Die 2007 von der Freien Universität Berlin angenommene Habilitationsschrift von Matthias Warstat ist ein Dialogversuch, der die wirkungsästhetischen Ansätze der historischen Theateravantgarde in einem revisionistischen Rückblick betrachtet und die aktuellen diskursiven Entwicklungen wie auch die Theaterpraxis aus diesem historischen Kontext heraus verortet. Die These der Studie, die Heilung als Krise auffasst, wird damit auf der Basis eines komplexen methodischen und thematischen Spektrums untersucht. Die letzten Theaterproduktionen Christoph Schlingensiefs – das Fluxus-Oratorium Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir (Ruhrtriennale Duisburg-Nord 2009) und die Readymade-Oper Mea Culpa (Wiener Burgtheater 2009) – manifestieren eindrücklich die Aktualität des Ansatzes von Warstat. Die ekstatisch-rauschhafte Atmosphäre der Messe-Inszenierungen von Schlingensief, die an Forderungen Friedrich Nietzsches oder Antonin Artauds erinnert, sowie die kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Fluxus-Bewegung – insbesondere mit Joseph Beuys und Allan Kaprow – beziehen sich stets auf die Diskursivierung der Binarität von Leben und Tod. Das Repetitive der multimedialen Einspielungen, ob Video-Tagebücher oder persönliche Notizen, die die Stadien der Krankheit Schlingensiefs aufzeichnen, evoziert jene Simultaneität von Krise und Genesung, die Warstat problematisiert. Jedoch die Heilsversprechungen performativer Handlungen, die die historische Theateravantgarde noch entwarf, relativiert der Autor weitgehend. Warstat nähert sich dem Thema seiner Studie zunächst durch eine knappe Untersuchung der ästhetischen Schriften von Artaud, Jakob Levy Moreno, Nietzsche und Alfred von Berger, um nur einige Namen zu nennen. Im zweiten Schritt konzentriert sich der Verfasser auf die Performance-Kunst der Neoavantgarde sowie gegenwärtige Theaterproduktionen, die von Arbeiten Frank Castorfs bis zum 'social theater' reichen. Dieser Themenkomplex wird stets durch aktuelle philosophische, politische und gesellschaftliche Diskurse erweitert und vertieft. Durch diese Kontextualisierung entsteht ein lebendiger Dialog zwischen der Theaterpraxis und der diskursiven Metaebene, der die Qualität der Publikation entscheidend bestimmt. Warstat fragt nach therapeutischen Wirkungsmöglichkeiten eines Theaters in Zeiten wirtschaftlicher und psychischer Depression, des Terrors und der Ausgrenzung sozialer, ethnischer und religiöser Minderheiten. Jedoch innerhalb der latenten Zirkulation von Definitionen, Thesen und Annahmen besteht die Gefahr einer beiläufigen Nivellierung der Argumentation. So wird die Hauptthese der Studie, die Simultaneität von Krise und Heilung, knapp wie in einem Nebensatz behandelt: Die Parallaxe nach Slavoj Žižek bezieht sich dann auf Elemente, die "minimal gegeneinander verschoben sind" (S. 217) – wie zwei Seiten einer Medaille, die nicht exakt übereinstimmen, da sie gegensätzliche Erfahrungen und Wahrnehmungen von Krise und Heilung umfassen. Ob diese Verschiebung Konsequenzen für das Heilversprechen hat und überhaupt von Relevanz für theatrale Praktiken ist, bleibt offen. Auch die Auswahl der fünf Kategorien Katharsis, Rausch, Destruktion, Gestaltung und Diskursivierung, die eine Art Rasterkonstruktion für die gesamte Studie bilden, wird nicht näher begründet und scheint nur wenig überzeugend in Anbetracht der Komplexität der Untersuchung. Die historische Theateravantgarde erblickte signifikanterweise in diametraler Entgegensetzung zu therapeutischen Positionen gerade in den krisenhaften, destruktiven Erfahrungen das heilende 'Wirkungsversprechen'. Als Artaud 1933 in seinem Sorbonne-Vortrag "Le Théâtre et la Peste" eine visionäre Metaphorik ansteckender, zerstörerischer Epidemie entwarf, forderte er die Darstellenden und Zuschauenden auf, in einem Akt des Rausches und der Selbstauflösung die Barrieren des traditionellen Kunsttheaters zu überwinden. Die von ihm geforderte Schauspieltechnik basierte auf einem unkontrollierten, exzessiven Ausleben von Affekten, das stark die Ästhetik dionysischer Raserei bediente. Artauds Metapher der Pest umfasst jedoch abseits der theatralen Praktiken vor allem instabile gesellschaftliche Ordnungen: Die Epidemie bricht nur dort aus, wo bereits degenerierte politische, soziale oder kulturelle Strukturen im Auflösen begriffen sind. Gerade der gesellschaftliche Anspruch der Artaud'schen Metaphorik erlaubt Warstat, in der Neoavantgarde und im Theater nach 9/11 die Suche nach parallelen Erscheinungen von Krise und Heilung fortzusetzen. Die historische Parabel der Pest, den Topos des Destruktiven in Form von Ansteckung und Infizierung, demonstriert Warstat am Beispiel der Taktik des Angriffes, des "binary terrorism" (S. 144). Dieser Angriff auf archetypische Denkmuster bedeutet ein Fusionieren von antagonistischen Einheiten bzw. Attributen (weiblich/männlich, schwarz/weiß, sakral/profan, aktiv/passiv, etc.), was unausweichlich zu einer Explosion, einem "Kurzschluss" (S. 141) der binären Oppositionen führt. Feministische Performerinnen der 1960er-Jahre griffen dieses Verfahren auf, um westliche Lebensstile und Denkweisen radikal zu hinterfragen. Shigeko Kubota reflektierte in der Fluxus-Performance Vagina Painting (1965) mittels eines in ihr Geschlechtsorgan eingeführten Pinsels und der damit (in einem hockenden Gang) erstellten abstrakten Bildkomposition die Rolle der Frau im Kunstbetrieb: Das vermeintlich passive Natur-Objekt wird zu einem selbstbestimmenden, handelnden Subjekt. Wie reagiert aber das Theater auf reale terroristische Anschläge? 9/11 löste differenzierte Reaktionsmuster in der US-amerikanischen Theaterszene aus: Sie reichten von der Betonung der Normalität (Fortsetzung des vorgesehenen Spielplans) über die Zelebrierung von Trauer- und Erinnerungsritualen hin zu Manifestationen ethnischer, geschlechtlicher oder politischer Diversität in Entgegensetzung zu der restriktiven Amtsführung von George W. Bush. Es lag sicherlich an der Besonderheit der kommunikativen Vorgänge am Theater, an dessen unmittelbarer Diskursivität, dass an diesen Abenden öffentliche und doch intime Räume der Begegnung und Reziprozität konstituiert werden konnten. Die Angst, mit der das Betreten von allgemein zugänglichen Arealen verbunden war, konnte zeitweise durch ein lokales Gemeinschaftsgefühl von Sicherheit nivelliert werden. Das Erzeugen von geschützten Räumen in krisenhaften Regionen gehört zu den grundlegenden Aufgaben des 'social theater'. Guglielmo Schininà, der führende Vertreter dieser Richtung, leitete u.a. 1999 ein Projekt im südserbischen Flüchtlingslager von Velika Kopasnica. Eine ehemalige botanische Schule beherbergte Hunderte von Familien, die verwahrloste Einzelzimmer bewohnten. Der einzige Gemeinschaftsraum blieb für Monate verschlossen, sodass soziale Kontakte stark beschränkt waren. Schininà und sein Team begannen zunächst mit der Ermittlung der Bedürfnisse und Wünsche der Flüchtlinge. In der zweiten Phase des Projekts wurde ein spezieller Raum errichtet ('creative corner'), in dem Kreativgruppen (Erzählkreise, Chöre, Malzirkel etc.) ihren individuellen Interessen nachgehen konnten. Die abschließende Aufgabe bestand darin, diese Aktivitäten einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In der zweitgrößten Stadt Serbiens, Niš, wurde etwa ein sogenannter 'common room', eine Art Bühne installiert, wo den Partizipienten und ihren Werken eine neue Sichtbarkeit verliehen und unterbrochene Kommunikation neu hergestellt wurde. Gerade das Sichtbarmachen der Ausgegrenzten und Rechtlosen betrachten Jacques Rancière und Giorgio Agamben als Einbruch des Politischen. Für Rancière besitzt die wiedergewonnene Präsenz der 'Anteillosen' einen metaphorisch-theatralen Charakter, da diese "nur auf der Bühne der Gemeinschaft" (S.193) überhaupt wahrgenommen werden können. Warstat verbindet den Aspekt der Diskursivierung grundsätzlich mit dem politisch engagierten Theater der 1990er-Jahre. Die Ursprünge dieses Prozesses sieht er allerdings im Psychodrama und der Stegreifbühne Morenos. Der Psychotherapeut und Theatermacher, der in Wien seit 1910 darstellende Spiele mit Kindern in Parkanlagen improvisierte, die sozialen Bedingungen für Prostituierte untersuchte und mit den Insassen des Flüchtlingslagers Mitterndorf bei Wien arbeitete (1915), nutzte die imaginäre Lebensbühne als Diskussionsplattform für zwischenmenschliche Beziehungen.[1] Moreno betrachtete die Bedeutung des Theaters in seiner Kollektivität als Erlebnis gelungener Gruppenintegration, das kathartische Erfahrungen ermöglicht. Sein Theaterbegriff ist jedoch ein durch und durch spiritueller: Er sah im sensuellen Erleben eines multimedialen Theaters eine durch Säkularisierungsprozesse der Moderne verlorene kosmische Binarität des Menschen zwischen Mikro- und Makrokosmos. Während Moreno die Gruppenkatharsis, das Erleben der Integration für zentral hielt, betrachten die Vertreter des 'social theater' das gemeinschaftliche Erleben im Theater mit Skepsis: Während ihrer Arbeit beobachteten sie kontinuierlich eine Betonung der Diversitäten und Differenzen in den Gruppen. Einige der Theateraktivisten sprachen sogar offen vom Konfliktpotenzial des Theaters. Daher stellt Warstat die Frage, ob die vermeintliche Gestaltungskraft theatraler Prozesse überhaupt real sei. Es scheint, dass die heutige Gesellschaft, die zunehmend unter Depressionen und Erschöpfung leidet, die auf einen Handlungsdruck in Arbeit und Freizeit zurückzuführen sind, Gestaltung als Heilsperspektive ablehnt. Während noch in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts der russische Theoretiker und Regisseur Nikolai Evreinov von der Gestaltungskraft einer Aufführung sprach, an der das Publikum partizipiert und die es durch seine Rezeption vollendet, übernehmen insbesondere in Europa die Gestalttherapie und weitere Formen der Psychotherapie diese Aufgaben des Theaters. Lediglich die Performance-Kunst, die etwa mit den Fluxus-Aktionen von Joseph Beuys starke Impulse setzte, bietet für Warstat eine denkbare Form der Gestaltung. Auch die Heilversprechung im Akt eines kollektiven Rausches, nach dem Nietzsche verlangte, entkräftet Warstat. Das liegt grundsätzlich an einer revisionistischen Neuinterpretation des Gemeinschaftsbegriffs: Die Kollektivbildung, so der italienische Philosoph Roberto Esposito, bringe keinen Identitätsgewinn mit sich, sondern das Auftragen von Verpflichtung oder Tribut (lat. communitas: Gemeinschaft, munus: Verpflichtung, Schuldigkeit, Leistung). Das Subjekt wird so nicht zum integralen Teil einer Gemeinschaft, sondern zu einem, das ein Amt zu bekleiden oder eben einen Tribut an die Allgemeinheit zu zahlen hat. Trotz zahlreicher offen bleibender Fragen, die aus der Fülle des Materials resultieren, ist Warstats Studie nicht zuletzt aufgrund ihrer Aktualität und ihren essayistischen Qualitäten lesenswert. Die Reflexion über die Wirkungsmöglichkeiten von Theater in Zeiten des Terrors, regionaler Militärkonflikte und zunehmender wirtschaftlicher und psychischer Depressionen weist auf die kommenden Aufgaben der Theaterforschung hin. Deutlich wird die Ambivalenz heilender und krisenhafter Prozesse am Beispiel des 'social theater': Die wiedergewonnene Sichtbarkeit der Anteillosen kann gleichzeitig die Entstehung von weiteren Spannungen und Konflikten unter den Partizipienten bedeuten. So ist Warstats Theaterverständnis von stetigen Transformationen geprägt, die abseits von Institutionalisierung als Schwellen-Phänomene gedeutet werden können. --- [1] Vgl. Brigitte Marschall: Ich bin der Mythe. Von der Stegreifbühne zum Psychodrama Jakob Levy Morenos. Wien/Köln/Graz: Böhlau 1988, S. 12.
Der von den australischen Medienwissenschaftlern John Hartley, Jean Burgess und Axel Bruns herausgegebene Sammelband A Companion to New Media Dynamics präsentiert eine umfassende Standortbestimmung der rezenten New Media Analysis. Er erkundet dabei die heuristischen Herausforderungen, die angesichts der neuen Mediendynamik entstehen und versucht vor diesem Hintergrund die kulturellen Umbrüche der Medien des digitalen Zeitalters gesellschaftsdiagnostisch zu verorten. In ihrer Einführung nehmen die Herausgeber Bezug auf die Transformationen der Gegenwartsgesellschaft mittels der Neuen Vernetzungstechnologien, die sie zur methodischen Orientierung für den Aufbau und die Gliederung ihres groß angelegten Readers heranziehen: "Capitalism, technology, social networks, and media all evolve and change, sometimes to our delight, sometimes our dismay. This incessant process of disruption, renewal, and eventual (if not partial) replacement is now one of humanity's central experiences" (S. 1). An diesem Statement wird ersichtlich, dass es den Herausgebern in erster Linie darauf ankommt, die Fachgrenzen zu überschreiten, um der kritischen Reflexion der hegemonialen Rolle der Neuen Medien in den unterschiedlichen Bereichen des alltäglichen Lebens gerecht zu werden. In diesem Sinne versuchen die Herausgeber, die Netzwerkwerkgesellschaft als medieninduziert zu modellieren und problematisieren digital verfügbare Kollektivität als Manövriermasse technizistischer Praktiken. Insofern dominieren im Companion to New Media Dynamics datenkritische Aufsätze, die die Dynamik des Mediengebrauchs der Vernetzungstechnologien in erster Linie als technisches Produkt der Benutzerschnittstelle interpretieren. Insofern kann die Benutzerschnittstelle als Formationssystem von Wissen und als Produktionsbedingung für die Herstellung von Aussageordnungen und individuellen Äußerungen aufgefasst werden. Wie die Autoren Charles Leadbeater und Patrik Wikström verdeutlichen, sind die sozialen Netzwerke heute selbst zum Medienereignis geworden und gelten im öffentlichen Räsonnement als ein Indikator für die Verschiebung von ökonomischen und politischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Als elementare Bausteine zum Verständnis gesellschaftlicher Ordnung werden sie in unterschiedlichen Mediendiskursen als "Leitmedium" einer neuen Kommunikationskultur gesetzt (vgl. den Beitrag von Mark Pesce und Basile Zimmermann), das nicht nur das kulturelle Gedächtnis prägt und zu kollektivem Wissen mittels der kooperativen Formen der Wissenskonstitution beiträgt (vgl. den Beitrag von Andrew Lih), sondern auch die soziale Macht von Gesellschaftsformationen verhandelt. An diesem Punkt zeigt sich auch ihr Kardinalproblem. Denn unter den Bedingungen der Ökonomie der Aufmerksamkeit und der endlosen Feedbackschleifen, welche die Kommunikationskultur des Social Net kennzeichnen, ist die Machtakkumulation potentiell unbegrenzt und unabgeschlossen. Die kybernetischen Technologien des Massenfeedbacks und die Performanz- und Effizienzorientierung der Sozialen Netzwerkseiten und Online-Portale haben mit der Schaffung eines Kontrolldispositivs der permanenten sozialen Beobachtung wesentlich zur digitalen Modellierung der neuen Kollektivitäten beigetragen (vgl. den Beitrag von Lelia Green und Danielle Brady zur Subjektformatierung in der Online-Jugendkultur). Die Textsammlung besteht aus 34 Originalbeiträgen und zeichnet sich durch eine stringente Argumentation und eine vielschichtige Gliederung der Themenfelder aus. Die einzelnen Kapitel sind sehr gut strukturiert und aufeinander abgestimmt. Die Aufsätze weisen durchgehend ein hohes Reflexionsniveau auf, sind fundiert und problemorientiert und muten sich eine erkenntniskritische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand zu. Innovative Theoriebildung und empirisch fundierte Studien sind in der Anthologie zu Fragen der New Media Dynamics gut miteinander verzahnt. Gerade in der Konzentration auf ausgewählte Fragestellungen liegt die Stärke des Sammelbandes. Die Herausgeber vermeiden mit ihrer Konzeption, alle Bereiche oberflächlich zu behandeln; vielmehr bieten sie sowohl für die medienwissenschaftliche Theoriebildung als auch für die kultursoziologische Gegenwartsanalyse innovative und eigenständige Erklärungsmodelle an. In der programmatischen Einleitung zu ihrem Forschungsfeld reflektieren Hartley, Burgess und Bruns die methodologische und epistemologische Ausrichtung ihrer Anthologie und verfolgen den innovativen Anspruch, die Neuen Medien als Konvergenzphänomene technologischer, kultureller, sozialer und politischer Praktiken theoretisch zu verorten. Der Sammelband geht jedoch über diese gegenwartsdiagnostisch motivierten Einschätzungen weit hinaus und bietet in den unterschiedlichen Aufsätzen neuartige Theorieperspektiven und Optionen transdisziplinärer Analysemodelle. Die im ersten Kapitel versammelten Beiträge international renommierter Autor/innen (Sean Cubitt, Thomas Pettitt u.a.) sind als Annäherungen an das Feld der New Media Studies zu verstehen. Sie versuchen heuristische Fragestellungen zu definieren und künftige Trends der Forschungsliteratur zu prognostizieren. Die zentrale Frage des ersten Kapitels widmet sich weniger der Problematisierung der Reaktion der Medienwissenschaft auf den neuen Forschungsgegenstand, sondern fragt vielmehr nach der medialen Konstruktion des medienwissenschaftlichen Wissens durch die Neuen Medien. Das zweite und das dritte Kapitel des Companion to New Media Dynamics eröffnet ein breites Forschungsfeld der metatheoretischen Datenkritik und demonstriert eindrucksvoll, dass eine engagierte Wissenschaft der Neuen Medien aufzuzeigen hat, inwiefern mobile Kommunikationsmedien zur Normalisierung von Lebensstilen und zur Ausweitung von sozialer Kontrolle führen können. "Changing Media with Mobiles" von Gerard Goggin, "Make Room for the Wii" von Ben Aslinger, "Online Identity" von Alice E. Marwick und "Practices of Networked Identity" von Jan-Hinrik Schmidt zeigen auf, dass mobil abrufbare Social Networking Sites und ihre Kommentarfunktionen, Hypertextsysteme, Ranking- und Votingverfahren dafür sorgen, dass das Alltagsleben und -verhalten der mobilisierten User immer mehr zum Schauplatz von wechselseitiger Beobachtung geworden ist. Diese Beobachtungssituation wird oft als 360°-Feedback beschrieben: Jeder kann jeden überall und jederzeit überwachen. Die ortsunabhängige Verwendung in Echtzeitübertragung macht kommerziell bewirtschaftete Apps also zum geeigneten Tool für mediale Selbstführungstechniken im Standby-Modus. Da Apps durch ihre Nutzung immer auch die Einstellungen von Subjekten beeinflussen, können sie als persuasive Medien verstanden werden. Unter dem Schlagwort "Surveillance" thematisiert der einschlägig bekannte Autor Anders Albrechtslund in seinem Beitrag "New Media and Changing Perceptions of Surveillance" den Zusammenhang von Online-Medien und veränderten Wahrnehmungs- und Kommunikationsräumen sozialer Kontrolle und technologischer Überwachung im Backend-Bereich (d. h. dem Bereich, der den Nutzer/innen nicht zugänglich gemacht wird). Albrechtslund spricht in diesem Zusammenhang von der Durchsetzung einer neuen "Participatory Surveillance" (S. 309), die an der Schnittstelle zwischen den mobilen Endverbrauchergeräten und den Social Networking Sites entsteht, die durch kollektive Rahmungsprozesse dafür sorgen, dass unser Alltagsleben und -verhalten immer mehr zum Schauplatz offener Bedeutungsproduktion und permanenter Ausverhandlung in sozialen Evalutions- und Abstimmungsprozessen wird. Im Anschluss an die machtkritische Medientheorie von Albrechtslund diskutiert Feona Attwood genderpolitische Fragestellungen ("Cybersexuality and Online Culture") und selbsttechnologische Ökonomisierungsprozesse in den Sozialen Netzwerkseiten ("Microcelebrity and the Branded Self"). Die beiden genannten Autor/innen beschäftigen sich vor allem mit den Möglichkeiten und Rahmenbedingungen, welche den von Nutzer/innen generierten Inhalten im Bereich des kulturellen Hackings inhärent sein können. An diese Fragestellung anknüpfend versuchen die im Unterkapitel "Politics, Participation, and Citizenship" versammelten Texte von der politischen PR-Kampagne bis zum politischen Ungehorsam (Stephen Coleman, Cherian George, Tarleton Gillespie) Probleme der Tragfähigkeit der politischen Partizipation qua Neue Medien zu erörtern. Die Analysen von Jeffrey P. Jones, Tarleton Gillespie und Mark Pesce zeigen auf, dass YouTube als Ausdruck eines mediendemokratischen Öffentlichkeitswandels und des vorherrschenden Entertainisierungstrends aufgefasst werden kann, der auch die mediale Darstellung des Politischen erfasst hat. Mit dem Aufstieg der Medienunterhaltung zum Sinn- und Identitätszentrum der modernen Gesellschaft und der damit verknüpften kulturellen Aufwertung des Entertainments wird die Unterhaltungsöffentlichkeit zunehmend ein Element der Politikdarstellung. Die Unterhaltungsangebote der populären Medienkultur sind öffentliche Kommunikationsräume, die der Fragmentierung politischer Diskurse entgegenwirken und eine gemeinsame Zeichenwelt zur Verfügung stellen, welche die einzelnen Spezialdiskurse überschreitet und so eine Infrastruktur für das gemeinsame Gespräch zur Verfügung stellt. Heute durchdringt die politische Kommunikation und Meinungsbildung sämtliche Bereiche der Unterhaltungskultur. Diese Tendenz macht auch vor YouTube nicht Halt. Der Beitrag von Basile Zimmermann mit dem Titel "Materiality, Description, and Comparison as Tools for Cultural Difference Analysis" zeigt, dass die dem Videoportal eigene Medienpraxis des zivilgesellschaftlichen Dokumentarismus, der auf das unverfälschte Zeigen abzielt, sich vor 'gegnerischen' Aneignungen nicht schützen kann. Dieser grundsätzlich objektivierende Zeigegestus kommuniziert ein bestimmtes Rollenverständnis, da er mit dem Anspruch auftritt, ein Fenster zur Welt und ein – gegebenenfalls medial ausgegrenztes, sozial unterdrücktes – Abbild der politischen Realität zu sein. Der dokumentarisierende Wahrheitsanspruch kann aber nicht gegenkulturell verwahrt und beschützt werden, sondern wird in einem Aneignungsspiel von der 'Gegenseite' nachgeahmt, die in ihren politischen Kampagnen die dokumentarisierende Videoästhetik zur Authentifizierung der Inhalte instrumentalisiert. Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung geht es der Analyse von Leila Green und Danielle Brady ("Young People Online"), die sich mit der Herausbildung eines zivilgesellschaftlichen Mediengebrauchs im Social Net beschäftigten, darum, den Raum der digitalen Öffentlichkeit für widerstreitende Handlungsspielräume und ambivalente Selbstpraktiken offen zu halten. Um die Handlungsspielräume im Vermittlungsverhältnis zwischen Sozialität und Subjektivität genauer zu fassen, versuchen die beiden Autor/innen die befreienden wie auch einschränkenden Möglichkeiten aufzuzeigen, welche die Subjekte in den sozialen Medien des Web 2.0 zum Ausgangspunkt ihrer widerspenstigen Praktiken nehmen. Fazit: Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung der digitalen Telekommunikation und ihrer sozialen Anwendungen wirft der von John Hartley, Jean Burgess und Axel Bruns herausgegebene Sammelband A Companion to New Media Dynamics einen vielschichtigen Blick auf die digitale Neuorganisation der mobilen Benutzeroberflächen, der Online-Plattformen und der sozialen Netzwerke und entwickelt dabei neue Forschungsansätze und -perspektiven für die Untersuchung digitaler Medienkulturen. Dennoch hat dieser umfangreiche Band in seinem deklarierten Anspruch der transdisziplinären Überwindung der medienwissenschaftlichen Fachgrenzen auch blinde Flecken. Wer sich Case Studies und ästhetische Analysen der von Nutzer/innen generierten Webinhalte im Bereich der Visual Culture oder des Visual Storytelling erhofft, wird enttäuscht. Denn die Aufarbeitung von konkreten Rezeptionskontexten ist hier kein Thema. Es dominiert in den meisten Beiträgen die akademische Referenzbildung, die die dynamische Bedeutungsproduktion der Nutzer/innen, der Fans und der Blogger/innen außer Acht lässt und damit den performativen Nutzungsaspekt der Sozialen Medien des Web 2.0 vernachlässigt. In diesem Sinne können die destabilisierenden Medienpraktiken der gewöhnlichen Nutzer/innen nicht in den Blick genommen werden und bilden gleichermaßen den blinden Fleck der in diesem Band versammelten Social Media Studies. Der Mehrwert der Technologie von sozialen Netzwerken und bloggestützter Kommunikation im Web 2.0 besteht aber vor allem in der Einrichtung eines medienimmanenten Rückkanals. Diese Feedback-Technologien haben nicht nur im engeren Sinne eine neuartige Kommentarkultur ermöglicht, sondern darüber hinaus zur sozialen Normalisierung von Beobachtungs- und Kontrolltechnologien beigetragen. Das Social Web kann also als eine Versuchsanordnung zur Multiplizierung kollektiver Blicke verstanden werden. Die Social Networking Sites können in dieser Hinsicht als eine Versuchsanordnung einer künftigen Surveillance Society interpretiert werden. Die Kollektivierung des Rückkanals erhöht die soziale Kontrolle, wenn sich Subjekte im Zustand der permanenten Beobachtung befinden. Mit der Verdichtung der Kommunikationsakte im medientechnologisch induzierten und medienästhetisch inszenierten Flow-Erlebnis gerät die Kommunikationskultur unter Beschleunigungsdruck und es kommt zur Herausbildung vereinfachter und repetitiver Mikrodramaturgien mittels Abbreviaturen, Ellipsen und Redundanzen. Dieses neue Machtverhältnis bleibt in dem Sammelband allerdings unterbelichtet. Das theoretische Defizit zeigt sich deutlich, wenn nicht diskutiert wird, dass Soziale Medien mit ihren Peer-to-Peer-Netzwerken heute auch horizontale Möglichkeiten der Systembeobachtung anbieten und im Frontend-Bereich eine dezentral organisierte Netzwerkdynamik etablieren, welche die von den User/innen generierten Inhalte einer reziproken Bewertungspraxis der wechselseitigen Beobachtung unterwirft.
Die Idee, sich in einen Diskurs einzuschreiben, der sich gegen den Eurozentrismus wehrt, diesen aufdeckt und versucht, ihm etwas entgegenzustellen, war Leitgedanke für die Gründung der "Gesellschaft für TheaterEthnologie" und hat sich nun auch im ersten von dieser Gesellschaft herausgegebenen Buch manifestiert. Es ist dies der erste Band einer geplanten Schriftenreihe, die der Dekonstruktion eines eurozentrisch definierten Theaterbegriffs und der Dekonstruktion des Kulturbegriffs gewidmet ist. Die als Sammelbände konzipierten Publikationen offerieren eine Vielfalt an theoretischen wie methodologischen Ausführungen. In Aufbruch zu neuen Welten: Theatralität an der Jahrtausendwende sind unterschiedlichste Essays und Beiträge von WissenschafterInnen und TheaterpraktikerInnen zu künstlerischer wie wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Performanceformen publiziert, zum Teil erstmals in deutscher Sprache. Grotowski Im Zentrum des ca. 360 Seiten umfassenden Buches steht ein Dokument, das auf Wunsch des Autors, dem das gesamte Buch gewidmet ist, posthum erscheint: ein Text - einer der wenigen - von Jerzy Grotowski. Ein Unbetitelter Text von Jerzy Grotowski, unterzeichnet am 4. Juli 1998 in Pontedera wird hier erstmals in deutscher Übersetzung abgedruckt. Dieser letzte Text Grotowskis ist eine Klarstellung, ein Testament, ein Abschied; ein letzter Einblick in die Gedankenwelt des Theaterpraktikers und Gurus Grotowski, sich selbst schon einer vergangenen Generation zurechnend. Sein Erbe wird von Thomas Richards angetreten, der in einem Interview, Der Rand-Punkt des Schauspielens, aufs genaueste von seiner Zusammenarbeit mit Grotowski erzählt. In diesem Beitrag kann sozusagen aus erster Hand erfahren werden, was "Action" meint, was sie bewirkt und wie sie erarbeitet wird. Er ist Ausdruck einer Selbstdarstellung jenseits von Augenblick und Gegenwärtigkeit, ein historisches Dokument der Arbeit Richards, in der er seinen Lehrer nicht vergißt, aber bereits seinen eigenen Weg betont. Der vorangestellte Beitrag Action. Der nicht darstellbare Ursprung von Lisa Wolford wiederum ergänzt auf interessante Weise die Ausführungen des Performers aus der Perspektive einer privilegierten Zuschauerin. In der letzten Phase von Grotowskis Theaterschaffen, in der er bereits verstärkt als "Lehrer" von Thomas Richards aufgetreten ist, entsteht "Action" im Sinne von "Kunst als Fahrzeug". Da die Betonung nicht bei "Kunst als Vorstellung" und somit beim Zusehenden, sondern beim Handelnden liegt und dieser zu schützen ist, ist die Öffentlichkeit nicht nur nicht notwendig, ihr ist kein Zugang mehr gewährt. Allerdings werden in regelmäßigen Abständen Gäste, für gewöhnlich nicht mehr als acht, eingeladen. Die Beschreibung Wolfords ist somit als ein wichtiges Zeugnis zu sehen. Die von Michael Hüttler geschriebene Einleitung Für ein Theater der Kulturen bietet einen guten und informativen Überblick über die unterschiedlichen Beiträge und führt überdies in das Forschungsfeld der Theaterethnologie mit historischen Rückblicken ein. Vor allem Hüttlers ausführliche Auseinandersetzung mit Grotowski liefert eine gute Einführung in das Kapitel Grotowskis Erbe. Während sich sowohl der Bericht von Wolford, das geführte Interview mit Richards als auch der Text Grotowskis vor allem auf die letzte Arbeitsphase eines der wichtigsten Theatermacher des 20. Jahrhunderts beschränken, umreißt Hüttler das gesamte Theaterschaffen Grotowskis. Ein Blick aus der und in die Praxis Weitere Beiträge, die direkt aus der praktischen Erfahrung und Auseinandersetzung mit theatralen Aufbrüchen berichten, sind ein bereits zum Klassiker avancierter und ursprünglich in englischer Sprache erschienener Text von Richard Schechner, der Aufsatz von Walter Pfaff sowie ein Beitrag des Multimedia- und Performancekünstlers Guillermo Gomez-Peña. Dieser Text ist eine "der Stimmen der anderen", die im Kapitel Internationaler Diskurs abgedruckt sind. Unbestritten müssen diese Stimmen gehört und wahrgenommen werden, wie Karl R. Wernhart und Susanne Schwinghammer in ihren Vorworten betonen. Beide beschäftigen sich in ihrer Arbeit mit dem Spannungsfeld von Ritual und Theater, wo Theater nicht vom sozialen Aspekt zu trennen ist. Pfaff geht es nicht um eine definitorische Abgrenzung der Bereiche Theater und Ritual, es geht ihm um Wahrnehmung, um "den Bereich der unmittelbaren Erfahrung der Wirksamkeit ritueller Techniken und Instrumente am eigenen Leib". Auf anschauliche Weise berichtet er in seinem Beitrag Rituelle Realitäten I: Arbeit an Verfahren der Ritualisierung von der Forschungsarbeit und den Projekten des Parate Labor und warnt vor Dilettantismus und Scharlatanerie in diesem Bereich. "Theater und Ritual" zusammendenkend oder auseinanderdividierend, erfordert offensichtlich zunächst eine Festlegung der Begrifflichkeiten, denn auch Schechner nimmt zu Beginn seines Textes Die Zukunft des Rituals Stellung zur Definitionsproblematik. Die Vergangenheit des Rituals zeigt er anhand eines Baumdiagramms, führt dann über Girard, Goodman, Turner, Freud und Grotowski zu einer Zukunft des Rituals, die "die fortgesetzte Begegnung von Imagination und Erinnerung, übersetzt in machbare Handlungen des Körpers" ist. Der Körper ist auch Entscheidungskriterium bei der polarisierten Auseinandersetzung mit "Maschinen-Kunst". Einerseits wird das totale Verschwinden des Körpers diagnostiziert, andererseits für das Organische als dem Theater immanenter Aspekt plädiert. Guillermo Gomez-Peña wollte "neue Technologien verwenden, um die mythisch-poetische Interaktivität zwischen dem Performer und dem Publikum zu steigern". In seinem Beitrag Ethno-Cyborgs und genetisch konstruierte Mexikaner stellt er Projekte, die er gemeinsam mit Roberto Sifuentes erarbeitet hat, ausführlich und genau vor. Er führt in die Welt bzw. die Welten der Cyborgs ein, deren kreatives Potential durch Subversivität gekennzeichnet ist. Auch beschreibt Gomez-Peña die spannende Auseinandersetzung mit dem Publikum, das im Vergleich zu einem Live-Publikum wesentlich radikaler in die Performance einzugreifen wagt. Spezielle Einblicke Es ist nicht zu leugnen, daß noch immer von Randgebieten und Zentren gesprochen wird, weshalb es umso bedeutender ist, daß der Sammelband auch Beiträge von AutorInnen beinhaltet, die aus einer Perspektive außerhalb der sogenannten Zentren schreiben. Simo kritisiert nicht zu unrecht in seinem Artikel Theater in Afrika. Der Blick von Außen und von Innen den "ethnographischen Blick", der Kategorien und Begriffe zur Folge hat, mit denen auch jetzt noch Theaterwissenschaft in Afrika betrieben wird. Der ethnographische Blick ist bestimmt durch seine Außenperspektive und ist "weil er ein kolonialer Blick ist, oder zumindest erst durch die koloniale Situation möglich wurde, [.] ein paradoxer Blick". Simo fordert, um diesen Blick zu überwinden und um einen anderen Diskurs eingehen zu können, die ernsthafte Auseinandersetzung mit oral überlieferten Texten der afrikanischen Kultur. Diese müßten als "Rede" und nicht mehr nur als "Sprache" verstanden werden. Lamice El-Amari spricht sich in ihrem Artikel Bemerkungen zu den Theaterkünsten in der arabischen Welt ebenfalls gegen eine einseitige, respektive abendländische, Kategorisierung von theatralen Phänomenen aus. Sie widerlegt anhand zahlreicher Beispiele die allgemein akzeptierte Annahme, daß arabisches Theater erst begann, als Maroun El Naquash das europäische Theater im Jahr 1848 einführte. Die Argumentationen, die diese Meinung etablierten, sind teilweise äußerst absurd und werden von Lamice El-Amari auch als solche entlarvt. El-Amari vertritt hingegen den Standpunkt, daß "eine moderne Auseinandersetzung mit Theatergeschichte [.] bis hin zu den ersten kreativen Menschen: zu den Jäger-Tänzer-Malern von Altamira" reicht. Sie weist theatrale Phänomene, öffentliche Schauspiele, frühe Dramen, Shows etc. lange vor 1848 nach. In Kulturelle Dualität und deren Reflexion in den ländlichen und urbanen Gegensätzen des türkischen Theaters, ein Artikel von Aysin Candan, wird kurz und übersichtlich in das theatrale Geschehen der Türkei eingeführt. Candan zeigt vor allem die unterschiedlichen Tendenzen des sozialen Umfelds von Land und Stadt, die sich in den "bäuerlichen Spielen" und ihren "urbanen Gegenstücken" nach 1960 wiederfinden, auf. Ausblicke Jene in der Theaterpraxis diagnostizierten Aufbrüche müssen ihre logische Fortsetzung, aber auch ihre mutigen Vorwegnahmen in der theoretischen Beschäftigung mit Theater finden. Sei es auf der Suche nach passendem Werkzeug für Dokumentationen und Beschreibungen, sei es in der Entwicklung neuer Methoden. Interessante und innovative Beiträge dazu bringen Knut Ove Arntzen, Ulf Birbaumer, Jean-Marie Pradier, Susanne Schwinghammer und Monika Wagner. "Das Interesse westlicher Kunstwissenschafter und -kritiker an nicht-westlicher Kunst beschränkt sich im wesentlichen auf formale und ästhetische Aspekte der betreffenden Kunstwerke oder künstlerischen Darbietungen", kritisiert Monika Wagner in ihrem Text Performance. Berührungspunkte zwischen Bildender und Darstellender Kunst. Ganz abgesehen davon, daß Wagner einen interdisziplinären Ansatz schon innerhalb der Kunstrichtungen anstrebt, betont sie die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit Kunst und ein eingehendes Wissen um die gesellschaftliche Struktur, in der diese Kunst entsteht. Sie sieht KunstethnologInnen und TheaterwissenschafterInnen als Bindeglied und VermittlerInnen zwischen den Welten. Susanne Schwinghammer stellt in ihrem Beitrag TheaterEthnologie: Dekonstruktion einer Kunstauffassung einen Überblick der europäischen Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts zusammen, in der sie als "durchgehendes Thema [.] die darstellerische Erforschung des Körpers durch die Integration interkultureller Impulse" feststellt und kritisiert, daß "in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft [.] ein[em] interkulturelle[n] und interdisziplinäre[n] Forschungsansatz, bis auf wenige Ausnahmen, bislang eine geringe Bedeutung beigemessen" wurde. Ihrem Verständnis nach müßten nicht-europäische Theatralitätsformen in ihrer Eigenständigkeit betrachtet werden. Dies fordert neue Forschungsansätze und Perspektivenwechsel, die zu einer notwendigen Dekonstruktion der europäisch geprägten Theater- und Kulturauffassung führen sollen. Einen derartigen und notwendigen Perspektivenwechsel bekundet auch Ulf Birbaumer, indem er Theaterwissenschaft und Ethnologie zusammendenkt. In Kreolisierung und Spektakelkunst unterstreicht er anhand einleuchtender und bekannter Beispiele der letzten Jahrzehnte die Potentialität, aber auch die Mißverständnisse von Theater im Kontext von Interkulturalität, Intermedialität und Intersoziabilität. Um die Bedeutung und Vorteile von Theater in diesem Zusammenhang besser herauszuarbeiten, schlägt er vor, "dem Polylog Begriffe wie Polymag und Polymim zuzugesellen, um die Unterschiede von T (Dramentext) und P (présentation, représentation, Aufführung) [.] noch zu verdeutlichen". Eine bislang absolute Steigerung dieses zuvor angedachten Perspektivenwechsels innerhalb der Theaterwissenschaft führt Jean-Marie Pradier mit seiner "Ehtnoszenologie" ein. Dieser Neologismus steht für die Vermeidung "jede[r] Art [von] ethno-zentristischer Anspielung auf das westliche Theatermodell" und für eine neue Disziplin, die sich durch ihre holistische Perspektive auszeichnet. Sehr ausführlich und einleuchtend erklärt er in Ethnoszenologie. Das Fleisch ist Geist den neuen Weg, "organised human performance practices - OHPP" zu untersuchen. Voraussetzung für eine holistische Arbeitsmethode ist es aber auch, Randgebiete wahrzunehmen und zu erkennen, daß diese die sogenannten Zentren mindestens genauso beeinflussen wie vice versa. Knut Ove Arntzen veranschaulicht in seinem Text Post-mainstream als geo-kulturelle Dimension von Theater, daß gerade Randgebiete Impulse für innovative Weiterentwicklung bieten. Ausgehend von einem interdisziplinären Ansatz entlehnt Arntzen Begrifflichkeiten aus der Geographie und beschreibt so die jüngsten Entwicklungen von Theater in Europa in bezug auf dessen nördliches Randgebiet. Seine Vorgangsweise begründet er damit, daß es "die Vorstellung einer geo-kulturellen Dimension erlaubt [.], über Verschiedenartigkeit in theatraler Kultur in Zusammenhang mit Ästhetik, Dramaturgie, Identitäten und Energien zu sprechen". Hakan Gürses arbeitet in seinem Text Theater und Identität die identitätsstiftende Funktion von Theater heraus. So konstatiert er symbolhafte, indikatorische Wirkung im Sinne einer nationalen Identitätsstiftung bei den Staatstheatern, während es sich bei Experimentaltheaterformen um ethnische Identitätsstiftung handelt. Gürses bemerkt allerdings eine Doppelbödigkeit im Umgang mit diesem Thema, Tabu bei gleichzeitiger Salonfähigkeit, sodaß er vermuten muß, daß das Ethno-Konzept mit Theater nicht viel zu tun hat. Er ist der Meinung, daß "Theater in dieser Politik der Identitäten und der Anerkennung nur als Vehikel verwendet werden kann/wird." Aufgrund der in ihren Ansätzen und Zugängen unterschiedlichen Beiträge wird die vielfältige und rege, sowohl künstlerische als auch wissenschaftliche Beschäftigung mit theatralen Phänomenen gezeigt. Allen gemeinsam ist der Wunsch nach und die Bereitschaft zu einem grundlegenden Perpektivenwechsel: Nicht um ein neues Zentrum zu etablieren, sondern um ein altes ein bißchen aufzubrechen.
