Sie haben Menschen vergiftet, erschossen oder mit ihren eigenen Händen umgebracht. Sie haben ihre Opfer zerstückelt, vergraben oder verspeist. Charles Manson, Issei Sagawa, Dorothea Puente, Peter Lundin und Wayne Lo sind kaltblütige Mörder. Aus ihren Taten machen sie noch dazu ein Mordsgeschäft. Als »Ikonen des Horrors« verkaufen sie »Murderabilia«, laden zu kostspieligen Interviews oder versteigern Marathonsex. Micael Dahlén, schwedischer Wirtschaftsprofessor mit Kultstatus, hat sich in ihren Bannkreis begeben und fünf »Monster« hautnah erlebt. Ein schonungsloses Buch über die Faszination des Bösen und eine ekelerregende Wahrheit über die Welt, in der wir leben.
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Inhaltsangabe: Einleitung: Der Ausdruck "Amok" ist vielfach mit der Assoziation eines besonders irrationalen Verhaltens verbunden, das sich durch eine starke Dynamik und einen hohen Kontrollverlust äußert. Die Erklärung dieser Handlung und ihrer möglichen Ursachen bildet das Ziel dieser Arbeit. Die Berichterstattung der Massenmedien und insbesondere der Printmedien, die nahezu regelmäßig neue Fälle von Amokläufen, Amokfahrten etc. publizieren, sowie die häufige Verwendung dieser Begriffe im alltäglichen Sprachgebrauch lassen auf umfassende Informationen bezüglich dieses Phänomens in der wissenschaftlichen Literatur schließen. Bei genauerer Recherche erweist sich allerdings schon allein der Versuch einer Definition als schwierig, da es sich bei dem Begriff "Amok" nicht um einen Straftatbestand handelt. Auch aus medizinischer Sicht lässt sich ein Täterprofil über die Betrachtung vorübergehender oder dauerhafter Persönlichkeitsstörungen nur begrenzt erstellen. Hier bildet die geringe Zahl der Untersuchungen, sowie die Schwierigkeit, an aussagekräftiges Datenmaterial aus der Psychiatrie zu gelangen, ein Hindernis bei der Suche nach grundsätzlichen Aussagen zu den Tätern und der Tat. Die wenigen Publikationen zum Thema beschreiben Amok als eine ursprünglich aus dem malaiischen Sprachraum stammende Handlung, "Amuck" bezeichnet hier ein Konfliktverhalten mit langer kultureller Vorgeschichte. Inwieweit die geschilderten Ausprägungen der Tat auch bei der modernen Form der amokähnlichen Phänomene als charakteristisch zu bezeichnen sind, soll hier verglichen werden. Amokläufe bilden nach meiner Beobachtung die Voraussetzungen für Pressemitteilungen mit hohem Sensationsgehalt. In dieser Arbeit soll genauer untersucht werden, nach welchen Gesichtspunkten eine Nachricht als Amoktat klassifiziert und präsentiert wird. Als Grundlage für die Analyse der Meldungen habe ich nach einem inhaltsanalytischen Verfahren eine Datenerhebung durchgeführt. Hier sind Publikationen, die von den Presseagenturen bzw. den Zeitungsredaktionen mit Amok überschrieben wurden, gesammelt und in einer Statistik zusammengefasst worden. Mit Hilfe eines EDV-Programms wurden diese Daten ausgewertet, um ein mögliches Profil der so bezeichneten Amokläufer und ihrer Tat erstellen zu können. Möglicherweise lassen sich mit dieser Methode spezifische, wiederkehrende Merkmale ausmachen und allgemeine Kriterien daraus ableiten. Auch kann die Analyse eventuell Hinweise auf gesellschaftliche Hintergründe und Ursachen liefern, indem beispielsweise eine Häufung auslösender Momente festgestellt wird. Bei vielen Amokläufen der Gegenwart werden Schusswaffen vom Täter eingesetzt. Besonders interessant erscheint mir deshalb eine genauere Betrachtung der Korrelation zwischen Waffenbesitz, Erfahrung mit dem Umgang von Waffen, sowie deren Benutzung in einer ausweglos erscheinenden Situation. In den vergangenen Jahren ist in verschiedenen westlichen Staaten eine Diskussion ausgelöst worden, die sich mit dem Zugang zu Waffen und mit seiner möglichen Beschränkung beschäftigt. Als Reaktion auf Gewalttaten mit hoher Opferzahl sind bereits verschiedene