Integratives Gleichgewicht und gemeinsame Führung: das europäische System und Deutschland
In: Merkur: deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Band 66, Heft 11, S. 1025-1034
ISSN: 2510-4179
Über die zukünftigen Entwicklungen der EU und die Stellung Deutschlands in Europa lässt sich nach Meinung des Autors nur in einer mittelfristigen Perspektive diskutieren. Dabei kann Heinrich Triepels Hinweis hilfreich sein, dass eine gemeinsame Führung ("Kollektivhegemonie") in der Mitte zwischen Einzelhegemonie und Föderation zu verorten ist. In welche Richtung wird sich aber die EU entwickeln? Was die föderale Entwicklung anbelangt, so ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie sich mit einem großen Sprung oder "big bang" in einen europäischen Bundesstaat transformiert. Es kann allerdings sein, dass im Zuge der differenzierten Integration die föderalen Elemente in einzelnen Politikbereichen und Kerngruppen gestärkt und somit für die Gesamtunion strukturprägend werden. Sollte die EU dagegen politisch scheitern oder zu einer bloßen Freihandelszone verkommen, könnte der Weg in die Zukunft auch ein Weg zurück sein. Eine Rückbildung der Integration wäre dann mit einer schrittweisen Erosion des integrativen Gleichgewichts verbunden, was wiederum eine hegemoniale Politik befördern würde. Nach Einschätzung der Lage wäre der Kandidat dafür wiederum Deutschland, ob nun wider Willen oder auch willentlich. Die Folge allerdings wäre eine Gegenmachtbildung gegen Deutschland. Eine solche Entwicklung liegt aber eindeutig nicht im Interesse der europäischen Staaten, vor allem nicht im Interesse Deutschlands. (ICI2)