Hinweis zur Zitierweise -- 1. Einleitung: Das Phantom der Heide -- 1.1 "Löns ist die Heide, die Heide ist..." — Die Geschichte eines Mythos -- 1.2 Ein Grab in der Heide -- 1.3 "Es lönst gewaltig ..." — Ein Überblick über die Löns-Sekundärliteratur -- 1.4 Überlegungen zur Vorgehensweise -- 2. Dichtung und Wahrheit: Leben und Werk des Hermann Löns -- 2.1 Biographie -- 2.2 Moderne Lebenwelt um 1900 -- 2.3 Werkgeschichte -- 2.4 Werkausgaben -- 3. Die Lyrik Löns': Auf der Suche nach Sinnlichkeit -- 3.1 Löns als Lyriker -- 3.2 Abkehr vom Naturalismus -- 3.3 Von Blumen, Rehen und freier Liebe: Erotik und Sexualität -- 3.4 Die Lönssche Heimat: Im Rausch der Idylle -- 4. Die Lönsschen Tier-, Jagd- und Naturerzählungen: Die Philosophie des Organischen -- 4.1 Hermann Löns in der Geschichte der Tiererzählung -- 4.2 Die Natur als Modell des Lönsschen Lebensentwurfes -- 4.3 Zurück in die Urnatur: Der Lönssche Jäger -- 4.4 Die Lönssche Natur: Die Symbiose von Aggression und Idylle -- 5. "Der Wehrwolf": Modell und Mythos der bäuerlichen Volksgemeinschaft -- 5.1 Vom Kaiserreich zum NS-Staat: Der Siegeszug des "Wehrwolfs" -- 5.2 Die Elemente des "Wehrwolfs" -- 5.3 Der Mythos vom ewigen Bauern: Archaisches Urbild und aktuelles Vorbild -- 5.4 Das ideengeschichtliche Umfeld des "Wehrwolfs" -- 5.5 Mythos und Propaganda: Das "Matrosenlied" -- 6. Das Kriegstagebuch: Das Ende des Traums -- 6.1 Ein "Anti-Wehrwolf"? -- 6.2 Das Kriegstagebuch: "Frohe Stimmung, und es geht in die Linie." -- 6.3 Die Kriegstagebuchschreiber Hermann Löns und Ernst Jünger -- 6.4 Schreiben im Krieg: Zeugnisse des Ersten Weltkrieges -- 6.5 Die späte Edition des Lönsschen Tagebuches -- 7. "Das zweite Gesicht": Liebe, Wahn und Kunst -- 7.1 Ein "Liebes- und Todes-, Lust- und Leid-, Doppel- und Unterbewußtseinsroman" -- 7.2 Ein autobiographischer Roman -- 7.3 Ein kulturkritischer Roman -- 7.4 Ein Künstlerroman -- 7.5 Ein Geschlechterroman -- 7.6 Ein psychoanalytischer Roman -- 8. Löns und die Moderne -- 8.1 Literatur und Moderne -- 8.2 Lebensformen in der Moderne -- 8.3 Natur in der Moderne -- 8.4 Mentalität und Moderne: Versuch einer psychoanalytischen Deutung der Person Hermann Löns -- 9. Resümee und Ausblick: Der Löns-Mythos -- 1. Auflagenentwicklung -- 2. Tabelle zur Auflagenentwicklung -- 3. Zeittafel zu Leben und Werk Hermann Löns' -- 1. Quellen aus Archiven -- 2. Primärliteratur -- 2.1 Texte von Hermann Löns -- 2.1.1 Werkausgaben -- 2.1.2 Textausgaben -- 2.1.3 Artikel und Aufsätze -- 2.1.4 Briefe und Autobiographisches -- 2.2 Quellensammlungen -- 2.3 Werke anderer Autoren -- 3. Lexika, Hilfsmittel, allgemeine Literatur -- 4. Sekundärliteratur -- 4.1 Sekundärliteratur zu Hermann Löns -- 4.1.1 Löns-Bücher (allgemein) -- 4.1.2 Aufsätze u.ä. -- 4.1.3 Zeitungsartikel und Rezensionen -- 4.1.4 Dissertationen u. a. wissenschaftliche Arbeiten -- 4.2 Allgemeine Sekundärliteratur -- 4.2.1 Zur faschistischen und präfaschistischen Literatur -- 4.2.2 Zur Literatur und Kultur der Jahrhundertwende -- 4.2.3 Zur Tier- und Jugendliteratur -- 4.2.4 Zum geschichtlichen Hintergrund -- 4.2.5 Zur Geschichte der Jugendbewegung -- 4.2.6 Zur Geschichte des Umweltschutzes -- 4.2.7 Zum Film -- 4.2.8 Zur Musik -- 4.2.9 Zur Psychologie -- 4.2.10 Sonstiges.
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Hintergrund dieses Buches ist die aktuelle Situation in Deutschland. Gekennzeichnet ist diese durch existenzbedrohende Preiskämpfe auf überwiegend gesättigten Märkten. Einhergehend ist diese mit einer stärkeren Segmentierung der Märkte durch zunehmende Individualisierung der neuen Konsumenten. Die stagnierende Homogenität der Produkte und der Mangel an echten, für den Konsumenten relevanten Produktinnovationen, fordert eine neue Ausrichtung der Kommunikation. Es gilt für Unternehmer und Werbefachleute sich dieser Herausforderung zu stellen. "Meine Muse ist der Mangel", so hat es der Schriftsteller und Buchautor Martin Walser einmal treffend formuliert. Auch ich sehe immer noch einen gewissen Mangel in der Kommunikation und Unternehmensausrichtung hinsichtlich dieser genannten Tatsachen, was mich schliesslich bewog dieses Buch zu schreiben. Im ersten Teil des Buches wird auf die betriebswirtschaftliche Bedeutung des Best Age-Marktes und die strategische Unternehmensausrichtung eingegangen. Zielsetzung des strategischen Teils ist es, sich bereits vor dem Eintritt in den Best Age-Markt einige grundsätzliche strategische Überlegungen bewusst zu machen. Dabei gilt es, erkennbare Entwicklungen der nächsten Jahre mit einer neuen Strategieempfehlung zu begegnen. Der Best Age-Markt soll durchaus kritisch hinterleuchtet werden und ein vorausschauendes Profil des Best Agers erstellt werden. Ausserdem wird der Frage nach der Segmentierung des Marktes mit einem neuen Segmentierungsansatz begegnet werden, der nicht Anspruch auf Vollständigkeit, sondern Anspruch auf Gültigkeit stellt. Im zweiten Teil der Arbeit soll eine psychologische Hinführung an den Konsumenten erfolgen. Was bestimmt sein Handeln? Und was bedeutet das für die Werbung? Dies zu beantworten ist Aufgabe dieses psychologischen Teils. Schwerpunkte meiner Arbeit bilden dabei unbewusste Prozesse, die Macht von Emotionen und neuere psychologische Phänomene. Es soll über dies der Beweis erbracht werden, welche unumgängliche Bedeutung Emotionen für die Werbung besitzen. Weiter soll gezeigt werden, dass mit dem psychologischen Selbstkonzept ein, aufgrund seiner umfassenden Bedeutung, elementares Handlungsmodell unbedingt Einzug in die werbliche Betrachtung des Best Agers halten muss. Das Selbst wird hier eine wesentliche Rolle spielen. Im dritten und letzten Teil wird eine Umsetzung in der TV-Werbung angestrebt, die im Wesentlichen auf dem werbehabitualsierierten Konsumenten basiert. Es sollen Mittel und Wege aufgezeigt werden, wie es gelingen kann über Stereotype auch den Best Ager anzusprechen. Über dies hinaus, werden dem Leser einige entscheidende Umsetzungsregeln und Muster an die Hand gegeben, mit denen er zukunftgerichtete, zielgruppenadäquate, kreative und effiziente Best Ager-Werbung im TV kommunizieren kann. Grundsätzliches Ziel der zu Grunde liegenden Diplomarbeit war es einen möglichst umfangreichen Überblick zu geben und dabei die nötige Tiefe nicht zu vernachlässigen. Dabei wird immer vom Allgemeinen auf das Besondere, sprich den Best Ager, geschlossen. Bewusst wird dabei in wissenschaftlichen Bereichen gesucht, die nur auf den zweiten Blick äusserst ertragreich für das Marketing sind. Diese Arbeit soll dem Leser helfen die Zeichen der Zeit zu erkennen und seine Unternehmungen an den gegebenen Umständen erfolgreich in die Zukunft zu führen. Ihm werden Überlegungen nahe gelegt, die aus der Beobachtung der wirtschaftlichen Realität geboren sind. So ist die demographische Entwicklung unserer Gesellschaft schon lange bekannt. Doch nur zögerlich wird darauf reagiert. Schon vor über zehn Jahren wurde der Seniorenmarkt als Wachstumsmarkt erkannt. Auch ist das Thema gesättigter Märkte kein neues. Es ist besonders auch an alle Werbetreibenden gerichtet, die sich ihrer entscheidenden Kommunikationsaufgabe bewusst sein dürften. So ist es, nach meiner Auffassung, für den Kreativen in der Agentur genauso wichtig, betriebswirtschaftliches und strategisches Grundverständnis zu schulen, wie es für den Unternehmer wichtig ist, eine richtige Vorstellung von Kommunikation und Kreativität zu besitzen. Denn wer nicht kommuniziert, existiert nicht! Es geht also um die Existenz.
In: Sociologia ruralis, Band 13, Heft 2, S. 215-234
ISSN: 1467-9523
Book reviewed in this article:Davicu, Savel (1972), Dinamica satului romanesc contemporan (The dynamic of the contemporary village)Külp, Bernhard und Wilfrid Schreiber (Hrsg.) (1971), Soziale Sicherheit (Neue Wissenschaftliche Bibliothek 40, Wirtschaftswissenschaften; Köln‐Berlin: Kiepenheuer & Witsch), 463 S.Ritsert, Jürgen und Egon Becker (1971), Grundzügesozialwissenschaftlich‐statistischer Argumentation. Eine Einführung in statistische Methoden (Opladen: Westdeutscher Verlag), 237 S.Rochlin, R. Peter und Ernst Hagemann (1971), Die Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion und der Volksrepublik China ‐ eine vergleichende Studie (Collectivization of agriculture in the Soviet Union and the People's Republic China ‐ a comparative study) (with an English summary), (Berlin: Duncker & Humblot), 175 p.Erdei, Ferenc et alii (1970). Sociological aspects of rural life in Hungary (Budapest: Research Institute for Agricultural Fkonomiu. Bull. 28)Erdei, Ferenc (1969), Social problems of co‐operative farms (Budapest: Research Institute for Agricultural Economics. Bull. zy)Suttles, G. D. (1972), The social construction of communitiea (Chicago University Press)Jacoby, Erich H. and Charlotte F. Jacoby (1971). Man and land. The fundamental issue in development (London: Deutsch)Vries, Hille de (1971), Landbouw en bevolking tijdens de agrarische depressie in Friesland (1878–1895) (Agriculture and population in Friesland during the Great Depression) (Wageningen: H. Veenman en Zonen)Steinbuch, K. (Hrsg.) (1970), Systems ′69. Internationales Symposium über Zukunftsfragen (Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt)Blanckenburg, Peter v. und H.‐D. Cremer (Herausgeber) (1971), Handbuch der Landwirtschaft und Emährung in den Entwicklungsländern, Band II: Pflnzliche und tierischc Produktion in den Tropen und Subtropen (Stuttgart: Eugen Ulmer), 1041 Seiten, 134 Tabellen und 305 Abbildungen.Oommen, T. K. (1972), Charisma, stability and change ‐ an analysis of bhoodan ‐ gramdan movement in IndiaTh. Bergmann Lambert, Bernard (1971), Bauern im Klassenkampf (aus dem französischen von Eva Moldenhauer), (Berlin: Wagenbach), 140 S.Gunnar Myrdal (1970), Politisches Manifest über die Armut in der Welt (aus dem Amerikanischen von SuzanneReichstein), (Frankfurt: Suhrkamp)Roche, G. (1972), A general introduction to sociology. A theorical perspectiveEl medio rural en Andalusia (1971). (The rural environment in Andalusia), (Madrid: Ministerio de Agricultura, Servicio National de Concentration Parcelaria y Ordenacion Rural), Serie Monografica No. 23. English and French summary
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Mit Nachdruck plädiert die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK für den Einsatz generativer KI-Sprachmodelle im Schulunterricht – allerdings nur für ältere Schüler. Die Bildungsforscherin Ulrike Cress über das Lernen mit ChatGPT, die Auswirkungen auf Prüfungskultur und Chancengerechtigkeit – und die Bedeutung guten Promptens.
Ulrike Cress ist Psychologin, Bildungsforscherin und Direktorin des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM). Seit Mai 2021 gehört sie der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusminsterkonferenz an. Foto: IWM.
Frau Cress, jetzt also auch die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK): "Large Language Models und ihre Potenziale im Bildungssystem" heißt das Impulspapier mit Empfehlungen, das Sie heute veröffentlichen. Können Sie den vielen Stellungnahmen zu LLM, ChatGPT & Co überhaupt noch Substanzielles hinzufügen?
ChatGPT war ein Einschnitt und markierte den enormen Fortschritt, den die generative Künstliche Intelligenz (KI) gemacht hat. Sie ist erstmals in der Breite der Gesellschaft angekommen, auch in der Breite des Bildungswesens, und damit ergeben sich viele Fragen für die Schule und für
das Prüfungswesen. Darauf wollten wir als SWK reagieren und bewusst einen Impuls der Versachlichung setzen gegen die Aufregung der vergangenen Monate. Vielen ist erst durch ChatGPT auf einen Schlag klar geworden, was sich schon lange abzeichnete: dass KI und digitale Medien Schule dramatisch verändern. Doch darauf mit einem Verbot von LLM reagieren zu wollen, halten wir als Ständige Wissenschaftliche Kommission weder für angemessen noch realistisch. Mit unseren Empfehlungen wollen wir Orientierung geben.
