SummaryTHE ROLE AND FUNCTION OF RURAL SOCIOLOGYRural sociology as an applied field results from the interaction between academic and research organizations on the one hand, and policy making and action agencies on the other. The growth and relative importance of the field in the United States should be seen within the context of the land grant college movement whereas in Europe rural sociology has not had the extensive support of an institution combining both science and practice.An applied field, as rural sociology, may be seen as a bridge between science and society. When conceptualized in this way the field has three necessary dimensions, namely, the scientific, the practical, and the normative. The scientific dimension includes the conceptual and methodological tools and gives the field its academic identity. The practical aspect deals with the problem solving process as carried on with publics and clients, and the normative points up the value systems of both the sociologist and his publics.An important task in sociological practice is to define carefully the actual and potential publics and to analyze skills and roles which rural sociologists need in serving these groups. The continuing conversation or interaction between the scientist and practitioner may be analyzed as a process having different phases of activity through time. This is named the research and interpretation process and three phases are noted. They are (1) defining the practical problem which the given public has, (2) utilizing the findings of sociology and (3) interpreting the research so that the practitioners concerned can utilize it.The future of rural sociology will rest to no small extent on its contributions in three major problem areas or types of situations of growing significance in the modern world. These areas deal with (1) the maladjustments of an urban world, (2) the needs of the developing countries and (3) the concerns in building a professional practice and organization. The rural sociologist in beginning his work in a new nation or region has to focus his program on the most pressing problems of rural life, and fashion his work in terms of the needs and orientations of the academic groups and practitioner publics. The "timing of institutionalization' is a problem in creating organization for the practice of rural sociology as well as for the development of other interests.RésuméROLE ET FONCTIONNEMENT DE LA SOCIOLOGIE RURALELa sociologie rurale en tant que domaine appliqué est le résultat d'interaction entre les institutions universitaires et de recherches d'une part et des organisations chargées d'établir les programmes politiques et d'action d'autre part. L'accroissement et l'importance relative de ce domaine aux Etats‐Unis doit être envisagés dans le cadre du mouvement universitaire des »;Land Grant College«;. En Europe, la sociologie rurale n'a pas joui du support important destitution combinant à la fois l'aspect scientifique et pratique.Un domaine appliqué tel que la sociologie rurale, peut être considéré comme un pont entre La science et la société. Ainsi conçu, ce domaine a trois dimensions nécessaires: scientifique, pratique et normative. La dimension scientifique comprend les outils conceptuels et méthodologiques; elle donne à ce domaine son caractère académique. L'aspect pratique se préoccupe du procédéà suivre en rapport avec le »;public«; et les »;demandeurs«; pour résoudre leurs problémes, ainsi que de l'établissement des points de repère et des systèmes de valeur affectant le sociologue et son public.Une des tâches les plus importantes de la pratique en sociologie consiste à définir soigneusement les »demandeurs« actuels et futurs et à analyser les qualityés et les rôles dont les sociologues ruraux ont besoin pour être utiles à ces groupes. Les rapports constants et les actions coordonnées entre l'homme de science et le praticien peuvent être interprétés comme un processus d'activitéàétapes successives, appelé procédé de recherche et d'interprétation. Trois phases distinctes sont mentionées: 1. — La définition des problèmes pratiques du »public« en question, 2. — l'application des résultats de la recherche en sociologie et 3. — Interprétation des résultats de l'enquête de maniére à ce que les hommes d'action puissent les utiliser.L'avenir de la sociologie rurale dépendra en grande partie de sa contribution à ces trois domaines de problèmes spéciaux ou types de situations dont l'importance grandit dans la vie moderne. Ces domaines comprennent: 1. – le non‐ajustement de la société urbaine, 2. – les besoins des pays en voie de développement et 3. — l'intérêt de l'établissement d'un entraînement professionnel et d'organisations professionnelles.Lorsqu'il commence son travail dans un pays nouveau ou une région nouvelle, le sociologue rural doit centrer son programme sur les problèmes les plus urgents de la vie rurale et adapter son travail en termes de besoins et d'orientations des groupes académiques et des »publics« utilisateurs. Le »timing of institutionalization« est un probléme de création, d'organisation pour la pratique de la sociologie rurale aussi bien que pour le développement d'autres intérêts.ZusammenfassungDIE ROLLE UND FUNKTION LÄNDLICHER SOZIOLOGIEDie ländliche Soziologie als praktisches Fach und Wirkungsgebiet ist das Resultat der Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen Forschungsinstitutionen einerseits und legislativen sowie exekutiven Korperschaften andererseits. Die Entwicklung und Bedeutung dieses Berufes in den Vereinigten Staaten von Amerika steht in engstem Zusammenhang mit solchen amerikanischen Hochschulen und Uni‐versitäten, die vom Staat mit ausgedehnten Ländereien ausgestattet worden sind. Dagegen kann sich in Europa die ländliche Soziologie nicht auf solche Institutionen stützen, die Theorie und Praxis ver‐einigen.Ein Arbeitsfeld wie die ländliche Soziologie kann als eine Brücke zwischen den Wissenschaften und der Gesellschaft angesehen werden. So gesehen hat dieses Gebiet drei notwendige Bereiche, nämlich einen wissenschaftlichen, einen praktischen und einen normativen. Der wissenschaftliche umfasst die begriffs‐ und ideenschaffende und methodologische Arbeit, d.h. die eigentliche akademische Tätigkeit. Der praktische Bereich umfasst die Lösung von Aufgaben in gemeinsamer Arbeit mit der Öffentlichkeit und daran interessierten Personen. Und der normative Bereich beschäftigt sich mit den Wertsystemen sowohl der Soziologen wie auch der Gesellschaftsgruppe.Eine wichtige Aufgabe der soziologischen Tätigkeit besteht darin, die vorhandenen und möglichen Gesellschaftsgruppen abzugrenzen und die Fertigkeiten herauszustellen, deren die Landsoziologen be‐dürfen, um diesen Gruppen zu helfen. Die ständige Zusammenarbeit zwischen dem Wissenschaftler und dem Praktiker kann mit einem Vorgang verschiedener Tätigkeitsmerkmale verglichen werden. Drei Stufen kennzeichnen diesen sogenannten Forschungs‐ und Auswer‐tungsvorgang. Sie sind: 1. Abgrenzung der praktischen Aufgabe im Hinblick auf eine bestimmte Gesellschaftsgruppe, 2. Anwendung der soziologischen Kenntnisse, und 3. Deutung der Forschungsergebnisse für die Praxis.Die Bedeurung der ländlichen Soziologie beruht in der Hauptsache darauf, wieviel sie zur Klärung der drei Hauprprobleme unserer Zeit beitragen kann. Diese sind: 1. die Missverhältnisse in den Stadt‐gebieten, 2. die Bedürfnisse der sich entwickelnden Länder, 3. die Entwicklung von Verfahren für die praktische Anwendung und der Aufbau zweckmässiger Organisationen. Wenn der Landsoziologe seine Tätigkeit in einem neuen Land oder auf einem neuen Gebiet beginnt, sollte er sein Programm auf die dringlichsten Probleme des ländlichen Lebens zuschneiden und dabei die praktische wie die wissenschaftliche Seite im Auge behalten. Die Zeitwahl zur Errichtung von Institutionen ist das zentrale Problem bei der Schaffung von Organisationen, die sich der ländlichen Soziologie oder anderen Interessen widmen.
Aus der Einleitung: Am 01.01.1999 erfolgte durch die Vollendung der EWWU ein maßgeblicher Schritt für das Zusammenwachsen der europäischen Staaten. Gleichzeitig ging die exekutive Kompetenz in geld- und währungspolitischen Fragen von den Mitgliedstaaten auf die neu geschaffene EZB über. Damit wurden erstmalig Befugnisse für dieses konstitutive Gebiet der Makroökonomie von der nationalen Zuständigkeit an eine Gemeinschaftsinstanz übergeben. Mit der Einführung des Euro-Bargeldes zum 01.01.2002 war die Währungsunion dann auch greifbar. Heute ist das Euro-Währungsgebiet nicht nur einer der wichtigsten Wirtschaftsstandorte weltweit, auch die Einheitswährung hat sich in dieser kurzen Zeit zu einer der bedeutendsten Währungen der Welt entwickelt. Problemstellung: Von der Konzeption bis zur täglichen Arbeit ist die EZB als operativer geld- und währungspolitischer Pfeiler der EWWU das Thema zahlloser Kontroversen. Neben den wirtschaftsfachlichen Auseinandersetzungen haben vor allem die politischen Debatten aktuell eine starke mediale Präsenz. Aufgrund der signifikanten Bedeutung der Geld- und Währungspolitik, sowie der gegenwärtig fortwährenden, oft antagonistischen Dispute ist die EZB Gegenstand dieser Arbeit. Dabei soll untersucht werden, ob die gemeinschaftliche Arbeit durch die EZB erfolgreich war. Hierfür wird der Zeitraum von 2002 bis 2006 betrachtet, da erst mit der Einführung des Euro-Bargeldes das volle Bewusstsein für die gemeinsame europäische Politik auf diesen Gebieten geweckt wurde. Weiterhin erfolgt so eine Ausklammerung der Anfangsphase, welche Vor- und Nachteile bedingt durch die Neuerrichtung dieser Institution enthalten kann, die aber keine Relevanz für die objektive Beurteilung der Zentralbankpolitik haben. Gang der Untersuchung: Da es sich bei der Geld- und Währungspolitik der EZB um ein sehr komplexes Thema handelt, ist eine differenzierte Untersuchung der Teilaspekte nötig, um eine Aussage über deren Erfolg treffen zu können. Hierbei kann nicht nur eine Fokussierung auf das Ergebnis der Zentralbankarbeit erfolgen, sondern vielmehr müssen Erkenntnisse über die zugrunde liegenden Konzeptionen, deren Umsetzung und den daraus resultierenden Auswirkungen gewonnen werden. Nach einer Einordnung in den geschichtlichen Kontext sollen zunächst die institutionellen Voraussetzungen in Form der rechtlichen Grundlagen und des organisatorischen Aufbaus vorgestellt, sowie die Aufgaben und Ziele der EZB, einschließlich der suggestiven Wirkungen dieser untereinander, vorgestellt werden. Im vierten Kapitel wird die Geldpolitik, also die Maßnahmen zur Steuerung der Liquiditäts-versorgung und des Geldumlaufes innerhalb einer Volkswirtschaft, untersucht. Hierbei soll basierend auf der Marktsituation, der zur Verfügung stehenden Instrumente und der gewählten Strategie das theoretische Handlungskonzept und dessen praktische Umsetzung analysiert werden. Anschließend wird die Währungspolitik, das heißt die nach außen gerichtete Gestaltung der Währungsordnung, dargestellt. Dazu erfolgt die Erörterung der währungspolitischen Situation und deren Einfluss auf die gegebenen Ziele der EZB. Im nachfolgenden Kapitel werden besondere Bestimmungsfaktoren betrachtet, die eine hohe Relevanz für den Erfolg der Zentralbankpolitik aufweisen. Inhalt des siebten Kapitels ist die Überprüfung des Erreichens der Zielvorgaben. Abschließend erfolgt eine Bewertung des Erfolges der gemeinsamen europäischen Geld- und Währungspolitik durch die EZB. Dabei soll auch ein Ausblick auf die Erfordernisse der zukünftigen Arbeit gegeben werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: ABKÜRZUNGSVERZEICHNISIV ABBILDUNGSVERZEICHNISV TABELLENVERZEICHNISVI 1.EINLEITUNG1 1.1Problemstellung1 1.2Gang der Untersuchung2 2.DIE WIRTSCHAFTS- UND WÄHRUNGSUNION UND DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK3 2.1Die Entstehung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion3 2.2Die Rechtsgrundlagen der Europäischen Zentralbank4 2.3Der institutionelle Aufbau der Europäischen Zentralbank4 2.3.1Das Europäische System der Zentralbanken5 2.3.2Das Direktorium5 2.3.3Der Rat der Europäischen Zentralbank6 2.4Bewertung der Organisation der Europäischen Zentralbank7 3.DIE AUFGABEN UND ZIELE DER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK10 3.1Die übertragenen Aufgaben10 3.2Die Ziele der Europäischen Zentralbank11 3.2.1Die primäre Bedeutung der Preisstabilität11 3.2.2Die quantitative Bestimmung der Preisstabilität13 3.3Die Zielbeziehungen16 4.DIE GEMEINSAME EUROPÄISCHE GELDPOLITIK20 4.1Der Transmissionsprozess20 4.2Die geldpolitischen Instrumente23 4.2.1Offenmarktgeschäfte23 4.2.2Ständige Fazilitäten26 4.2.3Mindestreserven27 4.3Die Strategie der Europäischen Zentralbank27 4.3.1Die wirtschaftliche Analyse28 4.3.2Die monetäre Analyse31 4.3.3Alternative geldpolitische Strategien35 4.4Grenzen der Geldpolitik36 4.5Bewertung der 2-Säulen-Strategie39 4.6Die geldpolitische Arbeit der Europäischen Zentralbank42 4.6.1Erste Phase: Zinssenkungen43 4.6.2Zweite Phase: Konstantes Zinsniveau44 4.6.3Dritte Phase: Zinssteigerungen46 4.6.4Bewertung der geldpolitischen Entscheidungen47 5.DIE GEMEINSAME EUROPÄISCHE WÄHRUNGSPOLITIK49 5.1Die währungspolitische Situation49 5.2Der Einfluss der Währungspolitik auf die Preisstabilität50 6.DETERMINANTEN EINER ERFOLGREICHEN ZENTRALBANKPOLITIK53 6.1Unabhängigkeit53 6.1.1Arten der Unabhängigkeit53 6.1.2Die Bedeutung der Unabhängigkeit54 6.2Transparenz55 6.2.1Das Problem der demokratischen Legitimierung55 6.2.2Transparenz als Problemlösung56 6.3Glaubwürdigkeit57 7.DIE ZIELERFÜLLUNG DER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK61 7.1Die Erfüllung des Ziels der Preisstabilität61 7.2Inflationsdifferenziale im Euro-Währungsgebiet63 8.SCHLUSSBETRACHTUNGEN66 ANHANG78 LITERATURVERZEICHNIS122Textprobe:Textprobe: Kapitel 3.2.1, Die primäre Bedeutung der Preisstabilität: Der Begriff der Preisstabilität wird durch den EGV nicht weiter definiert. Die wörtliche Interpretation dieses Terminus würde bedeuten, dass alle Einzelpreise einer Volkswirtschaft konstant blieben. Da dies in der Realität unmöglich ist, ist Preisstabilität als Preisniveaustabilität zu verstehen. Dies bedeutet, dass sich Preise einzelner Güter ändern können, aber der Geldwert gegenüber dem Mittelpreis aller Güter gleich bleibt. Aufgrund der praktischen Relevanz soll das Verfehlen der Preisstabilität am Beispiel der Inflation dargestellt werden, welche als anhaltender Anstieg des allgemeinen Preisniveaus definiert wird. Ursachen und Auswirkungen für Deflation stellen sich analog mit sinkendem Preisniveau dar. Eine ausführliche Betrachtung der Deflation soll nicht erfolgen, da ein über längere Zeit sinkendes Preisniveau als sehr unwahrscheinlich gilt. Neben der Einordnung nach Geschwindigkeit und Höhe, wird Inflation grundsätzlich nach ihrer Ursache in Nachfrage- und Angebotsinflation unterschieden. Bei der Nachfrageinflation übersteigt die Nachfrage durch höheren privaten oder staatlichen Konsum, zunehmende Auslandnachfrage oder erhöhte Investitionen das Angebot am Markt, woraufhin die Preise durch den Preismechanismus steigen. Auf der Angebotsseite führen gestiegene Lohnsätze, Importpreise oder Steuern zu einer Umlegung auf die Güterpreise. Ebenso vielschichtig wie die Ursachen, sind auch die Inflationsfolgen. Die Inflation wirkt auf die eigentlichen Funktionen des Geldes. Mit dem Verlust der Kaufkraft geht der Verlust der Rolle als Wertaufbewahrungsmittel und als Messgröße für Werte einher. Die Funktion als Tauschmittel nimmt ab, da der reale Gegenwert nicht mehr vorhanden ist. Durch die Geldentwertung ist die Beurteilung relativer Preise, als Grundlage fundierter Konsum- und Investitionsentscheidungen kaum möglich. Dem Markt wird so die Möglichkeit der effizienten Ressourcenallokation und damit Produktionspotenzial entzogen. Auch die Allokationseffizienz des Kapitalmarktes nimmt mit steigendem Preisniveau ab. Längerfristige Zinsen enthalten Risikoprämien, die mit steigender Inflationserwartung zunehmen und damit Investitionen unattraktiver machen. Weitere Auswirkungen ergeben sich im Bereich der Umverteilung. Gläubiger erleiden einen Realverlust, wenn sie die Inflationsrate nicht vorhersehen konnten. Demgegenüber steht ein Realgewinn auf der Schuldnerseite, da der reale Wert der Verbindlichkeiten gesunken ist. Nachteile entstehen auch für die Bezieher von Lohn- und Transfereinkommen, wenn die inflationäre Entwicklung nicht korrekt prognostiziert wurde, da eine schnelle Anpassung der Bezüge an die Inflationsrate i.d.R. nicht möglich ist. Es ergeben sich so erhebliche Vermögensverluste, wenn eine rasche Umschichtung in reale Vermögenswerte wie Immobilien oder Gold nicht erfolgen kann. Vor allem die schwächeren Gruppen der Gesellschaft, ohne ausreichende Absicherung, sind von diesen willkürlichen Einkommens- und Vermögensumverteilungen besonders betroffen. Die aufgeführten inflationären Auswirkungen machen deutlich, dass eine fehlende Geldwertstabilität die verschiedensten volks-wirtschaftlichen Bereiche mit erheblichen, teils existenzbedrohenden Folgen betrifft. Die deflationären Auswirkungen stellen sich analog mit einem sinkenden Preisniveau dar. Aufgrund des breiten Einflusses und der intensiven sozialen und wirtschaftlichen Effekte ist Preisstabilität als Grundlage für das Funktionieren einer Volkswirtschaft und die Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenlebens unabdingbar. Durch diese Erkenntnisse erscheint die die hervorgehobene Stellung dieses Ziels gerechtfertigt. Die quantitative Bestimmung der Preisstabilität: Nach der qualitativen Erörterung soll geklärt werden, wie das Preisniveau im Euro-Währungsgebiet ermittelt und das Zielniveau bestimmt wird. Die Messung des Preisniveaus erfolgt über den HVPI, den das Statistische Amt der EU, Eurostat, aus den monatlichen Daten der nationalen Statistikämter ermittelt. Die Verwendung des HVPI ist nötig, da sich die nationalen Preisindizes teilweise deutlich unterscheiden. Grundlage sind die Preise für Waren und Dienstleistungen in einem repräsentativen Warenkorb mit 12 Hauptkomponenten. Außerdem werden verschiedene Teilindizes ermittelt. Da der HVPI einzig als Preisindex angelegt ist, werden nur im Euro-Raum getätigte Ausgaben erfasst. Die Preisindizes werden jedes Jahr miteinander verkettet und sowohl die Zusammensetzung des Warenkorbes, als auch die Gewichtung der Länder angepasst. Dabei hat Deutschland ein Ländergewicht von etwa 30%, Frankreich und Italien jeweils circa 20%. Als Basisjahr wurde zunächst 1996 festgelegt. Seit 2006 ist das Jahr 2005 der Referenzzeitraum. Während herkömmliche Preisindizes eine unveränderte Zusammensetzung des Warenkorbs über längere Zeit messen, besteht der Vorteil der Verkettung in der größeren Aktualität der verwendeten Verbrauchsgewohnheiten. Damit geht allerdings teilweise die Funktion des reinen Preisindexes verloren. Dies ist kritisch zu sehen, da die Inflationsraten im Vergleich zum Vorjahr durch Änderungen im Nachfrageverhalten und durch die Ländergewichtung beeinflusst werden können. Dadurch, dass die 3 großen Volkswirtschaften des Euro-Währungsgebietes mehr als 2/3 zum gesamten Preisniveau beitragen, kann sich die Inflationsrate in einem kleineren Land deutlich von der harmonisierten Preissteigerungsrate unterscheiden. Insgesamt weicht der HVPI zwar von seiner Konzeption als Preisindex ab, stellt aber durch die Orientierung an den Lebenshaltungskosten die Marktentwicklung aktueller dar. Kritik gibt es auch an der Zusammensetzung des HVPI, der eine allumfassende Inflationsrate widerspiegelt, in der kurzfristige Entwicklungen stark gewichtet sind. Es wird eine Inflationsmessung nach Vorbild der FED gefordert, die auf die Bestimmung einer Kerninflationsrate setzt, bei der die Preise für Energie und unbearbeitete Nahrungsmittel unberücksichtigt bleiben, um übermäßige Volatilität aus dem Preisindex herauszunehmen. Durch das Herausrechnen der meist wegen exogener Wirkungen kurzfristig stark schwankenden Bereiche soll das eigentliche volkswirtschaftliche Preisniveau dargestellt werden. Folgt man diesem Ansatz, ergibt sich für das Euro-Währungsgebiet allerdings ein vollkommen anderes Resultat (siehe Abb. 1: Vergleich HVPI – Kerninflation). Die Darstellung zeigt, dass sich entgegen der theoretischen Annahme die Kerninflationsrate wesentlich volatiler als der Gesamtindex präsentiert. Zwar ist der Nutzen von Teilindizes zur detailierten Analyse unbestreitbar und wird auch praktiziert, jedoch erscheint eine Fokussierung auf die Kerninflation statt des gesamten HVPI, wie in der Kritik gefordert, anhand dieser Erkenntnisse als nicht empfehlenswert. Welche jährliche Änderungsrate des HVPI mit dem Ziel der Preisstabilität vereinbar ist, bestimmte die EZB erstmals 1998. Demnach wird Preisstabilität definiert als "Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) von unter 2% gegenüber dem Vorjahr". Im Rahmen der Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie 2003 wurde diese Definition präzisiert. Als Preisstabilität ist "mittelfristig eine Preissteigerungsrate unter, aber nahe der 2%-Marke" anzusehen. Diese Zielsetzung bedeutet zum einen, dass eine Inflationsrate über 2% und zum anderen eine sehr geringe Inflationsrate mit dem Ziel der Preisstabilität nicht vereinbar sind. Bei der Kalkulation wurden mögliche Messfehler des HVPI, die das Preisniveau leicht überzeichnen können und eine Sicherheitsmarge zur Deflation berücksichtigt (EZB 2004a, S. 52). Eben diese findet in der Öffentlichkeitsdarstellung aber nur geringe Aufmerksamkeit. Deflationäre Folgen wie der reale Wertanstieg von Schulden oder der Anreiz Konsum- und Investitionsentscheidungen aufzuschieben wiegen ebenso schwer, wie die der Inflation. Darüber hinaus kann man Deflation mit geldpolitischen Mitteln nur begrenzt entgegenwirken. Auch wenn das Euro-Währungsgebiet von einem bedrohlich sinkenden Preisniveau im Gegensatz zu starken Inflationswellen noch nicht bedroht war, so zeigt der Blick auf Japan, dass die deflationären Gefahren angesichts der geringen Sicherheitsmarge zwischen Preisstabilität und Deflation nicht unterschätzt werden dürfen. Die EZB sollte daher das öffentliche Bewusstsein für die Folgen einer Deflation stärken und einen konkreten Maßstab in Form einer Preisniveauuntergrenze festlegen. Peter Leipold, Diplomverwaltungswirt, Abschluss 2008 an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung Reinfeld. Derzeit tätig bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland.
My dissertation is concerned with uneven economic adaptation and adaptability of old industrial areas in an evolutionary and institutional, as well as a human agency perspective. There is a considerable literature in economic geography (EG), focusing on the role of firms and industry dynamics in affecting the evolution of old industrial areas (OIAs). However, little work has been done, both empirically and theoretically, on the role of state, multi-scalar institutions, politics and policies. Moreover, the majority of the re-search on the topic is very much based on single-case studies, whose evidence and knowledge is mainly derived from European and American contexts. Therefore, the key aim of the doctoral dissertation are to: 1) theoretically, integrate an institutional and geographical political economy perspective with the Evolutionary Economic Geography (EEG) approach, in order to give a better understanding of the evolutionary processes and mechanisms of OIAs. And 2) empirically, to examine the nature of uneven regional economic evolution, based on an in-depth comparison of two coal-mining regions in a post-crisis and non-western context. My book pays more attention to how the state, more precisely, how the people within the state and state owned enterprises (SOEs) of OIAs, response and enact to changing environment for long-run industrial adaptation and adaptability. It does not simply focus on the micro behaviors of firms, states and people, but more on their embedded posi-tions and relationships of multi-scalar political-institutional frameworks and policy fields. The empirical research is based on in-depth case studies on two Chinese coal-mining re-gions (Zaozhuang in Shandong Province and Fuxin in Liaoning Province) both facing the 'slow burn' crisis of local coal resource exhaustion since 2000. The findings are mainly derived from a qualitative method of semi-structured interviews and evaluated by con-text analysis and statistical data description. In this book, first and foremost, the concepts of path dependence, path creation and lock-ins are critically examined. The empirical evidence suggests that the effects of lock-ins in Chinese contexts are more politically constituted, due to the Chinese-specific ad-ministrative hierarchy system among SOEs and governments. Despite strong industrial path dependence and negative regional lock-ins, new paths are not restricted to emerge. Based on the notion of path plasticity, I conclude that the Chinese local state and its state leaders in OIAs are aware of how to balance the interests among multi-scalar polit-ical economies, and of how to flexibly read and enact locally according to multi-scalar institutional and policy conditions for potential industrial change. Secondly, given the ubiquitous influences of state elites in China, the book takes a closer look at how state officials mold specific institutional environment for industrial dynamics. The notion of place leadership has been critically adopted in the Chinese authoritarian context. It well explains the micro-level dynamics and characteristics of people on the evolution of Chinese OIAs. The book finds that although Chinese state elites do have formal power to effectively make and implement fast economic decisions and policy-fix, local institutional change still critically calls for informal leadership, such as interpretive and network leadership. New paths might be created quickly by local state leaders. But, without forming solid new supporting institutions, they may not generate positive im-pact for long-term regional development. The most important contribution of the book is the comparison of two Chinese mining regions. A new conceptual framework on analyzing and understanding uneven resilience of regions has been developed. It is built upon an in-depth conceptualization that de-constructs the dualism idea between adaptation and adaptability. And it redefines them in an interactive, dialectical and evolutionary way. The comparative study in China high-lights the importance of multi-scalar institutions and national political economy change in coordinating the behaviors of firms, local states and, the micro dynamics of their con-stitutive human agents in OIAs. The historically conditioned political distance between localities and the central state is essential. It can help to fundamentally understand the differen-tiated resilience of China's OIAs. It should be placed at the core to explore the question of why some regions in China are able to manage endogenous place-based development of economies, while others fail to do such but mostly at the mercy of exogenous forces and assets. In the end, this book provides new evidence that EEG needs to be integrated into other related paradigms in EG, when it comes to understand the complex restructuring of OIAs. Besides the theoretical contributions, the book also put several policy recommendations for future development of OIAs in China and beyond. ; Die vorliegende Dissertation befasst sich mit ungleicher ökonomischer Anpassung und Anpassungsfähigkeit altindustrieller Gebiete aus einer evolutionären, institutionellen und akteurszentrierten Perspektive. In der wirtschaftsgeographischen Literatur gibt es bereits zahlreiche Beiträge die sich mit den Rollen von Unternehmen und industriellen Dynamiken für den Aufstieg und Niedergang altindustrieller Gebiete befassen. Wenige Beiträge haben sich allerdings sowohl empirisch als auch konzeptionell mit den Einflüssen von Staaten, multiskalaren Institutionen oder unterschiedlichen Strategien und Politiken befasst. Zudem fokussiert der Großteil der bisherigen Arbeiten Einzelfälle in Europa oder Nordamerika. Daraus ergeben sich die zwei Hauptziele dieser Doktorarbeit. 1) Theoretisch werden eine institutionelle Perspektive und Ansätzen der Politischen Ökonomie mit der Evolutionären Wirtschaftsgeographie in Verbindung gebracht, um zu einem tieferen Verständnis evolutionärer Prozesse und Mechanismen in altindustriellen Gebieten zu kommen. 2) Empirisch werden Facetten ungleicher regionaler Wirtschaftsentwicklung am Beispiel zweier Kohlebergbaugebiete untersucht, die sich beide in einer Nachkrisensituation befinden und einem nicht-westlichen Kontext zugehören. Die Arbeit beleuchtet, wie der Staat - verstanden als handelnde Akteure in Staat und staatlichen Betrieben in altindustriellen Regionen - auf Umfeldänderungen reagiert, um langfristige industrielle Anpassung zu erreichen. Dabei geht die Arbeit über einen Fokus auf unternehmerische, staatliche oder individuelle Einzelhandlungen hinaus und konzentriert sich auf deren Einbettung und Beziehungen in einem multiskalaren, politisch-institutionellen Rahmen und Politikfeld. Die empirische Untersuchung basiert auf Tiefenstudien zweier chinesischer Kohlebergbauregionen (Zaozhuang in der Provinz Shandong und Fuxin in der Provinz Liaoning), die beide vom schleichenden Niedergang der lokalen Kohlereserven seit dem Jahr 2000 geprägt sind. Die Forschungsergebnisse beruhen größtenteils auf qualitativen Daten (halbstandardisierte Interviews), die durch eine Kontextanalyse ausgewertet und um eine deskriptive Analyse sekundärstatistischer Daten ergänzt wurden. Der erste Beitrag dieser Doktorarbeit liegt in einer kritischen Bestandsaufnahme der Konzepte von Pfadabhängigkeiten, Pfadentstehungen und Lock-Ins. Die empirischen Einblicke deuten darauf hin, dass Lock-Ins im chinesischen Kontext stark politisch bedingt sind. Dies ist auf das spezifische administrative Hierarchiesystem zwischen staatseigenen Betrieben und Staaten zurückzuführen. Trotz starker industrieller Pfadabhängigkeit und negativer regionaler Lock-In-Effekte steht der Entstehung neuer Pfade nichts entgegen. Aufbauend auf dem Konzept der Pfadplastizität kommt die Arbeit zu dem Ergebnis, dass sich die chinesischen lokalen Staatsbehörden und die staatliche Führung in staatseigenen Betrieben der Interessenkonflikte zwischen den multiskalaren politischen Ökonomien bewusst sind, diese flexibel auslegen und gemäß der multiskalaren institutionellen und politischen Bedingungen hinsichtlich potentieller lokaler industrieller Veränderung auslegen. Der zweite Beitrag liegt darin, dass der ubiquitäre Einfluss staatlicher Eliten in China auf industrielle Dynamiken genauer analysiert wird. Dazu wird untersucht, wie Staatsbeamte und lokale Führungspersönlichkeiten die entsprechenden institutionellen Kontexte formen. Der Gedanke der "Place Leadership" wird kritisch an den autoritären chinesischen Kontext angepasst. So können die kleinmaßstäblichen Dynamiken und Charakteristika im Zusammenhang mit der Entstehung altindustrieller Regionen in China erläutert werden. Wie sich zeigt, verfügen die staatlichen Eliten über ein hohes Maß an formeller und exekutiver Macht, um wirtschaftliche und politische Entscheidungen zu fällen. Dennoch verdeutlichen die empirischen Ergebnisse, dass für institutionellen Wandel informelle Führungsformen wie interpretative oder netzwerkartige Führung nötig sind. Neue Pfade können zwar von lokalen staatlichen Anführern schneller erzeugt werden, aber ohne neue, unterstützende Institutionen bestehen kaum Aussichten darauf, langfristige Veränderungspotenziale der regionalen Entwicklung aufrechtzuerhalte. Der Hauptbeitrag der Arbeit liegt im Vergleich der zwei chinesischen Bergbauregionen. Um deren ungleiche regionale Resilienz zur analysieren und zu verstehen wird ein neuartiger konzeptuelle Ansatz vorgeschlagen. In einer interaktiven, dialektischen und evolutionären Art überwindet dieser den Dualismus von Anpassung und Anpassungsfähigkeit und hebt die Rolle von multiskalaren Institutionen sowie von nationalem politisch-ökonomnischem Wandel für die Koordination unternehmerischen und lokal-staatlichen Handelns und derer Akteure in staatseigenen Betrieben hervor. Die historisch bedingte politische Distanz zwischen lokaler und nationaler Verwaltung und Regierung ist dabei grundlegend, um die verschiedenen Resilienzen und Anpassungsfähigkeiten chinesischer staatseigener Betriebe zu verstehen. Diese werden in das Zentrum der vergleichenden Fallstudie gerückt, um besser zu verstehen, warum einige Regionen in China dazu in der Lage sind endogene wirtschaftliche Entwicklungspotenziale zu steuern, während andere daran – zumeist aufgrund exogener Kräfte – scheitern. Insgesamt leistet die vorliegende Dissertation einen Beitrag zur Erweiterung der Evolutionären Wirtschaftsgeographie, indem andere wirtschaftsgeographische Paradigmen und Perspektiven eingebunden werden und somit komplexe Restrukturierungsprozesse staatseigener Betriebe verstanden werden können. Neben diesem theoretischen Beitrag liefert die Arbeit politische Empfehlungen für die zukünftige Entwicklung altindustrieller Industrieregionen in China und andernorts.