Gesetzesänderungen beraten oder auch schon verabschiedet worden. Insbesondere anhand der Entwicklung in Österreich soll dieser Prozess näher beleuchtet werden. Nicht wenige Amokfälle scheinen aus alltäglichen Situationen heraus zu entstehen, die durch ihre Gewöhnlichkeit und Vertrautheit nicht darauf schließen lassen, dass sie Grundlage für eine extrem aggressive Handlung werden könnten. Hieraus ergibt sich eine weitere Fragestellung: Wird der potentielle Amokläufer zu seiner Tat bewegt, weil große Veränderungen in seinem Leben auftreten, denen er sich nicht gewachsen fühlt, oder sind es die alltäglichen Unzufriedenheiten, Demütigungen und Misserfolge, die sich summieren, und - ausgelöst durch eine Banalität - alle Selbstkontrolle unmöglich machen? Auch die Abgrenzung zwischen einer angestrebten Selbsttötung und einer nach außen gerichteten Aggression als Hauptmotivation der Täter ist schon allein deshalb problematisch, weil nicht wenige Amokläufer bei der Tat ums Leben kommen, entweder durch eigene Hand oder durch die Schüsse der Polizei. Lediglich in einigen wenigen Fällen gibt es Hinweise oder Aussagen, die Rückschlüsse auf mögliche Beweggründe zulassen und eine Differenzierung ermöglichen. Der Amok wird gelegentlich als eine typisch männliche Tat angesehen. Die Untersuchung von Kriminalität und Gewalt als männlich besetzte Bereiche des täglichen Lebens würde den Umfang dieser Diplomarbeit übersteigen und bildet längst das Thema für eigenständige Untersuchungen, im Ansatz soll aber auch dieser Punkt beleuchtet werden. Obwohl die Medien oftmals einen gegenteiligen Eindruck vermitteln, handelt es sich bei Tötungshandlungen im Vergleich zu anderen Kriminalitätsformen um seltene Delikte. Der Amok als extreme Ausprägung schwerer Gewalttaten muss erst recht als außergewöhnliche Tat bezeichnet werden. Diese Ausnahmestellung führt dazu, dass sich an einigen Stellen ein Überblick über das Amok-Phänomen aus der Distanz leichter erreichen lässt als aus der unmittelbaren Nähe der Tatbetrachtung. Inhaltsverzeichnis: Einleitung1 1.Definition4 2.Der malaiische AMOK - Historische Entwicklung5 2.1Kultureller Hintergrund des malaiischen Amok9 2.2Pathologische Ursachen11 2.3Artverwandte Phänomene13 3.Moderne Erscheinungsformen des Amok in der westlichen Welt17 3.1Abgrenzung zum Serienmörder / Massenmörder17 3.2Täterprofil und Tatmerkmale18 3.3Vergleich des traditionellen malaiischen Amok mit dem amokähnlichen Phänomen der westlichen Welt22 4.Inhaltsanalytische Untersuchung27 4.1Ziele der Untersuchung27 4.2Material und Methoden29 4.3Datenstruktur29 4.3.1Zeitliche Verteilung31 4.3.2Geographische Verteilung31 4.4Ergebnisse der Untersuchung33 4.4.1Tätergeschlecht33 4.4.2Altersverteilung34 4.4.3Beruf der Täter35 4.4.4Familienstand36 4.4.5Tatmotiv37 4.4.6Täter-Opfer-Beziehung38 4.4.7Anzahl der verwendeten Waffen39 4.4.8Art der verwendeten Waffen40 4.4.9Waffenaffinität41 4.4.10Tatorte42 4.4.11Anzahl der Todesopfer43 4.4.12Anzahl der Verletzten44 4.4.13Tatausgang I (Ergreifung des Täters)45 4.4.14Tatausgang II (Suizid)46 4.4.15Diagnose47 4.4.16Auswertung der Frauengruppe48 4.5Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse49 4.5.1Angaben zum Täter49 4.5.2Angaben zum Tatvorfeld und Tatablauf50 4.5.3Angaben zum Tatausgang51 5.Erörterung auffälliger Teilaspekte des Amok-Phänomens53 5.1Amok und Medien53 5.1.1Medieninteresse und Eigenschaften der Berichterstattung54 5.1.2Medien als auslösender Faktor?56 5.2Täterpersönlichkeit58 5.2.1Pathologische Auffälligkeiten der Täterpersönlichkeit58 5.2.2Jugendliche Amokläufer61 5.2.3Amok und Männlichkeit64 5.2.4Amoktäter und die Bedeutung von Waffen70 5.2.4.1"Waffennarren" und der psychologische Symbolwert von Waffen71 5.2.4.2Korrelation von Beruf und Schusswaffenmissbrauch76 5.2.4.3Beziehungen schwerer Gewaltdelikte zum erlaubten Schusswaffenbesitz80 a)Australien80 b)Vereinigte Staaten von Amerika81 c)Großbritannien84 d)Schweiz85 e)Österreich86 f)Bundesrepublik Deutschland90 5.3Tatmotivation und Tatablauf92 5.3.1Amok-Fahrten92 5.3.2Partnerschaftskonflikte und die Bedeutung des erweiterten Suizids95 5.3.3Affekttaten und Amnesie98 5.3.4Soziale Bedingungen102 6.Prävention104 7.Zusammenfassende Schlußbetrachtung108 ANHANG112 Literaturverzeichnis112 Fallverzeichnis116 Ausgewählte Beispiele für Pressemeldungen119 Ehrenwörtliche Erklärung127
