A collection of 12 papers delivered at the DAAD Postgraduate Summer School in German Studies "Norms, Normality and Normalization".Matthias Uecker: Introduction: Norms, normality and normalization; Jürgen Link: Crisis between ʻDenormalization' and the ʻNew Normal': reflections on the theory of normalism today; Helen Budd: Normalizing masculinities: representations of the military in literature and films in 1950s West Germany; Franziska Schratt: Fatherless identities in Wim Wenders' Kings of the road and Notebook on cities and clothes; Anna Stiefel: In/Out: Social norms in mechanisms of inclusion and exclusion in Miguel Abrantes Ostrowski's Sacro Pop: ein Schuljungen-Report (2004) and Michael Borlik's Ihr mich auch (2010); Sarah Maass: Normativierung, Normalisierung und Hypernormalismus: Technologien des Körpers und des Selbst in der Castingshow "Germany's Next Topmodel"; Nina Schmidt: '[E]ndlich normal geworden'? Reassembling an image of the self in Kathrin Schmidt's Du stirbst nicht (2009); Tom Padden: 'Gegen die strategische Bereitstellung für einen möglichen Krieg': the peace movement and the normalization of threat in the late Cold War; Mathelinda Nabugodi: On some methodological motifs in Benjamin; Japhet Johnstone: Inverting norms in nineteenth-century German philosophy; Martina Wagner-Egelhaaf: Norm, Form und Modell: Paradigma Autobiographie; Gesine Haberlah: Fiktionalisierte Fakten und essayistische Erinnerungen: Gattungshybridisierung in Stephan Wackwitz' Ein unsichtbares Land (2003); Alexander Scholz: Die Wahrnehmung innovativer Schriften: literarischer Stil als Normabweichung und das ästhetische Erscheinen von Texten
Intro -- Inhaltsverzeichnis -- Einleitung -- Teil I Ambient in der Musik -- "Surrounding influence" -- 1 Aufriss -- 2 Die Ambient-Reihe -- 3 Eine 'Urszene' und Texte (Theorie) zur Ambient Music: Ästhetik des Hintergrunds? -- 4 'Urszenen' der Ambient Music Teil II: Krautrock -- 5 Schluss -- Literatur -- Appendix: Brian Eno in Forst -- 1 Forst -- 2 Eno in Forst -- Literatur -- Hintergrund-Wissen -- 1 Konfektionsware -- 2 Schwingung, Licht, Wärme -- 3 Komfort -- Literatur -- Teil II Übertragungen -- Geschnittener Sinn -- 1 Der zeitliche Horizont in der Wahrnehmung – Edmund Husserl -- 2 Der zeitliche Horizont in der Literatur – Wolfgang Iser -- 3 Der zeitliche Horizont im Film – Sergej M. Eisenstein -- 4 Der räumliche Horizont im Film – André Bazin und Andrej Tarkowskij -- Literatur -- Ambient und Literatur -- 1 Ambient, Atmosphäre, Stimmung: Historische Semantik oder ästhetischer Grundbegriff? -- 2 Ambient(e) und literarische Kompaktkommunikation in der Gegenwartskultur -- 3 Es gibt sie noch, die guten Dinge: Alan Hollinghurst, The Line of Beauty und Hanya Yanagihara, A Little Life -- Literatur -- Ambient Film -- 1 Einleitung -- 2 Ambient Sound -- 3 Ambient in der aktuellen Debatte -- 4 Ambient Film -- Literatur -- Die Beiläufigkeit des Ambienten -- 1 Ambient Television und Theorien nebenbei -- 2 Spuren des Ambienten -- 3 Ökologien und andere Kontexte -- 4 Thesen zu einer Theorie audiovisueller Umgebungsmedien -- 4.1 Beiläufigkeit -- 4.2 Verfügbarkeit und Mobilität -- 4.3 Verbrauch -- 4.4 On und Off -- 4.5 Ziele -- Literatur -- Light itself: Medienästhetik des Hintergrunds in der Flugzeugkabine -- 1 Der aerial view und die Flugzeugkabine -- 2 Mediale Raumzeitlichkeit: In-Flight Entertainment -- 3 Ästhetik des Hintergrunds: Licht, Farbe, Stimmung -- 4 Mood Lighting und die Modulierung chronobiologischen Empfindens
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Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind im Kinofilm gezeigte Naturmaterialien. Dabei wird aktuellen Fragen zu Bildsprache und Präsenz nachgegangen. Um sich der Wirklichkeit der visuellen Wahrnehmung von Artefakten zu nähern, berücksichtigt Frau Röttgers sowohl das Zeichenpotential als auch das ästhetisch-sinnliche oder sinnesnahe Bedeutungspotential von Naturmaterialien im Filmbild. Da sich bildende Künstler_innen und in Folge auch die Kunstgeschichte intensiv mit der Inszenierung, Symbolik und Wirkung von Naturmaterialien auseinandergesetzt haben, ist die Arbeit interdisziplinär angelegt. Der Blick auf künstlerische sowie kunsthistorische Konzepte und Methoden sensibilisiert sowohl für die ikonografischen wie auch die wahrnehmungsästhetischen Potentiale dieser Motive im Kinofilm. Zur Erprobung der generell nutzbaren Analysemethodik konzentriert sich die Arbeit auf das Naturmaterial Erde in Kriegsdarstellungen, da sich dieses als besonders ergiebig erwiesen hat. ; This work's focus is on the embeddedness of natural materials in common movies. In order to approach the reality of an artifact's visual perception, the symbolic as well as the presentist potential of film images are investigated. As a theoretical basis, and following Cassirer's arguments, this work understands every experience as an insoluble unity that is formed through a combination of presentist and representative moments. The present work therefore proceeds from a complex meaning and action potential of natural materials depicted in film images. Doing so, the variety of connotations im-printed into those materials by cultural communication are examined. On the other hand, natural materials have a relevant role in the film's experience of presence and immersion. Hence, this thesis' aim is to provide a comprehensive strategy for an analy-sis of the visual potential of film motifs, and to take into consideration the connections and potentials of symbolic and sensory perception.
Eine besondere Rolle in Alexander von Humboldts amerikanischen Reisebericht spielt die Insel Cuba. Im Angesicht ihrer kolonialen Sklavereiwirtschaft gerät die optimistische Geschichtsphilosophie der europäischen Aufklärung in eine Krise, und die Widersprüche des Humboldtschen Diskurses treten zutage. Dieses Phänomen läßt sich insbesondere literaturwissenschaftlich analysieren: Alexander von Humboldt entwirft Cuba als einen poetischen Raum, in dem alles mehrdeutig wird. Der Text gestaltet bereits die Annäherung während der Überfahrt aus Venezuela dramaturgisch als Irritation der Wahrnehmung; der Landgang in Havanna wird inszeniert als Kontrast gegensätzlicher Eindrücke; die symbolisch-topographische Funktion Cubas in Humboldts geographischer Imagination ist eine in verschiedener Hinsicht intermediäre; und sogar Humboldts philosophisch-ästhetische Terminologie erfährt in Cuba eine semantische Aufladung mit einem ökonomisch-politischen Doppelsinn. ; Cuba has a special role in Alexander von Humboldt's American travel narrative: Humboldt's experience of colonial slave economy drives his optimistic philosophy, inspired by European Enlightenment, into a crisis, and brings to surface the inherent contradictions of his discourse. This phenomenon is particularly interesting from the perspective of literary criticism: Alexander von Humboldt conceives Cuba as a poetic space, where contradictions and ambivalences coexist. Already on the boat to the island from Venezuela he creates destablizing effects of sensual perceptions. He stages his landing in Havana as a moment of oppositional impressions. Within the symbolic topography of his geographic fantasy, Cuba functions as an imaginary in-between space. And Humboldt's philosophical and aesthetic terminology undergoes a semantic recoding in Cuba: what was once used in a philosophical and aesthetic sense, now has become charged with an economic and political meaning.
