Religion und gesellschaftlicher Wandel: zur Rolle der evangelischen Kirche im Prozeß des gesellschaftlichen Umbruchs in der DDR
In: Der Zusammenbruch der DDR: soziologische Analysen, S. 246-266
Der evangelischen Kirche wird vielfach ein entscheidender Beitrag beim Umbruch in der ehemaligen DDR zugeschrieben. Um die These von der "Revolution der Protestanten" zu prüfen, analysiert der Autor das Verhältnis der Kirche zum sozialistischen Staat von den 50er Jahren an. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die Kirche Anwalt der Modernisierung war, nicht aber der Motor des gesellschaftlichen Umbruchs vom Herbst 1989. Die Strategie der Kirche war auf Ausgleich und Verständigung gerichtet, nicht auf Umwälzung und Veränderung der Machtverhältnisse. Dahinter stand die frühere Erfahrung, daß die SED vor Gewalt nicht zurückschreckte, wenn es um die Verteidigung ihres Machtanspruchs ging. Den Anstoß zur Wende gab die Öffnung der österreichisch-ungarischen Grenze und die Abwanderung von tausenden von DDR-Bürgern. Falsch ist die These, die Kirche hätte den friedlichen Charakter des Umbruchs bewirkt. Entscheidend war der staatliche Verzicht auf Gewaltanwendung, der seinen Grund in Differenzierungsprozessen innerhalb der SED hatte. (pka)