Systemet för samhällsskydd och beredskap i Sverige har sedan 1990-talet genomgått en rad förändringar gällande juridik, organisering och ansvar. Framför allt har kommunernas ansvar inom området ökat och systemet har kommit att bli mer beroende av aktörer i lokalsamhället. Dessutom har den enskilde individen fått ett ökat ansvar och är idag en självklar aktör i systemet. De i området styrande principerna om ansvar, likhet och närhet föreskriver att störningar i kommunal verksamhet ska hanteras av de roller som bedriver verksamheten i normala fall. Det innebär att störningar eller kriser i en verksamhet som exempelvis den kommunala omsorgen ska hanteras och lösas av den ordinarie personalen. Systemets ordning i kombination med principerna gör därför att frågor om säkerhet och trygghet för den enskilda omsorgstagaren hamnar i gränssnittet mellan individen och organisationen. Avhandlingens syfte är att fördjupa kunskapen om relationen mellan funktionshindrade personer och kommunens organisation för samhällsskydd och beredskap gällande trygghet och säkerhet. Fyra separata empiriska delstudier från Sverige inkluderas. Den första undersöker kvantitativt vilka riskuppfattningar personer med funktionshinder har och om kan de förklaras av funktionshindret. Övriga tre delstudier är kvalitativa och studerar i tur och ordning: hur risk- och sårbarhetsfrågor manifesteras, erfars och hanteras av funktionshindrade; hur kommuner organiserar för samhällsskydd och beredskap på lokal nivå och vilken roll kommunen har på det lokala verksamhetsfältet för detta; hur en faktisk krisartad situation hanterades på olika nivåer av den kommunala vård- och omsorgen. De två studierna om funktionshindrade visade att tillit är central för hur riskuppfattningen formas och att den vardagsnära säkerheten är viktig. Personerna utvecklar strategier för att hantera sårbarhet genom att undvika vissa situationer, att visa eller dölja sina behov och att lära sig stå ut med att saker och ting tar lång tid. Detta formar ett interpretationsramverk för trygghet och säkerhet där kroppen speglas som objekt och social representation. Därmed kan kroppen likställas med andra sociala representationer och försvaras, riskförebyggas och skademinimeras. Den första kommunstudien visar att den lokala organiseringen av samhällsskydd och beredskap sker på liknande sätt över landet. Däremot har den kommunala funktionen för skydd och säkerhet att hantera olika organisatoriska relationer med distinkt skilda karaktärer. Relationen till den kommunala organisationen i stort är labyrintartad till följd av rationalitetsproblem inom ändamålsenlighet, mål, ansvarsförläggande och uppföljning är oklara eller helt enkelt saknas; relationen till de kommunala förvaltningarna präglas hierarkiproblem genom brist på auktoritet, legitimitet och exekutiv makt; relationen till externa aktörer uppvisar problem med identitet till följd av brist på resurser och tydlig organisation. Den andra kommunstudien visar att den tid-rumsliga inramningen av en störning i det kommunala dricksvattnet skilde sig åt mellan olika organisatoriska nivåer och att störningen hanterades genom en aktiv agens där tillit och handlingsutrymme var avgörande. Avhandlingens övergripande analys utifrån tillitsteori landar i att medan det tidigare systemet för samhällsskydd och beredskap präglades av en instrumentell tillit med vertikalt riktad makt och en problemlösningsförväntan, är dagens system mer beroende av en humanitär tillit med horisontell maktfördelning och med förväntan på att hantera sårbarhet. De tre teoretiska sårbarhetsformerna beroende, oförutsägbarhet och oåterkallelighet föreslås på den lokala samhällsnivån kunna reduceras med de tre tillitsmekanismerna autenticitet, legitimitet respektive transparens. Det är en typ av tillit som är bättre anpassad för det gränssnitt mellan den enskilda individen och organisationen där vi hittar mycket av ansvaret för trygghets- och säkerhetsfrågor idag. ; The Swedish system for civil protection and preparedness has undergone fundamental shifts in legislation, organisation, and responsibility since the 1990s. Most prominently, the responsibility for municipals has increased and the system has become more dependent on actors in the local community. Individuals have also become integral actors in the system with increased responsibility. The guiding principles for this system, formulated by the national authorities, are responsibility, similarity, and proximity. These principles prescribe that disruptions in any regular operations shall be handled by the structure already in place. This means that disturbances or crises, for instance within the local healthcare, should be solved by the regular personnel. The combination of the new location of responsibility and the guiding principles locate the issues of safety and security at the interface between the single individual and the organisation. The aim of this dissertation is to gain knowledge about the relationship between people with disability and the municipal administrative function for civil protection and preparedness regarding safety and security. Four empirical investigations from Sweden are included. The first is a quantitative study investigating the risk perception among disabled people and whether this perception can be explained by their disability. The three remaining studies are qualitative, studying respectively: how risk and vulnerability are manifested, experienced, and managed in everyday life by disabled persons; how local authorities arrange civil protection and preparedness at the local level, and how an uncertain, adverse event was managed at different levels of the local health care. The two studies with disabled persons shows that trust is central to understand how risk perception is shaped and that the safety in everyday life is important. Individuals develop certain strategies in order to deal with vulnerability. The strategies include avoiding certain situations; to show or not to show their needs, and being accustomed to everything taking a long time. These strategies form a framework for interpretation of safety and security where the body is objectified as a social representation. The body thus is comparable to any other social representation and can be subject for defence, mitigation or damage reduction. The first study of local administrations shows that the local civil protection and preparedness is arranged in the same manner all over the country. However, the administrative function for safety and security must deal with distinctly different characteristics in organisational relationships. The relationship with the local administration in general is labyrinthine because of rationality problems regarding adaptation, aims and objectives, assessment and evaluation, and with the allocation of responsibility. The relationship with the different departments within the authority suffers from problems with hierarchy in that the function lacks an authoritative centre, legitimacy, and executive power. The relationship with external entities exhibits problems with organisational identity due to a lack of resources, a distinct organisational character, and autonomy. The second study of local administrations shows that the temporal-spatial framing of a disturbance in the local fresh water system differed between the different organisational levels. Primarily the human agency in terms of trust and a pre-established sphere for action of the personnel was decisive in managing the disturbance. Theories of trust are used to conduct the analysis of the four studies. While the former system for civil protection and preparedness was characterized by an instrumental trust signified by vertical power and expectations of solving concrete problems the present system is more dependent on a so called humanitarian trust signified by horizontal division of power and expectations of managing vulnerability. The conclusion is that at the local level authenticity, legitimacy, and transparency can reduce the three forms of vulnerability: dependency, unpredictability, and irreversibility respectively. This type of trust fits better with the individual-organisation interface in which much of the responsibility for safety and security is allocated today
Einleitung: 'Ich glaube, man muß die realpolitische Linie sehen. Ich halte es für selbstverständlich, daß die Wahl des Bundespräsidenten nicht zu trennen ist von den ganzen Koalitionsverhandlungen hinsichtlich der Zusammensetzung der Regierung.' (Prof. Ludwig Erhard am 6. September 1949). 1. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Wahl und ihre Probleme: In der Verfassung der Bundesrepublik wurde das Amt des Bundespräsidenten auf Grund von Erfahrungen aus der Weimarer Republik mit beschränkten politischen Wirkungsmöglichkeiten ausgestattet. Auch bezüglich der Wahl des Staatsoberhauptes unterscheidet sich das Bonner Grundgesetz wesentlich von der Weimarer Verfassung der I. Deutschen Republik. Die nun nicht mehr direkte Bestellung des Staatsoberhauptes durch das Volk geschieht seit 1949 indirekt durch die Bundesversammlung. Trotz der positiven Erfahrungen mit dem im Bonner Grundgesetz verankerten Wahlmodus wird nahezu jede bevorstehende Wahl des Bundespräsidenten dazu genutzt, um besonders in den Medien aber auch in den Parlamenten der Bundesrepublik eine direkte Wahl des Staatsoberhauptes zu diskutieren. Aus diesem Grund sollen hier kurz einige Argumente angeführt werden, die gegen eine direkte Wahl des Bundespräsidenten sprechen: Ein direkt gewählter Bundespräsident würde im Vorfeld seiner Wahl durch das Volk seinen eigenen aktiven Wahlkampf führen wollen und müssen. Durch die direkte Wahl wäre ein so bestelltes Staatsoberhaupt allein schon durch den Wahlmodus ein politischer Präsident, den der Parlamentarische Rat zu Recht nicht gewollt hat. Ein direkt gewählter Bundespräsident wäre in jedem Fall, so wie Rupert Scholz es ausdrückt, 'Partei in eigener Sache', da er durch seinen eigenen Wahlkampf politische Erwartungen bei seinen Wählern geweckt hätte, denen das Staatsoberhaupt nun auch gerecht werden müßte. Vom neutralen bzw. unparteilichen Bundespräsidenten, dessen Hauptaufgabe in der Repräsentation des Staates und der Integration möglichst aller Staatsbürger liegt, wäre ein direkt gewählter politischer Bundespräsident weit entfernt. Eine Folge aus der direkten Wahl des Staatsoberhauptes würde die sein, daß eine Erweiterung der politischen und exekutiven Zuständigkeiten des Bundespräsidentenamtes zunächst diskutiert und letztendlich auch gefordert würde. Hier wäre dann der Weg hin zu einer präsidialen Regierungsweise beschritten, die vom Grundgesetz her eindeutig nicht gewollt ist. Um eben dies zu vermeiden, ist das Festhalten an dem bisherigen Wahlmodus eine Konsequenz, die sich aus den Erfahrungen der bisherigen Bundespräsidentenwahlen ableiten läßt. Die Bundesversammlung; die sich zu gleichen Teilen aus den Mitgliedern des Bundestages und Mitgliedern, die von den Landesparlamenten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden, zusammensetzt, ist ein Gremium, das sich ausschließlich zur Wahl des Bundespräsidenten konstituiert. Durch den Landtags-Anteil wird die Bundesversammlung in ihrer Zusammensetzung zum Aktuellen hin verschoben. Dies resultiert aus den in den 16 Bundesländern ständig stattfindenden Landtagswahlen, die ebenso wie die Ergebnisse der Bundestagswahlen eine direkte wenn auch zeitlich verzerrte Transformation des Wählerwillens in die Bundesversammlung hinein sicherstellen. So besteht aufgrund dieser zeitlichen Verzerrung einerseits die Möglichkeit, daß ein Bundespräsident die kommenden Regierungswechsel voranzeigt, andererseits kann es auch so kommen, daß sich in der Person eines Bundespräsidenten die vergehende politische Konstellation und deren Zeitstimmung noch eine Weile fortsetzt. Das Grundgesetz besagt, daß sich die Amtszeit des Präsidenten auf fünf Jahre beläuft, danach ist eine einmalige Wiederwahl möglich. Diese Verfassungsregelung wurde recht intensiv kurz vor Ende der Bundespräsidentschaft von Theodor Heuss 1958/59 diskutiert. Heuss selbst aber lehnte eine 'Iex Heuss' in Form der damals diskutierten Varianten a) zweite Wiederwahl, also dritte Amtszeit oder b) eine Verlängerung der Amtszeit von fünf auf sieben Jahre als eine 'Verlegenheitslösung' ab. Zu Zeiten des populären Bundespräsidenten Heuss zog man in den Parteien in Erwägung, das erst zehn Jahre alte Grundgesetz bezüglich der Wiederwahl oder der Amtsdauer des Bundespräsidenten zu verändern. Das Grundgesetz (Art. 54, Absatz 2) spricht sich aber nicht eindeutig gegen die erneute Kandidatur eines früheren Bundespräsidenten nach einem anderen Amtsinhaber aus. In der Bundesversammlung ist derjenige Kandidat gewählt, der im ersten bzw. zweiten Wahlgang die Stimmen der absoluten Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung, d.h. die Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitgliederzahl, erhält. Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen von keinem der Bewerber erreicht, so ist derjenige gewählt, der in einem dritten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Bisher war ein dritter Wahlgang sowohl bei der Wahl von Dr. Gustav Heinemann in der 5. Bundesversammlung am 5. März 1969 als auch bei der Wahl von Prof. Roman Herzog in der 10. Bundesversammlung am 23. Mai 1994 notwendig. 1969 unterlag der Kandidat der CDUICSU, Gerhard Schröder. dem schließlich mit einer einfachen Mehrheit von 512 Stimmen im dritten Wahlgang gewählten Kandidaten Gustav Heinemann mit einem Ergebnis von 506 Stimmen (s. 2.3.3.). 1994 unterlag der Kandidat der SPD, Johannes Rau, (605 Stimmen) dem mit einer absoluten Mehrheit (696 Stimmen) im dritten Wahlgang gewählten Roman Herzog (s. 2.7.2.). Die Bundesversammlung kann, da sie wie der Bundestag und die Landtage in Fraktionen aufgegliedert ist, durchaus als ein Parteienparlament bezeichnet werden. 17 So verdeutlichen die bisherigen Präsidentenwahlen auch, daß das höchste Amt in der Bundesrepublik stets von der politischen Mehrheit besetzt worden ist. Die Kandidaten zum Amt des Bundespräsidenten waren mehrheitlich aktive Politiker oder Berufspolitiker. Lediglich im Vorfeld fester Nominierungen waren auch andere Persönlichkeiten im Gespräch. Die parteilose Kandidatin der Grünen von 1984, Luise Rinser, und der parteilose Kandidat von Bündnis 90/Grüne, Prof. Jens Reich, unterscheiden sich hier - und das entspricht der politischen Intention der Grünen - von den bisher nominierten Kandidaten der Union, der SPD und der FDP. Die Wahl des Bundespräsidenten erfolgt immer durch die Parteien; dies wäre im Falle einer direkten Wahl allerdings ebenso. Denn der Erfolg eines Kandidaten hängt wesentlich von der Stärke seiner Partei im Bundestag und in den Landesparlamenten ab. Es sei schon an dieser Stelle anzumerken, daß die Grundlage der Wahlen in der Bundesversammlung stets ihren Ursprung in parteitaktischen Überlegungen hatte und hat, da die Parteien die Wahl des Bundespräsidenten in der Verfassungswirklichkeit als eine politische Wahl auffassen. Ziel dieser Studie ist es: 1.) Die parteiinternen Hintergründe im Vorfeld und nach der offiziellen Kandidatennominierung zu untersuchen; 2.) die politischen Intentionen der Parteien hinsichtlich der von ihnen aufgestellten Kandidaten herauszustellen und schließlich 3.) jeweils die Erstwahlen und die Wiederwahlen im Hinblick auf ihre nominierten und gewählten Kandidaten zu untersuchen, um in der abschließenden Systematik die unterschiedlichen Funktionen der Kandidaten herauszustellen.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Wahl und ihre Probleme1 2.Die Hintergründe der Parteien zur Wahl4 2.1Die erste neue Wahl von 19494 2.1.1Die Koalitionsbildung und die Nominierung von Heuss5 2.1.2Die Wahl von Heuss8 2.2Die Irritationen um die Wahl von 195910 2.2.1Die Kandidatur Erhards13 2.2.2Die Kandidatur Adenauers16 2.2.3Die Kandidatur und Wahl Lübkes20 2.3Die Wahl von 1969 und der bevorstehende Machtwechsel21 2.3.1Die Situation der Koalitionspartner22 2.3.2Die Situation der FDP24 2.3.3Die Wahl Heinernarms27 2.4Die Wahl von 1974 und die Konsolidierung der SPD-FDP-Koalition29 2.4.1Die Situation in der SPD-FDP-Koalition und Scheels Nominierung30 2.4.2Die Wahl Scheels34 2.5Die Wahl von 1979 und der befürchtete Machtwechsel35 2.5.1Die Kandidatendiskussion in der Union36 2.5.2Zur Strategie der SPD-FDP-Koalition38 2.5.3Die Konflikte zwischen SPD-FDP und CDUICSU im Zuge der Nominierung von Carstens41 2.5.4Die Wahl von Carstens44 2.6Die Wahl von 1984 und der 'Sammelkandidat'45 2.6.1Die Nominierung von Weizsäckers45 2.6.2Die Wahl von Weizsäckers50 2.7Die Wahl von 1994 und die Konsolidierung der CDUlCSU-FDP-Koalition51 2.7.1Zur Kandidatendiskussion in den Parteien52 2.7.2Die Wahl Herzogs54 3.Systematik der Bundespräsidentenwahlen56 3.1Die Erstwahlen und die Bedeutung der Gegenkandidaten56 3.2Die Wiederwahlen und die Funktion der Kandidaten als Konsenskandidaten68 Quellen- und Literaturverzeichnis77Textprobe:Textprobe: Kapitel 2.3, Die Wahl von 1969 und der bevorstehende Machtwechsel: Die Bundespräsidentenwahl von 1969 war unter anderem auch deshalb bedeutend, weil im gleichen Jahr die Bundestagswahl stattfand. Bundespräsident Lübke schied bereits am 30. Juni 1969 vorzeitig aus dem Amt. Offiziell begründete der Bundespräsident diesen Schritt mit der Vermeidung eines Zusammenfallens von Bundespräsidenten- und Bundestagswahl Inoffiziell aber waren sowohl seine Krankheit als auch die im Nachhinein als haltlos zu bezeichnenden Verdächtigungen, Lübke habe an der Projektierung von KZ - Bauten mitgewirkt, ein wesentlicher Grund für den Bundespräsidenten, früher sein Amt aufzugeben. So fiel die Kandidatendiskussion und Präsidentschaftswahl nicht unmittelbar in den Bundestagswahlkampf. 2.3.1, Die Situation der Koalitionspartner: 1969 bestand die Große Koalition, die sich aus CDUICSU und SPD zusammensetzte, bereits im dritten Jahr, und es machten sich deutliche politische Divergenzen zwischen den Koalitionspartnern bemerkbar. Die Tendenz eines Auseinanderstrebens von Union und SPD war von großer Relevanz für die Bundespräsidentenwahl und konnte schon recht deutlich bei der Neuwahl des Bundestagspräsidenten im Februar 1969 verzeichnet werden. Nachdem Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaler aufgrund des geäußerten Verdachts, er habe aus politischer Einflußnahme persönlichen Gewinn gezogen, schließlich zurücktrat, wählte der Bundestag am 5. Februar Kai-Uwe von Hassel als seinen neuen Präsidenten. Zu Anfang des Wahljahres 1969 war dies das letzte hohe Staatsamt, das die Union mit einem Politiker aus ihren Reihen besetzen konnte. Mit einer knappen Mehrheit von 262 Ja-Stimmen – die Koalition von CDU/CSU und SPD verfügte über insgesamt 447 Mandate im Bundestag – wurde von Hassel schließlich als Nachfolger Eugen Gerstenmalers gewählt. Dies Stimmergebnis belegt ein sich bereits ankündigendes Auseinanderfallen der Regierungskoalition. Die Wahl Kai-Uwe von Hasseis verdeutlicht ebenfalls, daß von nun an die deutlichen Überhänge der Großen Koalition bei den parlamentarischen Abstimmungen keine Selbstverständlichkeit mehr sein sollten. Die SPD eröffnete die Verhandlungen und die Diskussion um den zu wählenden Bundespräsidentennachfolger bereits im Juni 1967, als der SPD-Vorsitzende Willy Brandt in einem Gespräch mit dem Hamburger Nachrichtenmagazin 'Der Spiegel' den Anspruch der Sozialdemokraten auf das höchste Staatsamt anmeldete. Das Präsidium der SPD bekräftigte danach auch Brandts Forderung und teilte diesen Entschluß Bundeskanzler Kiesinger mit. Die SPD begründete ihre Forderung damit, daß nach einem 'Freidemokraten und einem Unionspolitiker' nun ein Sozialdemokrat als Bundespräsident gewählt werden müsse. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die bisherige Praxis der Regierungsbildungen in der Bundesrepublik, so ist dem kleineren Koalitionspartner - im Fall von1968 also zunächst der SPD - die Möglichkeit, das höchste Staatsamt zu besetzen, teilweise zugestanden worden. Der Benennung eines gemeinsamen Kandidaten von CDU/CSU und SPD stand grundsätzlich nichts im Wege, und sowohl Kiesinger als auch Wehner favorisierten zunächst den Bundesverkehrsminister Georg Leber als den Kandidaten der Regierungskoalition für das Amt des Bundespräsidenten. Zur Entscheidung der Union, letztendlich doch einen eigenen Kandidaten aufzustellen, kam es nach der Überlegung von Bundeskanzler Kiesinger, daß ein aktiver sozialdemokratischer Politiker als späterer Bundespräsident der eigenen Partei im Hinblick auf die noch im selben Jahr stattfindenden Bundestagswahlen von einem nur schwer kalkulierbaren Vorteil sein würde. Kiesinger favorisierte zunächst den Präsidenten des Evangelischen Kirchentages, Richard von Weizsäcker, da die FDP im Falle einer Kandidatur von Weizsäckers signalisiert hatte, diesen eher wählen zu können als Bundesverteidigungsminister Schröder, der ebenfalls in der Union als Kandidat in Frage kam. Diese Entscheidung aber hatte die FDP seit dem 15. November 1968, als Schröder, ein Protagonist einer CDU/CSU-FDP Koalition, von den Wahlmännern der Union im zweiten Wahlgang einstimmig vorgeschlagen wurde, nicht mehr zu treffen. Die ablehnende Haltung der FDP gegenüber Schröder war der CDU/CSU durchaus bekannt gewesen, Richard von Weizsäcker unterlag dem Bundesverteidigungsminister jedoch deutlich im ersten Wahlgang der Abstimmung des Wahlmännergremiums. Ein weiterer Aspekt, der den Ausgang der Bundespräsidentenwahl von 1969 als wesentlich unsicherer erscheinen ließ als die Wahl von 1959, kam noch hinzu: Im Falle einer Kandidatur seitens der Union als auch seitens der Sozialdemokraten fiel 1969 nun der dritten Kraft im Parteiensystem, nämlich der FDP aber auch der in der Bundesversammlung über die Landtage vertretenen NPD, eine besondere Rolle zu. Denn es herrschten in der 5. Bundesversammlung keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse. Weder die Unionsparteien noch die Sozialdemokraten verfügten über eine absolute Mehrheit. Die FDP konnte nun für die Wahl den Ausschlag geben.