"Gerade Kinder und Jugendliche haben sehr schnell gemerkt, was sie mit LLM alles machen können.
Die Lehrkräfte waren etwas langsamer."
Als jemand, die sich seit vielen Jahren mit digitalen Medien auseinandersetzt, haben Sie selbst mit einer so rasanten Entwicklung generativer KI-Sprachmodelle gerechnet?
Wir haben an unserem Institut bereits vor Jahren zu LLM geforscht; damals GPT2, das noch viel schwieriger zu bedienen war. Trotzdem waren wir bereits beeindruckt, wie gut das Tool zum Beispiel bei der Erstellung von Gedichten war. Dass der Fortschritt hin zu einer derart vereinfachten Nutzung dann so schnell gehen würde, haben wir uns damals aber nicht vorstellen können. Doch erst dies ermöglichte den weitreichenden Einsatz, wie wir ihn jetzt erleben. Die Dialogfähigkeiten heutiger Systeme verführen dazu, sie spielerisch auszuprobieren. Gerade Kinder und Jugendliche haben sehr schnell gemerkt, was sie damit alles machen können. Die Lehrkräfte waren etwas langsamer.
Und kritischer?
Sicherlich stand am Anfang die Sorge im Vordergrund: Was passiert jetzt mit den Hausaufgaben, die wir stellen, was machen LLM mit der Schule, wie wir sie kennen? Der zweite Schritt kam aber nur wenig später. Dass viele Lehrkräfte sich gefragt haben: Wie können wir so ein System sinnvoll nutzen für den Unterricht? Womit wir sofort bei der systemischen Frage sind: Was braucht es, damit LLM, die ja nicht für die Schule entwickelt wurden, dort eine positive Wirkung entfalten können?
Die systemische Frage?
Ja, welche Unterstützung benötigen Lehrkräfte, um sich individuell mit diesem Tool auseinanderzusetzen, und durch wen? Welche Fortbildungsangebote erfordert das? Hier braucht unser Bildungssystem einen systematischen Ansatz, eine gemeinsame Vorstellung, was sich zum Positiven verändert, was zum Negativen, wie wir den Nutzen maximieren und den Schaden geringhalten.
In ihren Empfehlungen fordert die SWK eine Übergangsphase, eine Zeit der Erprobung zwischen Praxis und Wissenschaft. Was genau meinen Sie damit?
Es gibt noch keine umfassenden Studien zu den Effekten, wie sich LLM auf den Bildungserfolg auswirken. Trotzdem können wir nicht warten, bis empirische Evidenz vorliegt, die Schulen brauchen jetzt eine Einordnung. Immerhin haben wir Evidenz zu anderen Tools. Etwa als in den Schulen Taschenrechner eingeführt wurden, gab es dieselben Diskussionen, ob am Ende keiner mehr das Kopfrechnen lernt. Seitdem wissen wir aus der Lernforschung, wie sich neue Hilfsmittel so in der Schule einsetzen lassen, dass sie für den Lernerfolg förderlich sind und ihn nicht behindern. Doch was davon lässt sich auf LLM übertragen? Das gilt es in der Übergangsphase herauszufinden, und dabei wollen wir als Wissenschaft die Lehrkräfte nicht allein lassen.
"Es ist Aufgabe der Politik, die nötige Rechtssicherheit zu schaffen."
Was bedeutet das praktisch?
Das bedeutet, dass wir in dieser Übergangsphase gemeinsam mit den Lehrkräften und den Landesinstituten für Lehrkräftebildung neue Unterrichtskonzepte entwickeln, evidenzbasiert. Und bis es die gibt, ist eine offene Fehlerkultur, eine Kultur des Ausprobierens, entscheidend. Fest steht: Nicht alles wird funktionieren, wie wir uns das wünschen.
Wie lange sollte die Übergangsphase dauern?
In unserem Impulspapier nennen wir keinen Zeitraum. Für mich aber dauert die Übergangsphase, bis es ausreichend Materialien und Konzepte zum Einsatz von LLM in Schulen gibt, die geprüft sind und von denen wir wissen, was sie wirklich bewirken.
Erneut müssen sich das deutsche Bildungssystem und die deutsche Bildungspolitik auf die Regeln und Bedingungen einer Technologie einlassen, die in den USA entwickelt wurde.
Zumal sich in den Schulen besondere Anforderungen an den Datenschutz stellen, an die rechtlichen Rahmenbedingungen, an die Transparenz. Als Kommission sagen wir: Es ist Aufgabe der Politik, hier die nötige Rechtssicherheit zu schaffen. Lehrkräfte brauchen Bedingungen, unter denen sie genau wissen, was sie dürfen und was sie nicht dürfen. Wir brauchen Tools, die nicht einfach Daten sammeln und an die Firmen zurückspielen. Die starke Abhängigkeit von US-Konzernen erfordert eine umso stärkere und eindeutige Reaktion der Politik. Eine zentrale Voraussetzung ist, dass die Bundesländer sich auf ein weitgehend gemeinsames Vorgehen einigen, wenn sie LLM in ihre Lernplattformen integrieren. Dass sie, wo möglich, Tools verwenden, die speziell fürs Lernen entwickelt wurden und frei beforscht werden können. Wir reden ja nicht nur über LLM, wir reden über die Möglichkeiten neuer intelligenter tutorieller Systeme insgesamt.
Von denen wir in Deutschland schon ziemlich lange reden. Wer soll das denn konkret leisten, die Entwicklung digitaler Tools und die Anpassung von LLM an die Bedürfnisse der Schulen in Deutschland?
Dafür braucht es genau jene dauerhafte Einrichtung länderübergreifender Zentren für digitale Bildung, die wir als SWK in unserem allerersten Gutachten überhaupt gefordert haben. In denen Experten aus Schulpraxis, Lehrerbildung, Wissenschaft und Unternehmen gemeinsam digitale Materialien und didaktische Konzepte für den Unterricht entwickeln und verteilen. Die Kompetenzzenten für digitales und digital gestütztes Lernen, die das BMBF befristet finanziert, sind ein erster Schritt, um zu zeigen, welches vielfältige Potenzial in digitalen Medien steckt. Wir müssen aber weg von der drittmittelfinanzierten, oft kleinteiligen Projektförderung. Wir müssen hin zum großen Ganzen, zum systematischen Blick auf einzelne Schulfächer, und dafür bräuchten wir größere Zentren ohne Befristung. Unser Vorschlag wäre, mit Zentren für zwei Fächer anzufangen, eine Naturwissenschaft, eine Sprache.
"Erst wenn ein Kind die eigenständige
Produktion von Texten wirklich beherrscht,
ergibt es Sinn, Tools wie ChatGPT einzusetzen."
Die SWK will ChatGPT & Co aus den Grundschulen möglichst heraushalten, warum?
Wir wollen nichts verbieten. Wir sind aber der Auffassung, dass das eigenständige Schreiben von Texten als Grundkompetenz und Kulturtechnik unbedingt erhalten bleiben muss. Schreiben ist das Werkzeug zum strukturierten Denken, zum Vernetzen der eigenen Gedanken und Argumente, das dürfen wir nicht preisgeben. Das Erlernen und Ausbauen dieser Kompetenz geschieht in der Grundschule und dauert bis in die Sekundarstufe hinein. Erst wenn ein Kind die eigenständige Produktion von Texten wirklich beherrscht, ergibt es Sinn, Tools wie ChatGPT einzusetzen. Aber immer in Form einer versierten Koaktivität – mit LLM als Hilfsmittel, um die eigenen Gedanken zu ordnen und weiterzuentwickeln.
Wie wollen Sie die Nutzung von ChatGPT durch Grundschüler verhindern? Spätestens am Nachmittag, wenn die Kinder zu Hause sind, ist der Zugriff möglich. Ist es dann nicht gefährlich, wenn die Grundschule das Tool tabuisieren würde?
Wir wollen nichts tabuisieren! Es ist sinnvoll, LLM und deren Nutzung in der Grundschule zu thematisieren. Aber wir müssen zugleich sicherstellen, dass der Erwerb von Schreibkompetenz nicht gefährdet wird. Deshalb werden Hausaufgaben künftig anders aussehen. Das klassische Textschreiben als Hausaufgabe wird es nicht mehr lange geben. Diesen Teil des Lernens müssen wir in den Unterricht verlagern, wo die Lehrkräfte einen Blick darauf haben.
Und wie wird sich die Prüfungskultur in den Schulen ändern? Ergibt das Schreiben von Klassenarbeiten ohne Hilfsmittel überhaupt noch Sinn, wenn das so gar nichts mehr mit dem späteren Leben zu tun hat?
Bildung wird auch künftig bedeuten, dass Wissen in den Köpfen entsteht und nicht einfach ausgelagert wird. Denn das ist die Voraussetzung, um die Welt begreifen zu können. Insofern wird es weiter hilfsmittelfreie Prüfungen geben, und das ist gut so. Aber je älter die Schüler werden, desto stärker kommt etwas Zweites dazu. Bin ich in der Lage, mein Wissen so einzusetzen, dass ich digitale Tools effizient prompten kann? Denn nur dann werden ich Texte erhalten, die mir wirklich etwas bringen.
"Ein Chatbot hat kein Verstehen, der liefert mir nur die statistisch wahrscheinlichste Antwort."
Prompten als neue Kulturtechnik?
Prompten als sprachliche Eingabe an den Chatbot, um ihn zu einer Antwort herauszufordern. Wie sinnhaft diese Antwort ist, ob sie einfach nur gut klingt oder tatsächlich stichhaltig ist, hängt entscheidend von meiner Eingabe ab, von meinem Inhaltswissen. Je mehr ich weiß, desto konkreter kann ich fragen und hinterfragen und anschließend prüfen, ob überhaupt richtig ist, was mir da geliefert wird, oder ob es sich um sogenannte Halluzinationen handelt, erfundene Sachverhalte, Zitate oder Fehler. Das erfordert eine hohe Kompetenz, die Schule künftig vermitteln muss und die Lehrkräfte, genauso wie die Schüler, erst erwerben müssen. Ein Chatbot hat kein Verstehen, der liefert mir nur die statistisch wahrscheinlichste Antwort.
Die Lehrkräfte können es auch nicht?
Die meisten sind in Sachen LLM und deren Einsatz genauso blutige Anfänger wie die Schüler, wobei die Schüler oft noch experimentierfreudiger sind. Darum plädieren wir als SWK für diese Übergangsphase und appellieren an alle Lehrkräfte: Setzt euch in dieser Zeit mit den Tools auseinander, macht eure Erfahrungen, übt damit, erstellt Unterrichtsmaterialien mit Hilfe von LLM. Dann merkt ihr schon, was funktioniert und was nicht. Natürlich kommt bei der Qualitätssicherung auch den Landesinstituten eine entscheidende Aufgabe zu, sie müssen zum praktischen Ausprobieren der Lehrkräfte die notwendigen reflektierenden Fortbildungen anbieten.
Wir wissen aus der Forschung zum Einsatz digitaler Medien, dass sie die Bildungsungleichheit eher noch erhöhen können. Man spricht dann vom sogenanntem Matthäus-Effekt: Wer schon hat, dem wird noch mehr gegeben. Vergrößert sich dieser Effekt durch LLM noch?
Wenn Sie die Kinder sich selbst überlassen bei der Nutzung von ChatGPT, ist das sicher so. Kinder, die von ihren Eltern die nötige Unterstützung und Bildung mitbekommen, werden dem Tool dann gute Fragen stellen, effektiv prompten, und gute Antworten bekommen. Sie werden auch eher in der Lage sein, die Qualität der Texte, die sie erhalten, einzuschätzen. Weniger privilegierte Kinder dagegen werden LLM unter Umständen so nutzen, dass sie eben nicht mehr das eigenständige Schreiben von Texten erlernen. Genau deshalb ist es ja so wichtig, dass Schule und Unterricht sich verändern und dass Lehrkräfte lernen, hier gezielt zu instruieren. Dann nämlich könnte es sogar zur gegenteiligen Wirkung kommen: wenn eine Lehrkraft LLM einsetzt, um Lernmaterialien zu erstellen, die auf die Leistungsniveaus der einzelnen Kinder angepasst sind. Oder auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Indem zum Beispiel Erklärtexte in einfache Sprache übersetzt werden, damit Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, einen besseren Zugang erhalten. In dem Sinne sollten LLM übrigens auch in den Grundschulen eine große Rolle spielen, in ihrer Nutzung durch die Lehrkräfte.
Insgesamt werden LLM viele interessante Unterrichtsmöglichkeiten eröffnen, die wir bisher nicht hatten. Etwa, wenn ein Kind durch LLM mit einer literarischen Figur reden kann, die ihm den Zugang zum Lesen eröffnet. Das sind didaktische Möglichkeiten einer interaktiven Bildung, die sich vor kurzem keiner hätte vorstellen können.
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Haben die deutschen Universitäten den Reformwillen, um ihre Karrierewege wirklich zu verändern? Und welche Unterstützung brauchen sie dafür? Eine neue Folge von "Wiarda wundert sich" mit drei Autor:innen eines streitbaren Thesenpapiers.
Der Fragensteller-Podcast mit Waltraud Kreutz-Gers (oben), Walter Rosenthal (unten Mitte) und Georg Schütte (rechts). Foto Kreutz-Gers:Thomas Hartmann; Foto Rosenthal: Jens Meyer; Foto Schütte: Philip Bartz.
DREI UNICHEFS, eine Kanzlerin und der Generalsekretär der Volkswagenstiftung haben sich zusammengetan, um ein gemeinsames Thesenpapier zur "Reformbedürftigkeit universitärer Beschäftigungsstrukturen" zu schreiben. Ist das ein letzter Abwehrversuch, damit sich angesichts von "#IchbinHanna" und WissZeitVG-Debatte nicht zu viel ändert? Oder Ausdruck des Bewusstseins, dass an den deutschen Hochschulen tatsächlich vieles nicht so bleiben kann, wie es ist?