Es fällt nicht gerade leicht, innerhalb des Dschungels an gegenwärtig zirkulierenden Filmtheoremen Orientierung bzw. Überblick zu gewinnen. Wollte man eine kartografische Zusammenschau der aktuellen Filmansätze erstellen, dann würde wohl jenes Deleuzsche Rhizom herauskommen, das mittlerweile zum Quasi-Dingsymbol postmoderner Vielfalt geworden ist; ein zentrumsloses, enthierarchisiertes Netzwerk an Theoremen und Methoden mit grenzenlosen Koppelungs- und Kombinationsmöglichkeiten, das sich ständig neu formiert. Zwar verdichten sich die unterschiedlichen Forschungsansätze immer wieder zu wirkungsmächtigeren Theoriekonstellationen und Knotenpunkten (Gender Studies, Cultural Studies, New Historicism), von einer "vorherrschenden" bzw. bahnbrechenden Theorie kann jedoch kaum mehr gesprochen werden. Vielmehr sehen wir uns mit einer Perspektivenvielfalt auf das Medium Film konfrontiert. Ging es "klassischen Filmtheoretikern" wie Arnheim, Balázs, Kracauer oder auch Eisenstein noch um Legitimation bzw. Abgrenzung des "Films als Kunst/Sprache" gegenüber anderen Ausdrucksformen und daran anschließend um allgemeingültige, systematisch-normative Aussagen über das Wesen, die Funktionsweise und das (ästhetische, politische, gesellschaftliche) Potential des Films, so haben sich die filmtheoretischen Diskurse in den letzten Jahrzehnten zu einem anderen, geradezu konträren Verständnis von Film entwickelt. Es geht nun nicht mehr um ein essentialistisches Ergründen geniun filmischer Mittel, also nicht mehr um ein (anfänglich vor allem filmpolitisch notwendiges) Ab- und Ausgrenzen, sondern tendenziell um Grenzüberschreitungen, um ein Ent-Grenzen der filmischen "Gattungsgrenzen" gegenüber anderen kulturellen Bereichen. Film wird in zunehmendem Maße als hybrides, intertextuelles bzw. intermediales Konstrukt betrachtet. Vor allem auch ist das Interesse am Akt des Sehens bzw. am Zuseher immer größer geworden. Der Tod des Autors führte zur Geburt des Lesers. "Wie wird Film erfahren?", "Welche Rolle spielt der (filmische bzw. film-erfahrende) Körper als Medium kultureller Erinnerung?", das sind Fragen, die momentan insbesondere innerhalb der Filmphänomenologie als Subdisziplin der Filmphilosophie und der Kognitionspsychologie verhandelt werden. Die Einbettung des Films in immer größere gesellschaftliche Kontexte hängt eng mit den Erkenntnisschüben und theoretischen Impulsen zusammen, die die Filmtheorie im Laufe ihrer Entwicklung aus anderen wissenschaftlichen Unternehmungen erhalten hat und erhält: Semiotik, Strukturalismus Psychoanalyse, Psychologie, Phänomenologie, Philosophie, Feministische Theorie, Soziologie, Textkritik etc. Auch das klassische Dreieck "Filmtheorie-Filmanalyse-Filmgeschichte" erfuhr seit der französischen Filmsemiotik und ihrer Rezeption zahlreiche Umgestaltungen bzw. Demontagen. So wird beispielsweise im Rahmen des gegenwärtig gleichermaßen kontroversiell wie aufmerksam rezipierten neoformalistischen Projekts (David Bordwell, Kristin Thompson, Noel Carroll) durch eine Vernetzung dieser drei Teildisziplinen, die ursprünglich unabhängig voneinander funktionierten, der Versuch unternommen, eine "Historische Poetik des Kinos" zu verfassen. Die Möglichkeiten, sich im deutschsprachigen Raum insbesondere über aktuelle filmwissenschaftliche Theorieformationen zu informieren, sind peinlich gering. Mit Ausnahme der von Franz-Josef Albersmeier herausgegebenen Textkompilation Texte zur Theorie des Films oder mittlerweile schon vergriffenen Einführungen in die Filmtheorie wie die deutsche Übersetzung von Andrew Tudors Film Theories bzw. Peter Wuss' Theoriegeschichte Kunstwert des Films und Massencharakter des Mediums blieben Überblicksdarstellungen im deutschsprachigen Raum bislang eine Leerstelle. Auch die angeregten und ständig expandierenden Filmdebatten aus dem angloamerikanischen Raum oder aus Frankreich werden mit erheblicher Verspätung rezipiert und übersetzt. Hin und wieder erscheinen Bücher, die, ähnlich einem Deus ex Machina, wie gerufen kommen, Versäumnisse nachzuholen, Verwirrungen aufzulösen und in profunder Zusammenschau das zu bieten, was man sich bislang in mühsamer Kleinarbeit aus Aufsätzen und Buchkapiteln zusammensuchen musste. Ein ebensolches Buch ist jüngst im Theo Bender Verlag (Mainz) erschienen. Die von dem Medienwissenschaftler Jürgen Felix in der Reihe filmforschung herausgegebene Einführung in die (post)modernen Filmtheoreme mit dem Titel Moderne Film Theorie hat es sich zum Ziel gemacht, die Lücke auf dem Gebiet der filmtheoretischen Einführungen zu füllen. Dementsprechend beginnt das Vorwort mit einem Kommentar zur aktuellen, vorhin schon skizzierten filmwissenschaftlichen Lage und Misere. Da eine umfassende Darstellung der Geschichte der Filmtheorie von den Anfängen bis heute den "editorischen Rahmen [.] gesprengt" (S. 9) hätte, konzentriert sich der vorliegende Band auf die aktuellen Filmtheorien. Er bildet somit den zweiten Teil eines Großprojektes, im Rahmen dessen wir noch einen Band über die klassische Filmtheorie von Münsterberg bis Kracauer erwarten dürfen. Das Buch ist ein äußerst geglückter Versuch, durch klug angesetzte Stichproben den aktuellen Status quo vadis (Blumfeld) filmtheoretischer Debatten auszumessen, durch Gegenüberstellung von Positionen und Paradigmen Einblick in zentrale Problembereiche und Entwicklungen zu bieten und darüber hinaus - durchaus einem Lehrbuch vergleichbar - dem Leser Anregungen, Einblicke, Mittel und Zwecke bereitzustellen, um das Gelesene in eigenständiger und weiterführender Weise am Material Film zu erproben. Denn es finden sich in dem Buch nicht nur einführende Aufsätze zu den derzeit interessantesten und besten Projekten der neuen Theorie, sondern im Anschluss an die Beiträge (neben ausführlichen Bibliografien) jeweils kurze Filmanalysen (u. a. zu Blue Velvet, Pulp Fiction, JFK, Winterschläfer, His Girl Friday oder Saving Privat Ryan), in denen die zuvor dargestellte Perspektive in exemplarischer Weise veranschaulicht wird. Hier wird nicht in selbstgefälliger und voraussetzender Weise mit Wissen gegeizt, sondern Wissen vermittelt und angewandt. Die Autoren stammen allesamt aus dem Kontext (medien)wissenschaftlicher Forschung und Lehre: Lorenz Engell, Oliver Fahle, Britta Hartmann, Knut Hickethier, Hermann Kappelhoff, Frank Kessler, Heike Klippel, Drehli Robnik, Joachim Paech, Hans J. Wulff und der oben schon genannte Herausgeber Jürgen Felix. Stellt sich nun die Frage, wann und wo so etwas wie ein "Beginn" der Modernen Filmtheorie festgemacht werden kann. Die historische Fixierung kann nur willkürlich sein, ist im Fall des vorliegenden Buches jedoch überzeugend gewählt. Ausgehend von der im Vorwort formulierten Überlegung, wonach die von Truffaut, Godard und Konsorten in den 50er Jahren betriebene Autorenpolitik nicht nur den Beginn des modernen Autorenfilms markiert, sondern sich die Autorentheorie "bis heute als Schnittstelle zwischen den akademischen und den populären Diskursen über das Kino" (S. 10) behauptet hat, bildet ein Beitrag von Jürgen Felix über das Autorenkino den Auftakt des Buches. Felix bietet in seinem Beitrag nicht nur einen ausführlichen Abriss der Geschichte der Autorentheorie, sondern legt sein Augenmerk insbesondere auf die Krisen, Infragestellungen und Neuerungsschübe, die diese Theorie im Laufe ihrer Entwicklung erfahren hat: Wie wurde aus einer "politique des auteurs" die "auteur theory"? Was passierte mit dem Autor-Subjekt, nachdem es vom Strukturalismus für tot erklärt wurde? Gibt es trotz postmoderner Identitätsspiele so etwas wie eine Rückkehr des Autors? - um nur einige Fragestellungen herauszugreifen. Im Gegensatz zu den anderen Beiträgen, die stellenweise etwas zu deskriptiv, gegenüberstellend und neutral verfasst sind - so werden manchmal wichtige Fragen aufgeworfen, ein Beantwortungsversuch bleibt jedoch aus -, macht Jürgen Felix auch seine persönliche Perspektive auf die thematisierten Problembereiche transparent. Knut Hickethier widmet sich in seinem Beitrag einer im deutschsprachigen Raum - zumindest unter diesem Etikett - noch kaum rezipierten Theorie: dem "genre criticism". Genretheorie bzw. Genreanalyse konnten sich vor allem in den 70er Jahren im Windschatten von Strukturalismus und Filmsemiotik etablieren, Genres wurden in Analogie zu sprachlichen Systemen und Strukturen verstanden. "Genretheorie gibt eine Definition des Genres, beschreibt und systematisiert die narrativen Muster eines Genres, liefert eine Ikonographie der Genres, also eine Beschreibung der visuellen Stereotypen und Standards, stellt das Verhältnis von Ideologie und Geschichte dar, untersucht das Verhältnis von Genre und filmindustriellen Produktionszusammenhang und analysiert das Verhältnis von Genre und Autorenschaft." (S. 69) Neben einer Einführung in die allgemeinen Dimensionen und die Geschichte der Genretheorie werden u. a. folgende Problemkomplexe erörtert: Wo verläuft die Grenze zwischen Genre und Gattung? Kann die klassische Dichotomie Autorenkino/Genrekino überhaupt noch Gültigkeit beanspruchen? Welche hinreichenden bzw. notwendigen Elemente müssen gegeben sein, damit von einem Genre gesprochen werden kann? Wie lange beträgt die "Inkubationszeit" eines Genres? Welchen historischen Veränderungen ist ein Genre unterworfen? Können Genres überhaupt in einer systematischen Zusammenschau erfasst und voneinander abgegrenzt werden? Welche Versuche einer solchen Katalogisierung der Genres hat es in der Geschichte gegeben? Wie sieht die Genrepraxis im Kino aus? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Genre und Mythos? Neben weiteren Beiträgen über Filmsemiotik (von Frank Kessler), Kino und Psychoanalyse (von Hermann Kappelhoff), Feministische Filmtheorie (von Heike Kippel), Intermedialität des Films (von Joachim Paech) und Neoformalismus, Kognitivismus, Historische Poetik des Kinos (von Britta Hartmann/Hans J. Wulff) seien hier noch zwei Essays hervorgehoben, die sich mit gegenwärtig besonders prominenten Denkweisen über Film beschäftigen. Seit einiger Zeit hat sich ein angeregter Dialog zwischen Philosophie und Film entsponnen. Amerikanische wie europäische Philosophen entdecken zunehmend die epistemologische Bedeutung der filmischen Wahrnehmung und des Film-Sehens. Hierbei rekurrieren sie auf grundsätzliche Fragen, die in der Perspektive anderer Forschungsansätze längst als obsolet und anachronistisch gelten (beispielsweise auf die Frage aller Fragen: "Was ist Film?"), und versuchen eine "Ontologie des Films" zu erarbeiten. Verwiesen sei hier auf Stanley Cavell, die "heute wohl wichtigste filmphilosophische Stimme in den USA",1 und sein Schlüsselwerk The World Viewed. An Ontology of Film sowie auf Gilles Deleuzes wegweisendes filmphilosophisches Werk Das Bewegungs-Bild bzw. Das Zeit-Bild. Deleuze beruft sich bei seinem Versuch einer Klassifizierung der Bilder und Zeichen einerseits auf den Zeichentheoretiker Charles S. Pierce, andererseits setzt er dort an, wo die Filmphilosophie ihre Initialzündung erlebt hat: bei Henri Bergsons Reflexionen über Zeit und Bewegung (Matière et mémoire, 1896), die ungefähr mit der Entstehung des Kinos zusammenfielen. Der Filmphilosophie sind im vorliegenden Buch zwei Beiträge gewidmet: Lorenz Engell und Oliver Fahle zeigen in ihrem Beitrag Film-Philosophie die radikale Sprengkraft von Deleuzes Filmtheorie auf, Drehli Robnik diskutiert in seinem Aufsatz Körper-Erfahrung und Film-Phänomenologie jene aktuelle Denkweise von Vivian Sobchack und Co., die sich in Rekurs auf Maurice Merleau-Ponty, Edmund Husserl, Deleuze und Kracauer mit "Film-Erfahrung als leibhaftige[r] Intersubjektivität" auseinander setzt. Es zählt zu den Vorzügen des Buches, nicht nur Forschungsansätze und Paradigmen zu präsentieren, die der Filmtheorie wichtige Impulse beschert haben, sondern die sich darüber hinaus im Zuge ihrer Vernetzung mit Film entscheidend verändert, weiterentwickelt bzw. von ihren Ursprungsdisziplinen emanzipiert haben. Dadurch ergeben sich interessante Schichtungen, Brechungen bzw. theoretische Grenzerfahrungen. Vor allem auch wird einmal mehr vor Augen geführt, dass Film "die grenz-transversale Kunst schlechthin" ist, weil er ermöglicht, "in mehreren Symbolsystemen gleichzeitig zu denken",2 und mit "Spannungen" unter ihnen spielt. Wir warten jedenfalls gespannt auf den angekündigten ersten Band des vom Bender Verlag auf zwei Bände angelegten bemerkenswerten Projektes FilmTheorie. 1 Ludwig Nagl (Hg.): Filmästhetik. Wien: Oldenbourg 1999 (Wiener Reihe. 10), S. 15. 2 Ebenda, S. 65.