Aus der Einleitung: In der politischen Debatte in Deutschland ist man es gewohnt, dass in regelmäßigen Abständen immer mal wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des herannahenden Sommerlochs in der Berliner Republik. Von Dauerbrennern wie dem hohen Ölpreis mit seinen möglichen Ursachen und dem Klimawandel einmal abgesehen, gibt es kaum ein anderes Thema, dass die Gemüter in Politik und Wirtschaft zurzeit derart erhitzt, wie das Thema Mindestlöhne. SPD und Gewerkschaften wollen staatlich festgesetzte Lohnuntergrenzen, Union und Arbeitgeberverbände lehnen jegliche staatliche Einmischung in die Lohngestaltung ab. Die vorliegende Arbeit wird, vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über die Notwendigkeit sowie Sinn und Zweck staatlich festgesetzter Mindestlöhne, die wichtigsten wirtschaftswissenschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Aspekte staatlich vorgegebener Lohnuntergrenzen durchleuchten. Dabei wird sich die Untersuchung auf die durch Legislative (allgemeiner, branchenübergreifender gesetzlicher Mindestlohn) und Exekutive (Branchenmindestlöhne durch Rechts-verordnung im Wege des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes oder Mindestarbeits-bedingungengesetzes) vorgegebenen Lohnuntergrenzen beschränken. Die Setzung von Lohnuntergrenzen durch einzelfallbezogene richterliche Entscheidung (sog. richterlicher Mindestlohn) wird somit nicht Gegenstand dieser Arbeit sein, zumal diese Form einer absoluten Lohnuntergrenze auch in der aktuellen Debatte über Mindestlöhne in Deutschland eine untergeordnete Rolle spielt. Im ersten Teil dieser Arbeit erfolgt zunächst eine Darstellung der derzeit in Deutschland geltenden gesetzlichen Regelungen, welche zur Festsetzung von Mindestlöhnen verwendet werden können. Hierbei handelt es sich zum einen um das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) und zum anderen das Mindestarbeits-bedingungengesetz (MindArbBedG). Beide Gesetze sind in ihrer Anwendung aber darauf beschränkt, dass mit ihnen lediglich Mindestlöhne in bestimmten Branchen festgesetzt werden können. Ein Gesetz, welches einen allgemeinen, branchen-übergreifenden Mindestlohn vorschreibt, gib es bisher noch nicht. Ein solcher branchenunabhängiger Mindestlohn, der eine absolute Lohnuntergrenze für jeden Arbeitnehmer in Deutschland vorsieht, wird aber von den Gewerkschaften und anderen Mindestlohnbefürwortern eindringlich gefordert. Der zweite Teil dieser Arbeit gibt zunächst einen Überblick über die in der aktuellen Debatte vorgebrachten Argumente pro und contra Mindestlöhne. Anschließend werden Ausmaß und Ursachen der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland näher untersucht. Denn eine Zunahme der zu Niedriglöhnen Beschäftigten wird als ein Hauptargument für die Notwendigkeit von Mindestlöhnen herangeführt. Im dritten Teil werden die wirtschaftlichen Folgen von Mindestlöhnen in Theorie und Praxis näher untersucht. Ziel ist es, zunächst anhand verschiedener wirtschaftstheoretischer Modelle aufzuzeigen, inwiefern sich staatlich festgesetzte Mindestlöhne auf die Beschäftigung auswirken und ob etwaige negative Beschäftigungseffekte durch eine gestiegene Kaufkraft eventuell wieder kompensiert werden können. Dabei wird von einem allgemeinen, branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn ausgegangen, da dieser in der Reichweite seiner Auswirkungen die gesamte deutsche Volkswirtschaft betreffen würde. Im Anschluss an die theoretische Analyse erfolgt dann eine Darstellung der aktuellen Empirie zu den tatsächlichen Auswirkungen von Mindestlöhnen. Abschließend soll ein Vergleich der Mindestlöhne anderer Staaten, welche sich für einen einheitlichen, branchen-übergreifenden Mindestlohn entschieden haben, einen weiteren Überblick über die Aus-wirkungen von Mindestlöhnen in Abhängigkeit vom allgemeinen Lohnniveau geben. Der vierte und letzte Teil dieser Arbeit widmet sich schließlich den rechtlichen Problemen von Mindestlöhnen. Hierbei werden sowohl die rechtlichen Fragen bezüglich der bereits vorhandenen gesetzlichen Grundlagen für Branchenmindestlöhne durchleuchtet, als auch die rechtlichen Probleme eines möglichen, per Gesetz angeordneten, allgemeinen branchenübergreifenden Mindestlohns aufgezeigt. Neben europarechtlichen Fragen stehen hier hauptsächlich verfassungsrechtliche Aspekte im Vordergrund. So ist zu klären, inwiefern staatlich festgesetzte Mindestlöhne in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie eingreifen und inwiefern die Regelung des Paragraphen 1 Abs. 3a AEntG mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 80 Abs. 1 GG vereinbar ist.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: AbkürzungsverzeichnisIV Abbildungs- und TabellenverzeichnisVII Einleitung1 Paragraph 1Die Möglichkeiten zur Einrichtung von Mindestlöhnen3 I.Die gesetzlichen Grundlagen für Branchenmindestlöhne in Deutschland3 1.Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG)4 a)Das ursprüngliche AEntG4 aa)Allgemeinverbindlicherklärung gem. Paragraph 5 TVG5 bb)Allgemeinverbindlicherklärung gem. Paragraph 1 Abs. 3a AEntG6 cc)Die Anwendung beider Formen7 b)Das erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes8 c)Das zweite Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes9 2.Das Mindestarbeitsbedingungengesetz (MindArbBedG)10 II.Die geplanten Änderungen für beide Gesetze11 1.Die Einbeziehung weiterer Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz11 2.Die Reformierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes12 III.Der Stand der Entwicklung bis zum Stichtag 31.3.200815 Paragraph 2Die aktuelle Mindestlohndebatte und ihre Hintergründe17 I.Die Meinungen17 1.Die Argumente der Mindestlohnbefürworter18 a)Die Verhinderung von Lohndumping und ruinösem Wettbewerb18 b)Jeder soll von seiner Arbeit ohne staatliche Zuschüsse leben können20 c)Eindämmung des Niedriglohnsektors21 d)Ausgleich für die abnehmende Relevanz tariflicher Regelungen22 e)Stärkung der Kaufkraft24 2.Die Argumente der Mindestlohngegner24 a)Gefährdung bestehender und Verhinderung neuer Arbeitsplätze25 b)Ungeeignetes Mittel zur Armutsbekämpfung26 c)Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit27 II.Niedriglöhne in Deutschland und ihre Ursachen30 1.Umfang der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland30 a)Anteil der Niedriglohnbeschäftigten unter den abhängig Beschäftigten31 b)Struktur der Niedriglohnbeschäftigung31 c)Ergebnis33 2.Abnehmende Relevanz tariflicher Regelungen als Ursache von Niedriglöhnen34 a)Rückläufige Tarifbindung35 b)Mangelnde Wirksamkeit tariflicher Regelungen35 c)Zunehmendes Lohndumping in Deutschland37 Paragraph 3Mindestlöhne und ihre wirtschaftlichen Folgen37 I.Mindestlöhne und Beschäftigung in der Theorie38 1.Die neoklassische Arbeitsmarkttheorie39 a)Auswirkungen von Mindestlöhnen aus neoklassischer Sicht39 b)Annahmen und Probleme der neoklassischen Theorie42 2.Die keynesianische Perspektive: Stärkung der Kaufkraft44 a)Auswirkungen von Mindestlöhnen nach der Kaufkrafttheorie45 b)Auswirkungen von Mindestlöhnen - Eine Simulationsrechnung46 c)Probleme der Kaufkrafttheorie48 II.Tatsächliche Auswirkungen eines Mindestlohns auf die Beschäftigung51 III.Mindestlöhne und Beschäftigung im internationalen Vergleich53 1.Mindestlöhne und Beschäftigung in Europa und den USA53 a)Der britische Mindestlohn: The National Minimum Wage (NMW)54 b)Mindestlöhne im restlichen Europa und den USA55 c)Auf die Höhe kommt es an55 2.Zwischenfazit56 VI.Rückschlüsse für die deutschen Branchenlösungen58 Paragraph 4Rechtliche Probleme von Mindestlöhnen59 I.Rechtliche Probleme von Branchenmindestlöhnen60 1.Rechtliche Fragen bezüglich des AEntG60 a)Verletzung der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG61 aa)Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit62 bb)Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit64 aaa)Das unterschiedliche Wortlautverständnis von Paragraph 1 Abs. 3a AEntG65 bbb)Die Auswahl des richtigen Tarifvertrags66 b)Hinreichende Bestimmtheit des Paragraph 1 Abs. 3a AEntG?69 c)Vereinbarkeit des AEntG mit dem Europarecht72 2.Rechtliche Fragen bezüglich des MindArbBedG72 II.Rechtliche Probleme einer möglichen branchenübergreifenden Lösung74 III.Der Stand der Entwicklung zum 16. 7. 200877 1.Der Regierungsentwurf zur Änderung des AEntG77 2.Der Regierungsentwurf zur Änderung des MindArbBedG79 Zusammenfassung und Ausblick81 LiteraturverzeichnisVIIITextprobe:Textprobe: Paragraph 2, Die aktuelle Mindestlohndebatte und ihre Hintergründe: Vor einer eingehenden Untersuchung der wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte von Mindestlöhnen in den Paragraphen 3 und 4 dieser Arbeit, werden in diesem Abschnitt zunächst die gewichtigsten Argumente, die in der aktuellen Mindestlohndebatte in Deutschland vorgebracht werden, dargestellt. An dieser Stelle sollen die kontrovers laufenden Meinungen sowie die Hintergründe für die Forderung nach Mindestlöhnen wiedergegeben werden. Dabei werden aktuelle Studien und Analysen einbezogen, welche unter Umständen eine Notwendigkeit von Mindestlöhnen in Deutschland indizieren könnten. Kapitel I, Die Meinungen: Das Thema Mindestlohn ist seit dem Beschluss der Großen Koalition vom 18.6.2007 ein fester Bestandteil der politischen und gesellschaftlichen Debatte. Es gibt reichlich Argumente pro Mindestlohn seitens der Mindestlohnbefürworter, insbesondere der Gewerkschaften und der SPD, aber mindestens auch ebenso viele Argumente contra Mindestlohn von den Mindestlohngegnern, zu denen die meisten Arbeitgeberverbände und große Teile der Unionsanhänger gehören. Während die meisten Wirtschaftsforscher zu den Mindestlohngegnern gehören und die Arbeitgeber im Kampf gegen Mindestlöhne unterstützen, gibt es überraschenderweise auch Arbeitgeberverbände, die die Existenz eines Mindestlohns für sinnvoll erachten. Die Gewerkschaften Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und ver.di haben dem Mindestlohn in einem gemeinsamen Projekt sogar einen eigenen Internetauftritt gewidmet. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat eigens für den Mindestlohn eine Internetseite geschaffen. Auf Arbeitgeberseite enthält der Internetauftritt der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ebenfalls eine eigene, feste Rubrik zum Thema Mindestlohn. Die folgenden Ausführungen sollen einen Überblick über die am häufigsten vorgebrachten Argumente pro und contra Mindestlöhne geben. Hierbei werden sowohl die wirtschaftlichen, als auch die juristischen Bedenken bzw. Probleme, die ein staatlich festgesetzter Mindestlohn mit sich bringt, skizziert. Kapitel 1, Die Argumente der Mindestlohnbefürworter: Von den Mindestlohnbefürwortern werden als Argumente für einen Mindestlohn hauptsächlich die seit Jahren steigende Zahl der Niedriglohnempfänger bzw. das stetige Wachsen eines sog. Niedriglohnsektors in Deutschland sowie die Gefahr des Lohndumpings, u.a. durch die Öffnung des Arbeitsmarkts für osteuropäische Arbeitnehmer (als eine der Ursachen für das Wachsen des Niedriglohnsektors), herangeführt. Insbesondere die Tatsache, dass wohl immer mehr in Vollzeit beschäftigte Arbeitnehmer so wenig verdienen, dass sie auf zusätzliche staatliche Unterstützung angewiesen sind, ist für Mindestlohnbefürworter ein völlig untragbarer Zustand, dem mit einem Mindestlohn abgeholfen werden soll. Insgesamt laufen die verschiedenen Argumente immer darauf hinaus, dass zunehmend Löhne bezahlt werden, die nicht den eigentlichen Wert der Arbeit widerspiegeln und dass tarifliche Regelungen allein kein geeignetes Mittel mehr sind, um dieser Entwicklung entgegenzutreten. Kapitel a), Die Verhinderung von Lohndumping und ruinösem Wettbewerb: Ein Argument, welches für Mindestlöhne spricht, ist die Bekämpfung des Lohndumpings in Deutschland. Die Verhinderung dieses Lohndumpings, verursacht durch ausländische Arbeitnehmer, war ja schließlich auch der ursprüngliche Sinn und Zweck des im Jahr 1996 eingeführten AEntG. Durch den verstärkten Zustrom ausländischer Arbeitskräfte ist das Lohndumping eine reale Bedrohung für die bisherigen deutschen Einkommens- und Sozialstandards geworden. Es besteht die Gefahr, dass die Niedriglohnkonkurrenten aus dem Ausland die inländischen Beschäftigten verdrängen, welche wegen ihres höheren Lebenshaltungsniveaus mit den niedrigen Löhnen einfach nicht mithalten können. Daher sollen nach Ansicht der Mindestlohnbefürworter die einheimischen Beschäftigten mittels eines Mindestlohns vor einer Verdrängung durch ausländische Beschäftigte bewahrt werden. Denn durch den Mindestlohn würde der Lohndruck, der auf die Beschäftigten ausgeübt wird, ausgebremst. Man erhofft sich dadurch, dass es für die Unternehmen dann keinen Sinn mehr macht, die regulären Beschäftigten durch – dann ja nicht mehr billigere – ausländische Werkvertragnehmer auszutauschen. Die Zeitarbeit ist ein aktuelles Beispiel für eine Branche, in der man die ausländische Niedriglohnkonkurrenz fürchtet und deshalb einen Mindestlohn anstrebt. Hier soll es in Zukunft eine durch das AEntG festgelegte Lohnuntergrenze geben. Thomas Reitz, Deutschland-Chef der Zeitarbeitsfirma Manpower , befürwortet die Einführung eines Mindestlohns, um damit die Zeitarbeitsbranche in Deutschland gegen die Öffnung des Arbeitsmarkts für die osteuropäischen EU-Staaten im kommenden Jahr abzusichern. Neben dem Schutz der Arbeitnehmer vor einer Lohnspirale nach unten haben die Zeitarbeitsfirmen auch ein gar nicht so geringes Eigeninteresse an einem Mindestlohn für ihre Branche. Die Öffnung des Arbeitsmarkts würde laut Reitz zwangsweise einen Wettbewerb mit Niedriglöhnen entfachen, die die Zeitarbeitsfirmen mit ihrer Tarifbindung nicht bezahlen dürfen und auch nicht wollen. Insofern wird befürchtet, dass die osteuropäischen Konkurrenten mit niedrigen Löhnen und somit mit einem Preisvorteil die deutschen Wettbewerber vom Markt drängen könnten. Kapitel b), Jeder soll von seiner Arbeit ohne staatliche Zuschüsse leben können: An das Argument des Lohndumpings knüpft die Forderung an, dass ein Arbeitnehmer, der in Vollzeit arbeitet, von seiner geleisteten Arbeit auch ohne staatliche Zuschüsse leben soll. Die Zahl der Erwerbstätigen, die ihr Erwerbseinkommen durch Arbeitslosengeld II aufstocken müssen, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Im September 2005 hatten über 900.000 Beschäftigte einen Anspruch auf ergänzendes Arbeitslosengeld II. Genau zwei Jahre später waren es schon knapp 1,3 Millionen. Dabei handelte es sich keineswegs nur um Personen, die in Minijobs orientiert an den Freigrenzen einen zusätzlichen Verdienst erzielten, sondern häufig auch um Vollzeitbeschäftigte, deren Erwerbseinkommen einfach nicht ausreichte, um ihren Bedarf im Haushaltskontext abzusichern. Das Problem dabei ist, dass Niedriglohn-bezieher, insbesondere wenn sie in Vollzeit arbeiten, wie andere eine Arbeitsleistung erbringen und sich denselben Belastungen aussetzen, sich aber mit einem Lebensstandard begnügen müssen, der das Niveau der Sozialhilfe kaum übersteigt. Zudem sind auch die Aussichten auf einen Aufstieg in einen Job mit einem höheren Verdienst meist minimal. Nach Ansicht der SPD kann es nicht sein, dass Unternehmen Menschen in die Bedürftigkeit drängen und dann der Staat dauerhaft einen Teil der Löhne bezahlt. Man könne sich nicht damit abfinden, dass Löhne nicht zum Leben reichten und Dumpinglöhne aus Steuergeldern aufgestockt werden müssten. Zudem würden auch die Unternehmen von Mindestlöhnen profitieren, weil diese sog. Schmutzlöhne verhinderten. Reitz ist ebenfalls der Ansicht, dass eine Vollzeitkraft in Deutschland soviel verdienen soll, dass sie ohne staatliche Zuschüsse auskommt.
Aus der Einleitung: Seit in den 90-er Jahren die ersten GVO-Spuren in Futter- und Lebensmitteln auftraten, welche gewolltermaßen frei von Gentechnik sein sollten, steht die grüne Gentechnik auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene in der öffentlichen Diskussion. Dieser Diskussion folgten die umfangreichen gesetzgeberischen Maßnahmen im Bereich des nationalen und supranationalen Gentechnikrechts. Da der Gegenstand der Gesetzgebung auf die Gesellschaft äußerst polarisierend wirkte, reichten die dem Regelungsvorhaben vorausgegangenen Debatten von den allumfassenden Regulierungsvorschlägen der Gentechnikgegner einerseits bis zum Protest wegen der Überreglementierung und der damit einhergehenden Belastung für Industrie und Handel durch die Befürworter neuartiger Technologien andererseits. Während für den rechtmäßigen Umgang mit den gentechnisch veränderten Produkten die gesetzlichen Grundlagen sowohl national als auch europarechtlich bereits geschaffen worden sind, resultiert die Problematik rechtlicher Einordnung und Behandlung von ungewollten GVO-Spuren in erster Linie daraus, dass das Gentechnikrecht ursprünglich für gezielte Tätigkeiten konzipiert wurde. Der Kern dieser Arbeit wird die Analyse folgender Sachverhalte und Beantwortung nachstehender Fragestellungen sein. Es soll geklärt werden: - Ob und inwieweit es gegenwärtig möglich ist, die gefahrbegründenden Umstände und damit verbundene langfristige Risiken die von den genetisch veränderten Organismen ausgehen, zu erkennen. - Ob und inwieweit die Tragweite dieser Risiken im Rahmen des nationalen und internationalen Gesetzesregelwerks im Bezug auf Genehmigungsverfahren hinreichend berücksichtigt worden ist. - Wie die exekutive Praxis und die Rechtssprechung der Problematik von ungewollter Verbreitung gentechnisch veränderten Materials begegnet. - Wer und in welchem Umfang für die Entstehung von ungewollten GVO-Spuren in konventionell hergestellten Lebensmitteln haftbar gemacht werden kann.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Abkürzungsverzeichnis6 AEinleitung12 I.Allgemeine Erläuterungen zum Untersuchungsgegenstand13 1.Genetik, Gentechnik und Biotechnologie13 2.Arten der Gentechnik und derer Anwendungsbereiche14 3.Warum Gentechnik?17 4.Gesamtwirtschaftliche und steuerliche Aspekte der grünen Technologie19 BNaturwissenschaftliche und rechtliche Grundlagen für den Umgang mit GVO21 I.Formen des Umgangs mit GVO23 II.Verbreitungswege der GVO und deren Risikopotential25 1.Technisch bedingte Vermischung25 2.Biologisch bedingte Verbreitungspfade27 a)Horizontaler Gentransfer27 b)Durchwuchs27 c)Vertikaler Gentransfer28 3.Risikopotential transgener Pflanzen aus natur- und rechtswissenschaftlicher Sicht31 4.Risikoabschätzung durch EFSA33 III.Indizierung von gentechnischen Veränderungen im Organismus mittels analytischer Verfahren36 CAufgaben und Prinzipien des supranationalen und nationalen Gentechnikrechts39 I.Aufgabenbereich des Gentechnikrechts im Wandel40 1.Geltungsbereich und Abgrenzungsfragen untersuchungsrelevanter supranationaler Vorschriften41 a)Systemrichtlinie 90/219 EWG (SRL)41 b)Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG (FRL)42 c)Gen Food/Feed Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 (GFFV)43 d)Verordnung Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung (EG) Nr. 1830/2003 (RKV)45 e)Verordnung grenzüberschreitende Verbringung (EG) Nr. 1946/2003 (GVV)46 2.Nationales Gentechnikrecht47 II.Prinzipien des Gentechnikrechts53 1.Vorsorgegedanke und Basisrisiko54 2.'Step-by-step'-Verfahren55 3.Prinzip der präventiven Kontrolle56 a)'Case-by-case'-Verfahren56 b)Genehmigungsverfahren zur Freisetzung und zum Inverkehrbringen von GVO56 4.Zusammenfassung der Zwischenergebnisse61 DDie GVO-Spuren im Kontext des Koexistenzgedankens65 I.Gentechnikrecht zwischen Warenverkehrsfreiheit und Schutzerfordernissen für Gesundheit, Umwelt und Koexistenz66 II.Regelung der Koexistenz auf europäischer Ebene66 III.Nationalrechtliche Regelung der Koexistenz67 IV.Möglichkeit der Herabsetzung der Kennzeichnungsschwelle für GVO auf nationalstaatlicher Ebene68 V.Die Vereinbarkeit der Minimierung von GVO-Einträgen durch die Ausgestaltung von Abstandsregelungen mit dem internationalen Recht70 V.Rechtliche Bedenklichkeit von Nachbarabsprachen73 EGVO-Spuren und verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz74 I.Ausgewählte Fragen der Zulässigkeit75 1.Statthafte Klageart75 2.Zuständiges Gericht76 3.Klagebefugnis77 a)Drittschützende Norm78 b)Qualifizierte Betroffenheit des Rechtsschutzsuchenden78 aa)Nachbar-Begriff78 bb)Darlegung konkreter Einwirkungen auf geschützte Rechtsgüter79 II.Ausgewählte Begründetheitsfragen79 1.Rechtsprechungsüberblick79 FZivilrechtliche Haftungsregelungen86 I.Regelungen auf europäischer Ebene87 II.Nationalrechtliche Haftungsregelungen88 1.Unterlassung-, Beseitigungs- und Ausgleichsansprüche nach §§ 1004, 903, 906 und § 823 BGB i.V.m. § 36a GenTG88 a)'Wesentliche Beeinträchtigung' im Sinne des § 906 I BGB89 aa)Merkmal der 'ortsüblichen Nutzung'92 bb)Zumutbarkeitsmaßstab93 b)Ansprüche des Nachbarn im Einzelnen93 aa)Anspruch auf Unterlassung und Schutzvorkehrungen nach §§ 1004, 906 BGB i.V.m. § 36a I-III und § 23 S. 1 GenTG94 bb)Anspruch auf Beseitigung nach §§ 1004 I, 906 BGB i.V.m. § 36a I-III GenTG95 cc)Anspruch auf finanziellen Ausgleich nach § 906 II S.2 BGB i.V.m. § 23 S. 2 GenTG 95 2.Spezialgesetzlicher Schadenersatzanspruch nach §§ 32 GenTG97 GDie neusten Ereignisse im Bereich der grünen Gentechnik und derer Würdigung97 HZusammenfassung der Ergebnisse100 Abbildungsverzeichnis106 Literaturverzeichnis115Textprobe:Textprobe: Kapitel E, GVO-Spuren und verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz: Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben birgt gerade die Freisetzung von GVO die Gefahr in sich, dass ungewollte Sputen transgener Materie in umliegende Feldbestände gelangen. Wenn der benachbarte Landwirt wegen der Verunreinigung seines Produkts unter Umständen mit einer Untersagungs- oder Vernichtungsanordnung rechnen muss, hat er ein primäres Interesse daran, sich bei der Gefahr des Gentransfers präventiv gegen die Freisetzungsgenehmigung zu Wehr setzen zu können. Aus diesem Grund werden im Folgenden die wesentlichen Fragestellungen im Bezug auf Zulässigkeit und Begründetheit einer möglichen Klage gegen eine Freisetzungsgenehmigung erörtert. Ausgewählte Fragen der Zulässigkeit: Im nachstehenden Kapitel geht die Verfasserin auf die Fragen der statthaften Klageart, der gerichtlichen Zuständigkeit und der Klagebefugnis ein. Diese Kernfragen werden in der Praxis oft zum Schwerpunkt der Zulässigkeitsprüfung. Statthafte Klageart: Beim Vorgehen gegen die Freisetzungsgenehmigungen handelt es sich in der Regel um Anfechtungssituationen, weil das begehren des Klägers entweder dahin geht die, noch nicht bestandskräftige Genehmigung insgesamt zu beseitigen oder aber den Erlass von nachbarschützenden Nebenbestimmungen zu erreichen. In letzterem Fall hat der Betroffene grundsätzlich die Wahl zwischen einer Anfechtungsklage nach § 42 I Alt. 1 VwGO wegen Fehlens einer solchen schützenden Nebenbestimmung oder auf eine Verpflichtungsklage gem. § 42 I Alt. 2 VwGO auf die entsprechende Ergänzung des Verwaltungsaktes. Will der Betroffene dagegen nach Bestandskraft der Genehmigung etwa wegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nachträgliche Auflagen gem. § 19 S. 3 GenTG erwirken, kann er nur auf die Verpflichtungsklage zurückgreifen. Zuständiges Gericht: Wie bereits oben erläutert war bis zum Organisationserlass des Bundeskanzlers Gerhard Schröder v. 22.10.2002 für die Genehmigungen im Bereich Gentechnik das RKI mit Sitz im Berlin zuständig. Die Rechtsprechung leitete daraus gem. § 52 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 14 I GenTG die generelle Zuständigkeit Berliner Verwaltungsgerichte u.A. für die Fragen der Freisetzungen ab. Das VG Berlin ging in seiner Argumentation davon aus, die Freisetzungsgenehmigung stünde in keiner derart besonderen Beziehung zu einem bestimmten Standort, dass über den – grundsätzlich vorrangigen – Gerichtsstand nach § 52 Nr. 1 VwGO die Verwaltungsgerichte zuständig währen, in deren Bezirk sich die Freisetzung stattfinden solle. Ortsgebunden im Sinne der obigen Vorschrift seien nur Rechte oder Rechtsverhältnisse, für die die Beziehung zu einem bestimmten Ort den wesentlichen Inhalt ausmache. Allein der Umstand, dass die GVO naturgemäß (zumeist) an einem bestimmten Standort freigesetzt werden führe nicht zu einer solchen Ortsgebundenheit da die Genehmigungsfähigkeit einer Freisetzung nicht maßgeblich durch den jeweiligen Standort bestimmt sei. Das BVerwG hat zu diesem Zeitpunkt die Rechsprechung des VG Berlin ausdrücklich bestätigt, zumal eine Freisetzungsgenehmigung gem. § 14 III GenTG u.U. auch für mehrere Standorte erteilt werden kann. Nachdem die Zuständigkeit für die Erteilung der Genehmigungen vom RKI auf das BVL übertragen wurde, änderte die Rechtsprechung ihre Auffassung im Bezug auf die örtliche Zuständigkeit der Gerichte. Es wurde nunmehr im Widerspruch zu vorherigen Ansicht dahingehend argumentiert, dass eine Freisetzung sich gerade auf eine bestimmte Fläche beschränkt, während im Vergleich dazu das Inverkehrbringen auf den Einsatz in verschiedenen Umgebungen gerichtet ist. Die Begrenzung der Ausbreitung sei demnach zwar keine Genehmigungsvoraussetzung, jedoch ist es grundsätzliches Ziel der Genehmigung, die Auswirkungen der Freisetzung im Wesentlichen auf die Versuchsfläche zu begrenzen. Daran anlehnend wurden seitdem für die Entscheidungen im Bezug auf Freisetzungen gem. § 52 Nr. 1 VwGO die Gerichte für zuständig erkannt, in deren Bezirk der Ort der Freisetzung liegt. Klagebefugnis: Geht ein Nachbar gegen die, einem Betreiber erteilte Genehmigung vor, so ist die sog. Drittanfechtungssituation gegeben. Es kommt daher im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung vor Allem der Frage nach Klagebefugnis gem. § 42 II VwGO eine gewichtige Rolle zu. Die Klagebefugnis setzt die Geltendmachung einer möglichen Verletzung eigener Rechte durch den Verwaltungsakt voraus. Der Drittanfechtungssituation entsprechend muss sich hier der Rechtssuchende auf eine Norm stützen können, die dem Schutz seiner Rechte dient und er muss ein qualifiziertes Betroffensein in diesen Rechten glaubhaft machen können. Drittschützende Norm: Von einer drittschützenden Norm spricht man dann, wenn sie die Rechtsgüter Dritter genau gegen die, durch den Verwaltungsakt möglicherweise eintretende Verletzung schützen soll. Im Gegensatz zu Vorsorgepflichten bei den die Drittwirkung umstritten ist, wird von der Literatur und der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass der Grundpflicht des Betreibers zur Gefahrenabwehr gem. § 6 II GenTG drittschützende Wirkung zukommt. Speziell bei Freisetzungen hat der § 16 I Nr. 2, 3 GenTG eine große Bedeutung da das Treffen der dort genannten Sicherheitsvorkehrungen als Grundpflicht des Betreibers die Genehmigungsvoraussetzung darstellt. Die Kläger können in einem Verfahren die Verletzung dieser Vorschrift etwa dann geltend machen, wenn die Möglichkeit besteht, dass es infolge des nicht auszuschließenden Gentransfers aus der Versuchsfläche zu unvertretbaren schädlichen Einwirkungen auf ihr Eigentumsgrundrecht und/oder die Gesundheit kommen könnte. Qualifizierte Betroffenheit des Rechtsschutzsuchenden: Neben dem Finden der einschlägigen Norm mit Drittschutz liegen oftmals die Schwierigkeiten in der Frage, ob der Rechtsschutzbegehrende im Fall der Freisetzung durch einen Anderen überhaupt negative Auswirkungen auf seine geschützten Rechte befürchten kann. Gefordert wird hier nicht bloß die Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung sondern das tatsächliche Betroffensein und zwar im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Freisetzungsversuch. Der Betroffene muss sich als 'Nachbar' im Einwirkungsbereich der Freisetzung befinden und eine konkrete Einwirkung auf seine Rechtsgüter darlegen können. Nachbar-Begriff: Der Betroffene ist erst dann als 'Nachbar' klagebefugt, wenn es aus dem Ausbreitungsverhalten der konkreten gv-Pflanze und den Standortbesonderheiten darauf geschlossen werden kann, dass auch er bzw. sein Grundstück von den Auswirkungen des Freilandversuches erreicht werden kann. Gerade im Hinblick auf viele, die Verbreitung des Genmaterials beeinflussende Faktoren dürfte die Eingrenzung des Betroffenen-Kreises oft schwer fallen. Darlegung konkreter Einwirkungen auf geschützte Rechtsgüter: Mit der Entscheidung der Möglichkeit einer Erlaubniserteilung für die Freisetzungen hat der Gesetzgeber klargestellt, dass diese grundsätzlich gemeinwohlverträglich sind. Aus diesem Grund sind die 'Nachbarn' nicht schon per se in ihren Rechten verletzt, wenn ein Freilandversuch in der Nähe ihrer Grundstücke stattfindet. Der Nachbar muss vielmehr darlegen können, dass sein Betroffensein deutlich von den Auswirkungen abhebt, die einen Einzelnen als Teil der Allgemeinheit treffen. Auf diesem Wege sollen die Popularklagen vermieden werden. So können 'Jedermann-Einwendungen', dass es nicht möglich sei, 'zuverlässige Aussagen zur Entwicklung von GVO in der Umwelt zu treffen' und 'die ökologischen Risiken des Versuchs zu kalkulieren' eine Klagebefugnis nicht begründen. Dieser Rechtsprechung folgend würde ein qualifiziertes Betroffensein z.B. dann bejaht werden können, wenn die Möglichkeit nicht ausgeschlossen erscheint, dass die Pflanzen auf dem Grundstück des Rechtssuchenden nach biologischen Gesetzmäßigkeiten von den benachbarten gv-Pflanzen bestäubt werden können, die Pflanzenarten miteinander also grundsätzlich kreuzbar sind.