"Mit der Veröffentlichung dieses Thesenpapiers möchte die VolkswagenStiftung die Debatte um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in neue, weiterführende Bahnen lenken", steht bereits im Vorwort. Und im letzten Absatz heißt es: "Angesichts der demografischen Entwicklung, eines sich wandelnden Arbeitsmarktes und nicht zuletzt angesichts des zunehmenden Wunsches nach einer ausgeglichenen Work-Life Balance" müsse sich das universitäre System verändern.
Aber was bedeutet das konkret? Waltraud Kreutz-Gers, Kanzlerin der Universität Mainz, sagt im Podcast, dass eine Gesetzesreform für sich genommen das Problem bei den Perspektiven und der Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren nicht lösen werde. "Wir richten den Blick (an den Universitäten) also nach innen, auf die eigene Reformbedürftigkeit."
Walter Rosenthal, gerade neu gewählter Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und langjähriger Präsident der Universität Jena, sagt, die Universitäten müssten künftig "anders mit zeitlich befristeten Stellen umgehen", "neue Kategorien" und "Verlässlichkeit und Transparenz" schaffen. "Und in einzelnen Fällen wird es hier und da auch mehr Dauerstellen geben, aber sicher nicht flächendeckend", was sich schon aus der Finanzierung der Universitäten ergebe.
Es gebe "eine gewisse Trägheit im System", sich so zu verändern, sagt Stiftungs-Generalsekretär Georg Schütte. Es brauche ein "Zusammenspiel von Eigendynamik in den Hochschulen, die ja auch zu Recht autonom handeln können und sollen". Aber auch die Gesetzgeber und Wissenschaftsförderer müssten handeln.
Tatsächlich ist im Papier und auch im Podcast viel von Transparenz und attraktiven Beschäftigungsbedingungen die Rede. Hierarchische Strukturen werden als Modernisierungshemmnis bezeichnet, attraktive Qualifizierungsphasen und Vertragslaufzeiten angemahnt – und Dauerstellen ein "Element der universitären Zukunftsfähigkeit" genannt. Gleichzeitig plädieren die Autor:innen aber dafür, den Betroffenen selbst die Entscheidung zu überlassen, ob sie sich auf die (nach Meinung meiner Gesprächspartner immer mit einer wissenschaftlichen Karriere verbundenen) Unsicherheit einlassen wollen.
Wie das alles zusammenpasst und warum die Universitäten nach Meinung meiner drei Gäste bereits auf einem guten Weg sind: Eine neue Folge von "Wiarda wundert sich" über universitäre Transformationsprozesse mit Waltraud Kreutz-Gers, Walter Rosenthal und Georg Krausch. Die weiteren Autoren des Papiers waren die Präsidenten der Universität Mainz und Frankfurt am Main, Georg Krausch und Enrico Schleiff.
Als Download:
Wiarda wundert sich_8_Schuette.mp3
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»Aus Kiel in die Welt«. Der Titel der Festschrift, mit der das 100-jährige Bestehen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel gewürdigt wird, mag auf den ersten Blick irritieren. Der Untertitel »Kiel's Contribution to International Law« verdeutlich allerdings, was gemeint ist: Ehemalige Mitarbeiter/innen des Instituts bekleiden Lehrstühle im In- und Ausland, sind im Auswärtigen Amt tätig, in Ministerien, in der Richterschaft und Anwaltschaft. Alle ehemaligen Doktorand/innen, Habilitand/innen und natürlich auch die ehemaligen und jetzigen Direktor/innen wurden daher gebeten, einen Beitrag für die Festschrift zu schreiben – um ihren heutigen Tätigkeitsbereich aufzuzeigen und um ihre bleibende Verbundenheit mit dem Institut zu dokumentieren. Ergänzt wird der Band durch eine Liste aller Doktorand/innen und Habilitand/innen des Instituts seit 1914 sowie eine Zusammenstellung aller Bände, die seit 1915 in den diversen Institutsreihen erschienen sind. Das Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel feiert 2014 sein 100-jähriges Bestehen. Die aus diesem Anlass herausgegebene Festschrift »Aus Kiel in die Welt« vereint Beiträge ehemaliger Doktorand/innen und Habilitand/innen sowie ehemaliger und jetziger Direktor/innen. Ergänzend treten eine Liste aller Doktorand/innen und Habilitand/innen des Instituts seit 1914 sowie eine Zusammenstellung aller seit 1915 in den Institutsreihen erschienenen Bände hinzu. Prof. em. Dr. Dr. h.c. Jost Delbrück, LL.M., LL.D. h.c. wurde nach seiner Habilitation 1971 in Kiel an die Universität Göttingen berufen. 1976 kehrte er nach Kiel zurück und übernahm den Lehrstuhl für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völkerrecht, Europarecht und Allgemeine Staatslehre. Gleichzeitig wurde er Ko-Direktor des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht, dessen Leitung er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2001 innehatte. Zu den Hauptwerken von Prof. Delbrück zählt das in mehreren Teilbänden in zwei Auflagen erschienene Lehrbuch »Völkerrecht« von Georg Dahm / Jost Delbrück / Rüdiger Wolfrum, sowie die Herausgabe des »German Yearbook of International Law«. Prof. Dr. Andreas von Arnauld ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völker- und Europarecht an der Universität Kiel und Direktor des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht. Zuvor lehrte er als Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Völker- und Europarecht an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg (2007–2012) sowie an der Universität Münster (2012–2013). Seine Forschungsschwerpunkte umfassen das internationale Friedenssicherungsrecht, den Grund- und Menschenrechtsschutz, Rechtsstaatlichkeit (rule of law), rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung sowie Recht und Literatur. Prof. Dr. Kerstin Odenthal ist Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völkerrecht, Europarecht und Allgemeine Staatslehre an der Universität Kiel sowie Geschäftsführende Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht. Davor war sie von 2004 bis 2011 Professorin für Völker- und Europarecht an der Universität St. Gallen, Schweiz. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen bei den Grundlagen des Völker- und Europarechts sowie dem internationalen Umwelt,- Kultur- und Sicherheitsrecht. Prof. Dr. Nele Matz-Lück, LL.M., ist seit 2011 Professorin für Seerecht an der Universität Kiel und Ko-Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht. Seit 2004 war sie als Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg beschäftigt. Für die Dauer von zwei Jahren war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Bundesverfassungsgericht abgeordnet. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Seerecht, Umweltvölkerrecht und in grundlegenden Fragen des Völkerrechts.
Jam oder Marmelade? -- Striche an der Partitur -- Zur Verteidigung der reinen Forschung -- Schritthalten mit der Wissenschaft -- Sir Francis Simon, Tieftemperaturphysiker -- Die Theorie des Schabernacks — Ihre Bedeutung für die Physik -- Der Theoretiker -- Universitätsgründung anno 1229 -- Atmosphärisches Possenspiel -- H. A. Rowland -- Das Smithsonische Institut -- Nach einem Kinderlied -- Die Akademie -- Sonnenfinsternis -- Triumph der Vernunft -- Das amerikanische Institut für nutzlose Forschung -- Bemerkungen zur Quantentheorie der Nullpunktsenergie -- Ein Beitrag zur mathematischen Theorie der Großwildjagd -- Kernreaktion und Kinderglaube -- Trugschlüsse und ihre Anwendungen -- Grundlagenforschung -- Die ersten Experimente von Humphry Davy -- Maxwells Äther -- Geschichte der Blasenkammer -- Arroganz in der Physik -- Womit beschäftigen sich die Physiker -- Boltzmann über Stil in der Physik -- Seefahrt -- Ein Experiment zum Beweise, daß Wasser unter dem Einfluß von Feuer unendlich elastischer ist, als Luft unter denselben Umständen; beschrieben von dem verstorbenen hochwürdigen Herren John Clayton, Dechant von Kildare in Irland -- Konfrontation -- Rutherford als Doktorvater -- Bunsenbrenner -- Rutherford und die kleinen Zeichen der Natur -- Epigramme -- Einheit der Kapazität -- Forschungsorganisation 1920 -- Faradays Vorlesungen -- Wie Newton das Gravitationsgesetz entdeckte -- Elektrotherapie -- Die Anfänge des Radars -- Gebäude und Forschung -- Gefahren des modernen Lebens -- Kommentare und Vorhersagen -- Britische Einheiten -- Welche Längeneinheiten? -- Trägheit eines Besenstiels -- Alpher, Bethe und Gamow -- Elektromagnetische Einheiten I -- Elektromagnetische Einheiten II -- Die Wirkung von Gasen -- Abschied von der Kalorie -- Aus der Frühzeit der Röntgenstrahlen -- Ein Zeitungsbericht -- N-Strahlen -- Zeitungsbericht -- Meine erste Begegnung mit Niels Bohr -- Frank Jewett -- Theoretische Zipperdynamik -- Strahlenmedizin -- 100 Autoren gegen Einstein -- Ein Medizinstudent bei der Physikprüfung -- Das hohe Erziehungsniveau in Schottland -- Ultraviolett-Katastrophe -- Flachland: Eine vieldimensionale Romanze -- Lehrbücher -- Wie theoretische Physiker arbeiten! -- Die Kunst die rechte Skala zu verwenden -- Thermoelektrische Erscheinungen -- Über die Stabilität von Hebeoperatoren gegen Störungen: LVII -- Analyse zeitgenössischer Musik mittels harmonischer Oszillatorwellenfunktionen -- Gebete der Forscher -- Der Himmel ist heißer als die Hölle -- Über die Möglichkeit von Kohlebetriebenen Kraftwerken -- Quantenmechanik und Geistererscheinungen — Eine Theorie betreffend Geister -- Analyse der Spannungen, die an einem trägerlosen Abendkleid auftreten -- Murphys Hauptsatz -- Zwei Vorlesungsdemonstrationen -- Ein Wörterbuch für Forschungsberichte -- Fundamentale und weniger fundamentale Wissenschaft -- Was wir auf dem Mond suchen -- Alte britische Einheiten -- Leben auf der Erde (gesehen von einem Marsbewohner) -- Didaktik — Definitionsgemäß -- Das Malbuch der Hochenergiephysik -- Schlangen und Leitern -- Schreibe Deinen eigenen Cern-Courier -- Es war ein Elektron -- Gullivers Computer -- Der Computer ein Baccalaureus? Nein! -- Wozu Experimente? -- Das Chaostron (Ein bedeutender Fortschritt auf dem Gebiete der künstlichen Intelligenz) -- Physik ist zu jung -- Ja, Virginia -- Valentinsgruß eines Telegraphisten ? an einen Telegraphisten ? -- Wie soll man lernen? -- Zerstreutheit -- Schulabgangsprüfung -- Wo soll man Konferenzen über Kernspektroskopie in Rußland halten? -- Prüfungsfragen -- Mündliche Prüfungstechnik -- Enrico Fermi -- Die richtige Verwendung von Diapositiven -- Newton und die Tatsachen -- Ein Konferenzglossar -- Die Vermessung durch Mason und Dixon -- Pulsare -- Zahnräder -- Durchgang der Venus vor der Sonne -- Zeitungsbericht -- Gedicht, angeregt durch eine Vorlesung über außerirdisches Leben -- Der Prozeß gegen Galileo Galilei -- John Daltons Entdeckung seiner Farbenblindheit -- Paris, Mai 1832 -- Peinlicher Zufall -- Wolken, 1900 -- Frage und Antwort -- Ode an den Pulsar -- Ein Zeitungsbericht -- Selbstverschuldete Enttäuschung -- Unbesungene Heroen I: J. B. Moiré -- Unbesungene Helden II: Juan Hernandez Torsión Herrera -- Walter Nernst -- Wissenschaftliche Methode -- Ein rotierender Hund -- Wolfgang Pauli -- Schultern der Giganten -- Sir Isaac Newton, kurze Zeit vor seinem Tode.
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Die hier vorgelegte Arbeit stellt die Frage nach der Notwendigkeit und dem Gebrauch von Beischriften auf Handzeichnungen. Diese so genannten Beischriften sind handschriftliche Notizen des Zeichners, eines Sammlers, Händlers oder jeder anderen Person, die der Zeichnung eine Anmerkung hinzufügt. Beischriften beschreiben, schreiben zu, erläutern, heben hervor, erinnern, unterstützen, benennen, belehren, führen Beweis, weisen an, verändern oder streichen. Sie können ebenfalls etwas festhalten, was die Zeichnung noch nicht wiedergibt oder im ausgeführten Werk nicht mehr zu finden ist. Sie sind dann Stellvertreter für eine (noch) nicht stattgefundene zeichnerische Handlung und übernehmen die Aufgabe der Überarbeitung oder Retusche. Um die Vielfältigkeit der möglichen Beischriften vorzustellen, wurden für den ersten Teil der Einleitung Werke auf Papier aus dem Zeitraum ca. 1500-1900 ausgewählt. Sie überliefern die verschiedenen Funktionen der Beischrift, darunter zum Beispiel die Verschiebung des Malerstatus vom Handwerker zum gefragten Künstler, also das sich wandelnde soziale Selbstverständnis der Meister. Die Zusammenarbeit und Arbeitsverteilung mehrerer Künstler wird dabei genauso offensichtlich wie das sich ändernde Verhältnis des Malers zu seinen Auftraggebern. Der zweite Teil der Einleitung sowie der Katalog sind den Beischriften des Peter Paul Rubens (1577-1640) gewidmet. Erstmals wird ein Großteil seiner Beischriften in einem kommentierten Band zusammengetragen. Die knapp einhundert handschriftlichen Anmerkungen auf seinen rund zweihundertfünfzig Zeichnungen bieten sich gewinnbringend zum Studium an. Seine weithin bekannte Eloquenz, Gelehrsamkeit und politische Bildung spielen dabei eine deutliche Rolle. Die Zeichnungen belegen Rubens' Zusammenarbeit mit seiner Werkstatt, sowie seine Denk- und Arbeitsschritte bei der Entwicklung von Kompositionen (Nrn. 47, 49). Dabei fällt, einerseits, sein wissenschaftliches Auge und Interesse an antiken Objekten (Nrn. 25-29, 63) auf. Aus der Art und Anzahl der Notizen, die sich sowohl auf seinen eigenen Erfindungen als auch auf Kopien nach anderen Künstlern befinden (Nr. 1-4, 51, 59, 60, 62), andererseits, lassen sich Rückschlüsse auf sein Verständnis von Kunst ziehen. In diesen Bemerkungen spiegeln sich Elemente einer Kunsttheorie wider, die nur bruchstückhaft überliefert sind. Die große Anzahl an Abbildungen, auch von Briefen, bietet seit Hans-Gerhard Evers' (1943) und Julius Helds (1959) Kapiteln zu Rubens' Handschrift und Beischriften die erste neue Gelegenheit, die Handschrift des Rubens über einen Großteil seines Lebens zu verfolgen und dadurch ein besseres Verständnis seines Werks zu erlangen. ; This thesis discusses the use of annotations on (preperatory) drawings from ca. 1500-1900 with its core focusing on the drawings by Peter Paul Rubens. An annotation can be a verbal correction of the drawing, but also part of a contract or a letter directed to a client. These inscriptions have different purposes and functions (correct, delete, amend) and very often provide a good or better insight into the work processes of the master and his workshop. The many annotated drawings of Peter Paul Rubens provide an ideal case study to learn more about such remarks in general but further to expand the knowledge on Rubens's drawing style by taking a closer look at his handwriting as well as the contents of these remarks.