"Wenn es anderen Leuten bedauerlich scheine, daß eine immer größere Anzahl von Kindern keine Milch mehr bekomme, so scheine es ihnen [den Kunsthistorikern] bedauerlich, dass eine immer kleinere Anzahl von Leuten Kunstwerke bekomme. Es sei auch ihrer Ansicht nicht in der Ordnung, daß genauso wie die Bergwerke auch die Kunstwerke nur mehr einigen wenigen Leuten gehören sollten. So meinen sie und kommen sich soweit ganz revolutionär vor. […] In Wirklichkeit besteht nämlich zwischen dem Zustand, in dem hungernde Kinder keine Milch bekommen, und den Bildwerken und Plastiken ein tiefer und böser Zusammenhang. Der gleiche Geist, der jene Kunstwerke geschaffen hat, hat diesen Zustand geschaffen."[1] Der von Eva Knopf, Sophie Lembcke und Mara Recklies herausgegebene Sammelband Archive dekolonialisieren. Mediale und epistemische Transformationen in Kunst, Design und Film setzt an, einen solchen "bösen Zusammenhang" zu entschlüsseln. Basierend auf Beiträgen zur Tagung Translating Pasts into the Future – Dekoloniale Perspektiven auf Dinge der HFBK Hamburg setzt sich die Sammlung mit den kolonialen Fundamenten europäischer Museen, Archive und ihrer historiographischen Deutungsmacht auseinander. Es werden ästhetische, kreative und intellektuelle Verfahren besprochen, die es ermöglichen sollen zu "intervenieren in Fortschreibungen kolonialer Zusammenhänge" (S. 7). Die Autor_innen gehen der Leitfrage nach, inwieweit diese "strukturelle Verschiebungen auslösen" (S. 8) oder "neue Erzählungen hervorbringen" (S. 8). Der Fokus auf das Wissen der Objekte, die durch ihre Eigenschaft als Zeit- und Geschichten-Speicher der europäisch-wissenschaftlich ideologischen Modellierung ihrer Historiographie widersprechen und ihr andere Erzählformen entgegenstellen, zeichnet den Band aus. Viele Beiträger_innen fordern ein Mitspracherecht der Gegenstände als Zeug_innen kolonialer Gewalt, Enteignung und Ausbeutung. Verwendung und Anwendung des Archivbegriffs durch die Autor_innen leiten sich deshalb sowohl von konkreten Praxisbeispielen als auch von einem stark von Foucault geprägten Konzept des Archivs als sozial umgrenzten Speicherorts des Sagbaren und Sichtbar-Sein-Könnenden innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Milieus ab. Akademisches Schreiben wird von Text- und Bildkombinationen unterbrochen, die sich in Artikeln von Marie Kirchner, Anna Morkowska, Veronika Darian und Jana Seehusen als Transkriptionen von Performances und Experimentieren mit sprachlichen Möglichkeiten lesen. Schwellen-Texte, die zwischen akademischem und experimentellem Schreiben siedeln – von Ofri Lapid zu subversiven Lesetechniken von Schriftzeichen und Undine Stabrey zur Überwindung des Anthro-Kolonialismus, der auf andere Lebensformen dieses Planeten permanent übergriffig wird – lassen Passagen zwischen diesen Komponenten zu. Dem Gedanken folgend, dass jedes Archiv auch der Scherenschnitt seiner Lücken ist, integrieren die Herausgeber_innen einen ins Deutsche übersetzten Textausschnitt von Trinh T. Minh-Ha, der das Fehlen von Information durch Zensur in einen potentiellen Raum für rebellische Imagination transformiert. Die weiteren Schauplätze der Dekolonisierungs-Bemühungen umfassen eine Bandbreite von Archiven, die von ethnographischen Sammlungen über Film- und Musikarchive bis hin zum Körperwissen im Tanz reicht. Alyssa Großmann, deren Artikel den Auftakt des Buches darstellt, untersucht "ethnographische Archive, Kataloge und Lager" (S. 13), welche "Objekte in ideologisch begrenzten Kategorien gefangen" (ebd.) halten. Aus einer kunsthistorischen Perspektive betrachtet sie künstlerische Praktiken des Surrealismus wie 'Bricolage' und 'Assemblage' als aktuelle Strategien zur kolonialkritischen Auseinandersetzung mit Museumskollektionen. Hier wie im Großteil der Beiträge wird jedoch eine Hinterfragung der Zugänglichkeit dieser Sammlungen und Kataloge und damit eine klassenkritische Überlegung dazu, wer "zum Assembleur, zur Assembleurin werden und anhand eines in sich geschlossenen Inhalts mit dessen Form experimentieren" (S. 19) kann, ausgespart. Zwei Texte setzen sich aus jeweils entgegengesetzter Perspektive mit Filmarchiven der kolonialen Welt auseinander. Eva Knopf skizziert auf Grundlage ihres eigenen Filmschaffens die widerständigen Spuren von Majub Bin Adam Mohamed Husseins Alltags-Rebellionen in den Archiven der deutschen Kolonial- und NS-Bürokratie. Knopf fragt, ob es möglich sei, dem später als Statist beim deutschen Film arbeitenden Hussein "posthum seine erste Hauptrolle [zu] geben" (S. 83) bzw. "die Kolonisierten wieder in die 'große' Geschichte einzuschreiben" (S. 85). Sie übersieht jedoch, dass dies durch Hussein und viele andere längst geschehen ist: "Decolonization […] transforms spectators crushed with their inessentiality into privileged actors, with the grandiose glare of history's floodlights upon them"[2]. Aus einer tatsächlich dekolonialen Sichtweise heraus, muss die "große Geschichte" – so man daran festhalten will – also von wo anders angefangen, von anderen Stimmen erzählt werden. Cornelia Lund geht auf zwei Filmarchive der Befreiungskämpfe Palästinas und Guinea-Bissaus ein. Beide Archive haben innerhalb der vergangenen Jahre im deutschsprachigen Raum durch das Arsenal Institut für Film und Videokunst in Berlin einen relativen Bekanntheitsgrad erlangt. Eine Analyse dessen, wie bestimmte, machtvolle Institutionen die öffentliche Wahrnehmung bestimmter Archive formatieren (und die Grundlage des Wissens der Autorin zu großen Teilen konstituieren), fehlt auch an dieser Stelle. Daher bietet das Interview mit Mitwirkenden des Projekts Colonial Neighbours in Berlin indirekt Aufschluss über die Nachbarschaft (!) des Arsenals und die neokolonialen Verhältnisse des Sammelns. Sich diesen Strukturen zu widersetzen, heißt für Colonial Neighbours, das "Sammeln radikal zu öffnen" (S. 152), um gerechtere Praktiken des Archivierens zu erfinden und "gegenwärtige Erinnerungspolitiken in Bezug auf den deutschen Kolonialismus zu verändern" (S. 152). Marc Wagenbach und Holger Lund setzen sich mit dem Machtmissbrauch von Kulturinstitutionen Europas auseinander. Wagenbach untersucht das europäische Ballett als politisch aufgeladene Tanztradition, die als Institution und "Praktik zur Disziplinierung und Normierung von Körpern" (S. 200) rassistisches koloniales Gedankengut verankert und fortschreibt. Holger Lund benennt Kontinuitäten zwischen Zentrum und Peripherie in den Wertschöpfungsketten der Popmusikindustrie anhand konkreter Ungleichheiten in der Musik-Label Arbeit, wo "Europa und die USA […] immer noch zentrale Macht- und Entscheidungszentren" (S. 243) darstellen und "die nicht-westlichen Elemente nicht-westlicher Pop-Musik als exotischer Wert gleichsam kulinarisch genossen" (S. 245) werden. Zwei weitere Beiträge gehen auf Designgeschichte als bislang unzureichend in kolonialen Kontexten betrachtet ein, verharren jedoch bei einer Zusammenfassung mittlerweile standardisierter Theorien zu Nationalismus und Transnationalismus, Globalisierung und Postkolonialismus. Daher tut es dem Buch gut, mit einem Interview mit Ruth Sonderegger zur Kolonialialität der europäischen Ästhetik zu schließen. Denn wenn Sonderegger sagt, dass " [d]ie westliche Ästhetik seit ihrer Gründung eine – wie auch immer schräg verschobene – Auseinandersetzung mit imperial-kapitalistischen Verhältnissen" (S. 251) sei, dann verdeutlicht sie auch, dass das Buch selbst innerhalb dieser Klammern gelesen werden muss. Sie spricht gezielt einen "Kreativkapitalismus" (S. 255) an, dessen Ursprünge ebenfalls in einem auf Versklavung der 'Anderen' basierenden Wirtschaftssystem zu suchen sind. Dies stellt die Rhetorik des 'Dekolonialen' auf den Prüfstand. Denn während die Terminologie rund um Archive auf nachvollziehbare Weise offengelegt und dann angewendet wird, wirft die verwendete Begrifflichkeit hinsichtlich Dekolonisierung Fragen auf. Auch die im Titel verwendete Abweichung vom regulär gebrauchten Verb 'dekolonisieren', das in der deutschen Sprache definiert wird als "die politische, wirtschaftliche und militärische Abhängigkeit einer Kolonie vom Mutterland beseitigen, aufheben"[3], bleibt unbegründet. Es ist zudem auffällig, dass als häufigste und mitunter einzige Referenz zur Besetzung des Begriffs 'dekolonial' Walter Mignolo genannt wird. Nur vereinzelt wird zusätzlich Anìbal Quijano als der Vordenker von Mignolos Texten angeführt. Diese verkürzte Herleitung des Begriffs verschweigt nicht nur die Arbeit der Coloniality Working Group,[4] welche die Grundlage für Mignolos Publizieren erarbeitete. Sie radiert Geschichte, Gegenwart und Zukunft der antikolonialen Kämpfe, deren Theoretiker_innen wie Pratiker_innen aus. Sie bringt weitere Wortschöpfungen wie beispielsweise den in Alyssa Grossmanns Text aufkommenden Begriff des "gegen-kolonialen" (S. 14) mit sich. Ein derartiges Ignorieren der langen Geschichte des Antikolonialismus und seiner vielfältigen Widerstandsformen und -theorien in allen Bereichen des Lebens stellt einen performativen Widerspruch zu den rhetorischen Intentionen dar. Offengelegt wird der Widerspruch auch durch den bereichernden Beitrag von Sophie Lembcke zur Kunstgeschichte von Reproduktionen und Kopien im Kontext des Kolonialraubs. Ausgestattet mit detailliertem Hintergrundwissen zum Fall der Nofretete von Tell Al-Amarna, skizziert Lembcke eine koloniale Kontinuität, die in die aktuelle Digitalisierung der kolonialen Raubkunst durch das Neue Museum Berlin mündet, welches nun "als staatliche Institution nicht nur die Büste, sondern auch die Daten ihres Scans unter Verschluss hält" (S. 56). Auch das darauffolgende Interview mit Nora Al-Badri und Jan Nikolai Nelles kritisiert die von Konzernen wie dem Google Cultural Institute angetriebene "Verzerrung des kulturellen Gedächtnisses im digitale Raum" (S. 57), da diese Unternehmen mit staatlichen Museen zusammenarbeiten, um Archivbestände zu digitalisieren, welche dann theoretisch allen, in Wirklichkeit aber nur sehr wenigen Menschen zugänglich sind und "derzeit nur recht beschränkte, auf Konsumieren und digitales (Daten-)Sammeln ausgerichtete Anwendungen möglich" (S. 58) machen. Reale Dekolonisierung als Befreiung aus diesen Strukturen hat diese Machtzentren anzugreifen, wie es das Künstlerduo mit seinem Nefertiti Hack getan tat. Hier wird in der Zusammenschau der Artikel der fundamentale Unterschied deutlich zwischen jenen Interventionen, die gegen das gesamte Kolonialsystem in all seinen Verstrickungen aufbegehren, und solchen, die innerhalb einer dominanten Ordnung lediglich 'umordnen' oder 'transformieren'. "Decolonization, which sets out to change the order of the world, is, obviously, a program of complete disorder. But it cannot come as a result of magical practices, nor of a natural shock, nor of a friendly understanding"[5]. Ein freundliches Verständnis, wie es auch die Kunsthistoriker_innen bei Brecht zeigen, schafft für ein Denken Raum, welches an "dekoloniale Optionen" (S. 44, wieder in Referenz zu Mignolo) glaubt, ohne sich die Frage zu stellen, für wen Dekolonisierung eine "Option" sein und bleiben kann und für wen sie in Form von anti-kolonialem Widerstand immer schon eine Notwendigkeit des Über-Lebens war und ist. Ein freundliches Verständnis sieht denn auch die "Befreiungskämpfe der 1960er und 1970er Jahre" als "gescheitert" an (S. 164), deren Filmarchive folglich als "alternative institutionelle Ordnungsstruktur" und nicht als der einzige Ausweg angesehen werden. Dies macht es möglich, dass ein ins Deutsche übersetzter Text zur Dekolonisierung von Design mit offenkundig rassistischen Vokabeln arbeitete und von "Ethnien" und "verstreute[n] Völker[n] wie Juden und Roma" (S. 230) spricht. Dies alles hinterlässt nach Lektüre des Sammelbandes ein Unbehagen, das die Skepsis und Selbstkritik gegenüber der derzeit inflationären Verwendung des Dekolonialen im deutschen akademischen Sprachgebrauch stärkt. Verhält es sich nun mit der 'Dekolonisierung' als Worthülse der Ent-Schuldigung wie mit der 'Ent-Nazifizierung', damit "der gleiche Geist", der Kolonialismus und Faschismus gleichermaßen und immer schon gemeinsam am Leben hält, Stabilität und Sicherheit der Zustände garantiert in einer Zeit, in der sich mit den Geistern der kolonialen und anderen Weltkriege viel 'Geschäft' machen lässt? [1] Bertolt Brecht: "Über die Notwendigkeit von Kunst in unserer Zeit" [Dezember 1930]. In: Ders.: Über Kunst und Politik. Leipzig 1977, S. 34–35. Hervorhebung im Original. [2] Frantz Fanon: The Wretched of the Earth. New York 1963, S. 36. [3]https://www.duden.de/rechtschreibung/dekolonisieren, letzter Zugriff 29.09.2019. [4] Zur Arbeit der Coloniality Working Group siehe Coloniality's Persistence, Sonderausgabe von CR: The New Centennial Review 3/3, 2003. [5] Frantz Fanon: The Wretched of the Earth. New York 1963, S. 36.
Bobrowski had expressed the intention to study art history after graduation, but war and captivity thwarted his plans: As a member of the German Armed Forces, he was only released from military service for a semester in winter 1941/1942. Bobrowski was particularly impressed by the lectures on German Art in the Age of Goethe by the departmental chair Wilhelm Pinder. However, despite this fundamental influence Pinder's ideological background never become manifest in Bobrowski's poems. After returning from Soviet captivity during Christmas 1949, university studies were out of the question for the thirty-two-year-old. However, his lifelong intermedial engagement with fine art in his work can be interpreted as an expression of his diverse cultural and historical interests and inclinations. The poet's life phases correlate with the thematic development of his poems on visual art: The inviolable aesthetics of significant works of art helped him to overcome the horror of the last years of the war and the privations of Soviet captivity. Didactic moral aims initially shaped the poems Bobrowski created in the years after his return home before he was able to distance himself in terms of content and form from this type of poetry and began to write poems that take up cultural-historical aspects and juxtapose historical, mythological, biblical and religious-philosophical themes spanning epochs. His poems about the artists Jawlensky and Calder also touch simultaneously on aspects of the cultural landscape. In the last decade of his life, Bobrowski became increasingly interested in twentieth-century art, while modern architecture was absent from his work. Bobrowski devoted himself in an entire series of poems to Classicist and Romanticist painting and thus to works that were written during the Age of Goethe and about which Wilhelm Pinder may have given lectures during his "German Art in the Age of Goethe" course attended by Bobrowski. Architecture is a leitmotif in Bobrowski's lyrical works. The significance conveyed of the particular sacred and profane buildings referred to in the poems as well as the urban and village ensembles and individual parts of buildings changes several times over the years. Starting from traditional, juxtaposed juvenile poems in iambic versification, in which architectural elements form part of an awareness that fades out everything outside of the aesthetic, the significance of the sacred and secular buildings in Bobrowski's lyrical works changes for the first time during the years he spent in Russia during the war as part of the German military. In the odes Bobrowski wrote at the time, the architectural relics testify to suffering, death and destruction. What is still absent, however, is the central idea of guilt, which later becomes the focus of poems he writes after his return from captivity until his early death. Towards the end of the war and during his years of captivity, Bobrowski reflects on the theme of his homeland again, and the architecture in his poems becomes an aesthetically charged projection for his yearning for East Prussia and the Memel area. The aspect of the sublime first appears in his poems, both in relation to painting and architecture, during his captivity. This idea is developed on the one hand after his return to Berlin in his poems on the architecture of Gothic cathedrals and the architectural heritage of Classicism, but the cultural heritage of Europe also represents historical injustice and a heavy, far-reaching guilt in the poems written during this period. Bobrowski turns away from his criticism of the entire continent of Europe in later years and in his "Sarmatic Divan" concentrates on the guilt Germans have towards the peoples of Eastern Europe. This also lends the architecture in his poems a new meaning. The relics of the castles of the Teutonic Order testify to the rule of medieval conquerors and merge with nature: The symbolism of the architecture becomes part of the landscape. In the last decade of his life, he increasingly writes poems related to parks and urban green spaces. The city, "filled with meaning", moves to the centre of his poetry. However he does not deal with the technical achievements and social phenomena of urban life in these poems but with urban structures and especially the green and open spaces as symbols of history. The poet relies not only on personal experiences, but sometimes also on image sources without ever having seen the original. The poems about Chagall and Gauguin are hardly accessible without the knowledge that they refer to image reproductions in narrow, popular books that Bobrowski acquired shortly before writing the respective poems. The situation is different with the Russian churches that find their way into his lyrical works. Bobrowski had seen them all during the war, and most of them still appear to exist today and can be identified with some certainty with the help in part of the poet's letters from that period. ; Bobrowski hatte nach dem Abitur die Absicht geäußert, Kunstgeschichte zu studieren, doch Krieg und Kriegsgefangenschaft vereitelten seinen Plan: Der Wehrmachtsangehörige wurde einzig im Winter 1941/1942 für ein Studiensemester an der Universität Berlin vom Kriegsdienst freigestellt. Nachhaltig beeindruckt war Bobrowski insbesondere von der Vorlesung "Deutsche Kunst der Goethezeit" des Lehrstuhlinhabers Wilhelm Pinder. Trotz eines grundlegenden Einflusses ist indessen zu keinem Zeitpunkt Pinders ideologischer Hintergrund in Bobrowskis Gedichten manifest geworden. Nach der Rückkehr aus sowjetischer Gefangenschaft an Weihnachten 1949 war für den mittlerweile Zweiunddreißigjährigen an ein Studium nicht mehr zu denken. Die lebenslange intermediale Auseinandersetzung mit Werken der bildenden Kunst in seinem Œuvre kann indessen als Ausdruck seiner vielfältigen kulturgeschichtlichen Interessen und Neigungen interpretiert werden. Die Lebensphasen des Dichters korrelieren mit einer motivischen Entwicklung seiner Bildgedichte: Insbesondere half ihm die unantastbare Ästhetik bedeutender Kunstwerke, das Grauen der letzten Kriegsjahre und die Entbehrungen in sowjetischer Kriegsgefangenschaft zu überwinden. Didaktisch-moralische Zielsetzungen prägten zunächst die in den Jahren nach seiner Heimkehr entstandenen Gedichte, bevor sich Bobrowski inhaltlich und formal von diesem Gedichttypus zu lösen vermochte und vermehrt Gedichte zu schreiben begann, die kulturgeschichtliche Dimensionen annahmen und historische, mythologische, biblische und religionsphilosophische Themen in epochenübergreifende Zusammenhänge stellten. Die Gedichte über die Künstler Jawlensky und Calder berühren gleichzeitig kulturlandschaftliche Aspekte. Im letzten Lebensjahrzehnt interessierte sich Bobrowski zunehmend für die Kunst des 20. Jahrhunderts, während die moderne Architektur aus seinem Werk ausgeklammert blieb. Architektur bildet eine Leitmotivik in Bobrowskis lyrischem Werk. Die übertragene Bedeutungsebene der in den Gedichten benannten sakralen und profanen Einzelbauten, aber auch der städtischen und dörflichen Ensembles sowie einzelner Gebäudeteile, verändert sich mehrfach im Laufe der Jahre. Ausgehend von traditionellen, paargereimten Jugendgedichten in jambischem Versmaß, in denen architektonische Elemente Teil einer Wahrnehmung bilden, die alles Außerästhetische ausblendet, wandelt sich der Sinngehalt der Sakral- und Profanbauten in Bobrowskis lyrischem Werk ein erstes Mal während den Kriegsjahren in Russland, die der Wehrmachtsangehörige am Ilmensee verbracht hat. In den damals entstandenen Oden zeugen die architektonischen Relikte von Leid, Tod und Zerstörung. Noch fehlt indessen der später so zentrale Gedanke der Schuld, der erst im Rückblick auf jene Zeit in den Gedichten, die nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft bis zu Bobrowskis frühem Tod entstanden sind, thematisiert worden ist. Gegen Ende des Kriegs und in den Jahren der Kriegsgefangenschaft besinnt sich Bobrowski erneut auf Heimatthemen, und die Architektur in seinen Gedichten wird zu einem ästhetisch überhöhten Fluchtpunkt seiner Sehnsucht nach Ostpreußen und dem Memelgebiet. In Kriegsgefangenschaft tritt erstmals der Aspekt des Sublimen in seinen Gedichten auf, und zwar sowohl bezogen auf die Malerei als auch auf die Architektur. Dieser Gedanke wird einerseits nach der Rückkehr nach Berlin in den Gedichten über die Architektur gotischer Kathedralen und das bauliche Erbe des Klassizismus weitergesponnen, doch steht in den damals entstandenen Gedichten das Kulturerbe Europas auch für historisches Unrecht und eine schwere, weit zurückreichende Schuld. Von dieser auf den ganzen Kontinent bezogenen Kritik wendet sich Bobrowski in den nachfolgenden Jahren ab und konzentriert sich auf die Schuld der Deutschen gegenüber den Völkern Osteuropas. Damit erhält auch die Architektur in seinen Gedichten eine neue Bedeutung. Die Relikte der Ritterburgen des deutschen Ordens zeugen von der Herrschaft der mittelalterlichen Eroberer und verschmelzen dabei mit der Natur: Das Zeichenhafte der Architektur wird Teil der Landschaft. Im letzten Lebensjahrzehnt entstehen vermehrt Gedichte, die sich auf Parkanlagen und städtische Grünräume beziehen. Der Dichter hat sich nicht nur auf persönliche Erfahrungen, sondern mitunter auch auf Bildquellen abstützt, ohne dass er das Original je gesehen hätte. Nur schwer zugänglich sind die Gedichte über Chagall und Gauguin ohne die Erkenntnis, dass sie sich auf Bildvorlagen in schmalen, populärwissenschaftlichen Büchern beziehen, die Bobrowski jeweils kurz vor der Niederschrift der entsprechenden Gedichte erworben hat. Anders verhält es sich mit jenen russischen Kirchen, die Eingang in sein lyrisches Werk gefunden haben. Bobrowski hat sie alle selbst im Krieg gesehen, und die meisten scheinen noch heute zu bestehen und können mit einiger Sicherheit identifiziert werden, wozu auch die Briefe des Dichters aus jener Zeit beitragen.