Nachdem theoretische Betrachtungen das koexistenzielle Verhältnis von Mensch und Technik im weitesten Sinne seit einigen Jahren stetig in den Fokus rücken, sind nun zwei Bücher erschienen, die sich konkret mit dem Maschinellen auseinandersetzen. Diese beiden Werke zusammenzudenken ist aufgrund ihrer unterschiedlichen Denkweisen interessant und produktiv. Während Burckhardts Philosophie der Maschine eben jene titelgebende philosophische Betrachtungsweise heranzieht, um eine Historisierung der Maschine vorzunehmen, nehmen die von Gertrud Koch, Thomas Pringle und Bernard Stiegler im Buch Machine versammelten Aufsätze das Zusammenleben menschlicher und nicht-menschlicher Akteure in den Fokus, worin speziell das Verständnis über das Politische im Maschinellen untersucht wird. Mit Animation (Koch), Automation (Stiegler) und Ökosystem (Pringle) adressiert der Sammelband das Konzept der Maschine über ebendiese drei Begriffe, während Burckhardt die Genese, wie Maschine gedacht wird, befragt. Beide Publikationen verbindet, dass sie nicht von einem "fixen Maschinenbegriff" (Burckhardt, S. 10) ausgehen und dass sie – trotz aller abweichender Perspektivierungen und Schlussfolgerungen – eine Reflektion der Maschine aus den Wechselwirkungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen heraus entwerfen. Burckhardts Abhandlung basiert auf der etymologischen Herleitung von Maschine als "Betrug an der Natur" (Burckhardt S. 56), die er konsequent als Grundlage nutzt. Das überrascht, da die in 425 Aphorismen aneinandergereihten assoziativen Gedankenstränge ansonsten durchzogen sind von Abweichungen, Verweisen, teilweise fragmentarischen Abschweifungen. So findet man sich nicht selten in einer eigenwilligen Gedankenansammlung, die eine Beschäftigung mit Moderne und Postmoderne, Simulacren und Körpern mit dem Märchen von Hase und Igel zusammenbringt (vgl. S. 21). Die kürzer und länger gefassten Aphorismen setzen folglich ein recht breites kulturgeschichtliches Vorwissen voraus. Zugleich – und das fällt positiv auf – lässt es ein Denken in viele Richtungen zu, statt einem teleologischen Leitgedanken zu folgen. An Fußnoten oder Lexika-Einträge erinnernd geben die kurzen Aphorismen die Unmöglichkeit einer vollständigen und allumfassenden Darlegung wieder, was zum Ende hin gebrochen wird, wenn das Kapitel "Eine kurze Geschichte der Digitalisierung" eben genau das versucht abzudecken und damit mit dem vorherigen erfrischenden Buchkonzept bricht. Bis dahin lädt Burckhardt nicht nur zum Mit- und Nachdenken ein, sondern macht das Buch vielmehr zu einem Gemeinschaftsprojekt zwischen Autor und Lesenden. Wenn der Stil also auf den ersten Blick als unzusammenhängend erscheint, birgt sich vielleicht gerade hierin das größte Potenzial dieser Herangehensweise. Seiner Ausgangsfrage "Wie kommt es, dass die Maschine zur zentralen Vernunftmetapher hat werden können, selbst aber ein blinder Fleck der Philosophie geblieben ist?" (S. 11) begegnet Burckhardt mit der Forderung nach der Notwendigkeit eine "Archäologie des Maschinenkonzepts" (S. 18) zu betreiben. Die Tatsache, dass sich diese Methode im Verlauf seiner Schrift zu einer "Gedankenarchäologie" (S. 290) wandelt, scheint sowohl symptomatisch für das Problem seines Vorhabens als auch für eine Verwirrung zu sein, die sich teils bei der Lektüre einstellt. Denn während Burckhardt die Kernthese entwickelt, dass die Maschine das "Unbewusste" der Philosophie sei, in dem Sinne als dass sie die Bedingungen ihrer eigenen Entstehung verleugne, mutet es zuweilen an, dass Burckhardt Maschine und Philosophie in ein äquivalentes Verhältnis zueinander setzt. Und doch ist es gerade diese Äquivalenz gegen die Burckhardt angeht, wenn er die Maschine primordial zur Philosophie verortet, indem er "nach dem Ding, das dem Denken vorausgeht" (S. 16), fragt. Entsprechend spricht Burckhardt dem Vergessen und Verdrängen eine vordergründige Funktion im Maschinen-Denken zu: Nur so sei es möglich die Gegebenheiten überwindend eine (neue) Ordnung zu einem allgemeingültigen Prinzip zu erklären. Dieses Vermögen zur Verwandlung sei dabei höchst ambivalent, da es in seinen gewaltsamsten und totalitärsten Ausformungen zu Genoziden (vgl. S. 248ff) und Versklavung (vgl. S. 83ff & 198) führe, aber ebenso auch Emanzipation und Demokratisierung fördern könne (Alphabetisierung, Metallurgie und teils auch der Computer dienen hier als Beispiele). Es wundert jedoch, dass Burckhardt seiner eigenen Kritik gegen die Gewaltsamkeit der maschinellen Begehrensordnung anheimfällt, wenn er zum einen ein eurozentristischen Verständnis von "Philosophie, Wissenschaft und Logik" (S. 282) postuliert und es als Maßstab zur Beurteilung anderer Existenzweisen des Denkens gebraucht. Zum andern sowohl inneuropäische Machtkämpfe und Konflikte als auch inter- und transkulturelle Verschränkungen außer Acht lässt und damit Europäer*innen und Nicht-Europäer*innen dichotomisch gegenüberstellt. Nichtsdestotrotz bietet die Adressierung dessen, wie grundlegend die Praxis des Vergessens und Verdrängens, des Unbewusst-Machens oder Unbewusst-Werden-Lassens für die Produktion von Wissen und Denken ist, einen Anschluss zu Pringle's Ausführungen. Denn ihm zufolge liege die Mächtigkeit der Maschine darin zwischen verschiedenen Mechanismen, wie animierenden und automatisierenden Verfahren und unterschiedlichen Disziplinen wie Ökologie und Ökonomie zu übersetzen – eine Kapazität, die durch Theorieproduktionen, welche sich deskriptiver Engführungen zwischen organischen und technischen Prozessen bedienen, befördert werde (vgl. S. 50ff). Die Problematisierung der Praxis des Analogisierens sowie deren Instrumentalisierung stellt ein zentrales Anliegen in seinem Text "The Ecosystem Is An Apparatus: From Machinic Ecology to the Politics of Resilience" dar. Darin verknüpft Pringle auf strukturierte und eingängige Weise die genealogische Betrachtung des Konzepts Ökosystem mit einer Analyse von Resilienz-Politiken in den USA. Die maschinelle Logik des ökosystemischen Denkens fasst er dort so zusammen: "[…] ecosystem as a cognitive machine raising and destroying worlds with the privileged machination of shuffling and sorting the reticulation of the psyche, environment, and technology between the poles of economic growth and the promise of renewable life" (S. 98f). Dabei ist Pringles Augenmerk für die Spuren kybernetischer Konzepte in den Theoremen von Félix Guattari und Michel Foucault gleichermaßen lehrreich wie weitergehend diskussionswürdig. In "Animation of the Technical and the Quest for Beauty" gibt Getrud Koch das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine über das technische Objekt einerseits und das ästhetische Objekt andererseits sowie dessen Interferenzen zu denken. Grundlegend genährt wird diese techno-ästhetische Perspektivierung durch ein neues Verständnis des menschlichen Wahrnehmungsvermögens ("perceptive faculty", S. 3). Indem Koch nicht länger den Körper allein als Voraussetzung des Wahrnehmungsvermögens betrachtet, sondern dieses vielmehr als Wechselspiel zwischen Mensch und Maschine begreift, wird Wahrnehmung performativ hergestellt. Dadurch argumentiert sie einen neuen ontologischen Status, in dem das Wahrnehmungsvermögen keine generische Funktion innehat, sondern als ein Dazwischentreten zwischen Subjekt und Objekt (oder