ourselves from the ideological debate of the Cold War which permeated also the interpretation of past events. Too often, the history of radicalism was either narrated with a form of revolutionary nostalgia or in order to praise the merits of liberalism. If the great mass meetings ends in the mid-nineteenth-century with the fall of Chartism, this practice spread out in the whole world in the twentieth-century. Incidentally, the Arab Spring of the beginning of the twenty-first-century demonstrated that a popular platform was the best way for the people to claim their rights and destabilize a political system which they found too authoritative. Through protest the people express an essential quality of revolt, which is an expression of emancipation from fear. From then on, a despotic regime loses this psychological terror which helped it to maintain itself into power. The balance of power between the government and its people would also take a new turn. The radicals won this psychological victory more than 150 years ago and yet universal suffrage was obtained only a century later. From the acceptance of the principles of liberties to their cultural practice, a long route has to be taken to change people's mind. It is a wearisome struggle for the most vulnerable people. In the light of western history, fundamental liberties must be constantly defended. Paradoxically, revolt is an essential and constitutive element of the maintenance of democracy. ; Die radikalen Strömungen in England von 1789 bis 1848 Formulierung der Problematik Was ist ein Radikaler? Eine Person die vorgefassten Meinungen zuwiderhandelt? Ein Agitator, der die Gesellschaft verändern will und dabei das Risiko eingeht, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen? Im politischen Kontext, in dem sich die britischen Inseln am Ende des 18. Jahrhunderts befanden, hatte dieser Begriff eine negative Konnotation. Er erinnert nämlich an die levellers und an den Bürgerkrieg. Diese historische Epoche, die als traumatisches Erlebnis empfunden wurde, hat bei den politischen Führern Stigmata hinterlassen, die immer noch vorhanden sind. Die Herrschaft Cromwells hatte bestimmt einen direkten Einfluss auf die Aversion der Engländer gegen jede heftige Form des Protestes gegen die herrschende Macht, vor allem wenn er politisch vereinnahmt wird. Im politischen Kontext in England versteht man unter Radikalismus verschiedene Versuche, eine Parlamentsreform durchzusetzen, die das allgemeine Wahlrecht einführen sollte. Natürlich bedeutet dies nicht, dass die Befürworter solch einer Reform eine gesellschaftliche und ideologische Nähe verband. In der Tat waren sich die reformistischen Verbände oft untereinander nicht einig und ihre jeweiligen Führer hatten wenige Gemeinsamkeiten. Edward Royle und Hames Walvin erläutern, dass der Radikalismus historisch nicht wie ein Konzept analysiert werden kann, da er keine einheitliche Bewegung war, da sich die Führer untereinander nicht einig waren und da keine eindeutige Ideologie vorhanden war. Der Radikalismus war ihrer Meinung nach nur eine vage Ansammlung bunter Ideen. Er sei « eher eine Einstellung als ein Aktionsplan» gewesen. Am Beginn des 19. Jahrhunderts verwendete die Zeitung Northern Star den Begriff « radikal » in einem positiven Sinne, um eine Person oder eine Gruppe zu bezeichnen, deren Ideen mit den Ihrigen im Einklang standen. Gegner der Parlamentsreformbewegungen haben diesen Begriff im negativen Sinne verwendet. Der Radikale wurde dann also als Bedrohung wahrgenommen. Der Gebrauch des Begriffes radikal scheint kein semantisches Problem darzustellen im Vergleich zur Verwendung des Wortes Radikalismus dessen Suffix -ismus eine Doktrin bzw. eine Ideologie voraussetzt. Die Tatsache, dass die Radikalen so unterschiedliche Gesinnungen vertraten, scheint eine Definition des Radikalismus unmöglich zu machen. Trotzdem wird sein Gebrauch heute von allen Historikern akzeptiert. Man könnte also