Menschlichkeit ist überbewertet.[1] Franco Berardis Buch Helden. Über Massenmord und Suizid analysiert nicht nur die opferreichsten Amokläufe der letzten Jahre, sondern auch und vor allem die ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die Berardi als "absoluten Kapitalismus" bezeichnet und die er für diese suizidalen Massenmorde verantwortlich macht. Die neoliberalen kapitalistischen Verhältnisse, die von Simulation, Wettbewerb und Nihilismus geprägt sind, bringen Berardi zufolge Menschen – vor allem Männer – hervor, die nicht länger in der Lage sind Solidarität und Empathie zu entwickeln. Die Motivation für Massaker und Amokläufe von Einzeltätern wie Anders Breivik, Seung-Hui Cho und Eric Harris und Dylan Klebold sieht Berardi zudem in dem Streben nach medialem Ruhm und Identität. Das Verlangen nach Identität ist Berardi zufolge sowohl eine Krankheit als auch ein kulturelles Produkt, das auf die starre Zugehörigkeit zu Nation, Religion und Rasse beruht. Zudem zeichnen sich Täter wie Breivik durch Misogynie und Verherrlichung patriarchaler Familienwerte aus. Neben diesem Phänomen des Massenmords widmet sich Berardi auch den massenhaften Selbstmorden von indischen Bauern, die in eine Spirale von Schulden und Verarmung durch Monsanto-Saatgut geraten sind oder den Selbstmorden chinesischer Arbeiter*innen bei Foxconn und Apple, bei denen die Selbstmordrate derartig zunahm, dass in neuen Arbeitsverträgen das Versprechen festgehalten wurde, keinen Selbstmord zu begehen. Das Leiden an den ökonomischen Verhältnissen ist demnach eine weitere Ursache für Suizid wie Massenmord. Dieses Leiden betrifft jedoch nicht nur die besonders ausgebeuteten Arbeiter*innen der ausgelagerten physischen Produktion, sondern auch die unter prekären Bedingungen kognitiven Dienstleister*innen der immateriellen Arbeit im Semio-Kapitalismus, des Teils des absoluten Kapitalismus, in dem es vor allem um die Produktion und den Tausch abstrakter Zeichen geht, die ununterbrochen die Aufmerksamkeit der Produzent*innen in Anspruch nimmt. Berardi ist bekannt als politischer Aktivist und Intellektueller. Zuletzt erregte er Aufmerksamkeit mit dem Gedicht Auschwitz on the Beach, das er im Kontext einer Performance auf der documenta 14 vortragen wollte. In dem Gedicht vergleicht er die Abschottung Europas und das massenhafte Sterben an seinen Grenzen mit der Vernichtung der Juden durch die Nazis. Nach Protesten u. a. aus der jüdischen Gemeinde gegen diesen Vergleich, las Berardi das Gedicht zwar nicht vor, sein Inhalt wurde jedoch breit rezensiert und auch kritisiert.[2] Aus Protest gegen die europäische Abschottungspolitik trat Berardi im Jahr zuvor aus der Initiative DiEM 25 (Democracy in Europe Movement 2015) aus, woraufhin Yanis Varouvakis, ebenfalls Mitglied von DiEM 25, Berardis Austritt mit der Begründung ablehnte, dass Berardi mit seinem Protest für eine 'wahre' europäische Demokratie stünde, die die Mitglieder von DiEM 25 verteidigen.