besser zwischen verschiedenen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen) verstanden wird. Maschinen werden entsprechend – und ganz ähnlich zu Burckhardt – nicht als Werkzeuge oder in ihrer Mittlerfunktion betrachtet. Vielmehr intervenieren Maschinen performativ in die Handlungsspielräume der Menschen (vgl. S. 7). Die ästhetische Ebene des Technologischen adressiert Koch dabei über den Begriff des Schönen, der hier die sinnliche Wahrnehmung eines Affekts und nicht ein normiertes Werturteil meint (vgl. S. 16), und der die Empfindung von Nähe und Distanz hinsichtlich eines technischen Objekts in ein dialektisches Verhältnis zueinander rückt (vgl. S. 22). Koch endet ihren Aufsatz, indem sie diese beiden Modelle des Schönen rückbezieht auf Animation und das Kino als Schnittstelle der ineinandergreifenden techno-ästhetischen Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Auch wenn der Animationsbegriff eher vage bleibt, erarbeitet Koch damit eine spannende Perspektive auf das animierende Potential techno-ästhetischer Beziehungen, die zum Weiterdenken anregt. In seinem Aufsatz "For a Neganthropolgy of Automatic Society" diagnostiziert Bernard Stiegler eine durch die digitale Netzkultur "hyperindustrieller" Gesellschaften (S. 25) vorangetriebene epochale Umwälzung aller existentieller Ebenen; einen radikalen Einschnitt, den er in die Entwicklungsgeschichte der Proletarisierung einreiht und deren Kern der Kenntnisverlust von Wissens- und Theorieproduktion ausmache. Proletarisierung – ein Prozess der eng verzahnt ist mit Automatisierung (vgl. S. 27-31) – gibt Stiegler als einen Prozess zu verstehen, der im Zuge einer Externalisierung von Kenntnissen deren abermalige Internalisierung unterbindet (vgl. S. 30); d.h. als eine Form der Wiederholung, die verschließend wirke und Entfremdung kultiviere. Im Zeitalter der "generalized automatization" (S. 30), in dem Entscheidungsprozesse an algorithmisch gesteuerte Datensysteme abgetreten würden, drohe die kritische Arbeit der Wissens- und Theorieproduktion strukturell verhindert zu werden. Eine derartige Verunmöglichung des Theoretisierens sei wiederum durch die Verbreitung eines Ohnmachtsgefühls begleitet: "[Through digital networks] stupefaction and stupidity are being installed in a new and functional way: in such a way that disruption can structurally and systematically short-circuit and bypass the knowledge of psychic and collective individuals" (S. 25f). Entgegen dieser strukturellen Einbettung der Störung psychosozialer Bezüge macht Stiegler eine pharmakologische Perspektive stark. Gerade da digitale Netzwerke in Prozesse transindividueller Wissensgenerierung aktiv involviert seien (vgl. S. 35, 39f), könnten sie nicht nur als Gift, sondern auch als Heilmittel wirken, andere Formen von Wissen und Handlungsfähigkeit freilegen (vgl. 35, 43) und dazu verhelfen eine "automatic society founded on deproletarianization" (S. 36) mit zu konstituieren. Stieglers Essay ist ein hochkonzentriertes – und dementsprechend recht voraussetzungsvolles – Kondensat seiner langjährigen Denkarbeit, das letztlich in seine jüngste Forderung Neganthropie zu denken und mittels politischer Maßnahmen strukturell zu fördern (vgl. S. 40-44) mündet. Eine grundsätzliche Gemeinsamkeit beider Bücher liegt in der Annahme, dass die soziale Umgebung ebenso natürlich wie maschinell geprägt ist, wenn sich auch die Ebenen der Betrachtung signifikant unterscheiden. Betont wird von allen Autor*innen die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Technik, wodurch ein autonomes Subjekt, das erst Technik schafft und sie bestimmt, negiert wird. Das Maschinelle wird vorgelagert betrachtet, als das, was menschliches Handeln, Denken und Fühlen stets mitprägt. Es geht also um nichts Geringeres, als um ein neues Welt-Denken, das Maschinen und Menschen nicht in ein binäres, sich gegenüberstehendes Gefüge denkt und nicht von fixierten Subjekten, Entitäten oder Identitäten ausgeht, sondern ontologische Bestimmungen oder Zuweisungen neu denkt: als Eingreifens, als Interdependenz. Aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und Fragestellungen heraus, machen alle Texte deutlich, dass Ontologie hier nicht ohne Epistemologie zu haben ist und verhandeln diese Verschränkung zudem unter ästhetischen, politischen und sozialen Aspekten. Nicht zuletzt geben sie damit die Mechanismen von Theorie- und Wissensproduktionen kritisch zu denken.
Wenige Begriffe vermögen so viel Faszination und Unbehagen gleichzeitig auszulösen wie die Moderne. Der Begriff birgt so viele Unschärfen, dass man eigentlich gut daran tun würde, ihn zu vermeiden. Allein die Frage, was modern sei, oder wann die Moderne begann, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Vielleicht am meisten Kontur besitzt die Moderne als Epochenbegriff der Geschichtswissenschaften, wobei auch dort zwischen ökonomischen, politischen und weiteren Modernen unterschieden wird. Geradezu inflationär ist die Verwendung in der Kunsthistoriografie: Über weite Strecken des 20. Jahrhunderts wurde die Moderne als hauptsächlich ästhetisches Phänomen verstanden und tradiert, bis zur Konstruktion des längst relativierten Mythos der Begründung der Moderne allein durch das Neue Bauen oder gar das Bauhaus. Spätestens die Postmoderne hat den Begriff endgültig diversifiziert und dazu beigetragen, dass lange "als antimoderne Rückfälle" (G. Weckerlin) beschriebene Strömungen in einer erweiterten Sichtweise als Phänomene modernen Kunstschaffens wahrgenommen werden, wie etwa die Heimatschutzarchitektur oder die Monumentalbaukunst im Nationalsozialismus. Angesichts des entstandenen Spektrums ist heute von einem pluralistischen Begriff der Moderne auszugehen. Für die zweite Jahrhunderthälfte spricht man von Nachkriegsmoderne, Spätmoderne und Postmoderne. Stilistisch decken diese Varianten ein breites Feld ab – vom Funktionalismus über Strukturalismus, Brutalismus bis zum postmodernen "anything goes". Dass diese Strömungen in ihrer Begriffsdefinition sowie in der Abgrenzung zueinander teils große Ungenauigkeiten aufweisen, verdeutlicht der Begriff der Nachkriegsmoderne, der sich auf das Ende des Zweiten Weltkrieges bezieht und dabei andere Konflikte außer Acht lässt. In manchen osteuropäischen Ländern spricht man daher eher von Ostmoderne oder Sozmoderne. Unabhängig von der Wirkungsweise der Begriffe ragt die Moderne in verschiedensten Szenarien in unser alltägliches Leben hinein. Dieses Heft zeigt die Vielfalt solcher Situationen an verschiedenen Orten: bei der Betrachtung von Fassaden im Straßenraum, im Museum für Gegenwartskunst, an der Bushaltestelle oder beim Stadtlauf. Die Moderne ist so allgegenwärtig, dass ihre Werte, aber auch ihre Verletzlichkeit gerade deshalb oft nicht erkannt und erfasst werden. Mit dem Problem einer voreingenommenen Wahrnehmung und fehlenden Auseinandersetzung kämpfen zurzeit viele Denkmalämter und bürgerschaftliche Initiativen, die sich zunehmend mit den Baubeständen der Moderne beschäftigen. Das vorliegende Heft bildet eine Spurensuche nach verschiedenen Szenarien der Moderne ab, die ganz bewusst abseits der breiten Pfade verläuft. Dabei versucht das Heft, die schillernden Facetten und die trotz allem große Bindekraft des Moderne-Begriffes aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und zu ergründen.