Aus der Einleitung: Globalisierung, Konsolidierung, Marktsättigung, sinkende Nachfrage sowie ein zunehmender Preisverfall sind nur einige Schlagworte, mit denen die Automobilindustrie in diesen Tagen konfrontiert wird. Während sich die Absatzzahlen für Automobile auf den etablierten Märkten der Triade Nordamerikas, Europas und Japans im Jahr 2007 insgesamt negativ entwickelten, konnte in den Emerging Markets ein deutliches Umsatzplus erzielt werden. Der chinesische Markt zählt neben Indien, Russland und Brasilien zu einem der zukunftsträchtigsten Automobilmärkte mit hoher Absatzdynamik. Aufgrund Chinas hoher Bevölkerungszahl von 1,32 Mrd. Einwohnern im Jahr 2007 und der vergleichsweise geringen Fahrzeugdichte mit weniger als zwanzig Fahrzeugen pro 1000 Einwohnern, deutet Vieles darauf hin, dass hier der Markt der Zukunft zu finden ist. Will man als Automobilzulieferer nicht den Anschluss im Kampf um globale Marktanteile verlieren, ist eine Betrachtung des chinesischen Marktes unentbehrlich. Es ist erforderlich strategische Unternehmenskonzepte aufzustellen und somit die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu sichern. Dabei müssen weitreichende Entscheidungen bezüglich der Absatzmärkte und Produktionsstandorte getroffen werden. Eine Vielzahl von europäischen Automobilzulieferern ist bereits in den 1990er-Jahren den Weg der Erschließung des chinesischen Marktes gegangen, sei es durch Exporte, Repräsentanzen, Lizenzvergabe, Franchising oder durch ein Joint Venture. Mittlerweile betreiben einzelne ausländische Zulieferer bereits komplette Entwicklungszentren in der Volksrepublik China. Da zum einen immer mehr ausländische Zulieferer am Aufschwung in China teilhaben wollen, auf der anderen Seite die chinesischen Automobilzulieferer aber auch in Sachen Technik und Qualität immer konkurrenzfähiger werden, wächst der Kampf um Marktanteile zusehends. Nur durch eine genau durchdachte und ausgewogene Strategie kann man sich die entscheidenden Vorteile sichern und sich somit von der Konkurrenz absetzen. Gang der Untersuchung: Die vorliegende Arbeit hat die künftigen Handlungsoptionen für deutsche Automobilzulieferer auf dem chinesischen Markt zum Thema. Dabei wird auf der einen Seite die Situation bereits ansässiger Unternehmen beleuchtet, die zum Teil schon seit vielen Jahren auf dem chinesischen Markt aktiv sind. Auf der anderen Seite fällt die Betrachtung aber auch auf Unternehmen, die den Markteintritt in China noch vor sich haben. Dabei soll aufgezeigt werden, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um als Unternehmen im immer härter umkämpften Zuliefermarkt nachhaltig zu bestehen. Den Anfang der Arbeit bildet eine Übersicht der Automobilzulieferindustrie. Hier sollen zunächst die Hersteller-Zulieferbeziehungen betrachtet werden. Im nächsten Schritt wird ein Überblick über die Entwicklung der deutschen Zulieferindustrie anhand unterschiedlicher Kennzahlen gegeben. Den Abschluss des Kapitels bildet die Thematik der Globalisierung der Zulieferindustrie. Das dritte Kapitel behandelt den chinesischen Automobilmarkt, wobei zunächst ein allgemeiner historischer Überblick erfolgt. Im folgenden Schritt wird der chinesische Zuliefermarkt, als Untermenge des Automobilmarktes beleuchtet. Im Anschluss daran erfolgt eine Übersicht über lokale und ausländische Zulieferbetriebe, die anhand von Kennzahlen und Beispielen dargelegt wird. Im vierten Kapitel wird das Wettbewerbsumfeld deutscher Automobilzulieferer auf dem chinesischen Markt dargestellt. Zunächst werden theoretische Grundlagen der SWOT-Analyse sowie der Wettbewerbsmatrix von Porter vorgestellt. Im Anschluss daran folgt eine Übersicht über die ökonomischen, politisch-rechtlichen, sozio-kulturellen und technologischen Bedingungen in der Volksrepublik China. Danach erfolgt eine Situationsanalyse der deutschen Automobilzulieferer anhand der SWOT-Analyse. Den Abschluss des Kapitels bildet eine Erarbeitung möglicher Marketingstrategien auf Grundlage der Wettbewerbsmatrix von Porter. Kapitel fünf stellt mögliche Handlungsoptionen deutscher Automobilzulieferer auf dem chinesischen Automobilmarkt dar. Dabei werden Strategien der Markterschließung und des Markteintrittes erarbeitet. Es sollen sowohl Möglichkeiten für den Neueintritt eines Unternehmens, welches bislang noch nicht auf dem chinesischen Markt vertreten ist, vorgestellt werden als auch die Chancen der Geschäftsfelderweiterung bereits ansässiger Unternehmen betrachtet werden. Maßnahmen zur Anpassung an ein geändertes Marktumfeld runden das fünfte Kapitel ab. Das abschließende Kapitel sechs fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen und gibt einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen des außerordentlich dynamischen Wirtschaftsfeldes der Automobilindustrie.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Verzeichnis verwendeter AbkürzungenIV AbbildungsverzeichnisV TabellenverzeichnisVI 1.Einleitung1 1.1Einführung und Problemstellung1 1.2Ziel und Aufbau der Arbeit2 2.Die Automobilzulieferindustrie3 2.1Hersteller Zulieferbeziehungen3 2.2Die deutschen Automobilzulieferer7 2.3Internationalisierung der Zulieferindustrie9 3.Der Automobilund Zuliefermarkt in China11 3.1Der chinesische Automobilmarkt11 3.1.1Historischer Überblick11 3.1.2Marktentwicklung15 3.2Der Zuliefermarkt in China16 3.2.1Lokale Zulieferer16 3.2.2Ausländische Produzenten18 4.Das Wettbewerbsumfeld deutscher OESs in China22 4.1Theoretische Ansätze22 4.1.1Wettbewerbsmatrix von Porter22 4.1.2SWOT-Analyse26 4.2Bedingungen in der Volksrepublik China30 4.2.1Ökonomische Rahmenbedingungen30 4.2.2Politisch-rechtliches Umfeld im Überblick32 4.2.3Technologische Umwelt34 4.2.4Sozio-kulturelle Umwelt35 4.3Situationsanalyse der deutschen Automobilzulieferer37 4.3.1Potentialanalyse37 4.3.2Konkurrentenanalyse39 4.3.3Marktanalyse41 4.3.4Umfeldanalyse46 4.3.5Stärken-Schwächen-Analyse47 4.3.6Chancen-Risiken-Analyse50 4.3.7Die SWOT Matrix52 4.4Wettbewerbsstrategien54 4.4.1Marketingstrategien nach Porter54 4.4.2Hybride Wettbewerbsstrategien57 5.Handlungsoptionen60 5.1Markterschließung und Markteintrittsstrategien60 5.1.1Wandel der Bedingungen für ausländische Unternehmen am chinesischen Markt60 5.1.2Export61 5.1.3Repräsentanzen61 5.1.4Joint Ventures62 5.1.5Wholly Foreign Owned Enterprises (WFOE)63 5.1.6Mergers Acquisitions (MA)64 5.2Anpassungen an das geänderte Marktumfeld66 6.Schlussbetrachtung69 Literaturverzeichnis71Textprobe:Textprobe: Kapitel 4.2.1, Ökonomische Rahmenbedingungen: China ist mit einer Einwohnerzahl von 1,32 Mrd. Einwohnern (Stand 2007) das bevölkerungsreichste Land der Erde und stellt damit etwa ein Fünftel der Weltbevölkerung dar. Die Bevölkerung Chinas hat sich seit dem Jahre 1950 mehr als verdoppelt und überstieg dabei bereits Anfang der 1980er Jahre die Milliardengrenze. Maßnahmen wie die "Ein-Kind-Familie" sowie eine Anhebung des Heiratsalters führten zwar zu einem Rückgang des jährlichen Bevölkerungswachstums von 2,6% im Jahr 1970 auf heute 0,6%, lassen die Einwohnerzahl jedoch weiterhin nach oben steigen. Laut aktuellen Schätzungen sollte jedoch in zwei bis drei Jahrzehnten der Wendepunkt des Wachstums erreicht werden und sich die Bevölkerungszahl bis zum Jahre 2050 bei ca. 1,3 Mrd. einpendeln. Eine wichtige demographische Herausforderung bildet die zunehmende Überalterung der chinesischen Gesellschaft, was neben der Ein-Kind-Politik auch durch eine starke Zunahme der Lebenserwartung, von durchschnittlich 35 Jahren (1949) auf heutzutage 72 Jahre zu begründen ist. Es wird prognostiziert, dass bereits Mitte dieses Jahrhunderts rund ein Viertel aller Chinesen über 60 Jahre alt sein wird. China wird durch die in den letzten Jahren stark zunehmende Binnenmigration vor ein weiteres Problem gestellt. Während sich die Arbeitslosigkeit in den Städten unter 10% bewegt, liegt sie in ländlichen Gebieten bei rund 30%. Aufgrund der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit in den ländlichen Gebieten ist bereits seit vielen Jahren eine Urbanisierung der Bevölkerung zu beobachten. Schätzungen zufolge stammt bis zu einem Fünftel der städtischen Bewohner aus ärmeren, ländlichen Regionen und geht somit weitab der Familie und unter härtesten Bedingungen, schlecht bezahlten Beschäftigungen nach. In den küstennahen Regionen leben schon heute über 400 Menschen pro Quadratkilometer, während es in Zentralchina bei abnehmender Tendenz nur 200 und in den westlichen Teilen sogar nur 10 Menschen pro Quadratkilometer sind. Ein weiterer Grund für die starken regionalen Disparitäten ist in der Errichtung von Sonderwirtschaftszonen, die durch die chinesische Regierung insbesondere in den 1990er-Jahren geschaffen wurden, begründet. Da in den Sonderwirtschaftszonen eine vorteilhafte Besteuerung ausländischer Unternehmen sowie weitere Privilegien vorliegen, siedelten sich diese Unternehmen verstärkt dort an und lockten weitere Arbeitskräfte aus anderen Landesteilen in die Gebiete. Durch Verbesserung der Infrastruktur ist in den letzten Jahren bereits ein voranschreitender Industrialisierungsprozess in den westlichen Teilen Chinas zu erkennen. An verkehrstechnisch gut angebundenen Orten im Landesinneren entstehen Ballungszentren, für die auch in den nächsten Jahren weiteres Wachstum prognostiziert wird. Ende der 1970er-Jahre wurden in China unter Deng Xiaoping weitreichende wirtschaftliche Reformen sowie Liberalisierungsmaßnahmen durchgesetzt. Die abgeschottete Stellung Chinas, die es unter der kommunistischen Planwirtschaft innehatte, wich nach und nach einer dem Ausland zugewandten Öffnungspolitik. Grundlage für den Wandel des chinesischen Wirtschaftssystems bildeten die "Vier Modernisierungen". Dabei handelt es sich um ein Konzept wirtschaftspolitischer Reformen, welches auf die Verbesserung der Sektoren Industrie, Technologie, Landwirtschaft und Verteidigung abzielt. Die volkswirtschaftliche Entwicklung Chinas weist seit den Wirtschaftsreformen und Handelsliberalisierungen ein starkes Wachstum auf. Dieses Wachstum spiegelt sich im prozentualen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes wider, welcher 2007 bei 11,4% lag und somit zum fünften Mal in Folge einen Anstieg im zweistelligen Bereich aufwies. Es ist dabei jedoch zu beachten, dass das BIP Chinas 2007 mit einer Höhe von 3,5 Billionen US $ zwar gut 200 Mrd. US $ über dem der Bundesrepublik Deutschland lag, in China aber mehr als fünfzehn Mal so viele Menschen davon partizipieren. China zählt jedoch, trotz seines bemerkenswerten Wirtschaftswachstums, nach Klassifikation der Weltbank auch heute noch zu den Schwellenländern und wird in die zweitniedrigste Kategorie (low middle income) eingeordnet. Begünstigt durch das dynamische Wirtschaftswachstum ist auch beim Pro-Kopf-Jahreseinkommen ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen (vgl. Abbildung 11). Allerdings sind hier ebenfalls stark ausgeprägte Disparitäten zwischen der Landbevölkerung und der in den Städten lebenden Chinesen zu erkennen. Im Zeitraum von 1990 bis 2008 versechsfachte sich das Jahreseinkommen der Bewohner auf dem Land, während sich das Jahressalär der städtischen Arbeitskräfte nahezu verzehnfachte. Verdiente im Jahr 1990 ein Stadtbewohner im Vergleich zu einem Landbewohner doppelt soviel, so brachte der Städter im Jahr 2008 dreimal soviel Geld nach Hause wie die Arbeitskraft auf dem Land. Die Einwohner der Stadt Peking erzielten im Jahr 2008 sogar ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 40.000 Yuan (3660 Euro) und lagen damit noch weit über dem Durchschnitt der chinesischen Stadtbewohner. Bedingt durch das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte kam es zu einer deutlichen Veränderung der sektoralen Beschäftigungsstruktur. Arbeiteten im Jahre 1995 noch gut die Hälfte der Beschäftigten in der Landwirtschaft, 23% im verarbeitenden- sowie 24,8% im Dienstleistungssektor, so reduzierte sich bis zum Jahre 2003 der Anteil des landwirtschaftlichen Sektors auf 49,1%, der der verarbeitenden Industrie auf 21,6%, während der Dienstleistungssektor um knapp 5% auf 29,3% zulegen konnte. Dabei entfielen in 2003 mehr als 50% des Bruttosozialproduktes auf die Industrie und nur noch 14% auf die Landwirtschaft. Politisch-rechtliches Umfeld im Überblick: Seit der Gründung der heutigen Volksrepublik China im Jahre 1949 sind das politische und das wirtschaftliche System eng miteinander verbunden. Beide Bereiche werden durch die Kommunistische Partei Chinas gesteuert, wenn auch durch die Wirtschaftsreformen unter dem 1978 amtierenden Präsidenten Deng Xiaoping eine gewisse Lockerung der Restriktionen erreicht wurde. Die heutige Wirtschaftsform kann durchaus als Marktwirtschaft bezeichnet werden, der Staat hat dabei jedoch einen überdurchschnittlich hohen Einfluss auf wirtschaftliche Entscheidungen. Die Grundlage des politischen Systems bildet weiterhin der Staatskommunismus mit dem Ein-Parteien-System. Das höchste Staatsorgan wird durch den nationalen Volkskongress gebildet. Dieser wählt den Staatspräsidenten, den Staatsrat, die zentrale Militärkommission, den obersten Volksgerichtshof sowie die oberste Staatsanwaltschaft. Der Staatsrat bildet, unter der Leitung des Ministerpräsidenten, die Exekutive sowie das zentrale Verwaltungsorgan. Neben dem Ministerpräsidenten sind seine vier Stellvertreter, der Generalsekretär sowie die fünf Staatskommissare ständige Mitglieder des Staatsrates. Die Volksrepublik China wird in 22 Provinzen und fünf autonome Gebiete gegliedert, die jeweils aus Präfekturen, Kreisen und Bezirken bestehen. Dazu kommen drei regierungsunmittelbare Stadtgebiete, die wiederum in Stadtbezirke unterteilt sind. Auf allen Verwaltungsebenen werden lokale Volkskongresse gewählt, deren Entscheidungen auf lokaler Ebene oft über denen der Zentralregierung stehen. Die volkswirtschaftlichen Aktivitäten sowie politischen Rahmenbedingungen werden in der VR China seit 1953 in so genannten Fünfjahresplänen definiert. Der zehnte Fünfjahresplan, der im Zeitraum von 2001-2005 Bestand hatte, enthielt unter anderem die folgenden bedeutsamen Vorgaben: Schaffung eines modernen Transportsystems durch Ausbau der Infrastruktur; Förderung der Forschung, Wissenschaft und Bildung zum Abbau des Technologiedefizits zu anderen Wirtschaftsnationen; Wirtschaftswachstum von 7% pro Jahr; Steigerung des pro Kopf BIP auf 9400 Yuan; Senkung der Arbeitslosenzahlen; Förderung der Industrialisierung und Ausbau der Industriestruktur; Verringerung der Entwicklungsunterschiede zwischen den Küstenregionen und Zentral- und Westchina. Mit dem elften Fünfjahresplan unterstreicht die chinesische Regierung die marktwirtschaftliche Ausrichtung der VR China. Es sind unter anderem die folgenden Ziele enthalten: Ausbau der Systemreform und der Öffnung des Landes; Weitere Optimierung der Infrastruktur; Weitere Investitionen in Forschung, Bildung und Wissenschaft; Begrenzung der Preisfestlegungen durch den Staat auf 5% der Güter; Aufbau einer Ressourcen schonenden und umweltfreundlichen Gesellschaft.
Grenze und Raum – das sind im Zeitalter der allgegenwärtig vermuteten 'Globalisierungsprozesse' prekäre und zugleich hochaktuelle Begrifflichkeiten. Die Geisteswissenschaften haben die Konjunktur des Räumlichen seit dem Ende der 1980er-Jahre als 'spatial turn' bzw. später als 'topographical turn' deklariert. Trotz aller durch politische und ökonomische Bestrebungen – und nicht zuletzt durch Medientechnologien – hervorgerufenen Auflösungserscheinungen des Lokalen und Liminalen rückt die Grenze vermehrt in den Blickpunkt der deutschsprachigen Geistes- und Kulturwissenschaften. Aus dieser anhaltenden Konjunktur speist sich auch der Sammelband Topographien der Grenze. Verortungen einer kulturellen, politischen und ästhetischen Kategorie. Als dezidierte "Anstöße zu einer interdisziplinären Grenzforschung" – so der Untertitel der Einleitung – versammeln Christine Hewel und Christoph Kleinschmidt Beiträge aus den Kulturwissenschaften, der Literaturwissenschaft, der Philosophie und Soziologie, der Wirtschaftsgeschichte sowie der Politik-, Rechts- und Medienwissenschaft. Der Band ist das Ergebnis einer internationalen Tagung gleichen Namens, die vom Germanistischen Institut der WWU Münster in Kooperation mit dem Museum für Angewandte Kunst Frankfurt am Main und dem Internationalen interdisziplinären Arbeitskreis für philosophische Reflexion (IiAphR) im November 2009 veranstaltet wurde. Eröffnet wird der Band von drei Beiträgen, die sich der Grenze theoretisch und begrifflich nähern. Frauke A. Kurbacher reflektiert in "Die Grenze der Grenze" Strukturen des Verhältnisses von Denktraditionen und Performativität in menschlicher (moralischer) "Haltung" (S.37): Ausgehend von den Phänomenologien Maurice Merleau-Pontys und Bernhard Waldenfels' fasst sie die Grenze zunächst als trennendes Moment von Ich/Anderem, Eigenem/Fremden. Eröffnet wird so eine anthropologisch-existentielle Dimension des Liminalen, die die Autorin erweitert, indem sie die Grenze als "Interliminale" (S. 27) versteht. Kurbacher führt so zwei begriffsgeschichtliche Denkmodelle der Grenze ein, die sich in dieser Deutlichkeit nicht in den anderen Beiträgen wiederfinden: einerseits ein Denken der Grenze als historische oder räumliche Zäsur, das aber zugleich deren Überschreitung, Überwindung, Transgression erkennt und anerkennt. Andererseits ein Denken, "das gerade unter Absehung […] konstituierender Grenzziehung als eines des 'Sich-selbst-Fortschreibens' beschrieben werden könnte" (S. 28). Mit dieser Differenzierung wird für Kurbacher die Grenze als zeitliche Kategorie begreifbar. Menschliche Existenz sei, so ihr ethischer Ansatz, nicht durch Leben und Tod definiert, sondern durch die Handlungsspielräume und Möglichkeiten des interpersonellen Austauschs zwischen diesen existenziellen Grenzen. Der zweite Beitrag, "Ineinandergreifende graue Zonen" von Rainer Guldin, schließt an den phänomenologischen Ansatz Kurbachers an. Mit Vilém Flussers Bestimmung der Grenze als Ort der Begegnung bezieht sich Guldin auf ein Denken der Grenzenlosigkeit, dem jeder Nationalismus zutiefst suspekt ist. Vilém Flusser hat sich, von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben, stets für ein Ineinandergreifen von Denken, Publizieren und eigener Biographie stark gemacht – mit einer überaus konzisen Ethik von intersubjektiver wie interkultureller Begegnung, wie Guldin nachzeichnet. Mit einer Re-Lektüre zweier wahrnehmungstheoretischer Texte über die Haut setzt Guldin an der Grenze des Subjekts an. Diese Grenze ist zunächst keine ethische, da sie laut Flusser in erster Linie nicht Subjekte, sondern Subjekt und Objekt, Ich und Welt trennt. Die Haut als 'Grenze' ist also zunächst Gegenstand wahrnehmungstheoretischer Fragestellungen, die Guldin mit Flussers autobiographischen und medientheoretischen Schriften zu einer politischen und topographischen Theorie der Grenze vereint. Indem Guldin diese unterschiedlichen Textsorten in Beziehung setzt, zeichnet er ein konzises Bild von Flussers Interliminalitätskonszeption. Einem weiteren kanonisierten Theoretiker widmet sich Doris Schweitzer im dritten Beitrag: "Grenzziehungen und Raum in Manuel Castells' Theorien des Netzwerks und der Netzwerkgesellschaft" skizziert die sozial- und medienwissenschaftlichen Paradigmen des Netzes und des Netzwerks und zeigt dabei ein Missverständnis auf: Dem Castells'schen Netzwerk-Gedanken liege kein entgrenztes und deterritorialisierendes Raumverständnis zugrunde, sondern das Netz "generiert Raum" (S. 55), so Schweitzers These. Entgegen der euphorischen und weit verbreiteten Annahme der Entgrenzung durch das Netz komme es zu einer Radikalisierung der Grenze durch dessen Exklusionsmechanismen. So würden einzelne Gruppen und Regionen von dominanten Wissens- und Warenflüssen abgeschnitten. Mit ihrer Analyse eröffnet Schweitzer eine kritische Perspektive auf jene Rede von der Informationsgesellschaft, welche die Grenze als obsolet erklärt: "Die Radikalisierung der Grenzproblematik bei Castells ist somit gegen diejenigen Apologeten der verflüssigenden Globalisierung zu wenden, die unermüdlich von der Entgrenzung […] gegenwärtiger Prozesse reden – gerade auch dann, wenn sie sich dabei auf Castells Beschreibung der Netzwerkgesellschaft berufen" (S. 60). Der zweite Schwerpunkt des Sammelbandes nimmt die Grenze als Ort von politischer und ökonomischer Macht in den Blick und widmet sich geostrategischen Raumfragen. Andreas Vasilache beschreibt in seinem Beitrag "Grenzen in der Transnationalisierung" einen Paradigmenwechsel der exekutiven Gefüge von Staaten: eine durch die Globalisierung sukzessive verwischende Trennbarkeit von Innen- und Außenpolitik, die sich u.a. in einer Zunahme von globalem Problembewusstsein (etwa in Bezug auf Unternehmungen zur Verlangsamung des Klimawandels) niederschlägt. Dieser Verschränkung von Innen- und Außenpolitik stellt Vasilache die Trennung von staatlichem Eingriff und privater Dienstleistung bei, die ihrerseits im Auflösen begriffen sei. Als Beispiele dienen ihm hier u.a. nichtstaatliches Sicherheitspersonal bei Flughafenkontrollen sowie die im Laufe des zweiten Irakkriegs eingesetzten Söldner privater Sicherheitsfirmen. Die erodierenden Grenzen von Innen/Außen einerseits, privat/öffentlich andererseits seien aber mitnichten ein Indiz für eine allumfassende Nivellierung staatstheoretischer Wissenskategorien: "Grenzen werden im Rahmen politischer Transnationalisierungen zwar volatil und sprunghaft, büßen dabei allerdings keineswegs ihre strenge politisch-epistemische Unterscheidungsfunktion ein" (S.85). Andrea Komlosy unterfüttert den auf die Gegenwart bezogenen Beitrag Vasilaches historisch. "Zwischen Sichtbarkeit und Verschleierung. Politische Grenzen in Europa im historischen Wandel" vollzieht die Entstehung einer gemeinsamen europäischen Außengrenze seit dem 17.Jahrhundert nach, bei der die Binnengrenzen keineswegs verschwunden seien. Die Inszenierungen der Grenze dienten einem hegemonialen Anspruch von Herrschaft: Während Grenzen im 17. und 18. Jahrhundert als Zeichen von Inklusion und Exklusion, von Staatsmacht und Zugehörigkeit inszeniert wurden, verlagerten sie sich durch die EG und EU zunehmend in den europäischen Binnenraum. Ihre Unsichtbarkeit leiste nun der Illusion eines grenzenlosen Europas Vorschub, bei der punktuelle, ubiquitäre Kontrollen im Vorfeld und im Hinterland (vgl. S. 103) im krassen Gegensatz zu den hochtechnologisierten Außengrenzen Europas stünden. Liliane Ruth Feierstein, Christopher Pollmann und Jörn Glasenapp erörtern im vierten Abschnitt des Bandes die identitätsbildenden Funktionen von Grenzen. Ähnlich wie Andrea Komlosy konstatiert Christopher Pollmann in seinem Text "Globalisierung und Atomisierung" einen historischen Umbruch: Waren es im 18. Jahrhundert vor allem territoriale Grenzen, die kollektive Identität stifteten, komme es im Zuge der industriellen Revolution zu einer 'Individualisierung' der Grenze. Pollmann macht – unter Rückgriff auf Simmel und Marx – die zunehmende Regulierung des alltäglichen Lebens durch die Systeme von Recht, Uhrzeit und Geld als Schwächung kollektiver, zumal territorialer Grenzen aus; Grenzen fungieren in der Folge als Handlungsrahmen für Individuen. Jörn Glasenapp nimmt den allegorischen Grenzverkehr im Kalten Krieg in den Blick, den er in John Sturges' Film The Magnificient Seven von 1960 entdeckt. Seine Analyse kennzeichnet – mit Bezug auf Akira Kurosawas Die sieben Samurai, der Vorlage zu Sturges' Western – die rassifizierenden und kolonialistischen Diskurse von Grenze und 'frontier' durch eine Gegenüberstellung von Samurai/Bauern (Kurosawa), Amerikaner/Mexikaner (Sturges), NATO/'Ostblock' bzw. USA/Vietnam (realpolitischer Hintergrund) als "kinematographische Wunschphantasie" (S.152). Liliane Ruth Feierstein schließlich analysiert die Grenze in Riten, Umgangsformen und Symbolen jüdischen Lebens. Als religiöse Gemeinschaft sei das Judentum durch die gemeinschaftskonstituierenden Dimensionen der Begrenzung gekennzeichnet: beispielsweise durch Inschriften an Wohnhäusern, die die Bewohner_innen als Gläubige ausweisen und so das Haus als einen "Jewish Space" (S. 109) markieren. Die abgegrenzten Bereiche für Männer und Frauen in der Synagoge oder die geltenden Gesetzmäßigkeiten und gemeinschaftlichen Einschränkungen des jüdischen Glaubens, etwa die "limits of Shabbat" (ebd.), sind weitere Dimensionen der Begrenzung. Diesen tradierten Räumen und religiösen Einschränkungen stehen die Erfahrungen des Judentums als einer diasporischen Gemeinschaft gegenüber. In der Diaspora führt die gemeinschaftsstiftende Funktion der Grenze zur Ausgrenzung: die historische Ghettoisierung und Vertreibung und die Vernichtung als radikalste aller Infragestellungen der jüdischen Gemeinschaft während des Holocausts. Den Grenzen der Kunst bzw. der Kunst der Grenze sind die drei Beiträge des vierten Kapitels gewidmet. Nikolaj Rymar isoliert mit Michail Bachtin die Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit, indem er die Kunst als "zweite Kultur" (S. 160) begreift, welche die Kategorien der 'ersten Kultur' – also Soziales, Religion, Politik etc. – in Frage stellt. Die Grenzüberschreitungen der 'zweiten Kultur' machen so die Grenzziehungen der 'ersten Kultur' erst sichtbar und ermöglichen deren Neuanordnung. Christoph Kleinschmidt nimmt unter Rückbezug auf die ästhetischen Schriften Lessings und Goethes die Grenzen der Künste in Bezug auf ihr Material in den Blick: Herrschte bis 1800 ein Kunstverständnis vor, das sich "vor allem mit der aisthetischen Dimension des Künstlerischen als dem Schönen beschäftigt und eine Überwindung des Materials durch die Form impliziert", komme es im Lauf des 19.Jahrhunderts zu einer diskursiven Verschiebung: In der Folge seien die Grenzen des Materials als wesentlich für die Kunst (und für die Grenzen zwischen einzelnen Kunstrichtungen) verstanden worden. Über Lessing, Schelling, Hegel und Vischer bis hin zu den Avantgarden der Moderne untersucht Kleinschmidt Kunsttheorien und die in ihnen formulierten materialästhetischen Programme. Christine Hewel beschließt diesen Teil mit einem 'Rundgang' durch das Museum für Angewandte Kunst Frankfurt. Anhand verschiedener Exponate des Museums erläutert Hewel aus museumspädagogischer Perspektive, wie die Grenzen zwischen Schmuck und Funktion, zwischen Eigenwert und Gebrauchswert, zwischen Kunst und Kunsthandwerk durchlässig werden. Die beiden letzten Aufsätze des Sammelbandes sind analytische Beiträge aus der Literaturwissenschaft. Stephanie Catani zeichnet die Topologie des Exilraums in Franz Kafkas Der Verschollene und W.G. Sebalds Die Ausgewanderten nach. Catani beschreibt die Heimatlosigkeit von Kafkas Protagonisten Karl Roßmann als Resultat eines individuellen Vater-Sohn-Konflikts und schließt daran eine Analyse des politischen Ausnahmezustands in Sebalds Die Ausgewanderten an, als dessen modernes Paradigma sie mit Giorgio Agamben das nationalsozialistische Regime mit seiner gesetzlosen und zugleich gesetzmäßigen Rechtsprechung versteht. Im individuell motivierten wie im politisch-existenziell notwendigen Exil werde die Ortlosigkeit zu einem paradoxen Grenzraum, der Heimat, erst konstituiert. Damit problematisiert die Autorin die Aufwertung der Heimatlosigkeit zu einem Bhabha'schen 'Third Space', den sie in den (fiktiven) Exilerfahrungen der Protagonisten nicht wiederfindet. Um die Ästhetisierung von Heimatlosigkeit geht es Ingo Irsliger und Christoph Jürgensen in ihrem Beitrag über Emine Sevgi Özdamars Erzählband Mutterzunge und Feridun Zaimoğlus Interviewband Kanak Sprak. Irsliger und Jürgensen verwehren sich zwar den Labels "Migrationsliteratur" und "Multikulti", können aber anhand einer positiven Bewertung des "Third Space"-Konzepts der Postcolonial Studies zeigen, wie alternative und hybride Identitätsangebote und -konzepte vor allem durch die Sprachstrategien von Özdamar und Zaimoğlu hervorgebracht werden. Die Fülle der unterschiedlichen Ansätze und Gegenstände ist beeindruckend, doch die angestrebte Interdisziplinarität gestaltet sich mitunter als loses Nebeneinander. Unter die Räder kommen dabei vor allem die titelgebenden Topographien. Zwar erweist sich der sehr weit gefasste Begriff der Grenze bald als fruchtbar, doch wäre gerade hier eine genauere Unterscheidung von Raum – Topologie – Topographie wünschenswert gewesen, wie sie etwa Stephan Günzel vorgenommen hat.[1] Kursorisch bleiben auch Bezüge zur Aktualität der Grenze in Perspektive auf Migration; damit werden zahlreiche politische, ökonomische, juristische, aber auch ästhetische Fragestellungen nicht einmal angerissen. Christoph Kleinschmidt gibt in seiner Einleitung eine gute – leider zu kurz geratene – Übersicht über den Forschungsstand geisteswissenschaftlicher Grenzforschung und verweist darin explizit auf die Aktualität europäischer wie US-amerikanischer Grenzdiskurse. Hinweise zur kritischen Grenzregimeforschung, wie sie etwa Sabine Hess, Serhat Karakayali, Vassilis Tsianos und andere[2] unternommen haben, finden sich jedoch nur in den Fußnoten des Bandes. Im Hinblick auf diese kritische Grenzregimeforschung ist auffällig, dass viele der Beiträge zur Beschreibung auf einem – wenn auch als konstruiert, als dispositiv oder ideologisch überformt gekennzeichneten – Dies-/Jenseits der Grenze beharren, selten aber Akte der Grenzverletzung, Momente der Passage, des Transits, des Auf-der-Grenze-Seins in den Blick nehmen.[3] Aus einer aktuellen Perspektive wünschenswert wären etwa Überlegungen zu den Debatten um die europäischen Außengrenzen und deren Inszenierungen und technologische Aufrüstung einerseits sowie durch mobile Technologien möglich gewordene Ergänzungen und Subversionen hegemonialer Diskurse andererseits. Dennoch bietet der Band viele spannende Denkanstöße in Hinblick auf das Phänomen Grenze und trägt dazu bei, die anhaltenden Debatten des Räumlichen vermehrt unter Berücksichtigung des Liminalen zu führen. --- [1] vgl. Stephan Günzel: "Spatial turn – topographical turn – topological turn. Über die Unterschiede zwischen Raumparadigmen". In: Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, hrsg. v. Jörg Döring/Tristan Thielmann. Bielefeld: transcript 2009, S. 219–237. [2] vgl. etwa Sabine Hess/Bernd Kasparek (Hg.): Grenzregime Diskurse, Praktiken, Institutionen in Europa. Berlin/Hamburg: Assoziation A 2010 sowie Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas. Bielefeld: transcript 2007. [3] vgl. neben der kritischen Grenzregimeforschung auch den essayistisch gehaltenen Sammelband von Eva Horn/Stefan Kaufmann/Ulrich Bröckling (Hg.): Grenzverletzer. Von Schmugglern, Spionen und anderen subversiven Gestalten. Berlin: Kadmos 2002.