[3] Berardi trat bereits im Alter von 14 Jahren einer Jugendorganisation der kommunistischen Partei Italiens bei, war in der 1968er Jahre-Bewegung in Bologna aktiv, war Teil des freien Senders Radio Alice und des italienischen Operaismus und Weggefährte von Felix Guattari und Antonio Negri. Berardi verbindet in seinen zahlreichen Veröffentlichungen Kapitalismuskritik mit Medienaktivismus und Subjektivierungstheorien. Der Prolog seines jüngsten Buches, der auf ein kurzes Vorwort zur deutschen Ausgabe folgt, beginnt mit dem Massaker, das James Holmes im Juli 2012 in einem Kino in Aurora während der Mitternachtsvorstellung von The Dark Knight Rises anrichtete. Zu der Zeit begann ich gerade einen zweijährigen Forschungsaufenthalt an der University of California Riverside, wo James Holmes seinen BA in Neurowissenschaften mit Bestnoten abgeschlossen hatte. Ich suchte mehrfach nach einer Erklärung auf der Webseite der Universität, die Trauer und Anteilnahme mit den Opfern ausdrückte, jedoch vergeblich. Freunde von der Universität teilten mir dann mit, dass dies nicht gemacht würde, um sich gegen mögliche Klagen zu schützen. Dieser Mangel an Empathie und Solidarität ist für Berardi eines der Kennzeichen des absoluten Kapitalismus' seit der Moderne. Andere sind die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, die Deterritorialisierung der Produktion und der Zerfall der Sozialsysteme. Berardi stützt sich in weiten Teilen seines Buchs auf Jean Baudrillard, was mich erstaunte, da ich ihn sehr lange nicht mehr zitiert gesehen habe. Berardi referiert auf Baudrillards "Semiologie der Simulation" (S.40), die von einem Ende der Referentialität in der Ökonomie und Sprache ausgeht: "Zeichen werden gegen andere Zeichen getauscht, nicht gegen wirkliche Gegenstände." (S. 40) Wie Baudrillard nimmt Berardi gegenüber dieser Ersetzung der Realität durch die Simulation eine sehr kulturpessimistische, wenn nicht sogar medienfeindliche Haltung ein. Obwohl Berardi sich gegen die "allgemeine" Auffassung richtet, dass der Inhalt von Videospielen verantwortlich für Amokläufe wie dem in Columbine ist, argumentiert er dennoch aus einer ähnlichen Perspektive: Es ist das Abtauchen in die digitale Welt an sich, "die uns körperlichen Lüsten und Qualen gegenüber unempfindlich macht" und zu einer "Mutation des menschlichen Gehirns führt." (S. 64) Als Beleg führt Berardi an, dass der Attentäter Holmes glaubte, in einem Film mitzuspielen. Obwohl auch meiner Ansicht nach bei Massen- oder Serienmördern die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwimmt, zeichnen sich diese Täter jedoch gerade dadurch aus, Fantasien, Simulation und Fiktion zu Realität werden zu lassen, indem die sie mediale Ebene verlassen und ihre Fantasien physisch am Körper ausagieren. Und wenn es um den medialen Ruhm geht, ist das Angebot an Reality und Casting Shows groß genug, um ins Fernsehen zu kommen. Daher verfehlt Berardis 'medienkritische' Analyse meines Erachtens einen wesentlichen Aspekt des massenhaften Mordens. Auch die Biologisierung gesellschaftlicher Entwicklungen erstaunt, da Berardi an anderer Stelle die Naturalisierung der menschlichen und ökonomischen Beziehungen der neoliberalen Ideologie zuschreibt. Diese beginne mit Adam Smiths Vorstellung der "unsichtbaren Hand", die "den Markt fast wie eine Naturgewalt reguliere" (S. 56), während sich der Humanismus und Sozialismus durch "eine Autonomie der Menschheit gegenüber dem völlig gnadenlosen Gesetz der Natur" auszeichnete. (Ebd.) "Die beiden Möglichkeiten, mit denen wir uns in Zukunft wohl konfrontiert sehen werden, sind deshalb diese: Entweder wird das Gehirn – gemäß des kompetitiven Prinzips (sic) der kapitalistischen Ökonomie – den Regeln der globalen Neuro-Maschine unterworfen werden, oder die autonome Potenzialität des General Intellect wird befreit werden." (S. 245, Hervh. im Original). Während Berardi sich mit dem Begriff des "General Intellect" dezidiert auf Karl Marx bezieht, bleibt unklar auf welche Gehirnforschung oder anderen psychologischen und psychoanalytischen Konzepte er zurückgreift. So schreibt er von einem "gesellschaftlichen Gehirn", das gezwungen sei, mit Traumata, Überbelastung und Diskonnektionen umzugehen, die das Unbewusste stören. Die Hirnforschung kennt jedoch kein Unbewusstes im psychoanalytischen