Wenige Begriffe vermögen so viel Faszination und Unbehagen gleichzeitig auszulösen wie die Moderne. Der Begriff birgt so viele Unschärfen, dass man eigentlich gut daran tun würde, ihn zu vermeiden. Allein die Frage, was modern sei, oder wann die Moderne begann, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Vielleicht am meisten Kontur besitzt die Moderne als Epochenbegriff der Geschichtswissenschaften, wobei auch dort zwischen ökonomischen, politischen und weiteren Modernen unterschieden wird. Geradezu inflationär ist die Verwendung in der Kunsthistoriografie: Über weite Strecken des 20. Jahrhunderts wurde die Moderne als hauptsächlich ästhetisches Phänomen verstanden und tradiert, bis zur Konstruktion des längst relativierten Mythos der Begründung der Moderne allein durch das Neue Bauen oder gar das Bauhaus. Spätestens die Postmoderne hat den Begriff endgültig diversifiziert und dazu beigetragen, dass lange "als antimoderne Rückfälle" (G. Weckerlin) beschriebene Strömungen in einer erweiterten Sichtweise als Phänomene modernen Kunstschaffens wahrgenommen werden, wie etwa die Heimatschutzarchitektur oder die Monumentalbaukunst im Nationalsozialismus. Angesichts des entstandenen Spektrums ist heute von einem pluralistischen Begriff der Moderne auszugehen. Für die zweite Jahrhunderthälfte spricht man von Nachkriegsmoderne, Spätmoderne und Postmoderne. Stilistisch decken diese Varianten ein breites Feld ab – vom Funktionalismus über Strukturalismus, Brutalismus bis zum postmodernen "anything goes". Dass diese Strömungen in ihrer Begriffsdefinition sowie in der Abgrenzung zueinander teils große Ungenauigkeiten aufweisen, verdeutlicht der Begriff der Nachkriegsmoderne, der sich auf das Ende des Zweiten Weltkrieges bezieht und dabei andere Konflikte außer Acht lässt. In manchen osteuropäischen Ländern spricht man daher eher von Ostmoderne oder Sozmoderne. Unabhängig von der Wirkungsweise der Begriffe ragt die Moderne in verschiedensten Szenarien in unser alltägliches Leben hinein. Dieses Heft zeigt die Vielfalt solcher Situationen an verschiedenen Orten: bei der Betrachtung von Fassaden im Straßenraum, im Museum für Gegenwartskunst, an der Bushaltestelle oder beim Stadtlauf. Die Moderne ist so allgegenwärtig, dass ihre Werte, aber auch ihre Verletzlichkeit gerade deshalb oft nicht erkannt und erfasst werden. Mit dem Problem einer voreingenommenen Wahrnehmung und fehlenden Auseinandersetzung kämpfen zurzeit viele Denkmalämter und bürgerschaftliche Initiativen, die sich zunehmend mit den Baubeständen der Moderne beschäftigen. Das vorliegende Heft bildet eine Spurensuche nach verschiedenen Szenarien der Moderne ab, die ganz bewusst abseits der breiten Pfade verläuft. Dabei versucht das Heft, die schillernden Facetten und die trotz allem große Bindekraft des Moderne-Begriffes aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und zu ergründen.
Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab ist eines der meistverkauften Bücher der deutschen Nachkriegszeit. Es ist viel darüber diskutiert worden, ob der Text rassistisch, sozialdarwinistisch oder diffamierend ist und was die hohen Verkaufszahlen über die deutsche Gesellschaft aussagen. Wenig hingegen hat man sich mit der tatsächlichen Rezeption des Buches beschäftigt, und genau dies ist das Ziel dieses Artikels. Quellengrundlage sind die (Laien-)Rezensionen drei maßgeblicher Online-Bücherportale (amazon.de, buecher.de und bol.de). Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass die von den Rezensenten benutzten Narrative und Deutungsmuster alles andere als neu sind: Sie gleichen den Schlagworten der ästhetischen Bewegung des Sturm und Drang (was unter anderem eine vehemente Kritik an sozialen Eliten beinhaltet) und reaktivieren sie. Gleichzeitig wird deutlich, dass Themen wie Integration oder Demografie überraschenderweise nur eine untergeordnete Rolle bei der Wahrnehmung des Buches spielen. ; Thilo Sarrazin's Deutschland schafft sich ab ('Germany Does Away With Itself') is one of the best-selling books of the German postwar era. Much has been discussed of whether the book is racist, social Darwinist, or defamatory, and what the high sales figures say about German society. By contrast, there has been little work done on how the book has actually been received. This article aims to do precisely that, by using (lay) reviews from three influential online booksellers (amazon.de, buecher.de and bol.de) as source material. The reviews establish that the narratives and interpretive patterns used by the reviewers are anything but new: they closely resemble the watchwords of the Sturm und Drang aesthetic movement (which included vehement criticism of social elites) and reactivate these. At the same time, a study of such patterns makes it clear that topics such as integration and democracy have played a surprisingly subordinate role in how the book has been perceived.
Jeder Fortschritt, jede Neuerung größeren Ausmaßes in verschiedenen Medien provoziert nach einer kurzen Phase spielerischen Experiments eine erneute Konsolidierung wie deren ästhetische Reflexion: Diese Dualität kennen wir spätestens seit den Tagen industrieller Kommunikation als eine Trennung zwischen Massenkommunikation und Kunst. Dies lässt sich gleichermaßen bei der Entwicklung des zentralperspektivischen Bildes, der frühen Fotografie oder ganz besonders der Kinematografie beobachten. Nach einer ersten Phase des Kinos der Attraktionen entwickelte sich eine neue und einzigartige Formensprache des Classical Style als konventionalisierte Gestaltungsregel des Films, die zugleich und teilweise in scharfer Opposition verschiedene Gegenbewegungen auslöste oder als deren explizite Reflexion durch individuelle künstlerische Formensprachen überformt wurde. Aktuell stehen wir vor einer ähnlichen Situation, der Erfindung und Verbreitung dreidimensionaler dynamischer Techniken mit Datenbrille und anderen Technologien, die neue Formen der Virtual Production und damit des Erzählens ermöglichen - sogenanntes 'spatial' oder 'environmental storytelling'. Der Band widmet sich diesem neuen Erzählen auf drei Ebenen: Raumbild und -ton (Film), Bewegung im Raum (Computerspiel und VR) und Raum als Kontext (AR).
Bilder sind Teil der medialen Öffentlichkeit, sie konstruieren Gesellschaft. Wie machtvoll sind sie dabei? Die Autorin untersucht die soziale Gestaltung von Pressebildern in Tageszeitungen. In Feininterpretationen werden die gestalterischen Routinen der Redaktionen nachgezeichnet. Zudem wird gezeigt, wie bei der Veröffentlichung um die Auslegung der Bilder gerungen wird. Die Autorin entwickelt die qualitative Bildanalyse innovativ weiter und liefert zugleich einen eigenständigen Beitrag zur Diskussion um die Macht der Bilder. Indem Tageszeitungen fotografische Bilder verwenden, orientieren sie sich an einem 'objektiven Abbild' von Wirklichkeit und an der Annahme, die Bilder zeigten 'Realität'. Das hat weitreichende Folgen. Jedes publizierte Bild zeigt einen Ausschnitt der Welt, eine spezifische Perspektive. Damit werden andere Deutungen ausgeschlossen. Die Gestaltung sowie die Auslegung der Bilder bleiben verdeckt. Hierbei manifestiert sich die ikonische Macht. Sie äußert sich im latenten Bestreben, mit dem publizierten Bild die eigene Weltauslegung durchzusetzen. Ikonische Macht ist nicht etwa Resultat von Strategien sondern von impliziten Gestaltungsweisen. Die Redaktionen gewichten tagtäglich, was ihnen wichtig ist, indem sie die Bilder auswählen, zuschneiden und modulieren. Die Entscheidung, die 'richtige' Fotografie zu veröffentlichen, ist Teil von Routinen. In den publizierten Bildern dokumentiert sich ihr jeweiliger redaktioneller Habitus (Bourdieu). Die Studie untersucht die Rolle von Pressefotografien im Spannungsfeld von Presse, Politik und Öffentlichkeit. Die Analyse der Pressebilder basiert auf der Dokumentarischen Methode der Bildinterpretation (Bohnsack). Als Ausgangspunkt dient die Rekonstruktion der formalen Strukturen im Bild. Verglichen werden Bilder von politischem Personal in ähnlichen sozialen Situationen, die von den Tageszeitungen auf unterschiedliche Weise publiziert wurden. Darüber hinaus werden die weltanschaulichen Perspektiven der Redaktionen erforscht. Eine innovative Erweiterung erfährt diese Methode durch Vergleiche mit Bildern außerhalb des journalistischen Kontextes. Die Studie zur sozialen Gestaltung zeigt, dass politisch sehr heterogene Tageszeitungen ähnliche gestalterisch-soziale Orientierungen teilen. Der Fokus auf die Erzeugung von ikonischer Macht ermöglicht es, soziale und ästhetische Prozesse zu relationieren. Das Buch eignet sich insbesondere für Sozial- und GeisteswissenschaftlerInnen sowie für AkteurInnen aus der Bildpraxis, die an der 'Macht' öffentlicher Bilder interessiert sind.