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Deutschlands Wissenschaftsfinanzierung ist eine föderale Erfolgsgeschichte – und beruht auf einem Wertekonsens, der politisch bislang nie in Frage gestellt wurde. Was wäre, wenn sich das änderte? Ein Gastbeitrag von Hans-Gerhard Husung.
Hans-Gerhard Husung (SPD) war Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung in Berlin und von 2011 bis 2016 Generalsekretär der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK). Foto: privat.
EIN BLICK IN DIE WELT genügt, um zu erkennen, dass das Gedeihen der Wissenschaft von den politischen Rahmenbedingungen abhängt. Die Niederlande und Skandinavien sind aktuelle Beispiele dafür, dass populistische Regierungen und Parlamentsmehrheiten für das Wissenschaftssystem, insbesondere die Hochschulen, spürbar negative Auswirkungen haben. Ein erstes Opfer ist regelmäßig die Internationalisierung, indem beispielsweise englischsprachige Studienangebote gestrichen, Visabestimmungen geändert oder Kapazitäten zurückgefahren werden. Wenn in Großbritannien die Tories und ihr Premierminister das Ziel "50 per cent of 18 to 30-year-olds being able to enter higher education" für "one of great mistakes of the last 30 years" halten, ist es höchste Zeit für eine kurze Besinnung über die eigene Lage.
75 Jahre Grundgesetz bedeuten auch eine Erfolgsgeschichte für die Wissenschaft und ihre Finanzierung in Deutschland. Die Pflicht des Staates, die Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5, Absatz 3 materiell zu gewährleisten, gehörte ebenso zum breiten politischen Grundkonsens aller Parteien und Regierungen wie die freie Wahl des Berufs und die Gewährleistung entsprechender Studienmöglichkeiten, zuletzt umgesetzt im Hochschulpakt und im Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken. In diesen Grundkonsens haben sich die im Laufe der Jahrzehnte neu entstehenden Parteien regelmäßig eingebracht, zunächst die Grünen und nach 1990 auch die PDS bzw. die Linkspartei. Ihre Integration in den kooperativen Föderalismus für die Wissenschaft ist überall gelungen, wo sie in den Ländern politische Verantwortung übernommen haben.
Wie Bund und Länder gemeinsam die Wissenschaft finanzieren
Dieser politische Grundkonsens über die Bedeutung einer den Werten der Aufklärung verpflichteten, rationalen Wissenschaft war und ist die Voraussetzung für ihre gemeinschaftliche Finanzierung zunächst nur durch die Ländergemeinschaft, mit der Verfassungsreform von 1969 durch die Länder und den Bund. Zweimalige Änderungen des Grundgesetzes 2006 und 2015 haben die gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten jeweils noch erweitert. Rund 18 Milliarden Euro fließen jährlich auf dieser Basis ins Wissenschaftssystem, ein großer Teil davon über den Pakt für Forschung und Innovation an die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und über den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" in die Hochschullehre.
Geht das Grundgesetz in der deutschen Verfassungstradition von der Trennung der Aufgabenbereiche zwischen Bund und Ländern aus, so wird mit den Gemeinschaftsaufgaben, zu denen die Wissenschaftsfinanzierung gehört, ein gesetzlich nicht geregelter Zwischenraum eröffnet, der von den Regierungen durch Verwaltungsvereinbarungen exekutiv ausgestaltet werden kann. Die damit verbundene finanzielle Selbstbindung der Beteiligten unterliegt dem Einstimmigkeitserfordernis, entweder der Wissenschaftsminister und Finanzminister oder der Regierungschefs von Bund und Ländern. Die Arena für die Aushandlung ist in der Wissenschaft die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern. Das Risiko der damit 17 potenziellen Veto-Spieler wurde bislang durch den wissenschaftspolitischen Grundkonsens unter allen Beteiligten wirkungsvoll eingehegt. Äußerst seltene Veto-Situationen etwa bei Haushaltsnotlagen ließen sich auf der Ebene der Ministerpräsidenten pragmatisch auflösen.
Ob das auch bei einer populistischen Landesregierung gelingen würde, deren sie tragende Partei mit ihren "verfassungsfeindlichen Strömungen" eher auf alternative Fakten und Verschwörungstheorien als auf Aufklärung und Rationalität setzt, ist mehr als fraglich. Und was würde ein solches Szenario für die bestehenden Verwaltungsvereinbarungen bedeuten?
Mit den Vereinbarungen verpflichten sich zunächst die Regierungen von Bund und Ländern, in ihren jeweiligen Haushaltsentwürfen die entsprechenden Summen vorzusehen. Alle Vereinbarungen stehen mit Blick auf die finanzielle Ausstattung dann jedoch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der 17 Parlamente von Bund und Ländern. Nicht zuletzt wegen der konkreten finanziellen Vorteile für die Wissenschaftseinrichtungen im eigenen Land hat allerdings noch nie ein Parlament die Bereitstellung der notwendigen Mittel verweigert. Was bislang deshalb eher formelhaften Charakter hatte, könnte ein Landesparlament bei entsprechenden wissenschaftsaversen Mehrheiten scharf schalten – mit dramatischen Folgen nicht nur für die Wissenschaft im Land, sondern darüber hinaus für die Gemeinschaftsfinanzierung der Wissenschaft in Deutschland.
Zwei Programmgruppen, zwei Szenarien
Was könnte konkret passieren? Die laufenden Programme lassen sich unter dem Risikoaspekt in zwei Gruppen unterteilen: Erstens geförderte Maßnahmen, bei denen eine bilaterale Finanzierung von Bund und jeweiligem Sitzland vorgesehen ist ("Forschung an Fachhochschulen", "Innovative Hochschule", das Professorinnenprogramm,) oder der Bund allein die Mittel bereitstellt ("Wissenschaftlicher Nachwuchs", "Qualitätsoffensive Lehrerbildung"). Alle diese Programme haben den Charakter eines Projekts, sind deshalb zeitlich befristet und laufen automatisch aus, wenn sie nicht durch einen entsprechenden Beschluss in der GWK verlängert werden. Aus ihnen könnte jedes Land durch eigene Entscheidung faktisch ausscheiden, zum Beispiel indem es keine Anträge weiterreichte, mit entsprechenden Konsequenzen für die eigenen Einrichtungen, jedoch ohne unmittelbare Folgen für das Gesamtprogramm während seiner Laufzeit.
Die zweite Gruppe betrifft Verwaltungsvereinbarungen, die auf unbestimmte Zeit geschlossen wurden und die von einem einzigen Land, das den wissenschaftspolitischen Grundkonsenses nicht mehr mitträgt, nicht einseitig gekündigt werden könnten. Das gilt für die Exzellenzstrategie, den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" und die Innovative Hochschullehre, die für die Hochschulen von ganz besonderer Bedeutung sind. Für eine Kündigung wären im Ernstfall zwischen drei und acht Länder notwendig, allerdings mit einer gewichtigen Ausnahme: Beim Zukunftsvertrag besteht für jedes Land die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung, also eine individuelle Ausstiegsoption.
Eine wissenschaftsaverse Landesregierung beispielsweise in einem ostdeutschen Land hätte demnach die Möglichkeit, für ihre Hochschulen aus dem Zukunftsvertrag auszusteigen: mit erheblichen Nachteilen für die betroffenen Hochschulen des Landes, jedoch ohne unmittelbare Auswirkungen auf das gesamte Hochschulsystem – zumindest so lange, wie der bestehende Zukunftsvertrag keine Änderung erfahren soll.
Der hypothetisch durchgespielte Fall verweist jedoch auf ein Defizit der bestehenden Regelungen: Es ist in der Verwaltungsvereinbarung keine Wiedereinstiegsmöglichkeit vorgesehen. Im hypothetischen Fall bliebe das Land auch bei einem Wechsel zu einer wissenschaftsfreundlichen Landesregierung dauerhaft ausgeschlossen. Die Austrittsoption sollte deshalb durch eine entsprechende Wiedereintrittsoption ergänzt werden.
Sollte der Zukunftsvertrag inhaltliche Änderungen erfahren, würde wieder nach Grundgesetz-Artikel 91 b das verfassungsrechtliche Erfordernis der Einstimmigkeit greifen. Ähnliches gilt für den Pakt für Forschung und Innovation, der zwar keine Kündigungsklauseln enthält, wohl aber eine zeitliche Befristung, aktuell bis zum Jahre 2030. Für seine Verlängerung wäre ein einstimmiger Bund-Länderbeschluss notwendig.
Weil keiner es sich vorstellen konnte
Die grundsätzliche gemeinsame Bund-Länder-Finanzierung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der DFG sieht dagegen keine Kündigungsmöglichkeit vor. Die entsprechenden Vereinbarungen unterliegen lediglich dem Risiko, dass das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung der GWK außer Kraft tritt. Als diese Vereinbarung 2007 geschlossen wurde, wurden die Konditionen einer möglichen Kündigung relativ dilatorisch behandelt, weil der wissenschaftspolitische Grundkonsens weitergehende Überlegungen als vollkommen abwegig erscheinen ließ. Während eine Kündigungsfrist von zwei Jahren genannt wird, ist nicht einmal ein Länderquorum vorgesehen. Gleichwohl ist die politische Kündigungshürde außerordentlich hoch. Ob sie zur Abwehr eines destruktiven politischen Willens ausreicht, wird hoffentlich keinem Praxistest unterzogen.
Wie könnte das System der gemeinsamen Wissenschaftsfinanzierung von Bund und Ländern wetterfester gemacht werden? Im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung könnte der Bund zum Beispiel ein Gesetz zur Forschungsförderung beschließen, das seine Rolle im System der Forschungsförderung gesetzlich festschriebe. Eine Option, die historisch lediglich in den 1950er Jahren der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer als Drohpotenzial ins Spiel brachte – gegenüber der Weigerung der Länder, den Bund in das Königsteiner Abkommen aufzunehmen. Der gesetzgeberische Aufwand wäre vermutlich erheblich, die Wirkung im Vergleich mit dem Status quo begrenzt, denn die Vorhaben an Hochschulen und vor allem der Zukunftsvertrag blieben außen vor.
Im Zusammenhang mit der Verfassungsreform 2006 wurden unterschiedliche Modelle einer konsequenten Entflechtung diskutiert, die dem Gedanken einer Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern folgten. Sie sind damals vor allem wegen der Pfadabhängigkeit im erfolgreichen kooperativen Föderalismus nicht zum Tragen gekommen. Auch eine solche konsequente Zuständigkeitstrennung wäre sehr aufwändig und mit großen Unsicherheiten verbunden, da verfassungsändernde Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat notwendig wären. Der begrenzte Vorteil bestünde in der entkoppelten Risikoverteilung für das Wissenschaftssystem auf 17 unabhängige Akteure; dem würde als Nachteil die Abhängigkeit der betroffenen Einrichtungen von einem einzigen Akteur – Land oder Bund - entgegenstehen. Ein mit Blick vor allem auf die Länderhaushalte wenig attraktives Szenario.
Von der Wirkung her durchaus vergleichbar wäre, den grundsätzlichen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern und der Länder untereinander zu verändern. Überlegungen, das unterschiedliche finanzielle Engagement der einzelnen Länder für ihre Hochschulen als "Hochschullast" in den vertikalen und horizontalen Länderfinanzausgleich einzubeziehen, gab es bereits in den 1950er Jahren. Die Verlagerung zusätzlicher Umsatzsteuerpunkte vom Bund auf die Länder wäre eine weitere theoretisch denkbare Möglichkeit, die jedoch nur bei einer Entflechtung Sinn machen würde. Alle haushaltssystematischen Varianten hätten zudem den großen Nachteil, dass die Finanzflüsse in den Finanzministerien der Länder ankämen und in Konkurrenz mit anderen Politikfeldern im Kabinett und im Parlament für die Wissenschaft erkämpft werden müssten. Demgegenüber weist die Gemeinschaftsfinanzierung den großen Vorteil auf, dass sie ohne politische Umwegrisiken in den Wissenschaftsministerien der Länder und damit zielgenau etwa bei den Hochschulen ankommt.
Eine "Koalition der Willigen"? mithilfe des Grundgesetz-Artikels 91b?
Schließlich sei im Zusammenhang mit der Ausstiegsoption beim Zukunftsvertrag der naheliegende Gedanke einer "Koalition der Willigen" weitergeführt: Der Bund legt ein Förderprogramm beispielsweise für eine größere hochschulpolitische Zielsetzung auf, verbunden mit einem Opt-in-Angebot an die Länder, die sich beteiligen möchten. Aber auch dafür bräuchte der Bund die Zustimmung aller Länder.
Eine Zwei-Drittel-Mehrheit von Bundestag und Bundesrat wäre nötig für eine Änderung des Artikels 91b, um eine Mitfinanzierungsverpflichtung des Bundes im Bereich der Hochschulen gesetzlich zu verankern, wie es sie beispielsweise im föderalen System der Schweiz gibt. Eine solche Änderung könnte sich für den Hochschulbereich insofern auf den Artikel 91a stützen: "(1) Der Bund wirkt auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben)", und hier den Spiegelstrich "Stärkung der Hochschulen (durch die Förderung eines angemessenen Studienangebots und eines qualitativ hochwertigen Hochschulstudiums)" hinzufügen. Durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates würden die Gemeinschaftsaufgabe sowie Einzelheiten der Koordinierung näher bestimmt. Der Bund trüge einen definierten Anteil der Ausgaben für die Hochschulen in jedem Land.
Es bleibt am Ende dieser Betrachtung nur eine Erkenntnis: Eine auf geteilten Werten und gegenseitigem Grundvertrauen aufgebaute institutionalisierte Kooperation zwischen Bund und Ländern, wie sie die Gemeinschaftsfinanzierung im Bereich der Wissenschaft darstellt, muss sich ihrer Risiken bewusst sein und sie künftig verstärkt mitdenken. Ein einfacher gesetzgeberischer oder verwaltungstechnischer Weg zu ihrer Vermeidung ist aus heutiger Sicht jedoch nicht erkennbar. Deshalb sind wir alle und unsere Institutionen aufgerufen, aktiv darauf hinzuwirken, dass wissenschaftsaverse politische Parteien bei den bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament und zu den drei ostdeutschen Länderparlamenten keine Chance bekommen.
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Die Situation, die zur Herausbildung der TVT im Jahr 1985 führte, war dadurch gekennzeichnet, daß die Bevölkerung tierärztliches Engagement zum Schutz der Tiere erwartete. Das Bemühen um Verantwortung für unsere Mitgeschöpfe ging jedoch zu jener Zeit hauptsächlich von Tierschutzverbänden aus. Bei etablierten veterinärmedizinischen Organisationen standen andere Aufgaben im Vordergrund und der Stellenwert des Tierschutzes wurde nicht gebührend beachtet oder nicht umfassend berücksichtigt. Die Dissertation soll dazu beitragen, den Einfluß, den die TVT seither auf den Tierschutz in der Bundesrepublik Deutschland genommen hat, zu analysieren. Dazu wurden die Protokolle, Mitschriften, Stellungnahmen, Informationsblätter, Verlautbarungen, Resolutionen, Gutachten, sowie der Schriftverkehr der Organisation seit ihrer Gründung eingesehen und ausgewertet. Das spezielle Informationsmaterial, die Merkblätter, Checklisten und die Empfehlungen der Arbeitskreise zu bestimmten Gebieten des Tierschutzes gaben Aufschlüsse über die von der Vereinigung untersuchten Problemstellungen. Die unter der Rubrik Tierschutz in der Zeitschrift "Amtstierärztlicher Dienst und Lebensmittelkontrolle" bzw. in den "TVT-Nachrichten" veröffentlichten Berichte von Autoren der Vereinigung, seit der Herausgabe dieser Publikationen, wurden kurz beschrieben und Artikel über die TVT in anderen Fachzeitschriften ausgewertet. Die Aufnahme der Aussagen von 22 Zeitzeugen vermittelte einen aufschlußreichen Einblick in die Vereinsarbeit und half, Zusammenhänge herzustellen. Die Tierschutzgesetzgebung wurde einbezogen, da sie die Grundlage für das Engagement des Vereins bildet. Die TVT ist der Tierschutzverein der Veterinärmediziner, ein Zusammenschluß von Tierärzten, die ihr Fachwissen als Sachverständige zur Verfügung stellen und den Leitspruch wählten: "In dubio pro animale". Die Vereinigung setzt sich dafür ein, Diskussionen über Tierschutz sachlich zu führen, Anforderungen zu formulieren, um auf wissenschaftlicher Grundlage gewonnene Erkenntnisse sowohl für die Legislative und die Exekutive zur Verfügung zu stellen als auch andere Interessierte in allen Tierschutzfragen zu beraten. Die Initiative zur Konstitution der Tierschutzorganisation der Veterinärmediziner entwickelten in den Jahren 1982-1985 zum überwiegenden Teil praktizierende Tierärzte. Sie wollten ihrem standespolitischen Anspruch, "Anwalt der Tiere" zu sein, gerecht werden und mit ihrem Fachwissen sowie ihrer Praxiserfahrung zur Umsetzung des Tierschutzgesetzes beitragen. Gegenwärtig gehören lediglich etwa 25% der Mitglieder der TVT dieser Berufsgruppe an. Den größten Anteil bilden inzwischen amtliche Tierärzte. Die TVT ist keine Massenorganisation, sondern als ein Zusammenschluß von Fachkundigen konzipiert. Tierärzte und Personen mit Spezialkenntnissen (Fördermitglieder) bearbeiten bestimmte Schwerpunkte des Tierschutzes. Zur Gründung, am 30.11.1985, gehörten der Vereinigung ca. 150 Tierärzte an. Heute gibt es etwa 800 Mitglieder, von denen 270 aktiv tätig sind, darunter 27 Berater. Die Vereinigung hat elf Arbeitskreise, die relativ selbständig wirken und nach Fachgebieten oder bestimmten Schwerpunkten gegliedert wurden. Die Spezialisten der TVT befassen sich, in der Reihenfolge der Arbeitskreise genannt, mit folgenden Themen: Nutztierhaltung, Kleintiere, Betäubung und Schlachtung, Tierversuche, Handel und Transport, Jagd und Fischerei, Zirkus und Zoo, Zoofachhandel, Tierschutzethik, Tierzucht und Pferde. Damit umfaßt ihr Tätigkeitsfeld das gesamte Spektrum des Tierschutzes für Wirbeltiere. Im Gegensatz zur TVT beschäftigen sich andere Organisationen, die sich für Tiere einsetzen, mit einzelnen Bereichen. Bis zum Ende des Jahres 2000 hat die TVT 81 Informationsblätter für die praktische Tierschutzarbeit angefertigt und herausgegeben. In Merkblättern erfolgt eine umfassende Erläuterung der Themen. Checklisten enthalten wesentliche Belange als Übersicht, die bei der amtstierärztlichen Überprüfung Beachtung finden. Aus dem umfangreichen Bereich der Leistungen der TVT können hier inhaltlich nur wenige aufgeführt werden. Für die weitere Entwicklung der Vereinigung war im Jahre 1988 die "Grundsatzerklärung der TVT" von entscheidender Bedeutung. Eine der wichtigsten Schriften der TVT ist der "Codex veterinarius", eine Analogie zum Hippokratischen Eid der Humanmediziner. Er liegt auch in englischer Fassung vor und soll in die italienische Sprache übersetzt werden. Schwerpunkte waren weiterhin: Forderungen nach Lehrstühlen für Tierschutz, Protest gegen Massentötungen gesunder Schweine im Rahmen der Schweinepestbekämpfung, Forderung einer Genehmigungspflicht für Haltungssysteme bei landwirtschaftlichen Nutztieren, Stellungnahme bei der Anhörung im Deutschen Bundestag zu Qualzüchtungen landwirtschaftlicher Nutztiere, Eintreten für tierschutzgerechten Ablauf von Trabrennen, Richtlinien für Tierbörsen, Informationsschriften zum Ersatz bzw. zur schonenden Durchführung von Tierversuchen, zur Haltung von Zirkustieren und Tieren im Zoofachhandel, Engagement für Tierschutz beim Transport, Schlachtung und Tötung von Tieren sowie Tierschutzproblematik bei Wild. Ferner wurden folgende Ziele erreicht: Das Bewußtsein für die standespolitische Bedeutung des Tierschutzes bei Tiermedizinern wurde geweckt, die Frontstellung zwischen den Tierärzten und dem organisierten Tierschutz ist zumindest auf der Leitungsebene der Vereine bzw. Verbände beendet, die TVT wird in wichtigen Ausschüssen der Bundesregierung bei Tierschutzfragen angehört und ist in der Standesorganisation vertreten. Im Sinne des Tierschutzes gab es Ansätze der Zusammenarbeit mit dem Vieh- und Fleischhandelsverband, dem Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands e.V. und der Vereinigung der Tierlehrer. Als zukünftige Aufgaben, Entwicklung und Perspektiven der TVT sind zu nennen: Koordination mit anderen im Tierschutz engagierten Verbänden der Tierärzte und Hilfe bei der Gründung sowie für den Aufbau von Schwesterorganisationen in europäischen Ländern. Die Organisation ist gegenwärtig im Einklang mit anderen Tierschutzverbänden bemüht, den Tierschutz im Grundgesetz zu verankern, votiert gegen Qualzüchtungen, engagiert sich für artgerechte Tierhaltung und befaßt sich mit Problemen gefährlicher Hunde. Die Leistungen der TVT sind anhand der großen Nachfrage an Publikationen der Vereinigung (Informationsblätter, Arbeitsmaterialien für Ausbildung und Prüfung bestimmter Berufsgruppen), der Vielzahl von Veröffentlichungen ihrer Mitglieder, bei Vorträgen, Meinungsäußerungen auf Tagungen, Seminaren sowie bei Anhörungen im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten oder Deutschen Bundestag erkennbar. Bei der Bevölkerung hat sich das Ansehen des Berufsstandes in Hinblick auf die Frage, ob Tierärzte "Anwälte der Tiere" sind, durch die TVT entscheidend verbessert. Zuschriften zu aktuellen Problemen des Tierschutzes zeigen, daß Rat von der Organisation eingeholt wird. Die Effektivität des Vereins spiegelt sich in der Tatsache wider, daß lediglich etwa 1% der Tierärzte der Bundesrepublik Deutschland in dieser Organisation für jegliche Belange des Tierschutzes tätig sind. Die TVT ist als Tierschutzverein der Veterinärmediziner anerkannt, nimmt auf den Tierschutz der Bundesrepublik Deutschland großen Einfluß und kann ihn durch Präsenz im Internet und Aktivität an den tierärztlichen Ausbildungsstätten erweitern. ; The situation which led to the establishment of TVT in 1985 was characterized by the fact that the population expected commitment of veterinarians for the welfare of animals. But the efforts for responsibility for our fellow creatures at that time mainly came from societies for the prevention of cruelty to animals. In established veterinary-medical organizations other tasks were in the foreground and the role of animal welfare was not duly observed or not comprehensively taken into account. The dissertation shall contribute to the analyzation of the influence TVT has had since then on animal welfare in the Federal Republic of Germany. For that purpose, protocols, notes, comments, information sheets, announcements, resolutions, expert opinions, and the correspondence of the organization since its establishment were analyzed and evaluated. The special information material, the leaflets, check lists and the recommendations of the study groups regarding certain areas of animal welfare provided explanations on the problems investigated by the association. Since these publications started, the reports by authors from within the association which were published under the rubric animal welfare in the magazine"Official Veterinarian Service and Foodstuff Control" and/or in the "TVT-News" were briefly described and articles on TVT in other technical magazines were evaluated. The inclusion of statements of 22 eye-witnesses provided informative insight into the associations' work and helped to establish connections. Animal welfare legislation was included since it forms the basis for the associaton's commitment. TVT is the animal welfare association of the veterinarians, an association of veterinarians who contribute their specialized knowledge as experts and chose the motto: "In dubio pro animale". The association supports the objective conduct of discussions on animal welfare, formulates requirements in order to place at disposal recognitions won on a scientific basis for both, the legislative and the executive, and all who are interested in issues concerning animal welfare. The initiative for the constitution of the animal welfare association of the veterinarians was mainly developed by practising veterinarians during the years 1982-1985. They wanted to do justice to their ethical claim to represent the interests of animals and contribute with their technical know-how and practical experience to the implementation of the Animal Welfare Act. At present only about 25% of TVT members belong to this professional group. The largest portion are veterinarians who are, in the meantime, in the civil service. TVT is no mass organization, it was conceived as an association of competent veterinarians and persons with special knowledge (promotional members) who deal with certain main points of animal welfare. About 150 veterinarians belonged to the association on the date of its establishment on November 30, 1985. Today it has about 800 members of which 270 are active, among whom 27 are consultants. The association has eleven study groups which act relatively independent and were divided in accordance with special fields or certain points of main emphasis. TVT specialists deal with the following subjects whereby they are listed in the sequence of the study groups: Livestock farming, small animals; stunning and slaughter, animal experiments, trade and transport, hunting and fishing, circus and zoo, the pet supply trade, animal welfare ethics, animal breeding, and horses. Their field of activity thereby composes the whole spectrum of animal welfare for vertebrates. In contrary to TVT, other organizations which support animals, deal with individual areas. Until the end of 2000, TVT prepared and published 81 information sheets for practical animal welfare work. A comprehensive explanation of the subjects is publicized in leaflets. Checklists contain essential concerns as overviews which attract attention at the official veterinary review. As regards content, only a few can be cited here from the comprehensive area of TVT's services. For the further development of the association, the "Policy Statement of TVT" in 1988 was of decisive importance. One of the most important papers of TVT is the "Codex veterinarius", an analogy to the Hippocratic oath of medical doctors. It is also available in English and will be translated into Italian. Points of main empasis were in addition: Requests for chairs for animal welfare, protest against mass slaughter of healthy pigs to combat outbreaks of swine fever, requests for official approvals concerning agricultural livestock systems, commenting at hearings in the lower house of the German Parliament on arbitrary breeding of agricultural livestock, support for the conduct of trotting races in a manner which does justice to animal welfare, guidelines for animal exchange, information papers on the replacement and/or the conduct of tests at animals in a caring manner, the maintenance of circus animals, and animals in the the pet supply trade, commitment for animal welfare during transports, slaughter and killing of animals as well as animal welfare problems with regard to game. Furthermore, the following goals were achieved: Awareness for the ethical meaning of animal welfare in veterinarians was awoken, the confrontation between veterinarians and organized animal welfare was at least ended on the management level of associations and/or societies, TVT is heard at important committees of the Federal Government on animal welfare issues and it is also represented in the ethical professional organization. In the sense of animal welfare, the beginnings of co-operation with the Livestock and Meat Trade Association, the Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands e.V. (central association of specialized zoo companies) and the association of animal trainers began to show. As future tasks development and perspectives of TVT have to be cited: Co-ordination with other associations of veterinarians who are committed to animal welfare and provide help for the establishment and setup of sister-organizations in European countries. Presently, the organization, in line with other societies for the prevention of cruelty to animals, endeavours to anchor animal welfare in the constitutional law, it votes against breedings which are a crime against nature, commits itself to livestock farming methods which are appropriate for each species and deals with the problems of dangerous dogs. The achievements of TVT are recognizable because of the great demand for publications of the association (information sheets, work materials for education and examination of certain professional groups), the large number of publications of its members, at lectures, the expression of opinions at meetings, seminars and hearings in the Federal Ministry of Food, Agriculture and Forests or in the lower house of the German Parliament. Because of TVT, the reputation of the profession has considerably improved with regard to the question whether veterinarians are representing animals' interests. Comments on actual problems of animal welfare show that advice is obtained from the organization. The efficiency of the society is reflected by the fact that only about 1% of veterinarians in the Federal Republic of Germany are active in this organization for any and all concerns of animal welfare. TVT is recognized as society of veterinarians for the prevention of cruelty to animals, it exerts much influence on animal welfare in the Federal Republic of Germany and can expand its influence by presence in the internet and actitivies in veterinarian educational establishments.