behaupten, dass es seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gängig wurde, mit dem Begriff Radikalismus jede Bewegung zu bezeichnen, die Ideen durchsetzen wollte, die nach unserem heutigen Verständnis als demokratisch verstanden werden. Wir können den Begriff Radikalismus zwischen 1792 und 1848 also erst einmal als eine praktische Bezeichnung für die verschiedenen radikalen Volksbewegungen, die das Ziel verfolgten, das allgemeine Wahlrecht einzuführen, betrachten. Diese radikale Einstellung findet man bei einer ganzen Reihe von Menschen und Organisationen wieder. Cartwright, Horne Tooke, Thomas Hardy, Francis Burdett, William Cobbet, Henry Hunt, William Lovett, Bronterre O'Brien Feargus O'Connor, die London Society for Constitutional information (SCI), die London Corresponding Society (LCS), die Hampden Clubs, die Chartisten, usw. Man kann viele Gemeinsamkeiten zwischen den Protagonisten erkennen, die sie sich auch eingestanden haben. Auβerdem wird auch der Einfluss erkennbar, den sie aufeinander ausgeübt haben, um ihre Aktionen zu gestalten. Diese Einflüsse findet man sowohl in der Sprache und in der politischen Ideologie wieder, die von den britischen Historikern als « konstitutionalistisch » bezeichnet wurden, als auch in der politischen Organisation von auβerparlamentarischen Gruppierungen. Alle Radikalen wollten die Ungerechtigkeiten beheben, und in der Praxis haben sie sich von einem Aktionsplan anregen lassen, den sie im 18. Jahrhundert in den Pamphleten der true whigs gefunden haben. Wir müssen teilweise das Argument zurückweisen, dass die Radikalen nicht kohärent und einfallsreich waren, oder dass sie nicht genau wussten, wie sie ihre Ziele umsetzen konnten. Ganz im Gegenteil: Die innovativen Formen des Protestes, die ihnen zuzuschreiben sind, waren bezeichnend und haben eine Spur in der Geschichte hinterlassen. Das Zaudern der Radikalen war erstens auf die prohibitive Gesetzgebung zurückzuführen, der die Verbände unterlagen und zweitens auf die kategorische Ablehnung der Behörden zu kooperieren. Die Zeitgenossen der Epoche, die sich von der Französischen Revolution bis zum Chartismus erstreckt, haben nie über den Sinn des Begriffs radikal debattiert. Dies bedeutet allerdings nicht, dass alle Radikalen gleich waren, oder dass sie zu derselben Einheit gehörten. Horne Tooke und der Priester Stephens waren beide Radikale, so wie der Schuster Hardy und der extravagante Burdett. Ob man ein Adliger, ein Mitglied des Bürgertums, ein Handwerker, ein Gutsbesitzer oder ein Mann der Kirche war: Nichts hinderte einen daran, ein Radikaler zu sein. Jeder konnte auf seine Art ein Radikaler sein. In dem Radikalismus gab es in der Tat eine groβe Bandbreite, die sich vom revolutionären Radikalismus bis zum paternalistischen Torysmus erstreckte. Wir waren daran interessiert, genau zu verstehen, was der Begriff radikal bedeutet, denn sein integrativer Charakter wurde von Historikern übersehen. Wir haben uns deshalb so genau mit der Bedeutung des Begriffs « radikal » beschäftigt, weil dieses Adjektiv im Plural im Titel die radikalen Strömungen enthalten ist. Mit dem im französischen Titel enthaltenen Gleichklang zwischen den Wörtern « voie » (Weg, Strömung) und « voix » (Stimme) wollten wir zeigen, dass sich der Begriff « radikal » sowohl auf ein Ideenbündel als auch auf eine Person bezieht. Die methodische Vorgehensweise In dieser Arbeit richtet sich unser Augenmerk weniger auf die Frage, wie eine Gesellschaftsschicht entstanden ist, als auf die Umstände, die die Menschen dazu bewogen haben, ihrem Schicksal und dem Ihresgleichen oder gar der ganzen Gesellschaft eine andere Wendung zu geben. Wir stellten das Werk von E.P.Thompson in Frage, welcher in seinem bekannten Buch "The Making of the English Working Class" radikale Bewegungen, entsprechend einer Vorstellung von Klasse, definiert. Wie kam es, dass ein einfacher Schuster wie Thomas Hardy, während eines Prozesses, in dem er beschuldigt