Die zentralen Fragestellungen der Studie betreffen das Entstehen, die Durchsetzung und Rezeption der Minimal art, die sich in den 1960er Jahren als eine der wichtigsten "neuen Kunstströmungen" etablierte. Der Fokus liegt dabei auf der Vermittlungsarbeit von Personen und Institutionen im US-amerikanischen Kunstbetrieb, die die neue Kunst in einer Art "konzertierten Aktion" zum Erfolg führten. Damit wurde der Weg in eine internationale Karriere geebnet wie das Beispiel Westdeutschland zeigt, wo die Minimal art frühzeitig positiv aufgenommen wurde. Methodisch ist die Studie als Diskursanalyse, Ausstellungs- und Rezeptionsgeschichte angelegt. Dabei wird gezeigt, wie sich die neue Strömung in der zeitgenössischen amerikanischen Kunst und innerhalb tradierter Diskursstrategien positionierte, und wie die Interessen von Ausstellungsinstitutionen, Kritikern und Künstlern ihre weitere Rezeption formten und förderten. Denn obwohl die Mechanismen des Kunstbetriebes die Wahrnehmung von Kunst entscheidend prägen, blieben sie bisher, wie auch in diesem Fall, weitgehend unbeachtet. Wie die Studie belegt, waren die späteren Minimalisten zu Beginn ihrer Laufbahn fast alle vom Abstrakten Expressionismus beeinflußt. Mit dem Niedergang der gestischen Abstraktion mußten sie sich neu orientieren - kamen allerdings zu spät, um noch mit Farbfeld- und Hard edge-Malerei oder Assemblage zu reüssieren, da diese Anfang der 60er Jahre bereits Massenstile waren. Die Minimalisten lösten das Problem, indem sie die plastischen Impulse, die von der Assemblage ausgingen, mit der Formensprache der geometrischen Abstraktion in der Malerei zur neuen geometrisch-reduzierten Skulptur verschmolzen, der einzigen noch offenen Option in diesem Szenario. Die Ausstellungsgeschichte zeigt, wie erfolgreich diese Strategie war: Anfang 1963 erstmals in Galerien gezeigt, zog die neue Skulptur bereits ein Jahr später in Museumsausstellungen ein, noch bevor sich der Name Minimal art allgemein durchsetzte. Denn mit dem Niedergang des gestischen Abstrakten Expressionismus Ende der 50er Jahre war die New Yorker Kunstwelt in eine Phase enormer Beschleunigung eingetreten, in der eine neue Kunstströmung die nächste ablöste. Galerien, Museen und die Kunstpresse suchten mit immer neuen "Trends" Medien, Käufer und Publikum zu fesseln und deren Lust an der Abwechslung und Freude am Neuen zu befriedigen. Nach Farbfeld- und Hard edge-Malerei, Assemblage und Pop-art bauten Galerien und Museen die Minimal art als neueste Entwicklung auf. Als plastisches Pendant zur Hard edge Malerei verfügte sie, anders als Pop oder die als unseriöse ausländische Konkurrenz geltende Op-art, zudem über Hochkunstweihen und qualifizierte sich somit als ernsthafter Kandidat für die Nachfolge der "New York School". Die Kunstzeitschriften beteiligten sich an dem aufregenden "Neuen Tendenzen" Spiel, indem sie ausführlich über die aktuelle Szene berichteten und junge Künstler und Kunsthistoriker als Kritiker anheuerten. Zwei von ihnen, Barbara Rose und Lucy Lippard, wurden die wichtigsten publizistischen Verbündeten der Minimalisten. Wie Galeristen und Kuratoren strebten sie danach, sich als "Entdecker" neuer Trends zu profilieren und damit Kunstgeschichte zu schreiben. Sie arbeiteten personelle, stilistische und inhaltliche Zusammenhänge der "neuen Strömung" heraus und distanzierten deren Konkurrenten. Dabei variierten sie ihre Argumentation je nach Ereignislage und stellten ihre Interpretationen immer wieder auf aktuelle Entwicklungen ab. Wie die Untersuchung zeigt, waren Timing und Taktik dabei wichtiger als ästhetische Überzeugungen oder inhaltliche Stringenz. Das gilt ebenfalls für die jungen Künstler, die als Agenten der eigenen Öffentlichkeitsarbeit wirkten. Mit Kunstkritiken, Manifesten und Essays suchten sie die Rezeption ihrer Werke zu lenken, deren Interpretation sie im Verein mit den beiden Kritikerinnen stets den aktuellen Gegebenheiten anpaßten. Deshalb wurde die Minimal art nicht wie andere Kunst vor ihr von nachfolgenden Strömungen überrollt, sondern galt bald als Ausgangspunkt der neuen, "postminimalistischen" Entwicklungen Process, Concept und Earth art. Als Beginn eines revolutionär neuen Kunstverständnisses wurde sie auch in Westdeutschland rezipiert, einer der wichtigsten Stationen ihres Transfers nach Europa. Dort bemühten sich junge Galeristen und Museumskuratoren um ihre Verbreitung, um selbst Zugang zur internationalen Szene zu bekommen. Als international geltende Kunst war die Minimal art somit unangreifbar geworden und ist heute Teil des kunstgeschichtlichen Kanons. ; Minimal art - Establishing and Promoting Modern Art in the 1960s The constitution, emergence, and reception of the minimal art movement as one of the most important "new tendencies" in 60s' art is the topic of the following study. It will focus on the combined efforts of persons and institutions in the US-art world, who communicated the goals and intentions of this new art and made it a nearly immediate success. This process paved the way for minimal art's international career as is demonstrated by its early positive reception in Western-Germany. Discourse analysis and investigation of Minimal art's exhibition and reception history will show how the new art established itself in the contemporary art scene and how the concerns of institutions, critics, and artists formed and fostered its further acceptance. The mechanisms of the institutional art system, though rarely considered, play an important part in the perception of art as becomes evident by the present investigation. In their beginnings most of the minimalists were influenced by gestural abstract-expressionist painting. After the decline of gestural abstraction the young artists were forced to alter their style and find a new perspective. But they came too late to participate in the success of colourfield and hard edge painting or the art of assemblage, which were already overcrowded mainstream-styles at the beginning of the sixties. They solved this problem by fusing the three-dimensional impulses of neo-dadaist assemblage with hard edge-painting's geometric forms into the geometric-reducionist sculpture, which achieved a hitherto unique position. The exhibition history gives proof of the sucess of this strategy: after the first gallery displays in the beginning of 1963, the new sculpture started to invade Museum exhibitions the following year, even before the label minimal art became a common term. This could happen because the New York art scene at the end of the 1950s entered a phase of permanent acceleration after the decline of gestural abstract expressionism, when each new art trend quickly replaced its predecessor. Galleries, museums and the art press vied with each other to present novel tendencies to customers, audiences, and the media, responding to the desire for change and innovation. After colourfield, hard edge, assemblage and pop it was minimal art's turn to be displayed and launched as the latest innovation by galleries and museums. As formal counterpart of the new geometric painting it possessed high art status, unlike pop and op, which was not taken as serious art but as a foreign intrusion by most American art critics. Therefore minimal art was considered as natural heir to the "New York School", a point artists and sympathetic critics never failed to mention. The art press participated in the quest for the new by extending the review-section on the contemporary art scene and engaging young artists and art-historians as critics. Two of those, Barbara Rose und Lucy Lippard, became the most important allies of the minimal artists. Both were ambitious to increase their profile by discovering emerging trends and make their way into art history. They defined the new movement by stressing personal, stylistic, and semantic similarities between its members and separating them from their competitors. Their arguments varied according to the given situation as did their interpretation of the new art, which changed considerably in the face of new developments. Timing and tactics seemed to be more important than aesthetic persuasions or semantic coherence. The same is true for the young artists, who were their own public relation workers and sought to control the reception of their work by writing art criticism, manifestoes, and essays. Like their critical allies they adjusted its interpretation time after time conforming to circumstances and changes. That is why minimal art unlike its immediate predecessors hasn't been overthrown by subsequent movements, but was instead hailed as starting-point for the new, so-called "postminimalist" developments process, concept, and earth art. Minimal art was received as the origin of a revolutionary new understanding of art even in Western-Germany, one of the most important stages of its transfer to Europe, where young German dealers and museum curators, wanting to get access to the international scene, quickly built a support structure for it. As an internationally esteemed art it had passed a decisive stage in the development of its reputation and today is canonized as an important movement in 20th century art.
SCHOPENHAUERS LEBEN, WERKE UND LEHRE [9. BAND, ZWEITE NEU BEARBEITETE UND VERMEHRTE AUFLAGE] Geschichte der neuern Philosophie (-) Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898) ( - ) Einband ( - ) Titelseite ([II]) Titelseite ([III]) Impressum ([IV]) Vorrede. ([V]) Inhaltsverzeichniß. (VII) Erstes Buch. Schopenhauers Leben und Charakter. ([1]) Erstes Capitel. Biographische Nachrichten. Das Zeitalter Schopenhauers. Der erste Abschnitt seiner Jugendgeschichte. (1788 - 1805.) ([3]) I. Biographische Quellen und Nachrichten. ([3]) II. Schopenhauers Zeitalter. (6) III. Abstammung. Erste Jugend- und Wanderjahre. (9) 1. Die Vorfahren. (9) 2. Heinrich Floris Schopenhauer. (10) 3. Johanna Schopenhauer. (10) 4. Arthurs Kindheit und Knabenalter. (12) IV. Die Grundzüge seines Charakters. (16) 1. Anerzogene und angeerbte Gemüthsart. (16) 2. Das väterliche Erbtheil. (16) 3. Das mütterliche Erbtheil. (18) Zweites Capitel. Der zweite Abschnitt der Jugendgeschichte. Die neue Laufbahn und die neuen Lehrjahre. (1805 - 1814.) (19) I. Johanna Schopenhauer in Weimar. (19) 1. Der gesellige Kreis. Goethe. (19) 2. Karl Ludwig Fernow. (23) 3. Die Schriftstellerin. (24) II. A. Schopenhauers neue Laufbahn. (25) 1. Die letzten Jahre in Hamburg. (25) 2. Die Schulzeit in Gotha und Weimar. (27) 3. Die Universitätszeit in Göttingen und Berlin. (27) 4. Die Promotion in Jena. (30) 5. Goethes EInfluß. (31) III. Das Zerwürfniß zwischen Mutter und Sohn. (33) 1. Die ökonomische Differenzen. (33) 2. Die persönlichen Differenzen. (34) 3. Die häuslichen Differenzen. (37) Drittes Capitel. Der dritte Abschnitt der Jugendgeschichte. Neue Werke und neue Wanderjahre. (1814 - 1820.) (38) I. Der Dresdener Aufenthalt. (38) 1. Glückliche Jahre. (38) 2. Die Schrift über Farbenlehre und der Briefwechsel mit Goethe. (42) 3. Die Entstehung des Hauptwerks. (47) II. Die italienische Reise. (55) 1. Venedig und Rom. (55) 2. Lord Byron. (56) III. Die Unglücksbotschaft. (57) 1. Kampf und Sieg. (57) 2. Das Zerwürfniß der Geschwister. (58) Viertes Capitel. Die Berliner Periode und die letzten Wanderjahre. (1820 - 1831.) (59) I. Die akademische Lehrthät[i]gkeit. (59) 1. Die Habilitation und die Vorlesungen. (59) 2. Die Händel mit Beneke. (62) II. Die letzten Wanderjahre und die Rückkehr. (64) 1. Die zweite italienische Reise. München und Dresden. (64) 2. Lichtblicke. (65) 3. Der Rückblick. (66) III. Litterarische Pläne und Arbeiten. (67) 1. Uebersetzungspläne. (67) 2. Uebersetzungswerke. (69) Fünftes Capitel. Der erste Abschnitt der Frankfurter Periode. (1831 - 1841.) (70) I. Die Uebersiedlung nach Frankfurt. (70) 1. Traum und Flucht. (70) 2. Annäherung an Mutter und Schwester. (71) 3. Die Niederlassung in Frankfurt. (72) II. Die handschriftlichen Bücher. (75) III. Neue Schriften. (76) 1. Pläne. (76) 2. Das neue Werk. (77) 3. Zwei Gelegenheitsschriften. Goethe und Kant. (79) 4. Zwei Preisschriften. Die Grundprobleme der Ethik. (81) Sechstes Capitel. Der zweite Abschnitt der Frankfurter Periode. (1841 - 1850.) (86) I. Neue Werke und Ausgaben. (86) 1. Die Erneuerung des Hauptwerks. (86) 2. Die neue Ausgabe der Dissertation. (88) II. Die erste Anhängerschaft und das letzte Werk. (89) 1. Drei Juristen. (89) 2. Julius Frauenstädt. (89) 3. Das letzte Werk. (92) III. Das Ende des Jahrzehnts. (93) 1. Die politischen Stürme. (93) 2. Die entdeckte Verschwörung. (95) 3. Das Goethe-Album. (96) Siebentes Capitel. Der dritte Abschnitt der Frankfurter Periode. (1851 - 1860.) (97) I. Die neue Aera. (97) 1. Die reactionäre Zeitströmung. (97) 2. Zeitphänomene. Das Tischrücken und der animalische Magnetismus. (102) II. Die neue Propaganda. Apostel und Evangelisten. (103) 1. Active und passive Apostel. (103) 2. Otto Lindner und John Oxenford. (105) 3. Die Anfänge der Schopenhauer-Litteratur. (107) 4. Richard Wagner. (113) III. Der Philosoph des Jahrhunderts. (115) 1. Die neuen Auflagen, (115) 2. Die Popularität. (119) 3. Porträts und Aehnlichkeiten. (121) Achtes Capitel. Schopenhauers Charakter. (127) I. Das Problem. (127) II. Der Widerstreit zwischen Lehre und Charakter. (129) 1. Die Philosophie als Moral und Religion. (129) 2. Der moralische Charakter. (130) 3. Der schmerzlose Pessimismus und der glückliche Lebenslauf. (132) III. Der Einklang zwischen Lehre ud Charakter. (133) 1. Die Philosophie als Kunst. (133) 2. Die genial Geistesart. (136) 3. Der ästherische Widerwille. (138) 4. Der Glanz der Welt und deren Scheinwerthe. (139) IV. Der Rückgang des Pessimismus. (143) Neuntes Capitel. Die Ausgaben sämmtlicher Werke. (147) I. Die Ausgabe nach Schopenhauer. (147) 1. Der Grundtext. (147) 2. Der Plan der Gesammtausgabe. (148) II. Die Gesammtausgaben. (148) 1. Frauenstädt. (148) 2. Grisebach. (152) III. Die Briefe. (155) 1. Schemann. (156) 2. Grisebach. (156) IV. Die Verbreitung der Werke. (157) Zweites Buch. Darstellung und Kritik der Lehre. ([159]) Erstes Capitel. Propädeutik. Der Satz vom zureichenden Grunde. (161) I. Die Wurzel des Satzes vom Grunde. (161) 1. Das Vorstellungsvermögen. (161) 2. Die vierfache Wurzel. (162) 3. Die Arten des Grundes und deren Ordnung. (162) II. Der physikalische Grund oder die Causalität. (164) 1. Die Sinnenwelt. (164) 2. Die Materie und deren Veränderung. (164) 3. Die Arten der Causalität. (166) III. Der Erkenntnißgrund. (166) 1. Die beiden Erkenntnißvermögen. (166) 2. Die falsche Lehre. (168) 3. Die Arten des logischen Grundes. (169) IV. Der mathematische Grund. (169) 1. Der Seinsgrund. (169) 2. Arithmetik und Geometrie. (170) V. Die Motivation. (171) 1. Die Identität von Subject und Object. Der Weltknoten. (171) 2. Die Enthüllung der Kraft. Der Grundstein der Metaphysik. (172) 3. Wollen und Erkennen. (172) VI. Die vierfache Nothwendigkeit. (173) Zweites Capitel. Die Sinne und die sinnliche Anschauung. (175) I. Empfindung und Wahrnehmung. (175) II. Die Sinnesempfindungen. (177) 1. Die Sinnesarten. (177) 2. Die theoretischen Sinne. (178) 3. Gesicht und Gehör. (179) 4. Der Tast- und Gesichtssinn. (181) III. Die Gesichtswahrnehmung. (182) 1. Die Gesetze des Sehens. Unbewußte Schlüsse. (182) 2. Schein und Realität. (186) 3. Die nativistische und emprirische Theorie. (187) Drittes Capitel. Die Farbenlehre. (189) I. Die Aufgabe der Farbenlehre. (189) 1. Stellung zur Philosophie. (189) 2. Stellung zu Goethe und Newton. (189) 3. Schopenhauers Standpunkt. (192) II. Das System der Farbenlehre. (193) 1. Die Thätigkeit der Netzhaut. (193) 2. Farbenpaare und Farbenpolarität. (195) 3. Die Farbenspektra. (197) 4. Die Herstellung des Weißen aus Farben. (198) 5. Lichtbilder und Farbenblindheit. (200) III. Die äußeren Ursachen der Farben. (201) 1. Physische ud chemische Farben. (201) 2. Der physische und physiologische Farbenursprung. (201) Viertes Capitel. Die Welt als Vorstellung unter der Herrschaft des Satzes vom Grunde. Die idealistische Grundansicht. (203) I. Die Gattung des Satzes vom Grunde. (203) 1. Dogmatismus und Skepticismus. (203) 2. Realismus und Idealismus. Identitätsphilosophie. (204) 3. Der Materialismus. (205) II. Schopenhauers Standpunkt. (207) 1. Parallele mit Reinhold. (207) 2. Der Idealismus. Berkeley und Kant. (208) 3. Die Welt als Traum. (211) Fünftes Capitel. Der doppelte Intellect. Die Vernunfterkenntniß. Anschauungen und Begriffe. (213) I. Der einfache Intellect. (213) II. Der doppelte Intellect. (214) 1. Die Geltung der Universalien. (214) 2. Das Gedächtniß. (215) 3. Sprache, Civilisation, Wissenschaft. (216) 4. Der Gedankenlauf. Die Association. (217) III. DIe Lehre von der Vernunfterkenntniß. (219) 1. Logik. (219) 2. Dialektik und Eristik. (221) 3. Rhetorik. Die alten Sprachen, die deutsche Sprache. (223) 4. Das Lächerliche. Witz und Narrheit. Ironie und Humor. (225) Sechstes Capitel. Von der Erkenntnißlehre zur Metaphysik. (230) I. Wissen und Fühlen. (230) II. Die Mängel des Intellects. (232) 1. Die wesentlichen Unvollkommenheiten. (232) 2. Die unwesentlichen Unvollkommenheiten. (234) III. Das Endziel der Erkenntniß. (236) 1. Die praktische Vernunft. (236) 2. Das metaphysische Bedürfniß. (239) Siebentes Capitel. Die Lehre von der menschlichen Glückseligkeit. (245) I. Die Eudämonologie. (245) II. Die Güter des Lebens. (246) 1. Die Grundeintheilung. (246) 2. Die Persönlichkeit. (247) 3. Der Besitz. (249) 4. Das Ansehen: Ehre, Rang, Ruhm. (250) III. Paränesen und Maximen. (257) 1. Die eigene Person. (257) 2. Die Geselligkeit. (261) 3. Der Wettlauf und das Schicksal. (263) IV. Die Lebensalter. (264) 1. Der Gegensatz der Lebensalter. (264) 2. Der Gegensatz der Lebensanschauungen. (266) 3. Die Euthanasie. (266) 4. DIe Lebensalter und die Planeten. (267) Achtes Capitel. Die Welt als Wille. Die Metaphysik der Natur. (268) I. Die Realität der Außenwelt. (268) 1. Der Leib als Wille. (268) 2. Die Welt als Wille. (271) 3. Das Ding an sich als Wille. (273) II. Die Welt als die Objectivation des Willens. (275) 1. Die Stufen der Welt. Die Ideen. (275) 2. Natürliche Ursachen und Kräfte. Höhere und niedere Kräfte. (277) 3. Uebereinstimmung und Zwietracht. Der Urwille. (279) 4. Der Wille zum Leben. (281) Neuntes Capitel. Der Wille in der Natur. (283) I. Die Metaphysik in nuce. (283) II. Religion, Sprache, Magie. (284) III. Naturwissenschaftliche Bestätigungen. (290) 1. Die unwillkürlichen Leibesactionen. (290) 2. Der Bau des Leibes. (295) 3. Der Intellect. (301) 4. Die Instincte und Kunsttriebe. (303) Zehntes Capitel. Wille und Causalität. Der Primat des Willens. (306) I. Die Grundlehre in kürzester Fassung. (306) 1. Herschel. Zwei Grundirrthümer. (306) 2. Zwei Bewegungsarten und deren Ursachen. (307) 3. Ursachen und Wirkungen. Gleichartigkeit und Verschiedenartigkeit. (308) II. Der Primat des Willens. (311) 1. Der Intellect als dessen Werkzeug. (311) 2. Der unermüdliche voreilige Wille. Hemmungen und Antriebe. (315) 3. Kopf und Herz. (320) 4. Die Identität der Person. (323) Elftes Capitel. Der Traum. Das Organ und die Arten des Traums. (324) I. Sinnenwelt und Traumwelt. (324) 1. Die Erklärung der Magie. Spiritualismus und Idealismus. (324) 2. Der Traum als Gehirnphänomen. (326) 3. Das Gehirn als Traumorgan. (327) II. Die Arten des Traums. (328) 1. Das Warträumen. (328) 2. Der Somnambulismus. (328) 3. Das Hellsehen und der magnetische Schlaf. (329) 4. Die prophetischen Träume. (330) 5. Die Ahndung. (331) III. Die Geistererscheinungen. (331) 1. Die Hallucinationen. (331) 2. Die Visionen. (332) 3. Die Deuteroskopie. (333) 4. Die Gespenster. (333) 5. Die Geister der Abgeschiedenen. (334) Zwölftes Capitel. Die Anschauung der Ideen. Das Genie und die Kunst. (335) I. Die Composition der Lehre Schopenhauers. (335) 1. Kant und Plato. (335) 2. Der Veda und der Buddhaismus. (337) II. Die geniale Anschauung und deren Object. (338) 1. Die Urformen oder Ideen. (338) 2. Das reine Subject des Erkennens. (340) 3. Das Genie und der Genius. Die