The cultural heritage of any society is mainly present in urban public space and in a variety of ways. The awareness and maintenance of this heritage in remembrance, however, is subject to continuously renewed contextualisation. In part this is due to changes in the social and political environment, but also to society handling its past in ongoing discursive process. Moreover, in the decades since the fall of the Iron Curtain in 1989, older structures have come to the fore, some have been forgotten or suppressed, new ones added. The city is generally seen as the entirety of a condensed human existence, with the urban public space, and how it is shaped over time, as inscriptions in the city's archive or memory. How this "archive" is accessed and understood depends on the opportunities for a methodological scientific toolkit and, most of all, on recognising, documenting and using the existing heritage. Taking advantage of a generously sponsored project of the Austrian agency for international mobility and cooperation in education and research, OeAD, a young generation of students from the universities of Chernivtsi (Ukraine) and Innsbruck (Austria) were able to familiarise themselves over two years with the multifaceted stored memory that is public space. They enjoyed academic support from faculty and representatives of selected museums in Tyrol and the Chernivtsi region. In the course of interdisciplinary exchange, the students took up exchange placements that taught them basic approaches to handling this important and sensitive social resource and to develop an intuition for it. The students also learned in practical terms how to carry a project through, from its inception via fieldwork in situ to the sometimes arduous task of writing it up and preparing texts for publication. There was also room for social aspects like solidarity, mutual support and maybe even friendship, especially between the young participants. These are among the most significant results of this undertaking. - Das kulturelle Erbe einer Gesellschaft ist vor allem im öffentlichen urbanen Raum in vielfacher Weise im Alltag präsent. Die Wahrnehmung und Pflege dieses Erbes in der Erinnerung ist indes einer ständigen Neukontextualisierung unterworfen. Gründe dafür liegen u.a. im veränderten gesellschaftlichen wie politischen Umfeld, aber auch im konstant diskursiven Umgang der jeweiligen Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit. In den Jahrzehnten seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 haben sich zudem ältere Strukturen in den Vordergrund geschoben, Manches wurde vergessen oder verdrängt, Neues ist hinzugekommen. Gilt die Stadt gemeinhin als Grundgesamtheit eines verdichteten menschlichen Daseins, so sind der urbane öffentliche Raum und seine zeitlichen Prägungen Einschreibungen in ihr Archiv bzw. ihre Erinnerung. Zugriff und Verständnis dieses 'Archives' sind dabei abhängig von den Möglichkeiten eines methodisch wissenschaftlichen Instrumentariums, vor allem aber auch vom Erkennen, Dokumentieren und Nutzen des vorhandenen Erbes. Auf Basis eines vom Österreichischen Austauschdienst großzügig geförderten Projektes konnte sich über einen Zeitraum von zwei Jahren eine junge Generation von Studierenden der Universitäten Tscherniwzi (Ukraine) und Innsbruck (Österreich) unter wissenschaftlicher Begleitung sowie Vertretern ausgewählter Museen aus dem Bundesland Tirol und dem Gebiet Tscherniwzi mit dem facettenreichen Gedächtnisspeicher urbaner Raum vertraut machen. Im interdisziplinären Austausch gelang es, in Form eines wechselseitigen Praktikums grundlegende Ansätze zum Umgang mit und dem Gefühl für diese ebenso wichtige wie sensible gesellschaftliche Ressource zu vermitteln. Für die Studierenden bot das Vorhaben zudem die Möglichkeit, praxisnah ein Projekt von seinen Anfängen über die Feldforschung vor Ort bis hin zum nicht immer ganz mühelosen Schreiben der Texte sowie ihrer Publikationsvorbereitung zu gestalten. Solidarität, Kollegialität und vielleicht auch Freundschaft vor allem unter den jungen Menschen kamen dabei als soziale Aspekte keineswegs zu kurz. Sie zählen wahrscheinlich zu den wichtigsten Ergebnissen dieses Unterfangens.
"Theatervermittlung ist kein einheitlich definierter Begriff […] und die Grenzen zu Pädagogik, Marketing oder Kunsttheater sind uneindeutig", erklären Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye und Yvonne Schmidt in ihrem 2010 erschienenen Beitrag Theater für alle, aber nicht von allen?. Das aktuelle Forschungsfeld der Theatervermittlung konstituiert – durch die spezifischen Funktionen und die unterschiedlichen Vermittlungspraktiken und Zielgruppen, die begreiflicherweise in dieses Gebiet eingewoben sind – ein breites (Wissenschafts-)Spektrum. Dabei tritt immer häufiger der wissenschaftliche Diskurs in den Vordergrund. Aufbauend auf theoretische Überlegungen und aktuelle Publikationen befasst sich der vom Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste herausgegebene Sammelband mit einem herausfordernden Vorhaben: Er will die Diskrepanz zwischen wissenschaftlichem Diskurs und Praxiswissen verringern und die Theatervermittlung als reflexive Praxis mitgestalten. Durch die fachlich soliden und praxisorientierten Beiträge von Wissenschaftler_innen und Praktiker_innen aus verschiedenen Disziplinen wird auf reflexiver Ebene das Berufsfeld der Theatervermittlung (nach Ute Pinkert) 'auf dem Weg zur Professionalisierung' bestätigt. Die Analyse und Systematisierung des vorhandenen Praxiswissens unterstützt zudem die Herausarbeitung eines Fachdiskurses und die Positionierung von Theatervermittlung innerhalb des Tätigkeitsbereichs von Theater. Die im Band enthaltenen Beiträge thematisieren in vielfältigen Vermittlungsansätzen die kulturelle Teilhabe verschiedener sozialer Schichten am Theater. Zahlreiche Formen der Partizipation stehen dabei zur Diskussion. Aus unterschiedlichen Perspektiven wird die gesamte Bandbreite der Ausgestaltungen von Theatervermittlung auf ausgewogene Weise dargelegt, wobei der Schwerpunkt auf der Politik-, Theater- und Kulturlandschaft der Schweiz liegt. Andreas Kottes Vorwort eröffnet den Band aus einer sehr öffentlichkeitsbezogenen, ökonomischen Perspektive mit der Frage nach den gesellschaftlichen Effekten von Kultur; einer Kultur, die sich – bestimmt durch wirtschaftliche Faktoren – in einem Kampf um Aufmerksamkeit, Öffentlichkeit und Zahlen anpreisen muss. Im ersten Teil des Bandes mit der Überschrift "Vermittlung – Kunst – Pädagogik" präsentiert Alexander Henschel Überlegungen zum "Begriff der Vermittlung" in kunst- und kulturwissenschaftlichen Diskursen. Sarah Uwer leistet anschließend einen historischen Überblick über die institutionelle "Kulturvermittlung in der Schweizer Kulturpolitik". Der vorwiegend theoretisch konzipierte und einleitende Teil wird durch die praktisch-vermittelnde Sichtweise von Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye abgerundet. Sie veranschaulicht die Beziehungen von Theater und Öffentlichkeit anhand des Vermittlungsprojekts "Theaterattaché(e)s", welches vor allem für die erwachsene Zuschauer_innenschaft konzipiert ist und die Erweiterung des Publikums sowie den Austausch zwischen Publikum und Theaterhaus fokussiert. In Folge stehen spezifischere Themenbereiche sowie die Exemplifizierung unterschiedlicher Perspektiven, die sich aus diesem Spannungsfeld (Vermittlung, Pädagogik, Kunst) entwickeln, im Vordergrund. Die an der Praxis orientierten Beispiele, die hauptsächlich in den transformativen Diskurs innerhalb der Theatervermittlung einzuordnen sind, legen Vermittlungsansätze aus den Bereichen Kinder- und Jugendtheater, Theater im öffentlichen Raum, Theater mit professionellen und nicht-professionellen Darsteller_innen, Theater mit Menschen mit Behinderung und Theaterprojekten von und mit Migrant_innen dar. Dabei wird das Verhältnis zwischen Kunst, Vermittlung und Pädagogik neu bewertet. Besonders herzuheben sind hierbei die vielen praxisnahen Beiträge, wie Ralph Fischers Workshopbeschreibung der im öffentlichen Raum arbeitenden britischen Gruppe Wrights&Sites, Virginia Thielckes Untersuchungen der freien experimentellen Theaterszene im Schulunterricht in Deutschland oder Charlotte Baumgarts Einblicke und "Beobachtungen zur ästhetischen Kommunikation im Kindertheater" der Schweiz. Im zweiten Teil des Bandes, betitelt mit "Über Theater schreiben – über Theater lesen", der aus einem einzigen Artikel von Pia Strickler besteht, wird die Produktions- und Rezeptionsseite von Theaterberichterstattung am Beispiel des Berner Traditionsblattes Der Bund und der Berner Zeitung analysiert. Dieser umfangsmäßig schmal ausgefallene Teil des Bandes fokussiert die Frage, wie heutzutage in Printmedien zwischen Theater und Öffentlichkeit vermittelt wird. Strickler erklärt darin die vermittelnde Funktion der Theaterberichterstattung mit der Aufgabe, zwischen Gegenwärtigem, Vergangenem der "Geschichtlichkeit" (S. 201) und der Öffentlichkeit zu verhandeln. Sie unterstreicht damit den transitorischen Charakter des Theaterereignisses. Mit einem deutlich auf die Medienlandschaft der Schweiz gelegten Schwerpunkt stellt sie dabei Bezüge zur 200-jährigen Praxis der Theaterberichterstattung im deutschsprachigen Raum her. Strickler öffnet das Untersuchungsfeld in Richtung 'kulturelles Gedächtnis' und Theaterkritik als unverzichtbares Erinnerungs- und Rekonstruktionsmaterial: "Theaterkritik [trägt] das Theaterereignis als künstlerischen Vorgang nach au[ß]en, befreit es von seiner räumlichen Begrenztheit und bringt es in schriftlicher Form ein in den regionalen, nationalen und internationalen Diskurs über Theater" (S. 248). An diesem Artikel zeigt sich: der Band richtet sich an eine sehr praxisbezogene, im Theaterbereich arbeitende und mit theaterpädagogischen Thematiken vertraute sowie an Theatervermittlung/Rezeptionsforschung interessierte Leser_innenschaft. Auffallend ist der stark disziplinenübergreifende Charakter. Indem Vermittlung in diesem Sammelband in ihrer gesamten Bandbreite verstanden wird, stecken manche Artikel einen zu großen Rahmen an Themengebieten ab: vom Chormodell der Antike in zeitgenössischen Produktionen bis hin zu Fragestellungen der Postcolonial Studies, kulturellem Rassismus und dem von "Rassismen durchzogenen Diskursumfeld wie dem aktuellen Migrationsdiskurs in Deutschland" (S.175). Kaum anders verhält es sich mit den Beiträgen, die sich mit der Arbeit von Theatervermittler_innen im Kinder- und Jugendbereich sowie mit der Vermittlung zwischen Künstler_innen und Schulen (z. B mit dem Projekt Theater und Schule: TUSCH) beschäftigen, wobei hier die Suche nach neuen Verknüpfungen zwischen Theater und Öffentlichkeit besonders deutlich in den Vordergrund tritt. Trotz dieser Kritikpunkte ist Theater und Öffentlichkeit. Theatervermittlung als Problem in summa betrachtet ein anregender, informativer und durchwegs notwendiger Forschungsbeitrag, der sowohl theoretisch als auch anhand von praxisnahen Beispielen die Vermittlungsprozesse zwischen Theater und Öffentlichkeit nachdrücklich thematisiert.