wurde, eine moderne Revolution anzuzetteln, im Zentrum der Öffentlichkeit stand? Wie kam es, dass ein Autodidakt und ein Anhängiger der Ultra- Tories wie William Cobbett sich nach und nach für das allgemeine Wahlrecht einsetzte, zu einer Zeit, in der es unpopulär war? Wie kam es, dass sich die ganze Bevölkerung in Massen um Henry Hunt scharte, einen Gutsbesitzer, der nicht gerade dazu bestimmt war, sich für die Belange des Volkes stark zu machen? Unser Ziel ist es, das Universum, in dem die wichtigsten Beteiligten lebten, wiederzugeben, so als wären wir ein privilegierter Zeuge dieser Epochen. Die einfachste Art diese Fragen zu beantworten und die Beschaffenheit der Volksbewegungen zu verstehen besteht unserer Meinung nach darin, das Leben jener Männer zu studieren, die sie gestaltet haben. Wir hatten den Einfall, mehrere Männer, die in einem Zeitraum von mehr als 50 Jahren gelebt haben, miteinander in Verbindung zu bringen, als uns aufgefallen ist, dass Schlüsselmomente der Reformbewegungen miteinander korrespondieren, wie z.B der Prozess von Thomas Hardy und das Massaker von Peterloo 1819. Je mehr wir uns mit diesen Ereignissen beschäftigten, desto mehr weckte dies unsere Neugier auf das Leben jener Menschen, die sie verursacht haben. Schlussendlich konnte man sich fragen, ob radikal zu sein nicht eher eine Frage des Charakters als eine Frage der Klassenzugehörigkeit war. Die verschiedenen Volksbewegungen für eine Parlamentsreform haben in der Tat viel mehr unterschiedliche Menschen vereint und waren um einiges vielfältiger als es die Historiker behauptet haben. So war es zum Beispiel Thomas Hardys Vorhaben, die Führung des Verbandes einer intellektuellen Elite unter Horne Tookes Kommando zu überlassen, nachdem er es geschafft haben würde, genug Mitglieder der Arbeiterschicht zu versammeln. Auβerdem haben die Sympathisanten mit Freude Führer akzeptiert, deren Schicksal sehr wenig mit dem Ihrigen gemeinsam hatte. O'Connor z. B erhob den Anspruch, der Nachkomme eines irischen Königs zu sein. Cobbett, der Besitzer einer bedeutenden Zeitung, erinnerte daran, dass er aus einer Bauernfamilie stammte. William Lovett, der den Liberalen und einigen Parlamentsmitgliedern nahe stand, stammte aus einer armen Fischerfamilie. Wir haben diese fünf Männer Thomas Hardy, William Cobbett, Henry Hunt, William Lovett und Feargus O'Connor in Verbindung gebracht, um gewissermaßen eine Saga der Radikalen zu erstellen. Dies erlaubte es uns, uns ein genaueres Bild zu machen von den Merkmalen der verschiedenen Bewegungen, an denen sie teilgenommen haben, von dem Kontext, in dem die Bewegungen entstanden sind, von ihren Misserfolgen, von der besonderen Atmosphäre, die in diesen unterschiedlichen Epochen herrschte, von den Männern, die diese Bewegungen beeinflusst haben und zuletzt von dem Zeichen, das sie gesetzt haben. Diese Männer waren im Mittelpunkt eines Netzwerkes und standen in Verbindung mit anderen Akteuren, die an peripheren Bewegungen beteiligt waren. Sie waren umgeben von treuen Weggefährten, mit denen zusammen sie viele Kämpfe ausgetragen haben, oder mit denen sie sich heftig gestritten haben. Unsere Vorgehensweise ist insofern neu, als wir die Fluktuationen der radikalen Bewegungen weder linear bzw. chronologisch beleuchten, noch in einer zersplitterten Weise, indem wir die Problematik in mehrere Themen unterteilen. Wir sind ganz einfach dem Leben der Männer gefolgt, die am Ursprung dieser Bewegung standen. Jedes Kapitel behandelt eine historische Person und die gesamte Abhandlung ist chronologisch aufgebaut. Manchmal war es notwendig, Rückblenden einzubauen oder die gleichen Ereignisse mehrmals zu erwähnen, wenn verschiedene historische Personen daran beteiligt waren. Die radikalen Bewegungen wurden von Menschen aus verschiedenen Horizonten beeinflusst. Verbunden waren sie vor allem durch ihr Bestreben, eine Normalisierung der politischen Welt zu erreichen, gegen die Ungerechtigkeiten zu kämpfen und