Erfahrung und gemeinsames Urteilen
In: Erfahrung als Argument: zur Renaissance eines ideengeschichtlichen Grundbegriffs, S. 57-71
Abstract
Der Beitrag zeigt, dass und wie Urteilen als Praxis ein zentrales Element gemeinsamen Entscheidens bildet. Dazu wird zunächst geklärt, wie sich Urteilen als Handeln, als Urteilsakt, charakterisieren lässt. Zentrale Anknüpfungspunkte für einen Urteilsbegriff, der die Bedeutung der Praxis des Urteilens hervorhebt, findet die Autorin in der Sprachhandlungstheorie Robert Brandoms. Darüber hinaus liefert Brandoms Theorie aber auch ein Modell diskursiver Praxis, das als Grundlage für ein Modell gemeinsamen Entscheidens dienen kann. Die Überlegungen bauen dabei auf einer grundlegenderen These auf, nach der Entscheiden - sowohl als individuelles als auch als gemeinsames Handeln - auf drei zentralen Elementen basiert, die ineinander greifen: Wahl, Entschluss und Urteilen. Eine Entscheidung ist erstens eine Wahl zwischen verschiedenen Alternativen, im Akt der Entscheidung strukturiert das Wahlelement die Entscheidungssituation auf der materiellen Ebene (Ich entscheide mich für Option 1). Eine Entscheidung ist aber zweitens auch ein Entschluss, der die Entscheidungssituation auf der zeitlichen Ebene strukturiert (Ich entscheide mich jetzt, in dieser Situation). Drittens ist eine Entscheidung aber auch eine Form des Urteilens. Das Urteilselement strukturiert die Entscheidung auf der Ebene der Relation zwischen dem entscheidenden Akteur und dem zu entscheidenden Sachverhalt (Ich bin der Handelnde, der zu diesem Zeitpunkt entscheidet und in dieser Sache Option l für richtig hält und sich auf folgende Handlung festlegt). Über das dritte Element, das Urteilen, findet der Begriff der Erfahrung Eingang in die Definition des Entscheidungsbegriffs. Die Erfahrung in Form einer Rekonstruktion früherer Urteilshandlungen spielt eine wesentliche Rolle im Hinblick auf die Kritisierbarkeit des Urteilens als Praxis. Damit eine Entscheidung - auf der Grundlage früherer Erfahrungen - kritisierbar, korrigierbar und revidierbar wird, wird der Urteilsbegriff so definiert, dass er die Relation zwischen den entscheidenden Akteuren und dem zu entscheidenden Sachverhalt besonders hervorhebt. (ICA2)
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