Die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union: Erfüllung der politischen Kriterien auf dem Weg zu einer Vollmitgliedschaft
In: Politik
Inhaltsangabe: In der vorliegenden Arbeit werden die Chancen der Türkei auf eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) untersucht. Schafft es die jetzige türkische Regierung die politischen Kriterien von Kopenhagen in einem Maße zu erfüllen, so dass die EU mit der Türkei die Beitrittsverhandlungen Ende 2004 beginnen kann? Welche politischen Fortschritte hat die Türkei seit der Anerkennung als Beitrittskandidat 1999 in Helsinki bis heute vollzogen? Sind die Vorgaben der Europäischen Union eindeutig genug und wann kann von einer Erfüllung der Bedingungen gesprochen werden? Auf diese Fragen soll durch diese Arbeit eine Antwort gefunden werden. Da die Untersuchung der Erfüllung der politischen Voraussetzungen von Kopenhagen durch die Türkei Gegenstand dieser Arbeit sein wird, soll das wirtschaftliche Kriterium lediglich in Form einer kurzen Darstellung der Entwicklung der türkischen Wirtschaft seit etwa zwanzig bis dreißig Jahren aufgezeigt werden. Der Wechsel zur heutigen Marktwirtschaft in der Türkei vollzog sich Anfang der achtziger Jahre, als die Regierung Demirel ein umfassendes Programm zur Sanierung der Wirtschaft verkündete und an dessen Ausarbeitung der Internationale Währungsfonds (IWF) beteiligt war. Durch diese Wende traten Marktwirtschaft und Exportorientierung an die Stelle von Dirigismus und Importsubstitution. Die Maßnahmen beinhalteten die Abwertung der türkischen Lira, die Liberalisierung des Außenhandels und die Förderung des Exports, um ausländische Investoren anzuziehen. Turgut Özals Reformen hatten die Türkei in wenigen Jahren durch die steigenden Exporte von einem Agrarland zu einem zunehmend industrialisierten Land gemacht. Durch die Wirtschaftsreform und dem damit einhergehenden hohen Wirtschaftswachstum mit weiter zunehmender Industrialisierung rückte die Türkei in der Klassifizierung der Weltbank und der OECD von der Gruppe der Entwicklungsländer in die Gruppe der Staaten mit mittlerem Einkommen auf. Nach wie vor hat die Türkei jedoch Probleme mit der hohen Inflation, der ungerechten Einkommensverteilung sowie den In- und Auslandsschulden. Außenpolitisch sehen die Kopenhagener Kriterien die Zypern-Problematik zwar offiziell nicht als Kriterium für den Beginn von Beitrittsverhandlungen, eine Lösung dieser seit 1974 geteilten Insel wird jedoch von der EU als Bedingung für eine Mitgliedschaft der Türkei angesehen. Nachdem Nordzypern ihren Antrag 1990 auf Vollmitgliedschaft in die EU stellte, sollte der Inselstaat am 01. Mai 2004 mit neun weiteren Staaten Mitglied der EU werden. Bis dahin sollte unter Vermittlung der UNO eine Einigung mit den türkischen Zyprioten erzielt werden, damit die Insel als ein ungeteilter föderaler Bundesstaat mit zwei eigenständigen Ländern EU-Land werden könne. Für die Zyperntürken wäre dies die Möglichkeit gewesen, in einem geeinten Zypern der EU beizutreten und von den Vorteilen dieses Beitritts zu profitieren. Bei dem im April 2004 abgehaltenen Referendum waren jedoch die griechischen Zyprioten gegen die Anerkennung des UN-Plans, während die türkischen Zyprer zugestimmt haben. Somit ist der Versuch, Zypern zu einen, am "Nein" der griechischen Zyprer gescheitert. Das Scheitern bedeutete zugleich einen Rückschlag für die EU-Beziehungen der Türkei. Mit einer Einigung hätte sie bereits mit einem Bein in der EU gestanden und gleichzeitig die Forderung der EU erfüllt, mit Griechenland eine Einigung über die Zypernfrage zu erzielen. Längst ist auch in Deutschland unter den Parteien eine Debatte in Gang gekommen, ob denn die Türkei überhaupt schon EU-fähig sei. Führende Politiker der Regierung Schröder wollen die Türkei eng an Europa binden und damit eine Stabilisierung des Landes in innen- wie außenpolitischer Hinsicht erreichen. Aber auch die SPD verlangt, dass die Kopenhagener Kriterien erst vollständig erfüllt werden müssen, um mit Beitrittsverhandlungen beginnen zu können. Es wird argumentiert, dass die Werte der EU nicht an eine bestimmte Kultur oder Religion gebunden seien, da Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung von Menschenrechten universell gelten und deshalb im EU-Vertrag niedergeschrieben seien. Dabei ist nach Ansicht des Bundeskanzlers Gerhard Schröder ein tiefer gesellschaftlicher Wandel in der Türkei eine notwendige Grundlage der Türkei-EU-Beziehungen. Die Union hingegen ist der Meinung, dass die Vollmitgliedschaft der Türkei nicht vorangetrieben werden solle, sondern lediglich eine "privilegierte Partnerschaft" mit mehr Zusammenarbeit angestrebt werden müsse als bisher in der Zollunion bereits geschehen. Auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber lehnt eine Vollmitgliedschaft der Türkei ab und propagiert stattdessen eine stärkere Annäherung an die EU. "Der Beitritt der Türkei übersteige die Kraft Europas und geht am Willen der Bevölkerungsmehrheit vorbei." Damit hat die CDU/CSU eine deutliche Wende zur Haltung der Unionsregierung Mitte der 90er Jahre unter Helmut Kohl in ihrer politischen Position zu dieser Frage vollzogen. Auch die FDP hat Bedenken gegen einen baldigen Beitritt der Türkei, da das Land nicht die demokratischen Standards von EU-Staaten vorweisen könne. Gang der Untersuchung: Bei der Erfüllung der politischen Kriterien spielen die historischen Türkei-EU-Beziehungen eine vornehmliche Rolle. Nach einer eingehenden Beleuchtung der historischen Hintergründe wird die Annäherung der Türkei an die EU deutlich. Die Auslegung der politischen Kriterien von Kopenhagen nach ihrer Bedeutung ist Teil dieser Arbeit. Im Weiteren wird sie sich mit den Reformanstrengungen der Türkei befassen, bei denen den Fortschrittsberichten der EU-Kommission eine herausragende Bedeutung zukommt. Es gilt dann zu analysieren, ob die erzielten türkischen Gesetzesänderungen auch tatsächlich von den einzelnen staatlichen Stellen in die Praxis umgesetzt worden sind oder nicht. Vor diesem Hintergrund sollen schließlich die Chancen der Türkei auf eine EU-Vollmitgliedschaft aktuell beurteilt werden.