eine Parlamentsreform durchzusetzen. Wir haben uns auf die Momente konzentriert, in denen das Leben der Männer mit einem aktiven Handeln in der radikalen Bewegung oder mit einer Veränderung ihrer Ideen oder in ihrer Organisation einherging. Ihre emotionalen Beziehungen und ihre Einstellung zu belanglosen Fragen interessierten uns nicht. Ihre Meinungen zu Fragen, die unser Studienobjekt nicht betreffen, waren auch nicht Gegenstand dieser Abhandlung, es sei denn sie ermöglichten es uns, ihre Persönlichkeit besser zu umreiβen. Unser Augenmerk richtete sich ausdrücklich und vor allem auf die radikale Tätigkeit der Beteiligten. Natürlich haben wir auch die Lebensumstände und die geistige Entwicklung dieser Männer geschildert, denn wir wissen, dass Meinungen sich im Laufe eines Lebens ändern können, wie es der bemerkenswerte Fall von Cobbett verdeutlicht. Das Leben dieser Personen fiel zeitlich mit markanten Momenten in der radikalen Bewegung zusammen, wie z. B die ersten politischen Organisationen der Arbeiterschichten, die ersten Massendemonstrationen oder die ersten politisch ausgerichteten Volkszeitungen. Wir wollten die menschlichen Züge jener Männer wiedergeben, die Reden gehalten haben und die in den radikalen Verbänden anwesend waren. Man könnte uns vorwerfen, dass wir- wenn wir uns auf eine historische Person konzentriert haben- andere Fakten oder Personen, die nicht zu ihrem Umfeld gehörten aber dennoch an der Bewegung beteiligt waren, ausgeblendet haben. Uns schien es aber wesentlich, die analytische Methode oder die historische Chronik, die die Studien über die radikalen Bewegungen maßgeblich prägt, aufzugeben. Unser Ziel war es nämlich, diese Schilderungen zu vervollständigen, indem wir den menschlichen Aspekt in den Vordergrund stellten. Dazu haben wir die biografische Perspektive gewählt und unserer Studie angepasst. Schluss Jeder Mann, dessen Rolle wir hervorgehoben haben, lebte in einer bestimmten Phase der radikalen Bewegung. Der Vergleich der Reden, die sie in verschiedenen Epochen gehalten haben, hat aufgezeigt, dass die radikale Ideologie sich im Laufe der Zeit verändert hat. Die Verteidigung der Menschenrechte verlor an Bedeutung und die Argumentation wurde konkreter: Es ging z. B mehr und mehr um das Recht, die Früchte seiner Arbeit zu genieβen. Dieser Wandel fand in der chartistischen Epoche Feargus O'Connors statt. Die Traditionen des Radikalismus und die Erinnerung daran spielten jedoch weiterhin eine wichtige Rolle. Die Rhetorik des Konstitutionalismus und der Volksmythos waren Themen, mit denen die Arbeiterschichten sich immer identifiziert haben, und die ihre Forderung nach dem allgemeinen Wahlrecht gerechtfertigt haben. Wir haben uns auf das Leben einiger einflussreicher Männer des Radikalismus konzentriert, um seine Entwicklung und sein Wesen zu verstehen. Ihre Lebensläufe haben uns als Leitfaden gedient und haben es uns ermöglicht, eine Kohärenz in unserer Abhandlung zu wahren. Zwar sind die Kapitel unabhängig voneinander, aber die Ereignisse und die Reden korrespondieren miteinander. Man könnte manchmal den Eindruck haben, dass sich Fakten, Handlungen und die Geschichte im Allgemeinen endlos wiederholen. Allerdings ist der Zeitgeist im ständigen Wandel begriffen, so wie dies auch beim technischen Fortschritt der Fall ist. Wir sind der Ansicht, dass diese Besonderheiten fundamentale Elemente sind, die es ermöglichen, historische Phänomene zu begreifen, die nicht auf philosophische, soziologische oder historische Konzepte reduziert werden können. Die Geschichte als Wissenschaft weist die Besonderheit auf, dass die physische Realität und die erwähnten Phänomene auch eine menschliche Realität sind. Daher ist es wesentlich, bei der intellektuellen Auseinandersetzung mit einem historischen Phänomen den menschlichen Aspekt nicht aus den Augen zu verlieren. Wir wollten einen Weg einschlagen, der dem vieler Historiker entgegengesetzt ist. Unser Augenmerk richtete sich