Wie weiter?
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Die Universität Göttingen befindet sich seit dem Antrag des Senats, Präsident Tolan abzuwählen, in der Schwebe. Jetzt könnte es bald vorangehen. Unterdessen startet die nächste niedersächsische Universität ein Abwahlverfahren. Was Minister Mohrs dazu sagt.
Aula am Wilhelmplatz. Julian Herzog: "Aula am Wilhelmsplatz
Georg-August-Universität Göttingen 2017 01.jpg", CC BY 4.0.
SEIT DER SENAT der Universität Göttingen die Abwahl von Präsident Metin Tolan gefordert hatte, herrschte Ungewissheit an der Hochschule. Wie geht es jetzt weiter – und vor allem: wann?
Eigentlich schien das Verfahren klar: Der Stiftungsausschuss Universität muss als nächstes über den Antrag des Senats befinden. Doch plötzlich hatten die Uni-Juristen ein Problem: Tatsächlich der
Stiftungsausschuss Universität? Oder doch der Stiftungsrat, der für die Belange von Universität und Universitätsmedizin zuständig ist? Ein Problem, bei dem man sich fragt,
warum es nicht schon lange vor dem Abwahlantrag des Senats geklärt wurde, um den Schwebezustand für die in Aufruhr befindliche Universität möglichst kurz zu halten.
Aber gut. Nun haben beide Stiftungsrat und Stiftungsausschuss große personelle Schnittmengen, zur Sicherheit und zur Beschleunigung des Verfahrens hätte man beide einberufen und
abstimmen lassen können. Denn die nächsten regulären Sitzungstermine sind erst am 20. November. Doch hatte der frühere DFG-Präsident Peter Strohschneider, der beiden Aufsichtsgremien vorsitzt,
bislang keine Einladungen verschickt.
Zuständig für die Klärung der Zuständigkeitsfrage ist das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK), das die Rechtsaufsicht ausübt und dessen Chef Falko Mohrs (SPD) auf ein
zügiges Verfahren drängt. Allerdings ließ sich das MWK selbst zwei Wochen Zeit für seine Entscheidung, die am gestrigen Donnerstag bekannt wurde. Wie Mohrs' Sprecherin mitteilte, sei das MWK zum
dem Schluss gelangt, "dass der Stiftungsausschuss das zuständige Gremium ist". Also so, wie es auch in der Grundordnung der Universität steht – im Gegensatz zum Niedersächsischen Hochschulgesetz
(NHG), wo der Stiftungsrat genannt wird. Es handle sich bei der Abwahl Tolans aber um eine Angelegenheit der Universität, daher "tritt der Stiftungsausschuss Universität an die Stelle des
Stiftungsrates".
Das Ministerium erhöht den Druck
auf den Stiftungsausschuss-Vorsitzenden
Gleichzeitig erhöht das MWK den Erwartungsdruck auf Strohschneider. Als nächstes müsse der Stiftungsausschuss durch den Vorsitzenden eingeladen werden. "Dies soll durch den Vorsitzenden
zeitnah erfolgen."
Hat Strohschneider schon gehandelt? Die Frage, ob es einen Sitzungstermin für den Stiftungsausschuss gibt, ließ die Pressestelle der Universität bislang unbeantwortet. Strohschneider selbst
teilte dem Göttinger Tageblatt über die Pressestelle schon vergangene Woche mit, er stehe während des laufenden Verfahrens für Interviews oder Hintergrundgespräche nicht zur Verfügung."
Votiert der Stiftungsausschuss für den Abwahlantrag des Senats, ist Tolans Amtszeit unmittelbar zu Ende. Doch ist eine Zustimmung des Stiftungsausschusses alles Andere als sicher, Strohschneider
etwa galt bislang als Unterstützer Tolans. Lehnt der Ausschuss den Antrag ab, muss es als nächstes einen Termin zwischen Stiftungsausschuss und Senat geben, um einen "Einigungsversuch" zu
unternehmen. Was wiederum wertvolle Zeit kosten würde. Die Sprecherin von Mohrs formuliert das so: "Der Minister hatte bereits vor der Senatssitzung darauf hingewiesen, dass die Gefahr einer
Handlungsunfähigkeit besteht und dies für die weitere strategische Entwicklung und anstehende Entscheidungen bedenklich ist."