Das Kaleidoskop, so verrät es die editorische Notiz zum Band Das verschüttete Schweigen, war das Lieblingsspielzeug von Helmar Schramm. Er habe eine Sammlung in seiner Kreuzberger Wohnung aufbewahrt und diese gelegentlich an Themenabenden Mitarbeitenden und Studierenden vorgeführt. Die vorangestellte Anekdote ist programmatisch für den nun vorliegenden Band, der erstmals wesentliche Texte des 2015 verstorbenen Theaterwissenschaftlers versammelt. Die Textauswahl – zusammengestellt und herausgegeben von Erhard Ertel, Joachim Fiebach, Michael Lorber und Anne Schramm – vermittelt das "kaleidoskophafte Denken" (S.11) Schramms, der in seinen Arbeiten über vier Jahrzehnte hinweg eine sich wandelnde Welt stets neu ins Verhältnis setzte. Die 29 Beiträge, entstanden zwischen 1980 und 2014, sind chronologisch abgedruckt und bis auf den ersten sowie letzten Beitrag bereits publiziert. Neben viel beachteten Grundlagentexten, etwa den Studien zur Theatralität und den theatralen Kulturen des 17.Jahrhunderts, umfasst der Band frühe Theaterkritiken genauso, wie ein recht persönliches, bislang unveröffentlichtes Fragment (Eine knallrote Kugel, undatiert) sowie die literarische Erinnerung Mit vollem Mund spricht man nicht (1983) und das unvollendet gebliebene Denkprotokoll Modell + Risiko (2014). Dem herausgebenden Team ist damit zweierlei gelungen: einerseits, die verstreuten Texte Schramms in einem Buch und in einheitlicher sowie ergänzter Zitation zugänglich zu machen und andererseits, dessen vielfältiges Schreiben und Forschen darzulegen. Zwei Jahre nach dem Tod von Helmar Schramm ist so, auf Initiative langjähriger Weggefährtinnen und Weggefährten, ein übersichtliches Studienbuch entstanden, das präsente wie vernachlässigte Texte des Theaterwissenschaftlers (seit 1995 Professor für Theaterwissenschaft, zunächst an der Universität Leipzig, ab 1998 an der Freien Universität Berlin) gleichermaßen in den Forschungsdiskurs zurückgibt. Eröffnet wird der Band von Joachim Fiebach, der in seinem Aufsatz Schramms Motiv vom "Wuchern des Theatralen im Gewebe der Gesellschaft" aufnimmt und damit gleichsam auf die Lektüre der Aufsätze einstimmt, beschäftigen sich diese doch mehrheitlich mit den "theatralen Dimensionen gesellschaftlicher Realitäten" (S.15). Ein 1987 veröffentlichter Text über Frank Castorf bildet das Scharnier zwischen den frühen publizistischen Arbeiten Schramms – neu ediert wurden etwa Theaterkritiken zu Arbusows Erwartung in Wittenberg (1980) und zur DDR-Erstaufführung von Die heilige Hure (1984) – und den folgenden wissenschaftlichen Analysen. Unter dem Titel Dem Zuschauer auf den Leib rücken legt Helmar Schramm Castorfs Inszenierungen als konzeptionelle Entwürfe dar und fokussiert jenseits vom "literaturfixierten Blick" (S.42) auf dessen Theater zwischen Musikalität, körperlichem Spiel, rhythmischer Organisation, absurder Komik und Tanz. Die Re-Lektüre des auf das "praktische Spiel als eigenständiges Mittel" (S.41) zielenden Textes hat nun, 30 Jahre später und im Rückblick auf Castorfs Volksbühnen-Intendanz, eine neue Aktualität. Mit Studien zu Robert Rauschenberg (Lichtraumcollagen, 1990), Hypochondrie (1992) oder zum Verhältnis von Technikgeschichte und Verhaltensökonomie (2005) präsentiert sich Schramm als Grenzgänger im Spannungsfeld zwischen Theater, Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft. Seine Texte zeugen vom Ringen um eine gesellschaftspolitisch engagierte Theaterwissenschaft jenseits dramenzentrierter und ästhetischer Kategorien. Sie eignen sich deshalb auch als Wegmarken der Fachgeschichte. Seine Aufsätze, etwa jener zur Theatralität und Öffentlichkeit (1990), sind gebettet in breitere Suchbewegungen der deutschsprachigen Theaterwissenschaft der 1990er Jahre, Theater als kulturelles Verhältnis zu fassen und theaterwissenschaftliche Methodik für kulturhistorische Phänomene zu schärfen. Stetig die Perspektive auf theatrale Aspekte jenseits des bürgerlichen Theatergebäudes öffnend, nimmt Schramm verschiedentlich Anläufe, das Verhältnis von Theatralität und Öffentlichkeit bzw. Theater und Öffentlichkeit zu bestimmen. Er befragt deren Interferenz, sowohl für die Theatergeschichte der Frühen Neuzeit, als auch – aus zweierlei Zeitgenossenschaft heraus – für die DDR und die BRD. In Theatralität und Öffentlichkeit skizziert Schramm ein semantisches Feld anhand dreier "archäologischer Suchfelder" (S.93), um eine Begriffsgeschichte von "Theater" zu umreißen und gleichsam das Verhältnis von Theatralität und Öffentlichkeit zu fassen: Theater als metaphorisches Modell, als rhetorisches Medium und als schöne Kunst. Er suchte damit dem "weltweiten Umbruch kultureller Praktiken" (S.95) gerecht zu werden und die "theatralischen Seiten des gesellschaftlichen Lebens" begriffsgeschichtlich zu fassen. So wendet er sich beispielsweise der Theatermetaphorik als "Bemühen, sich einen Begriff von der Welt zu machen" zu (S.101). Schramms eigenes theoretisches und methodisches Wandern an den Rändern einer Theaterbegrifflichkeit ist stets auch Jonglage zwischen präziser Ausweitung und "entfesselter Eigendynamik" (S.95) der Begriffe, mit und nach denen Theaterwissenschaft forscht. Immer wieder beharrt Schramm auf einer Neu- und Selbstverortung der Theaterwissenschaft. Es gelte, auch "ungewöhnliche Bezüge im theaterhistorischen Raum" (S.182) zu entdecken. Er selbst legt diese Bezüge dar, etwa, wenn er sich mit den theatralischen Dimensionen der Alchemie (Das offene Buch der Alchemie und die stumme Sprache des Theaters. Theatralität als Schlüssel gegenwärtiger Theaterforschung, 1995) oder mit dem Zeremoniell des Spalierstehens (1995) befasst. Auf das noch im 17.Jahrhundert geläufige Theatrum im Sinne von Schauplatz zurückgreifend, plädiert Schramm auch in seinem Aufsatz zur Vermessung der Hölle. Über den Zusammenhang von Theatralität und Denkstil (1995) für eine begriffliche Erweiterung und die Überschreitung "institutionalisierter Grenzen" (S.164): Theaterwissenschaft, ob als Kunst-, Kultur- oder Medienwissenschaft betrieben, müsse tradierte Grenzziehungen, beispielsweise jene entlang des institutionalisierten Theaters, in Frage stellen. Theaterforschung könne mit einem kulturwissenschaftlich angewendeten Theaterdispositiv einen "originären Beitrag zur Erschließung historischer Felder" (S.164) leisten. Neben der Verortung dieser verschiedenen Gegenstandsfelder spricht sich Schramm für einen "neuen Denkstil" (S.166) aus, der der von ihm immer wieder behaupteten Korrelation von Theater- und Wissenschaftsgeschichte gerecht werde. Sein grundsätzliches Interesse für die Zusammenhänge von Theater, Gesellschaft und Wissenschaft zieht sich, von diesen Aufsätzen ausgehend, durch weitere, im vorliegenden Band ebenfalls versammelte Arbeiten. So kristallisieren sich während der Lektüre größere Themengebiete heraus, die immer wieder aufgegriffen, neu verhandelt oder zueinander in Beziehung gesetzt werden. Neben dem Zusammendenken von Schrift, Philosophie und Theater als "Theatrum Philosophicum" – beispielsweise in den Überlegungen zu Brecht und Bacon (Das Haus der Täuschungen, 1987) oder zu Montaignes Inszenierungen von Text (1992) – spiegeln die edierten Beiträge eine verstärkte Wendung Schramms ab Mitte der 1990er Jahre zu theatralen Aspekten des 17.Jahrhunderts und den damit verbundenen "Bühnen des Wissens". Die Hinwendung zu diesen frühneuzeitlichen Bühnen kultureller Praktiken schlug sich auch in Schramms 1996 publizierter Habilitationsschrift Karneval des Denkens nieder und ist im vorliegenden Sammelband besonders überzeugend im Beitrag zu Feuerwerk und Raketentechnik um 1700 dargelegt. Unter Einbezug schlagender ikonographischer Quellen analysiert Schramm das Feuerwerk im 17. Jahrhundert als "pyrotechnisches Theater" (S.223), schließt hierüber auf Machtstrukturen sowie auf die Mechanisierung von Weltbildern und wirbt damit insbesondere für die methodischen Möglichkeiten einer als Kulturwissenschaft betriebenen Theaterwissenschaft, historische wie gegenwärtige Wirklichkeiten zu beschreiben. In der Beschreibung dieser von ihm wahrgenommenen Wirklichkeiten setzt Schramm, das legen die versammelten Texte verschiedentlich dar, unverkennbar eigene stilistische Akzente. Sein Schreiben und Nachdenken ist komplex ineinander geschachtelt, von plastischer Bildlichkeit durchdrungen und dies mehrheitlich nicht auf Kosten sondern zugunsten der analytischen Präzision. Sein "unökonomisches Denken" entzieht sich damit einerseits einer einfachen Anschlussfähigkeit, ist aber andererseits ein dichter Fundus theaterhistoriographischen Arbeitens, den es stets neu zu entdecken gilt. Die Textsammlung gibt einen Einblick in diesen dichten Fundus, der über die darin konkret besprochenen theaterhistorischen Gegenstände hinaus auch eine Haltung zum historischen Material vermittelt, die – stilistisch eigenwillig und "strikt gegenwartsorientiert" (S.95) – Erkenntnismöglichkeiten gewährt und so Inspiration und Diskussionsgrundlage sein kann für weitere theaterwissenschaftliche Forschung. In seinen Erinnerungen an Max Picard – 2004 unter dem Titel Schweigen lernen publiziert und nun titelgebend für den besprochenen Band – legt Helmar Schramm schließlich ganz plastisch sein Verständnis vom akademischen Forschen dar: Erneut wissenschaftliche Analyse und literarisch verdichtete Metaphorik collagierend, versinnbildlicht er die Arbeit des Wissenschaftlers mit dem eines Archäologen. Ein Archäologe, der sich, um Sehen, Hören und Erfahren zu lernen, im "Niemandsland zwischen den Disziplinen" auf die Suche nach der "Begegnung mit der Wildnis des Schweigens" begibt – auf die Suche nach dem "verschütteten Schweigen" (S.267).
'Interkulturelles Theater' ist ein Begriff, der, wie Christine Regus in ihrer umfassenden Studie erläutert, nur schwer zu fassen ist. In der Theaterwissenschaft bezieht er sich meist auf 'kulturelle Collagen', wie sie mit Peter Brook oder Richard Schechner verbunden werden. Regus selbst verwendet den Begriff des interkulturellen Theaters folgendermaßen: "Ein Theater, in dem Elemente aus beliebigen, unterscheidbaren Kulturen auf irgendeine Weise verbunden werden und dies ein zentrales Merkmal ist. Dabei sind viele Möglichkeiten denkbar: Etwa dass verschiedene Sprachen, Techniken, Stilmittel, Stoffe oder bestimmte Themen miteinander verknüpft oder die Gruppen personell interkulturell zusammengesetzt sind." (S. 42) Diese Definition ist sehr offen – und muss es sein, denn nur durch diese Offenheit sind die unterschiedlichen Formen des interkulturellen bzw. hybriden Theaters, wie sie in der internationalen Theaterpraxis zu finden sind, zu fassen. Der Vielfalt der interkulturellen Theaterformen und der damit verbunden theoretischen Annäherungen entgegnet Regus mit der klaren Struktur ihrer Arbeit. Der Einleitung folgt die Darstellung der "Theorie des interkulturellen Theaters", der zweite Teil bringt unter dem Titel "Interkulturelles Theater heute: Beispiele" drei Aufführungsanalysen. Im Schlusskapitel "Zu einer postkolonialen Ästhetik interkulturellen Theaters" werden schließlich die Erkenntnisse der Studie zusammengefasst. Schon aus dieser Struktur geht Regus' zentrale These hervor, die auf der Existenz eines neuen interkulturellen Theaters basiert. Bis in die 1980er, so die Autorin, sei es üblich gewesen, unbeschwert auf fremde Ästhetiken zurückzugreifen, wohingegen neuere avancierte Produktionen "stark selbstreflexive und theoretisch informierte Inszenierungen" seien, die "verdeutlichen, dass interkulturelles Theater immer auch politisches Theater ist". (S. 11) Durch diese neuen Formen sei klar geworden, dass auch die früheren Formen des interkulturellen Theaters nicht unpolitisch waren, sondern vielmehr "[.] ein häufig problematisches Konzept von kulturellen Identitäten, vom 'Eigenen' und 'Fremden' auf die Bühne brachten." (S. 11) Nach Regus wird in den aktuellen Formen des interkulturellen Theaters die politische Dimension nicht in Thesen oder Parolen dargelegt, vielmehr werden die Zuseher zur Reflexion angeregt durch "[.] genuin theaterästhetische Verfahrensweisen, die sie mit den eigenen identitätspolitischen, kulturellen und sozialen Hintergrundannahmen konfrontieren." Die Formen dieser Konfrontation sind dadurch gekennzeichnet, dass sie traditionelle Repräsentationstechniken ablehnen und damit dem Zuseher ein vollkommenes Verstehen verweigern – so aber eine "Basis für eine dialogische Annäherung" (S. 11) schaffen. In den Aufführungsanalysen wird dieser Ansatz deutlich; doch zuvor legt Regus die Theorie des interkulturellen Theaters in klar strukturierten Abschnitten dar. Sie umreißt die Auseinandersetzung mit interkulturellem Theater ausgehend von drei wissenschaftlichen Kontexten: Der "anthropologischen Performancetheorie", den "Postcolonial Studies" und der "jüngeren theaterwissenschaftlichen Forschung" - wie die Kapitelüberschriften lauten. Im Abschnitt zur "anthropologischen Performancetheorie" (= wissenschaftlicher Kontext I) beschreibt sie die Affinität der westlichen Avantgarde um 1900 sowie in den 1960er Jahren zum außereuropäischen Theater und zu Ritualen. Die "Postcolonial Studies" bilden für Regus den "wissenschaftlichen Kontext II". 