Geschlechterdifferenzierung und dichotomes Denken
In: Männer, Mythos, Wissenschaft: Grundlagentexte zur feministischen Wissenschaftskritik, S. 245-262
In dem Aufsatz wird untersucht, welche Zusammenhänge zwischen logischer Dichotomie und radikaler Geschlechter-Differenzierung bestehen, welche Folgen es haben kann, wenn Geschlechtsunterschiede formal als dichotom verstanden werden, und warum diese Auffassung der Geschlechterdifferenzierung im Interesse bestimmter gesellschaftlicher Gruppen liegt. Ausgangspunkt ist dabei Durkheims Studie "Die elementaren Formen religiösen Lebens". Am Beispiel dieses Werks wird exemplarisch aufgezeigt, wie man die Zusammenhänge zwischen Konzepten des Denkens und sozialen Kategorien deutlich machen kann. Zugleich dient es als warnendes Beispiel, da Durkheims unkritische Anwendung der Dichtomie, wie gezeigt wird, gewisse Probleme schafft: u. a. führt seine Soziologie des Wissens, folgt man ihren Gedankengängen genau, direkt zu dem Schluß, daß Frauen nicht denken können. Der Aufwand gesellschaftlicher Bemühungen, der zur Schaffung und Erhaltung sozialer Dichotomien getrieben wird, wird beschrieben und mit dem Widerstand, den die formale Logik dem Erkennen und Annehmen von Veränderungen entgegensetzt, erläutert, denn im Rahmen des formalen Denkens werden natürliche und soziale Veränderungen als Unordnung begriffen, weil sie in die Kategorie Nicht-A fallen, der Kategorie also, die - auf die Geschlechterdichotomie übertragen - der Frau zugeschrieben wird. Vor diesem Hintergrund wird das dichotome Denken der Gesellschaftstheorie, der Religion und der politischen Ideologie betrachtet. (KW)