Einen Vorgeschmack, was ein solcher Schwebezustand bedeutet, erleben die Göttinger schon jetzt: Bislang hat Tolan immer noch nicht zu der nächsten Senatssitzung eingeladen, die Ende Oktober
stattfinden soll.
Am schnellsten ginge es natürlich, wenn der Stiftungsausschuss die Abwahl einfach bestätigte. Tut er es nicht, könnte die realistische Zeitplanung für das weitere Verfahren so aussehen:
Votum des Stiftungsausschusses in der ersten Novemberhälfte, der bei Ablehnung erforderliche Einigungstermin mit dem Senat bis Ende November. Und falls der scheitert, kurz darauf eine erneute
Sitzung des Senats, um dann allein und endgültig über die Abwahl bestimmen zu können.
Was zeigt, dass alle Akteure jetzt in der Verantwortung stehen, ein zügiges Verfahren zu ermöglichen. So formuliert es auch der Minister. "Aufgabe aller Beteiligten ist, alles hinter das Wohl der
Hochschule zurückzustellen und die weiteren Schritte anzugehen." Um strategisch handlungsfähig zu sein, müsse die Universität Göttingen den eingeschlagenen Kurs der finanziellen Konsolidierung
weiterverfolgen. Außerdem müssten die Strukturen besser organisiert werden. "Das ist wichtig für Spitzenforschung. Exzellenz ist eine Daueraufgabe – die müssen wir langfristig denken."
Nur ein Halbsatz, der aber andeutet, wie tief in Niedersachsens Politik der Frust über die Pleite Göttingens in der aktuellen Runde der Exzellenzstrategie steckt. Alle Cluster-Neuanträge schon in
der Vorrunde aus, es bleibt nur die Hoffnung, den einen bestehenden Cluster zu verteidigen. Denn die Chance auf den 2012 verlorenen Titel einer Exzellenzuniversität ist im aktuellen Verfahren
auch schon wieder weg.
Hat Niedersachsens Hochschulgovernance
ein grundsätzlicheres Problem?
Und was ist mit der immer wieder einmal in Debatten hervorgeholten Drohung, einen "Staatskommissar" einzusetzen? Mohrs' Antwort ist defensiv: "Als Stiftungsuniversität genießt die Universität
Göttingen ein hohes Maß an Autonomie. Ein Eingreifen ist dann möglich, wenn die Handlungsunfähigkeit eines Hochschulorgans gegeben wäre", wie es Paragraph 51 des Hochschulgesetzes vorsehe.
Danach aber sieht es zurzeit nicht aus. Denn der Weg ist frei für Strohschneider, jetzt den Stiftungsausschuss einzuladen.
Bleibt eine spannende Frage: Hat Niedersachsens Hochschulgovernance ein grundsätzlicheres Problem, das über Göttingen hinausgeht? An der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
(HMTM) führt bereits seit Juli mit dem erfahrenen Hochschulmanager Hans Jürgen Prömel ein von Mohrs eingesetzter Beauftragter des Ministeriums das Präsidium, Prömel selbst formuliert seine Aufgabe so: "die HMTMH gemeinsam mit ihren Mitgliedern und Angehörigen wieder in ruhigeres Fahrwasser zu führen, bis die derzeit
offene Frage der künftigen Präsidentschaft geklärt ist".
Und der Senat der Universität Vechta hat am Dienstag Verena Pietzner einstimmig "als Präsidentin der Hochschule abgewählt", wie es auf der
Uni-Website heißt, wobei das ja so nicht stimmt. Denn auch hier muss der Hochschulrat das Votum bestätigen. Der Senat habe um ein zeitnahes Zusammentreten des Hochschulrates außerhalb der
regulären Sitzungen hat der Senat "nachdrücklich gebeten", heißt es in der Mitteilung der Universität weiter.