Charakteristik des Genies. (341) 4. Genialität und Wahnsinn. (349) Dreizehntes Capitel. Das Reich des Schönen und der Kunst. (350) I. Das ästhetische Wohlgefallen und dessen Begründung. (350) II. Die ästhetische Weltbetrachtung und deren Objecte. (353) 1. Das Schöne. (353) 2. Das Erhabene. (357) III. Die platonische Idee als das Object der Kunst. (358) 1. Schopenhauers Nichtübereinstimmung mit Plato. (358) 2. Das Thema und die Aufgabe der Kunst. (359) Vierzehntes Capitel. Das Stufenreich der Künste. (361) I. Die bildende Kunst. (361) 1. Die Architektur. (361) 2. Die Sculptur. (Lacoon.) (365) 3. Die Malerei. (Die Allegorie.) (372) II. Die Dichtkunst. (374) 1. Die Bildersprache. Rhythmus und Reim. (374) 2. Die Arten der Poesie. (377) 3. Die Tragödie. (378) III. Die Musik. (382) 1. Das Räthsel der Musik. Schopenhauer und Richard Wagner. (382) 2. Die Analogie zwischen den Gebilden der Dinge und denen der Töne. (385) 3. Das Tongebilde. Rhythmus, Harmonie und Melodie. (387) Fünfzehntes Capitel. Der Uebergang zur Ethik. Die Grundfrage und das ertse Grundproblem der Ethik. (393) I. Die Selbsterkenntniß des Willens. (393) II. Die Gewißheit des Lebens und des Todes. (394) III. Die menschliche Willensfreiheit. (397) 1. Die physische, intellectuelle und sogenannte moralische Freiheit. (397) 2. Die wahre moralische Freiheit. (403) Sechszehntes Capitel. Die Bejahung des Willens zum Leben. Das Elend des menschlichen Daseins und dessen Fortpflanzung. (406) I. Das leidensvolle Dasein. (406) II. Die Fortpflanzung des menschlichen Daseins. (409) 1. Die Erblichkeit der Eigenschaften. (409) 2. Die Metaphysik der Geschlechtsliebe. (411) Siebzehntes Capitel. Die Gerechtigkeit in der Welt. Das Weltgericht. (418) I. Die zeitliche Gerechtigkeit. (418) 1. Die reine oder moralische Rechtslehre. Unrecht und Recht. (418) 2. Gewalt und List. (420) 3. Der Staat und das Staatsrecht. (420) 4. Die Strafgerechtigkeit. (423) II. Die ewige Gerechtigkeit. (424) 1. Schuld und Strafe. (424) 2. Die Seelenwanderung. Metempsychose und Palingenesie. (425) Achtzehntes Capitel. Das Fundament der Ethik als deren zweites Grundproblem. (429) I. Der Grundsatz und die Grundlage der Moral. (429) 1. Das Problem. (429) 2. Die Kritik der Kantischen Sittenlehre. (431) 3. Die gute und böse Gesinnung. Das gute und böse Gewissen. (432) II. Das Mitleid als Fundament der Ethik. (434) 1. Der metaphysische Grund des Mitleids. Rousseau. (434) 2. Der Ursprung des Weinens. (439) Neunzehntes Capitel. Die Verneinung des Willens zum Leben. Das Verhältniß der Lehre Schopenhauers zu der Religion und den Religionen. (441) I. Die Stufenleiter des bösen und des guten Willens. (441) 1. Der heftige, grimmige, böse und teuflische Wille. (441) 2. Der gelassene, rechtliche und großherzige Wille. (443) II. Die Selbstverleugnung und Askese. (444) 1. Die Mortification des Willens. (444) 2. Die Verneinung des Selbstmords. (445) 3. Die Heiligkeit und die Erlösung. (447) III. Das Quietiv und die Heilswege. (449) 1. Die Vorbilder auf dem Wege zum Heil. (449) 2. Motive und Quietiv. (450) 3. Die ethisch-geniale Erkenntniß als der erste Heilsweg. (450) 4. Das empfundene Leiden als der zweite Heilsweg. (454) 5. Die Heilsordnung. (457) IV. Religion und Religionsphilosophie. (458) 1. Monotheismus und Polytheismus. (458) 2. Das echte und unechte Christenthum. (459) 3. Nirwana. (464) 4. Epiphilosophie. (465) Zwanzigstes Capitel. Schopenhauers kritisches Verhalten zur früheren, gleichzeitigen und eigenen Philosophie. (467) I. Uebersicht. (467) II. Die christliche Religion und die vorkantische Philosophie. (468) 1. Religionsgeschichtliche Irrthümer. (468) 2. Die alte Philosophie und die indo-ägyptische Hypothese. (471) 3. Die Scholastik. (472) 4. Die neuere Philosophie. (473) III. Die Kritik der Kantischen Philosophie. (479) 1. Die Aufgabe. (479) 2. Kants Verdienste. (481) 3. Kants Fehler. (481) 4. Erläuterungen. (488) IV. Schopenhauer und die nachkantische Philosophie. (491) 1. Bemerkungen über die eigene Lehre. (491) 2. Die Universitätsphilosophie. (492) Einundzwanzigstes Capitel. Die Kritik der Lehre Schopenhauers. (495) I. Das Grundgebrechen des ganzen Systems. (495) 1. Die entwicklungsgeschichtliche Betrachtung. Die Antithese zwischen Kant und Schopenhauer. (495) 2. Der Unwerth der Geschichte. Die Antithese zwischen Schopenhauer und Hegel. (496) 3. Der Werth der Geschichte. (500) II. Die Widersprüche in dem System. (501) 1. Die falsche Abwehr. (502) 2. Die Welt als Entwicklungssystem. (503) 3. Die Welt als Erkenntnißsystem. (507) 4. Das pessimistische Weltsystem. (515) III. Die Widersprüche im Fundament. (525) 1. Der Drang im DInge an sich. (525) 2. Die transscendenten Fragen. (526) 3. Die einzigen Ausnahmen. (526) 4. Die Individualität im Dinge an sich. (527) 5. Der transscendente Fatalismus. (529) Zweiundzwanzigstes Capitel. Die Kritik der Darstellungsart. (531) I. Vorzüge und Mängel. (531) 1. Wiederholungen. (532) 2. Citate und Fremdwörter. (532) 3. Satzbildung und Interpunction. (533) II. Stilistische Grundsätze. (534) Druckfehlerverzeichniß. ( - ) Einband ( - ) Buchrücken ( - )
"KUNST IST KEINE AUSREDE", lautet der Titel des 2020 veröffentlichten Manifests des auawirleben Theaterfestivals in Bern, in welchem das Festivalteam auf eine transparente Kommunikation ihres Wertesystems abzielt und zu Themen wie Lohnpolitik, Diskriminierung und Nachhaltigkeit klar Position bezieht. Laut der Theaterwissenschaftlerin Alexandra Portmann illustriert dieses öffentliche Statement, wie Festivals politische Diskussionen zu "faire[r] und nachhaltige[r] Kulturproduktion" eröffnen und dabei als "Innovationsmotoren für Arbeitsweisen im Gegenwartstheater" fungieren (S. 25). Die Reihe itw : im dialog positioniert sich an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis im zeitgenössischen Theater und umfasst Arbeitsbücher zu den gleichnamigen Symposien und Workshops des Berner Instituts für Theaterwissenschaft in Kooperation mit dem ebenfalls dort angesiedelten auawirleben Theaterfestival und der Schweizerischen Gesellschaft für Theaterkultur (SGTK). Der von Alexandra Portmann und Beate Hochholdinger-Reiterer herausgegebene vierte Band, Festivals als Innovationsmotor?, entstand im Rahmen des internationalen Doktorand*innenworkshops 2019 und vereint theoretische Auseinandersetzungen mit Aufführungsanalysen, verschriftlichten Interviews, Künstler*innengesprächen und einer Podiumsdiskussion. Der erste Teil des Bandes verhandelt theaterwissenschaftliche Forschungspositionen zu Innovation, Internationalität, Institutionskritik, Arbeitspraktiken, Freiwilligkeit sowie Zeitlichkeit auf Festivals. Er bietet den theoretischen Rahmen für die nachfolgenden, praxisnahen Interviews mit Sandro Lunin, künstlerischer Leiter der Kaserne Basel, und Philippe Bischof, Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Der zweite Teil der Publikation beinhaltet je zwei Analysen zu drei sehr unterschiedlichen Inszenierungen der Ausgabe "Wir müssen reden" des auawirleben Theaterfestivals im Jahr 2019, sowie Gespräche der daran beteiligten Künstler*innen. Den Rahmen dafür bilden das Interview mit den Festivalkuratorinnen Nicolette Kretz und Silja Gruner zum Auftakt sowie eine Podiumsdiskussion zur titelgebenden Fragestellung Festivals als Innovationsmotor? zum Abschluss, in welcher Franziska Burkhardt, Leiterin der Kulturabteilung in Bern, Marc Streit, Gründer und Leiter des zürich moves! Festivals, und Alexandra Portmann, Theaterwissenschaftlerin an der Universität Bern, Stellung beziehen. In ihrem einleitenden Beitrag erörtert Portmann die begriffliche Verankerung von Innovation im kulturwissenschaftlichen Diskurs und referenziert u. a. auf Andrea Livia Piazzas Konzept des Neuen (vgl. Piazza 2017). In Gegenüberstellung zu dem sozialwissenschaftlich geprägten Begriff der Innovation, der "die Substitution von etwas Altem" impliziert, verhandelt laut Piazza das Neue in geisteswissenschaftlichen Diskursen "die Beziehung zum Alten jenseits von Substitution" (S. 17). Folglich ist hier anstelle einer linearen Fortschrittslogik von einer "Überlagerung verschiedener Dispositionen" und einer "potentielle[n] Gleichzeitigkeit von Diskursen" die Rede (S. 15). Das Neue steht in diesem Sinne als "Möglichkeitsraum" außerhalb der Norm, der "sich als Alternative zu einem kapitalistischen Realismus präsentiert" (S. 18). Laut Portmann fungiert das Veranstaltungsformat Festival als ein eben solcher Möglichkeitsraum für die Erprobung neuer Arbeits- und Produktionsweisen, die in weiterer Folge für lokale Theatersysteme adaptiert und übernommen werden können. Potential für Innovation ist auf Festivals insbesondere dadurch gegeben, da sie aufgrund des klar definierten Zeitraums, des umfassenden professionellen Netzwerkes sowie schlanker institutioneller Strukturen im Gegensatz zu etablierten Stadt- und Staatstheatern über mehr Flexibilität verfügen. Franziska Burkhardt bestätigt diese Annahme in der abschließenden Podiumsdiskussion: "Anders als feste Häuser können sich Festivals jedes Jahr neu erfinden." (S. 181) Dass der Innovationsbegriff nicht zwangsläufig positiv konnotiert ist, sondern oftmals mit technologisch-ökonomischen Optimierungsbestrebungen und neoliberalen Denkmustern assoziiert wird, zeigt sich im Experteninterview mit Philippe Bischof, der stattdessen für die Umschreibungen "Zukunftsorientierung" und "Zukunftsfähigkeit" plädiert (S. 92). Im Hinblick auf Kulturförderung beschäftigen ihn Fragen nach dem Wirkungspotential und künstlerischen Risiko von neuen Kreationen. Auch Marc Streit verknüpft den Innovationsbegriff mit "einer permanenten Optimierung" (S. 180) und hält diesen folglich nicht für den richtigen Ansatz in den darstellenden Künsten. Sandro Lunin benennt Innovation im Sinne einer Fortschrittslogik nicht als Priorität, sondern befürwortet vielmehr eine "institutionelle Öffnung für andere Arbeitsweisen" (S. 83). Da die "Theaterhäuser stark in komplexen strukturellen Dynamiken verhaftet sind", gilt es, über produktionsorientierte Arbeitsweisen der freien Szene nachzudenken und sich die Frage zu stellen, ob diese übertragbar oder "kompatibel mit klassischen Stadttheater- und Ensemblestrukturen sowie einem Repertoirespielplan" sind (S. 83f.). Lunin endet mit der Feststellung: "Innovation um der Innovation willen ist relativ sinnlos." (S. 85) Wie bereits aus der Deutungsvielfalt des Innovationsbegriffs ersichtlich wird, stehen Festivals im Spannungsfeld zwischen neoliberaler Eventkultur und potenziellem Möglichkeitsraum. Dies zeigt sich ebenso am Beispiel der Freiwilligenarbeit auf Festivals, die sich auf einem schmalen Grat zwischen ausbeuterischen Mechanismen und nachhaltigen Alternativen des Zusammenwirkens bewegt. Regina Rossi begreift das Konzept der Freiwilligkeit am Beispiel der Hamburger HALLO: Festspiele nicht als kostensparende Strategie und Ausbeutung unbezahlter Arbeitskräfte, sondern als "Möglichkeit des Austausches und der Zusammenarbeit im Kreativbereich" (S. 60). Der Vorschlag, ehrenamtliche Tätigkeit auf Festivals als "Keim einer anderen, neuen Form von Unternehmertum" (S. 63) jenseits kapitalistischer Profitzwänge zu begreifen, wirkt angesichts unserer neoliberalen Gesellschaft jedoch äußerst utopisch und läuft Gefahr, die auf Freiwilligkeit basierenden Arbeitsverhältnisse im Kultursektor als unhinterfragten Standard zu festigen. Zwar hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass sogar inmitten höchst kompetitiver, kommerzieller Fringe Festivals Künstler*innen non-monetäre Gegenveranstaltungen gründen und diese alternativen Mikro-Festivals durchaus als gemeinschaftliche Praxis leben (Zaiontz 2018, S. 73–79), zugleich darf nicht verschwiegen werden, dass diese löblichen Projekte vor allem der Eigeninitiative und dem Eigenkapital der Künstler*innen selbst entstammen. Der Beitrag von Sophie Osburg verhandelt den Innovationsbegriff aus einem anderen Blickwinkel. Am Beispiel der Performance-Ausstellung 12 Rooms auf der Ruhrtriennale 2012 analysiert die Autorin das Potential für veränderte Wahrnehmungs- und Rezeptionsweisen auf Festivals, in diesem Fall von Aufführungen im Museumskontext. Hierbei kontrastiert Osburg die Zeitlichkeit auf Festivals, die "ein Temporäres, Kurzweiliges und darin zugleich Komprimiertes suggeriert", mit dem anhaltenden Vollzug der Performance-Ausstellung, die wiederum innerhalb des Festivalgefüges einen "Moment des Andauerns" bzw. laut Roland Barthes eine "Zeit des Innehaltens" markiert (S. 71f.). Am Beispiel der Volksbühnen-Debatte 2017 im Zuge des offiziellen Antritts Chris Dercons als Intendant stellt Ann-Christine Simke Überlegungen zu konstruktiver Institutionskritik an. Befürchtungen vor einer mit der neuen Intendanz einhergehenden "institutionelle[n] Entleerung sowie rhetorische[n] Konformität mit hegemonialen Marktstrukturen" wurden mit Castorfs Intendanzübernahme Anfang der 1990er Jahre kontrastiert sowie mit dessen grundsätzlichem "Willen zur Umdeutung und Neustrukturierung der Institutionen aus einem antagonistischen Geist heraus" (S. 49). Die Bezugnahme auf die thematische Ausrichtung des Sammelbands erschließt sich erst auf den zweiten Blick: Simke warnt vor einer problematischen Gegenüberstellung eines "neoliberalen Kurators" mit einem "widerständigen Künstler-Intendanten" (S. 50), in anderen Worten, vor einer verkürzten Kontrastierung von "Innovation" als neoliberale Marktstrategie mit dem "Neuen" als künstlerischem Versprechen (S. 44ff.). Einen Ausreißer zur geographischen und zeitlichen Verortung der analysierten Theaterfestivals und Spielstätten im deutschsprachigen Raum des 21. Jahrhunderts bildet der englischsprachige Beitrag von Helen Gush, in welchem der Einfluss der World Theatre Season von 1964 bis 1975 auf das internationale Repertoire diverser Londoner Theater sowie auf das Entstehen künstlerischer Kollaborationen anhand etlicher Beispiele exemplifiziert wird. Das Ende der World Theatre Season ging schließlich mit Festivalneugründungen einher, u. a. des London International Festival of Theatre (LIFT), welches ebenso "a genealogical link between the humanist internationalism and the promise of innovation" erkennen lässt (S. 40). Bei näherer Betrachtung ist festzustellen, dass die theaterwissenschaftlichen Forschungspositionen des Sammelbands die titelgebende Fragestellung anhand sehr unterschiedlicher Perspektiven und Fallbeispiele verhandeln. Unbestritten bleibt, dass das Veranstaltungsformat Festival aufgrund seines ephemeren Charakters innerhalb eines klar definierten Zeitraums, seiner Nähe zu Produktionen der freien Szene, der schlanken institutionellen Struktur, den oftmals flachen Hierarchien, des breit gefassten Netzwerkes sowie einer grundsätzlichen Neugierde und Offenheit des Publikums durchaus das Potential birgt, Neues auszuprobieren – sei dies auf, vor oder hinter der Bühne –, um damit auch feste Theaterhäuser zu inspirieren und zu verändern. Die zweite Hälfte des Sammelbands widmet sich schließlich den Aufführungsanalysen, deren individuelle Schwerpunkte hinsichtlich der heterogenen Theaterproduktionen eine abwechslungsreiche Lektüre versprechen. Die polnische Produktion Jeden Gest unter der Regie von Wojtek Ziemilski, ein linguistischer Seiltanzakt zwischen Kommunikationssystemen, eröffnet dem Publikum die soziale Wirklichkeit von vier polnischen Gehörlosen. Johanna Hilari diskutiert dabei die "Auseinandersetzung mit sozialer Realität und theatraler Praxis" (S. 110) in dokumentarischen Theaterformen und deren Vermittlung durch kontextualisierende Programmangebote, die eine "nachträgliche Aktivierung" des Publikums "durch diskursive, didaktische oder performative Formate" erwirken (S. 113). Benjamin Hoesch setzt sich am Beispiel dieser Inszenierung kritisch mit der Terminologie der Regiehandschrift in dokumentarischen Theaterformen auseinander und kommt zu dem Schluss, dass "Kommunikation in der Aufführung […] nie auf 'eine' Subjektivität, Intention, Wirkung und Verfügung zu reduzieren ist" (S. 124). In der ironisch angelegten Inszenierung Workshop erklären in collagenhaft aufeinanderfolgenden Kurzvorträgen drei Männer die Welt: Mart Kangro, Juhan Ulfsak und Eero Epner aus Tallinn lassen dabei Fragen zu Machtasymmetrien und Geschlechterverhältnissen entstehen, ohne diese explizit selbst zu formulieren geschweige denn zu beantworten. Alina Aleshchenko greift das Phänomen des "mansplaining" auf, ein "Erklären, ohne darin Experte zu sein" (S. 138), und diskutiert anhand dessen Machtasymmetrien zwischen Erzählenden und Zuhörenden im Theater. Die konventionelle Wissenshierarchie im westlichen Theater der "stimmvollen" Darsteller*innen und "stimmlosen" Zuschauer*innen (S. 141) wird auch in dieser Inszenierung reproduziert, woraufhin Aleshchenko schlussfolgert, Workshop eröffne einen spannenden Diskurs, stelle "selbst jedoch keine Reflexion darüber auf ästhetischer oder Produktionsebene" an (S. 142). Yana Prinsloo untersucht in eben jener Inszenierung die Position der Zuschauer*innen als Prosument*innen nach Hanno Rauterberg (Rauterberg 2015) und kontrastiert die auf der Bühne zu beobachtende "Überforderung gegenüber der selbstermächtigten und individuellen Lebensgestaltung" (S. 149) mit der Vorstellung eines (als männlich markierten) "konsumatorischen Kreativsubjekts" nach Andreas Reckwitz (Reckwitz 2020). In dem Ein-Personen-Stück Un faible degré d'originalité, einer Lecture-Performance an der Schnittstelle zwischen akademischem Vortrag und Theaterinszenierung, führt Antoine Defoort das Publikum auf eine zugleich didaktische und amüsante Reise durch den Dschungel des Urheberrechts. Am Beispiel dieser Inszenierung widmet sich der Beitrag von Vera Nitsche der kreativen Wissensproduktion und -vermittlung auf der Bühne. "Ohne vierte Wand und das Publikum direkt adressierend", präsentiert Antoine Defoort ein "conférence-spectacle" (S. 160) und strukturiert dessen Aufbau gemäß der strengen Gliederung einer französischen Forschungsarbeit ("dissertation"). Nitsche sieht in künstlerischer Forschung das Potential, "den klassischen akademischen Wissenschaftsbegriff zu hinterfragen" und "neue Sicht- und Vorgehensweisen sowie andere Formen der Expertise" in einen "pränormativen Raum" der wissenschaftlichen Forschung einzubringen (S. 166). Géraldine Boesch untersucht die eben beschriebene Inszenierung als "(laut)malerische Bergwanderung" im Hinblick auf die detailreiche Wortkulisse und onomatopoetischen Effekte zur "Untermalung der expressiven Gestik und Mimik" (S. 169). Zusammenfassend wäre zu sagen, dass die vielseitigen Beiträge des Sammelbands eine kurzweilige Leseerfahrung bieten. Theoretische Überlegungen werden in praxisnahen Künstler*innengesprächen diskutiert und mittels beispielhafter Aufführungsanalysen überprüft. Die Mehrheit der Beiträge orientiert sich an der titelgebenden Fragestellung Festivals als Innovationsmotor?; andere wiederum sind weniger stark in die inhaltliche Gesamtkomposition des Sammelbands eingeflochten, dies ist jedoch nicht weiter störend. Wie schon der Buchtitel mit einem Fragezeichen endet, so gibt auch diese Publikation anstelle von Antworten vielmehr Denkanstöße für eigene Überlegungen und eröffnet neue Fragestellungen für die Festivalforschung. Literatur: auawirleben Theaterfestival: "KUNST IST KEINE AUSREDE. Das Manifest von auawirleben". Bern: 09.01.2020. https://auawirleben.ch/verantwortung/manifest#/. Zugriff am 25.03.2021. Piazza, Andrea Livia: The Concept of the New. Framing Production and Value in Contemporary Performing Arts. Opladen/Berlin/Toronto: Budrich UniPress 2017. Rauterberg, Hanno: Die Kunst und das gute Leben. Über die Ethik der Ästhetik. Berlin: Suhrkamp 2015. Reckwitz, Andreas: Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne. Berlin: Suhrkamp 2020. Die dazu auf [rezens.tfm] erschienene Buchbesprechung von Theresa Eisele ist unter folgendem Link abrufbar: https://rezenstfm.univie.ac.at/index.php/tfm/article/view/4325. Zaiontz, Keren: theatre & festivals. London: Macmillan Education Palgrave 2018.