Geht man von der Annahme aus, dass Theaterspielen eine bildende Wirkung für den Menschen hat und ein wesentlicher Bestandteil kultureller und ästhetischer Entwicklung von Menschen ist, dann stellt sich aus bildungspolitischer Sicht die Frage, ob Theaterspielen fester Bestandteil eines staatlichen Bildungsangebotes für alle Schüler sein sollte. Aus didaktischer Sicht stellt sich die Frage, in welcher Weise dieses Theaterspielen als Unterrichtsfach Theater/ Darstellendes Spiel in den schulischen Kontext integriert und strukturiert sein sollte. Dabei sind folgende zentrale Fragen zu beantworten: • Was sollten die Inhalte des Theatermachens bzw. Theaterspielens im Unterricht sein? • Wie sollte das Theatermachen bzw. Theaterspielen unterrichtet werden? • Welche theoretischen Überlegungen gehen einem Konstrukt und einer Strukturierung eines Unterrichtsfaches Theater/ Darstellendes Spiel voraus? • Welche Impulse und welches Material scheinen geeignet, Schüler in eine Theater-Praxis zu führen, die sie gleichermaßen lernen kompetent zu reflektieren? Die folgende Untersuchung versucht über die Beantwortung dieser Fragen die Lücken, die sich in der Analyse des Forschungsstandes zeigen, zu schließen und den Diskurs mit einem eigenen Konzeptentwurf für Theaterunterricht anzuregen und weiterzuführen. Mit dem Konzeptentwurf wird aus didaktischer Sicht ein theatrales Lernangebot für Schüler gemacht, das sie befähigen soll, Theatralität als kulturbildendes Element in Kunst und Alltag sensibler wahrzunehmen, ihre Funktionsmechanismen zu erkennen und selbst zu erproben. Durch die Arbeit in ästhetischen Prozessen sollen sie kompetenter im Zuschauen werden und ihre Wahrnehmung schulen und lernen, qualifiziert darüber zu reflektieren und sich mündlich und schriftlich angemessen dazu zu äußern. Sie können lernen theatrale Vorgänge in ihrer Zeichenhaftigkeit, ihrer Performativität und sinnlichen Qualität zu erkennen und zu beschreiben. ; If one starts from the assumption that theatre plays have an educational effect on people and are an essential component of cultural and aesthetic development of people, then from an educational policy point of view the question arises whether theatre plays should be an integral part of a state educational offer for all pupils. From a didactic point of view, the question arises as to how this theatrical acting should be integrated and structured in the school context as a teaching subject. The following key questions need to be answered: - What should be the contents of making and playing theatre in class? - How should theatre making and acting be taught? - Which theoretical considerations precede a construct and a structuring of a subject theatre/performing arts? - Which impulses and which material seem suitable to lead students into a theatre practice, which they learn to reflect competently in equal measure? By answering these questions, the following study tries to close the gaps that appear in the analysis of the state of research and to stimulate and continue the discourse with my own conceptual design for theatre lessons. From a didactic point of view, the concept design offers theatrical learning for students, enabling them to perceive theatricality as a culture-forming element in art and everyday life more sensitively, to recognize its functional mechanisms and to try them out for themselves. By working in aesthetic processes, they should become more competent in watching and train their perception and learn to reflect on it in a qualified manner and to express themselves appropriately both orally and in writing. They can learn the theatrical processes in their symbolic quality, their performativity and sensual quality. and to describe them.
In Markus Rautzenbergs neuester Monographie Bild und Spiel. Medien der Ungewissheit werden die audiovisuellen, medialen, kulturellen und technologischen Konfigurationen Bild und Spiel mit der Erfahrung von radikaler Ungewissheit, dem Umgang mit Unsicherheit und dem Erkunden von Unbestimmtheit in Bezug gesetzt. Kontingenz wird in diesem Kontext sowohl als eine grundlegende Bedingung menschlichen Lebens verstanden, als auch als "wesentliches Merkmal heutiger hochtechnisierter und globalisierter Kulturen" (S. 3) – verwiesen wird dabei unter anderem auf ihre Rolle innerhalb poststrukturalistischer Theorien oder als Grundlage für mathematisch berechnete Spekulationen im Kapitalismus. Medien erlauben nicht nur die Erfahrung von Kontingenz, sondern ermöglichen auch, dass mit ihr und durch sie gehandelt wird. Kontingenz kann beispielsweise domestiziert werden – die Beherrschung der Ungewissheit als die Zweckrationalität des Krieges – oder sie kann in Alltagspraktiken aufgehen – die Illusion der Unsterblichkeit im Computerspiel und die Wiederholbarkeit von Praktiken in digitalen Medien. Zentral für den Umgang mit Kontingenz ist dabei das framing, denn als "framed uncertainty" (S. 10) wird Ungewissheit im zweifachen Sinne analysierbar: einerseits wird sie durch eine Differenz gerahmt; anderseits steht framed hier auch für hereingelegt, in eine Falle gelockt werden. Computerspiele stellen diese paradoxe Dopplung von framing aus, wenn sie die Lust am Zufall auf den narrativen und mechanischen Ebenen verhandeln, gleichzeitig dies aber nur auf Basis von mathematischer Berechenbarkeit geschieht, welche es wiederum nicht erlaubt "realen Zufall und Entropie zu generieren" (S. 10). Ausgehend von dem Konzept der gerahmten und gebannten Kontingenz beschäftigt sich Rautzenberg im ersten Teil seiner Monographie mit Bildlichkeit, im Zweiten mit Ludik. Beide Auseinandersetzungen umfassen dabei sechs Kapitel. Die beiden Teile sollten jedoch nicht als getrennte Auseinandersetzungen gelesen werden, sondern als sich gegenseitig kommentierende Bereiche, denn es geht darum aufzuzeigen, "dass Bildlichkeit über Ludizität und das Computerspiel über die ihm eigene Ikonizität analysiert werden können" (S. 202). So werden ludische Epistemologien von Bildern und digitale Bildlichkeiten von Spielen ebenso untersucht, wie die Grenzen und Transgressionen zwischen verschiedenen medialen Konfigurationen und Wahrnehmungsformen. Die Wechselwirkungen von ikonischen und ludischen Medien verhandelt Rautzenberg im Verhältnis zu unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen, medientheoretischen, anthropologischen und medienphilosophischen Perspektiven. Dabei führt er verschiedene Stränge zusammen, die er zuvor in Artikeln und Vorträgen ausgeführt hatte. Trotz des Fokus' auf technologische und audiovisuelle Mediensysteme – insbesondere Fotografie, Spielfilm und Computerspiel – bezieht er historische Kontexte mit ein, insbesondere im Zusammenhang mit der europäischen Ideen-, Literatur- und Kunstgeschichte. Herausgestellt werden unter anderem die Bezüge zwischen Bild und Spiel als Medien der Ungewissheit und den Schriften von Roland Barthes, Gregory Bateson, Walter Benjamin, Martin Heidegger und Karl Marx. Im ersten Teil des Bands wird Bildlichkeit als mediale Konfiguration analysiert, wobei der Schwerpunkt auf der Relevanz von nicht visuellen Elementen liegt. Das Ziel ist aufzuzeigen, wie diese Bildlichkeit als Wahrnehmungskategorie herausgefordert wird. Eine solche nicht visuelle Dimension von Bildlichkeit ist beispielsweise die Zuschreibung von Lebendigkeit an Photographien oder Computeranimationen. Die Ambivalenz der Untoten, die paradoxe Gleichzeitigkeit von Leben und Tod, wird anhand des Motivs des Zombies erläutert – wobei nicht nur auf die wandelnden Leichen der Popkultur eingegangen wird, sondern auch auf den unheimlichen Uncanny Valley-Effekt von computeranimierten Figuren, sowie auf die geisterhafte An- und Abwesenheit in Hitchcocks