zunächst auf die Männer, die ihre jeweiligen Epochen maβgeblich geprägt haben, bevor wir uns mit Konzepten beschäftigt haben. Die Männer, die wir auserwählt haben, gaben uns einen neuen und frischen Blick auf den Radikalismus und brachten uns diesen näher. Natürlich sind wir nicht die ersten, die sich mit diesen historischen Personen beschäftigt haben. Durch die chronologische Anordnung unserer Abhandlung, wollten wir- so wie Plutarch, der griechische und römische historische Personen miteinander in Verbindung brachte- die Wesensmerkmale ihrer Reden, Persönlichkeiten und Epochen aber auch ihre Unterschiede in den Vordergrund rücken. Wir haben also versucht, eine Bewegung zu umreiβen und im Kern zu erfassen und die Wege nachzuzeichnen, die zum Radikalismus führten. Wir behaupten nicht, dass wir eine neuartige und ausschlieβliche Definition dieser Bewegung geliefert haben. Wir haben nur versucht, die Wesensmerkmale eines Radikalen zu begreifen und herauszufinden, aus welchen Gründen tausende Männer an diesen Mann geglaubt haben. Wir wollten uns von der ideologischen Debatte über den Kalten Krieg losmachen, die sogar auf die Interpretation zurückliegender Ereignisse abgefärbt hat. Zu oft wurde die Geschichte des Radikalismus mit einer Art revolutionären Nostalgie erzählt, oder mit der Absicht, die Vorzüge des Liberalismus zu preisen. Der Chartismus leitete zwar im 19. Jahrhundert das Ende der groβen Massenbewegungen in England ein, aber diese Methode hat sich im 20. Jahrhundert überall auf der Welt verbreitet. In der Tat zeigt der arabische Frühling am Beginn des 21. Jahrhunderts, dass die zahlenmäβige Überlegenheit das beste Druckmittel des Volkes ist, um seine Rechte einzufordern und das bestehenden Regime zu destabilisieren. Ein Volk, das demonstriert, zeigt, dass es keine Angst mehr hat. Von dem Moment an, in dem ein autoritäres Regime diese psychologische Waffe, die es ihm ermöglicht hat, an der Macht zu bleiben, verliert, kehrt sich das Machtgefälle zwischen der autoritären Staatsgewalt und dem unterworfenen Volk um. Diesen psychologischen Sieg haben die englischen Radikalen vor mehr als 150 Jahren errungen. Jedoch wurde das allgemeine Wahlrecht erst ein Jahrhundert später eingeführt. Damit es also nicht bei Prinzipienerklärungen bleibt, sondern die Freiheiten in die Wirklichkeit umgesetzt werden, bedarf es einer Bewusstseinsänderung, die nur durch eine langwierige Arbeit zustande kommen kann. Für die Schwächsten ist dies ein langer Kampf. In Anbetracht der abendländischen Geschichte muss man die Freiheiten als Rechte betrachten, die es immer wieder zu verteidigen gilt. Paradoxerweise scheint die Revolte also eine grundlegende und unabdingbare Bedingung zu sein, um die Demokratie zu erhalten.
Diese Arbeit bietet eine solide theoretische Grundlage zu Philanthropie und religiös motivierten Spendenaktivitäten und deren Einfluss auf Wohltätigkeitstrends, Entwicklungszusammenarbeit und einer auf dem Gedanken der sozialen Gerechtigkeit beruhenden Philanthropie. Untersucht werden dafür die Strukturen religiös motivierte Spenden, für die in der islamischen Tradition die Begriffe "zakat", "Waqf" oder im Plural auch "awqaf-" oder "Sadaqa" verwendet werden, der christliche Begriff dafür lautet "tithes" oder "ushour". Aufbauend auf diesem theoretischen Rahmenwerk analysiert die qualitative und quantitative Feldstudie auf nationaler Ebene, wie die ägyptische Öffentlichkeit Philanthropie, soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Spenden, Freiwilligenarbeit und andere Konzepte des zivilgesellschaftlichen Engagements wahrnimmt. Um eine umfassende und repräsentative Datengrundlage zu erhalten, wurden 2000 Haushalte, 200 zivilgesellschaftliche Organisationen erfasst, sowie Spender, Empfänger, religiöse Wohltäter und andere Akteure interviewt. Die so gewonnen Erkenntnisse lassen aussagekräftige Aufschlüsse über philanthropische Trends zu. Erstmals wird so auch eine finanzielle Einschätzung