'Postkolonialismus' wird deskriptiv und programmatisch benutzt, der Begriff beschreibt die Zeit nach der Unabhängigkeit der Kolonien, was – nach Regus – problematisch ist, da es unterschiedlichste Formen von Kolonialismus gibt. Programmatisch wird er insofern gebraucht, als er als kritische Reaktion auf den Kolonialismus gedacht ist und die Emanzipation der ehemals Kolonisierten zum Ziel hat. "Zentral für die postcolonial studies insgesamt sind also die Frage nach und die Kritik an der Repräsentation des Anderen." (S. 30) Und hier ist für Regus der Anknüpfungspunkt zu Theaterformen, die nicht der naturalistisch-psychologischen Ästhetik verbunden sind, die sich bewusst einer eindeutigen Dekodierung verweigern, wie es die neuen Formen des interkulturellen Theaters kennzeichnet. Das Problem in der Auseinandersetzung des postkolonialen Diskurses mit diesen neuen Formen liegt in der Fragestellung, denn in ersterem steht nicht die Frage nach der Ästhetik im Vordergrund, sondern die Zielrichtung ist eine politische: "Es geht um Hierarchien und Macht, um Repräsentation und Konstruktion der Anderen als Subalterne." (S. 31) Die "jüngere theaterwissenschaftliche Forschung" gilt als "wissenschaftlicher Kontext III" – so etwa Christopher Balmes Untersuchungen, in welche die postkoloniale Theorie eingeflossen ist. Diese, so Regus' kritische Betrachtung der Vorgehensweise, bezögen sich aber auf die Dramentexte, weniger auf die Aufführungen, die Textualität stehe im Mittelpunkt. Die Problematik des interkulturellen Theaters als Ware auf dem globalen Theatermarkt; die Diskussion von Begriffen wie Exotismus und Orientalismus; die Suche des 'Westens' nach einer 'Authentizität' und 'Reinheit', die auch als Konstrukte schon überholt sind, werden ebenso diskutiert wie die Folgen der Globalisierung auf die Kulturen und die heutige Sicht von Kultur als offen und fließend. Im Weiteren werden das Konzept der Hybridität und das interkulturelle Theater als politisches untersucht. Die betreffenden Ausführungen fasst Regus folgendermaßen zusammen: "Die politische Erfahrung liegt hier in der ästhetischen Erfahrung." (S. 93) Unmittelbar bevor Regus zu ihren Analysebeispielen kommt, wird deren Problematik und Methodik umrissen. Die Aufführungsanalyse als Methodenproblem der Theaterwissenschaft und deren Verbindung mit interkulturellem Theater werden dargelegt, wobei Regus wieder das Fehlen der performativen Ebene in den Analysen kritisiert, was sie durch die hauptsächlich verwendete und auch hier im Zentrum stehende Methode der Analyse – der Theatersemiotik – begründet sieht. Weiters wird auf die Begriffe Performativität und Performance eingegangen; auf die 'Macht des Blickes' sowie auf die Problematik des 'Fassens des Flüchtigen', wie sie Theateraufführungen inhärent ist. Regus will in der Untersuchung des Performativen die sinnlichen Qualitäten einer Aufführung und deren Wirkung auf die Zuseher erfassen; der eigene Blickpunkt, das Bewusstsein, nicht objektiv sein zu können, sollen dabei nicht außer Acht gelassen werden; bewusst bleiben muss ebenfalls, dass – nach Wolfgang Iser – "beim Schreiben, wenn man es als Transformation einer Referenzwelt versteht, etwas Neues entsteht". (S. 111) Im zweiten Teil des Buches werden dann drei Aufführungsanalysen geboten. Unter dem Gesichtspunkt "Zur Performativität von Identität" - so eine weitere Kapitelüberschrift - wird Searching for Home analysiert, eine Theaterproduktion von Ralph Lemon, aufgeführt im Juni 2003 in Berlin. Regus geht von detaillierten Beschreibungen aus, wobei die eigene Subjektivität, wie im theoretischen Teil gefordert, bewusst bleibt. Analysiert werden vielfältige Bezüge der Aufführung, zu Themen wie Rassismus und dessen Begriff und Geschichte, besonders der afro-amerikanischen Bevölkerung der USA (denn um diese geht es vorrangig in Searching for Home). Regus stellt dar, wie hier rassistische Vorstellungen dekonstruiert werden; sie setzt auseinander, in welchen Punkten und mit welchen Methoden diese interkulturelle Produktion über ein kolonialistisches, naturalistisch inszeniertes Drama hinaus geht. Einbezogen wird auch die Performativität von Raum – dieser weiter in Hinsicht auf den Kolonialismus – und wieder 'zurück' zum Titel der Aufführung – Searching for Home – in dem es ja auch um Raum geht. "Geschichte tanzen, das Trauma bezeugen" ist der Ansatz der Analyse von Beyond the killing fields. Diese 'Doku-Performance' vom Regisseur Ong Keng Sen handelt vom Überleben unter dem Pol-Pot-Regime in Kambodscha, basierend auf Erinnerungen von Tänzerinnen. Sehr detailliert und wieder mit Berücksichtigung der eigenen Reaktionen sowie anderer Zuseher beschreibt Regus Tanz- und Darstellungsszenen. Auch hier wird eine Fülle von Thematiken vor den Zusehern bzw. Lesern ausgebreitet: Das Schicksal von Künstlern unter dem Pol-Pot-Regime in Kambodscha; die Ästhetik und Lehre des Khmer-Tanzes, der als Ausdruck der höfischen Klasse verboten wurde, die Tänzerinnen meist ermordet; die persönlichen Erinnerungen der überlebenden Tänzerin Em Theay (geboren 1932), die in der Aufführung mitwirkt. "Die Überlieferung performativer Kulturtechniken", seit 2003 von der UNESCO als schützenswert erklärt, wird ebenso diskutiert wie Oral History als Form von Geschichtsschreibung und der Themenkomplex um die Darstellbarkeit von Traumata. "Zwischen Eigenem und Fremden: Translation, Transformation, Fremdverstehen" unter diesem Titel wird die Inszenierung El automóvil gris (Das graue Automobil) des mexikanischen Regisseurs Claudio Valdés Kuri aus dem Jahr 2002 analysiert. Vorrangig geht es hier um Translation und Kontextualisierung, um Übersetzung und Transformation, um Fremdverstehen von Sprache und Darstellung. In jeder der drei Aufführungsanalysen findet sich eine beeindruckende Zahl von Themen und Motiven; interessant ist auch die Berücksichtigung der eigenen Emotionen und Widerstände der Analysierenden. Im Schlusskapitel fasst Regus die Ergebnisse zusammen und konstatiert, dass das neue interkulturelle Theater postdramatisch und institutionskritisch ist. In dieser Rezension konnten nur einige Aspekte der wichtigen und interessanten Studie angesprochen werden, die Christine Regus vorgelegt hat. Sowohl die Theorie als auch die Praxis des interkulturellen Theaters sind durch Fülle, Vielfalt und Komplexität gekennzeichnet. Dennoch fehlt mir ein ganz spezifischer Aspekt: Interkulturelles Theater und seine Wirkung in einer bestimmten Region, etwa in einem bestimmten Stadtteil, in dem und für den es gemacht wird, mit und für die Menschen genau dort – also das interkulturelle oder hybride Theater in den Klein- und Mittelbühnen bis zu den Stadttheatern. Ist diese Form von Theater – wie sie in Wien etwa die Gruppe "daskunst" betreibt – notwendig? Was bedeutet sie in diesem regionalen Kontext? Und wie sehen hier die interkulturellen Aspekte aus? Vielleicht kann sich die Autorin in einem Folgeband mit diesen Fragestellungen befassen.
Poptheorie ist der Zweig der Cultural Studies, auf dem ihr Herzblatt wächst. Das hat zwei einleuchtende Gründe: Erstens kann sich der/die Pop-Theoretiker/in wissenschaftlich mit Dingen auseinander setzen, denen sie sich unter nicht-wissenschaftlichen Voraussetzungen affektiv hingibt (Stichwort: Lieblingsmusik!), und zweitens bemüht er/sie sich um Phänomene, die für andere Wissenschaften aufgrund ihrer Neigung zur Kurzfristig- und Einmaligkeit kaum zu fassen sind. Ergo: Hier kann er/sie beinahe konkurrenzlos zeigen, was er/sie drauf hat! Die beschriebene Ausgangslage verlangt einem in herkömmlichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen Aufgezogenen Respekt und Neid ab. Der/die Poptheoretiker/in operiert mit der fundamentalen Vorläufigkeit, d. h. er/sie muss Diskursformen kultivieren, die im akademischen Betrieb Underdogs sind, weil ihnen der Ruf des Literarischen anhaftet. D. h. aber auch, dass anspruchsvolle Pop-Theorie nicht weniger gratwandert als jede andere wissenschaftliche Produktivität. Sie muss Günde für jede noch so flüchtige Begriffsbildung vorbringen und in der Bewertung dessen, was dem Herzen am nächsten ist, literarische Distanz bewahren (d. h. über die Beastie Boys so schreiben wie Arno Schmidt über Karl May). Fight the power! Eine Geheimgeschichte der Popkultur und die Formierung neuer Substreams von Rupert Weinzierl scheitert sowohl im letzteren als auch im ersten. Ein Hauptgrund für dieses Scheitern liegt darin, dass der Autor die beiden Sphären Begriffsbildung und Beschreibung, im weitesten Sinn also Theorie und Anschaulichkeit, fast vollständig auseinander dividiert. Das macht die Theorie vage und die Anschaulichkeit privat. Weinzierls theoretischer Ansatz ist, kurz umrissen, eine Kritik an klassischen Ansätzen der Subkulturtheorie. Sein Hauptargument diesbezüglich ist, dass es die homogenen Subkulturen, wie sie sich in den 60ern und 70ern etabliert haben, nicht mehr gibt. Er schlägt vor, den Begriff der Subkultur durch den der "temporary substreams" zu ersetzen. Die theoretische Erzählung konstruiert sich hier selbst, indem sie Kontinuitäten konstruiert: Substreams sind das, was früher Subkulturen waren, nur eben etwas ganz anderes. Dadurch, dass der Begriff der "temporary substreams" zunächst aus der Diskussion theoriebildender Cultural-Studies-Zirkel abgeleitet wird, fehlt ihm das konkrete Profil. Wohl kommt gleich am Anfang die "volkstanz.net"-Bewegung der sich gegen die rechtsextreme österreichische Bundesregierung formierenden Widerstandsfront ins Spiel, aber gerade hier verabsäumt es Weinzierl, Rezentes mit Allgemeinem zu verbinden. Obwohl er aktives Mitglied dieser Bewegung ist, erfahren wir wenig bis gar nichts über die konkreten Formierungszusammenhänge. Seine Darstellung speist sich weniger aus Beobachtungen, sondern aus vagen Einschätzungen, Vermutungen und Postulaten. Sätze wie: "Ideologisch stützen sich die VolkstänzerInnen, die gegen die rechte Regierung in Österreich und jegliche Form von Rassismus auftreten, auf die Hegemonietheorien von Gramsci und deren Weiterentwicklung durch Stuart Hall sowie Chantal Mouffe und Ernesto Laclau" sind stilbildend. Offen bleiben dagegen Fragen wie: Welche Leute sind involviert? Wie kommt es zu dieser von Weinzierl behaupteten theoretischen Grundierung? Wie laufen die Diskussionen innerhalb der Gruppe ab? Oder "geschieht" die Positionierung von "Volkstanz" nicht eher auf einer performativen Ebene (was ich für wahrscheinlicher und sympathischer halte)? Mein Misstrauen solchen Sätzen gegenüber bezieht sich auf das kausale Verhältnis, das sie konstruieren. Ich glaube, dass Konzepte wie "Volkstanz" schneller, intelligenter und angemessener auf politische Zu- und Umstände reagieren als die Theorien, die Weinzierl ins Treffen führt. Ich würde sogar noch weitergehen und behaupten, dass diese Theorien dazu neigen, manifeste Bewegungen für sich zu vereinnahmen und sich im Nachhinein als Sprachrohr dieser Bewegungen aufzudrängen. Das sieht man allein an ihren normativen und affirmativen Begrifflichkeiten ("Hegemonie" etwa). Gerade anhand des Beispiels von "volkstanz.net" hätte es Weinzierl in der Hand gehabt, ein Bild von dem zu entwickeln, was er unter "temporary substreams" im Gegensatz zu den klassischen Subkulturen versteht. Was mir an dieser Stelle fehlt, habe ich in meiner Einleitung schon angedeutet: Wo bleibt die literarische Intervention zwischen Reflexion und Involvierung? Wo bleiben die flüchtig aufgeschnappten Statements von VolkstänzerInnen, die Schnappschüsse, der "Abfall der Geschichte", um es mit Benjamin zu sagen? Ich kann mich an ein vom Falter inszeniertes Gespräch zwischen der "alten" und der "neuen" Widerstandsgeneration vom Februar letzten Jahres erinnern. Da saßen einander Georg Hofmann-Ostenhof und Peter Pilz als Haudegen und Tanya Bednar (Mitbegründerin von "volkstanz.net"), Nora Sternfeld ("Gettoattack") und Sonja Grusch (SLP) als "newcomer" gegenüber. Auch wenn die Diskussion sehr plakativ verlief, entstand daraus ein durchaus repräsentatives Standbild der Bewegung. Zwei schon etwas sentimentale Herren erzählen von ihren Schlägereien mit Burschenschaftlern in den 70ern, während es v. a. Bednar und Sternfeld um eine Reflexion der gegenwärtigen politischen Praxis geht. Fragen wie: "Darf auf Demos getanzt werden?" (Bednar und Sternfeld hatten an dieser Stelle mehr mit Grusch als mit Pilz und Ostenhof zu kämpfen, was zeigt, dass die Trennlinien zwischen homogenen Subkulturen und heterogenen Substreams nicht nur zwischen Generationen verlaufen) würde ich im Zusammenhang mit Weinzierls Argumentation als signifikant bzw. substanziell bezeichnen. Gerade die ersten Monate des österreichischen Widerstands waren in Hinblick auf taktische, strategische und inhaltliche Diskussionen ein gefundenes Fressen für eine Reflexion historischer und gegenwärtiger Dilemmata linker politischer Ausdrucksformen. Als empirischer "Beweis" der Existenz temporärer Allianzen auf dem Gebiet des