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Das Konzept des demokratischen Rechtsstaates, bisher einigendes Fundament und Leitprinzip der europäischen Einigung, steht heute im Zentrum einer kritischen Debatte, die die Grundlagen des europäischen Friedensprojektes zu gefährden droht. Weltweit und insbesondere in Europa wächst die Sorge um den Erhalt der freiheitlich-demokratischen Werte. Populistische Bewegungen gewinnen an Einfluss, indem sie einfache Antworten auf die komplexen Herausforderungen unserer Zeit anbieten. Diese Bewegungen finden vor allem bei denjenigen Anklang, die sich inmitten des raschen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels nach Sicherheit und Beständigkeit sehnen. Sie neigen dazu, sich Lösungen wie nationaler Abschottung und der Etablierung autoritärer Regime zuzuwenden, um ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln (vgl. Möllers 2018, S. 7).Seit der Flüchtlingskrise 2015 haben populistische Strömungen in verschiedenen europäischen Ländern an Zulauf gewonnen. Ungarn und Polen sind prominente Beispiele, in denen rechtsnationale bis rechtsradikale Parteien an die Macht gekommen sind. Diese Regierungen stehen im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Europäischen Union, einschließlich der Achtung der Menschenwürde, der Demokratie, der Freiheit, der Gleichheit und der Rechtsstaatlichkeit. Der Umbau des Staatswesens in diesen Ländern zeigt sich insbesondere in der Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz, der Verfassungsgerichtsbarkeit und der Medien (Bundeszentrale für politische Bildung 2022).Besonders in Ungarn, wo seit Viktor Orbáns zweiter Amtszeit im Jahr 2010 ein schleichender Prozess des Demokratieabbaus zu beobachten ist, wird die Bedeutung der Medienregulierung für die demokratischen Strukturen und die politische Landschaft offensichtlich. Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser Problematik und beleuchtet, wie die Regulierung der Medien in Ungarn demokratische Prozesse und die politische Szenerie des Landes beeinflusst.Die Arbeit beginnt mit einer grundlegenden Definition des Begriffs "Medien" und einer Erörterung ihrer primären, sekundären und tertiären Funktionen im politischen Raum. Anschließend wird die Nutzung der Medien als Instrument der Regierungskommunikation und als Mittel der Machtsicherung untersucht. Eine Analyse der aktuellen Medienlandschaft in Ungarn, einschließlich der Einschränkungen der Pressefreiheit, der Meinungsvielfalt sowie der Kontrolle und Einflussnahme der Regierung auf die Medienorgane, bildet den Kern der Arbeit.Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Medienregulierung in Ungarn gelegt. Die Auswirkungen dieser Medienregulierung auf die Demokratie in Ungarn werden untersucht, um zu verstehen, wie Veränderungen in der Medienlandschaft die Grundpfeiler der Demokratie beeinflussen - die Bedeutung der Medien für eine demokratische Gesellschaft, die Einschränkungen der Demokratie durch Regulierungen in der Medienlandschaft und die politischen Auswirkungen auf das demokratische System. Abschließend wird in einem Fazit reflektiert, inwiefern die Medienregulierung in Ungarn als symptomatisch für eine Verschiebung weg von demokratischen Idealen gesehen werden kann.Ziel der Arbeit ist es, ein Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen Medienregulierung und demokratischen Prozessen in Ungarn zu erlangen und damit einen Beitrag zur aktuellen Debatte über die Bedeutung liberaler demokratischer Werte in Europa zu leisten.Die Rolle der Medien in der PolitikDer folgende Abschnitt befasst sich mit der Rolle der Medien in der Politik. Im Mittelpunkt steht dabei die differenzierte Betrachtung der primären, sekundären und tertiären Funktionen der Medien. Mit Hilfe dieser Unterscheidung ist es möglich, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, wie Medien die politische Landschaft gestalten und beeinflussen. Durch die Analyse dieser Funktionen wird untersucht, wie Medien Öffentlichkeit herstellen, Informationen verbreiten, politische Akteure kontrollieren und zur politischen Sozialisation und Bildung beitragen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Medien und Politik vollständig zu erfassen. Primär-, Tertiär- und SekundärfunktionDie Macht der Massenmedien, bestehende Machtstrukturen herauszufordern, darf nicht unterschätzt werden. Durch die Sammlung, Aufbereitung und Verbreitung von Informationen, Wissen und politischen Ansichten wird die öffentliche Meinung wesentlich beeinflusst (Wittkämper, S. 37). Bereits in der Frühen Neuzeit erkannten der Adel und die Kirche als damalige Machthaber die potenzielle Bedrohung, die von den Medien ausging. Sie reagierten schnell und führten nach der Entdeckung des Buchdrucks Zensurmaßnahmen ein, um die zu druckenden Inhalte vorzuprüfen und ihre Herrschaft zu sichern (Strohmeier 2004, S. 69).In der heutigen Zeit spielen die Medien eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der politischen Realitäten, da sie in der Lage sind, die politische Macht entweder zu stärken oder zu untergraben (Strohmeier 2004, S. 69). Ziel der folgenden Ausführungen ist die Veranschaulichung des Einflusspotenzials der Massenmedien durch die Darstellung ihrer grundlegenden Funktionen.Gerd Strohmeier weist auf die Bedeutung der primären, der sekundären und der tertiären Funktion der Massenmedien hin. Die Primärfunktion besteht darin, Öffentlichkeit herzustellen, die entsteht, wenn direkte Kommunikationsformen bevölkerungsbedingt nicht ausreichen. Massenmedien ermöglichen eine schnelle und einfache Verbreitung von Nachrichten und füllen so diese kommunikative Lücke (Strohmeier 2004, S. 72).Die Kontrolle der politischen Akteure und die Verbreitung von Informationen gehören zu der Sekundärfunktion. Ziel ist die umfassende und verständliche Vermittlung von Inhalten und damit die Beeinflussung der Meinungsbildung. Zugleich haben Massenmedien die Aufgabe, das Verhalten der politischen Institutionen zu überwachen, Missstände aufzudecken und Kritik zu üben (Strohmeier 2004, S. 72f.).Die Tertiärfunktion der Medien umfasst drei wesentliche Aspekte. Erstens die Förderung der politischen Meinungs- und Willensbildung, zweitens die Integration und politische Sozialisation und drittens die Vermittlung politischer Bildung. Diese Aspekte unterstützen die Entwicklung der Persönlichkeit des Einzelnen und seine Integration in die Gesellschaft, fördern das Verständnis für das politische System und regen zur aktiven Teilnahme am politischen Leben an. Darüber hinaus haben die Massenmedien einen entscheidenden Einfluss auf die Art und Weise, wie über bestimmte Themen nachgedacht und gesprochen wird, oft ohne dass sich die Menschen der Beeinflussung ihrer Meinungen durch die Medien bewusst sind (Strohmeier 2004, S. 73f.).Medien als InstrumentIm nächsten Schritt unserer Analyse konzentrieren wir uns auf die Rolle der Medien als politisches Werkzeug. Dabei unterteilt sich unsere Betrachtung in zwei Schlüsselaspekte. Einerseits die Nutzung der Medien für Regierungskommunikation, durch die Regierungen ihre Botschaften vermitteln, und andererseits die Anwendung der Medien als Mittel zur Machtsicherung, wodurch Einfluss auf die öffentliche Meinung genommen und politische Macht gefestigt wird.Medien als Instrument für RegierungskommunikationDie strategische Nutzung der Medien durch die Regierung wird vor allem in Bezug auf den Einfluss der Mediengesetzgebung auf die Demokratisierungsprozesse und die Politikgestaltung in Ungarn untersucht. Durch die gezielte Verbreitung politischer Botschaften und Entscheidungen interagieren Regierungen direkt mit der Bevölkerung, was nicht nur die Verbreitung von Informationen fördert, sondern auch die öffentliche Meinung prägt und politische Unterstützung generiert.Um den Rechtspopulismus zu verstehen, ist es notwendig, sich mit Cas Muddes Definition des Populismus auseinanderzusetzen, der Populismus als eine Ideologie betrachtet, die die Gesellschaft in zwei homogene und antagonistische Gruppen teilt: "das reine Volk" gegenüber "der korrupten Elite", wobei Politik als Ausdruck des allgemeinen Volkswillens verstanden wird (Mudde 2004, S. 543). Die Tendenz, dass rechtspopulistische Parteien seit den 1980er Jahren Wahlerfolge erzielen und sich etablieren, zeigt sich nicht nur in westeuropäischen, sondern auch in jungen Demokratien Osteuropas, einschließlich Ungarns (Geden 2006, S. 17f.).Rechtspopulisten positionieren sich als Vertreter der "schweigenden Mehrheit" in direktem Gegensatz zu den politischen und kulturellen Eliten und privilegierten Minderheiten, denen sie die Verfolgung partikularer Interessen vorwerfen (Geden 2006, S. 20f.). Ihre politische Rhetorik ist durch Vereinfachung und Komplexitätsreduktion gekennzeichnet, wobei sie sich organisatorisch von den etablierten Parteien abgrenzen, etwa durch die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Gruppen, die Initiierung von Volksentscheiden oder die Präsenz charismatischer Führungspersönlichkeiten (Geden 2006, S. 22).Ein zentrales Element rechtspopulistischen Denkens ist der "Ethnopluralismus", der besagt, dass sich ethnisch und kulturell homogene Völker nicht vermischen sollten, was eine inhärente Ungleichheit der Völker suggeriert und kulturelle Begegnungen als konfliktträchtig ansieht (Bruns et al. 2015, S. 12f.).Im spezifischen Kontext Ungarns unter der Führung von Viktor Orbán zeigt sich die kritische Rolle dieser Medienstrategien. Die Regierung Orbán hat Medienregulierung bewusst eingesetzt, um ein medienfreundliches Umfeld für regierungsnahe Nachrichtenquellen zu schaffen und gleichzeitig den Raum für kritische Stimmen einzuschränken (Mudde 2004, S. 543). Dies schränkt nicht nur die Vielfalt und Freiheit der Medien ein, sondern hat auch tiefgreifende Auswirkungen auf demokratische Prozesse, indem es die Möglichkeiten für eine offene politische Debatte einschränkt.Diese strategische Nutzung der Medien für die Regierungskommunikation verdeutlicht die Doppelnatur der Medien in der Politik. Einerseits als Kanäle für die transparente Kommunikation politischer Inhalte und andererseits als Instrumente der Machtkonsolidierung, die die demokratischen Grundlagen untergraben können. Diese Dynamik ist entscheidend für das Verständnis der politischen Situation in Ungarn und der Rolle, die die Medienregulierung dabei spielt (Geden 2006, S. 17f.).Detlef Grieswelle betont in "Politische Rhetorik: Macht der Rede, öffentliche Legitimation, Stiftung von Konsens" die bedeutende Rolle der Rhetorik in der Politik. Rhetorik dient nicht nur der Durchsetzung und Legitimation von Macht, sondern auch der Kontrolle und Repräsentation von Interessen, was ihre Bedeutung als Instrument politischer Führung und Einflussnahme unterstreicht (Grieswelle 2000, S. 33). In diesem Zusammenhang ist die rhetorische Strategie des ungarischen Ministerpräsidenten von besonderer Relevanz, da mit ihr versucht wird, politische Legitimität für diese Vision zu schaffen und die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen (Bruns et al. 2015, S. 12f.).Medien als Werkzeug zur Sicherung von MachtUm zu verstehen, wie die Medien zum Machterhalt beitragen, ist die Rhetorik von rechtspopulistischen Figuren wie Viktor Orbán besonders aufschlussreich. Orbán nutzt plakative und skandalträchtige Kommunikationswege, um mediale Aufmerksamkeit zu generieren die nicht nur seine Präsenz in der Öffentlichkeit stärkt, sondern auch eine Mobilisierung seiner Anhängerschaft bewirkt (Schnepf 2020, S. 5). In seinen politischen Reden kehren bestimmte rhetorische Muster immer wieder, darunter die Verwendung von Antagonismen, die eine Konfliktsituation erzeugen, insbesondere durch die Gegenüberstellung von "Elite" und "Volk". Dabei wird das "Volk" als unterdrückt dargestellt, während die rechtspopulistische Partei als volksnah inszeniert wird (Mudde 2004, S. 543). Eine charakteristische Einfachheit in den Botschaften rechter Parteien wird von Bischof und Senninger hervorgehoben. Je weiter rechts eine Partei steht, desto einfacher ist ihr Programm (Bischof/Senninger 2018, S. 484). Solche Diskurse verwenden prägnante und leicht verständliche Formulierungen für ansonsten komplexe politische Sachverhalte, suggerieren einfache Lösungen und nutzen Dramatisierungen und Metaphern. Insbesondere werden Migrant*innen durch metaphorische Vergleiche abgewertet (Hogan/Haltinner 2015, S. 533) und es wird auf die Bedrohung der nationalen Identität durch ethnische Minderheiten und Migrant*innen angespielt, ein Vorgehen, das Ruth Wodak als "politics of fear" beschreibt (Wodak 2015, S. 2).Diese Elemente rechtspopulistischer Rhetorik finden sich in Orbáns Äußerungen deutlich wieder, wie einige seiner Reden und Interviews exemplarisch zeigen. Besonders deutlich wird dies in seiner Darstellung von Migration als Bedrohung für das ungarische Volk, wobei er einen alarmistischen Ton anschlägt, um die migrationskritische Haltung der Regierung zu untermauern und ein Klima der Angst zu erzeugen: "Europa wird von einer beispiellosen Masseneinwanderung bedroht. (...) Wir sprechen heute von Hunderttausenden, nächstes Jahr werden es Millionen sein, ein Ende ist nicht in Sicht" (Orbán, zitiert nach Mendelski 2019, S. 8). Orbáns Wortwahl, in der er von der "Wahrheit" spricht, verdeutlicht seine Überzeugung von der Legitimität seiner Politik, wobei er durch Übertreibungen wie "Millionen", "massive Integration" oder "unerwartetes Ausmaß" eine Atmosphäre der Panik schafft.In einer Rede anlässlich seiner Vereidigung als Ministerpräsident präsentierte Orbán seine Vision einer Demokratie, die er als "christdemokratisch im 21. Jahrhundert" bezeichnete und damit ein stark von christlichen Werten geprägtes Bild nationaler Identität entwarf, das traditionelle Familienbilder bevorzugt und Homosexualität ausgrenzt. Diese Ausführungen zeigen, wie Orbán die Medien nutzt, um seine politische Botschaft zu verstärken und wie er die Medien als Instrument zur Sicherung seiner Macht einsetzt, indem er sich einer Rhetorik bedient, die sowohl mobilisiert als auch polarisiert, um seine Position zu festigen und Herausforderungen zu kontrollieren.Analyse der aktuellen Medienlandschaft in UngarnDer folgende Teil der Arbeit befasst sich mit der aktuellen Medienlandschaft in Ungarn. In der ersten Amtszeit Orbáns zwischen 1998 und 2002 gab es kaum Eingriffe in die Pressefreiheit, was auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist. Da Ungarn in dieser Zeit noch auf den EU-Beitritt hinarbeitete, vermied Orbán bewusst Auseinandersetzungen mit der Europäischen Union über Fragen der Pressefreiheit. Dies änderte sich jedoch in der darauffolgenden Amtszeit ab 2010 drastisch: Ein neues Gesetz wurde eingeführt, das staatlichen Stellen die Einflussnahme auf die Medien ermöglichte und deren Regulierung legitimierte. Fortan nutzte die Regierung Orbán die Medien gezielt für ihre politischen Ziele.Einschränkungen der Pressefreiheit und Meinungsvielfalt in UngarnDas Beispiel Ungarns zeigt den Übergang von einem Demokratisierungsprozess zu einem schleichenden Verlust demokratischer Strukturen. Ursprünglich galt Ungarn aufgrund seiner politischen Fortschritte und wirtschaftlichen Stabilität in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren als Vorbild unter den EU-Beitrittskandidaten. Nach dem Fall der kommunistischen Einparteienherrschaft (1949-1989) und der Etablierung einer parlamentarischen Demokratie (ab 1990) unternahm das Land erhebliche Anstrengungen, um eine demokratische Staatsform zu etablieren. Wichtige Reformen dieser Zeit schufen unter anderem eine klare Trennung der Staatsgewalten (Legislative, Exekutive, Judikative) und die neue Verfassung verankerte Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz (Ismayr 2002, S. 310ff.).Seit 2010 hat Viktor Orbán mit seiner Fidesz-Partei jedoch einen politischen Kurs eingeschlagen der den zuvor eingeleiteten Demokratisierungsprozess nicht nur gestoppt, sondern in einigen Bereichen sogar rückgängig gemacht hat. Ein 2010 verabschiedetes Mediengesetz, das es staatlichen Stellen erlaubt, die Medien zu überwachen und bei Verstößen zu sanktionieren, markiert einen Wendepunkt in der Einschränkung der Pressefreiheit und ist ein zentraler Faktor im Demokratieabbau des Landes (Bajomi-Lazar 2018, S. 273ff.). Freedom House hebt hervor, dass von allen Kriterien zur Bewertung des Zustands von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gerade die Pressefreiheit in Ungarn die dramatischsten Einbußen zu verzeichnen hat (Bajomi-Lazar 2018, S. 273).Die ungarische Medienlandschaft hat sich seit der Regierungsübernahme durch Orbán und Fidesz sukzessive verändert. Die Regierung kontrolliert den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die staatliche Nachrichtenagentur Magyar Tavirati Iroda sowie einen erheblichen Teil der privaten Medien, die sich im Besitz von Orbán nahestehenden Personen befinden. Im Rahmen einer umfassenden Umstrukturierung wurden 570 leitende Angestellte der Rundfunkanstalten durch der Fidesz-Partei loyale Mitarbeiter ersetzt (Bajomi-Lazar 2018, S. 275f.).Für die regionale Berichterstattung sind seit Sommer 2017 ausschließlich unternehmerfreundliche Medien zuständig. Mit der Schließung einiger kritischer Zeitungen, darunter die überregionalen Blätter Nepszabadsag und Magyar Nemzet, ist die kritische Berichterstattung landesweit nahezu zum Erliegen gekommen. Zudem werden Journalisten, die sich kritisch über Orbán und seine Regierung äußern, nicht selten auf "schwarze Listen" gesetzt, eine Praxis, die offensichtlich darauf abzielt, Kritiker einzuschüchtern (Bajomi-Lazar 2018, S. 280).Kontrolle und Einflussnahme der Regierung auf MedienorganeEin neues Medienpaket mit Änderungen des Medien- und Pressegesetzes trat am 01.01.2011 durch die Regierung Orban in Kraft. Dieses sorgte damals europaweit für Schlagzeilen. Die Rechtsstaatlichkeit des Gesetzes wurde von der EU-Kommission angezweifelt. Auf einige Aspekte soll im Folgenden kurz eingegangen werden.Die Unabhängigkeit der Medien wurde durch das Mediengesetz erheblich geschwächt. Das Mediengesetz sah unter anderem ein Verbot bestimmter Äußerungen vor und legte eine Registrierungspflicht für alle Medien fest. Es drohte die Löschung und der Entzug der rechtlichen Möglichkeit, in Ungarn zu publizieren, wenn der Registrierungspflicht nicht nachgekommen wurde. Dies galt auch für Medienunternehmen, die außerhalb Ungarns in anderen Staaten der Europäischen Union (EU) tätig waren.Die Aufsicht über die Medien wurde nicht mehr von verschiedenen Behörden, sondern von einem einzigen Medienkontrollgremium ausgeübt. Das Medienkontrollgremium war für die Verhängung von Geldstrafen bei "politisch unausgewogener Berichterstattung" (Möllers 2018, S. 47) zuständig. Hinzu kam, dass viele Journalistinnen und Journalisten, die für den staatlichen Rundfunk arbeiteten, entlassen wurden und beispielsweise privaten, regierungskritischen Medien erschwert wurde, eine Rundfunklizenz zu erhalten. Die EU konnte durch die Androhung eines Vertragsverletzungsverfahrens zumindest eine Änderung der "EU-Ausländer betreffenden Aspekte" (Möllers 2018, S. 47) erreichen.MediengesetzgebungNoch bevor Ungarn seine neue Verfassung verankerte, stand die Regierung aufgrund der Verabschiedung eines restriktiven Mediengesetzes unter Beschuss. Das Gesetz, welches im Januar 2011 in Kraft trat, beschränkt deutlich die Freiheit der Medien und Presse (Salzborn 2015, S. 76). Das Hauptziel dieser Maßnahme ist die Dominanz der Regierung Orbáns über das Mediengefüge. Zu diesem Zweck wurde die Nationale Kommunikations- und Medienbehörde ("KESMA") ins Leben gerufen. Diese Behörde und der Medienrat erhielten erweiterte Befugnisse zur Überwachung und Lizenzierung von Medienangeboten. Unter anderem ist die Nationale Kommunikations- und Medienbehörde verantwortlich für die Vergabe von Sendelizenzen und übernimmt Aufgaben im Bereich des Verbraucher- und Wettbewerbsschutzes. Eine der Hauptaufgaben des Medienrates ist die Gewährleistung einer Berichterstattung (Bos 2021, S. 38). Neben der Neustrukturierung des Medienwesens führte die Regierung ein Fördermodell ein, das regierungsnahe Medien durch staatliche Werbeverträge finanziell unterstützt.Nach den Wahlen im Jahr 2014 erwarben Unternehmer, die der Regierung nahestehen, zunehmend Medien der Opposition, die anschließend in die neu geschaffene "Mitteleuropäische Presse- und Medienstiftung" eingebracht wurden (Bos 2021, S. 38). So schaffte es die Regierung Orbán, einflussreiche Medien der Opposition zu marginalisieren oder vollständig vom Markt zu nehmen. Ebenso wurden Online-Nachrichtenplattformen in das System eingegliedert (Bos 2021, S. 39).Samuel Salzborn kritisiert insbesondere den rechtlichen Charakter des neuen Mediengesetzes, das vage Generalklauseln beinhaltet, welche sich auf unbestimmte Konzepte wie "gute Sitten" berufen. Diese Klauseln sind offen für Interpretationen und ermöglichen damit eine gewisse Willkür. Die Definition dessen was als "gute Sitte" gilt kann staatlich bestimmt und gegen kritische Berichterstattung eingesetzt werden, was deren Sanktionierung zur Folge haben kann (Salzborn 2015, S. 77).Auswirkungen der Medienregulierung auf die Demokratie in UngarnNachdem im vorangegangenen Kapitel die aktuelle Medienlandschaft in Ungarn dargestellt wurde, widmet sich der folgende Abschnitt den Auswirkungen der Medienregulierung auf die demokratische Verfasstheit Ungarns. Anhand konkreter politischer Maßnahmen der ungarischen Regierung wird untersucht, wie die Visionen Orbáns umgesetzt wurden. Darüber hinaus wird analysiert, inwiefern die rechtspopulistische Politik die Qualität der ungarischen Demokratie beeinflusst und verändert hat.Bedeutung der Medien für die demokratische GesellschaftIm Zentrum der Debatte um die Rolle der Medien in der demokratischen Gesellschaft Ungarns steht die Transformationspolitik Viktor Orbáns und seiner Fidesz-Partei, die seit ihrem Regierungsantritt eine umfassende Kontrolle über die Medienlandschaft ausüben. Die Regierung nutzt diese Kontrolle strategisch als Instrument der Regierungskommunikation, um eine fast ausschließlich positive Berichterstattung über ihre Handlungen und Entscheidungen sicherzustellen. Regierungskritische Stimmen finden kaum Gehör, stattdessen wird Kritik systematisch unterdrückt und negative Nachrichten werden in einem für die Regierung vorteilhaften Licht dargestellt. Die gezielte Durchführung von Desinformationskampagnen, die Bajomi-Lazar als "Propaganda" bezeichnet, ist ein weiterer Baustein dieser Medienpolitik (Bajomi-Lazar 2018, S. 280f.).Die Verpflichtung von Arthur J. Finkelstein, einem erfahrenen Kampagnenstrategen aus den USA, durch Viktor Orbán unterstreicht den gezielten Einsatz der Medien zur Meinungsbildung. Das Phänomen der Verbreitung von teilweise oder vollständig gefälschten Nachrichten ist zwar kein Alleinstellungsmerkmal der ungarischen Medienlandschaft, die offene Zurschaustellung dieser Praktiken durch die ungarische Regierung ohne den Versuch, ihre Aktivitäten zu verschleiern, stellt jedoch einen klaren Bruch mit demokratischen Normen dar (Bajomi-Lazar 2018, S. 281).Diese Entwicklung wirft grundsätzliche Fragen nach den Auswirkungen der Medienregulierung auf die Demokratie in Ungarn auf. Die Einflussnahme auf die Medien und die damit einhergehende Unterdrückung pluralistischer Diskurse hat unmittelbare Folgen für die demokratische Gesellschaft. Indem die Medien als verlängerter Arm der Regierungskommunikation fungieren und kritische Berichterstattung marginalisiert wird, werden demokratische Grundwerte wie Meinungsvielfalt und Pressefreiheit massiv untergraben. Die strategische Manipulation der Medienlandschaft durch die Regierung Orbán verdeutlicht die Herausforderungen vor denen die Demokratie in Ungarn steht und unterstreicht die zentrale Rolle der Medienfreiheit als Grundpfeiler einer lebendigen und funktionierenden demokratischen Gesellschaft. Einschränkung der Demokratie durch Regulierungen in der MedienlandschaftDie Regulierung der Medienlandschaft in Ungarn durch Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei hat weitreichende Folgen für die Demokratie im Land. Durch die systematische Übernahme und Anpassung der Medien an ihre Vorstellungen, insbesondere durch die Besetzung der Führungspositionen in den wichtigsten Medienorganisationen mit Verbündeten der Regierung, haben sie die Medien zu einem Instrument der Machtsicherung gemacht. Die Aufhebung der Unabhängigkeit der Medien ermöglicht es der Orbán-Regierung, die Berichterstattung vollständig für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren. Es dominiert eine einseitige Berichterstattung, die den Bürgern vor allem in den ländlichen Regionen wenig Spielraum lässt die Authentizität und Richtigkeit der präsentierten Nachrichten zu überprüfen. Die Bürger Ungarns stehen vor der Herausforderung, dass sie kaum Zugang zu alternativen Perspektiven oder kritischen Stimmen haben, was sie quasi dazu zwingt, den regierungsgesteuerten Nachrichten Glauben zu schenken (Bajomi-Lazar 