Vertigo (1958). Aufgezeigt wird dabei, dass optische "Eigensinnigkeit" oder "Eigendynamik" (S. 37) Irritation hervorrufen, welche die Ungewissheit als elementaren Teil der Wahrnehmung von Bildlichkeit festsetzen. Weitergehend wird mit dem Begriff der Evokation das Wechselspiel von auditiven und visuellen Medien beschrieben. Evokation – mit den verschiedenen anklingenden Bedeutungsebenen als Beschwörung, Ritual und Rhetorik – verweist auf das Wechselspiel von Sehen und Hören, vom Entzug und der Einsetzung von Stimmlichkeit als Wahrnehmungskategorie des Bildhaften. Ausgehend von Andrei Tarkowskijs filmischen Werk und Roland Barthes Texten über Fotographie, beschäftigt sich Rautzenberg mit dem Verhältnis von Sprache, Bild und dem Einfluss der traditionellen japanischen Gedichtform Haiku. Diese Form dient für Tarkowskij und Barthes als ein "Schlüssel zum Verständnis von Bildlichkeit, weil das Haiku die vermeintlich festen Grenzen von Bild und Sprache zur Disposition stellt" (S. 70). Ausgehend davon lassen sich nicht nur die inter-, sondern auch transmedialen Eigenschaften von Bildlichkeit in den Blick nehmen. Verhandelt werden daran anknüpfende Aspekte, wie Zeitlichkeit im Bild als verschiedene Formen von Intensivierung und Verdichtung und die Nicht-Darstellbarkeit des framings. Computerspiele als "drangvolle Zeichenwelten, in denen alles Sinn machen muss" (S. 162) bilden den Knotenpunkt für den zweiten Teil des Buchs. Ausgangspunkt ist dabei die Spannung zwischen visuell generiertem Realismus, welcher dazu dient Involvierung und Immersion zu erzeugen, gegenüber der Selbstreferenz von Spielen, als bewusster Akt der Optimierung. Diese Opposition erzeugt einen Bruch zwischen der als unvermittelt erscheinenden Natürlichkeit der Spielwelt und der Künstlichkeit der erstellten Simulation. Als Medium ermöglichen Computerspiele die "simultane Koexistenz herkömmlicherweise inkompatibler Ebenen" (S. 14), wenn Partizipation (am Spielen) mit der Beobachtung (des Spielens) verschränkt wird. In diesem Zusammenhang geht Rautzenberg auf Kontingenz und ästhetische Erfahrung, das Wechselspiel von Intensität und Rhythmus, sowie den Einfluss von Evokation, experimentellen Anordnungen und der Epistemologisierung des Ästhetischen ein. Unter anderem werden in Bezug auf Räume und Typographien paradoxe Formen der Gleichzeitigkeit im Computerspiel untersucht. Anhand von Analysen von Diablo 3 (2012) und Bloodborne (2015) wird veranschaulicht, wie diese mit der Differenz zwischen mathematischer, logischer Berechnung und der Lust an Kontingenz, als Erfahrung von Zufall in Spielmechanik und Narrativen, umgehen. Die Spielmechanik des sich stetig wiederholenden Ansammelns von zufälligen Gegenständen, die grundlegende Handlungsschleife in Diablo 3, sowie die Etablierung eines Aktionshauses, werden in Relation zum Warenfetisch nach Marx gesetzt, um aufzuzeigen, wie durch diese Praktiken virtuelle Gegenstände zu Statussymbolen und Spielen zu einer Form der Arbeit werden. In Bloodborne wiederum wird Ungewissheit auf der narrativen Ebene inszeniert, in der Verlassenheit als Grundstimmung des Spiels, welche im Kontrast zu den komplexen Mechaniken steht. Rautzenberg schlussfolgert: "Computerspiele entlasten und entwöhnen von Kontingenzerfahrung" (S. 118), indem sie gleichzeitig die Lust am Zufall als spielerische Auseinandersetzung mit Kontrolle und Probehandlung ausstellen, als auch das Paradox der Kontingenz auf Basis von Berechnungen vermitteln. Virtuelle Topographien wiederum bilden in Computerspielen einen ludischen Möglichkeitsraum, welcher es Spieler_innen ermöglicht Kontingenz räumlich zu erkunden. Die Relation von Karte und Territorium nach Bateson wird in diesem spielerischem Umgang transformiert: "In der Exploration werden hier Karten zu Territorien, Orte zu Räumen und umgekehrt. Dabei wird die Differenz nicht verwischt, sondern sie zeigt sich in ihrer Interdependenz vor dem Hintergrund ihrer Differenz" (S. 134). Diese Umkehr lässt sich anhand des Einflusses der Höhlenforschung auf Computerspiele nachvollziehen – beispielsweise im Modus der Exploration, von Textadventures bis hin zu Tomb Raider (1996). In Bild und Spiel. Medien der Ungewissheit verhandelt Rautzenberg den Umgang mit Kontingenz als "den geistigen, existenziellen, politischen und sozialen Problemhorizont der Gegenwart" (S. 202). Dabei nehmen die medialen Konfigurationen Bildlichkeit und Ludik als paradoxe Handlungs- und Erfahrungsräume in Bezug auf Wahrnehmung und Wissensgenerierung eine besondere Rolle ein. Im Umgang mit diesen Mediensystemen werden Ungewissheit, Unsicherheit und Unbestimmtheit nicht getilgt, jedoch ermöglichen die medialen Praktiken eine Auseinandersetzung Kontingenz und teilweise temporale Bewältigung dieser. Rautzenberg gelingt es, einerseits durch die Analyse von verschiedenen Computerspielen und Spielfilmen, anderseits in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Diskursen – beispielsweise mit Fokus auf nicht visuelle Dimensionen von Bildlichkeit, Evokation und Topografie – aufzuzeigen, wie Ungewissheit ge-framed wird, im Sinne von lustvoller Auseinandersetzung und der "Domestizierung von" (S. 205). Insbesondere Wissenschaftler_innen, die sich für die Überschneidung von medientheoretischen und philosophischen Perspektiven interessieren, können daher in dem Buch viele interessante Überlegungen und Anknüpfungspunkte finden. Gerade durch die Zusammenführung von Erkenntnistheorie und Wahrnehmung, sowie Bildwissenschaft und Computerspielforschung, wird in der Monographie aufgezeigt, wie diese oftmals getrennt betrachteten Bereiche von dieser wechselseitigen Durchkreuzung profitieren.
Das Kino hat in seiner Geschichte unterschiedliche Adressierungen des Publikums ausgebildet. »Einstellungen der Öffentlichkeit. Filmische Konfigurationen von ›Ich‹ und ›Wir‹« widmet sich diesem Phänomen im Spannungsfeld von ästhetischen und gesellschaftstheoretischen Fragestellungen und aus der Perspektive einer ausdifferenzierten medialen Gegenwart. Im Zentrum der Tagung steht die Wechselwirkung zwischen dem einzelnen »Ich«, das – stark zugespitzt – für Subjektivität, Affekt und Wahrnehmung des individuellen Zuschauers steht, und dem sozialen »Wir« des Massenmediums Film, dem sich verschiedene Utopien in Kunst und Politik seit den 1920er Jahren stets aufs Neue gewidmet haben. The event, like all events at the ICI Berlin, is open to the public, free of charge. The audience is presumed to consent to a possible recording on the part of the ICI Berlin. If you would like to attend the event yet might require assistance, please contact Event Management.Throughout its history, cinema has developed different modes of addressing spectators. Incorporating approaches from aesthetic and social theory, »Perspectives on the Public Sphere: Cinematic Configurations of ›I‹ and ›We‹« investigates the public sphere in the context of the complex state of contemporary media. More specifically, the conference will focus on the reciprocity between the individual »I«, which can — to simplify matters somewhat — stand for subjectivity, affect, and the individual spectator's perception, and the social »we« of film as a mass medium, which has frequently been the focus of various utopias and theories at the intersection of politics and aesthetics since the 1920s. Mit Unterstützung des ICI BerlinThe event, like all events at the ICI Berlin, is open to the public, free of charge. The audience is presumed to consent to a possible recording on the part of the ICI Berlin. If you would like to attend the event yet might require assistance, please contact Event Management. ; Einstellungen der Öffentlichkeit: Filmische Konfigurationen von »Ich« ...