›Gerücht‹.—Ein Begriff, unter dem sich jeder etwas vorstellen kann und eine Form der Botschaft, die in geradezu unerhörter Weise zu affektieren vermag. Denn wer schätzt nicht eine gute Geschichte, besonders wenn sie vermeintliche Wahrheiten enthüllt, die einen Wissensvorteil, also einen zumindest winzigen Machtvorsprung erlauben? Geschichten sind Macht, wer Vergangenheit und Gegenwart in eine gute Erzählung zu verkleiden weiß, hält das Geschick der Menschheit in den Händen. Zugegebenermaßen ist dies eine kühne Behauptung. Stark vom Finale der achten Staffel Game of Thrones' motiviert, macht die Verfasserin dieser Zeilen doch darin eine ganz simple Wahrheit aus: Menschen lieben Unterhaltung, ganz besonders, wenn es sich dabei um sie selbst dreht, wenn sie durch die Einbettung in eine Narration ein Stück Ewigkeit für sich beanspruchen können. Somit leitet dieses Essay auch eine an diesen Gedankengang geknüpfte Überlegung ein: Ist das Gerücht nicht zunächst einfach nur eine unterhaltsame Erzählung, in der wir uns selbst und unsere weltbewegenden Fragen erkennen? Über einen primär emotionalen Zugang soll versucht werden, zu verstehen, warum das Gerücht sich sowohl im Interessensspektrum der Psychoanalyse, als auch in dem der Politik wiederfindet. Wann wird die Geschichte zur Waffe; wann zum ›Monster‹, das sich von unseren Sehnsüchten und Ängsten nährt? Ist das Gerücht ein Medium ›potenziell monströser Machenschaften‹? Ist es ein Werkzeug, das ebenso gut im, wie gegen den Sinn der Demokratie eingesetzt werden kann? Oder ist es vielmehr so, dass jede Waffe letztlich beides ist—je nachdem, wer sie führt? Welche Rolle spielt dabei die gemeinsame Wahrheit als verbindender Faktor, gegen die scheinbare Unwissenheit der Ausgeschlossenen? Zu diesem Zweck soll sich im Folgenden die Betrachtung des Gerüchts aus dem Umkreis von Kunst und Literatur nach und nach ins Zentrum aktueller Mediennutzung vorarbeiten, wobei die emotionale Verbindung zum Rezipienten stets im Blick behalten werden soll. Sowohl Aufbau als auch Inhalt der Untersuchung wollen zeigen, wie sich diese besondere Form der Narrative zunächst auf einer rein ästhetischen, lustvollen Ebene erspüren, dann nach und nach als konkreter Gegenstand der Medienwahrnehmung fassen und schlussendlich bezüglich seiner öffentlichen Wirksamkeit kritisch hinterfragen lässt. Bewusst ist dabei der zeitliche Rahmen, innerhalb dessen das Phänomen betrachtet werden soll, weit gefasst. Es wird versucht, dort in die gegenwärtige Wahrnehmung des Gerüchts einzudringen, wo es sich als ›monströse Entität‹ für oder gegen die Demokratie bemerkbar macht. ; 'Whoever rules over mankind's stories shall be king.'—When Game of Thrones' season eight ended, some considered this an answer too simple for eight seasons of fighting and suffering. It is this author's opinion that this truth is beautiful just because it is humble. The following article does not consider 'stories per se', but a form of narrative, which is as much unique as it is ancient: 'rumour'. If we consider rumour 'to be a story' and if we also allow the idea of stories to be powerful, rumour must appear as one of the strongest kind of narratives, as rumours do not only tell interesting myths; they also seem to provide 'us' with secret knowledge, with a little bit more truth than 'those', who did not hear it. Starting from a point of view where rumour is basically seen as an aesthetic phenomenon with strong emotional impact, the following article is going to ask how the rumour becomes interesting for both a psychoanalytical approach and a political one. Reasoning forward, the question shall be asked how this seemingly simple device of narration rises from emotion building to becoming a 'true monster', influencing mankind to the core of democracy. Or is it rather to be seen as a weapon for truly democratic participation? Notion is that both truths are true in their own way and that the relevant question actually should ask if the true 'hero' and/or 'monster' is not actually the one who carries this specific weapon. Due to this, the emotional impact rumours have, shall always be kept in mind during the following examination. Aim of this essay is, to bit-by-bit develop an idea of rumour, starting from an aesthetical regarding to a rather psychoanalytical and finally to a political, or rather society-affecting, point of view. In terms of structure and content, this essay aims to dig out rumour from a more sensual level of perception, to the concrete analysis of rumour as part of daily media consumption. The basic statement of this essay is that rumour can have the potential to become destructive, to 'be a monster', because we love it so dearly—and have been loving it for such a long time. In order to emphasize this notion, a rather wide and open historical frame is chosen, with the intention to pierce into current perceptions at times, just to illustrate the rumour's 'monstrosity'—but also to underline its inherent 'ambiguity'. Editors' Note: Sturm's essay on the rumour's potentially monstrous character ('Authority, Manipulation, and Togetherness—Media Spaces of the Rumour') appears in German. Its narrative mode can best be described as a colourful, multi-faceted stream of consciousness: From Adam and Eve via The War of the Worlds to 'Netzwerkdurchsetzungsgesetz'; and beyond. From the worlds to the words: Those of our readers who may lack sufficient German proficiency, are encouraged to have a look at the English translation of Hans-Joachim Neubauer's Fama (1998; 2009 [1998])—The Rumour (1999 [1998]). There are also Chinese, Croatian, Finnish, Japanese, Korean, and Spanish editions.A good read! See: Neubauer, Hans-Joachim. 1998. Fama: Eine Geschichte des Gerüchts. First German edition. Berlin: Berlin Verlag. Neubauer, Hans-Joachim. 1999 [1998]. The Rumour: A Cultural History. Translated by Christian Braun. First English edition. London/New York: Free Association Books. Neubauer, Hans-Joachim. 2009 [1998]. Fama: Eine Geschichte des Gerüchts. Second, extended and updated German edition. Berlin: Matthes & Seitz Berlin. ; 'Whoever rules over mankind's stories shall be king.'—When Game of Thrones' season eight ended, some considered this an answer too simple for eight seasons of fighting and suffering. It is this author's opinion that this truth is beautiful just because it is humble. The following article does not consider 'stories per se', but a form of narrative, which is as much unique as it is ancient: 'rumour'. If we consider rumour 'to be a story' and if we also allow the idea of stories to be powerful, rumour must appear as one of the strongest kind of narratives, as rumours do not only tell interesting myths; they also seem to provide 'us' with secret knowledge, with a little bit more truth than 'those', who did not hear it. Starting from a point of view where rumour is basically seen as an aesthetic phenomenon with strong emotional impact, the following article is going to ask how the rumour becomes interesting for both a psychoanalytical approach and a political one. Reasoning forward, the question shall be asked how this seemingly simple device of narration rises from emotion building to becoming a 'true monster', influencing mankind to the core of democracy. Or is it rather to be seen as a weapon for truly democratic participation? Notion is that both truths are true in their own way and that the relevant question actually should ask if the true 'hero' and/or 'monster' is not actually the one who carries this specific weapon. Due to this, the emotional impact rumours have, shall always be kept in mind during the following examination. Aim of this essay is, to bit-by-bit develop an idea of rumour, starting from an aesthetical regarding to a rather psychoanalytical and finally to a political, or rather society-affecting, point of view. In terms of structure and content, this essay aims to dig out rumour from a more sensual level of perception, to the concrete analysis of rumour as part of daily media consumption. The basic statement of this essay is that rumour can have the potential to become destructive, to 'be a monster', because we love it so dearly—and have been loving it for such a long time. In order to emphasize this notion, a rather wide and open historical frame is chosen, with the intention to pierce into current perceptions at times, just to illustrate the rumour's 'monstrosity'—but also to underline its inherent 'ambiguity'. Editors' Note: Sturm's essay on the rumour's potentially monstrous character ('Authority, Manipulation, and Togetherness—Media Spaces of the Rumour') appears in German. Its narrative mode can best be described as a colourful, multi-faceted stream of consciousness: From Adam and Eve via The War of the Worlds to 'Netzwerkdurchsetzungsgesetz'; and beyond. From the worlds to the words: Those of our readers who may lack sufficient German proficiency, are encouraged to have a look at the English translation of Hans-Joachim Neubauer's Fama (1998; 2009 [1998])—The Rumour (1999 [1998]). There are also Chinese, Croatian, Finnish, Japanese, Korean, and Spanish editions.A good read! See: Neubauer, Hans-Joachim. 1998. Fama: Eine Geschichte des Gerüchts. First German edition. Berlin: Berlin Verlag. Neubauer, Hans-Joachim. 1999 [1998]. The Rumour: A Cultural History. Translated by Christian Braun. First English edition. London/New York: Free Association Books. Neubauer, Hans-Joachim. 2009 [1998]. Fama: Eine Geschichte des Gerüchts. Second, extended and updated German edition. Berlin: Matthes & Seitz Berlin.
Wäre die Gegenwart eine andere, hätte im Mai 2020 die achte Ausgabe der Konferenz "Theater und Netz", einer Initiative von nachtkritik.de und der Heinrich-Böll-Stiftung, stattgefunden. Stattdessen ergab sich für Theaterschaffende, Kritiker*innen und Publikum reichlich Gelegenheit, das Verhältnis von Theater und Netz in actu auszuloten: Durch die Ausgangsbeschränkungen befeuert, verlagerte sich das Theatergeschehen in die digitale Experimentierstube. Im Oktober erschien nun der Band Netztheater, der in 21 Beiträgen die Erfahrungen der vergangenen sechs Monate reflektiert –fundiert durch die Expertise der im Format "Theater und Netz" seit 2013 geleisteten Pionierarbeit. Die Kürze der zwei- bis siebenseitigen Beiträge, gepaart mit der Erfahrungsdiversität aus Herstellung, Rezeption und wissenschaftlicher Auseinandersetzung, hat entscheidende Vorteile: Hier wird nicht lange umständlich unter Ausrufung irgendeines "Post-" herumgeredet oder die beliebte Formel strapaziert, Theater müsse "neu gedacht" werden. Die Beitragenden verbindet die gemeinsame Sache und so kommen sie rasch zum Punkt. Als Hybrid aus theoretischen Positionen und reflektierender Praxis bündelt die Publikation praktisch verwertbares und weiterentwickelbares Wissen kompakt und beinahe in Echtzeit. Daher verhandelt diese Rezension die Beiträge nicht chronologisch, sondern führt einander ergänzende Perspektiven zu zentralen Aspekten wie Dramaturgie, Community, Interaktion etc. kommentierend zusammen: Der Band eröffnet mit einem Praxisbericht des geglückten Burgtheater-on-Twitter-Experiments #vorstellungsänderung, das tausende Mittweeter*innen auch abseits des Abopublikums rekrutierte. Projekte wie dieses geben Hoffnung, dass die Theater, die sich im Netz oft als singuläre kulturelle Leuchttürme gebärden, durchaus von den Praktiken der Sozialen Medien profitieren können: Like, share, comment, retweet sind schließlich nichts anderes als digitale Kürzel für gemeinschaftsstiftende Interaktionen, basierend auf Emotion, Zuspruch, Diskussion und Multiplikation. Vielleicht sind in Zukunft ja auch vermehrt offen und öffentlich geführte Dialoge zwischen Theaterhäusern zu erwarten? Netztheater geht davon aus, dass die Suche nach digitalen künstlerischen Ausdrucksformen sich nicht erst daraus ergibt, dass Hygieneregeln und Distanzierungsvorgaben die Modi des Zuschauens kurzfristig verändert haben. Auch tradierte Annahmen über das Publikum sind zu überprüfen. In ihrem kollaborativen Text "Das Theater der Digital Natives" beobachten Irina-Simona Barca, Katja Grawinkel-Claassen und Kathrin Tiedemann, dass die Digitalisierung längst "in Form von Alltagstätigkeiten und Wahrnehmungsweisen" (S.16) im Theater angekommen sei. Das Theater ist kein geschützter Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist. Vielmehr tragen die Zuschauer*innen die Welt, in der sie leben, unweigerlich in ihn hinein. Das betrifft auch Praktiken des Multitaskings bzw. des 'Second Screen', also die Gleichzeitigkeit mehrerer Interfaces und Informationsquellen. Jahrhundertelang war der zentralperspektivische Blick der Barockbühne prägend für die Organisation einer exklusiven Aufmerksamkeit im Theater. Wiewohl es also eine neue Erfahrung für die Theaterhäuser ist, "Nebenbeimedium zu sein" (S. 20), wie Judith Ackermann betont, ist es höchste Zeit, diese 'verstreute' Aufmerksamkeit im Inszenierungsprozess aktiv mitzudenken und gezielt einzusetzen. Dabei ist die Diversität des Publikums inklusive der unterschiedlich ausgeprägten Media Literacy zu beachten, denn nicht alle Zuschauer*innen werden sich augenblicklich z. B. in einer gamifizierten virtuellen Umgebung zurechtfinden: "Indem ich im digitalen Raum Zusatzinformationen – Hintergrundinfos zum Stück, zur Produktion – zu meinen Inszenierungen streue, kann ich zum Beispiel auch dem 'analogen Publikum' einen Mehrwert bieten, der es aber nicht verschreckt." (S. 22) Für eine Dramaturgie des Digitalen ist Aristoteles allenfalls partiell ein guter Ratgeber. Zu viele Komponenten sind neben 'der Story an sich' an der Architektur der Erzählung beteiligt. Einige Elemente des 'klassischen' Storytellings lassen sich psychologisch für den digitalen Raum begründen: Das Überschreiten der 'Schwelle' etwa wird als zentraler Moment markiert, zumal die Spielregeln für das Dahinterliegende noch nicht festgelegt sind – die Verständigung auf "Floskeln, Rollen und Situationen" (S. 71) hat erst zu erfolgen. Friedrich Kirschner, Professor für digitale Medien an der Ernst Busch Berlin, schlägt vor, die zur Vermittlung von "Rollen- und Erlebnissicherheit" (ebd.) dringend nötigen Ausverhandlungsprozesse im Rahmen der jeweiligen Inszenierung ästhetisch zu gestalten. Dabei setzt er auf ein Miteinander, "das im Gegensatz zu den treibenden Kräften der Plattformhalter auf Erkenntnis gerichtet ist; das Handlungsfähigkeit vermittelt anstelle von Determinismus" (S. 73). In diesem Sinne schlägt Ackermann überdies vor, "modular" zu denken, also "leichte Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten" zu schaffen, "indem man immer wieder die Möglichkeit gibt dazuzustoßen" (S. 21). Wiederholt wird das Serielle als Chance für neue Theaterformen ausgewiesen, beispielsweise um "durch gemeinsames, geteiltes Wissen über einen langen Zeitraum […] eine Beziehung zu Figuren auf[zu]bauen, sie mit der eigenen Lebensrealität ab[zu]gleichen und mit Freund/innen [zu] diskutieren" (S. 72), wie Kirschner in "Teilhabe als Notwendigkeit: Theater als Raum pluraler Gemeinschaften" schreibt. Um diese Gemeinschaftsbildung ist es auch Christiane Hütter zu tun: Die Community ist das Herzstück des Theaters, weshalb die künstlerische Energie aktuell vor allem darauf zu verwenden sei, "dass Leute wiederkommen, dass sich Routinen und Rituale entwickeln, dass serielle Formate entstehen" (S. 45). Diese Community aufzubauen, "das ist ein Handwerk, das eine Strategie, Zeit und Inhalte benötigt" (S. 30), weiß auch Christian Römer, Referent für Kulturpolitik und Neue Medien der Heinrich-Böll-Stiftung, in seinem Plädoyer "Für ein Theater @home!". Essentieller Bestandteil dieser Strategie, die vorerst noch strategisch auf eine Gemeinschaft "vor der Bezahlschranke" setzen müsse, sei die "Arbeit an der eigenen Identität als Theater im Netz" (ebd.). "Ein Schaufenster in die eigene Vergangenheit stärkt die Bindung des Publikums an 'sein' Theater." (S. 29) Man möchte hinzufügen, dass die "Verbindung zur [eigenen] Geschichte" (ebd.) auch nach Innen identitäts- und strukturbildend wirken und so womöglich die ein oder andere Erschütterung abfangen kann, die die Theaterschaffenden gegenwärtig persönlich und als Gemeinschaft erleben. Wie zugkräftig Selbstmarketing bzw. 