Zur Theorie der dauerhaften Entwicklung in Lateinamerika: Eine neue Ideologie der Staatsbürokratie und der herrschenden Eliten?
Diese kleine Studie strebt eine Klärung der Frage an, ob und inwieweit die Theorie der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) und verwandte Lehren eine brauchbare Rechtfertigungsideologie der Staatsbürokratie und anderer Machteliten darstellt, eine Ideologie, die eine gelungene Verbindung zwischen den üblichen, für das kollektive Bewusstsein unverzichtbaren Modernisierungszielen und den aktuellen, meist von den internationalen Organisationen vorgegebenen Minimalprogrammen zum Umweltschutz vortäuscht. Im Mittelpunkt von Darstellung und Analyse steht der instrumentelle Gebrauch, den die Staats- und Wirtschaftseliten mit der Theorie der nachhaltigen Entwicklung in Lateinamerika betreiben, und nicht der innere Wert dieser Lehre, die noch über ein beträchtliches Entwicklungspotential verfügt. In Lateinamerika erfreut sich die Theorie der nachhaltigen Entwicklung einer nicht zufälligen Beliebtheit bei den verschiedensten sozialen Akteuren, politischen Parteien und ideologischen Richtungen. Es gilt nunmehr, die tatsächlichen Gründe für diese Popularität zu erhellen und der Frage nachzugehen, ob diese Lehre eventuell zu einer verzerrten Wahrnehmung von Umweltfragen beiträgt - unabhängig vom ursprünglichen Willen ihrer Urheber. Der Verfasser verfolgt mit dieser Studie ein erkenntniskritisches Interesse im Rahmen der klassischen Tradition der Ideologiekritik, die herkömmliche Phänomene von Eigennutz, Machtverschleierung und Ausbeutung fremder Ressourcen hinter hochtönenden, scheinbar progressiven Denkrichtungen aufzudecken versucht.