Die bibliothekarische Diskussionen der letzten Jahre entbehren nicht einer uninteressanten Dichotomie: Herausforderungen durch Digitalisierung, Virtualisierung, "Verdatung" auf der einen Seite, Diskussionen von profilgebenden "handgreiflichen" Themen wie Nutzerorientierung, Dienstleistung und Bibliotheksbau auf der anderen Seite. Das räumlich-infrastrukturelle Angebot von Bibliotheken hervorzuheben, ja funktional auszuweiten, ist "en vogue": Im oft benutzten Begriff des Dritten Ortes verbinden sich etwa Vorstellungen von gesellschaftlicher Relevanz mit konkreter Bau- und Ausstattungsplanung (Haas et al. 2015). Wissenschaftliche Bibliotheken fokussieren ihre Neu- und Umbauten mit Raumnutzungskonzepten, die sie als Lern- und Forschungsumgebung konstituieren – das ist prinzipiell zwar keine neue Funktion, wird aber durch ein neues Angebot an möglichen Szenarien und Hilfsmitteln ein ungleich grössere Bedeutung beigemessen. An diesem "spatial turn" abzulesen ist unweigerlich dass Bibliotheken gerade in der Sublimierung zur "Digitalen Bibliothek" damit beginnen die Funktion, Wirkung und Bedeutung ihrer physischen Infrastruktur zu reflektieren. Wo der Medien-Umschlagsplatz über kurz oder lang marginal wird, wird die Bibliothek zum Ermöglichungs- und Realisierungsraum von Dienstleistungen an Nutzern. Und benötigen wir diesen Raum noch zumindest teilweise für persönliche und automatisierte Angebote stellen virtuelle Dienste mit ihren Entwircklungslinien von Ubiquität und Mobilität "Bibliotheksräumlichkeiten" durchaus in Frage. Die Frage drängt sich auf: Was kommt nach dem Lernort? Bibliotheken zu bauen ist keine typische Lieblingsbeschäftigung von Bibliothekaren, Gebäude unter integralem Denkmalschutz im Kampf diversen starken Stakeholdern zu einer modernen nutzerfreundlichen Bibliothek umzubauen ist eine veritable Herausforderung (Giella 2015). Gibt es trotzdem Gründe dafür? Kann es sich lohnen, Räumlichkeit strategisch zu wählen, planen, pflegen und zu präsentieren? Kann der Raum/Ort an sich ein entscheidendes Asset für Bibliotheken darstellen? Im Fall der ZHAW Hochschulbibliothek Winterthur können wir nach eineinhalb Jahren das Fazit ziehen dass ein spezifisches Gebäude Wahrnehmung und Position einer Hochschulbibliothek entscheidend mitprägt. Führungen durch das Gebäude, ein Angebot dass vormals nur sporadisch in Anspruch genommen wurde, wurden über Nacht zum Renner: Über 1400 reine Führungsteilnahmen, die Hälfte davon von hochschulexternen Personen und weitere 2250 Teilnahmen an Bibliothekeinführungen und IK-Veranstaltungen mit Führungsanteilen im Jahr 2015 sprechen Bände. Warum dieses Interesse an der "neuen HSB", von Gruppen aus Administration, Politik, Bildung, Architektur und Planung, von Berufskollegen, Alumni, Medien und zahlreichen Einzelbesuchern? Auch wenn wir es gerne manchmal anders hätten: Im Zentrum des Interesses steht das Gebäude bzw. die wunderbar gelungene Verschmelzung von historischer Grundlage und modernen Einbauten. Die zu erwartende grosse Nachfrage nach diesem neuen Raum hat uns bewogen eine ebenso besondere mediale Repräsentation und Reflektion zu schaffen. Kein normaler Bibliotheksrundgang, keine Einführung in die Benutzung, sondern eine Auseinandersetzung mit Arbeit und Arbeitsort in Vergangenheit und Gegenwart, eine Hommage an das Gebäude von dessen Aura wir in Zukunft zehren können und an die Menschen, die hier gewirkt haben. Was haben wir konkret gemacht? Im Kern das, was wir als Bibliothekare am besten können: Informationen gesammelt und zur Verfügung gestellt. Ausgetauscht und Freiraum geboten und uns schliesslich überraschen lassen. Was haben wir erhalten? Überragendes Engagement, Begeisterung, Herzblut und eine kaum abschätzbare Kreativität von Schöpfern und Mitwirkenden: Allen voran des Medienkünstlers Marc Lee und dem E-Learning-Team der ZHAW, dem ehemaligen Sulzer-Lehrling Jürg Hablützel sowie weiterer performativer Künstler. Was können wir unseren Nutzern und Besuchern bieten: Eine einzigartige, kontemplative Erfahrung unseres Gebäudes, in der sich die zeitlichen und räumlichen Realitäten überlagern. Kein Architektur-Rundgang im klassischen Sinn, aber zum Entdecken und genauen Hinschauen einladend, kein historische Dokumentation, aber durchaus lehrreich, keine Einführung in die Benutzung, aber Neugier auf die Bibliothek weckend. An physischen und virtuellen Eindrücken reich und doch zum Nachdenken anregend, ästhetisch und überraschend anders. Eine Zusammenlegung und ein Neubezug war aus praktischen Gründen des Wachstums und der Optimierung von Dienstleistungen nötig: Notwendige Infrastruktur und Kapazität für Lern- und Forschungsplätze und bibliothekarische Arbeitsumgebung . Aber der neue Bibliotheksraum, die "Halle 87", ist mehr noch ein Asset an sich: Ein markantes Gesicht für die Bibliothek und Hochschule. Wahrnehmung und Position der Hochschulbibliothek haben sich in der Hochschule, in der Stadt und im Kanton verändert. Die Hochschule verfügt mit dem Gebäude über neue zentrale Adresse, die auf die historische Verbindung zur Stadt, zum wissenschaftlich-technischen Fortschritt und zur Moderne verweist. Einen komplizierten Umnutzungsprozess ist das wert – und eine besondere, zeitlose Hommage.
Die grundsätzliche Annahme des nicht nur ästhetisch ansprechenden, sondern auch sehr leser*innenfreundlich lektorierten Buchs Dividuationen. Theorien der Teilhabe (2015) von Michaela Ott, liegt in der Beobachtung, dass Einzigartigkeit und "Unverwechselbarkeit" (S. 20) aufgrund von Vernetzung nicht möglich ist. Zwar wird die Unmöglichkeit von gedachter und wahrgenommener Einheit und harmonischer Balance nicht zum ersten Mal diskutiert, sondern ist in unterschiedlichen Ent- oder Desubjektivierungstheorien ein stets wiederkehrendes Moment, doch betont Ott zurecht die neu aufgekommene Relevanz der heutigen digitalen Kommunikationssituation. Räumlich und zeitlich klar definierte und abgeschlossene Kollektive werden von flexiblen Teilhaben abgelöst, weshalb die Definition eines einheitlich-handelnden Individuums nicht länger tragbar ist (und, wie Ott betont, nie tragbar war). Die Gefüge, in denen wir agieren, sind offen, teilbar, kurzfristig und wandelbar. Das von Ott beschriebene Dilemma ist nun, dass das Subjekt dementsprechend weder als Individuum noch als Gemeinschaftswesen gedacht werden kann. Ott bringt deshalb den Begriff der 'Dividuation' in die Debatte über Neusubjektivierungen ein. Dieser Terminus impliziert die Wandelbarkeit und die Unabgeschlossenheit der "Einzelexistenz" ebenso wie die miteinander verschränkten "Teilhabeprozesse" selbst (S. 21). Den Begriff leitet Ott von Simondons Terminus der 'Individuation' her, der Subjekte als "nicht abschließbares Gefüge verschiedener (Teil)Individuationen von Einzelpersonen" (S. 54) definiert und damit eine Absage an Begriffe wie 'Individuum' und 'Individualisierung' erteilt. Den Einstieg sucht Ott über ein Filmbeispiel (A Prairie Home Companion, 2006), das die Defizite des menschlichen Wahrnehmungsprozesses veranschaulichen und einen vereinzelten Wirklichkeitsbezug verdeutlichen soll. Dabei demonstrieren die filmische Kadrierung, Perspektivwechel, Kamerafahrten und damit das Gezeigte ebenso wie das Nicht-Gezeigte Verflechtungen, die auf der einen Seite über einen individuellen Blick hinausgehen, auf der anderen Seite den rezipierenden Blick unvorhersehbar teilen, verdoppeln oder brechen. In der Annahme, das menschliche Sehen und in Folge dessen das Wahrnehmen selbst sei grundsätzlich eingeschränkt, fragt Ott nach den individuellen Anteilen der Konstruktion einer Außenwelt sowie zugleich nach äußeren "Kräfteverhältnissen" (S. 14), die die menschliche Wahrnehmung mitbestimmen. Das einleitende Beispiel dient dabei der Veranschaulichung ihrer Grundannahme, dass Subjektivierungen niemals unabhängig von affizierenden Außeneinflüssen betrachtet