"Notwendige Veränderungen auch dann
verfolgen, wenn damit Einschnitte verbunden sind"
Gefragt, ob sich aus den Vorgängen in Göttingen, Vechta und Hannover eine hochschulübergreifende Schlussfolgerung für Niedersachsens Hochschulpolitik ziehen lasse, antwortet Falko Mohrs: "Was ich
sehe ist, dass es schwierig sein kann, notwendige Veränderungen auch dann zu verfolgen, wenn damit Einschnitte verbunden sind. Wenn daraufhin die Leitung in Frage gestellt wird verhindert dies
eine strategische Entwicklung – die ist aber für den Erfolg nötig."
Schuld ist also die mangelnde Veränderungsbereitschaft an den Hochschulen, konfrontiert mit den aktuellen finanziellen Engpässen? Tatsächlich musste die Wissenschaft in Niedersachsen in den
vergangenen Jahren budgetär Federn lassen, die Vorgängerregierung legte Einsparungen im Haushalt auch auf die Hochschulen um. Aktuell werden immerhin die Tarifsteigerungen übernommen.
Vechtas von Abwahl bedrohte Unipräsidentin Pietzner sagt: "Seit etwa einem dreiviertel Jahr haben Senat und Präsidium in Workshops an einer gemeinsamen Arbeitsgrundlage und an der strategischen
Ausrichtung der Universität Vechta gearbeitet." Mit seiner Entscheidung, sie abzuwählen, habe der Senat seine Zustimmung und das Vertrauen für die angestoßenen Veränderungsprozesse entzogen.
Das bedaure sie sehr und sei "traurig darüber, dass ich nicht mehr gemeinsam mit Ihnen allen die initiierten Veränderungsprozesse fortsetzen kann." Sie hoffe sehr, dass die Universität Vechta mit
neuen Kräften und Impulsen eine gute Entwicklung nehme.
Tolans Reaktion auf den Abwahlentscheidung des Göttinger Senats klang deutlich weniger versöhnlich: Er bedaure diesen Schritt sehr "und insbesondere, dass sich der Senat nicht bereitgefunden
hat, sich auf einen Prozess der Schlichtung einzulassen. Auch die persönlichen Angriffe haben mich verletzt und sollten im Nachhinein noch aufgearbeitet werden."
Der Göttinger Theologieprofessor Thomas Kaufmann, der im Juni 2024 von Tolan für viele überraschend zur wissenschaftlichen Gesamtleitung der Niedersächsische Staats- und
Universitätsbibliothek Göttingen (SUB) ernannt worden war, war selbst eine der lautesten Stimmen im Göttinger Machtkampf nach dem Rücktritt von Ex-Präsidentin Ulrike Beisiegel. Und auch
Tolan kritisierte er intern zunächst scharf. Jetzt aber sieht er dessen Abwahl kritisch – und macht auch die Governance verantwortlich. "Ein struktureller Faktor ist etwa, dass Dekane
im Senat kein Stimmrecht haben und sich in seiner Zusammensetzung die Vielfalt der Fakultäten mitnichten abbildet", kommentierte Kaufmann hier im Blog. "In Göttingen hat der Senat die geringste
nach NHG zulässige Mitgliederzahl und beharrt – allen lange vernehmlichen Forderungen zum Trotz – auf seiner Größe, weil die einzelnen Mitglieder ja sonst an Macht verlören." Hinzu komme,
so Kaufmann, dass im Falle des Göttinger Senats im Kreis der sieben Professor*innen allein drei Senatoren säßen, "die im strikten Sinne gar nicht zur Stiftungsuniversität gehören (sondern zur
Medizin) bzw. keine regulären Professur an einer Fakultät innehaben".
Kaufmann ist für seine Zuspitzungen berüchtigt, aber hat er zumindest in Sachen Dekane-Stimmrecht einen Punkt? Umgekehrt: Die Abwahlhürde für einen Präsidenten ist im Niedersächsischen
Hochschulgesetz mit 75 Prozent extrem hoch gesetzt, was Zweifel an der Repräsentativität einer solchen Entscheidung nicht wirklich plausibel erscheinen lässt. Und Göttingens Krise reicht
weiter zurück als die aktuelle Fassung des Hochschulgesetzes.