politischen Pop fungiert ein von Weinzierl erstellter und an popkulturelle und -politische ProponentInnen verschickter Fragebogen. Die Bandbreite der Fragen reicht von: "Glauben Sie, dass Popkultur das Leben lebenswerter macht?" bis "Hilft die Einbindung in neuartige subkulturähnliche Formationen bei der Überwindung von Klassenunterschieden?" Die Fragen sind, wenn ich das mal verkürzend und überspitzend sagen darf, so gestellt, dass sie das normative Profiling suggestiv unterstützen, das Weinzierl im theoretischen Teil für die "substreams" entwickelt. Wenig überraschend resümiert er die statistische Auswertung so: "Ich bin über die Ergebnisse sehr erfreut, weil sie meine Hypothesen über neue subkulturähnliche Formationen zum Großteil stützen." Über die Antwortenden erfahre ich außer Geschlechts- und Altersstreuung nichts. Warum hat sich Weinzierl an dieser Stelle nicht dazu aufgerafft, seine "Hypothesen" wirklich diskursiv mit anderen Realitäten zu konfrontieren, sprich, Interviews mit Leuten zu führen und diese anstelle des abstrusen Fragebogens abzudrucken? So drückt er sich um eine Reflexion der Voraussetzungen seines eigenen Blicks herum und erfüllt idiosynkratisch den Status Quo halbseidener sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschungspraxis. Wenn Weinzierl sich kritisch mit der Theoriebildung auseinander setzt und für eine Wahrnehmung neuer Strömungen argumentiert, wieso überprüft er nicht anhand seiner Thesen das überlieferte wissenschaftliche Instrumentarium? Im dritten Teil erzählt Weinzierl das, was er im Untertitel schon versprochen hat, nämlich eine Geheimgeschichte der Popkultur. Hier könnte ein Netz an vergleichenden und historischen Links zur Formation der "substreams" entstehen. Einiges wird auch angedeutet, zum Beispiel die signifikante Stellung der Asian Dub Foundation als repolitisierendes Kollektiv. Wie bei "volkstanz.net" wird normativ formuliert, worum es sich bei der ADF handelt, die Clues werden nicht oder nur halb preisgegeben. Wer zum Beispiel ist Satpal Ram? Aus den Andeutungen im Buch entnehme ich, dass es sich um einen politischen Gefangenen handelt, der für die ADF eine zentrale Rolle in ihrer Politisierung gespielt hat. Es hätte einer Fußnote bedurft, um für Nichteingeweihte darzustellen, warum er "bedauernswert" ist, wie Weinzierl schreibt (ein in politischen Zusammenhängen übrigens fahrlässiges Adjektiv). Die Geheimgeschichte der Popkultur berichtet zwar über viele spannende AußenseiterInnen v. a. des amerikanischen Undergrounds, sie stellt aber kaum Beziehungen im Sinne einer reflektierten Geschichtsschreibung her. Wenn Weinzierl gleich zu Beginn den Anspruch auf Vollständigkeit in den Wind schlägt (was ja durchaus zu argumentieren wäre), so tut er es auf eine Weise, die nahtlos an seine theoretischen Willkürlichkeiten anschließt: "Reklamationen wegen Auslassungen und blinde Flecken gerade bei Ihrem Favoriten weise ich bereits im vorneherein kategorisch zurück - jede Heldensage kann sich nur auf wenige Ikonen beschränken, so viel Apodiktik muß auch 2000 sein ." Ich sage: So viel Schlampigkeit in der Sprache ("im vorneherein") und im Denken darf auch 2000 nicht sein. Weder geht es um Vollständigkeit noch um Heldensagen. Es geht, wenn ich das Unternehmen dieses Buches ernst nehme, um eine Genealogie der "temporary substreams" und im Besonderen um die Frage, ob und wie sich in der Geschichte des Pop historisches und politisches Bewusstsein manifestiert. Hubert Fichte hat über den Voodoo geschrieben, er sei täglich praktizierte Pop-Art, weil der Kult permanent aus Versatzstücken anderer Religionen und rituellen Praktiken neu zusammengebosselt werde. Insofern könnte man beim Voodoo von einer kritischen Praxis sprechen. Für mich lässt sich diese Beschreibung auch auf Phänomene des Pop ausdehnen. Weinzierl selbst spricht mehrmals davon, dass die hegemoniale Stellung der Musik innerhalb der Popkultur Geschichte sei. Das ist eine wichtige und folgenreiche Beobachtung, leider beinahe folgenlos für seine Geschichtsschreibung. Er hantelt sich von Album zu Album und löst damit zumindest ein Versprechen ein, nämlich jenes, das mir in dem Zusammenhang am entbehrlichsten scheint: Apodiktik gibt es bis zur Überdosis, auch dort, wo er vermeintlich kritisch wird (kritisch in dem Sinn, dass die letzten Alben von Sonic Youth nicht mehr so toll seien wie ihre frühen radikalen Meisterwerke). Was auf der Strecke bleibt, sind die zwischen den zu Knotenpunkten vergoldeten Alben statthabenden Transformationen, die Verflüssigung von Zeichen und Codes, der innerhalb des Pop täglich praktizierte Pop.
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Fachgesellschaften und Wissenschaftler aus aller Welt schreiben Protestbriefe an die Max-Planck-Gesellschaft, nachdem diese sich von dem australischen Ethnologen getrennt hatte.
NACH ANTISEMITISMUS-VORWÜRFEN hatte sich die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Anfang Februar von dem australischen Gastprofessor Ghassan Hage getrennt, laut MPG-Pressemitteilung im Einvernehmen. Seitdem ist es ruhiger geworden um Hage, zumindest in den deutschen Medien. In der internationalen Wissenschaftsszene verursacht der Fall dagegen weiter Aufregung. Zahlreiche Unterstützungsbekundungen für Hage in den vergangenen Wochen zeigen eine Dimension der internationalen Debatte über Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, die im deutschen Kontext gelegentlich weniger wahrgenommen wird.
So hat die Provost der Universität von Melbourne, Hages Heimathochschule, dem forschungsstarken Ethnologen gerade erst in einem Schreiben an seine gesamte Fakultät der universitären Rückendeckung versichert. "Akademische Freiheit ist grundlegend für unsere Werte und Regeln", schrieb Nicola Phillips. "So, wie wir sie in der Vergangenheit aktiv verteidigt haben unter anderen Umständen, so tun wir es jetzt wieder in diesem Fall." Hage sei ein respektierter Kollege und Gelehrter mit internationaler Reputation.
Phillips‘ Schreiben ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Max-Planck-Gesellschaft die Beendigung von Hages Aufenthalt am Max-Planck-Institut in Halle ebenfalls mit Verweis auf die "Grundwerte der MPG" begründet hatte, mit denen viele der "von Ghassan Hage in jüngerer Zeit über soziale Medien verbreiteten Ansichten" unvereinbar seien.
Unter anderem hatte der in Beirut geborene Wissenschaftler Israel als "sich überlegen fühlender Schläger" bezeichnet, dessen Ende als jüdischer Staat prognostiziert und laut WELT am Sonntag in einem inzwischen gelöschten Post geschrieben, "die Zionisten mit ihrer Siedlergewalt" würden zu "den wilden Bestien des Westens". Laut Zeitstempel noch am Tag des Hamas-Überfalls auf Israel schrieb Hage in seinem Blog ein Gedicht, das in der Feststellung kulminierte: "Die Palästinenser, wie alle kolonisierten Völker, beweisen noch immer, dass ihre Fähigkeit zum Widerstand endlos ist. Sie graben nicht nur Tunnel. Sie können über Mauern fliegen."
Die Erklärung der Max-Planck-Gesellschaft
Der inzwischen nach Australien zurückgekehrte Forscher bestritt, während er in Deutschland war, ein Antisemit zu sein, und betonte auf "X", die Autoren, von denen er am meisten gelernt habe, seien fast alle Juden gewesen. "Und hier lebe ich nun inmitten der Kulturen, die den Judenhass, das Verbrennen jüdischer Bücher und Geschäfte, das Einsperren von Juden in Konzentrationslager und deren massenhafte Ermordung zu einer makabren Kunstform erhöht haben, und muss mir moralische Vorträge anhören, wie man sich nicht antisemitisch verhält."
Nachdem zuerst die WELT am Sonntag über Hages Posts berichtet hatte, geriet die MPG zunehmend unter Druck. Nach tagelangem Schweigen veröffentlichte die MPG schließlich eine Mitteilung, in der sie den Abschied von Hage verkündete. "Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus, Diskriminierung, Hass und Hetze haben in der Max-Planck-Gesellschaft keinen Platz."
Derweil hat eine vor drei Wochen gestartete Online-Petition zu Hages Unterstützung inzwischen über 3.500 Unterzeichner gefunden, viele davon aus englischsprachigen Ländern und nicht wenige, die nach eigenen Angaben Juden und sogar Verwandte von Holocaust-Überlebenden sind.
Briefe von Fachgesellschaften und Wissenschaftlern aus aller Welt
Fachgesellschaften und Wissenschaftler aus aller Welt haben sich in öffentlichen Briefen an MPG-Präsident Patrick Cramer gegen Hages "Entlassung" bzw. deren Begründung gewandt, darunter die Australische Anthropologischen Gesellschaft, die Britische Gesellschaft für Nahost-Studien und die Europäische Gesellschaft für Sozialantrophologie.
Auch der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie sprang Hage in einer Erklärung zur Seite und betonte die "unbedingte Notwendigkeit, Antisemitismus, Rassismus, und Islamophobie in Deutschland und weltweit zu bekämpfen". Dies lasse sich jedoch nicht durch "die Überwachung von Wissenschaftler:innen, ihrer wissenschaftlichen Arbeit und ihrer persönlichen Stellungnahmen erreichen". Auseinandersetzungen um den Israel-/Palästina-Konflikt ließen sich nicht ausschließlich mit den Mitteln der Antisemitismustheorie oder -kritik einordnen.
Über 50 israelisch-jüdische Wissenschaftler von Wissenschaftseinrichtungen in aller Welt, auch einige, die an deutschen Hochschulen und Forschungsinstituten arbeiten, schrieben ebenfalls an Cramer "in Unterstützung" Hages und "in Protest gegen die Anschuldigungen gegen ihn". Es sei bekannt, dass Hage ein Unterstützer des Boykotts israelischer akademischer Institutionen und Teil der BDS sei. "Obwohl viele von uns nicht einverstanden sind mit den Methoden dieser Bewegung, erkennen wir an, dass sie nicht die Diskriminierung individueller Juden oder Israelis vorgibt, und wir können versichern, dass Professor Hage auch nicht diese Form der Diskriminierung praktiziert."
Mehrere israelisch-jüdische Wissenschaftler hätten das "Privileg des Austausches und der Debatte" mit ihm gehabt, "und uns ist immer mit Respekt, Freundlichkeit und einer professionellen Antwort begegnet worden." Weiter schrieben die Unterzeichner an MPG-Präsident Cramer: Inmitten einer Zeit der Polarisierung, des tiefen Misstrauens, nationalistischer Radikalisierung und der Verfolgung kritischer Stimmen "appellieren wir an Sie, sich nicht auf das brutale Mundtotmachen kritischer Stimmen einzulassen und die akademischen Werte unvoreingenommener Evaluation und des fairen Umgangs aufrechtzuerhalten".
MPG-Präsident Cramer will die Diskussion in den Max-Planck-Sektionen abwarten
Die Liste an Stellungnahmen zugunsten Hages ließe sich fortsetzen, er selbst hat sie auf seinem X-Account dokumentiert. Nicht weniger lang ist – vor allem in Deutschland – die Liste seiner Kritiker und all derjenigen, die eine weitere Aufklärung von der MPG fordern, etwa seit wann sie von Hages Äußerungen gewusst habe und warum sie nicht früher eingeschritten sei. In jedem Fall aber zeigen die internationalen Wortmeldungen zu seiner Unterstützung, warum die international so stark vernetzte MPG sich so schwertut, einen kommunikativ geradlinigen Umgang mit Fällen wie dem Hages zu finden.
Entsprechend hat die MPG auch auf alle Briefe und Erklärungen zur Unterstützung Hages bislang nicht reagiert. Auf Anfrage sagte eine Sprecherin, Präsident Cramer werde erst die Diskussion in den Fächer-Sektionen der Forschungsgesellschaft in der neuen Woche abwarten "und dann entscheiden, wie wir antworten". Unterdessen kündigte Hage vor dem Wochenende an, gerichtlich gegen die MPG vorgehen zu wollen, "hier geht es um viel mehr als mich“.
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Antisemitismus-Streit in Halle: Max-Planck-Gesellschaft trennt sich von Gastprofessor Ghassan Hage
Nach mutmaßlich antisemitischen Äußerungen eines Wissenschaftlers geriet die Max-Planck-Gesellschaft seit dem Wochenende unter Druck, klar Stellung zu beziehen. Der Forscher selbst betonte, er sei kein Antisemit. Jetzt reagiert die Forschungsorganisation. (07. Februar 2024) >>>
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Lambert T. Koch reagiert auf die Vorwürfe einer zu großen Nähe des Hochschulverbands zum "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit". Im Interview sagt der DHV-Präsident, wo er die Berufsvertretung wissenschaftspolitisch verortet sieht, wie er um nichtprofessorale Mitglieder wirbt – und welche Rolle für ihn Gender Studies und die Postkoloniale Theorie spielen.
Lambert T. Koch, 58, ist Wirtschaftswissenschaftler und war von 2008 bis 2022 Rektor der Bergischen Universität Wuppertal. Viermal wurde er von DHV-Mitgliedern zum "Rektor des Jahres" gekürt. 2023 trat Koch die Nachfolge von Bernhard Kempen als Präsident des Deutschen Hochschulverbandes an. Foto: Deutscher Hochschulverband/BeAStarProductions.
Herr Koch, der Deutsche Hochschulverband (DHV) bezeichnet sich selbst als "Berufsvertretung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland". Wäre es nicht fairer zu sagen, dass er lange vor allem eine Vertretung arrivierter Professoren und ihre Interessen war? Und ist er es immer noch?
