Beherrschung und Gabe: Plädoyer gegen die Perfektion
In: Die politische Meinung, Band 54, Heft 10, S. 26-32
Die Vision einer menschlichen Freiheit, die von Gegebenem unbeeinträchtigt ist, hat, so der Verfasser, etwas Anziehendes, Berauschendes. Es mag sogar sein, dass die Anziehungskraft dieser Vision dazu beigetragen hat, das genetische Zeitalter überhaupt einzuläuten. Es wird oft davon ausgegangen, dass sich die Kräfte der Optimierung, die wir heute besitzen, als unbeabsichtigte Nebenprodukte des biomedizinischen Fortschritts ergeben haben - die genetische Revolution kam sozusagen, um Krankheiten zu heilen, aber sie blieb, uns mit der Aussicht auf Optimierung unserer Leistung, auf das Entwerfen unserer Kinder und die Perfektionierung der Natur zu locken. Aber es könnte genau umgekehrt gewesen sein. Man kann die genetische Zurichtung auch sehen als den stärksten Ausdruck unserer Hartnäckigkeit, uns als Lenker der Welt, als die Beherrscher unserer Natur zu betrachten. Aber diese Vision von Freiheit ist brüchig. Sie droht, unsere Wertschätzung des Lebens als Gabe zu verdrängen und uns nichts anzuerkennen und beachten zu lassen als unseren eigenen Willen. (ICF2)