und Bewertung der Aktivitäten im lokalen Wohltätigkeitsbereich möglich, die sich auf mehr als eine Billion US-Dollar beziffern lassen. Die Erhebung weist nach, dass gemessen an den Pro-Kopf-Aufwendungen die privaten Spendenaktivitäten weitaus wichtiger sind als auswärtige wirtschaftliche Hilfe für Ägypten. Das wiederum lässt Rückschlüsse zu, welche Bedeutung lokale Wohltätigkeit erlangen kann, wenn sie richtig gesteuert wird und nicht wie bislang oft im Teufelskreis von ad-hoc-Spenden oder Hilfen von Privatperson an Privatperson gefangen ist. Die Studie stellt außerdem eine Verbindung her zwischen lokalen Wohltätigkeits-Mechanismen, die meist auf religiösen und kulturellen Werten beruhen, und modernen Strukturen, wie etwa Gemeinde-Stiftungen oder Gemeinde-"waqf", innerhalb derer die Spenden eine nachhaltige Veränderung bewirken können. Daher bietet diese Arbeit also eine umfassende wissenschaftliche Grundlage, die nicht nur ein besseres Verständnis, sondern auch den nachhaltiger Aus- und Aufbau lokaler Wohltätigkeitsstrukturen in Ägypten ermöglicht. Zentral ist dabei vor allem die Rolle lokaler, individueller Spenden, die beispielsweise für Stiftungen auf der Gemeindeebene eingesetzt, wesentlich zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen könnten – und das nicht nur in Ägypten, sondern in der gesamten arabischen Region. Als konkretes Ergebnis dieser Arbeit, wurde ein innovatives Modell entwickelt, dass neben den wissenschaftlichen Daten das Konzept der "waqf" berücksichtigt. Der Wissenschaftlerin und einem engagierten Vorstand ist es auf dieser Grundlage gelungen, die Waqfeyat al Maadi Community Foundation (WMCF) zu gründen, die nicht nur ein Modell für eine Bürgerstiftung ist, sondern auch das tradierte Konzept der "waqf" als praktikable und verbürgte Wohlstätigkeitsstruktur sinnvoll weiterentwickelt. ; This work provides a solid theoretical base on philanthropy, religious giving (Islamic zakat, 'ushour, Waqf -plural: awqaf-, Sadaqa and Christian tithes or 'ushour), and their implications on giving trends, development work, social justice philanthropy. The field study (quantitative and qualitative) that supports the theoretical framework reflects at a national level the Egyptian public's perceptions on philanthropy, social justice, human rights, giving and volunteering and other concepts that determine the peoples' civic engagement. The statistics cover 2000 households, 200 Civil Society Organizations distributed all over Egypt and interviews donors, recipients, religious people and other stakeholders. The numbers reflect philanthropic trends and for the first time provide a monetary estimate of local philanthropy of over USD 1 Billion annually. The survey proves that the per capita share of philanthropy outweighs the per capita share of foreign economic assistance to Egypt, which implies the significance of local giving if properly channeled, and not as it is actually consumed in the vicious circle of ad-hoc, person to person charity. In addition, the study relates local giving mechanisms derived from religion and culture to modern actual structures, like community foundations or community waqf that could bring about sustainable change in the communities. In sum, the work provides a comprehensive scientific base to help understand- and build on local philanthropy in Egypt. It explores the role that local individual giving could play in achieving sustainable development and building a new wave of community foundations not only in Egypt but in the Arab region at large. As a tangible result of this thesis, an innovative model that revives the concept of waqf and builds on the study's results was created by the researcher and a dedicated board of trustees who succeeded in establishing Waqfeyat al Maadi Community Foundation (WMCF) that not only introduces the community foundation model to Egypt, but revives and modernizes the waqf as a practical authentic philanthropic structure.