'Branding' in Sachen Follower*innenschaft ist, lässt sich beispielsweise bei erfolgreichen Influencer*innen beobachten. Der Dramatiker und Dramaturg Konstantin Küspert zeigt in "Sozialmediale Theaterräume: Die performative Parallelwelt von TikTok" überaus schlüssig auf, welche "Grundelemente theatraler Praxis" in Social-Media-Formaten zu finden sind: "TikToks müssen, um erfolgreich zu sein, praktisch immer eine Pointe haben, meistens überraschend und lustig, und damit grundsätzliche Elemente einer Narration – teilweise regelrechte Fünf-Akt-Strukturen oder Rekontextualisierungen im Miniformat – nachbauen." (S. 26) Auffällig sind auch Praktiken des Samplings, wie sie schon in Hans-Thies Lehmanns Postdramatische[m] Theater, das jüngst seinen zwanzigsten Geburtstag feierte, zu finden sind: Denn auch bei TikToks wird "reinszeniert, kontextualisiert und koproduziert" (ebd.). Aber manchmal ist es gerade das Ähnliche, das trennt. Man stelle sich etwa einen Burgschauspieler auf der Bühne eines Kölner Karnevalsvereines vor. So verlockend wasserdicht die von Küspert angestrengte Gleichung auch anmutet, lässt sich eigentlich nur in der konkreten Anwendung überprüfen, "was vom eigenen Formenrepertoire übersetzbar ist" (S. 84). Der schmerzliche Verlust öffentlicher Orte, zu denen auch das Theater als Raum der gesellschaftlichen Verständigung gehört, zieht sich leitmotivisch durch die Texte des Sammelbandes. "Die Corona-Krise ist eine Krise der Versammlung" (S. 35), bringt Dramaturg Cornelius Puschke diesen Umstand zu Beginn seines "Plädoyer[s] für 1000 neue Theater" auf den Punkt. Dass es sehr wohl auch im Internet Formen von Gemeinschaftsbildung gibt, die sich auf dezentrale Weise organisieren, beobachtet Christiane Hütter mit kritischem Interesse: "QAnon und Konsorten glänzen mit orchestriertem Storytelling, outgesourced an viele, mit einem übergeordneten World-building-Framework, das Inkonsistenzen erlaubt" (S. 41). Eine Aufgabe des Theaters könnte es sein, positive Gegenangebote zu entwerfen, die dieser Sehnsucht nach Gemeinschaft, Austausch und gemeinsamer Erzählung entsprechen. Wie aber können solche Dialog und Austausch befördernden Formate aussehen? Die interdisziplinäre Künstlerin und Game Designerin Christiane Hütter, aus deren Feder insgesamt drei Texte des Bandes und zwei Interviews stammen, entwirft zu diesem Zweck eine "Typologie von Interaktion, Kollaboration und Partizipation" in übersichtlich tabellarischer Form, denn häufig enttäuschten 'interaktive Stücke' durch "Pseudo-Interaktions-Möglichkeiten" oder "asymmetrische Interaktion" (S. 44). Angesichts der pandemiebedingten Einschnitte in die Möglichkeit, durch Handlungen 'stattzufinden', ist es eine der wichtigsten Herausforderungen an Inszenierungsprozesse, die Agency der Zuschauer*innen sinnvoll zu integrieren. Die Nachtkritikerin Esther Slevogt plädiert explizit dafür, die Webseiten der Theater als "Portale in den digitalen Raum" und "Interfaces" (S. 109) zu behandeln. Diese verstehen sich gegenwärtig eher als Sende- denn als Empfangskanäle; die einstigen Gästebücher sind längst in selbstverwaltete Facebook-Gruppen migriert und bilden hier den kulturkritischen Versammlungsort einer recht spezifischen Theaterklientel. Eine Brücke zwischen analog und virtuell, Inszenierungs- und Alltagsgeschehen könnten hybride Formate herstellen. Der Theaterregisseur Christopher Rüping beschreibt Hybridität durchaus als Challenge, weil "sich die kulturellen Praktiken des einen und des anderen so beißen". Eine Inszenierung, die so divergente Rezeptionsbedingungen berücksichtigt, sei entsprechend komplex im Herstellungsprozess und müsste "auf achtzehn Ebenen gleichzeitig" funktionieren: "Interaktivität, die nur im digitalen Raum stattfindet, während ich analog zuschaue und davon ausgeschlossen bin, ist merkwürdig." (S. 94) Zudem ist es auch für Darsteller*innen eine neue Erfahrung, auf die weder Ausbildung noch bisherige Praxis sie angemessen vorbereitet haben. So stellt Ackermann die berechtigte Frage: "Wie kann den Schauspieler/innen das Gefühl vermittelt werden, dass sie keinen Film machen, sondern dass sie mit Personen interagieren, die nicht Teil der performenden Gruppe sind – auch wenn diese Personen nicht physisch kopräsent sind?" (S. 21) 'Gemeinsames Erzählen' prägt die Entstehungsgeschichte unserer Kultur, Gesellschaft und Sozialisation. Keine Entwicklung ohne Kooperation, keine Innovation ohne Vorstellungsvermögen. Netztheater könnte ein System der jahrhundertelangen Professionalisierung von Theater neu in Bewegung bringen, weil es Expertisen unterschiedlicher Provenienz bedarf und den Grundgedanken von Crowdsourcing in Schaffensprozesse integriert. Aber sind wir wirklich bereit für künstlerische Formate mit offenem Ausgang? Widerspricht das nicht dem Prinzip von Inszenierung? Müsste man das Profil der Regie – der ja gerade im deutschen Sprachraum besondere Deutungshoheit zukommt – womöglich neu definieren? Aktionen von Zuschauer*innen, die aktiv am Handlungsverlauf mitschreiben, sind schwer zu antizipieren; die Interventionen von Trollen und Bots brechen unerwartet in den Handlungsverlauf ein. Aber vielleicht ist es angesichts der Erschütterungen von 2020 gar keine dumme Idee, statt vorgefertigter Handlungsbögen flexibel adaptierbare Aktionsmodelle zu entwerfen, mit denen auf den Einbruch des Unvorhergesehen reagiert werden kann. Frank Rieger vom Chaos Computer Club beforscht Mixed-Reality-Projekte bereits seit den 1990er-Jahren. "Hybride Räume, digitale und interaktive Formate" hätten bereits eine lange Geschichte, allerdings gäbe es immer wieder "unrealistische Annahmen über das, was die Technik am Ende leisten können wird" (S. 61). Mitunter behindere aber gerade die entgegengesetzte Annahme die Umsetzung: "Man kriegt ein staatliches Theater für eine große Produktion nur dazu, das auch im digitalen Raum zu machen, wenn die das gleiche Gefühl von ernsthafter Technik haben" (S. 94), weiß Regisseur Christopher Rüping aus eigener Erfahrung. Andere Internetformate bewiesen, dass es nicht immer schweres Gerät erfordert, denn "im digitalen Raum dieses Erlebnis [von Gemeinschaft] zu stiften" sei etwas, das "jedem mittelmäßigen Streamer gelingt" (ebd.). Die Ursache für solche Trugschlüsse sieht Rieger in der Inselexistenz, die viele Theater fristen. Der Branche fehle noch immer eine "breite Kultur des ehrlichen Erfahrungsaustausches, der Diskussion von technischen, inhaltlichen und Projektmanagement-Fehlern" (S. 62), sodass das Rad immer wieder neu erfunden werden müsse. Dem entgegenzuarbeiten beabsichtigt die im vergangenen Jahr gegründete Dortmunder Akademie für Digitalität und Theater. Gemäß ihrer Open-Source-Strategie will sie "Nerdkultur […] ins Theater reinbekommen" (S. 67) und die Erkenntnisse ihrer prototypischen Arbeit in Tutorials, Talks und Wikis zugänglich dokumentieren. In ihrer Auswertung der Netztheaterexperimente des ersten Pandemie-Halbjahres bemerken die Bandredakteur*innen Sophie Diesselhorst und Christian Rakow, dass "das Gros […] piratischen Charakter" hatte. "Es entstammte der Freien Szene oder ging auf Initiativen von Einzel-Künstler/innen zurück, die sich ihre eigene Infrastruktur bauten und einfache technische Lösungen jenseits des Stadttheater-Apparats fanden." (S. 89) Man kann annehmen, dass dieser Innovationsgeist zumindest teilweise der Not geschuldet war. Denn selbst Projekte an etablierten Häusern sind häufig von externen Zusatzförderungen abhängig. Um über den eigenen Guckkasten hinauszudenken, haben einige Theater bereits Kontakt zu freien Künstler*innen und Kollektiven aufgenommen. "Es gibt viele kleine Aufträge von Theatern, die sagen: 'Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Wollen Sie etwas ausprobieren?'" (S. 97), schreibt die britische Kritikerin Alice Saville. Diese vorsichtige Kontaktaufnahme birgt die Chance, das Gespräch darüber zu beginnen, wie sich festgefahrene Strukturen künstlerisch und wirtschaftlich öffnen lassen. Eine Möglichkeit wäre, Theater künftig als "Agenturen für das Dramatische" zu denken, wie am 13.11.2020 bei der Onlinetagung "Postpandemisches Theater" vorgeschlagen wurde, die ebenfalls auf die Initiator*innen des Sammelbandes zurückgeht. Für die Pluralität und Interdisziplinarität der Branche steht übrigens auch, dass keine der Autor*innenbiographien einen linearen Verlauf aufweist, geschweige denn sich auf eine einzige Berufsbezeichnung zurückführen ließe. Eine der aktuellen Herausforderungen besteht darin, Jobprofile zu überdenken. In Christiane Hütters Entwurf für ein "Theater der Gegenwart" ändert sich die Organisationsstruktur auch auf der Leitungsebene: "Es geht in Zukunft vor allem auch darum, die Gesamtprozesse zu koordinieren, Projektmanagement zu machen, Herstellungsleitung für Situationen, Care-Arbeit fürs Team." (S.45) Ein Kernanliegen der Publikation ist das Plädoyer für eine 'vierte', digitale Sparte – wobei zu bemerken ist, dass das digitale Theater sich diesen vierten Platz vielerorts mit dem Theater für junges Publikum teilt. Dieser Befund ist symptomatisch, werden doch Digitalität und Jugend oft zusammengedacht. Berücksichtigt man die zeitliche Dimension –"in naher Zukunft wird es nur noch Digital Natives geben" (S. 16) – wird rasch klar, dass es sich um eine voreilige Schlussfolgerung handelt. Die sich andeutende Marginalisierung verheißt wenig Gutes für die so dringend nötigen Finanzierungsstrukturen und Fördermodelle, zumal auch die Verantwortung, diese 'vierte Sparte' zu gestalten, damit demselben Personenkreis zugesprochen wird. Folgerichtig wird immer wieder sachlich bemerkt, dass zum Aufbau einer künstlerischen Infrastruktur tatsächliche Ressourcen in Form von Zeit, Geld und neuen Stellenprofilen am Theater benötigt werden. Einige Häuser haben bereits erste Schritte gesetzt und beschäftigen neben Positionen wie Social Media oder – neudeutsch – Community Management nun auch Programmierer*innen. Das Staatstheater Augsburg, das sich bereits im Frühjahr "einen Namen als VR-Hochburg mit einem umfangreichen Spielplan an Virtual-Reality-Produktionen" (S. 99) machte, hat mit Beginn der Spielzeit 2020/21 Tina Lorenz als "Projektleitung für Digitale Entwicklung" eingestellt; das Schauspielhaus Zürich holte für seine Webserie Dekalog den Designer für Virtuelle Interaktion, Timo Raddatz, ins Boot. Für eine "Digitale Sparte" argumentiert auch Elena Philipp, die die Münchner Kammerspiele, das Staatstheater Augsburg und das Hebbel am Ufer als Case Studies ins Feld führt. Die Nutzung digitaler Technologien beschränkt sich aber naturgemäß nicht nur auf die künstlerische Außenwirkung, sondern bietet auch ganz praktische Lösungen: Produktionsvorgänge –und sogar der ökologische Fußabdruck –können beispielsweise durch 'virtuelle Bauproben', 3D-Modelle und die Nutzung von Extended Reality (XR) wesentlich erleichtert werden. Mit der routinemäßigen Nutzung digitaler Technologien stehen auch neue Inhalte in Aussicht. Derzeit erfahre die Form zu große Aufmerksamkeit, zitiert Philipp Tina Lorenz, die konkrete Vorschläge für inhaltliche Schwerpunkte abseits der tausendsten Neuauflage von Goethe und Schiller macht: "Noch ist das Medium die Message, aber wir müssen Geschichten für das digitale Zeitalter entwickeln, über die Gig Economy, Smart Cities oder darüber, wie Kommunikation, Aktivismus und soziale Bewegungen im 21. Jahrhundert funktionieren." (S. 102) Der Blick der Herausgeber*innen inkludiert auch Länder, deren staatliche Subventionsstrukturen weit weniger privilegiert beschaffen sind als im deutschsprachigen Raum. Alice Saville stellt in ihrem Beitrag "Keine Show ohne Publikum" einige Beispiele aus "Großbritanniens immersive[r] Theaterszene im Lockdown" vor, die ja aufgrund ihrer Organisationsform –weit mehr Touring Companies als feste Ensembletheater –ein gewisses Training in innovativer Raumgestaltung besitzt. Der Stadtplaner und Theaterleiter Trevor Davies berichtet von seinen Erfahrungen mit der hybriden Performancereihe "Wa(l)king Copenhagen", für die 100 Künstler*innen eingeladen wurden "ab dem 1. Mai 2020 über 100 Tage lang 100 kuratierte zwölfstündige Walks […] über stündliche Livestreams digital [zu] übertragen" (S. 54). Und die Kuratorin und Kritikerin Madly Pesti erzählt am Beispiel Estlands, bei dem sich die Einwohnerzahl und die Summe der jährlichen Theaterbesuche entsprechen, von der gelungenen Kooperation von Theaterhäusern und Rundfunk, die auf ein über Jahrzehnte gepflegtes Verhältnis zurückgeht: Da die Rechte der beteiligten Künstler*innen vom Estnischen Schauspielerverband vertreten wurden, konnte eine Sonderregelung für die Dauer des Ausnahmezustands verhandelt werden, um die künstlerischen Arbeiten im kulturellen Webportal des Nationalrundfunks kostenlos zugänglich zu machen. Angesichts des vergleichsweise neuen Terrains muss das Theater sich fragen, was es aus den Erfahrungen anderer Branchen lernen kann. Denkt man beispielsweise an die wirtschaftlichen Nöte des Onlinejournalismus und die mühsame Etablierung von Paywalls, ist es sinnvoll, frühzeitig über Verwertungsmodelle bzw. den Preis von 'gratis' nachzudenken. Es gilt zu prüfen, inwiefern Limitation (zeitlich, kapazitär, Ticketing), Exklusivität (Sonderformate, Blicke hinter die Kulissen, Stichwort Onlyfans) oder Partizipations- und Mitgestaltungsoptionen als wertsteigernde Maßnahmen praktikabel und tragfähig sind. Im Kontext von Big Data ist zudem branchenweit zu diskutieren, wie sich Theaterhäuser zu privatisierten Plattformen, die ja den digitalen Raum dominieren, verhalten sollen. Erschwerend kommt hinzu, dass die ungeklärte Rechtesituation im deutschsprachigen Raum auf Netztheaterexperimente nachgerade innovationsfeindlich wirkt. "Man kann nicht Theater im Internet machen und dann aber straight die Copyright-Gepflogenheiten des Analogen anwenden wollen" (S. 93), spricht die Dramaturgin Katinka Deecke im Interview ein Feld mit raschem Klärungsbedarf an. Wiewohl alle Texte von den Lehren aus spezifischen Best Practices leben – schließlich werden die neuen Ausdrucksformate von Pionieren "des Ausprobierens, Aneignens und Entdeckens" (S. 76) entwickelt – versammelt die Publikation in einem eigenen "Produktionen"-Kapitel gezielt Besprechungen einzelner Projekte. Sinnigerweise stammen diese Texte mehrheitlich von Menschen, die berufsbedingt einen größeren Überblick über die Rezeption der Szene besitzen: Kritiker*innen und Redakteur*innen. So kommt Elena Philipps Untersuchung des "Aufbau[s] von Online-Programmen an Theatern" beispielsweise zu dem Schluss, dass "begleitend zu einer Theaterästhetik" – beispielsweise "für Virtual-Reality-Umgebungen" – auch "das Publikum dafür entwickelt" (S. 101) werden müsse. Der Umgang mit neuer Technologie ist schließlich für alle Beteiligten zunächst eine Terra incognita. Sophie Diesselhorst berichtet vom Online-Zusammenspiel der "Netztheater-Experimente aus Schauspielschulen", etwa der vielbeachteten Produktion Wir sind noch einmal davongekommen der Münchner Theaterakademie August Everding, die sich das Artifizielle des Mediums spielerisch überhöht zunutze machte und vermittels kluger Discord-Regie die Videokästchen in Bewegung setzte. Schade, dass die zitierten Experimente nicht zur Nachschau verlinkt bzw. verfügbar sind. Ein Grund hierfür könnte neben der prinzipiellen Unverfügbarkeit einmalig ausgestrahlter Livestreams sein, dass auch andere Quellen knapp einen Monat nach Erscheinen der Publikation bereits der 'Transitorik' des Internets zum Opfer gefallen sind. "Virtuelle[n] Festivalauftritte[n]" widmet sich Esther Slevogt, allen voran dem Berliner Theatertreffen mit seinen streambegleitenden Sonderformaten, die mittels Chat und Videotelefonie erstmals Fachdiskurse, die sonst wenigen Eingeweihten vorbehalten sind, mitsamt den dazugehörigen Gesichtern im Internet teilten. Für das Festival Radar Ost entwarf das Künstlerduo CyberRäuber ein weboptimiertes 360-Grad-3D-Modell des Deutschen Theaters, innerhalb dessen in verschiedenen 'Räumen', inklusive der Unterbühne, Veranstaltungen im Videoformat eingesehen werden konnten. Rückgriffe auf analoge Formate – die Berliner Volksbühne entschied sich etwa für eine Magazinanmutung bei der Gestaltung ihres Festivals Postwest – können laut Slevogt durchaus inspirierend sein: Als "Transfererleichterung für das Denken immaterieller Räume" genüge mitunter eine simple Lageplanskizze, wie es schon 1995 die Association for Theatre in Higher Education der Universität Hawai'i bewies. Wenn es gilt "Übergangsschleusen von der analogen in die digitale Welt benutzer/innenfreundlich zu gestalten", votiert Slevogt ganz klar für "Pragmatismus" (S. 109). Netztheater räumt mit dem weitverbreiteten Missverständnis auf, dass das Digitale allenfalls ein Substitut für 'das Echte' sei. Es ist an der Zeit, sich von falsch verstandenen Authentizitätsdiskursen und einer Überbetonung der 'leiblichen Ko-Präsenz', die die Theaterwissenschaft – die ja damit eine ganz eigene Agenda vertrat – an das Theater herangetragen hat, zu verabschieden. Netztheater will niemandem etwas wegnehmen. Es will das tradierte Theater keineswegs abschaffen, nicht den intimen Moment der Begegnung zweier Menschen ersetzen. Es sucht vielmehr nach technologisch unterstützten Erzähl- und Interaktionsformaten, in denen solche Begegnungen ebenfalls möglich sind. Das Digitale hat unser Denken bis in seine neurologischen Strukturen hinein verändert, die Art, wie wir kommunizieren und interagieren, wie wir uns organisieren, uns in der Welt verorten. Es hat sich in unser Verhältnis zu unseren Körpern eingeschrieben, unseren Zugang zu Wissen erleichtert und auf Herrschaftswissen basierende Hierarchien abgeschafft oder zumindest verschoben. Die Fülle an Information ist nahezu unnavigierbar geworden, Fake News haben unser Vertrauen in glaubwürdige Quellen erschüttert. Das Internet hat eine Vielzahl von alternativen Wahrheiten und alternativen Realitäten geschaffen. Das ist beängstigend, zumal in Zeiten einer Pandemie. Das 18. Jahrhundert hat das Theater als Laboratorium gedacht und die Bühne als Ort, an dem Probehandeln möglich ist, um etwas über unser Menschsein zu erfahren. Auch das Netztheater ist ein solches Laboratorium, ausgestattet mit den Gerätschaften der Gegenwart, die etwa Aufschluss darüber geben können, wie unsere Wahrnehmung beschaffen ist oder wie sich Aufmerksamkeit organisieren lässt. "Theater ist die Institution mit dem ältesten Wissen über die gesellschaftliche Kraft des Spielens." (S. 15) Philosophie und Soziologie veranschlagen im Spiel die Grundlage unseres Menschseins. Es wäre fatal, die verfügbaren virtuellen Spielzeuge und technischen Gadgets jenen Player*innen zu überlassen, deren Interessen wirtschaftlich, militärisch oder politisch getrieben sind. Indem wir unser über die Jahrtausende gewachsenes Wissen über Theatralität und Inszenierungsformen einsetzen, um spielerisch zu experimentieren, erlernen wir den Umgang damit und finden heraus, welche Weltgestaltung mit ihnen möglich ist. Die Lektüre der Beiträge zeigt deutlich: Die vielfach beschworene Minimaldefinition des Theaters – A geht durch einen Raum während B zuschaut – beinhaltet keinerlei Spezifikation, dass B sich dabei im selben Zimmer befinden muss.