Eine harsche Ansage ist, was Kaufmann sich für als nächstes für Göttingen wünscht: "Ein Staatskommissar ist Göttingens einzige Chance; zur akademischen Selbstverwaltung ist diese Universität zur
Zeit nicht fähig." Stiftungsrat und, falls überhaupt noch nötig, der Senat können und müssen jetzt schnell das Gegenteil beweisen.
Nachtrag am 22.Oktober, 8 Uhr:
Stiftungsausschuss lehnt Abwahl Tolans ab
In einer Sondersitzung am Montag hat der Stiftungsausschuss Universität Göttingen den Abwahlantrag des Senats "sehr deutlich" zurückgewiesen, teilte die Hochschule auf ihrer Website mit.
Hochschulinsidern zufolge fiel das Ergebnis mit fünf zu eins Stimmen aus. Damit bleibt Präsident Metin Tolan vorerst im Amt.
Die Abstimmung im Stiftungsausschuss erfolgte nach der Entscheidung des Wissenschaftsministeriums zu seiner Zuständigkeit im Verfahren überraschend schnell – und zugleich so, wie viele Beobachter
es erwartet hatten. Mitglied in dem sechsköpfigen Gremium ist auch der Staatssekretär im Wissenschaftsministerium, Joachim Schachtner. Minister Falko Mohrs (SPD) hatte sich vergangenen Freitag
hier im Blog ausführlich zur Göttinger Krise geäußert.
Eine Abwahl des Präsidenten sei "ultima ratio", erklärte der Stiftungsausschuss in einem begleitenden Statement. Als solche setze sie "die Ausschöpfung aller anderen Mittel sowie eine präzise
Begründung" voraus. Beide Erfordernisse sehe der Stiftungsausschuss Universität nach eingehender Würdigung nicht hinreichend nachvollziehbar erfüllt. "Eine sorgfältige Ableitung seiner
Entscheidung aus der Verantwortung des Präsidenten ist der Begründung des Senats für seinen Vorschlag auf Entlassung des Präsidenten nicht zu entnehmen. Die Tragfähigkeit der vorgebrachten ad
personam-Argumente zu Lasten des Präsidenten kann nicht geprüft werden." Der Stiftungsausschuss sehe der gemeinsamen Beratung mit dem Senat "in der Hoffnung entgegen, dass zum Besten der
gesamten Universität eine Einigung möglich sei".
Womit das Aufsichtsgremium auf den als nächstes in einem Abwahlverfahren vorgesehenen Einigungstermin zwischen beiden Gremien anspielt, der nun ebenfalls rasch gefunden werden soll. Wie eine
Einigung aussehen könnte angesichts der sich diametral entgegenstehenden Voten von Senat und Stiftungsausschuss, ist unklar. Bleibt sie aus, folgt im letzten Schritt eine erneute
Abstimmung im Senat. Ergibt diese wieder eine Dreiviertelmehrheit für eine Abwahl, wäre diese gültig.
Kurz vor der Abstimmung im Stiftungsausschuss hatten sich die Spitzen der Göttinger Fakultäten am Montag in einem "Signal der Dekaninnen und Dekane an den
Stiftungsausschuss" positioniert. "Die Universität Göttingen befindet sich nach dem erneuten Scheitern im Exzellenzwettbewerb und der aktuellen Vertrauens- und Führungskrise nach der ersten
Abwahl des Präsidenten in einer äußerst kritischen Situation, die ein zeitnahes Handeln des Stiftungsausschusses erfordert", heißt es darin. "Wir Dekaninnen und Dekane stellen uns geschlossen
unserer Verantwortung, gemeinsam mit Präsidium und den Senatorinnen und Senatoren auf eine zeitnahe Lösung der drängendsten Problemfelder hinzuarbeiten. Dazu gehört eventuell auch die Wahl eines
Interimspräsidenten oder -präsidentin. Gleichzeitig möchten wir eine Aufarbeitung der Governance Strukturen der Universität anstoßen."
Damit beginnen die Dekane bereits über eine mögliche Abwahl Tolans hinauszuschauen auf die Zeit bis zur Wahl seines Nachfolgers oder seiner Nachfolgerin im Amt. Aber noch, siehe die Abstimmung
des Stiftungsausschusses, ist es nicht soweit.
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