2018, S. 281/282).Diese Einschränkung der Medienfreiheit und die Manipulation der Informationslandschaft durch die Regierung Orbán untergraben grundlegende demokratische Prinzipien, indem sie den freien Zugang zu Informationen einschränken und eine fundierte öffentliche Meinungsbildung verhindern. Durch die gezielte Meinungsmache und die Abschottung gegenüber kritischen Debatten werden die natürlichen demokratischen Kontrollmechanismen geschwächt und die Bevölkerung als Kontrollinstanz der Regierung faktisch entmachtet. Die Strategie, die Macht über die Medien zu festigen und dafür zu sorgen, dass keine Gegenmeinungen an die Öffentlichkeit gelangen oder Widerstand gegen politische Entscheidungen leisten können, ist ein deutliches Zeichen für den Missbrauch von Medienmacht zur Festigung autoritärer Strukturen.Diese Entwicklungen in Ungarn verdeutlichen die zentrale Bedeutung einer unabhängigen und pluralistischen Medienlandschaft für den Erhalt einer gesunden Demokratie. Die Einschränkung der Pressefreiheit und die gezielte Manipulation der Medien durch die Regierung stellen eine ernsthafte Bedrohung für die demokratischen Prozesse und die politische Freiheit im Land dar. Politische Auswirkungen auf das demokratische System UngarnsDie politischen Auswirkungen der Regulierung der Medien auf das demokratische System in Ungarn sind tiefgreifend und haben zu einer Verschlechterung der Qualität der Demokratie im Land geführt. Diese Veränderungen spiegeln sich in verschiedenen internationalen Indizes wider, die die demokratische Stabilität Ungarns bewerten. Der "Freedom in the World Index" von Freedom House stuft Ungarn als "teilweise frei" ein, da die Fidesz-Partei die Kontrolle über unabhängige Institutionen erlangt hat, was zu einer Schwächung der Aktivitäten von Oppositionellen, Journalisten, Universitäten und NGOs geführt hat (Freedom House 2021). Der "Nations in Transit Index" bezeichnet Ungarn sogar als "Transitional or Hybrid Regime" mit einem Wert von 49 von 100 Punkten, wobei 100 Punkte für eine funktionierende Demokratie stehen (Freedom House 2021b). Der Bertelsmann Transformationsindex beschreibt Ungarn als "defekte Demokratie", in den demokratischen Institutionen zwar existieren, aber eingeschränkt und ineffektiv sind (Bertelsmann Stiftung 2020, S. 13).Deutlich verschlechtert hat sich zudem die Platzierung Ungarns in der Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen", wo das Land nur noch auf Platz 92 von 180 Ländern rangiert und die Situation der Pressefreiheit als problematisch eingestuft wird (Reporter ohne Grenzen 2021). Der "Rule of Law Index" des World Justice Project weist Ungarn den niedrigsten Wert in Osteuropa zu, weltweit liegt es auf Platz 60 von 128 (World Justice Project 2020).Diese Indizes und Bewertungen zeigen, dass die von Viktor Orbán vorangetriebene politische Transformation direkte negative Auswirkungen auf die Qualität der Demokratie in Ungarn haben. Einige Autoren wie Attila Ágh sprechen von der "ungarischen Krankheit" als antidemokratischer Herausforderung für die EU und beschreiben das Land als "worst case scenario" einer "elected autocracy" (Ágh 2015, S. 4, S. 16). János Kornai sieht in der Entwicklung seit Orbáns Amtsantritt eine Abkehr von Demokratie und Errungenschaften des Systemwechsels Ende der 1980er, einen "U-Turn" (Kornai 2015, S. 1). Samuel Salzborn identifiziert eine transformatorische Entwicklung hin zu einer Diktatur, bedingt durch rechtliche Veränderungen und eine zunehmende Ethnisierung der Innenpolitik (Salzborn 2015, S. 81).Andere Forscher sprechen von einem "hybriden Regime" und positionieren Ungarn in einer Grauzone zwischen Demokratie und Autokratie. András Bozóki und Dániel Hegedüs betonen, dass hybride Regime eine eigenständige Kategorie darstellen, die weder als Unterform der Demokratie noch der Diktatur zu verstehen ist (Bozóki/Hegedüs 2018, S. 1183). Attila Antal betont, dass das Orbán-Regime seine politische Anhängerschaft gezielt repolitisiert und den Rest der politischen Gemeinschaft depolitisiert hat (Antal 2017, S. 18).SchlussfolgerungDas Phänomen des Demokratieabbaus, beobachtet nicht nur in Ungarn, sondern weltweit und innerhalb Europas, unterstreicht eine kritische Herausforderung für die demokratische Ordnung vieler Staaten. Die systematische Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit in Ungarn seit Viktor Orbáns zweiter Amtszeit im Jahr 2010 zeichnet ein beunruhigendes Bild der Degradierung demokratischer Werte, das weit über die Grenzen Ungarns hinausreicht und die europäische Gemeinschaft insgesamt betrifft (Möllers 2018, S. 7; Ismayr 2002, S. 309ff.).Die zentrale Rolle der Medien in einer Demokratie, hervorgehoben durch ihre vielfältigen Funktionen wie die Schaffung von Öffentlichkeit, Informationsvermittlung, Kontrolle der Macht, soziale Integration und Bildung, unterstreicht die Bedeutung der Medienfreiheit für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft (Strohmeier 2004, S. 69ff.). Die Kontrolle über die Massenmedien zu haben bedeutet, einen entscheidenden Einfluss darauf zu besitzen, welche Informationen die Bevölkerung erhält und wie sie die politische Realität wahrnimmt.Ungarns Entwicklung seit 2010 unter der Fidesz-Regierung ist besonders alarmierend, da sie zeigt, wie gezielt Propaganda eingesetzt wird, um die Regierungsperspektive zu stärken und oppositionelle Stimmen effektiv zum Schweigen zu bringen. Die offene Ausführung dieser Maßnahmen und das scheinbare Desinteresse der Regierung, ihre Aktionen zu verbergen, verdeutlichen eine besorgniserregende Gleichgültigkeit gegenüber demokratischen Standards (Bajomi-Lazar 2018, S. 281f.). Trotz der Transparenz dieser Aktivitäten hat die Europäische Union bisher wenig Einfluss auf eine positive Veränderung nehmen können, was den Demokratieabbau in Ungarn weiter vorantreibt.Die Situation in Ungarn ist nicht isoliert zu betrachten, sondern stellt ein ernstes Problem für die EU dar, da es die konstitutionellen und demokratischen Grundlagen der Gemeinschaft untergräbt. Die aktuellen Entwicklungen in Ungarn sind ein Warnsignal und erfordern eine dringende und koordinierte Reaktion auf europäischer Ebene, um die Demokratie zu schützen und zu fördern. Die Frage, wie die Medienregulierung in Ungarn die demokratischen Prozesse und die politische Landschaft des Landes beeinflusst, lässt sich klar beantworten: Sie führt zu einer erheblichen Einschränkung der Demokratiequalität, indem sie die freie Meinungsäußerung untergräbt, die politische Pluralität einschränkt und die Kontrollfunktion der Medien schwächt.Die Hoffnung liegt nun darauf, dass die internationale Gemeinschaft und europäische Institutionen wirksame Maßnahmen ergreifen, um die demokratischen Prinzipien in Ungarn zu stärken und einen weiteren Demokratieabbau zu verhindern. Die Bewahrung der Medienfreiheit und die Sicherstellung einer pluralistischen und unabhängigen Medienlandschaft sind essenziell für die Aufrechterhaltung einer lebendigen und gesunden Demokratie, nicht nur in Ungarn, sondern in allen demokratischen Staaten. LiteraturverzeichnisÁgh, Attila. 2015. 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"Das Recht auf Entwicklung muss so verwirklicht werden, dass den Entwicklungs- und Umweltbedürfnissen der heutigen und der kommenden Generationen in gerechter Weise entsprochen wird" (Rio-Erklärung Grundsatz 3).Dieser Grundsatz wurde 1992 bei der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro von den Vereinten Nationen (VN) festgelegt. Damals kamen Vertreter*innen aus 178 Ländern zusammen, um über Fragen zu Umwelt und Entwicklung im 21. Jahrhundert zu beraten. Die Rio-Konferenz führte zu wichtigen klimapolitischen Ergebnissen wie der Agenda 21 und der Rio-Erklärung und endete mit der Unterzeichnung der Klimakonvention durch 154 Staaten. Die Klimakonvention, die zwei Jahre später in Kraft trat, beinhaltete in Artikel 2"... das Ziel der Stabilisierung der Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre auf einem Niveau, das eine gefährliche anthropogene Störung des Klimas verhindert sowie dessen Folgen abmildert" (Simonis et al. 2017, S. 267).Angekommen im 21. Jahrhundert, ist dieses Ziel als nicht verwirklicht anzusehen. Waren es im Jahr der Rio-Konferenz 1992 noch 23.230 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen, so sind es 2022 37.150. (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37187/umfrage/der-weltweite-co2-ausstoss-seit-1751/). Die Treibhausgasemissionen sind seit 1992 – mit Ausnahme der Zeit der Covid-19-Pandemie – konstant angestiegen. Und das, obwohl die VN 1995 bei der ersten COP (Conference of the Parties) in Berlin das Berliner Mandat veröffentlichten, das als Basis für das 1997 verabschiedete Kyoto-Protokoll diente und in dem sich die Vertragsstaaten einigten, den Ausstoß von Treibhausemissionen zu senken (Vgl. Simonis et al. 2017, S.267). Die damalige deutsche Umweltministerin Angela Merkel sprach auf der COP zu den VN:"Wie wir hier in Berlin miteinander reden, wie wir fähig sind, Probleme zu lösen, wird ein Symbol dafür sein, ob es gelingen kann, globale Probleme gemeinsam in Angriff zu nehmen oder nicht."Gut gesprochen, doch sinnbildlich für das "gemeinsam in Angriff nehmen der globalen Probleme" und das Einhalten des Kyoto-Protokolls steht die USA, die mit dem Argument, dass Industrienationen bei der Reduktion des Treibhausgasausstoßes eine größere Last tragen als Entwicklungsländer, 2001 aus dem Protokoll wieder austraten (Vgl. Simonis et al. 2017, S.267). Die Treibhausgasemissionen sind trotz des verabschiedeten Kyoto-Protokolls stetig gestiegen und so hat es von Rio an 23 Jahre gebraucht, bis 2015 auf der COP 21 in Paris das Pariser Klimaabkommen verabschiedetet wurde, mit dem Ziel, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf 1,5 °C – mit einer Obergrenze von 2 °C – zu beschränken. 8 Jahre später gilt das 1,5-°C-Ziel als nicht mehr realistisch und auch die Obergrenze von 2 °C ist stark gefährdet (Vgl. von Brackel et al.).So kamen Ende des Jahres 2023 die Vertreter der Nationen in Dubai zusammen, um auf der COP 28 wieder einmal darüber zu verhandeln, wie die Welt den voranschreitenden Klimawandel aufhalten kann. Doch wenn das 2 °C Ziel stark gefährdet ist und die Treibhausgaswerte weiter ansteigen, kommen Fragen auf:Wie gedenken die VN, die Treibhausgasemissionen zu verringern?Wieso hat es von der Rio-Konferenz an 23 Jahre gedauert, bis das Pariser Abkommen verabschiedet wurde?Auf welche Maßnahmen konnten die VN sich im Kampf gegen den Klimawandel einigen?Welche Rolle und Verantwortung nehmen die Industrienationen ein?Diese Seminararbeit wird sich mit einer Einordnung der COP28 in die Entwicklung der vorangegangenen Klimakonferenzen befassen und einen Überblick über die komplexe Klimapolitik der Vereinten Nationen geben.Von Rio zur COP1 und dem Kyoto-AbkommenDen Beginn der zwischenstaatlichen Klimaverhandlungen markiert die Konferenz der VN über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro, die in zwei wichtigen umweltpolitischen Ereignissen mündete: der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung und der Agenda 21 (vgl. Simonis et al. 2017, S. 267).Rio-Erklärung: In der Rio-Erklärung legten die VN das Ziel fest"… durch die Schaffung von neuen Ebenen der Zusammenarbeit zwischen den Staaten, wichtigen Teilen der Gesellschaft und den Menschen eine neue und gerechte weltweite Partnerschaft aufzubauen, bemüht um internationale Übereinkünfte, die die Interessen aller achten und die Unversehrtheit des globalen Umwelt- und Entwicklungssystems schützen, anerkennend, dass die Erde, unsere Heimat, ein Ganzes darstellt, dessen Teile miteinander in Wechselbeziehung stehen." (Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung, S. 1).In der Erklärung wurde erstmals global das Recht auf nachhaltige Entwicklung, Forderungen sowie Voraussetzungen zur Umsetzung verankert. Daneben stehen Menschenrechte und der Schutz der Rechte zukünftiger Generationen im Mittelpunkt. Im ersten Grundsatz heißt es:"Die Menschen stehen im Mittelpunkt der Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung. Sie haben das Recht auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur" (Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung, Grundsatz 1).Insgesamt umfasst das Dokument 27 Grundsätze und Prinzipien, die die Rahmenbedingungen und Grundsätze für die Umsetzung der Ziele festlegen.Agenda 21: In der Agenda 21 wurden detaillierte Handlungsaufträge zur Erhaltung der Umwelt und Menschheit festgeschrieben, mit dem Ziel, der Verschlechterung der Situation des Menschen und der Umwelt entgegenzuwirken und eine nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen zu gewährleisten. Die Handlungsaufträge der Agenda 21 bestehen aus 40 Kapiteln und sind thematisch in vier Dimensionen unterteilt (Vgl. Lexikon der Nachhaltigkeit, 2015): Soziale und wirtschaftliche Dimension (Kapitel 2-8) – Armutsbekämpfung, Bevölkerungsdynamik, Gesundheitsschutz und nachhaltige Siedlungsentwicklung. Erhaltung und Bewirtschaftung der Ressourcen für die Entwicklung (Kapitel 9-22) – Schutz der Erdatmosphäre, Bekämpfung der Entwaldung, dem Erhalt der biologischen Vielfalt und die umweltverträgliche Entsorgung von Abfällen. Stärkung der Rolle wichtiger Gruppen (Kapitel 23–32) – diversen gesellschaftlichen Gruppen, die für die Umsetzung der Agenda von besonderer Bedeutung sind. Möglichkeiten der Umsetzung (Kapitel 33-40) – Rahmenbedingungen zur Umsetzung der finanziellen und organisatorischen Instrumente (Technologietransfer, Bildung, internationale Zusammenarbeit). (Agenda 21, https://www.un.org/depts/german/conf/agenda21/agenda_21.pdf) Die Umsetzung der Handlungsdimensionen erfolgt mehrdimensional. Auf nationaler Ebene bspw. durch Planung von Strategien und Maßnahmen zur Umwelterhaltung. Auf institutioneller Ebene durch Akteure wie NGO. Eine exekutive Rolle fällt den Bürger*Innen zu, die durch ihre Bereitschaft zur Beteiligung an den Maßnahmen einer nachhaltigen Entwicklung mitentscheidend sind. Diese ist u.a. abhängig von der Kommunalverwaltung, die die Aufgabe der Vermittlung zwischen den Nationen und den Bürger*Innen hat (vgl. Lexikon der Nachhaltigkeit, 2015).Klimarahmenkonvention: Die Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention durch 154 Staaten markiert das Ende der Rio-Konferenz und bildet die völkerrechtliche Basis für den weltweiten Klimaschutz. Das vorrangige Ziel war – wie in der Einleitung u.a. genannt – die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration auf ein Niveau, das verhindert, dass es zu gefährlichen Störungen des Klimasystems kommt. Die Umsetzung der Klimarahmenkonvention wird durch Berichterstattung über die Treibhausgasemissionen und Minderungsmaßnahmen geprüft. Diese Kontrolle sowie die Weiterentwicklung der Klimarahmenkonvention geschieht jährlich auf den seit 1995 stattfindenden Weltklimakonferenzen (COP) (vgl. Umweltbundesamt, 2024).COP1 und COP2Wie eben genannt, findet die Umsetzung, Beratung und Kontrolle der Maßnahmen auf der jährlichen Conference of Parties (COP) statt. Die COP stellt das wichtigste Organ der Klimarahmenkonvention dar und besteht aus 197 Mitgliedsstaaten (Stand COP28), die nach Einstimmigkeitsprinzip über die Maßnahmen und Umsetzung entscheiden (Simonis et al. 2017, S. 268). 1995 fand die erste COP in Berlin statt. Diese wurde geprägt durch zähe Verhandlungen zwischen der "Alliance of Small Island States" (AOSIS), auf deren Seite auch die BRD stand, und den "JUSCANZ-Staaten" (Japan, USA, Kanada, Australien, Neuseeland).Deutschland und die AOSIS forderten eine Reduktionsverpflichtung der Treibhausgasemissionen von 20 % bis zum Jahr 2005 im Vergleich zu den Emissionen aus dem Jahr 1990. Die USA, die im Jahr 1990 für 23 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich waren, und die anderen JUSCANZ-Staaten lehnten diese Verpflichtung ab. Die Verhandlungen endeten letztendlich in dem von US-Seite vorgeschlagenen "Berliner Mandat". In diesem verpflichteten sich die Vertragsstaaten, bis 1997 ein Protokoll zur Begrenzung und Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen auszuarbeiten (vgl. Simonis et al. 2017, S. 268f). Auf der in Genf stattfindenden COP2 wurden die Klimaverhandlungen weiter vorangetrieben. Einen großen Faktor hierfür stellte der Wandel der Klimaaußenpolitik der USA dar. Der damalige Präsident Bill Clinton stand in der Klimapolitik unter großem Einfluss des Vize-Präsidenten Al Gore und konnte durch diesen zu Zugeständnissen in den Verhandlungen bewegt werden. Die COP2 mündete in der Genfer Deklaration, in der die Aufforderung festgehalten wurde, die Klimaverhandlungen bis zur COP3 zu beschleunigen (vgl. Simonis et al. 2017, S. 269).COP3 und das Kyoto-Protokoll Die COP3 fand 1997 im japanischen Kyoto statt. Im Vordergrund stand die Verhandlung des im Berliner Mandat festgelegten völkerrechtlich verbindlichen Protokolls zur Reduktionsverpflichtung von Treibhausgasemissionen. Sie waren geprägt von unterschiedlichen Positionen und Interessenlagen der Mitgliedsnationen. Die USA, als einer der größten Verursacher von Treibhausgasen, sprachen sich gegen eine einheitliche Zielvorgabe zur Reduzierung der CO₂-Emissionen für alle Länder aus. Auch andere Industrieländer wie Japan und die EU vertraten diesen Standpunkt.Aufgrund der anfangs unflexiblen Verhandlungshaltung der USA kam es auf Seiten der Entwicklungs- und Schwellenländer wie z.B. der Allianz der AOSIS, die sich für eine einheitliche Zielvorgabe aussprachen, zu Zweifeln, dass es zu einer Einigung kommen könnte. Letztendlich konnten sich die Nationen der Weltklimakonferenz auf eine Zielsetzung zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen im Zeitraum von 2008 bis 2012 (u.a. USA 7 %, Japan 6 % und die EU 8 %) einigen.Festgeschrieben wurden die Verpflichtungen im Kyoto-Protokoll, das (nach Artikel 25) in Kraft treten sollte, sobald "mindestens 55 Staaten, die zusammengerechnet mehr als 55 % der CO₂-Emissionen des Jahres 1990 verursachten, das Abkommen ratifiziert haben" (Lexikon der Nachhaltigkeit, 2015).Das Kyoto-Protokoll unterscheidet zwischen Schwellen-/Entwicklungsländern und Industriestaaten. Industrieländer wie Russland, Japan, USA oder die EU (1997 bestehend aus 15 Ländern) verpflichteten sich, aufgrund ihrer historischen Verantwortung für den Anstieg der Treibhausgasemissionen, diese zu reduzieren. Schwellenländer wie China oder Indien mussten genauso wie die Entwicklungsländer keine verbindlichen Maßnahmen eingehen, erkannten jedoch durch die Unterzeichnung die Notwendigkeit an, gegen den Klimawandel vorgehen zu müssen.Neben den Reduktionszielen führte das Kyoto-Protokoll zur Gründung neuer Institutionen und Instrumente, die durch technische und wissenschaftliche Beratung das Erreichen der Emissionsreduzierung zusätzlich unterstützen sollten (vgl. Simonis et al. 2017, S. 270f.).Ratifizierung des Kyoto-Protokolls Bis zur Ratifizierung des Kyoto-Protokolls sollte es bis 2005 dauern. Grund dafür war u.a. die in Artikel 25 festgehaltene Hürde zur Ratifizierung. Die von den Unterzeichnern des Kyoto-Protokolls angestrebte schnelle Ratifizierung verzögerte sich durch offene Fragen im Protokoll. Ein zentraler Streitpunkt war der Umgang mit flexiblen Maßnahmen, um die Reduktionsziele einhalten zu können.Ein Beispiel für diese Maßnahmen betrifft Senken, also die Speicherung von Kohlenstoff durch Wälder, Böden und Meere sowie Maßnahmen zur Aufforstung und Wiederaufforstung. Die USA plädierten für eine großzügige Anrechnung flexibler Maßnahmen, um die vorgegebenen Ziele überhaupt erreichen zu können, während die EU nach außen hin für eine strengere Obergrenze eintrat, intern aber hinsichtlich dieser Thematik gespalten war.Bei den auf die COP 3 folgenden COP4 bis COP6 kam es zu keinen signifikanten Einigungen. Neben der Konfliktlinie zwischen den USA und der EU kam es zur Auseinandersetzung zwischen der Umbrella-Gruppe (ehemalige Mitglieder der JUSCANZ, die sich nach der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls aufgelöst und sich mit Island, Russland und der Ukraine neu formiert haben) und den G77-Staaten (Zusammenschluss der Entwicklungsländer der Vereinen Nationen) mit China, bei der die EU erfolglos versuchte zu vermitteln. Die andauernde Uneinigkeit zwischen den verschiedenen Parteien mündete letzten Endes darin, dass die USA unter Präsident George W. Bush 2001 aus dem Kyoto-Protokoll austrat (vgl. Simonis et al. 2017, S. 273 ff.). Nach dem Ausscheiden der USA übernahm die EU die Führung, um die Ratifizierung voranzutreiben. Industrieländer wie Japan, Russland oder Australien nutzten das drohende Scheitern des Kyoto-Protokolls als Druckmittel gegenüber der EU, um Regelungen bspw. für flexible Maßnahmen zu ihren Gunsten auszulegen. Die EU, die sich stark für das Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls einsetzte, ging bei den Verhandlungen auf den auf die COP6 (Den Haag) folgenden Konferenzen Kompromisse ein. Daraus resultierte, dass die strikten Begrenzungen für flexible Maßnahmen, bspw. hinsichtlich von Senken, bei den Folgeverhandlungen auf der COP6II (Bonn) aufgehoben wurden, wovon vor allem Russland und Kanada stark profitierten.Bereits verhandelte Punkte wurden bei der COP7 (Marrakesch) auf erneuten Druck von Kanada, Russland und dazu auch Japan neu verhandelt. Das Resultat war das Übereinkommen von Marrakesch, was neben 15 Maßnahmen zur Umsetzung des Kyoto-Protokolls die Regelungen für die Anrechnung flexibler Maßnahmen noch weiter aufweichte. Die folgenden Klimakonferenzen COP8 (Neu-Delhi) und COP 9 (Mailand) waren weiter von Verhandlungen und technischen Fragen geprägt, führten letztendlich im November 2004 zu der Ratifikation durch Russland und dadurch zum Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls im Jahr 2005.Bei der COP10 (Buenos Aires) war nach langen vorangegangenen Verhandlungen zur Ratifizierung erstmals wieder Platz für andere Themen, wie die Anforderungen an die Industrieländer, Maßnahmen und Ressourcen für die Anpassung von Entwicklungsländern an die Folgen des Klimawandels bereitzustellen. Am 16. Februar 2005 trat das Kyoto-Protokoll und seine Umsetzungsregeln in Kraft, kurz nachdem das Emissionshandelssystem der EU (erhebliche Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2030 und Netto-Null-Emissionen bis 2050) im Januar eingeführt wurde (vgl. Simonis et al. 2017, S. 274 f).Post-Kyoto-ÄraDas Inkrafttreten 2005 leitete eine neue Ära der Klimaverhandlungen ein, mit dem Ziel, ein neues Abkommen für die Zeit nach der Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls (2008-12) auszuarbeiten. Auf der COP11 (Montreal) traten die Mitglieder der MOP (Meeting of Parties of the Kyoto Protocol) unter der Führung der EU und gestützt von der AOSIS zusammen und einigten sich auf Folgeverhandlungen über die Verpflichtungen der Industrieländer für die "Post-Kyoto-Zeit." Ausgenommen waren Australien und die USA, die seit dem Austritt mehrmals versucht hatte, die Kyoto-Verhandlungen zu behindern und den Klimawandel infragezustellen.Neben den Folgeverhandlungen wurde die Miteinbeziehung der Schwellenländer und der USA in zukünftige Verhandlungen festgeschrieben. 