Sinne, die wiederum ganz und gar nicht selbstverständlich mit der Hirnforschung in Einklang zu bringen ist. Als weiteren Term bringt Berardi die "Imagination" als eine Fähigkeit ein, imaginäre Fragmente neu zusammenzusetzen und zu formulieren und damit die Möglichkeit, neue Formen, einen neuen Horizont und eine noch nicht gesehene Welt zu entwerfen. Während diese etwas krude Mischung neurowissenschaftlicher, psychologischer und utopischer Konzepte nicht sehr überzeugt, bietet Berardis wiederholte Forderung nach Solidarität, Freundschaft und letztlich die Rückkehr zu einem – wenn auch transhumanen – Humanismus eine Perspektive, dem dominanten Wettbewerbsdenken ethisch und politisch zu begegnen. Die Ethik hat jedoch nichts mit dem Verantwortungsbewusstsein zu tun, das Berardi zufolge die Politik von uns erwartet: "Die Politik will, dass wir verantwortungsbewusst handeln, mehr arbeiten, mehr kaufen, den Markt stimulieren." (S. 267) Dem entgegengesetzt plädiert Berardi dafür, die Teilnahme zu verweigern und sich der Verzweiflung hinzugeben, "dass man sich der Wahrheit der gegenwärtigen Lage bewusst ist." (S. 268) Selbstverständlich sollte die Verzweiflung nicht in Selbstmordattentaten umgesetzt werden, dennoch lassen sich diese nicht ohne die massenhafte Verzweiflung verstehen, wie Berardi mit Bezug auf den Psychoanalytiker Fethi Benslama betont.[4] Diese Verzweiflung als Resultat kolonialistischer Ausbeutung und Enteignung paart sich im radikalen Islamismus mit einem Verlangen nach einem Ursprung und einer Wiederholung des Identischen. Die "identitäre Obsession" teilen die islamistischen Selbstmordattentäter mit nationalistischen, rassistischen und frauenfeindlichen Attentätern wie Breivik. Wenn Berardi das Streben nach Identität kritisiert, dann nicht in erster Linie im Sinne einer Identitätspolitik verschiedener Befreiungsbewegungen, sondern das vom Kapitalismus erzeugte Verlangen "nach einer Reterritorialisierung sowie die ununterbrochene Wiederkehr der Vergangenheit als einer nationalen Identität, einer ethnischen Identität und so weiter." (S. 151). Statt die Verzweiflung also mit einer Rückkehr zu einem vermeintlichen Ursprung zu verbinden, liegt die Antwort nach der Frage "was tun" im absoluten Kapitalismus für Berardi in der ironischen Autonomie, einer "dystopischen Ironie (Dyst-Ironie)", bei der es um die Unabhängigkeit des Geistes geht. (S. 268) Für Berardi liegt die Freiheit einer ironischen Autonomie in der Verweigerung von Teilnahme, Verantwortungsbewusstsein und Glauben an das gegenwärtige System. Die Ironie zeichnet sich durch eine grundlegende Skepsis aus. Mit der Forderung auch ihn nicht ernst zu nehmen, endet das Buch. [1] Dies ist der Titel eines der Kapitel des besprochenen Buches. Diese Phrase stammt aus dem Manifest des Natürlichen Selektors von Pekka-Eric Auvinen, der 2007 neun Schüler in Finnland tötete, bevor er sich selbst erschoss. Er besaß auch ein T-Shirt mit der Aufschrift "Humanity is overrated". Jedes der elf Kapitel des Buches ist mit einem derartigen Motiv überschrieben. Die Kapitel folgen diesen Motiven zum Suizid bzw. Massenmord und nicht einem jeweiligen Einzeltäter. [2] Siehe u.a.: https://www.deutschlandfunkkultur.de/performance-auschwitz-on-the-beach-politisches-desaster.1013.de.html?dram:article_id=394009; http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/auschwitz-on-the-beach-bei-documenta-dann-macht-doch-politik-15168489.html; https://www.zeit.de/2017/35/documenta-kassel-auschwitz-on-the-beach-performance; ttps://www.nytimes.com/2017/08/23/arts/auschwitz-on-the-beach-documenta-14-controversy.html (zuletzt gesehen: 15.07.2018). [3] https://www.opendemocracy.net/can-europe-make-it/yanis-varoufakis-franco-berardi/resignation-letter-from-franco-bifo-berardi-to-ya. (zuletzt gesehen: 15.07.2018). [4] Fethi Benslama: Psychoanalyse des Islam. Berlin 2017.