Wie es der Begriff "Berufsvertretung" nahelegt, versteht sich der DHV schwerpunktmäßig als ein Interessenverbund von Menschen, die hauptberuflich und dauerhaft in der Wissenschaft tätig sind oder sich für eine solche Tätigkeit qualifizieren. Natürlich passt er sich dabei an veränderte Karrierewege an. So hat er sich schon vor Jahren nicht nur für Habilitierende und Juniorprofessorinnen und -professoren, sondern generell auch für Postdocs geöffnet. Die Serviceangebote des DHV wollen Mitglieder in jedem beruflichen Stadium ansprechen – von der Phase der Qualifizierung bis in die Zeit nach der Emeritierung. Was Studierende und Promovierende anbetrifft, strebt rein statistisch am Ende nur ein geringer Prozentsatz eine wissenschaftliche Karriere an. Dennoch sind uns auch berechtigte Interessen dieser Gruppen nicht gleichgültig.
Rund 70 Prozent der DHV-Mitglieder sind unbefristet beschäftigte Professorinnen und Professoren. Was tun Sie, um den Anteil von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erhöhen, die keine Professur, aber eine Dauerstelle haben? Und wie wollen Sie mehr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Karrierephase als Mitglieder gewinnen? Zuletzt gab es in zwei Protestwellen sogar zahlreiche Austritte.
Zu den zentralen wissenschaftspolitischen Zielen des DHV gehört es, über alle Personalkategorien hinweg Wissenschaft als Beruf attraktiv zu halten. Deshalb legen wir regelmäßig dort den Finger in die Wunde, wo sich Rahmenbedingungen verbessern müssen. Wir nehmen natürlich Rücksicht darauf, dass die Interessen unserer Mitglieder divergieren. So haben beispielsweise junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein mehr als verständliches Interesse daran, dass für sie verlässliche Perspektiven im Wissenschaftssystem gegeben sind. Dies nimmt der Verband genauso auf, wie er unermüdlich auf eine auskömmliche Budgetierung von Hochschulen drängt, damit junge Menschen überhaupt eine wissenschaftliche Karriere anstreben können. Vielerorts werden zusätzliche Dauerstellen im Mittelbau benötigt, auch im Rahmen neuer Personalkategorien unterhalb der Professur. Das mahnen wir an. Dass es trotz unserer Bemühungen, möglichst alle Gruppierungen mitzunehmen, Austritte gegeben hat, bedauere ich. Der DHV konnte diese Austritte bislang zwar immer durch Eintritte mehr als kompensieren. Doch unser Anspruch ist es, artikulierte Unzufriedenheit ernst zu nehmen. Dass ansonsten die schon erwähnten Serviceangebote und persönlichen Beratungen insbesondere auch von jüngeren Mitgliedern immer wieder sehr gutes Feedback erhalten, ist dann doch zumindest ein Indikator dafür, dass der DHV einiges richtig macht.
Ihr Vorgänger Bernhard Kempen hat den DHV sehr konservativ positioniert. An welcher Stelle und bei welchen Positionen unterscheiden Sie sich von ihm?
In der öffentlichen Debatte ist man für meinen Geschmack heute zu schnell dabei, Menschen und Institutionen Stempel aufzudrücken oder Bekenntnisse abzufordern: rechts oder links, konservativ oder progressiv, für mich oder gegen mich. Wenn man dies bezüglich meiner Person versuchte, wäre ich darüber nicht glücklich. Gerade in einer Zeit, in der Politik an den Hochschulen wieder eine größere Rolle spielt, müssen wir uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das leisten, was Wissenschaftsfreiheit ja Gott sei Dank ermöglicht: Wir sollten Sachverhalte differenzierter betrachten und dabei auch unterschiedliche Sichtweisen respektieren – fair und ohne Polemik, mit der man nach meinem Eindruck heute allzu schnell bei der Hand ist. Der DHV vereinigt rund 33.500 fachlich, biografisch und von ihrer politischen Anschauung her höchst unterschiedliche Mitglieder. Diese Vielfalt bereichert den Verband. Was uns verbindet, ist das Interesse an freier Forschung und Lehre sowie guten Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus sind wir alle dem Streben nach Erkenntnis verpflichtet. Wir sind gewissermaßen immer auf dem Weg und offen für neue Positionen und Perspektiven. Nur so bleiben wir auch als Verband glaubwürdig und interessant. Davon bin ich überzeugt.
"Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung."
Wenn der DHV, wie geschehen, das "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" als "willkommenen Mitstreiter" bezeichnet, was sagt das über das Verhältnis zwischen DHV und Netzwerk?
Die Bezeichnung halte ich für missverständlich. Sie ist meines Wissens ein einziges Mal verwendet worden und bezog sich auf das wichtige Anliegen, die Freiheit der Wissenschaft gegen Übergriffe zu verteidigen. Missverständlich deshalb, weil damit zu keinem Zeitpunkt eine pauschale Zustimmung zu sämtlichen Aktivitäten und Positionen des Netzwerks verbunden war, erst recht nicht zu problematischen Personalia. Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung. Das Netzwerk hat gut 700 Mitglieder, die sich aus einer gemeinsamen Problemwahrnehmung heraus zusammengefunden haben. Wir vertreten wie gesagt mehr als 33.000 Mitglieder und sprechen dabei für eine große Zahl von Kolleginnen und Kollegen, die heterogene Perspektiven und voneinander abweichende Erwartungen pflegen. Was unterschiedliche wissenschaftliche Positionen angeht, kommt es uns nicht zu, eine Schiedsrichterrolle einzunehmen.
Und wissenschaftspolitisch? Anhand welcher Kriterien sollte sich eine Berufsvertretung da positionieren?
Eine Berufsvertretung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern muss für die Freiheit von Forschung und Lehre eintreten. Das ist ihr klarer wissenschaftspolitischer Auftrag. Welche konkreten Positionen und Forderungen daraus erwachsen, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Bewertungsrundlage ist aber stets die freiheitlich demokratische Grundordnung. Das heißt beispielsweise, dass auch unliebsame, den eigenen Überzeugungen zuwiderlaufen Ansichten im wissenschaftlichen Diskurs zuzulassen sind. Sollte bestimmten wissenschaftlichen Positionen oder Fachrichtungen die Daseinsberechtigung abgesprochen werden, muss der DHV die Stimme erheben. Er würde aber sein Mandat überziehen, wenn er sich beispielsweise in politischen Diskussionen dazu einmischte, welche Fachrichtungen auf Kosten anderer besonders gefördert werden sollten. Dies ergibt sich schon aus der Vielzahl von Fächern, die in unseren eigenen Reihen vertreten sind.
Wie stehen Sie zu der per Offenen Brief geäußerten Kritik des "Netzwerks Wissenschaftsfreiheit", die Postkoloniale Theorie habe "erheblichen Anteil an der Diskreditierung und Erosion fundamentaler Prinzipien der Wissenschaftlichkeit und der Wissenschaftsfreiheit"?
Ich halte diese Position für zu pauschal. Die mir bekannten postkolonialen Theorieangebote weisen eine hohe Heterogenität und Differenziertheit auf. Sie gehen auch unterschiedlich weit, was ihre implizite oder explizite Normativität betrifft. Hier besteht vor allem auf fachlich-inhaltlicher Ebene viel Diskursbedarf. Zum Teil wurde in der Kritik an dem von Ihnen erwähnten Offenen Brief ja behauptet, dass das Netzwerk die Politik dazu auffordere, postkoloniale Studien an Universitäten zu unterbinden. Tatsächlich heißt es aber in dem Schreiben: "Wir wenden uns selbstverständlich nicht dagegen, dass postkoloniales und anderes postmodernes Gedankengut an unseren Universitäten vertreten wird. Es muss aber jederzeit kritisch diskutiert werden können." Da halte ich es schon für wichtig, bei aller Erregung, korrekt zu bleiben. Ich persönlich mag den polemischen Stil auf beiden Seiten nicht und glaube auch nicht, dass wir uns als Wissenschaft mit Blick auf die interessierte Öffentlichkeit damit einen Gefallen tun. Das Thema ist wichtig. In der Sache sollte daher gerne auch hart diskutiert werden. Dabei sollten die Beteiligten aber gelassener bleiben und nicht immer wieder unter die Gürtellinie zielen.
"Viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren."
Besteht die eigentliche Gefahr einer mangelnden Meinungs- und Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft nicht in der mangelnden Vielfalt in den wissenschaftlichen Führungspositionen?
Ich halte Perspektivenvielfalt in einer offenen und innovativen Wissenschaft für wesentlich und unverzichtbar. Das deutsche Wissenschaftssystem verträgt fraglos mehr biografische Heterogenität. Vielfalt darf dann aber auch unterschiedliche politische Positionen nicht ausschließen. Außerdem darf nicht aus dem Blick geraten, dass Wissenschaft vor allem einem Wahrheitsanspruch verpflichtet ist. Ihre Positionen entwickeln sich methodengeleitet und dürfen nicht leichthin auf schlichte Meinungen reduziert werden. Dies kommt mir bisweilen in der aufgeheizten Debatte um Vielfalt zu kurz. Wir müssen genauer fragen, wo mehr Vielfalt benötigt wird und was wir davon erwarten. Es gibt viele gute Gründe dafür, Chancengleichheit zu fordern und Benachteiligungen auf dem Karriereweg zu bekämpfen. Doch das allein führt nicht notwendigerweise zu besserer Erkenntnis. Im Übrigen ist es eine Stärke des DHV, dass so viele unterschiedliche Fächer vertreten sind, die mit dem Thema Vielfalt je eigene Perspektiven verbinden. Diese gilt es zusammenzubringen, um zu differenzierten Antworten zu gelangen. Darin liegt zugleich ein großer Vorzug, der Wissenschaft gegenüber Politik auszeichnet.
Wessen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ist stärker gefährdet: die verbeamteter Professor:innen oder wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen in frühen Karrierephasen?
Es gibt nur eine Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit für alle, unabhängig vom Beschäftigungsstatus. Aber viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren. Grundsätzlich sollten die Organisationsstrukturen in der Wissenschaft für alle so sein, dass die Bereitschaft, Überkommenes infrage zu stellen und innovative Pfade zu beschreiten, unterstützt und geschützt wird, ohne die Verantwortung für Qualitätssicherung zu vernachlässigen. Das heißt etwa auch, Professorinnen und Professoren müssen ebenso selbstverständlich mit dem begründeten Widerspruch von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leben wie umgekehrt.
Wie soll das gehen angesichts des Machtgefälles, das vielerorts immer noch herrscht?
Ich bin optimistisch, dass sich Varianten der alten Idee einer so gearteten Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden in einem transparenten, offenen Wissenschaftsbetrieb auch heute realisieren lassen.
Inwiefern braucht es für eine Steigerung der Exzellenz und für eine größere Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft auch mehr Vielfalt und Diversität unter den Professor:innen, und wie wollen Sie sich als DHV konkret für Veränderungen einsetzen?
Der DHV setzt sich in vielerlei Hinsicht für ein offenes und faires Wissenschaftssystem in Deutschland ein. Dieser Einsatz betrifft die grenzüberschreitende Offenheit für Menschen unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Nationalität, Sprache, Religion oder sozialem Status. Unter Berücksichtigung des Prinzips der Bestenauslese können zusätzliche Perspektiven die Ergebnisse von Wissenschaft bereichern. Ansatzpunkte, in diese Richtung zu wirken, ergeben sich bei jeder Beteiligung an Hochschulgesetzesnovellen, bei der Auditierung von Hochschulen für transparente und faire Berufungsverhandlungen oder auch mit Blick auf viele Serviceangebote, gerade für neue Mitglieder.
"Als wenig redlich empfinde ich es, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht."
Könnten hier auch die Gender Studies willkommene Mitstreiter des DHV sein? Welche Bedeutung haben diese grundsätzlich an deutschen Universitäten?
Jede Disziplin, die mit wissenschaftlichen Methoden nach rationaler Erkenntnis sucht und dafür Wissenschaftsfreiheit einfordert, ist eine willkommene Mitstreiterin des DHV. Ich sehe keinerlei Grund, warum dies für Gender Studies nicht gelten sollte, sofern sie, wie jedes andere Fach auch, danach trachten, methodengeleitet einen Teilausschnitt der Welt besser zu verstehen. Worauf es hier für Universitäten ankommt, hat beispielsweise der Wissenschaftsrat in seiner jüngsten Bestandaufnahme zur Geschlechterforschung hervorgehoben.
War es klug, dass der DHV in einer Debatte über die Wissenschaftsfreiheit eine einzelne kritische Wissenschaftlerin per Tweet namentlich angegangen ist?
Ich persönlich mag den rauen oder teils sogar sehr derben Stil, der in Debatten auf Plattformen wie "X" zuweilen vorherrscht, nicht. Das kam ja schon raus. Ihre Frage, ob es im konkreten Fall, den ich natürlich kenne, klug war, eine einzelne Wissenschaftlerin per Tweet namentlich zu nennen, lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Am besten macht sich jeder selbst ein Bild. Ich weiß, dass der Fall in einem Blog-Beitrag harsch kritisiert wurde. Als wenig redlich empfinde ich es allerdings, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht. Richtig ist, dass ein großer Berufsverband sicherlich mehr aushalten kann und muss als eine Einzelperson, selbst wenn diese gelegentlich im Verbund mit meinungsstarken Netzwerken und Akteuren agiert. Die konkrete Namensnennung erfolgte im Tweet zu einem FAZ-Artikel. In diesem wird die Wissenschaftlerin zwar nicht namentlich erwähnt, jedoch unter offensichtlicher Bezugnahme auf zuvor öffentlich im Blog getätigte Äußerungen kritisiert. Dass die Weiterleitung des Artikels und der Tweet die Gemüter derart erhitzen, hat mich überrascht. Aber natürlich nehme ich den Unmut zur Kenntnis.
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