2005 kam es durch den Hurrikan "Katrina" in den USA zu verheerenden Schäden, die offenlegten, dass die Kosten, die ein ungebremster Klimawandel durch z.B. Katastrophen verursacht, deutlich höher ausfallen als die Kosten für Treibhausgasreduktionsmaßnahmen (vgl. Simonis et al. 2017, S. 275 f). Auf der COP12 (Nairobi) konnten die Staaten sich einigen,"... die bisherigen Ergebnisse des Kyoto-Protokolls nach Artikel 9 bis 2008 einer Effektivitätsprüfung zu unterziehen und die Entwicklungsländer bei CDM und Anpassungsmaßnahmen verstärkt einzubeziehen (Sterk et al. 2007: 141 f., zitiert nach Simonis et al. S.276)."COP13Ein erheblicher Fortschritt in der internationalen Klimapolitik gelang den VN 2007 auf der COP13 (Bali) hinsichtlich des Ziels, sich auf das Post-2012-Abkommen zu einigen. Die zwei zentralen Vorhaben hierfür waren zum einen die Verpflichtung der Industrieländer für eine zweite Kyoto-Phase zwischen 2013 und 2020 und die Aufnahme von Mitigationsmaßnahmen durch die Entwicklungsländer.Bei den letzteren standen vor allem China, das 2007 an der Spitze der Treibhausgasemissionen stand und sich in der Vergangenheit gegen freiwillige Maßnahmen zur Treibhausgasreduzierung durch Schwellen- und Entwicklungsländer ausgesprochen hatte, aber auch Indien in der Kritik. Die USA blockierten früh den Verlauf der Verhandlungen, was dazu führte, dass die Entwicklungsländer ankündigten, einem neuen Abkommen nur zuzustimmen, wenn die USA auch beteiligt sind.Die Position der USA führte zu massiver Kritik vonseiten der oppositionellen Demokraten in den USA und der amerikanischen Öffentlichkeit. Durch den steigenden Druck gab die US-Regierung ihre Blockade-Haltung auf, und die Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen und Verlängerung des Kyoto-Protokolls mit Einbezug der Entwicklungsländer konnten weitergeführt werden.Für die Post-Kyoto-Zeit wurde festgelegt, dass für die Anpassungsmaßnahmen der Entwicklungsländer ein Anpassungsfonds bis 2012 gegründet werden muss. Das Geld hierfür wird von den Vertragsstaaten bereitgestellt und von der Weltbank sowie dem globalen Umweltfonds verwaltet. Des Weiteren wurden finanzielle Zusagen für den REDD+-Mechanismus, der für die Förderung der Erhaltung und Erhöhung der Kohlenstoffbestände in den Wäldern und für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung sowie vermiedene Entwaldung steht, vereinbart, was vor allem für die Entwicklungsländer einen bedeutenden Schritt darstellte (vgl. Simonis et al. 2017, S. 276 ff.). Die Verhandlungen über das Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls sollten über die COP14 (Posen) hinaus auf der COP15 in Kopenhagen abgeschlossen werden.COP15 - COP17Die COP15 in Kopenhagen, die den Erwartungen nicht gerecht werden konnte und als gescheitert (vgl. SPD, 2010) betitelt wurde, kann rückblickend gesehen als ein Zwischenschritt zu dem anstrebten Folgeabkommen verstanden werden. Früh wurde klar, dass das Ziel des Nachfolgeabkommens für die Post-Kyoto-Zeit in Kopenhagen nicht zu erreichen sein wird. Obgleich die Staaten es nicht schafften, ihr Ziel zu erreichen, erzielten sie in einigen Punkten einen Konsens. Das wichtigste Ergebnis der COP15 stellt die Anerkennung des 2°C-Ziels und die daraus resultierende Notwendigkeit tiefer Einschnitte bei den globalen Emissionen dar.Neben diesem Beschluss wurde festgelegt, dass in einem pledge and review-Verfahren (versprechen und überprüfen) die Staaten ihre Emissionsziele angeben müssen und diese im Hinblick auf die Erreichbarkeit des 2°C-Ziels überprüft werden. Im Vergleich zu früheren Beschlüssen wurden neben den Industrieländern in diesem Verfahren auch die Entwicklungsländer mit einbezogen (vgl. Simonis et al. 2017, S. 278 f). Der damalige deutsche Bundesumweltminister Norbert Röttgen sagte nach der COP15:"Wir haben nicht das erreicht, was wir uns gewünscht haben, aber das, was erreicht werden konnte – die Alternative von wenig wäre nichts gewesen… Trotz der Enttäuschungen von Kopenhagen dürfen wir das Ziel eines umfassenden, weltweiten Klimaschutzabkommens nicht aufgeben." (BMUV, 2009).Nachdem die Übereinkunft von Kopenhagen (https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Gesetze/copenhagen_accord_bf.pdf) aufgrund des Einspruchs von Ländern wie u.a. Bolivien nicht formal rechtlich verabschiedet und nur zur Kenntnis genommen werden konnte, wurde auf der COP16 im Cancun-Abkommen das 2°C-Ziel als offizielles international gemeinsames langfristiges Ziel festgelegt. Bis 2015 sollte zudem überprüft werden, ob es erforderlich ist, das 2°C-Ziel auf 1,5 °C herabzusetzen. Daneben wurde für die Entwicklungsländer, die besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, ein Programm zur Unterstützung sowie ein grüner Klimafonds eingerichtet, der ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar bereitstellen soll (vgl. Simonis et al. 2017, S. 279). Die COP17 in Durban läutete eine neue Phase der Klimaverhandlungen ein. Nachdem im Vorfeld der Verhandlungen die BASIC-Staaten (ein Verbund aus Brasilien, Südafrika, Indien und China) sich auf die gemeinsame Forderung geeinigt hatten, dass auch nach dem Ablauf des Kyoto-Protokolls die Verantwortung für die Treibhausgasemissionen weiterhin ausschließlich bei den Industrieländern liegt, und China, Indien und die USA sich gegen verpflichtende Ziele ausgesprochen hatten, gestalteten sich die Verhandlungen anfangs schwierig.Im weiteren Verlauf gelang es der EU, die Blockadehaltung zu lösen und China und Indien dazu zu bewegen, das Durban-Abkommen zu unterzeichnen, das die Industrieländer sowie China und Indien dazu verpflichtet, sich bis 2015 rechtlich verbindliche Emissionsziele zu setzen. Trotz diesem Erfolg gab es von Seiten der NGO Kritik, dass es erneut nicht gelungen sei, verbindliche Emissionsziele festzusetzen, was auf die Blockadehaltung der USA zurückgeführt wird. Die Weiterführung der Post-Kyoto-Verhandlungen wurde auf die COP18 in Doha vertagt (vgl. Simonis et al. 2017, S. 282 f).COP18 - COP20 Bei der COP18 in Katar gelang es, das Kyoto-Protokoll von 2013 bis 2020 zu verlängern, mit dem Ziel eines Folgeabkommens, das 2020 in Kraft treten sollte. Die Verlängerung des Kyoto-Abkommens wurde von einem faden Beigeschmack geprägt, da mit Japan, Kanada, Russland und Neuseeland vier Industrieländer aus dem Protokoll austraten. Das hatte zur Folge, dass die teilnehmenden 37 Kyoto-Staaten für nur noch 15 % der weltweiten Emissionen verantwortlich waren und das Kyoto-Protokoll realpolitisch an Relevanz und Glaubwürdigkeit einbüßte. Im selben Zeitraum veröffentlichte die UNEP (UN Environment Programme) einen Bericht mit dem Ergebnis, dass die weltweiten Emissionen seit 2000 um 20 % angestiegen sind (vgl. Simonis et al. 2017, S. 283). 2013 fand die COP19 in Warschau statt, mit der Aufgabe, offen gebliebene Fragen der COP18 abzuschließen. Ein Erfolg konnte bei der Finalisierung des Waldschutzmechanismus REDD (siehe Abschnitt COP13) verbucht werden, bei der sich die Entwicklungsländer mit der Idee eines fondsbasierten Mechanismus zur Finanzierung von Waldschutzprojekten gegenüber den Industrieländern, die eine marktbasierte Lösung durch einen Zertifikatshandel präferierten, durchsetzten. Bei der Frage nach konkreten Zusagen über die Verpflichtung für ein Folgeabkommen nach 2020 einigte man sich, dass die Staaten, die bereit sind, diesem beizutreten, bis Anfang 2015 ihre Emissionsziele bekannt geben müssen (vgl. Simonis et al. 2017, S. 283). Bei der COP20 in Lima stand die Vorbereitung eines neuen Klimaschutzabkommens, das auf der COP21 in Paris finalisiert werden und 2020 in Kraft treten sollte, im Vordergrund. Im Beschluss von Lima wurden die Staaten dazu aufgerufen, bis Mai 2015 eigene Klimaschutzbeiträge vorzulegen und anzugeben, wie sie ihre Treibhausgasemissionen mindern können. Des Weiteren wurde bekannt gegeben, dass Staaten in den grünen Klimafonds, der bis 2020 100 Mrd. USD schwer sein soll, 10 Mrd. USD eingezahlt und dadurch die finanzielle Basis geschaffen haben (vgl. Umweltbundesamt, 2014).COP21 und der Pariser KlimaabkommenNachdem seit der Ratifizierung des Kyoto-Abkommens über ein Folgeabkommen ab 2020 verhandelt wurde, konnten sich die Vertragsstaaten 2015 auf der COP21 in Paris einigen und erreichten mit dem Pariser Klimaabkommen (https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/paris_abkommen_bf.pdf), was 2009 auf der COP15 in Kopenhagen noch scheiterte. Die Staatengemeinschaft einigte sich völkerrechtlich verbindlich auf folgende Hauptziele, die in Artikel 2 des Abkommens festgeschrieben sind:a) "der Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau gehalten wird und Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, da erkannt wurde, dass dies die Risiken und Auswirkungen der Klimaänderungen erheblich verringern würde; b) die Fähigkeit zur Anpassung an die nachteiligen Auswirkungen der Klimaänderungen erhöht und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Klimaänderungen sowie eine hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarme Entwicklung so gefördert wird, dass die Nahrungsmittelerzeugung nicht bedroht wird; c) die Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung." (BMUV, 2015. Übereinkommen von Paris)Im Vergleich zum Kyoto-Protokoll sind im Pariser Abkommen nicht nur die Industrieländer, sondern alle Vertragsländer dazu verpflichtet, nationale Klimaschutzpläne (nationally determined contributions, kurz NDCs) umzusetzen, die in 29 Artikeln festgehalten sind. Die Artikel enthalten u.a. Elemente zur Milderung und Anpassung an den Klimawandel, Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen, Technologietransfer, Ausbau von Kapazitäten sowie Transparenz von Maßnahmen und Unterstützung. Entwicklungsländer sollen bei den Maßnahmen zur Umsetzung unterstützt werden.Um zu überprüfen, ob die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens eingehalten werden, soll ab 2023 alle fünf Jahre eine Bestandsaufnahme durchgeführt werden. Damit das Klimaabkommen in Kraft treten konnte, war wie beim Kyoto-Protokoll eine Ratifizierung durch mindestens 55 Staaten, die mindestens 55 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verursachen, nötig. Die Ratifizierung erfolgte im Vergleich zum Kyoto-Ankommen schneller, sodass das Pariser Klimaabkommen am 4. November 2016 offiziell in Kraft treten konnte.Durch das Pariser Klimaabkommen wurde der Klimawandel sowie die Notwendigkeit, diesen zu bekämpfen, auf internationaler Ebene anerkannt, es wird daher als ein Meilenstein in der internationalen Klimapolitik angesehen. Kritik gab es von Forschenden und Klimabewegungen dafür, dass das 1,5°Grad Ziel realistisch gesehen mit den im Abkommen festgelegten Rahmenbedingungen nicht mehr zu erreichen ist und auf internationaler Ebene die Rechtsverbindlichkeit fehlt (vgl. Watjer, 2020).Post-COP21-ÄraCOP22 - COP27Auf die Weltklimakonferenz in Paris folgte die COP22 in Marrakesch, die am 7. November 2016, sechs Tage nach dem Inkrafttreten des Pariser Klimaabkommens, startete. Auf der Agenda stand neben der Ausgestaltung des Pariser Klimavertrags die Finanzierung des Klimaschutzes für Entwicklungsländer, mit besonderem Fokus auf Afrika (vgl. Lili Fuhr et al., Nov. 2016).Diese Themen rückten durch den Sieg von Donald Trump bei den US-Wahlen früh in den Hintergrund, was zu einer gedrückten Stimmung unter den Vertragsstaaten führte, da die Sorge bestand, die USA könnte aus dem Pariser Abkommen wieder austreten, da Trump den Klimawandel in der Vergangenheit als chinesische Verschwörung bezeichnet und das Klima-Engagement der USA kritisiert hatte (FAZ, 2020).Nach unruhigem Start der COP22 konnten die VN mit der "Proklamation von Marrakesch" (https://unfccc.int/files/meetings/marrakech_nov_2016/application/pdf/marrakech_action_proclamation.pdf) eine Proklamation verabschiedeten, in der 197 Staaten – darunter auch die USA – zu maximalem politischen Engagement gegen den Klimawandel aufgerufen haben. Fast 50 Staaten erklärten in der Proklamation, schnellstmöglich - spätestens bis 2050 - klimaneutral zu werden und komplett auf erneuerbare Energien umstellen zu wollen. Die Industriestaaten gaben die Zusage, den Grünen Fond, der ab 2020 jährlich 100 Milliarden für Entwicklungsländer im Kampf gegen den Klimawandel bereitstellen soll, zur Verfügung zu stellen (vgl. Europäisches Parlament, 2016).Am 5. August 2017 verkündete Donald Trump bei den VN den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen im Jahr 2020. Im November 2017 trafen sich die Vertragsstaaten in Bonn auf der COP23. Die Präsidentschaft hatten die Fidschi-Inseln inne, die als erster kleiner Inselstaat den Vorsitz bei einer Klimakonferenz übernahmen. Auf der Agenda stand die Ausarbeitung eines Regelwerks zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, mit dem Ziel, dieses im Folgejahr bei der COP24 in Katowice zu verabschieden.Die Konferenz endete damit, dass zu allen Kapiteln des Regelwerks umfassende Textbausteine mit Kommentaren und Vorschlägen der Länder vorgelegt werden konnten. Weitere Ergebnisse stellten eine internationale Allianz zum Ausstieg aus Kohlekraftwerken von 25. Ländern und Regionen dar, darunter Kanada, die UK, Frankreich und mehrere US-Bundesstaaten, ein Arbeitsprogramm für die Landwirtschaft und die Talanoa-Dialoge als neues Gesprächsformat. Bei diesem handelt es sich um ein traditionelles, auf gegenseitigem Respekt basierendes Kommunikationsformat, das dazu beitragen soll, dass Staaten ihre Ziele beim Klimaschutz nachbessern, ohne sich gegenseitig mit vergangenen Versäumnissen und Verhaltensweisen zu konfrontieren (Vgl. Lili Fuhr et al., 2017).Im Oktober 2018 veröffentlichte der Weltklimarat (IPCC) einen Sonderbericht (https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2020/07/SR1.5-SPM_de_barrierefrei.pdf), der die Auswirkungen eines Temperaturanstiegs um 1,5 °C gegenüber vorindustriellen Werten bewertet. Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass die aktuellen Klimaziele der Staaten nicht ausreichen und nach derzeitigem Stand sich die globale Temperatur bis 2030 um über 3 °C erhöhen wird.Dieser Sonderbericht sorgte auf der COP24, die kurz nach Erscheinen des Berichts im Dezember in Katowice stattfand, für große Diskussion. Die USA, Saudi-Arabien und weitere arabische Ölstaaten gaben an, den Bericht nicht anzuerkennen und versuchten, diesen zu verwässern. Letztendlich konnten sich die Vertragsstaaten auf das Katowice-Klimapaket (https://unfccc.int/sites/default/files/resource/Informal%20Compilation_proposal%20by%20the%20President_rev.pdf) einigen. In diesem wurden Details zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens festgeschrieben und festgelegt, wie die einzelnen Staaten ihre nationalen Klimabeiträge messen, vergleichen und an das Klimasekretariat der VN zu übermitteln haben.Beim Versuch, den Sonderbericht der IPCC in das Katowicer Dokument aufzunehmen, musste eine Kompromisslösung gefunden werden, indem die Vertragsstaaten im Regelwerk dazu aufgefordert werden, die Informationen des Berichts zu nutzen. Beim Thema eines globalen Emissionshandelssystems wurden Kernfragen weiterhin offengelassen (Vgl. Lehr, Schalatek, 2019).Nachdem sich im Vorfeld der COP25 in Madrid 66 Staaten zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050 bekannt hatten, stellte die EU-Kommission auf der Konferenz den "Green Deal" (https://www.esdn.eu/fileadmin/ESDN_Reports/ESDN_Report_2_2020.pdf) mit dem Ziel vor, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Hierfür stellte die Kommission rund 50 Maßnahmen aus den Bereichen Klima- und Umweltpolitik, Energiepolitik, Industrie, Verkehrspolitik und Landwirtschaft vor und plante, um die Klimaneutralität bis 2050 voranzutreiben, diese per Gesetz festschreiben zu lassen (vgl. Auswärtiges Amt, 2019).Insgesamt verlief die COP25 ohne konkrete Ergebnisse. Beim Thema globaler Emissionshandel konnten die VN sich, wie schon auf der COP24, nicht einigen. Das lag unter anderem daran, dass sich Staaten wie Australien, USA und Brasilien wenig kompromissbereit zeigten:"Der Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas komme nun in eine ernsthafte Phase, deshalb organisieren einige Staaten wie die USA, Brasilien und Australien, die eng mit der fossilen Lobby verbandelt sind, eine letzte Abwehrschlacht" (Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch, DW, 2019).Im November 2020 setzte sich Joe Biden bei der Wahl gegen Donald Trump durch. Daraufhin trat die USA dem Pariser Abkommen im Februar 2021 wieder bei. Im Juli 2021 trat das europäische Klimagesetz in Kraft, in dem die EU die Klimaneutralität bis 2050 zum verbindlichen Ziel, mit dem Zwischenziel einer Reduzierung der Netto-Treibhausgasemissionen um mindestens 55 % bis 2030, festgelegt.Im November 2021 kamen die Vertragsstaaten in Glasgow auf der COP26 (die 2020 aufgrund der Covid19-Pandemie auf 2021 vertagt wurde) zusammen, mit dem Ziel, sich auf einen gemeinsamen Kohleausstieg zu einigen. Dieses Ziel konnte teilweise erreicht werden: Im Klimapakt von Glasgow einigte man sich aufgrund des Drucks der von Kohle abhängigen Staaten wie China und Indien lediglich auf einen schrittweisen Abbau.Festgehalten wurde auch, dass der Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen weltweit noch in diesem Jahrzehnt um 45 Prozent sinken muss, wenn das 1,5-Grad-Limit erreichbar bleiben soll. Daneben wurden die reichen Länder aufgefordert, das Geld für die 100 Mrd USD, mit denen die Entwicklungsländer im Kampf gegen den Klimawandel unterstützt werden sollen, bereitzustellen. Eine Überraschung stellte der USA-China-Pakt dar, in dem beide Länder verkündeten, eine gemeinsame Arbeitsgruppe einrichten zu wollen, um den Umbau zu einer klimaneutralen Weltwirtschaft zu beschleunigen (vgl. Dlf, 2021).Die COP27 wurde 2022 im ägyptischen Scharm El-Scheich ausgetragen. Das wichtigste Ergebnis stellt der Fond für klimabedingte Schäden und Verluste dar, der von den Entwicklungsländern seit mehreren Jahren gefordert wurde. Durch diesen sollen ärmere, durch den Klimawandel stark bedrohte Länder bei Schäden, die durch Klimakatastrophen verursacht wurden, Ausgleichszahlungen erhalten. Keine erheblichen Fortschritte konnten dagegen bei den Lösungsansätzen zur Einhaltung des 1,5°C-Ziels aus dem Pariser Abkommen gemacht werden. Versuche, weitergehende Formulierungen zu einem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und Kohle zu verfassen, wurden von China und Saudi-Arabien blockiert. Als Erfolg wird die Klimapartnerschaft zwischen Industrieländern wie den USA und Deutschland mit Entwicklungsländern wie Ägypten, Mexiko und Südafrika gesehen. Die Industrieländer stellen Mittel bereit, um bei den kleineren Ländern die Energiewende voranzutreiben (vgl. Dlf, 2022). COP28 in DubaiAuf der COP28, die vom 30. November bis 12. Dezember 2023 in Dubai stattfand, wurde seit dem Pariser Klimaabkommen erstmals offiziell Zwischenbilanz gezogen. Die EU (-7,4 %) und die USA (-3,0 %) haben es 2023 geschafft, ihre Emissionen im Vergleich zu 2022 zu verringern. In Indien (+8,2 %) und China (+4,0 %) sind sie dagegen angestiegen. Die selbst gesetzten Ziele zur Treibhausgasemission, die sich die Staaten gesetzt hatten, konnten nicht erfüllt werden.Im Vergleich zum Vorjahr sind die Emissionen um 1,1 % angestiegen und liegen bei 36,8 Milliarden ausgestoßenen Tonnen CO₂. Diese werden ergänzt durch Maßnahmen wie z.B. das Roden von Wäldern, sodass die Endbilanz bei 40,9 Milliarden Tonnen CO₂ liegt (vgl. Appelhans, 2023). Die Zwischenbilanz zeigt deutlich, dass die aktuellen Maßnahmen und Umsetzungen der Nationen nicht ausreichen, um das 1,5°C-Ziel zu erreichen.Das "sichtbarste" Ergebnis der Konferenz stellt die Einigung der Weltgemeinschaft auf einen Beschlusstext zu einem "Übergang weg von fossilen Energieträgern in den Energiesystemen" dar. Ziel ist es, durch einen Ausstieg aus fossilen Energien (Öl, Gas, Kohle…) den globalen Süden, den die Auswirkungen des Klimawandels am stärksten treffen, vor weiteren drohenden Katastrophen zu schützen.Bei den fossilen Brennstoffen (Öl und Gas) wurde sich auf den Begriff "Abkehr" anstatt Ausstieg als Kompromiss geeinigt. Dies ist zurückzuführen auf Staaten wie Saudi-Arabien, deren Wirtschaft auf dem Handel mit fossilen Brennstoffen beruht und für die ein Ausstieg, Stand jetzt, nicht in Frage kommt. Um den Ausstieg zu erreichen, benötigt es einen schnellen Umstieg auf erneuerbare Energien. Im Beschlusstext wurde das Ziel formuliert,"... die Kapazität der erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdreifachen und das Tempo bei der Energieeffizienz in diesem Zeitraum zu verdoppeln." (BMZ, COP28 Abschnitt 2)Neben dem Ausstieg einigten sich die Staaten auf die Ausgestaltung des auf der COP27 beschlossenen Fonds für Klimaschäden im Globalen Süden. Deutschland und Saudi-Arabien kündigten an, für diesen jeweils 100 Millionen Euro bereitzustellen (vgl. bpb, 2023).Fazit und AusblickDie Historie der zurückliegenden Klimakonferenzen zeigt klar auf, wie kompliziert und hoch angespannt die internationale Klimapolitik ist. Um einen Konsens zu erzielen und ein Vorankommen zu ermöglichen, müssen in der Regel package deals und Kompromisse eingegangen werden, was eine schnelle und effektive internationale Zusammenarbeit erschwert.Ergebnisse zu erzielen, kostete in der Vergangenheit viel Zeit - Zeit, die die Welt und vor allem der globale Süden nicht mehr hat. 2009 scheiterte der erste Versuch, den Klimawandel als ein ernstzunehmendes Problem international offiziell anzuerkennen, auf der COP15 in Kopenhagen. Und es dauerte bis 2015, dass die Vertragsstaaten sich einigen konnten und mit dem 1,5°C-Ziel den Klimawandel anerkannten und ihm gemeinsam den Kampf ansagten. Die Historie von Rio bis Paris offenbart zwei Probleme der internationalen Klimapolitik:Die internationale Klimapolitik ist träge und kommt nur langsam voran. Um überhaupt einen Konsens zu finden, mussten zwischen den Nationen in der Regel immer Kompromisse eingegangen werden. Dies ist am Verlauf des Kyoto-Protokolls, als die EU bei Maßnahmen wie den Senken Industrieländern wie Kanada und Russland entgegenkam, damit das Protokoll überhaupt noch ratifiziert werden kann, gut ersichtlich. Wenige Jahre später stiegen Russland und Kanada bei der Verlängerung des Kyoto-Protokolls bis 2020 dann aus.Es gibt keinen internationalen Souverän, der die einzelnen Staaten maßregelt und Konsequenzen verhängt, wenn Staaten es nicht schaffen, ihre Emissionen zu verringern. Trotz des Pariser Abkommens sind die Treibhausgasemissionen seit 2015, mit Ausnahme der Phase der Covid19-Pandemie, angestiegen. Konsequenzen gab es für die Industrienationen, die Hauptverursacher von Treibhausgasemissionen sind, nicht. Das 1,5°C-Ziel, das bereits 2015 von Kritiker*innen als unrealistisch angesehen wurde, ist acht Jahre später mit dem Trend, dass die CO₂-Emissionen weiter ansteigen, kaum noch zu erreichen. Die Prognose in Bezug auf den Klimawandel sieht für die kommenden Jahre düster aus. Hoffnung könnte der auf der COP28 beschlossene Ausstieg bzw. die Abkehr von fossilen Brennstoffen, die über 80 % der CO₂-Emissionen ausmachen, bieten. Dieser Beschluss könnte - nach dem Pariser Abkommen - ein weiter großer Schritt in die richtige Richtung sein. Wie groß dieser Schritt ausfällt, ist abhängig davon, wie sich die Vertragsstaaten an dem Ausstieg beteiligen und wie schnell sie versuchen, diesen umzusetzen.Ein weiterer Hoffnungsschimmer könnte die steigende Verantwortung sein, die die Industrieländer für den Klimawandel übernehmen. Der globale Süden, der vom Norden über Jahre hinweg ohne große Rücksicht auf Folgen ausgebeutet wurde (und immer noch wird), bekommt das Ausmaß des Klimawandels am deutlichsten zu spüren. Durch den auf der COP27 verabschiedeten Fond für Klimakatastrophen erhält er von den Industrienationen finanzielle Unterstützung, was einen Anfang darstellt. Die Industriestaaten, allen voran die EU, haben sich dazu bekannt, den globalen Süden nicht mehr im Stich zu lassen. Dies kann man gleichzeitig als Zeichen sehen, dass die VN erkannt haben, dass der Klimawandel nur im Kollektiv aufgehalten werden kann.Der Trend der letzten Klimakonferenzen ist positiv. Ob dieser Trend anhält, hängt klimapolitisch stark von den USA, China und mit einigen Abstrichen Indien und den Öl-Staaten ab. Die USA, die eine lange Historie besitzt, sich in der Klimapolitik querzustellen und nicht zu kooperieren, steht vor einem Wahljahr 2024, in dem Donald Trump die Chance hat, nach 2016 erneut zum Präsidenten gewählt zu werden. Trump, dessen Politik unberechenbar ist, ist kein Befürworter von Maßnahmen gegen den Klimawandel und trägt die Verantwortung dafür, dass die USA 2020 aus dem Pariser Abkommen ausgetreten sind.Die USA pflegen trotz des gemeinsamen Pakts für eine klimaneutrale Wirtschaft ein angespanntes Verhältnis zu China, das eskalieren könnte. China, das in Sachen Treibhausgasemissionen seit über zehn Jahren an der Spitze steht, hat lange versucht, sich unter dem Deckmantel "Schwellenland" vor klimapolitischer Verantwortung zu drücken. In der nahen Zukunft könnte sich dies mit Indien, das inzwischen bei den Emissionen auf Platz 3 (Stand 2022) steht, wiederholen.Sollten sich die USA, China und Indien als Top 3 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/179260/umfrage/die-zehn-groessten-c02-emittenten-weltweit/) in Sachen Treibhausgasemissionen aus dem Kampf gegen den Klimawandel zurückziehen bzw. bei dem Ausstieg aus fossiler Energie nicht mitziehen, sieht es düster für den Rest der Welt aus. Auch die Blockadehaltung in Bezug auf den Ausstieg aus fossilen Brennstoffe der Ölstaaten wie Saudi-Arabien muss beobachtet werden.Neben den Wahlen in den USA darf die EU-Wahl nicht unterschätzt werden. In den vergangenen Jahren konnten rechtspopulistische Parteien, von denen viele Klimawandelleugner (vgl. Schmidt-Mattern, 2019) sind, fast in allen EU-Ländern Stimmen dazugewinnen. Sollte es innerhalb des EU-Parlaments zu einem starken Rechtsruck kommen, könnte dies auch Auswirkungen auf die Klimapolitik der EU haben. Das wäre fatal, da die EU schon seit der Rio-Konferenz im Kampf gegen den Klimawandel als Vorreiter agiert und regelmäßig zwischen Parteien mit verschiedenen Standpunkten als Zwischenhändler agiert und so Kompromisse erreicht. Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Kampf gegen den Klimawandel stehen auf wackligen Beinen, doch der Trend der vergangenen Jahre ist positiv, was Anlass zur Hoffnung gibt. Dennoch müssen die Staaten, wenn sie noch eine Chance haben wollen, den Klimawandel einzudämmen, geschlossener und vor allem schneller agieren als noch in der Zeitspanne zwischen Rio de Janeiro und Paris. LiteraturAuswärtiges Amt. 2018. "Erfolgreicher Abschluss der "COP24" in Kattowitz". https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/klimaaussenpolitik/cop-24-kattowitz/2171152 (24.03.24).Auswärtiges Amt. 2019. 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