werden können. Die Argumentationsstruktur folgt gemäß der Gliederung einem klassischen Aufbau. In der im Verhältnis zu den anderen Kapiteln eher untypisch detaillierten Einleitung wird die anschließend folgende Argumentation verstärkt über die Beschreibung der Ausgangssituation dargelegt. Dabei geht Ott nicht von einer 'Krise des Subjekts' aus, der die irrige Annahme einer fixen ontologischen Zuschreibung vorausgehen würde, sondern betont eine historische Variabilität innerhalb der Subjektivierungstheorien, welche immer (auch) den fluiden, widersprüchlichen Charakter des Subjekts berücksichtigten. Diese nicht gesicherte und deshalb unzuverlässige Instanz des Subjekts wird demnach nicht als eine Zäsur verstanden. Aus diesem Grund ist es nur konsequent, dass Ott unterschiedliche Subjektivierungsansätze, die die menschliche Wahrnehmung in ein Verhältnis mit dem Weltwerden stellen, in dem ersten Kapitel Individuum/Individualität/Individuation voranstellt. Hierin präsentiert Ott eine chronologische Zusammenstellung unterschiedlicher Betrachtungsweisen, an deren abschließende Terminologie ihr Konzept der Dividuation direkt anknüpft. Begonnen bei den griechischen Atomisten richtet sich der Fokus noch sehr grundsätzlich auf die Frage nach einer möglichen Zusammensetzung eines vormals als Entität gedachten Kosmos, die eine Teilbarkeit bzw. miteinander in Zusammenhang stehende Teile impliziert. Diese erste Annäherung an das Teilbare wird über die philosophischen Ansätze des 17. Jahrhunderts weitergeführt. Interessant sind hier nicht nur das Wechselverhältnis zwischen Staat und Individuum, sondern zugleich die Vorwegnahme einer globalisierten Dimension, die aktuell in den Debatten um digitale Kommunikationsapparate aufgrund ihres scheinbar welt-verbindenden Elements wieder aufgegriffen werden. So liegen Assoziationen zwischen einer angestrebten "Menschengemeinschaft" (S. 84) und dem heutigen weltweiten Vernetzungsgedanken nahe. Ott verfällt hinsichtlich dieser Gedanken jedoch erfreulicherweise nicht in techno-euphorische Phantasmen, sondern behält ihren kritischen Blick, indem sie Schieflagen in ökonomischen und politischen Verteilungen sowie soziale, finanzielle und andere gesellschaftliche Ausgrenzungen immer mitbedenkt. Die Historisierung von Subjektivierungsweisen verbleibt hingegen bei westlichen Philosophien, wenn (Ent-)Individualitätskonzepte etwa von Marx, über Nietzsche, Locke, Rousseau, Freud, Canetti, Adorno und Arendt bis zu gegenwärtigen Gesellschaftstheorien wie die von Luhmann chronologisch abgehandelt werden. Zwar mag die Unverhältnismäßigkeit in Länge und Ausführung auf den ersten Blick verwirrend erscheinen (dieses erste Kapitel nach der Einleitung ist mit knapp 100 Seiten fast viermal so lang wie das zweite, das sich unter dem Titel Dividuell/Dividuationen mit dem zentralen Thema des Buches zu beschäftigen scheint), doch beinhaltet die Vorarbeit in Rückbezug zu Individuationstheorien bereits einige wesentliche argumentative Anknüpfungspunkte zum Dividuations-Ansatz. Zudem liegt der Schwerpunkt primär auf der Einordnung in verschiedene Dispositive, denen Ott insgesamt drei Kapitel widmet sowie auf der Herausarbeitung der digitalen Medienspezifik. Die damit verbundenen Subjektivierungsstrategien werden von Ott jedoch wiederkehrend in einen historischen Bezug gestellt, der die genauere Betrachtung vergangener Entwicklungen nötig macht. Nichtsdestotrotz hätte diese historische Einordnung einen weniger allumfassenden Charakter erhalten können, um dem Gegenstand des Dividuellen auch formal Rechnung zu tragen. Die an mancher Stelle eventuell unnötig verkomplizierenden Formulierungen (z.B. "bedingt unteilbare Vielfachunterteiltheit" S. 21) behindern die Klarheit der Ausgangsfragen und des Argumentationsverlaufs nicht wesentlich, wodurch die grundlegenden Überlegungen hinter Otts Gedanken des 'Dividuums' deutlich hervorgehen: Wie können wir uns noch als Agierende empfinden, bei dieser Vielzahl und Diversität von Vereinnahmung und Beeinflussung? Stets geht es dabei um das Verhältnis von Beteiligungsmöglichkeit und Autonomie. Sind wir in der Lage unsere Teilhabe selbstbestimmt zu steuern? Auch hier vergisst Ott nicht, diese Frage in den Rahmen von sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu stellen. Denn neben dem Zweifel an Selbstbestimmung ist es auch eine, global betrachtet, ungleiche Verteilung von "Partizipationschancen" (S. 17), die Ott kritisiert. Ganz im Gegenteil zum ersten haben die darauffolgenden Kapitel einen fast rhizomatischen Charakter. Dabei arbeitet Ott sehr überzeugend die Verknüpfungen unterschiedlicher Diskurse heraus. Mögen in der Einleitung Vergleiche zwischen biologischen Mikroorganismen und digitaler Beeinflussung, die eben nicht nur auf das Verhalten einwirken, sondern gleichermaßen an neuronale Reize 'andocken' und diese mitdeterminieren, noch befremdlich wirken, werden in Kapitel III bis V durchaus schlüssige Vernetzungen zwischen den Dispositiven der Biologie, Soziologie und Kunsttheorie hervorgehoben, die die Verhältnisse von Einheit und Teilbarkeit ebenso hinterfragen, wie die von Selbst- und Fremdbestimmung. Die gekonnten Überleitungen tragen zu einem größeren Argumentationsverständniss bei, zugleich eröffnet Ott durchlässige Verbindungslinien zur kognitiv-neuronalen Fremdbestimmung durch digitale Apparate. So ergibt sich die Medienspezifik nicht aufgrund eines unbekannten Phänomens, da Subjektivierungsdebatten und der Zweifel an einem einheitlichen Individuum nicht neu sind. Vielmehr argumentiert Ott, dass sich die Ambivalenz und die widersprüchliche Erfahrung von Partizipation und Vereinnahmung in der digitalen Kommunikation am deutlichsten widerspiegeln. Ihrer Meinung nach führt die Nutzung aller vernetzenden Angebote zu einer Verschmelzung mit den Geräten, indem unser Nervensystem auf die Reize der Dauerrezeption reagiert. Die hervorgerufenen Empfindungen, der Wunsch nach Partizipation wird als eigen-evoziert und nicht fremdbestimmt wahrgenommen. Die Frage nach dem Einfluss ist hierbei entscheidend, der über die dividuelle Identität beschrieben wird, indem das Subjekt von diversen Eindrücken und Teilhaben beeinflusst ist und darüber hinaus überhaupt erst aus diesen entsteht. Im letzten Kapitel Ästhetisch-künstlerische Dividuationen schafft Ott es, von einer spezifischen Medien-Anschauung auf ein größeres Weltverständnis zu verweisen ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Mithilfe konkreter Beispiele werden globale Zusammenhänge, die die unterschiedlichen Teilhaben berücksichtigen herausgearbeitet. Hieraus entstehen Angebote für ein neues "menschliches Selbstverständnis" (S. 311), die sich entschieden gegen Annahmen eines gesteigerten Individualitätsbestrebens richten. Dabei verfallen sie aber nicht in nostalgische Vorstellungen einer ökonomischen Gleichberechtigung durch globale Vernetzung. Einem 'One World'-Gedanken genau entgegengestellt, eröffnet Ott einen grundsätzlich kritischen Blick auf Subjektivierungsprozesse (S. 262) und Wirklichkeitsverhältnisse. Der vielfältige Blick auf unterschiedliche Gesellschaftsbereiche der bio(techno)logischen, sozio(techno)logischen und ästhetisch-künstlerischen Ausverhandlungen unterstreicht ohne Zweifel die Relevanz der von Michaela Ott ausgeführten Darlegungen. Zugleich zeigt sich hierdurch verstärkt die Innovation ihrer Arbeit. Neben einigen sprachlichen Verkomplizierungen, die der ansonsten so auf Verständnis ausgerichtete Text nicht nötig hätte, fällt insbesondere die akribische Differenzierungsarbeit positiv auf. Und zuletzt trägt auch der strukturelle Aufbau zur Überzeugungskraft bei. Man kann davon ausgehen, dass sich am Ende des Buches das letzte künstlerische Beispiele mit dem Thema Wasser beschäftigt – das Element, mit dem die griechische Philosophie anfing über Einheit und Weltbezug nachzudenken.